Read the book: «Nachtstücke», page 20

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Dies ausgemacht, fühlten sich alle beruhigt. Graf Nepomuk dachte kaum mehr an das beängstigende Geheimnis selbst, als er nur die Möglichkeit sah, es der Welt, deren Hohn ihm das bitterste war, zu verbergen, und der Fürst urteilte sehr richtig, daß bei der seltsamen Lage der Dinge, bei Hermenegildas unerheucheltem Gemütszustande freilich gar nichts anders zu tun sei, als die Auflösung des wunderbaren Rätsels der Zeit zu überlassen. Eben wollte man nach geschlossener Beratung auseinander gehen, als die plötzliche Ankunft des Grafen Xaver von R. über alle neue Verlegenheit neue Kümmernis brachte. Erhitzt von dem scharfen Ritt, über und über mit Staub bedeckt, mit der Hast eines von wilder Leidenschaft Getriebenen stürzte er ins Zimmer und rief, ohne Gruß, alle Sitte nicht beachtend, mit starker Stimme: »Er ist tot, Graf Stanislaus! nicht in Gefangenschaft geriet er – nein – er wurde niedergehauen von den Feinden – hier sind die Beweise!« – Damit steckte er mehrere Briefe, die er schnell hervorgerissen, dem Grafen Nepomuk in die Hände. Dieser fing ganz bestürzt an zu lesen. Die Fürstin sah in die Blätter hinein, kaum hatte sie wenige Zeilen erhascht, als sie mit zum Himmel emporgerichtetem Blick die Hände zusammenschlug und schmerzlich ausrief: »Hermenegilda! – armes Kind! – welches unerforschliche Geheimnis!« – Sie hatte gefunden, daß Stanislaus' Todestag gerade mit Hermenegildas Angabe zusammentraf, daß sich alles so begeben, wie sie es in dem verhängnisvollen Augenblick geschaut hatte. »Er ist tot«, sprach nun Xaver rasch und feurig, »Hermenegilda ist frei, mir, der ich sie liebe wie mein Leben, steht nichts mehr entgegen, ich bitte um ihre Hand!« – Graf Nepomuk vermochte nicht zu antworten, der Fürst nahm das Wort und erklärte, daß gewisse Umstände es ganz unmöglich machten, jetzt auf seinen Antrag einzugehen, daß er in diesem Augenblick nicht einmal Hermenegilda sehen könne, daß es also das beste sei, sich wieder schnell zu entfernen, wie er gekommen. Xaver entgegnete, daß er Hermenegildas zerrütteten Gemütszustand, von dem wahrscheinlich die Rede sei, recht gut kenne, daß er dies aber um so weniger für ein Hindernis halte, als gerade seine Verbindung mit Hermenegilda jenen Zustand enden würde. Die Fürstin versicherte ihm, daß Hermenegilda ihrem Stanislaus Treue bis in den Tod geschworen, jede andere Verbindung daher verwerfen würde, übrigens befinde sie sich gar nicht mehr auf dem Schlosse. Da lachte Xaver laut auf und meinte, nur des Vaters Einwilligung bedürfe er; Hermenegildas Herz zu rühren, das solle man nur ihm überlassen. Ganz erzürnt über des Jünglings ungestüme Zudringlichkeit erklärte Graf Nepomuk, daß er in diesem Augenblick vergebens auf seine Einwilligung hoffe und nur sogleich das Schloß verlassen möge. Graf Xaver sah ihn starr an, öffnete die Tür des Vorsaals und rief hinaus, Woyciech solle den Mantelsack hereinbringen, die Pferde absatteln und in den Stall führen. Dann kam er ins Zimmer zurück, warf sich in den Lehnstuhl, der dicht am Fenster stand, und erklärte ruhig und ernst: ehe er Hermenegilda gesehen und gesprochen, werde ihn nur offne Gewalt vom Schlosse wegtreiben. Graf Nepomuk meinte, daß er dann auf einen recht langen Aufenthalt rechnen könne, übrigens aber erlauben müsse, daß er seinerseits das Schloß verlasse. Alle, Graf Nepomuk, der Fürst und seine Gemahlin gingen hierauf aus dem Zimmer, um so schnell als möglich Hermenegilda fortzuschaffen. Der Zufall wollte indessen, daß sie gerade in dieser Stunde, ganz wider ihre sonstige Gewohnheit, in den Park gegangen war. Xaver, durch das Fenster blickend, an dem er saß, gewahrte sie ganz in der Ferne wandelnd. Er rannte hinunter in den Park und erreichte endlich Hermenegilda, als sie eben in jenen verhängnisvollen Pavillon an der Südseite des Parks trat. Ihr Zustand war nun schon beinahe jedem Auge sichtlich. »O all ihr Mächte des Himmels«, rief Xaver, als er vor Hermenegilda stand, dann stürzte er aber zu ihren Füßen und beschwor sie, unter den heiligsten Beteurungen seiner glühendsten Liebe, ihn zum glücklichsten Gatten aufzunehmen. Hermenegilda, ganz außer sich vor Schreck und Überraschung, sagte ihm: ein böses Geschick habe ihn hergeführt, ihre Ruhe zu stören – niemals, niemals würde sie, dem geliebten Stanislaus zur Treue bis in den Tod verbunden, die Gattin eines andern werden. Als nun aber Xaver nicht aufhörte mit Bitten und Beteurungen, als er endlich in toller Leidenschaft ihr vorhielt, daß sie sich selbst täusche, daß sie ihm ja schon die süßesten Liebesaugenblicke geschenkt, als er, aufgesprungen vom Boden, sie in seine Arme schließen wollte, da stieß sie ihn, den Tod im Antlitz, mit Abscheu und Verachtung zurück, indem sie rief. »Elender, selbstsüchtiger Tor, ebensowenig, wie du das süße Pfand meines Bundes mit Stanislaus vernichten kannst, ebensowenig vermagst du mich zum verbrecherischen Bruch der Treue zu verführen – fort aus meinen Augen!« Da streckte Xaver die geballte Faust ihr entgegen, lachte laut auf in wildem Hohn und schrie: »Wahnsinnige, brachst du denn nicht selbst jenen albernen Schwur? – Das Kind, das du unter dem Herzen trägst, mein Kind ist es, mich umarmtest du hier an dieser Stelle – meine Buhlschaft warst du und bleibst du, wenn ich dich nicht erhebe zu meiner Gattin.« – Hermenegilda blickte ihn an, die Glut der Hölle in den Augen, dann kreischte sie auf. »Ungeheuer!« und sank wie zum Tode getroffen nieder auf den Boden.

