Anja und das Reitinternat - Schmetterlinge im Bauch

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Anja und das Reitinternat - Schmetterlinge im Bauch
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Anja und das Reitinternat

Schmetterlinge im Bauch

Für Johanna & Kira

Die Autorin

Feli Fritsch ist ein Sommerkind und wurde 1997 im hessischen Darmstadt geboren. Sie wuchs in der Nähe von Frankfurt/Main auf, bis sie 2016 nach dem Abitur nach Mainz zog, um dort Buch- und Erziehungswissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität zu studieren. Seit 2020 studiert sie einen Master an der HTWK Leipzig.

Schon als Kind begann Feli, Ideen festzuhalten und kleine Geschichten zu schreiben, die mit den Jahren immer länger wurden. Es entstanden Stück für Stück erste Romane.

Thematisch befassen sich die meisten ihrer Bücher mit Pferden, denn die Liebe zum Reitsport entdeckte die Autorin noch vor der Grundschule. Aber auch das Segeln und eine eigene Segeljolle begleiten und inspirieren Feli seit 2013 zu neuen Büchern.

Seit 2016 veröffentlicht Feli Fritsch als Self-Publisherin bei epubli Jugendbücher. Ihr erstes Buch als Feli Fritsch ist der erste Band dieser Jugendbuchreihe, aber auch Anjas Tochter Charlotte lässt Feli ihre Abenteuer erzählen.

Weitere Infos unter www.feli-fritsch.de.tl

Prolog

August 1998. Anja Brückner, geborene Klein, sitzt auf der Terrasse in der Sonne und genießt die Ruhe. Über die Buchenhecke hinweg kann sie auf die Koppeln schauen, wo die Pferde im Schutz der Bäume grasen und den Nachmittag genießen. Gerade als Anja wieder die Augen schließt, klackt es im Hausflur. Ihr Mann Philipp kommt aus dem Stall herein und legt seine Schlüssel im Flur auf der Kommode ab. Er hat es noch nie hinbekommen, sie ins vorgesehene Schlüssel-Kästchen zu hängen.

„Da sind ja meine Mäuse“, sagt er, als er die Terrasse betritt und Anja einen liebevollen Kuss auf den Mund gibt. „Wie geht es euch?“

Anja streicht mit einem Lächeln über den dicken Bauch. „Uns geht es super. Die Kleine bewegt sich immer mehr.“ Anja ist mittlerweile im achten Monat schwanger und erwartet sehnsüchtig ihre kleine Tochter.

„Das ist schön. Hast du Hunger auf Chinesisch?“, will Philipp von ihr wissen.

„Chinesisch klingt super“, freut sich Anja. Dann erhebt sie sich mühsam aus dem Gartenstuhl und läuft hinter ihrem Mann her ins Haus.

Seit sie 1995 geheiratet hatten, durfte sie ihre Jugendliebe nicht mehr nur noch Phil nennen, sondern ihren Ehemann. Ihre Eltern haben ihr und Phil den Hof nach der Hochzeit übergeben und seitdem arbeiten sie Seite an Seite, jeden Tag. Als sie im März bemerkt hat, dass sie schwanger ist, hat sich einiges verändert. Seitdem leitet Anja nur noch das Internat und die Zuchtstation. Außerdem unterrichtet sie Reit-Theorie und Deutsch. Sie sitzt seit Ewigkeiten nicht mehr im Sattel und den Reitunterricht darf sie auch nicht mehr machen. Ein bisschen unnütz kommt sie sich schon vor, wenn Phil jeden Morgen in den Stall verschwindet und sie im Büro E-Mails beantworten und Telefonate führen muss.

Anja lehnt sich an den Tisch in der Küche, während Phil die Nummer vom Lieferservice sucht. „Bis du mal fündig wirst, sind wir verhungert“, neckt sie ihn und Phil dreht sich mit hochgezogenen Augenbrauen um.

„Ich habe ganz vergessen, wie verfressen ihr seid“, grinst er, drückt Anja einen Kuss auf den Mund und holt dann aus dem Büro das Festnetztelefon.

