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Aufgabe 2: Der Streit um Werbekampagne und Akteneinsicht
A. Die Klage auf Unterlassung der Werbekampagne
I. Die Zulässigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Klage
1. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

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Da eine ausdrückliche Zuweisung fehlt[41], richtet sich die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges nach der Generalklausel des § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Ob eine Streitigkeit öffentlich- oder bürgerlich-rechtlich ist, beurteilt sich nach der Natur des streitgegenständlichen Rechtsverhältnisses[42]. Wird auf Unterlassen, Widerruf oder Beseitigung von Maßnahmen der Organe einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft geklagt, teilt der entsprechende Anspruch die Rechtsnatur des zugrunde liegenden Sachverhalts. Eine Äußerung ist dann als öffentlich-rechtlich zu qualifizieren, wenn sie in einem engen Funktions- bzw Sachzusammenhang mit dem Bereich hoheitlicher Betätigung steht und auf vorhandene oder vermeintlich vorhandene öffentlich-rechtliche Befugnisse gestützt wird[43]. Die IHK Pfalz ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts Teil der mittelbaren Selbstverwaltung und nimmt hoheitliche Aufgaben wahr. Die Streitigkeit ist folglich öffentlich-rechtlich. Mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit ist die Streitigkeit zudem nicht als verfassungsrechtlich zu qualifizieren. Auch eine abdrängende Sonderzuweisung ist nicht einschlägig, sodass der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.

2. Statthafte Klageart

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Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klägerbegehren (§ 88 VwGO), das sich wiederum an der Rechtsnatur der beanstandeten Maßnahme orientiert. L begehrt die Unterlassung der durch die IHK angelegten Kampagne „Buy Pälzisch!“ sowie Akteneinsicht. Da beides als schlichtes Verwaltungshandeln einzuordnen ist, kommt als Klageart nur die zwar in der VwGO nicht ausdrücklich normierte, aber an verschiedenen Stellen (vgl §§ 43 Abs. 2, 111, 113 Abs. 4 VwGO) vorausgesetzte allgemeine Leistungsklage in Betracht. L hat dem Sachverhalt nach einen entsprechenden Leistungsantrag gestellt.

Alternativ stünde nach der Rspr für Klagen gegen die Verwaltung neben der allgemeinen Leistungsklage auch die Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO) zur Verfügung[44]. Insbesondere sei diese gegenüber einer Unterlassungsklage nicht subsidiär iSv § 43 Abs. 2 VwGO, da die ratio der Subsidiaritätsklausel nur eingreife, wenn ansonsten strengere Sachentscheidungsvoraussetzungen umgangen würden. Diese auf das Reichsgericht (und damit Streitigkeiten auf dem ordentlichen Rechtsweg) zurückgehende „Ehrenmanntheorie“ wird in der Literatur[45] allerdings der eindeutige Wortlaut des § 43 Abs. 2 VwGO entgegengehalten. Da allerdings auch nach der Rechtsprechung kein Vorrang der Feststellungsklage gegeben ist, sondern lediglich dem Kläger ein Wahlrecht eingeräumt wird, kann es dahinstehen, ob man diese Rechtsprechung überhaupt auf die mittelbare Staatsverwaltung übertragen kann[46]. Nur mit der Leistungsklage kann sich L jedenfalls einen gegebenenfalls vollstreckbaren Titel verschaffen[47].

3. Klagebefugnis

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Auch für die allgemeine Leistungsklage wird die Klagebefugnis analog § 42 Abs. 2 VwGO als Sachurteilsvoraussetzung gefordert, um Popularklagen auszuschließen.

