Kein Mann für eine Nacht

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»Was ist denn nun wieder los?«, fragt er mich allen Ernstes. »Und was habe ich jetzt wieder Falsches gesagt?« Er zieht die Worte gekünstelt in die Länge, um so seinem Unmut Ausdruck zu verleihen. Theatralisch holt er tief Luft und geht in die Hocke. Nein! Nicht jetzt! Wir werden im Moment keine unsinnige Diskussion starten, die eh wieder darauf abzielt, dass er heulend vor mir hockt und ich wie immer alle Schuld auf mich nehmen muss.

»Du hast nichts falsch gemacht, okay? Geh bitte, ich habe einen dringenden Auftrag. Tut mir leid, dass ich dich so angefahren habe«, erwidere ich rasch und beuge mich vor, damit er mich endlich feucht küssen kann, was er, wenn auch widerwillig, sofort macht.

Kaum verlässt er vor sich hin schimpfend mein Zimmer, wische ich mir angewidert den Mund ab. Wie so häufig vernehme ich übelste gegen mich gerichtete Beleidigungen, doch diese prallen mittlerweile an mir ab. Zu oft habe ich diese schon zu hören bekommen.

Bereits zwei Stunden später kommt es zum großen Krach, wie fast jedes Wochenende, das bin ich gewohnt. Wieder geht es darum, warum ich keine Zeit für ihn finde. Pete hat im Endeffekt auch recht. Ich will nicht ständig für ihn da sein, zumal sich eh alles nur um das Thema Sex dreht. Er glotzt die heißen Frauen im TV an, nicht dass er gleich lossabbern würde, und macht sofort wieder Anspielungen. Diese sind aber mitnichten verführerisch, im Gegenteil. Das mag am Anfang einer Beziehung noch reizvoll und neu sein, aber doch nicht nach Jahren? Oder ticke ich da vollkommen falsch?

3

D

ie nachfolgenden Monate verflogen im Nu, für mich leider immer noch nicht schnell genug. Das Hochzeitskleid hatte ich zwischenzeitlich mit großer Begeisterung an die Kundin verkauft, seitdem konnte ich mich vor Aufträgen kaum retten. Zwar waren es meist Kleinigkeiten, aber dadurch war ich beschäftigt und konnte mir auf die Schnelle immer mehr ansparen, da ich so gut wie keine Materialkosten hatte. Und der beste Nebeneffekt war, dass die Zeit sehr schnell verrann.

Vor vier Wochen fand ich endlich, dank Alice, eine kleine Wohnung. Der Mietvertrag war ohne langes Überlegen unterschrieben. Nächste Woche kann und werde ich diese beziehen. Ab dem Zeitpunkt werden wir uns sehr oft sehen können, da sie nur zwei Häuser weiter wohnt. Endlich hatte ich mich dazu durchgerungen Pete zu verlassen und einen Schlussstrich zu ziehen. Nur weiß dieser davon nichts. Den Mut dazu brachte ich tatsächlich durch den Schönling im Club auf, wenn auch indirekt. Er inspirierte mich einfach dazu, selbst wenn er gar nichts dazu tat, denn das konnte er überhaupt nicht.

Natürlich hatte ich ihn, entgegen meiner Hoffnung, nicht vergessen. Und trotz dessen, dass ich ihn nicht wieder sah, obwohl ich zwischenzeitlich wieder im Club war, hatte er bei mir solch einen enormen Eindruck hinterlassen, dass ich ihn als meinen Wink des Schicksals sah und mich dazu entschloss, auf Wohnungssuche zu gehen. Natürlich tat ich es nicht für ihn, sondern für mich allein, für meine Zukunft.

Seit der Zusage traf ich mich heimlich tagsüber mehrfach mit Alice, um alles durchzuplanen. Sie war entsetzt, als ich ihr das erste Mal ausführlich erklärte, was die letzten Jahre alles vorfiel. Unverzüglich kontaktierte sie Tom, um ihm alles zu berichten, mit meiner Zustimmung, womit ich mich allerdings schwertat. Denn über meine Probleme zu reden fiel und wird mir immer schwerfallen. Nun hilft auch er mir beim Umzug, da konnte ich gar nicht widersprechen. Und das alles unter der Woche. Das wird noch was werden, denke ich schmunzelnd.

Für den Auszug haben wir bloß wenige Stunden Zeit, da ich Pete nach wie vor kein Sterbenswörtchen gesagt habe. Nur zu gut weiß ich, dass er mich noch am selben Tag auf die Straße setzen würde und dann könnte ich lange auf meine Sachen warten. Damit hatte er mir nämlich von Anfang an gedroht. Schluss heißt Schluss, mit sofortigen Konsequenzen. Und er wird dieses Haus nicht freiwillig verlassen. Zudem kann ich mir die Miete gar nicht leisten.