Anja geht wieder ins Wohnzimmer und schnappt sich ihren Terminplaner. Der errechnete Geburtstermin ist Ende Oktober und sie kann es kaum erwarten. Sie erwischt sich jeden Tag dabei, wie sie die Tage zählt.

Phil kommt ins Wohnzimmer zurück und setzt sich zu seiner Frau aufs Sofa. „Der Sir macht sich super im Training und deine Sally ist tatsächlich tragend. Der Arzt war heute da“, berichtet Phil.

Mit Sally meint Philipp eigentlich Sally Star, das erste Fohlen von Sierra und Sky, Anjas besten Nachwuchspferden, die sie als Jugendliche trainiert und auf Turnieren vorgestellt hat. Weil die Paarung so gut gepasst hatte, hatten Anjas Eltern ein weiters Fohlen gezogen: Sir Skyfall. Sir kommt ganz nach seinem Vater und ist nicht nur genauso ein tolles Ausnahmepferd, sondern ein gekörter Hengst, der im nächsten Jahr den ersten Nachwuchs auf dem Reitinternat erwartet. Anja ist jedes Mal sehr stolz, wenn sie Sky und seine Nachkommen im Training sieht.

„Das ist schön zu hören“, sagt sie zu Phil und schenkt ihm ein erfreutes Lächeln.

Phil legt ihr seufzend einen Arm um die Schulter. „Ich weiß, du würdest lieber selbst im Sattel sitzen und dich um die Pferde kümmern.“ Er legt ihr eine Hand auf den Bauch. „Aber mit der Kleinen geht das jetzt echt nicht mehr. Du hast doch selbst gesagt, dass das Reiten wehtut und dann hat das keinen Sinn.“

Anja lehnt ihren Kopf an Phils Schulter. „Es ist einfach nur total nervig. Ich liege den ganzen Tag nur faul auf dem Sofa, seit die Ferien angefangen haben. Und dann startet ja auch schon mein Mutterschutz.“

„Ich habe vergessen, wie sehr du damals schon gejammert hast“, neckt Phil sie.

„Damals?“ Anja hebt den Blick.

Phil lacht. „Als deine Eltern davon Wind gekriegt haben, dass wir vermutet haben, ein Kind zu bekommen. Sommer sechsundachtzig. Du erinnerst dich? Es gab einen Riesenterror bei euch.“

Anja muss ebenfalls lachen. „Ja, ich erinnere mich. Ich war stinksauer auf meine Mom, weil sie meine Reithose hat verschwinden lassen. Und auf Papa, weil er mich nicht mal mit Domi zum Mannschaftstraining gelassen hat.“

„Siehst du? Damals hast du dir ein Kind gewünscht – jetzt bekommst du es. Nicht mehr lange und du darfst wieder in den Sattel“, erwidert Phil und drückt Anja einen Kuss auf den Mund.

„Ich freue mich schon riesig“, verrät sie ihm.

„Das glaube ich.“ Phil nimmt Anjas Hand und verschränkt seine Finger mit ihren. „Morgen ist unser dritter Hochzeitstag. Was hältst du davon, wenn wir morgen einen Wellness-Tag machen und dich und die Kleine richtig verwöhnen? Du stehst doch total auf Baden in der Wanne.“

„Sehr gute Idee“, findet Anja und zieht Phil zu sich. Seine Lippen treffen auf ihre und noch immer fühlt es sich so explosiv an, wenn er sie küsst – trotz vierzehn Jahren Beziehung. Also fast. Es war ein ziemlicher, organisatorischer Aufwand gewesen, aber mit Hilfe ihrer besten Freunde haben Anja und Philipp es tatsächlich geschafft, an dem Tag zu heiraten, an dem sie elf Jahre zuvor auch zusammengekommen waren: am 22. August.

Kennengelernt haben sich Anja und Philipp auf einem Reitlehrgang, damals waren sie beide gerade erst vierzehn gewesen und haben von Liebe und Heiraten noch gar keine Ahnung gehabt. Anja hat zwar schon mal für einen Schauspieler geschwärmt, aber so richtig Schmetterlinge im Bauch hat sie vorher nie gehabt. Und dann hat Phil plötzlich vor ihr gestanden. So doof es klingen mag, aber sie hat damals schon gewusst, dass er der Mann war, mit dem sie alt werden will.