Wie von allen Furien verfolgt, rannte Xaver in das Schloß zurück, er traf auf die Fürstin, die er mit Ungestüm bei der Hand ergriff und hineinzog in die Zimmer. »Sie hat mich verworfen mit Abscheu – mich, den Vater ihres Kindes!« – »Um aller Heiligen willen! Du? – Xaver! – mein Gott! – sprich, wie war es möglich?« – so rief, von Entsetzen ergriffen, die Fürstin. »Mag mich verdammen«, fuhr Xaver gefaßter fort, »mag mich verdammen wer da will, aber glüht ihm gleich mir das Blut in den Adern, gleich mir wird er in solchem Moment sündigen. In dem Pavillon traf ich Hermenegilda in einem seltsamen Zustande, den ich nicht zu beschreiben vermag. Sie lag wie festschlafend und träumend auf dem Kanapee. Kaum war ich eingetreten, als sie sich erhob, auf mich zukam, mich bei der Hand ergriff und feierlichen Schritts durch den Pavillon ging. Dann kniete sie nieder, ich tat ein gleiches, sie betete, und ich bemerkte bald, daß sie im Geiste einen Priester vor uns sah. Sie zog einen Ring vom Finger, den sie dem Priester darreichte, ich nahm ihn und steckte ihr einen goldnen Ring an, den ich von meinem Finger zog, dann sank sie mit der inbrünstigsten Liebe in meine Arme. – Als ich entfloh, lag sie in tiefem bewußtlosen Schlaf.« – »Entsetzlicher Mensch! – ungeheurer Frevel!« schrie die Fürstin ganz außer sich. – Graf Nepomuk und der Fürst traten hinein, in wenigen Worten erfuhren sie Xavers Bekenntnisse, und wie tief wurde der Fürstin zartes Gemüt verwundet, als die Männer Xavers freveliche Tat sehr verzeihlich und durch seine Verbindung mit Hermenegilda gesühnt fanden. »Nein«, sprach die Fürstin, »nimmer wird Hermenegilda dem die Hand als Gattin reichen, der es wagte, wie der hämischte Geist der Hölle, den höchsten Moment ihres Lebens mit dem ungeheuersten Frevel zu vergiften.« – »Sie wird«, sprach Graf Xaver mit kaltem höhnenden Stolz, »sie wird mir die Hand reichen müssen, um ihre Ehre zu retten – ich bleibe hier und alles fügt sich.« – In diesem Augenblick entstand ein dumpfes Geräusch, man brachte Hermenegilda, die der Gärtner im Pavillon leblos gefunden, in das Schloß zurück. Man legte sie auf das Sofa; ehe es die Fürstin verhindern konnte, trat Xaver hinan und faßte ihre Hand. Da fuhr sie mit einem entsetzlichen Schrei, nicht menschlicher Ton, nein, dem schneidenden Jammerlaut eines wilden Tiers ähnlich, in die Höhe und starrte in gräßlicher Verzuckung den Grafen mit funkensprühenden Augen an. Der taumelte wie vom tötenden Blitz getroffen zurück und lallte kaum verständlich: »Pferde!« – Auf den Wink der Fürstin brachte man ihn herab. – »Wein! – Wein!« schrie er, stürzte einige Gläser hinunter, warf sich dann erkräftigt aufs Pferd und jug davon. – Hermenegildas Zustand, der aus dumpfen Wahnsinn in wilde Raserei übergehen zu wollen schien, änderte auch Nepomuks und des Fürsten Gesinnungen, die nun erst das Entsetzliche, Unsühnbare von Xavers Tat einsahen. Man wollte nach dem Arzt senden, aber die Fürstin verwarf alle ärztliche Hülfe, wo nur geistlicher Trost vielleicht wirken könne. Statt des Arztes erschien also der Karmelitermönch Cyprianus, Beichtvater des Hauses. Auf wunderbare Weise gelang es ihm, Hermenegilda aus der Bewußtlosigkeit des stieren Wahnsinns zu erwecken. Noch mehr! – bald wurde sie ruhig und gefaßt; sie sprach ganz zusammenhängend mit der Fürstin, der sie den Wunsch äußerte, nach ihrer Niederkunft ihr Leben im Zisterzienserkloster zu O. in steter Reue und Trauer hinzubringen. Ihren Trauerkleidern hatte sie Schleier hinzugefügt, die ihr Gesicht undurchdringlich verhüllten und die sie niemals lüpfte. Pater Cyprianus verließ das Schloß, kam aber nach einigen Tagen wieder. Unterdessen hatte der Fürst Z. an den Bürgermeister zu L. geschrieben, dort sollte Hermenegilda ihre Niederkunft abwarten und von der Äbtissin des Zisterzienserklosters, einer Verwandten des Hauses, dahingebracht werden, während die Fürstin nach Italien reiste, und angeblich Hermenegilda mitnahm. – Es war Mitternacht, der Wagen, der Hermenegilda nach dem Kloster bringen sollte, stand vor der Türe. Von Gram gebeugt erwartete Nepomuk, der Fürst, die Fürstin, das unglückliche Kind, um von ihr Abschied zu nehmen. Da trat sie in Schleier gehüllt, an der Hand des Mönchs, in das von Kerzen hell erleuchtete Zimmer. Cyprianus sprach mit feierlicher Stimme: »Die Laienschwester Cölestina sündigte schwer, als sie sich noch in der Welt befand, denn der Frevel des Teufels befleckte ihr reines Gemüt, doch ein unauflösliches Gelübde bringt ihr Trost – Ruhe und ewige Seligkeit! – Nie wird die Welt mehr das Antlitz schauen, dessen Schönheit den Teufel anlockte – schaut her! – so beginnt und vollendet Cölestina ihre Buße!« – Damit hob der Mönch Hermenegildas Schleier auf, und schneidendes Weh durchfuhr alle, da sie die blasse Totenlarve erblickten, in die Hermenegildas engelschönes Antlitz auf immer verschlossen! – Sie schied, keines Wortes mächtig, von dem Vater, der ganz aufgelöst von verzehrendem Schmerz nicht mehr leben zu können dachte. Der Fürst, sonst ein gefaßter Mann, badete sich in Tränen, nur der Fürstin gelang es, mit aller Macht den Schrecken jenes grauenvollen Gelübdes niederkämpfend, sich aufrecht zu erhalten in milder Fassung.