Als möglicherweise verletzte Rechtsposition kann L vorliegend Art. 2 Abs. 1 GG iVm Art. 19 Abs. 3 GG geltend machen, da dieses Grundrecht nicht nur davor schützt, überhaupt von einer Zwangsmitgliedschaft betroffen zu sein, sondern auch davor, dass eine solche Körperschaft, die ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung im Wesentlichen in der Repräsentation der Interessen ihrer Mitglieder findet, ihren gesetzlichen Aufgabenbereich jedenfalls nicht überschreitet. Wird eine Industrie- und Handelskammer über die ihr zugewiesenen Aufgaben hinaus tätig, kann dem auch der einzelne Kammerzugehörige mit einer Unterlassungsklage entgegentreten, ohne dass es darauf ankäme, ob er dadurch einen darüber hinausgehenden rechtlichen oder spürbaren faktischen Nachteil erleidet[48]. Vorliegend ist nicht ausgeschlossen, dass die IHK mit der Kampagne „Buy Pälzisch“ ihren gesetzlich zugewiesenen Aufgabenkreis überschritten hat, sodass es als möglich erscheint, dass der Anspruch auf Unterlassung besteht.

4. Klagegegner, Beteiligten- und Prozessfähigkeit

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Der richtige Klagegegner richtet sich auch im Rahmen der allgemeinen Leistungsklage nach dem Rechtsträgerprinzip, welches § 78 VwGO zugrunde liegt. Folglich ist die Klage unmittelbar gegen die Körperschaft zu richten. Richtiger Klagegegner ist also die IHK Pfalz. Als juristische Personen sind gemäß § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO sowohl L als auch die IHK (§ 3 Abs. 1 IHKG) beteiligtenfähig. Die Prozessfähigkeit richtet sich jeweils nach § 62 Abs. 3 VwGO. Die IHK wird somit nach näherer Maßgabe ihrer Satzung durch Präsident und Hauptgeschäftsführer vertreten, § 7 Abs. 2 IHKG, L durch ihren Geschäftsführer, § 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG.

5. Zuständigkeit des Gerichts

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Die sachliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts bestimmt sich nach § 45 VwGO. Die nach dem Sachverhalt zu unterstellende örtliche Zuständigkeit des VG Neustadt a.d.W. ergibt sich aus § 52 VwGO iVm § 3 Abs. 2 Nr. 3 GerOrgG-Rlp.

6. Zwischenergebnis

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Die Klage ist somit zulässig.

II. Die Begründetheit

Die allgemeine Leistungsklage wäre zudem auch begründet, wenn L der geltend gemachte Unterlassungsanspruch tatsächlich zusteht.

1. Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs

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Zunächst ist dessen Grundlage zu klären. Eine spezielle Regelung gibt es hierzu im IHKG nicht, so dass auf die allgemeinen Grundsätze zu rekurrieren ist. Dass es einen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch gibt, ist allgemein anerkannt, ohne dass man Einigkeit über seine Herleitung erzielt hätte[49]. Er wird zum Teil unmittelbar aus dem Grundrecht abgeleitet, dem der Eingriff droht, teilweise aus § 1004 BGB analog oder gar aus dem Folgenbeseitigungsanspruch. Der Unterlassungsanspruch könnte sich vorliegend unmittelbar aus Art. 2 Abs. 1 GG (iVm Art. 19 Abs. 3 GG) ergeben, da ein ungerechtfertigter Eingriff in dieses Grundrecht eines Mitglieds einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft vorliegt, sofern diese ihren gesetzlichen Aufgabenbereich überschreitet und damit ohne Rechtsgrundlage handelt[50].

Hinweis:

Sofern man in Aufgabe 1 der Gegenauffassung folgt und die Pflichtmitgliedschaft in einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft an der Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG misst, wäre konsequenterweise auch der mögliche Abwehranspruch aus diesem Grundrecht herzuleiten. Ein vergleichbarer Abwehranspruch könnte wohl auch aus den Grundfreiheiten entwickelt werden. Eine solche Weiterentwicklung wäre aber nur erforderlich, wenn sich das unionsrechtlich indizierte Ergebnis – die Einräumung von Abwehr- und Unterlassungsansprüchen gegen grundfreiheitenwidriges hoheitliches Handeln – anders nicht erzielen ließe. Es genügt jedoch dem Äquivalenzprinzip, wenn man den Anspruch dogmatisch aus Art. 2 Abs. 1 GG ableitet, ihn aber auch zur Durchsetzung unionsrechtlich begründeter Ansprüche mobilisiert. Auch die Tatsache, dass es sich bei L um eine ausländische juristische Person handelt, steht dem Anspruch nicht entgegen. Dies folgt entweder bereits daraus, dass es sich um einen zwar in den Grundrechten wurzelnden, aber einfachrechtlichen Anspruch handelt, oder aber daraus, dass sich – in unionsrechtskonformer Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG – auch juristische Personen des Privatrechts aus EU-Mitgliedstaaten auf die Grundrechte berufen können[51] (s. zu dieser Problematik ausf Fall 2). Für welche dogmatische Begründung man sich entscheidet, hat auf das Ergebnis keinen Einfluss.