Als Phil Anja zu sich zieht und den Kuss vertieft, denkt Anja mit einem warmen Lächeln an den Reitlehrgang zurück, der so vieles in ihrer beider Leben verändert hat …

Null Komma null

„Und nur noch der Springsattel! Ich freue mich schon riesig auf die nächsten drei Wochen!“, schwärmte ich meinem besten Freund Oliver vor, als wir gemeinsam in der Sattelkammer des Privatstalls saßen und meinen Sattelschrank packten.

„Ich hätte ehrlich gesagt auf einen Lehrgang in den Sommerferien verzichten können“, fand Olli und stützte genervt den Kopf in den Händen ab.

„Wieso fährst du denn dann mit? Der Lehrgang ist doch freiwillig!“, fragte ich erstaunt und verfrachtete noch die Trense in den Sattelschrank, dann schloss ich die Tür und schob ihn vor die Box meines geliebten Ponys Boreo.

Olli folgte mir. „Weil meine Eltern es gut fanden, dass ich etwas mit meinen Freunden und mit Schoki unternehme“, erklärte er. Schoki hieß eigentlich Chocolate Dream und war Ollis eigenes Pferd. Die dunkelbraune Araberstute gefiel mir gut und schon oft hatte Olli gesagt, dass er wünschte, genauso zu sein wie Schoki, um bei mir endlich eine Chance zu bekommen. Meine beste Freundin Amelie, die ich schon seit dem Kindergarten kannte, hatte oft gesagt, ich solle Olli endlich eine Chance geben. Ich war davon aber wenig begeistert, denn Olli als besten Freund zu haben, war granatenscharf, ihn aber als festen Freund zu haben, konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Oder ihn zu küssen … bäh!

Amelie und Celina kamen in den Stall und schenkten uns ein Grinsen. „Seid ihr soweit? Morgen geht es endlich ins Münsterland!“, freute sich Amelie und legte ihren Arm auf Ollis Schulter.

„Ich freue mich riesig!“ Ich schlang meine Arme um Celina.

„Ich mich auch. Mal sehen, ob Starlight und ich etwas fürs kommende Schuljahr mitnehmen können“, erwiderte sie und streichelte dann Boreos Nase. Mein Fuchswallach hatte seinen Kopf über die Boxentür geschoben und beobachtete das Treiben neugierig. Seit drei Jahren waren wir ein Team und ich konnte ihn mir einfach nicht mehr wegdenken. Ich war unendlich froh, dass ihn meine Eltern für mich gekauft hatten. Obwohl Boreo schon achtzehn Jahre alt war, sprang er über Häuser und war fit wie ein Turnschuh. Ihm sah man die Jahre gar nicht an und ich hoffte, dass das noch ganz lange so bleiben würde.

„Gehen wir rüber ins Internat und zu Abend essen? Ich habe einen Mordskohldampf!“ Amelie schob Boreos Nase zur Seite und sah uns auffordernd an.

Olli nickte. „Klar, gehen wir. Bevor morgen Fastenzeit beginnt, hau ich jetzt lieber noch mal richtig rein.“

„Wir sind nicht auf einem Diät-Camp, sondern auf einem Reitlehrgang“, entgegnete ich kopfschüttelnd und folgte meinen Freunden dann aus dem Stall. Ich freute mich auf drei Wochen Reiten und Zeit mit meinem Pony und meinen Freunden. Auch Ollis Meinungsmache ging völlig an mir vorbei.

 

***

Mama und Papa fuhren uns vier mit dem LKW nach Münster. Ich hatte schon vor Tagen die Diskussion eingestellt, ob sie uns nicht mit zwei Autos fahren konnten. Der LKW war peinlich groß und dann wusste schon jeder, dass wir vom Reitinternat kamen. Ich wollte nicht als Schnösel oder Zicke abgestempelt werden, aber Mama und Papa hatten meine Einwende einfach ignoriert. Also saß ich jetzt auf der Rückbank des LKW und die Tatsache, dass wir mit diesem Riesengeschoss durch die ländliche Gegend fuhren, trübte meine Vorfreude immens. Olli und Amelie machte das nichts aus. Sie unterhielten sich aufgeregt und Celina las stumm ein Buch, während ich aus dem Fenster sah. Überall waren weitläufige Felder und kleine Gehöfte. Unser Reitinternat lag in Hessen, nördlich von Frankfurt, und wir kannten neben Feldern und Wald vor allem die Großstadt. So viele Felder und weite Länder hatte ich noch nie gesehen.