Wie Graf Xaver Hermenegildas Aufenthalt und sogar den Umstand, daß das geborne Kind der Kirche geweiht sein sollte, erfahren, ist unerklärlich. Wenig nutzte ihm der Raub des Kindes, denn als er nach P. gekommen, und es in die Hände einer vertrauten Frau zur Pflege geben wollte, war es nicht, wie er glaubte, von der Kälte ohnmächtig geworden, sondern tot. Darauf verschwand Graf Xaver spurlos, und man glaubte, er habe sich den Tod gegeben. Mehrere Jahre waren vergangen, als der junge Fürst Boleslaw von Z. auf seinen Reisen nach Neapel in die Nähe des Posilippo kam. Dort in der anmutigsten Gegend liegt ein Kamaldulenserkloster, zu dem der Fürst heraufstieg, um eine Aussicht zu genießen, die ihm als die reizendste in ganz Neapel geschildert worden. Eben im Begriff, auf die herausspringende Felsenspitze im Garten zu treten, die ihm als der schönste Punkt beschrieben, bemerkte er einen Mönch, der vor ihm auf einem großen Stein Platz genommen und, ein aufgeschlagenes Gebetbuch auf dem Schoß, in die Ferne hinausschaute. Sein Antlitz, in den Grundzügen noch jugendlich, war nur durch tiefen Gram entstellt. Dem Fürsten kam, als er den Mönch näher und näher betrachtete, eine dunkle Erinnerung. Er schlich näher heran und es fiel ihm gleich ins Auge, daß das Gebetbuch in polnischer Sprache abgefaßt war. Darauf redete er den Mönch polnisch an, dieser wandte sich voller Schreck um, kaum hatte er aber den Fürsten erblickt, als er sein Gesicht verhüllte und schnell, wie vom bösen Geist getrieben, durch die Gebüsche entfloh. Fürst Boleslaw versicherte, als er dem Grafen Nepomuk das Abenteuer erzählte, dieser Mönch sei niemand anders gewesen, als der Graf Xaver von R.

Das steinerne Herz

Jedem Reisenden, der bei guter Tageszeit sich dem Städtchen G. von der südlichen Seite bis auf eine halbe Stunde Weges genähert, fällt der Landstraße rechts ein stattliches Landhaus in die Augen, welches mit seinen wunderlichen bunten Zinnen aus finsterm Gebüsch blickend, emporsteigt. Dieses Gebüsch umkränzte den weitläufigen Garten, der sich in weiter Strecke talabwärts hinzieht. Kommst du einmal, vielgeliebter Leser! des Weges, so scheue weder den kleinen Aufenthalt deiner Reise, noch das kleine Trinkgeld, das du etwa dem Gärtner geben dürftest, sondern steige fein aus dem Wagen, und laß dir Haus und Garten aufschließen, vorgebend, du hättest den verstorbenen Eigentümer des anmutigen Landsitzes, den Hofrat Reutlinger in G., recht gut gekannt. Im Grunde genommen kannst du dies alsdann mit gutem Fug tun, wenn es dir gefallen sollte, alles, was ich dir zu erzählen eben im Begriff stehe, bis ans Ende durchzulesen; denn ich hoffe, der Hofrat Reutlinger soll dir alsdann mit all seinem sonderbaren Tun und Treiben so vor Augen stehen, als ob du ihn wirklich selbst gekannt hättest. Schon von außen findest du das Landhaus auf altertümliche groteske Weise mit bunten gemalten Zieraten verschmückt, du klagst mit Recht über die Geschmacklosigkeit dieser zum Teil widersinnigen Wandgemälde, aber bei näherer Betrachtung weht dich ein besonderer wunderbarer Geist aus diesen bemalten Steinen an und mit einem leisen Schauer, der dich überläuft, trittst du in die weite Vorhalle. Auf den in Felder abgeteilten, mit weißem Gipsmarmor bekleideten Wänden erblickest du mit grellen Farben gemalte Arabesken, die in den wunderlichsten Verschlingungen, Menschen- und Tiergestalten, Blumen, Früchte, Gesteine, darstellen, und deren Bedeutung du ohne weitere Verdeutlichung zu ahnen glaubst. Im Saal, der den untern Stock in der Breite einnimmt und bis über den zweiten Stock hinaufsteigt, scheint in vergoldeter Bilderei alles das plastisch ausgeführt, was erst durch Gemälde angedeutet wurde. Du wirst im ersten Augenblick vom verdorbenen Geschmack des Zeitalters Ludwig des Vierzehnten reden, du wirst weidlich schmälen über das Barocke, Überladene, Grelle, Geschmacklose dieses Stils, aber bist du nur was weniges meines Sinnes, fehlt es dir nicht an reger Fantasie, welches ich allemal bei