Panik kriecht in mir hoch und lässt meinen Atem stocken. Jetzt nur nicht durchdrehen! Mein Puls rast, ich muss mich beruhigen, sofort! Ich drehe die Musik laut auf und lehne mich mit geschlossenen Augen in meinem Schreibtischstuhl zurück. Atmen! Ganz tief hole ich Luft, halte sie kurz an. Langsam wird es besser. Warum passiert das in letzter Zeit nur so oft? Ist es eher die Angst oder doch die Aufregung?

Gerade jetzt kann ich keine Attacke gebrauchen, da wir heute in den Club gehen. Eigentlich wollte ich gar nicht, aber Alice hat mich dazu überredet. Nun muss ich mich doch noch einmal mit ihm zeigen. Ob das gut geht? Ich hoffe es, da ich gerade jetzt keine weitere Szene möchte. Warum habe ich mich auch von der Freundin breitschlagen lassen. Kurz überlege ich, ob ich das Ganze nicht absagen sollte, verwerfe diesen Gedanken aber gleich wieder. Schließlich kann ich Pete kaum sagen, dass ich jetzt doch keine Lust habe wegzugehen. Das würde ihn nur misstrauisch machen.

Na gut, dann werde ich mich langsam fertigmachen. Mir ist es völlig egal, wie lange er brauchen wird. Diese aufkommende Gleichgültigkeit lässt mich ganz ruhig werden, sodass ich schneller fertig bin als gedacht. Ich blicke auf die Uhr, es ist erst kurz nach neun. Hm, was soll ich jetzt mit der noch verbleibenden Zeit anfangen? Mit dem Mobiltelefon in der Hand gehe ich nach unten und schreibe Alice eine Nachricht.

Im Vorbeigehen fällt mir auf, dass Pete bereits im Bad ist, das Wasser läuft. Wie kommt’s? Er wird doch nicht etwas ahnen? Quatsch, sonst würde er sich erst gar nicht fertigmachen, oder? Verwundert zünde ich mir in der Küche eine Zigarette an, als mein Smartphone vibriert. Alice schreibt: »Nein, Süße. Du kommst! Vergiss es, du hast Lust zu haben! Aus, Ende, fertig, verstanden? Bis dann, hab dich lieb.«

Kichernd antworte ich: »Jawoll Ma’am! Aber mal davon abgesehen, kann ich ab nächste Woche immer, wenn ich möchte. Also warum ist dir das heute nur so wichtig?«

Keine zwei Minuten später folgt die Antwort: »Weil ich das sage und weil … Ach, du wirst schon sehen. Auf gehts, Party!«

Bevor ich antworten kann, steht Pete hinter mir. Fix und fertig angezogen. Das gibts doch nicht! So schnell war er noch nie fertig! Was ist nur los? Erst die ominösen Zeilen der Freundin, dann ist er auch noch so geschwind fertig. Hängt das zusammen? Nein, das glaube ich nicht, da Alice jeglichen Kontakt zu ihm abgebrochen hatte, nachdem sie all die Geschichten über uns erfuhr.

Hastig schlüpfe ich in meine Jacke und Stiefel, stecke mein Handy und die Zigarettenschachtel ein. Vorsichtshalber nehme ich noch Geld mit. Ich will nicht auf ihn angewiesen sein. Dann folge ich ihm zu seinem Auto. Er ist ungewöhnlich still. Was ist nur los? Plötzlich fällt mir wieder ein, dass heute eine etwas andere Veranstaltung stattfindet. Es werden vermehrt alte Sachen gespielt, die sogar ihm gefallen. Vielleicht wird es tatsächlich ein entspannter Abend? Die Hoffnung stirbt ja erfahrungsgemäß zuletzt.

Max, der Türsteher, umarmt mich überraschend zur Begrüßung. Wir kennen uns eine halbe Ewigkeit, haben aber so gut wie nie miteinander gesprochen. Unterdessen Pete hineingeht, hält er mich überraschend fest.

»Viel Spaß Abby.« Dabei zwinkert er mir verschwörerisch zu. Verwirrt gehe ich hinein, das hat er noch nie zu mir gesagt. Jetzt reicht es, ich muss auf der Stelle Alice suchen, denn irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht, etwas ist im Busch.