Der LKW wurde langsamer und Papa lenkte ihn die breite Auffahrt zur Reitanlage hoch, wo wir die nächsten drei Wochen leben würden. Amelie und Oliver verstummten und bestaunten dann die weiten Koppeln und das wundervolle Haupthaus mit den fachwerkähnlichen Aufbauten.

„Da oben werden wir schlafen“, freute sich Amelie und stieß einen kurzen Jubelschrei aus.

Als der Motor erstarb und Papa die Tür aufstieß, entdeckte ich noch einige weitere LKWs. Erleichtert atmete ich aus. Wir waren also nicht die Einzigen, die mit gleich vier Teilnehmern anreisten.

„Wieso kommt Cedric eigentlich nicht mit?“, fragte mich Celina, als wir hinter Amelie und Oliver her um den LKW liefen.

Ich zuckte die Schultern. „Mein Bruder fand, dass er sowas nicht braucht. Er ist halt ein bisschen eingebildet.“

Mama legte mir eine Hand auf die Schulter. „Nicht lästern“, zwinkerte sie mir zu und ich nickte lächelnd.

Papa ließ die Verladerampe des LKW herunter, als eine junge Frau in Reithosen und mit einem Pferdeschwanz neben uns anhielt. „Ihr seid sicher vom Reitinternat Rosenthal“, begrüßte sie uns lachend und deutete auf die Aufschrift unseres LKW. „Mein Name ist Alena und ich leite zusammen mit meinen Eltern diesen Lehrgang“, erklärte sie uns.

„Wir sind vom Reitinternat, richtig“, Mama schüttelte ihre Hand. „Wir bringen sie alle zusammen.“

„Also Anja Klein“, Alena machte einen Haken auf ihrem Klemmbrett, „Oliver Claassen, Amelie Kessebum und Celina Vogt. Und ihr habt alle eure Ponys dabei?“

„Jap“, nickte ich. „Boreo, Starlight, Starbux und Schoki.”

„Sehr gut. Dann kann ich euch ja eure Boxennummern geben und eure Zimmerschlüssel“, erwiderte Alena erfreut und kramte aus einer Kiste, die sie unterm Arm hielt, vier Bänder und drückte jedem eines in die Hand. An dem Band hing ein Schlüssel mit einer Zimmernummer sowie ein Schild mit unserem Namen und unserer Boxennummer.

„Anja, wir sind zusammen in einem Zimmer“, freute sich Amelie und deutete auf Celinas Schild.

„Es gibt 4er-Zimmer. Ein Mädchen aus Bayern wird noch bei euch einziehen. Sie heißt Luisa und hat auch ein eigenes Pony. Ich hoffe, ihr versteht euch.“ Alena sah uns an, als wollte sie uns gleich zu verstehen geben, dass Ausgrenzung hier ein No-Go war.

„Kriegen wir sicher hin“, winkte ich ab.

„Bin ich froh, dass wir nicht auseinandergerissen wurden“, sagte Celina erleichtert. Das war sicher ihre größte Sorge gewesen.

Alena wandte sich noch mal an uns. „Wir teilen hier nicht nach Sparte ein. Dressur- und Springreiter haben hier genauso zusammen Zimmer und ihre Pferde stehen nebeneinander wie mit den Geländereitern auch“, erklärte sie uns.

„Trainieren wir auch zusammen?“, fragte ich stirnrunzelnd.