dir, mein gütiger Leser! voraussetze, so wirst du bald allen in der Tat gegründeten Tadel vergessen. Es wird dir so zumute werden, als sei die regellose Willkür nur das kecke Spiel des Meisters mit Gestaltungen, über die er unumschränkt zu herrschen wußte, dann aber, als verkette sich alles zur bittersten Ironie des irdischen Treibens, die nur dem tiefen, aber an einer Todeswunde kränkelnden Gemüt eigen. Ich rate dir, geliebter Leser! die kleinen Zimmer des zweiten Stocks, die wie eine Galerie den Saal umgeben, und aus deren Fenstern man hinabschaut in den Saal, zu durchwandern. Hier sind die Verzierungen sehr einfach, aber hin und wieder stößest du auf teutsche, arabische und türkische Inschriften, die sich wunderlich genug ausnehmen. Du eilst jetzt nach dem Garten, er ist nach altfranzösischer Art mit langen, breiten, von hohen Taxuswänden umschlossenen Gängen, mit geräumigen [Bosketts] angelegt, und mit Statuen, mit Fontänen geschmückt. Ich weiß nicht, ob du, geliebter Leser, nicht auch den ernsten feierlichen Eindruck, den solch ein altfranzösischer Garten macht, mit mir fühlst, und ob du solch ein Gartenkunstwerk nicht der albernen Kleinigkeitskrämerei vorziehst, die in unsern sogenannten englischen Gärten mit Brückchen und Flüßlein, und Tempelchen und Gröttchen getrieben wird. Am Ende des Gartens trittst du in einen finstern Hain von Trauerweiden, Hängebirken und Weymouthskiefern. Der Gärtner sagt dir, daß dies Wäldchen, wie man es von der Höhe des Hauses hinabschauend, deutlich wahrnehmen kann, die Form eines Herzens hat. Mitten darin ist ein Pavillon von dunklem schlesischen Marmor in der Form eines Herzens erbaut. Du tritts hinein, der Boden ist mit weißen Marmorplatten ausgelegt, in der Mitte erblickst du ein Herz in gewöhnlicher Größe. Es ist ein dunkelroter in den weißen Marmor eingefugter Stein. Du bückst dich herab, und entdeckest die in den Stein eingegrabenen Worte: _Es_ruht!_ In diesem Pavillon, bei diesem dunkelroten steinernen Herzen, das damals jene Inschrift noch nicht trug, standen am Tage Mariä Geburt, das heißt am achten September des Jahres 180- ein großer stattlicher alter Herr und eine alte Dame, beide sehr reich und schön nach der Mode der sechziger Jahre gekleidet. »Aber«, sprach die alte Dame, »aber wie kam Ihnen, lieber Hofrat, denn wieder die bizarre, ich möchte lieber sagen, die schauervolle Idee, in diesem Pavillon das Grabmal Ihres Herzens, das unter dem roten Stein ruhen soll, bauen zu lassen?« »Lassen Sie uns«, erwiderte der alte Herr, »lassen Sie uns, liebe Geheime Rätin, von diesen Dingen schweigen! – Nennen Sie es das krankhafte Spiel eines wunden Gemüts, nennen Sie es wie Sie wollen, aber erfahren Sie, daß, wenn mich mitten unter dem reichen Gut, das das hämische Glück wie ein Spielzeug dem einfältigen Kinde, das darüber die Todeswunden vergißt, mir zuwarf, der bitterste Unmut ergreift, wenn alles erfahrne Leid von neuem auf mich zutritt, daß ich dann hier in diesen Mauern Trost und Beruhigung finde. Meine Blutstropfen haben den Stein so rot gefärbt, aber er ist eiskalt, bald liegt er auf meinem Herzen und kühlt die verderbliche Glut, welche darin loderte.« Die alte Dame sah mit einem Blick der tiefsten Wehmut herab zum steinernen Herzen, und indem sie sich etwas herabbückte, fielen ein paar große perlenglänzende Tränen auf den roten Stein. Da faßte der alte Herr schnell herüber und ergriff ihre Hand. Seine Augen erblitzten im jugendlichen Feuer; wie ein fernes mit Blüten und Blumen reich geschmücktes herrliches Land im schimmernden Abendrot lag eine längst vergangene Zeit voll Liebe und Seligkeit in seinen glühenden Blicken. »Julie! – Julie! und auch Sie konnten dieses arme Herz so auf den Tod verwunden.« – So rief der alte Herr mit von der schmerzlichsten Wehmut halberstickter Stimme. »Nicht mich«, erwiderte die alte Dame sehr weich und zärtlich, »nicht mich, klagen Sie an, Maximilian! – War es denn nicht Ihr starrer unversöhnlicher Sinn, Ihr träumerischer Glaube an Ahnungen, an seltsame, Unheil verkündende Visionen, der Sie forttrieb von mir, und der mich zuletzt bestimmen mußte, dem sanfteren, beugsameren Mann, der mit Ihnen zugleich sich um mich bewarb, den Vorzug zu geben. Ach! Maximilian, Sie mußten es ja wohl fühlen, wie innig Sie geliebt wurden, aber Ihre ewige Selbstqual, peinigte sie mich nicht bis zur Todesermattung?« Der alte Herr unterbrach die Dame, indem er ihre Hand fahren ließ: »O Sie haben recht, Frau Geheime Rätin, ich muß allein stehen, kein menschliches Herz darf sich mir anschmiegen, alles was Freundschaft, was Liebe vermag, prallt wirkungslos ab von diesem steinernen Herzen.