Während ich meine Jacke abstreife, die ich heute tatsächlich einmal aufhängen kann, geht Pete bereits an die Bar. Als ich ihm folge, sehe ich, dass er sich mit mehreren Leuten unterhält. Er hat also etwas mit Bekannten ausgemacht, darum hatte er es so eilig, es hatte demnach gar nichts mit mir oder uns zu tun. Ein schwerer Brocken fällt mir vom Herzen und macht Platz für eine unsägliche Erleichterung. Dann habe ich tatsächlich einige Zeit für mich.

Der Barkeeper stellt mir ungefragt eine Cola auf den Tresen, er kennt mich lang genug. Dankend zahle ich und schlendere in den Tanzbereich hinüber. Da es dank dieser Uhrzeit nicht einmal annähernd voll ist, kann ich Alice schnell ausfindig machen.

»Was ist hier los?«, frage ich sie, anstatt sie zu begrüßen, während sie mich umarmt.

»Was soll denn los sein?«, entgegnet sie verwirrt.

»Nun tu bloß nicht so!«, sage ich etwas aufgebracht.

»Sei doch nicht gleich sauer, Süße.«

»Dann sag mir, warum Max mich so komisch angequatscht hat und warum du mir so eine ominöse Nachricht schickst.« Demonstrativ verschränke ich meine Arme vor der Brust und wippe theatralisch mit meinem rechten Fuß.

»Okay, okay. Ich sag’s dir. Aber du musst mir versprechen nicht böse zu werden.«

»Ich versuch’s.« Gespannt blicke ich sie an und mache mich auf das Schlimmste gefasst.

»Mich hat letzte Woche ein Typ angesprochen. Hier, im Club. Er wollte wissen, wann du wieder auftauchst und …«

»Bitte was? Wer?«, unterbreche ich sie beunruhigt.

»Du kennst ihn nicht.«

»Du aber?«

»Nein. Na ja … also nicht direkt.«

»Wie kommt er dann darauf dich anzusprechen? Ist er heute da?« Das ist mir ja noch nie passiert. Nun ist meine Neugier geweckt, ich will alles wissen.

»Ja, er ist da, darum hab ich dir auch geschrieben, dass du kommen sollst«, verkündet sie grinsend. Reflexartig blicke ich mich um. »Du sollst jetzt nicht wie eine Irre herumschauen! Das ist nicht gerade unauffällig. Er meinte, dass er uns zusammen gesehen hatte, deshalb sprach er mich auch an.«

»Wie sieht er aus?«

»Gut! Sehr gut sogar.«

Das ist alles? »Ach komm schon, erzähl mir mehr.«

»Dunkle Haare, schwarze Klamotten.«

 

Sehr witzig! Das trifft auf die meisten hier zu. »Na danke, das bringt mich ja auch sehr viel weiter.«

Kichernd zuckt Alice die Achseln. »Jetzt wart’s mal ab.«

Krampfhaft überlege ich, welchen Typ die Freundin meint. Das muss ja einer gewesen sein, der das letzte Mal da gewesen ist. So unauffällig wie möglich schaue ich mich um. Die Beschreibung ist wirklich nicht sehr hilfreich. Fast jeder hat dunkle Haare und schwarze Klamotten tragen sie alle. Klasse! Aber als attraktiv würde ich die meisten nun nicht gerade betiteln, da Alice und ich allerdings einen ähnlichen Geschmack haben, muss er tatsächlich gut aussehen.

»Jetzt komm, lass uns tanzen«, unterbricht die Freundin meine Grübelei und zieht mich mit sich auf die Tanzfläche.

Was solls! Kaum nehme ich die Musik zum ersten Mal bewusst wahr, bin ich auch schon in meinem Element und bewege mich automatisch im Rhythmus. Aber immer wieder schaue ich mich um. Kein männlicher Gast beobachtet mich, meine Nervosität ebbt nicht ab. Schnell drehe ich mich herum, um nicht ständig auf den Durchgang zu starren, in der Hoffnung, dass dieser geheimnisvolle Fremde auftaucht, der in Alice’ Augen als attraktiv gilt. In diesem Moment erblicke ich ihn.

Mit verschränkten Armen steht er auf der anderen Seite der Tanzfläche und sieht mich regungslos an. Mit jedem hätte ich gerechnet, nur nicht mit ihm. Ich merke, dass ich erröte, wie peinlich. Hastig schaue ich weg. Ob er mich ebenfalls wiedererkannt hat? Oder meinte Alice womöglich ihn? Falls ja, dann muss ich ihr Recht geben, er sieht wirklich verdammt gut aus, aber das hatte ich bereits vor Monaten festgestellt. Ich rufe mir sein Gesicht in Erinnerung, als er an der Eingangstür unter dem doch grellen, unvorteilhaften Licht stand. Er wirkte jung, zumindest jünger als ich. Ist er sich dessen bewusst, dass er damals wie heute einen alten Hasen beobachtet? Wie soll ich mich jetzt verhalten?