Alena lachte. „Nein. Jedenfalls nicht immer. Ihr habt ein Haupttraining in eurer Sparte, die ihr gewählt habt. Aber natürlich mischen wir das Ganze auch, denn jeder Springreiter muss auch Dressur können. Und regelmäßig finden gemeinschaftliche Reiterspiele statt. Wir wollen ja eine große Einheit werden und trotzdem etwas lernen.“

Ich nickte. Das klang gut und nach Spaß. Außerdem war ich erleichtert, meine Freunde nicht nur zum Essen zu sehen, denn ich war die einzige Springreiterin von uns. Olli und Amelie gingen ins Gelände und Celina war Dressurreiterin.

„Dann bringt mal eure Pferde in den Stall und räumt in Ruhe ein“, forderte uns Alena auf und verabschiedete sich von meinen Eltern. Dann lief sie zu den nächsten Anreisenden.

„Tschüss, mein Schatz.“ Mama drückte mir einen Kuss auf die Wange. „Macht keinen Unsinn“, sagte sie zu uns allen und wir nickten brav. Dann stiegen Mama und Papa endlich in den LKW und fuhren mit dem Schlachtschiff vom Hof.

„Yeah! Drei Wochen elternfreie Zeit!“, jubelten wir und fielen uns lachend um den Hals. Das würden die schönsten drei Wochen meines Lebens werden, da war ich mir sicher.

***

Boreo hatte eine schöne, große Box direkt neben Starbux und gegenüber von Ollis Schoki. Mein Wallach beschnupperte zunächst das Stroh, bevor er sich dem Heu unter seinem Trog widmete und mir keine Aufmerksamkeit mehr schenkte.

„Naa!“ Amelie legte mir einen Arm um die Schulter, während ich die Arme auf der Boxentür abgestützt zufrieden seufzte. „Freust du dich?“

„Und wie!“, nickte ich. „Ich konnte die letzten Tage kaum schlafen, wenn ich an den Lehrgang gedacht habe.“

Amelie lachte. „Gruselig.“ Dann richtete sie sich auf. „Komm, wir gehen raus, Olli und Celina suchen und dann zur allgemeinen Begrüßung. Vielleicht finden wir ja auch Luisa, unsere Mitbewohnerin“, schlug sie vor.

Ich nickte und riss meinen Blick von Boreo los. Gerade als ich mich von der Boxentür losschupsen wollte, tauchte hinter mir ein weiterer Reiter auf und ich rumste voll mit dem Rücken in ihn herein. Ich stolperte rückwärts und hätte mich der Junge nicht beherzt am Handgelenk gepackt, wäre ich sicher mit meinen vier Buchstaben auf dem Boden gelandet.

„Nicht so eilig“, lachte der Junge und grinste mich belustigt an.

„Tut mir leid“, erwiderte ich und strich mir verunsichert eine Strähne aus dem Gesicht, als ich endlich wieder fest mit beiden Beinen auf der Erde stand.

„Schon gut“, winkte er ab. „Ist ja nichts passiert.“ Dann trat er an uns vorbei und genau zu der Box neben Boreo. Ich warf einen unauffälligen Blick auf das Boxenschild: Baltic Sea, Philipp Brückner.

Irgendwoher kam mir der Name bekannt vor, aber ich konnte ihn nicht einordnen. Stattdessen sah ich zu Amelie, die aber nur die Schultern zuckte und mich erwartungsvoll ansah.

„Gehen wir jetzt zu Olli und Celina?“, wollte sie wissen.

Gerade als ich diesem Philipp noch mal einen Blick zuwerfen wollte, drehte auch er sich zu uns um und unsere Blicke trafen sich. Sein Mundwinkel zog sich zu einem Lächeln nach oben und mein Herz raste wie verrückt los, als ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg.

„Klar“, sagte ich zu Amelie und drehte mich um. Dann plagte mich das schlechte Gewissen, ich blieb stehen und bemerkte, dass mir der Junge noch immer seine Aufmerksamkeit schenkte. „Danke noch mal … also fürs Festhalten“, erklärte ich und musste schlucken. Ich machte es doch nur noch schlimmer!

Das Lächeln in seinem Gesicht wurde nun zu einem Grinsen. „Gern geschehen …“, er beugte sich zu Boreos Box und las meinen Namen, „Anja. Bis gleich!“

Um Himmels Willen! Wenn seine raue Stimme das aussprach, klang mein Name wie etwas ganz Besonderes, ja sogar schon fast ein bisschen nach etwas Begehrenswertem.