« – »Wie bitter«, fiel die Dame dem alten Herrn in die Rede, »Wie bitter, wie ungerecht gegen sich selbst, und andere sind Sie, Maximilian! – Wer kennt Sie denn nicht als den freigebigsten Wohltäter der Bedürftigen, als den unwandelbarsten Verfechter des Rechts, der Billigkeit, aber welches böse Geschick warf jenes entsetzliche Mißtrauen in Ihre Seele, das in einem Wort, in einem Blick, ja in irgend einem von jeder Willkür unabhängigen Ereignis Verderben und Unheil ahnet?« – »Hege ich denn nicht alles«, sprach der alte Herr mit weicherer Stimme und Tränen in den Augen, »hege ich denn nicht alles, was sich mir nähert, mit der vollsten Liebe? Aber diese Liebe zerreißt mir das Herz, statt es zu nähren. – Ha!« fuhr er mit erhöhter Stimme fort, »dem unerforschlichen Geist der Welten gefiel es mich mit einer Gabe auszustatten, die, mich dem Tode entreißend, mich hundertmal tötet! – Gleich dem Ewigen Juden, sehe ich das unsichtbare Kainszeichen auf der Stirne des gleisnerischen Meuters! – Ich erkenne die geheimen Warnungen, die oft wie spielende Rätsel der geheimnisvolle König der Welt, den wir Zufall nennen, uns in den Weg wirft. Eine holde Jungfrau schaut uns mit hellen klaren Isisaugen an, aber wer ihre Rätsel nicht löst, den ergreift sie mit kräftigen Löwentatzen, und schleudert ihn in den Abgrund.« – »Noch immer«, sprach die alte Dame, »noch immer diese verderblichen Träume. Wo blieb der schöne, artige Knabe, Ihres jüngern Bruders Sohn, den Sie vor einigen Jahren so liebreich aufgenommen, in dem so viel Liebe und Trost für Sie aufzukeimen schien?« – »Den«, erwiderte der alte Herr mit rauher Stimme, »den habe ich verstoßen, es war ein Bösewicht, eine Schlange, die ich mir zum Verderben im Busen nährte.« – »Ein Bösewicht! – der Knabe von sechs Jahren?« fragte die Dame ganz bestürzt. »Sie wissen«, fuhr der alte Herr fort, »die Geschichte meines jüngern Bruders; Sie wissen, daß er mich mehrmals auf bübische Weise täuschte, daß, alles brüderliche Gefühl in seiner Brust ertötend, ihm jede Wohltat, die ich ihm erzeigte, zur Waffe gegen mich diente. An ihm, an seinem rastlosen Streben lag es nicht, daß nicht meine Ehre, meine bürgerliche Existenz verloren ging. Sie wissen, wie er vor mehreren Jahren, in das tiefste Elend versunken, zu mir kam, wie er mir Änderung seiner verworrenen Lebensweise, wiedererwachte Liebe heuchelte, wie ich ihn hegte und pflegte, wie er dann seinen Aufenthalt in meinem Hause nutzte, um gewisse Dokumente – doch genug davon. Sein Knabe gefiel mir, und diesen behielt ich bei mir, als der Schändliche, nachdem seine Ränke, die mich in einen meine Ehre vernichtenden Kriminalprozeß verwickeln sollten, entdeckt worden, fliehen mußte. Ein warnender Wink des Schicksals befreiete mich von dem Bösewicht.« – »Und dieser Wink des Schicksals war gewiß einer Ihrer bösen Träume.« So sprach die alte Dame, doch der alte Herr fuhr fort: »Hören Sie, urteilen Sie Julie! – Sie wissen, daß meines Bruders Teufelei mir den härtesten Stoß gab, den ich erlitten – es sei denn, daß – doch still davon. Mag es sein, daß ich der Seelenkrankheit, die mich befallen, den Gedanken zuschreiben muß, mir in diesem Wäldchen eine Grabstätte für mein Herz bereiten zu lassen. Genug, es geschah! – Das Wäldchen war in Herzform angepflanzt, der Pavillon erbaut, die Arbeiter beschäftigten sich mit der Marmortäfelung des Fußbodens. Ich trete hinan, um nach dem Werk zu sehen. Da bemerke ich, daß in einiger Entfernung der Knabe, so wie ich, Max geheißen, etwas hin- und herkugelt unter allerlei tollen Bockssprüngen und lautem Gelächter. Eine finstere Ahnung geht durch meine Seele! – Ich gehe los auf den Knaben und erstarre, als ich sehe, daß es der rote herzförmig ausgearbeitete Stein ist, der zum Einlegen in dem Pavillon bereit lag, den er mit Mühe herausgekugelt hat und mit dem er nun spielt! >Bube! du spielst mit meinem Herzen, wie dein Vater!< – Mit diesen Worten stieß ich ihn voll Abscheu von mir, als er sich weinend mir nahte. – Mein Verwalter erhielt die nötigen Befehle ihn fortzuschaffen, ich habe den Knaben nicht wiedergesehen!« – »Entsetzlicher Mann!