Kurz beäuge ich ihn, er schaut mich noch immer teilnahmslos an. Nichts lässt sich aus seinem Gesicht ablesen. Ist er angenehm überrascht oder schaut er mich nur desinteressiert an? Da ich nicht das typische Frauchen auf der Tanzfläche bin, ziehe ich die Blicke auf mich. Ich tanze wie die Männer im Club, nur bei langsamen Liedern lasse ich meine Hüften schwingen. Pete passt das bis heute nicht, da er nicht kapiert, dass mir beim Tanzen fast alles egal ist und ich meine introvertierte Art an der Garderobe ablege.

Als ich erneut zu dem Typ herüber linse, lächelt er mich plötzlich an. Herrje, sein Lächeln ist zum Dahinschmelzen! Ob ihm das bewusst ist? Mit Sicherheit. Er weiß bestimmt, wie er auf Frauen wirkt. Tapfer lächle ich zurück, ich kann ihn ja nicht ständig ignorieren. Doch lange kann ich seinem Blick nicht standhalten, dazu bin ich einfach zu nervös.

Dieses Hin und Her geht eine ganze Weile so weiter bis ich die Tanzfläche verlasse, um ihn nicht ständig zu fixieren. Alice folgt mir auf den Fuß und wir schlendern nach draußen an die Bar. Pete ist nirgends zu sehen, er wird sich wohl auf der Straße aufhalten.

Mittlerweile ist das Gedränge größer geworden, da sich der Club gefüllt hat und das bereits um diese doch recht frühe Uhrzeit. Wir setzen uns rasch auf die letzten beiden freien Barhocker am hinteren Ende der halbrunden Theke. Von hier aus habe ich einen guten Blick über das gesamte Geschehen im Barbereich.

»Vermute ich richtig, dass der besagte Typ hinten an der Tanzfläche steht?«

Überrascht schaut die Freundin mich an. »Ich weiß nicht, ich habe leider nicht aufgepasst.«

Na toll! Nach über einer Stunde weiß ich noch immer nicht, wen sie meint. Alice winkt den Barkeeper zu sich und bestellt etwas. Währenddessen blicke ich mich um. Das Stimmengewirr um mich herum ist extrem laut. Auf der anderen Seite der Bar drängen sich die Leute, sodass sich ein regelrechter Stau bildet, da es genau an dieser Stelle in den Eingangsbereich übergeht.

»Zum Wohl, Abby«, meint Alice und reicht mir ein Glas meines Lieblingsweines, den sie gerade geordert hatte.

»Cheers!«

Ich setze zum Trinken an, als sie mich anstupst und ich mich am Wein verschlucke. »Da! Das ist er«, wispert sie aufgeregt.

Hustend setze ich das Glas ab und schaue in die Richtung, in die Alice nickt. Eine schwarze Menschenmasse, aber dazwischen sehe ich ebendiesen süßen Typen. Also meinte sie tatsächlich ihn. Und er soll nach mir gefragt haben? Ernsthaft?

»Ist er nicht ein Sahneschnittchen?«, höre ich sie sagen, denn ich kann meinen Blick nicht von ihm abwenden. Er tritt an die gegenüberliegende Seite der Bar und bestellt etwas. Dann entdeckt er mich und beginnt beinahe automatisch zu grinsen. Nun muss er selbst den Blick abwenden, stelle ich amüsiert fest. Als der Barkeeper ihm eine Wasserflasche hinstellt, sagt er etwas zu ihm, woraufhin der Mann ihm Zettel und Stift reicht. Was tut er denn da? Kaum reicht er die Sachen wieder zurück, erhebt er sich und lächelt mich an. Dieses freche Schmunzeln gehört definitiv verboten!

Wie auf Kommando taucht im unpassendsten Moment Pete hinter ihm auf. Im direkten Vergleich schaue ich von einem zum anderen. Es liegen Welten zwischen ihnen, der Fremde ist gut und gern zehn Zentimeter kleiner, aber markanter. Der Schönling dreht sich um, schaut meinen Noch-Freund an und quetscht sich hernach an ihm vorbei nach draußen. Geht er jetzt womöglich wieder?

