Bannsymbole

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Bannsymbole
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Elias Reich

Bannsymbole

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Impressum neobooks

Kapitel 1

Violetta saß am Küchentisch, aß einen Stuten mit Marmelade und blätterte in einer Zeitschrift. Möglichst unauffällig linste sie über den Rand der Zeitschrift zu Oskar, der ihr gegenüber am Tisch saß und seine Hand kühlte. Seine braunen Haare waren kurzgeschnitten und er trug einen Drei-Tage-Bart. Ein schwarzes T-Shirt spannte sich über seinem muskulösen Oberkörper. In seinen Augenbrauen zeichneten sich einige Narben ab und seine Nase war etwas schief. Oskar bemerkte, dass sie ihn anschaute. “Ist irgendwas?“ Sie runzelte die Stirn. “Könntest du mir bitte nochmal erklären, wo du gerade warst? Und wie es dazu gekommen ist, dass deine Fingerknöchel aufgerissen und geschwollen sind?“ “Sagte ich doch schon“, erwiderte er. “Ich hatte was geschäftliches zu erledigen. Jemand hat mich beauftragt eine Schuld einzutreiben. Der Schuldner war mit seinen Raten im Rückstand... da musste ich ihn etwas auf die Sprünge helfen.“ “Und dafür hast du ihn verprügelt?“ Oskar verdrehte die Augen. “Wie lange wohnen wir jetzt schon zusammen? Du kennst doch meine Geschäftsmethoden, oder nicht?! Natürlich habe ich mein Anliegen verdeutlicht. So Leute darf man nicht vom Haken lassen und schon gar nicht nachsichtig sein! Ansonsten kriegt man das Geld nie!“ “Schon gut, schon gut“, sagte Violetta. “Du bist der Experte! Ich meine ja nur... Ist ja auch egal. Mal was anderes: Wann steht deine nächste Verwandlung an?“ Oskar verzog das Gesicht. “Noch zwei Nächte, dann ist wieder Vollmond. Da komme ich nicht drum herum. Warum fragst du?“ “Nur so“, antwortete sie. “Ich will nur Bescheid wissen, wenn du über Nacht außer Haus bist, um Karnickel zu jagen und nackt durch den Wald zu rennen.“ Er nickte. “Dann bist du ja jetzt informiert.“ Oskar war ein Werwolf. Alle 7 bis 10 Tage und in jeder Vollmondnacht ging er in den Wald und verwandelte sich in einen Wolf, um sich am Hintern zu schnuppern und im Dreck zu wälzen und was Werwölfe sonst noch so tun. Bei dem Gedanken musste Violetta kichern. Er runzelte die Stirn. “Was ist denn jetzt so komisch?“ “Nicht so wichtig“, sagte sie. “Ich habe nur darüber nachgedacht, was du in deinen Wolfsnächten so machst. Mehr nicht.“ “Interessant“, sagte er. “Ich kann dir sagen, dass es ziemlich nervig ist, im Wald aufzuwachen und erst mal die eigenen Klamotten suchen zu müssen. Einmal ist mir eine besonders eifrige Morgenjoggerin begegnet, bevor ich meine Hose wieder hatte. Das war ziemlich peinlich.“ Violetta lachte los. “Ich kann es mir bildlich vorstellen! Deinen Gesichtsausdruck hätte ich zu gerne gesehen!“ Oskar inspizierte seine ramponierte Hand. “Schön, wenn du dich gut amüsierst. Ich fand das damals nicht so toll.“ “Habe ich mir schon gedacht“, sagte sie lächelnd. “FKK wäre auch nicht so dein´s, oder?“ Er verzog das Gesicht. “Mit Sicherheit nicht. Mal abgesehen davon, kann ich mit meinen vielen Narben nicht mal ins Freibad. Da kriegt irgendeiner Angst und ruft die Polizei.“ Da ist was dran, dachte Violetta. Das Leben als Werwolf war nicht spurlos an Oskar vorbeigegangen. Sein Körper war übersät mit Narben. Seufzend erhob sich Oskar und reckte sich. “Genug davon. Langsam wird es spät. Ich mache mit bettfertig. Wenn noch irgendwas ist, sag mir Bescheid.