Im Ergebnis steht dem einzelnen Mitglied ein Unterlassungsanspruch gegen solche Maßnahmen zu, die nicht zum gesetzlich zugewiesenen Aufgabenbereich der Körperschaft gehören, dem Gebot der Verhältnismäßigkeit widersprechen oder sonst gegen höherrangiges Recht verstoßen. Dieser Anspruch setzt daher auch keine bewusste oder offensichtliche Überschreitung der Aufgaben voraus und besteht unabhängig davon, dass auch die Staatsaufsicht verpflichtet ist, auf die Einhaltung der der Kammer gesetzten Grenzen zu achten. Vor allem aber besteht der Unterlassungsanspruch unabhängig davon, ob mit der konkret gerügten Maßnahme eine Betroffenheit des Klägers in eigenen Rechten einhergeht; es kommt allein auf die Kompetenzüberschreitung an[52]. Dieser Ansatz überzeugt, stellt doch dieser umfassende Kontrollanspruch das (verfassungsrechtlich notwendige) Korrektiv der Pflichtmitgliedschaft dar[53]. Hält man den Kammerbeitrag gerade auch deswegen für zumutbar, weil die übertragenen Aufgaben angemessen sind, so müsste sich daraus auch ein Anspruch ableiten lassen, auf solche Aufgaben zu verzichten, die für die konkrete Kammer mit zu hohen finanziellen Risiken verbunden wären.

Hinweis:

Insoweit bedarf die bisherige Rechtsprechung einer Überprüfung, nach der ein Mitglied nicht geltend machen kann, die Kammer habe eine Aufgabe nicht ordnungsgemäß wahrgenommen[54]. Diese Fallgruppen lassen sich aber in der Praxis nur schwer auseinanderhalten, wie auch der vorliegende Fall zeigt: Es käme dann entscheidend darauf an, ob man eine solche Kampagne generell als Kompetenzüberschreitung ansähe oder ob man die Förderung regionaler Produkte als zulässig ansieht und lediglich die konkrete Kampagne als nicht ordnungsgemäße Wahrnehmung der Kompetenzen einstuft. Gleichzeitig verbinden sich hier die ungelösten Fragen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs mit denjenigen, der kammerrechtlichen „Mitgliederklage“. Selbstverständlich sind in der Klausur an dieser Stelle sämtliche Auffassungen vertretbar und kann keine Vertiefung dieser Problematik erwartet werden. Es genügt das entsprechende Problembewusstsein.