»Das soll ich dir geben«, sagt der ältere Barkeeper und schiebt mir einen Zettel zu. Nur mühsam senke ich meinen Blick gen Tresen. Wie in Trance versuche ich die Worte zu analysieren.

»Den nehme ich«, murmelt Alice, greift nach dem Papier und nimmt es an sich. Das ist auch gut so, denn schon tritt Pete neben mich und fordert einen Kuss. Nur noch ein paar Tage, schießt es mir durch den Kopf. Eigentlich will er gar nicht mit uns reden, doch er will zeigen, dass ich ihm gehöre und je mehr Publikum anwesend ist, desto besser.

Nach einigen endlos scheinenden Minuten verschwindet er endlich wieder, da er sich mit uns langweilt. Kaum ist er außer Sichtweite, steckt Alice mir den Zettel zu. »Lies schon. Ich passe auf«, flüstert sie.

Nervös pfriemle ich ihn auseinander. »Hallo Schöne. Ich würde mich freuen, wenn du mich kontaktieren würdest. Rob

PS: Es freut mich, dass du wieder da bist.« Darunter steht seine Handynummer.

Einerseits kommt es mir unheimlich abenteuerlich, andererseits wie eine billige Anmache vor. Aufseufzend schließe ich die Augen, stelle mir vor, wie es wäre, seine Lippen auf den meinen zu spüren. Fehler! Nein, Schluss damit!

»Was schreibt er denn?« Was solls, ich reiche der neugierigen Freundin das Briefchen. Grinsend liest sie.

»Willst du?«

»Was will ich?«

»Na ihn anschreiben«, bohrt sie weiter.

»Ich weiß nicht.«

Verdutzt gibt sie mir das Stück Papier zurück. »Warum denn nicht? Er sieht doch gut aus, scheint interessant zu sein und in ein paar Tagen kannst du eh machen, was immer du willst.«

»Ja, das schon, aber findest du das Ganze nicht etwas abgedroschen?«

Mit einem entsetzten Gesichtsausdruck dreht sie sich zu mir herum. »Was? Nein, überhaupt nicht. Wieso? Wie kommst du denn bloß darauf?«

»Ach ich weiß nicht.«

»Oh Abby, nun hab dich nicht so. Was soll er denn machen? Dir zu Füßen liegen? Dich etwa anquatschen und damit riskieren, dass Pete es bemerkt?«

Sie hat ja Recht. »Dann sag mir, was ich jetzt tun soll.«

»Na anschreiben natürlich, am besten sofort.«

Das hat sie jetzt nicht wirklich gesagt, oder? »Ich kann ihn doch jetzt nicht anschreiben?«, entgegne ich entsetzt.

»Warum denn nicht?«

»Na weil … Pete …« Mir fällt kein einleuchtender Grund ein, der auch nur annähernd überzeugend klingen würde und schiebe ausgerechnet meinen Typen vor.

»Das ist jetzt ein Witz, oder? Los, gib mir dein Handy!« Auffordernd hält sie ihre Hand auf.

»Bestimmt nicht! Hab es außerdem eh nicht bei mir.«

Lachend springt sie vom Barhocker und schlängelt sich durch den Menschenpulk zur Garderobe. Das kann jetzt nicht wahr sein! Sie wird doch nicht … doch wird sie, denn da geht sie auch schon mit meinem Smartphone winkend Richtung Ausgang. Hastig schnappe ich mir meine noch immer halbvolle Colaflasche, den Schluck Wein lasse ich stehen, und schiebe mich zwischen den Besuchern zum Eingangsbereich, nicht ohne mir vorher meine Jacke überzustreifen, um ihr auf der Stelle zu folgen. Wer weiß, was sie vorhat!

Draußen bleibe ich wie angewurzelt stehen; denn ebendieser Rob hält sich direkt neben der Tür auf und blickt auf sein Handy. Er hat mich noch nicht bemerkt, und da ich nicht weiß, wie ich mich verhalten soll, will ich unauffällig den Rückzug antreten und wieder hineingehen. Doch in dem Moment, als ich zur Türklinke greife, blickt er auf und lächelt mich an. Na gut, was solls! Da ich Alice nicht sofort ausmachen kann, will ich mir mit zittrigen Fingern eine Zigarette anzünden, doch er kommt mir zuvor und hält mir galant ein Feuer hin.

Da entdecke ich die Freundin auf der anderen Straßenseite, wie sie uns feixend beobachtet. Bevor ich zu ihr hinübereilen kann, meint er: »Du hast da was verloren.« Seine relativ tiefe Stimme, die so gar nicht zu seinen feinen Gesichtszügen passen will, lässt mich beinahe erzittern.