“ “Sicher“, sagte sie. “Schlaf gut.“ “Danke, du auch“, sagte er, tätschelte ihre Schulter und verließ die Küche. Eine Weile saß Violetta noch am Küchentisch und las ihre Zeitschrift, dann stand sie auf und wollte hoch in ihr Zimmer gehen, doch da hörte sie die Türklingel. Sie runzelte die Stirn. Wer kann das sein, um diese Uhrzeit? Neugierig lief sie zur Haustür und schaute durch den Türspion. Eine Frau stand draußen und klingelte erneut an. Überrascht öffnete Violetta die Tür. Die fremde Frau sah aus, wie eine Mischung aus Schwimmerin und Gewichtheberin. Sie hatte breite Schultern, muskulöse Arme und kräftige Beine. Trotz der maskulinen Statur fehlte es ihr nicht an Weiblichkeit. Ihre Haare waren dunkel, wild gelockt und steckten in einem praktischen Zopf. Ihre Haut war gut gebräunt. Sie trug Lederhosen, Stiefel und eine graue Armee Jacke. Die Unbekannte schaute Violetta irritiert an. “Entschuldigung, wer sind Sie? Wohnt hier nicht >Oskar Weidmann<?“ “Doch. Der wohnt hier“, antwortete Violetta. “Aber wer sind Sie? Ich kenne Sie nicht und Oskar hat nichts von einem Besuch erwähnt...“ Da bemerkte sie einen blutigen Verband, der unter der Jacke der Fremden hervorragte. Möglichst unauffällig wich Violetta zurück. Die Frau schwankte leicht. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn. “Ich bin eine alte Freundin“, erklärte sie. “Mein Besuch ist eher spontaner Natur. Kann ich reinkommen? Ich hätte gerne ein Glas Wasser.“ Violetta dachte fieberhaft nach. Eigentlich wollte sie so schnell, wie möglich die Tür zuschlagen und zu Oskar rennen, doch wohl möglich war die Frau hier wirklich eine alte Freundin und sie würde sich mit ihrem Ausraster zum Affen machen. Gezwungen lächelte sie. “Moment, bitte. Ich hole Oskar.“ Doch da kam er auch schon. Verwirrt schaute er Violetta an. “Was ist denn hier los? Ich habe die Türklingel und Stimmen gehört...“ Da fiel ihm die Frau vor der Tür ins Auge. “Livia, was machst du denn hier? Und warum rieche ich dein Blut?!“ Die Frau lächelte. “Ich war aus beruflichen Gründen in der Gegend und dachte, ich statte dir mal einen Besuch ab. Kann ich reinkommen?“ “Sicher“, sagte Oskar. “Komm rein. Wie schwer bist du verletzt? Ich nehme an, es ist ganz sinnvoll, wenn ich meinen Verbandskasten hole.“ Livia ging an Violetta vorbei durch die Tür. Ihre Knie zitterten. “Das wäre, glaube ich, ganz angebracht. Danke!“ Er nickte. “Okay. Dann komm mit in die Küche, da flicke ich dich zusammen. Warum hast du nicht vorher angerufen?“ “Mein Handy hat den Geist aufgegeben“, erwiderte sie. “Ansonsten hätte ich mich angekündigt.“ “Verstehe“, sagte Oskar. “Ist jetzt auch egal.“ Violetta starrte ihn fragend an. Er bemerkte ihren Blick und sagte: “Ich erkläre es dir später.“ Eilig führte er Livia in die Küche, setzte sie auf einen Stuhl und suchte seine Erste-Hilfe Ausrüstung zusammen. Er desinfizierte sich die Hände. “Also, dann lass mal sehen. Was hast du denn?“ Unter Schmerzen zog sich Livia die Jacke aus und legte damit den Blick auf einen schlecht angelegten Verband frei, der um ihre Schulter und um ihren Brustkorb gewickelt war. Violetta stand etwas abseits und beobachtete alles. Oskar runzelte die Stirn. “Wie schlimm ist es? Hast du schon genäht?