2. Kompetenzüberschreitung aufgrund einer Missachtung der einfachgesetzlichen Vorgaben

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Voraussetzung für einen solchen Anspruch wäre, dass die Maßnahme der IHK nicht von ihrer gesetzlichen Aufgabenzuweisung gedeckt wäre. Maßgeblich ist insoweit § 1 IHKG, der eine Umschreibung des Aufgabenkreises der IHK enthält und trotz der generalklauselartigen Formulierung der Absätze 1 bis 3 – anders als bei Gemeinden – keine Allzuständigkeit normiert. Die Kampagne könnte allerdings deshalb dem Aufgabenkreis der Kammer unterfallen, da diese, gemäß Absatz 1 der Vorschrift, als eine Hauptaufgabe, die Förderung der gewerblichen Wirtschaft ihres Bezirks zugewiesen bekommt. Die Kammer und ihre Organe entscheiden dabei in eigener Verantwortung über die Maßnahmen, die sie für notwendig halten und die Mittel, die sie dafür einsetzen wollen[55]. Mit dem Aufruf will die IHK Pfalz die ihr angehörenden Betriebe fördern, sodass darin eine Förderung der gewerblichen Wirtschaft zu erblicken sein könnte. Das BVerwG lässt es dabei genügen, wenn ein Sachverhalt „zumindest am Rande“ die Interessen der gewerblichen Wirtschaft berührt[56]. Andererseits zeigt sich am Beispiel der L, dass gerade nicht alle Mitglieder von der „Förderungsmaßnahme“ profitieren, sondern letztlich der gesamte Handel mit ausländischen Waren sogar nachteilig betroffen ist. Je stärker die Förderung der gewerblichen Wirtschaft in den Hintergrund tritt, desto stärker muss sie das Gesamtinteresse der ihr zugehörigen Gewerbetreibenden im Blick behalten, dessen Wahrnehmung ihr in § 1 Abs. 1 IHKG ebenfalls aufgetragen ist. Dabei kann sich die Wahrnehmung des Gesamtinteresses der Bezirkswirtschaft in allen denkbaren Formen vollziehen und umfasst daher auch die Öffentlichkeitsarbeit. Dieses Gesamtinteresse ist dabei weder eine Summe oder Potenzierung der Einzelinteressen noch der kleinste gemeinsame Nenner, sondern setzt nach einer Ermittlung der Einzelinteressen deren Abwägung und den Versuch des Ausgleichs voraus[57]. Es kann also sehr wohl im Widerspruch zu den Interessen eines bestimmten kammerzugehörigen Unternehmens stehen. Voraussetzung dafür, dass von der Wahrnehmung des Gesamtinteresses gesprochen werden kann, ist allerdings, dass die verschiedenen Einzelinteressen bedacht werden und ein Ausgleich versucht wird. Durch die Kampagne „Buy Pälzisch!“ zielt die IHK auf eine Förderung der Gesamtheit der Mitglieder ab. Eine Hervorhebung bestimmter Mitgliedsgruppen soll dagegen nicht erreicht werden. Andererseits hat die Kammer zu bedenken, dass sie sich nicht nur aus solchen Unternehmen zusammensetzt, die ihre Waren vollständig in der Region produzieren. Auch die Interessen derartiger Mitglieder, die in der Region produzieren, die allerdings das Produkt letztlich nicht als solch regionales Produkt vertreiben, muss die Kammer in die Ermittlung des Gesamtinteresses einfließen lassen. Durch den Aufruf, nur noch Produkte mit „spezifischem“ Bezug zur Pfalz zu kaufen, werden derartige Mitglieder sogar ganz bewusst aus der Aktion herausgenommen, ohne dass ein sachlicher Grund erkennbar ist, warum die Kampagne nur bestimmte Mitglieder erfassen soll. Somit ist davon auszugehen, dass die Kampagne nicht vom Gesamtinteresse der zugehörigen Gewerbetreibenden umfasst ist, sodass der Aufruf nicht als von der Aufgabenzuweisung umfasst angesehen werden kann. Möglicherweise lässt die Gestaltung bereits aus diesen Gründen „das höchstmögliche Maß an Objektivität und die notwendige Sachlichkeit und Zurückhaltung“ vermissen, die das BVerwG[58] und das BVerfG gefordert haben. Zu dem zu beachtenden Rechtsrahmen gehören aber jedenfalls auch die verfassungs- und unionsrechtlichen Vorgaben.

Hinweis:

Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden die folgenden Fragen unter getrennten Überschriften geprüft. Strenggenommen handelt es sich gleichwohl um eine unions- und verfassungsrechtskonforme Auslegung der Aufgaben- und Kompetenznormen des IHKG. Allein die Übertragung der Aufgabe ermächtigt gerade nicht zu Grundrechtseingriffen, sodass umgekehrt die Aufgabennormen so ausgelegt werden müssen, dass sie Maßnahmen die – als Eingriff in Grundrechte und Grundfreiheiten – einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfen, gerade nicht erfassen. Die Prüfung von Grundfreiheiten und Grundrechten folgt der üblichen Prüfungsreihenfolge.