Rasch blicke ich auf den Boden und sehe den sorgsam zusammengefalteten Zettel zu meinen Füßen. Noch ehe ich mich hinunterbeugen kann, bückt er sich und hebt ihn für mich auf. Als er ihn mir reicht, berühren sich unsere Fingerspitzen. Können eigentlich Funken sprühen, wenn man die Haut eines anderen streift?

»Danke«, sage ich leise. »Entschuldige, aber ich muss mal eben zu meiner Freundin da drüben.«

»Klar, kein Problem.« Damit strahlt er mich an. Herrje, kann ich ihm das nicht einfach verbieten?

Hastig stopfe ich das Briefchen wieder in die Jackentasche zurück. Viel zu schnell überquere ich die schmale Straße, flüchte regelrecht vor ihm.

»Das zahl ich dir heim!«, zische ich Alice zu, doch sie grinst mich im Gegenzug an.

»Warum? Lief doch prima.«

Von wegen! »Hast du ihm schon geschrieben?«

»Wie denn? Du hast schließlich den Zettel mit seiner Nummer«, erwidert sie belustigt. Das war also nur ein Trick, um mich hier rauszulocken! Am liebsten würde ich ihr den Kopf waschen.

»Los schreib ihm!« Damit hält sie mir mein Smartphone entgegen.

»Nein, ich kann das nicht!«

Kaum habe ich den Satz ausgesprochen, nimmt sie den Zettel aus meiner Tasche und rennt kichernd weg. Nun wirds kindisch, denke ich und bleibe diesmal demonstrativ stehen. Als ich mich endlich traue, zu ihm hinüberzublicken, schaut er schmunzelnd von seinem Handy auf. Erst mustert er mich, dann sucht er anscheinend meine Freundin, sie hat ihm wohl bereits in meinem Namen geschrieben, Miststück. Wenn auch ein liebes, denn ich weiß ja, dass sie es nur gut meint.

»Da«, ruft sie prustend, als sie zurückgeeilt kommt und mir mein Mobiltelefon und den Zettel hinhält. Sofort greife ich danach, nicht, dass ihr noch mehr dumme Ideen einfallen. Hastig suche ich die Nachricht im Postausgang. Kreidebleich lese ich den Text: »Hi. Hier hast du meine Nummer.«

Na das hätte ich bestimmt auch gerade noch hinbekommen. Ein Vibrieren ertönt, irritiert schaue ich auf die Anzeige im Display – Rob Knackarsch. Na ganz toll, jetzt hat sie ihn auch noch unter einem subtilen Namen abgespeichert. Kichernd stupst sie mich in die Seite.

»Danke oder sollte ich mich besser bei deiner Freundin bedanken«, lese ich seine Antwort.

Ich traue mich gar nicht, zu ihm hinüberzuschauen, aber ich muss, unweigerlich. Mittlerweile sitzt er mit verschränkten Armen auf einem kleinen Mauervorsprung neben dem Eingang und scheint sich köstlich über uns beide zu amüsieren. »Na toll«, murmle ich.

Die Tür öffnet sich und Pete kommt heraus. Geschwind schiebe ich mein Handy samt Zettel in die Jackentasche. Rob schaut ihm mit einem seltsamen Gesichtsausdruck hinterher, als dieser auf mich zukommt.

»In einer Stunde ungefähr?«, fragt er mich, obwohl es mal wieder keine Frage sondern eine Anweisung ist.

»Okay.« Es waren bisher zwar gerade einmal eineinhalb Stunden, aber was solls. Eine Diskussion will ich jetzt nicht lostreten.

»Könnten wir in nächster Zeit mal dahin gehen, wo es mir auch gefällt? Ich will mal wieder normale Leute sehen«, lässt er hingegen lautstark verlauten, obwohl er sich anscheinend gut unterhalten hatte, denn gesehen hatte ich ihn nicht, was davon zeugt, dass er sich amüsiert. Und nun ist es ihm völlig egal, ob er mit seinem Spruch die umstehenden Leute beleidigt. Wie peinlich, und wieder schäme ich mich fremd.

 

Aus den Augenwinkeln merke ich, dass der süße Typ sein Gesicht schmunzelnd abwendet. Am liebsten würde ich im Erdboden versinken. Wieso tut Pete mir das wieder an? Es ist ja nicht so, als ob nur er sich damit Feinde machen würde, sondern er zieht mich immer weiter mit sich in seine gewollte Einsamkeit. Wenn er wüsste, dass er ab dem nächsten Wochenende allein dahin gehen kann, wohin er möchte.