“ Livia schüttelte den Kopf. “Der Verband ist nur, um die Blutung in Grenzen zu halten. Nähen musst du.“ “Kein Problem“, erwiderte Oskar. “Kannst du den Arm heben?“ “Nein“, sagte sie. “Die Schulter ist ausgekugelt.“ “Oh“, sagte Oskar, trat an sie heran und begutachtete den Unterarm, des verletzten Armes. “Fühlt sich deine Hand oder dein Unterarm kalt an? Kribbelt irgendwas oder fühlt sich taub an?“ “Nein“, antwortete sie. “Alles bestens. Nur die Schulter ist im Arsch.“ “Gut“, sagte er. “Blau ist auch nichts. Das heißt schon mal, dass keine Blutgefäße verletzt sind!“ Er seufzte. “Ich denke, dass beste ist, wenn du dich jetzt auf den Boden legst und ich erst mal die Schulter wieder einrenke, bevor ich anfange zu nähen. Wenn wir es andersrum machen, reiße ich hinterher nur wieder die Naht auf.“ Livia nickte und stand auf. “Lass es uns hinter uns bringen!“ Sie legte sich flach auf den Fußboden. Oskar wandte sich an Violetta. “Kannst du schon mal einen großen Eisbeutel vorbereiten? Das wäre mir eine große Hilfe.“ Sie war etwas käsig um die Nase. “Klar. Mache ich.“ Oskar bedankte sich, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf Livia richtete. Behutsam nahm er ihren verletzten Arm und bewegte ihn bis er seitlich in einem 90 Grad Winkel von ihrem Körper Abstand. Gelassen setzte er sich neben sie auf den Boden und stemmte seine Füße gegen ihren Oberkörper, um die Hebelwirkung zu verbessern. Er atmete tief durch. “Auf drei fange ich an zu ziehen.“ Livia nickte und schloss die Augen, doch da fing Oskar schon an kräftig zu ziehen. Sie stöhnte auf vor Schmerz. Ihre Augenlider flatterten. Einige Momente passierte nichts, dann knirschte und knackte es laut. Vorsichtig legte Oskar den Arm wieder ab. Die Schulter war wieder eingerenkt. Keuchend krümmte Livia sich zusammen. “Du verdammter Bastard!“ Er lächelte. “Bitte gern gesehen! Hat doch alles wunderbar geklappt. Jetzt kühlst du die Schulter kurz und danach nähe ich alles nötige.“ Er nahm Violetta, die absolut entsetzt wirkte, den Eisbeutel ab, und legte ihn auf die ramponierte Schulter. “Entspann dich für den Moment und sammle deine Kräfte. Gleich geht es weiter. Wenn ich irgendwas für dich tun kann, sag es einfach.“ Livia zischte. “Gib es doch zu! Dir macht das doch Spaß!“ Oskar verdrehte die Augen. “Da sprechen doch nur die Schmerzen aus dir. Du weiß, dass ich das nicht gerne tue, aber es muss getan werden! Wäre es dir lieber, wenn ich jetzt zu einem nervlichen Wrack werde, anfange zu heulen und eine Panikattacke kriege? Oder soll ich lieber ruhig, kompetent und freundlich bleiben?“ “Halt´s Maul!“, knurrte sie. “Und komm mir jetzt nicht mit Logik!“ Entschuldigend hob Oskar die Hände. “Verzeihung! Kommt nicht wieder vor!“ Er stand auf und sortierte seine Ausrüstung. “Wie auch immer. Gleich geht es jedenfalls weiter.“ Langsam schlenderte er zu Violetta, die ziemlich schockiert aussah. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. “Du kannst ruhig gehen. Es gibt keinen Grund, warum du dir das ansehen musst.“ “Ich bleibe“, sagte sie mit fester Stimme. “Mit so etwas muss ich umgehen können!“ “Na gut“, erwiderte er. “Ich respektiere deine Entscheidung, aber nur damit du es weißt, gleich wird es blutig.“ Sie nickte. “Ich komm schon klar. Konzentriere dich lieber auf deine Patientin!