« rief die alte Dame, die aber der alte Herr sich höflich verbeugend, und mit den Worten: »Des Schicksals große Grundstriche fügen sich nicht dem feinen Nonpareil der Damen«, unter dem Arm faßte, und aus dem Pavillon hinausführte durch das Wäldchen in den Garten. – Der alte Herr war der Hofrat Reutlinger, die alte Dame aber die Geheime Rätin Foerd. – - Der Garten bot das allermerkwürdigste Schauspiel dar, was man nur sehen konnte. Eine große Gesellschaft alter Herren, Geheime Räte, Hofräte u.a. nebst ihren Familien aus den benachbarten Städtchen hatte sich versammelt. Alle, selbst die jungen Leute und Mädchen waren ganz streng nach der Mode des Jahres 1760 gekleidet mit großen Perücken, gesteiften Kleidern, hohen Frisuren, Reifröcken usw., welches denn um so mehr einen wunderlichen Eindruck machte, als die Anlagen des Gartens ganz zu jenem Kostüm paßten. Jeder glaubte sich, wie durch einen Zauberschlag, in eine längst verflossene Zeit zurückversetzt. Der Maskerade lag eine wunderliche Idee Reutlingers zum Grunde. Er pflegte alle drei Jahre am Tage Mariä Geburt auf seinem Landsitz das »Fest der alten Zeit« zu feiern, wozu er alles aus dem Städtchen, was nur kommen wollte, einlud, jedoch war es unerläßliche Bedingung, daß jeder Gast sich in das Kostüm des Jahres 1760 werfen mußte. Jungen Leuten, denen es lästig gewesen sein würde, dergleichen Kleider herbeizuschaffen, half der Hofrat aus mit seiner eigenen reichen Garderobe. – Offenbar wollte der Hofrat diese Zeit hindurch (das Fest dauerte zwei bis drei Tage) in Rückerinnerungen der alten Jugendzeit recht schwelgen.

In einer Seitenallee begegneten sich Ernst und Willibald. Beide sahen sich eine Weile schweigend an und brachen dann in ein helles Gelächter aus. »Du kommst mir vor«, rief Willibald, »wie der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Kavalier.« »Und mich dünkt«, erwiderte Ernst, »ich hätte dich schon in der asiatischen Banise erblickt.« – »Aber in der Tat«, fuhr Willibald fort, »des alten Hofrats Einfall ist so übel nicht. Er will nun einmal sich selbst mystifizieren, er will eine Zeit hervorzaubern, in der er wahrhaft lebte, unerachtet er noch jetzt ein munterer starker Greis mit unverwüstlicher Lebenskraft und herrlicher Frischheit des Geistes, an Erregbarkeit und fantasiereicher Laune es manchem vor der Zeit abgestumpften Jünglinge zuvortut. Er darf nicht dafür sorgen, daß jemand in Wort und Gebärde aus dem Kostüm falle, denn dafür steckt jeder eben in den Kleidern die ihm das ganz unmöglich machen. Sieh nur wie jüngferlich und zunferlich unsere jungen Damen in ihren Reifröcken einhertrippeln, wie sie sich des Fächers zu bedienen wissen. – Wahrhaftig mich selbst ergreift unter der Perücke, die ich auf meinen Titus gestülpt, ein ganz besonderer Geist altertümlicher Courtoisie, da ich eben das allerliebste Kind, des Geh. Rates Foerd jüngste Tochter, die holde Julie erblicke, so weiß ich gar nicht was mich abhält, mich ihr in demütiger Stellung zu nahen und mich also zu applizieren und explizieren: >Allerschönste Julia! wenn wird mir doch die längst gewünschte Ruhe durch deine Gegenliebe gewährt werden! Es ist ja unmöglich, daß den Tempel dieser Schönheit ein steinerner Abgott bewohnen könne. Den Marmor bezwingt der Regen und der Diamant wird durch schlechtes Blut erweichet; dein Herz will aber einem Ambosse gleichen, welches sich nur durch Schläge verhärtet; je mehr nun mein Herze klopfet, je unempfindlicher wirst du. Laß mich doch das Ziel deines Blicks sein, schaue doch wie mein Herz kocht und meine Seele nach der Erquickung lechzet, welche aus deiner Anmut quillt. Ach! – willst du mich durch Schweigen betrüben, unempfindliche Seele? Die toten Felsen antworten ja den Fragenden durch ein Echo und du willst mich Trostlosen keiner Antwort würdigen? – O Allerschönste<« – »Ich bitte dich«, unterbrach hier Ernst den Freund, der mit dem wunderlichsten Gebärdenspiel das alles gesprochen, »ich bitte dich, halt ein, du bist nun einmal wieder in deiner tollen Laune und merkst nicht, wie Julie, erst sich uns freundlich nähernd, mit einem Mal ganz scheu ausbog. Ohne dich zu verstehen, glaubt sie gewiß so wie alle in gleichem Fall, schonungslos von dir bespöttelt zu sein, und so bewährst du deinen Ruf als eingefleischten ironischen Satan und ziehst mich neuen Ankömmling ins Unglück, denn schon sprechen alle mit zweideutigem Seitenblick und bittersüßem Lächeln: >Es ist Willibalds Freund.<« – »Laß es gut sein«, sprach Willibald, »ich weiß es ja, daß viele Leute, zumal junge hoffnungsvolle Mädchen von sechszehn, siebzehn Jahren mir sorglich ausweichen, aber ich kenne das Ziel, wohin alle Wege führen, und weiß auch, daß sie dort mir begegnend oder vielmehr mich wie im eignen Hause angesiedelt treffend, recht mit vollem freundlichen Gemüt mir die Hand reichen werden.« – »Du meinst«, sprach Ernst, »eine Versöhnung, wie im ewgen Leben, wenn der Drang des Irdischen abgeschüttelt.