»Was meinst du genau? Was sind denn normale Leute für dich? Die Musik passte doch für dich?«, frage ich ihn nun doch provokant, um mich aus diesem elenden Sog herauszuwinden und den anderen zu zeigen, dass nur er so denkt und nicht ich.

»Einfach normal denkende Menschen. Hauptsache keine Goths, das geht mir auf den Sack!«, erwidert er bissig.

Er tut ja gerade so, als ob wir wöchentlich ausgehen würden. »Aber wir sind doch jetzt zwei Monate nicht mehr fortgegangen«, werfe ich kleinlaut ein.

»Ja eben, ich will auch, dass du mit mir mal dahin gehst, wohin ich möchte, nicht nur hierher.«

Das ist nicht sein Ernst, oder? Und ich bin dummerweise auch noch den Tränen nahe. Wie oft waren wir zwischenzeitlich schon bei seinen Freunden und Arbeitskollegen zu Hause, um Filme zu schauen, wobei er ständig eingeschlafen ist. Toll! Aber Hauptsache herumposaunen, dass ich nie mit ihm weggehe. Die Wut kocht in mir hoch, ich muss mich abwenden, da er sonst meinen Aufruhr erblickt und gleich darauf ein Donnerwetter folgen würde. Dafür sieht Alice meine Anspannung und schaut mich beinahe bedauernd an. Sie mischt sich lieber nicht ein, was auch gut so ist. Seinen Zorn würde ich sonst wieder abbekommen.

»Ich geh wieder rein.« Damit geht er zum Club zurück und lässt die Tür laut ins Schloss krachen. Die Umstehenden schauen mich verwundert an. Das ist die schrecklichste Situation, die man sich vorstellen kann, denke ich. Aber davon gab es schon so viele.

»Kopf hoch, nur noch ein paar Tage«, beschwichtigt Alice mich, »dann hast du es überstanden.«

»Und das werden die Schlimmsten in meinem ganzen Leben, wetten?«

»Quatsch, was soll jetzt noch schlimmer werden. Klar, es ist wirklich mehr als unangenehm, aber freu dich auf den Tag der Tage, Süße«, sagt sie und nimmt mich in die Arme. »Jetzt lass uns noch etwas Spaß haben. Und ich kille ihn zwischenzeitlich gedanklich auf alle erdenklichen Arten für dich.«

»Danke, das wäre toll.« Dabei blicke ich über ihre Schulter hinweg. Der süße Typ legt seinen Kopf schräg, als ob er mich etwas fragen würde. Dann gehen wir Arm in Arm zum Eingang hinüber. Er springt auf, um uns die Tür aufzuhalten.

»Alles Okay«, lasse ich ihn im Vorbeigehen wissen.

Sein Gesicht scheint sich mit einem Mal zu entspannen. Theatralisch stolziere ich an ihm vorbei, sodass er wieder grinsen muss. Ich lege meine Jacke ab und deponiere sie diesmal auf den Boden der Kleiderabgabe. Dabei streife ich Robs Bein, der plötzlich neben mir steht. Kurz zucke ich zusammen, da stand doch noch gerade Alice. »Entschuldige«, stammle ich und blicke zu ihm hoch.

Er beugt sich zu mir herunter. »Wofür denn?«, erwidert er leise und hilft mir auf. Dieses leise Raunen in seiner Stimme … Was passiert hier nur mit mir?

Nun muss er aber erkennen, wie alt ich bin, da die Garderobe hell beleuchtet ist. Doch er schaut nicht einmal überrascht, nein, seine Augen leuchten eher auf, als ob ihm gefällt was er erblickt. Verlegen schaue ich weg und er macht mir sofort Platz, damit ich an ihm vorbeitreten kann. Kurz berührt er meinen Arm und hält mich somit auf. Diese kleine Berührung lässt mich erzittern.

Er will wohl etwas sagen, doch es kommt kein Ton über seine Lippen. Sichtlich verwirrt lässt er mich wieder los. Mir ergeht es nicht anders, deshalb haste ich an ihm vorbei in den Tanzbereich. Dabei versuche ich meinen rasenden Herzschlag unter Kontrolle zu bekommen. Ich geselle mich zu Alice auf die Tanzfläche.

»Biest!«, zische ich ihr zu, was sie allerdings nur zum Schmunzeln bringt.