“ Oskar schmunzelte und wandte sich wieder an Livia. “Der Arm kommt jetzt für´s erste in eine Schlinge, um die Schulter zu entlasten, danach entferne ich den alten Verband und fange an zu nähen. Ich glaube, dafür muss dein Oberteil weg, damit ich vernünftig arbeiten kann.“ “Das mein Shirt es nicht überlebt ist aktuell nicht mein größtes Problem“, grummelte sie. Oskar ging neben ihr in die Hocke und legte ihr vorsichtig die Schlinge an, dann half er ihr behutsam hoch und sie setzte sich wieder auf den Stuhl. Nun zog er sich Latexhandschuhe über und nahm sich eine Verbandsschere. Violetta beobachtete, wie er Livias T-Shirt und den Verband aufschnitt. Nun saß sie nur noch in BH und Hose da. Eine breite Schnittwunde zog sich über ihre Schulter und über ihren Brustkorb, bis einige Zentimeter unter dem Schlüsselbein. Violetta konnte sehen, dass Livia nicht zum ersten mal verwundet wurde. Auf ihrem Oberkörper waren einige Narben zu sehen, wenn auch bei weitem nicht so viele, wie bei Oskar. Was hat es auf sich mit dieser Frau?, fragte sich Violetta. Und woher kennt Oskar die?! Unruhig trat Violetta von einem Fuß auf den anderen. Oskar reinigte nun die Wunde und begann zu nähen. Mit flicken Fingern verschloss er die Wunde und legte einen Verband an. Der Mann war vom Fach. Anschließend führte er einige weitere kleinere Untersuchungen durch, die aber alle ohne Befund blieben. Livia fehlte nichts weiter. Oskar atmete tief durch. “Geschafft! Soweit ist alles versorgt. Kann ich sonst noch was für dich tun?“ “Kann ich die Nacht über hier bleiben?“, fragte Livia. “Ich möchte mir jetzt ungern noch ein Hotelzimmer suchen müssen oder im Auto übernachten...“ “Natürlich kannst du bleiben“, erwiderte Oskar. “Du kannst mein Schlafzimmer nehmen. Ich beziehe dir eben das Bett frisch.“ Livia runzelte die Stirn. “Was ist mit deinem Gästezimmer?“ “Das gehört jetzt Violetta“, erklärte er. “Also ist das keine Option.“ Livia musterte Violetta. “Interessant... Danke, Oskar.“ Er winkte ab. “Nicht der Rede wert. Komm mit. Du brauchst den Schlaf.“ Sie erhob sich schwerfällig. Gemeinsam verließen sie die Küche. Violetta blieb alleine zurück und starrte vor sich hin. Fragen kreisten durch ihren Kopf. Sie wusste gar nicht, welche sie zuerst stellen sollte. Einige Zeit verging, dann kam Oskar zurück in die Küche. Besorgt musterte er Violetta. “Tut mir leid, dass du das jetzt mitangesehen hast.“ “Wer ist diese Frau?“, fragte sie. “Ist die auch eine Werwölfin?!“ Er machte große Augen. “Nein. Wie kommst du denn darauf?“ Sie zuckte mit den Schultern. “Die Frau ist muskelbepackt, hat Narben und irgendwoher kennt ihr euch. Da ist es naheliegend, dass sie eine Werwölfin ist, oder nicht?!“ “Da ist was dran“, erwiderte er lächelnd. “Aber nein, wie gesagt, Livia ist keine Werwölfin, sondern eine Amazone.“ “Eine was?!“ “ Eine Amazone“, wiederholte Oskar. “Kennst du nicht die Legenden von den weiblichen Kriegerstämmen?“ “Doch, doch. Die kenne ich schon“, grummelte sie. “Aber ich dachte nicht, dass da irgendetwas wahres dran wäre.“ “Tja, da hast du dich wohl vertan“, sagte er lächelnd. “Die Amazonen sind überaus real und Teil der übernatürlichen Welt.“ “Und was haben die für Fähigkeiten?!“ “Im Prinzip sind sie, wie Menschen auf Super-Anabolika“, sagte Oskar. “Schneller, stärker und ausdauernder. Verletzungen heilen leichter und ihr Alterungsprozess ist verlangsamt.“ “Aha“, sagte sie. “Also im Endeffekt, wie du nur ohne den haarigen Wolfskram?