« – »O ich bitte dich«, unterbrach ihn Willibald, »laß uns doch gescheut sein und nicht alte, längst besprochene Dinge aufs neue und gerade zur ungünstigsten Stunde aufrühren. Ungünstig für derlei Gespräche nenne ich nämlich deshalb eben diese Stunden, weil wir gar nichts Besseres tun können, als uns dem seltsamen Eindruck alles des Wunderlichen, womit uns Reutlingers Laune, wie in einen Rahmen eingefaßt hat, hingeben. Siehst du wohl jenen Baum, dessen ungeheure weiße Blüten der Wind hin- und herschüttelt? – Cactus grandiflorus kann es nicht sein, denn der blüht nur mitternachts und ich spüre auch nicht das Aroma, welches sich bis hierher verbreiten müßte. Weiß der Himmel, welchen Wunderbaum der Hofrat wieder in sein Tusculum verpflanzt hat.« – Die Freunde gingen auf den Wunderbaum los und wunderten sich in der Tat nicht wenig, als sie einen dicken dunklen Holunderbusch trafen, dessen Blüten nichts anders waren, als hineingehängte weißgepuderte Perücken, die mit ihren darangehängten Haarbeuteln und Zöpfchen, ein kurioses Spielzeug des launigten Südwinds, auf- und niederschaukelten. Lautes Lachen verkündete was hinter den Büschen verborgen. Eine ganze Gesellschaft alter gemütlicher lebenskräftiger Herren hatte sich auf einem breiten von buntem Buschwerk umgebenen Rasenplatz versammelt. Die Röcke ausgezogen, die lästigen Perücken in den Holunder gehängt, schlugen sie Ballon. Aber niemand übertraf den Hofrat Reutlinger, der den Ballon bis zu einer unglaublichen Höhe und so geschickt zu treiben wußte, daß er jedesmal dem Gegenspieler schlaggerecht niederfiel. In dem Augenblick ließ sich eine abscheuliche Musik von kleinen Pfeifen und dumpfen Trommeln hören. Die Herren endeten schnell ihr Spiel und griffen nach ihren Röcken und Perücken. »Was ist denn das nun wieder?« sprach Ernst. »Ich wette«, erwiderte Willibald, »der türkische Gesandte zieht ein.« – »Der türkische Gesandte?« frug Ernst ganz erstaunt. »So nenne ich«, fuhr Willibald fort, »den Baron von Exter, der sich in G. aufhält und den du noch viel zu wenig gesehen hast, um in ihm nicht eins der wunderlichsten Originale zu erkennen, die es geben mag. Er ist ehemals Gesandter unseres Hofes in Konstantinopel gewesen und noch immer sonnt er sich in dem Reflex dieser wahrscheinlich genußreichsten Frühlingszeit seines Lebens. Seine Beschreibung des Palastes, den er in Pera bewohnte, erinnert an die diamantnen Feen-Paläste in Tausendundeiner Nacht, und seine Lebensweise an den weisen König Salomo, dem er auch darin gleichen will, daß er sich wirklich der Herrschaft über unbekannte Naturkräfte rühmt. In der Tat hat dieser Baron Exter seiner lügnerischen Prahlerei, seiner Charlatanerie unerachtet, doch etwas Mystisches, das mich wenigstens in drolligem Abstich mit seiner äußern etwas skurrilen Erscheinung oft wirklich mystifiziert. Davon, ich meine von seinem wirklich mystischen Treiben geheimer Wissenschaften, rührt auch seine enge Verbindung mit Reutlingern her, der diesem Wesen ganz ergeben ist mit Leib und Seele. – Beide sind wunderliche Träumer, aber jeder auf seine Weise, übrigens aber entschiedene Mesmerianer.« – Unter diesem Gespräch waren die Freunde bis an des Gartens großes Gattertor gelangt, durch welches soeben der türkische Gesandte einzog. Ein kleiner rundlicher Mann mit einem schönen türkischen Pelz und hohem aus farbigten Shawls aufgewickeltem Turban angetan. Aus Gewohnheit hatte er sich aber nicht von der eng anschließenden Zopfperücke mit kleinen Löckchen, aus Bedürfnis nicht von den filznen Podagristenstiefeln trennen können, wodurch freilich das türkische Kostüm schwer verletzt wurde. Seine Begleiter, die das abscheuliche musikalische Geräusch machten und in denen Willibald trotz der Vermummung Exters Koch und anderes Hausgesinde erkannte, waren zu Mohren angerußt und trugen spitze gemalte Papiermützen, den Sanbenitos nicht unähnlich, welches drollig genug aussah. Den türkischen Gesandten führte am Arm ein alter Offizier, nach seiner Tracht von irgend einem Schlachtfelde des Siebenjährigen Krieges erwacht und erstanden. Es war der General Rixendorf, Kommandant von G., der dem Hofrat zu Gefallen samt seinen Offizieren sich in das alte Kostüm geworfen hatte. »Salama milek!« sprach der Hofrat den Baron Exter umarmend, der sofort den Turban abnahm, und ihn wieder auf die Perücke stülpte, nachdem er sich den Schweiß von der Stirne mit einem ostindischen Tuch weggetrocknet. In dem Augenblick bewegte sich auch in den Zweigen eines Spätkirschenbaums der goldstrahlende Fleck, den Ernst schon lange betrachtet hatte, ohne enträtseln zu können, was da oben sitze. Es war bloß der Geheime Kommerzienrat Harscher in einem goldstoffnen Ehrenkleide, ebensolchen Beinkleidern und silberstoffner mit blauen Rosenboukets bestreuter Weste, der nun sich aus den Blättern des Kirschbaums entwickelte, und für sein Alter behende genug auf der angelehnten Leiter herabstieg und mit ganz feiner etwas quäkender Stimme singend oder vielmehr kreischend: »Ah! che vedo – o dio che sento!