3. Kompetenzüberschreitung wegen Grundfreiheitenverstoßes
a) Grundfreiheiten als Maßstab von Maßnahmen der mittelbaren Selbstverwaltung

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Die Werbekampagne könnte gegen die Grundfreiheiten verstoßen. Dabei ist keinesfalls selbstverständlich, dass sich die Maßnahme der IHK überhaupt an den Grundfreiheiten messen zu lassen hat. Die Grundfreiheiten sind grundsätzlich staatsgerichtete Abwehrrechte. Eine unmittelbare Bindung Privater an die Grundfreiheiten (sog. unmittelbare Drittwirkung) kommt dagegen nur in Ausnahmefällen in Betracht. Allerdings ist der Begriff der Mitgliedstaaten nicht formal, sondern funktional zu verstehen[59] und erfasst alle mit staatlichen Verwaltungsfunktionen betrauten Stellen und sogar privatrechtliche Vereinigungen, soweit sie Verbandsvorschriften erlassen, die auf die grenzüberschreitende Betätigung Einfluss nehmen[60]. Die IHK Pfalz ist eine juristische Person des öffentlichen Rechts und als solche Teil der mittelbaren Staatsverwaltung und Adressatin der Grundfreiheiten. Irrelevant ist zudem die gewählte Handlungsform und damit auch die Frage des ,,zwingenden Charakters" der Maßnahme. Daher maß der EuGH eine staatliche Werbekampagne zu Recht als Maßnahme gleicher Wirkung an den Grundfreiheiten[61].

b) Einschlägige Grundfreiheit: der Schwerpunkt der Maßnahme

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In Betracht kommt entweder ein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit oder ein solcher gegen die Niederlassungsfreiheit. Die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) könnte betroffen sein, weil L sich durch Erwerb der Produktionsanlage und Gründung einer Zweigniederlassung dauerhaft in einen fremden Mitgliedstaat integriert hat. Insbesondere erfasst die Niederlassungsfreiheit nicht nur die Zulassung iSe „erstmaligen Fußfassens“, sondern verbietet auch alle Diskriminierungen bereits niedergelassener Selbstständiger im laufenden Geschäft[62]. Durch die Kampagne „Buy Pälzisch“ sollen Käufer dazu veranlasst werden, vorwiegend regionale Produkte zu kaufen; sie werden dabei nicht auf den Produktionsort, sondern den „landestypischen“ Charakter abstellen, so dass L vor allem deshalb einen Nachteil fürchten muss, weil die Weingummis trotz der Produktion in der Pfalz unter dem bekannten englischen Produktnamen vertrieben werden und von der Öffentlichkeit als englische Produkte wahrgenommen werden. Es könnte jedoch auch die Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 ff AEUV) einschlägig sein. Schließlich stellt die L in Kaiserslautern Weingummis her, welche sich im Unionsgebiet in freiem Verkehr befinden und ohne Weiteres dem Warenbegriff des Art. 28 Abs. 2 AEUV unterfallen. Allerdings könnte der erforderliche grenzüberschreitende Bezug fehlen, da L von Kaiserslautern aus zwar auch einen Internetversandhandel nach ganz Kontinentaleuropa betreibt, dieser aber von der Kampagne „Buy Pälzisch!“ der IHK Pfalz wohl nicht beeinträchtigt wird. Selbst wenn die Kampagne im Ausland bekannt werden sollte, würde sich niemand davon beeindrucken lassen, dass eine Berufskammer eines anderen Mitgliedsstaates für dortige regionale Produkte wirbt. Der EuGH nimmt zwar auch dann einen grenzüberschreitenden Sachverhalt an, wenn die Maßnahme keinen grenzüberschreitenden Bezug hat, sie sich jedoch dadurch auf den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedsstaaten auswirkt, dass sie den Vertrieb von Waren inländischen Ursprungs zum Nachteil eingeführter Waren begünstigt[63]. Dies lässt sich speziell hinsichtlich der L jedoch mit guten Gründen bezweifeln[64]. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass es im Rahmen des zu prüfenden Unterlassungsanspruchs gerade nicht darauf ankommt, dass L in ihren Grundfreiheiten beeinträchtigt wird, sondern darauf, ob die Kampagne insgesamt gegen die Grundfreiheiten verstößt. Damit spielt es keine Rolle, ob die Kampagne in Grundfreiheiten der L eingreift, also auch der grenzüberschreitende Bezug hinsichtlich seiner Waren gegeben ist. Vielmehr genügt es, dass sie insgesamt einen grenzüberschreitenden Bezug aufweist. Dies ist zu bejahen, da sie ja gerade die Förderung regionaler Produkte zum Gegenstand hat und deswegen darauf abzielt, dass in der Pfalz weniger ausländische Produkte gekauft werden.