“ “Nicht ganz, aber so ähnlich“, sagte er. “Werwölfe sind stärker, außerdem sind die Sinne eines Werwolfes deutlich besser.“ “Hmmm“, machte sie. “Verstehe. Und woher kennst du eine Amazonenkriegerin?“ Er lächelte. “Du bist aber neugierig. Ich habe sie vor ein paar Jahren bei der Arbeit kennengelernt. Seitdem stehen wir in losem Kontakt.“ “Aber trotzdem so eng, dass sie dich spät Abends aufsucht, wenn sie schwer verletzt wurde!“, sagte sie. “Was ist ihr überhaupt passiert?!“ “Keine Ahnung“, sagte er. “Ich habe ihr Blut und das Blut von Trollen an ihr gerochen. Wahrscheinlich hatte sie irgendeinen Auftrag. Ich werde sie morgen danach fragen. Heute war sie schon zu müde.“ “Was für einen Auftrag?!“, fragte sie alarmiert. “Ist sie etwa eine Auftragskillerin?!“ “Ich frage sie morgen, worum es dabei ging“, erwiderte er. “Mach dir keine Gedanken.“ “Das war nicht das, was ich hören wollte!“, sagte Violetta. “Hast du gerade auf subtile Art und Weise bestätigt, dass deine Amazonenfreundin eine Auftragsmörderin ist?!“ Er grummelte. “Nein. Ist sie nicht... Zumindest nicht immer.“ “ Nicht immer ?! Willst du mich verarschen?!“ Er seufzte. “Ihr Stamm hat einen strengen Ehrenkodex, der ihnen vorschreibt, was für Aufträge sie annehmen dürfen und welche nicht. Das ist nicht so einfach zu erklären, dafür weiß ich darüber einfach zu wenig.“ “Das beruhigt mich nicht wirklich“, murmelte Violetta. “Klingt für mich ziemlich zwielichtig!“ Oskar zuckte mit den Schultern. “Entspann dich. Sie wird nicht für lange bleiben.“ Er rieb sich die Augen. “Genug davon. Es ist schon spät. Geh du ruhig ins Bett. Ich räume hier noch auf und bleibe wach, nur für den Fall, dass irgendwas mit Livia ist.“ Sie seufzte. “Na gut.“ Oskar lächelte und begann aufzuräumen. “Gute Nacht.“ “Bis Morgen“, sagte Violetta und ging.

 

Kapitel 2

Müde saß ich am Küchentisch und trank einen Tee. Livia stand am Herd und machte Rühreier mit Speck. Ihr verletzter Arm hing nach wie vor in einer Schlinge, doch es ging ihr schon viel besser. Herzhaft gähnend reckte und streckte ich mich. Ich war die ganze Nacht über wach geblieben und hatte auf meinen Besuch aufgepasst. Dementsprechend kaputt war ich jetzt. Ich plante erst mal gut zu frühstücken und mir anzuhören, was Livia eigentlich passiert war, bevor ich mich auf´s Ohr legen würde, um den Schlaf nachzuholen. Ich lehnte mich zurück und starrte an die Decke. In dem Moment näherten sich Schritte und Violetta kam in die Küche. Normalerweise war sie keine Frühaufsteherin und wenn sie mit mir zusammen frühstückte, kam sie meistens frisch aus dem Bett nach unten. Doch heute hatte sie bereits geduscht und sich zurecht gemacht. Ihre rabenschwarzen Haare waren noch feucht und glatt nach hinten gekämmt. Sie trug eine enganliegende lilane Jeans und eine knappe schwarze Bluse mit Spitze. Sogar Make-up hatte sie schon aufgetragen. Schwarzen Eyeliner, Lidschatten und roten Lippenstift hatte sie aufgetragen. Mit anderen Worten, sie sah aus, wie die blasse, hübsche Frau aus der Gruft... so wie eigentlich immer. Ich lächelte. “Guten Morgen. Ich hoffe, du hast gut geschlafen.“ “Sicher“, murmelte sie. “Du siehst müde aus. Warst du wirklich die ganze Nacht wach?“ Ich nickte. “Setzt dich doch. Jetzt gibt es Frühstück.