« dem türkischen Gesandten in die Arme eilte. Der Kommerzienrat hatte seine Jugendzeit in Italien zugebracht, war ein großer Musikus und wollte noch immer mittelst eines lang geübten Falsetts singen wie Farinelli. »Ich weiß«, sprach Willibald, »daß Harscher sich die Taschen mit Spätkirschen vollgestopft hat, die er, irgend ein Madrigal süß lamentierend, den Damen präsentieren wird. Da er aber wie Friedrich der Zweite den Spaniol ohne Dose in der Tasche ausgeschüttet trägt, wird er mit seiner Galanterie nur widerwilliges Ablehnen und finstre Gesichter einernten.« – Überall war nun der türkische Gesandte sowie der Held des Siebenjährigen Krieges mit Freude und Jubel empfangen worden. Letzterer wurde von Julchen Foerd mit kindlicher Demut begrüßt, tief beugte sie sich vor dem alten Herrn und wollte ihm die Hand küssen, da sprang aber der türkische Gesandte wild dazwischen, rief. »Narrheiten, tolles Zeug!« umarmte Julchen mit Heftigkeit, wobei er dem Kommerzienrat Harscher sehr hart auf die Füße trat, der aber vor Schmerz nur ein ganz klein wenig miaute und rannte dann mit Julien, die er unter den Arm gefaßt, davon. – Man sah, daß er sehr eifrig mit den Händen focht, den Turban auf- und abstülpte usw. »Was hat der Alte mit dem Mädchen vor?« sprach Ernst. »In der Tat«, erwiderte Willibald, »es scheint Wichtiges, denn, ist Exter gleich des Mädchens Pate und ganz vernarrt in sie, so pflegt er doch nicht sogleich aus der Gesellschaft mit ihr davonzulaufen.« – In dem Augenblick blieb der türkische Gesandte stehen, streckte den rechten Arm weit von sich und rief mit starker Stimme, daß es im ganzen Garten widerhallte: »Apporte!« – Willibald brach in ein lautes Gelächter aus. »Wahrhaftig«, sprach er dann, »es ist weiter nichts, als daß Exter Julien zum tausendstenmal die merkwürdige Geschichte vom Seehunde erzählt.« Ernst wollte diese merkwürdige Geschichte durchaus wissen. »Erfahre denn«, sprach Willibald, »daß Exters Palast dicht am Bosporus lag, so daß Stufen von dem feinsten karrarischen Marmor hinabführten ins Meer. Eines Tages steht Exter auf der Galerie in die tiefsinnigsten Betrachtungen versunken, aus denen ihn ein durchdringender gellender Schrei hinausreißt. Er schaut hinab und siehe, ein ungeheurer Seehund ist aus dem Meer hinaufgetaucht und hat einem armen türkischen Weibe, die auf den Marmorstufen saß, den Knaben von dem Arm hinabgerissen, mit dem er eben abfährt in die Meereswellen. Exter eilt hinab, das Weib fällt ihm trostlos weinend und heulend zu Füßen. Exter besinnt sich nicht lange, er tritt dicht ans Meer auf die letzte Stufe, streckt den Arm aus und ruft mit starker Stimme: >Apporte!< – Sogleich steigt der Seehund aus der Tiefe des Meers, im weiten Maule den Knaben, den er zierlich und geschickt, wie auch ganz unversehrt dem Magier überreicht und sodann jedem Dank ausweichend, sich wieder entfernt in das Meer niedertaucht.« – »Das ist stark – das ist stark«, rief Ernst. »Siehst du wohl«, fuhr Willibald fort, »siehst du wohl, wie Exter jetzt einen kleinen Ring vom Finger zieht und ihn Julien zeigt? Keine Tugend bleibt unbelohnt! – Außer dem, daß Exter dem türkischen Weibe den Knaben gerettet hatte, so beschenkte er sie noch, als er vernahm, daß ihr Mann ein armer Lastträger, kaum das tägliche Brot zu verdienen vermochte, mit einigen Juwelen und Goldstücken, freilich nur eine Lumperei, höchstens zwanzig- bis dreißigtausend Taler an Wert; darauf zog das Weib einen kleinen Saphir vom Finger und drang ihn Extern auf mit der Versicherung, es sei ein teures ererbtes Familienstück, das nur durch Exters Tat gewonnen werden könne. Exter nahm den Ring, der ihm von geringem Werte schien und erstaunte nicht wenig, als er später durch eine kaum sichtbare arabische Inschrift an des Ringes Reif belehrt wurde, daß er des großen Alis Siegelring am Finger trage, mit dem er jetzt zuweilen Mahomeds Tauben heranlockt und mit ihnen konversiert.« – »Das sind ganz erstaunliche Dinge«, rief Ernst lachend, »doch laß uns sehen, was dort in dem geschlossenen Kreise vorgeht, in dessen Mitte ein klein Ding, wie ein kartesianisches Teufelchen, auf- und niedergaukelt und quinkeliert.« -

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Release date on Litres:
21 May 2019
Volume:
430 p. 1 illustration
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