Da sowohl Warenverkehrs- wie Niederlassungsfreiheit potentiell einschlägig sind, ist der Prüfungsmaßstab zu bestimmen. Der EuGH stellt insoweit (nur) auf die schwerpunktmäßig betroffene Grundfreiheit ab[65]. Da die Kampagne der IHK Pfalz ausschließlich die erzeugten Produkte, nicht die herstellenden Unternehmen betrifft, sprechen die besseren Gründe dafür, im vorliegenden Fall die Warenverkehrsfreiheit zu prüfen.

c) Eingriff und Rechtfertigung

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Zunächst ist der Eingriff näher zu prüfen. Da offensichtlich keine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung vorliegt, ist zu fragen, ob es sich um eine Maßnahme gleicher Wirkung handelt. Eine solche liegt nach der Dassonville-Formel vor, wenn die Maßnahme den innereuropäischen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell behindert[66]. Dies ist zu bejahen, da die Werbebotschaft der IHK Pfalz die Verbraucher veranlassen könnte, regionale Produkte anstatt einer importierten Ware zu kaufen[67]. Dabei kommt es für die ursprünglich auf „Handelsregelungen“ bezogene Dassonville-Formel nicht auf den Regelungscharakter, sondern alleine auf die Wirkung der Maßnahme an. Allenfalls könnte eine Anwendung des Art. 34 AEUV aufgrund der Grundsätze der Keck-Rechtsprechung[68] ausscheiden. Dies setzte aber schon voraus, dass es sich um eine unterschiedslos geltende Maßnahme handelt. Da die Kampagne alleine die typisch regionalen Produkte stärken soll und somit explizit an die Herkunft der Ware anknüpft, eine Begünstigungswirkung auch für importierte Produkte damit von vorneherein ausscheidet, liegt folglich eine formal diskriminierende Maßnahme vor. Die Keck-Rechtsprechung kommt somit nicht zur Anwendung.

Der festgestellte Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit könnte jedoch gerechtfertigt sein. Aufgrund des diskriminierenden Charakters der Maßnahme scheidet jedoch eine Rechtfertigung nach der Cassis-Formel[69] aus, sodass einzig die geschriebenen Rechtfertigungsgründe des Art. 36 AEUV die Maßnahme legitimieren können.

In Betracht kommt hier zunächst der Rechtfertigungsgrund des Gesundheitsschutzes. Die Werbung für Regionalprodukte könnte das Ziel verfolgen, die Verbraucher zum Verzehr frischer und werthaltiger Kost zu bewegen. Ein solch allgemeiner Qualitätsschutz fällt allerdings nicht unter Art. 36 S. 1 AEUV, da er nicht primär im Interesse des Schutzes der Gesundheit erfolgt[70]. Zudem ist vorliegend die Kampagne nicht auf Lebensmittel beschränkt, sodass auch deshalb der Bezug zum Gesundheitsschutz nicht intensiv genug ist. Weiter könnte als Rechtfertigungsgrund der Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums eingreifen. Der EuGH erkennt in ständiger Rechtsprechung an, dass geschützte geografische Herkunftsangaben unter bestimmten Voraussetzungen hierunter subsumiert werden können. Allerdings werden hier gerade keine solchen geschützt, so dass es auch nicht darauf ankäme inwieweit ein solcher zusätzlicher Schutz neben dem unionsrechtlichen Regime überhaupt zulässig wäre (s. ausführlicher dazu Fall 6). Nach alledem kommt eine Rechtfertigung der Maßnahme nicht in Betracht. Der Aufruf „Buy Pälzisch!“ verstößt gegen die Warenverkehrsfreiheit aus Art. 28 AEUV. Daraus folgt ein Unterlassungsanspruch der L.