Amelie packte mich am Arm und zog mich aus dem Stall. Dann musterte sie mich eindringlich, aber ich wich ihrem Blick aus. Zum Glück entdeckte ich in dem Moment Celina, die neben einem Mädchen stand und sich angeregt unterhielt. Also nutzte ich meine Chance und lief auf sie zu.

„Hey, ihr zwei!“ Als Celina uns entdeckte, strahlte sie übers ganze Gesicht. „Das ist Luisa aus unserem Zimmer. Luisa, das sind Anja und Amelie, meine besten Freundinnen. Wir werden uns ein Zimmer teilen“, stellte sie uns vor.

Luisa grinste uns zu. „Cool! Celina hat schon ein bisschen was von euch erzählt. Wir werden bestimmt Spaß haben die nächsten Wochen“, freute sich Luisa.

„Mensch, Anja!“ Amelie stöhnte, ohne auf Celina einzugehen. „Kannst du mir mal bitte erklären, was das gerade im Stall war?? Bist du irgendwie hypnotisiert oder krank oder so? Hattest du einen Hitzeschlag?“

„Gar nichts“, erwiderte ich möglichst unschuldig. Wenn ich nur an dieses Lächeln dachte, wurde mir ganz flau im Magen.

„Was ist denn passiert?“, wollte Celina neugierig wissen.

Amelie musterte mich immer noch skeptisch, sie glaubte mir kein Wort. „Anja hat gerade im Stall einen Typen über den Haufen gerannt und danach hat sie nur noch rumgestammelt“, erklärte Amelie mit einem gewissen Unterton.

„Welchen Typen denn?“, fragte Celina.

Amelie schaute sich um und entdeckte ihn am Stalleingang. „Den da! Er hat sein Pferd direkt neben Boreo stehen.“

„Wow“, entfuhr es Celina. „Der sieht ja echt sau gut aus.“ Danke, Celina …

Luisa grinste. „Das ist Philipp Brückner, der hat vor ein paar Wochen die hessischen Landesmeisterschaften der Dressurjugend gewonnen. Der reitet göttlich, sage ich euch!“ Sie grinste.

Ich starrte Luisa an. „Daher kannte ich das Gesicht!“, entfuhr es mir. „Der kam mir gleich voll bekannt vor, aber ich konnte ihn nicht einordnen!“ Ich drehte den Kopf zu Philipp Brückner und genau in dem Moment schaute er zu uns rüber. Als er uns erkannte, winkte er.

„Oh, mein Gott, er hat dir zugewunken!“, entfuhr es Luisa und sie hüpfte auf und ab.

Amelie seufzte. „Die Hormone.“

„Sagt die Richtige“, neckte Celina sie und legte ihr grinsend einen Arm um die Schulter.

„Was soll das denn heißen?“, fragte Amelie verständnislos.

Celina aber ignorierte Amelies empörte Frage. „Kommt, Alena und ihre Eltern warten sicher schon. Wir sollten endlich gehen.“

Mit diesen Worten setzten wir uns in Bewegung und versammelten uns auf dem großen Vorplatz zum Haupthaus, wo Alena und ein paar Erwachsene in der Mitte auf zwei Putzkästen standen und in erwartungsvolle Gesichter blickten.

„Herzlich Willkommen auf Gut Henrikswald“, rief eine Frau Ende vierzig, die Alena wie aus dem Gesicht geschnitten war. Das war sicher ihre Mutter. „Mein Name ist Heike Henriks und wir freuen uns sehr, dass dieses Jahr wieder so viele Jugendliche an unserem Lehrgang teilnehmen möchten!“, begrüßte sie uns. „Mein Mann Falko und ich leiten den Ausbildungsstall, aber auch unsere Tochter Alena könnt ihr jederzeit ansprechen.“