Beinahe lustlos bewege ich mich im Takt, bis ich den Typ erblicke. Erneut lehnt er mit verschränkten Armen an einem Tisch und lässt seinen Blick immer wieder wie zufällig zu mir schweifen. Wieso denke ich gerade jetzt daran, wie es wäre, wenn er mich mit seinen wahrlich sinnlichen Lippen küssen würde. Ob er sanfte Hände hat? Oh Abby! Lass es doch einfach!

Als ein neues Lied erklingt, kommt er auf die Tanzfläche und stellt sich rücklings vor mich. Ist es Absicht, dass er meine Aufmerksamkeit auf seinen knackigen Po lenkt? Alice hatte recht. Erst jetzt fällt mir auf, dass er relativ normal gekleidet ist, schwarze Jeans und ein schlichtes schwarzes Shirt. Selbst wenn er kein Szenegänger ist, er ist schwärzer als Pete und er kann sich bewegen. Und wie er das kann! Rasch muss ich die Augen schließen, um nicht ständig auf seinen Hintern zu starren. Was ist nur mit mir los? Wieso rast mein Herz denn so? Das ist doch nicht normal! So etwas habe ich seit Jahren nicht mehr erlebt oder gar gespürt.

Als ich dann doch wieder aufschaue, bleibt mein Blick an seinem Nacken und den Schultern hängen. Seine Arme sind nicht übermäßig muskulös, eher dezent, was anziehend auf mich wirkt. Seine Haare sind kurz, aber noch so lang, dass ich meine Finger darin vergraben könnte. Oh nein, nicht schon wieder!

Jemand bedrängt mich von hinten und ich muss einen Schritt nach vorn treten, somit stehe ich nun sehr dicht hinter ihm. Da er wohl meine Nähe spürt, blickt er mich über seine Schulter hinweg an.

»Entschuldige«, meine ich und deute auf den Typ hinter mir, der wild herumhampelt und mir den Platz raubt.

»Da muss ich mich ja beinahe bedanken«, lässt er leise verlauten und sein Lächeln bringt mich kurzfristig aus dem Takt. Und das passiert mir selten! Um mich herum herrscht reges Treiben, es ist eng, sodass ich ihn immer wieder am Rücken berühre, wobei ich jedes Mal zusammenzucke, da es mir unangenehm ist.

Beim nachfolgenden Lied lässt er mich vor sich treten, womit er das Geschubse von mir fernhält. Ein Gentleman ist er also auch noch! Mit seinen geschätzten 1,85 verdeckt er mich gleichzeitig vor Petes möglichen Blicken. Ich weiß nicht, ob dieser mittlerweile dasteht und auf mich wartet. Es interessiert mich im Moment überhaupt nicht, nach mir die Sintflut.

Rücklings vor ihm stehend merke ich, wie er mich nun immer wieder streift. Es sind allerdings keine zufälligen Berührungen, wie die meinen, dazu sind seine viel zu gezielt und zu sanft. Da ich eine Hand hin und wieder auf meinen Rücken lege, streicht er einmal sacht über meine Handfläche. Aufseufzend schließe ich die Augen, was glücklicherweise nicht auffällt, da ich das ab und an tue, wenn ich die Musik spüren will. Aber nun würde ich am liebsten seine Nähe genießen, würde mich zu gern gegen ihn lehnen. Nein, das will ich nicht! Ich darf so etwas nicht einmal denken!

Ein langsames Lied ertönt, er verlässt nun vermutlich die Tanzfläche. Seine Anwesenheit macht mich beinahe wahnsinnig. Erwartungsvoll drehe ich mich herum, um sicherzugehen, doch er steht noch immer da. Das kann doch nicht wahr sein! Nun tanzt er auch noch auf eine Weise, die mich fast durchdrehen lässt. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Pete sich mit Tom an unserem Platz unterhält. Mein Blick streift erneut den Schönling, der mich herausfordernd anlächelt. Sofort senke ich mein errötendes Gesicht und bewege meinen Körper etwas sinnlicher, so wie immer. Das werde ich wegen ihm nicht einstellen und mitnichten intensivieren.

»Oh Gott!«, höre ich ihn leise sagen.

Überrascht blicke ich auf und bemerke seinen verklärten Blick. Er beißt sich auf die Unterlippe. Irgendetwas in mir lässt mich selbstsicherer werden und kehre ihm wieder meinen Rücken zu. Somit ist mein Hüftschwung offensichtlicher. Ja, ich spiele vorsätzlich mit meinen Reizen und ich fühle mich mit einem Mal pudelwohl dabei. Mir ist alles egal, ich will seine Blicke auf mir spüren, nur einmal wieder das Gefühl haben, wirklich begehrt zu werden, auch wenn es mir gar nichts bringt.