Ein Mann Anfang fünfzig räusperte sich. „Zusammen mit unseren Reitlehrern werden wir euch in der von euch gewählten Sparte unterrichten. Wir haben acht Teilnehmer für die Dressur und jeweils sechs gehören zum Springen oder zum Geländereiten. Dennoch werdet ihr auch spartenübergreifend viel miteinander zu tun haben, denn wir haben in regelmäßigen Abständen Spiele und Aufgaben sowie Grundlagentraining in den anderen Sparten: Für die Springenden von euch gibt es Dressur und für die Dressurreiter Springgymnastik, um eure Pferde zu lockern. Sonntags ist klassisch frei – das bedeutet, wir werden nicht reiten. Dennoch heißt das nicht, dass ihr dann den ganzen Tag Unsinn anstellen könnt“, zwinkerte Falko Henriks. „Den Wochenplan werden wir immer sonntagsmittags in der Mensa aushängen. Frühstück gibt es jeden Tag ab sieben Uhr, Ausbildungsbeginn ist ganz entspannt um zehn Uhr. Zwischen eins und zwei gibt es Mittagessen und zu Abend gegessen wird um neunzehn Uhr. Um 22 Uhr ist Bettruhe.“

Geraune und Gestöhne ging durch die Reihen, sicher hatten schon einige aufregende Partys bei Nacht geplant oder heimliche Treffen auf den Jungszimmern. Ich suchte stattdessen Amelies Blick und zuckte grinsend die Schultern. Ob wir so die Möglichkeit hätten, mit unseren Ponys einen Mitternachtsausritt zu machen? Bestimmt würde es schwer werden.

Heike Henriks ergriff wieder das Wort. „Wir wissen, dass der Tag heute für euch alle sehr aufregend war. Wir möchten euch deshalb Zeit geben, anzukommen und eure Sachen auszupacken. Lernt euch untereinander kennen und dann treffen wir uns zum Abendessen in der Mensa wieder.“ Mit diesen Worten brach eine neue Geräuschkulisse aus und ich beugte mich wieder zu Celina, Amelie und Luisa vor.

 

Olli gesellte sich zu uns. „Hach, Mädels. So schlimm wird es glaube ich doch nicht“, verkündete er gut gelaunt.

„Ach, sieh an“, neckte ich ihn. „Dafür, dass du gestern so null Komma null Bock auf den Reitlehrgang hattest.“

„Ich habe gerade meine Jungs vom Zimmer kennengelernt. Die sind echt cool“, sagte er und deutete auf eine Gruppe Jungs. „Die sind das.“

Luisa erkannte ihn als Erstes. „Du bist mit Philipp Brückner in einem Zimmer?“ Sie sah meinen besten Freund aus großen Augen an.

Olli nickte unbeeindruckt. „Ja, hab schon gehört, dass der echt ’ne große Nummer sein soll.“ Olli zuckte die Schultern. Typisch.

„Oh, nee, nicht schon wieder Philipp Brückner! Der Typ ist wie ein Virus!“, beschwerte sich Amelie.

„Große Nummer? Virus? Geht’s noch?“ Luisa runzelte verärgert die Stirn.

„Find ich aber auch“, stimmte ich ihr zu.

„Was habt ihr denn?“ Verwirrt glotzte Olli uns an. Celina zuckte die Schultern und Amelie ergriff das Wort.

„Deine Anja ist vorhin im Stall mit diesem Philipp zusammengestoßen und hat sich auf den ersten Blick total verliebt. Und Luisa scheint ihm auch irgendwie verfallen zu sein.“

Luisa verschränkte die Arme. „Ich bin ihm nicht verfallen. Ich finde einfach nur, dass der voll gut reitet. Philipp ist einfach mein Vorbild“, erklärte sie pragmatisch.

„Und du Anja? Jetzt bin ich mal auf deine Erklärung gespannt“, kicherte Amelie … Diese Hexe!

„Mir tut’s einfach nur voll leid, dass ich ihn umgerannt habe“, erwiderte ich lahm. Ich hätte mich selbst ohrfeigen können für diese ultra-dämliche Ausrede.

Olli legte mir einen Arm um die Schulter. „Du stehst auf Philipp Brückner?“

„Gar nicht“, protestierte ich, aber mein Herz begann wie wild zu klopfen. Als Amelie genau in dem Moment die Sicht auf Ollis Zimmergenossen freigab und mir Philipp genau in die Augen blickte, scheuchte ich rasch Ollis Arm von meiner Schulter.