“ Violetta griff sich einen Stuhl und nahm neben mir platz. Sie und Livia begrüßten sich knapp. Nun war das Essen fertig. Livia schaufelte mir und sich selbst die Eier mit Speck auf den Teller. Violetta verzichtete dankend. Sie wollte lieber etwas Obst essen. Wir begannen mit dem Frühstück. Ich schaute von meinem Teller hoch und zu Livia. “Also, was ist dir gestern passiert?“ Verstohlen warf sie Violetta einen Blick zu. Ich verdrehte die Augen. “Jetzt guck nicht so! Antworte mir einfach auf meine Frage! Wenn Violetta davon nichts hören dürfte, würde ich dich nicht fragen, während sie dabei ist!“ Violettas Augen wanderten von mir zu Livia. “Was ist hier los?!“ Ich winkte ab. “Nichts. Livia hat sich nur gefragt, ob du eine Eingeweihte bist. Mehr nicht.“ Die Amazone atmete tief durch. “Na gut. Einige Städte weiter hat eine Gruppe von Trollen für Ärger gesorgt. Die haben geplündert und immer wieder Leute ermordet. Das hat vielen nicht gefallen, deshalb hat mein Telefon geklingelt und ich habe den Auftrag gekriegt mich darum zu kümmern. Lange habe ich nicht gebraucht, um die Trolle aufzuspüren und auszuschalten, aber wie ihr ja gesehen habt, ist nicht alles glatt gegangen und ich wurde verletzt. Jedenfalls war ich in der Gegend und brauchte jemanden, der meine Verletzungen versorgen kann. Da dachte ich, es wäre in Ordnung, wenn ich vorbei komme.“ Ich lächelte. “Gut. Dann haben wir das auch geklärt. Wenn du willst, kannst du gerne noch ein paar Tage bleiben, bis du dich weiter erholt hast.“ “Danke“, sagte sie. “Meiner Schulter geht auch schon wieder besser.“ “Nachher können wir auch noch eine Kräutersalbe drauf machen, um Entzündungen zu verhindern und den Heilungsprozess noch weiter zu beschleunigen“, schlug ich vor und stand auf. “Aber jetzt lege ich mich erst mal hin. Wenn irgendwas wichtiges ist, weckt mich.“ Ich wollte mich gerade daran machen zu gehen, als mein Handy anfing zu klingeln. Wer kann das sein?, fragte ich mich und kramte es heraus. Es war Jovana. Meine platonische Vampirfreundin. “Hallo“, meldete ich mich. “Was kann ich für dich tun?“ “Hallo, Oskar“, sagte sie. “Kannst du zur Kneipe kommen? Ich muss etwas wichtiges mit dir besprechen.“ Ich rieb mir die Augen. “Wie dringend ist es? Muss es jetzt sofort sein?“ “Besser wäre es“, erwiderte sie. “Umso schneller, umso besser!“ Ich seufzte. “Okay. Ich verstehe. Bis gleich.“ Und schon legte ich auf. Fragend schauten mich Violetta und Livia an. Lächelnd verstaute ich mein Handy. “Ich muss eine Kleinigkeit erledigen. Violetta, willst du mit?“ “Sicher“, antwortete sie. “Ich mache mich eben fertig.“ “Gut“, sagte ich und wandte mich an Livia. “Fühle dich ganz wie zu Hause und ruhe dich weiter aus. Bald sind wir wieder da.“ Sie schnaubte. “Warum fragst du mich nicht, ob ich mitkommen will?“ “Weil ich dich nicht mitnehmen würde“, erwiderte ich. “Du bist mein Gast und du bist verletzt. Erhole dich. Außerdem würdest du dich eh nur langweilen. Ich muss nur was besprechen gehen. Nichts wildes.“ “Und mit wem?“, fragte sie neugierig. Ich verdrehte amüsiert die Augen. “Das geht dich nichts an. Bis später.“ Rasch suchte ich meine Sachen zusammen und ging zur Haustür. Dort wartete bereits Violetta. Nun trug sie auch noch klobige Stiefel und eine schwarze Lederjacke. Ich lächelte. “Bereit?“ “Natürlich“, erwiderte sie. “Wohin geht es denn?“ “Zur Kneipe von Jovana“, sagte ich, öffnete die Haustür und trat hinaus. “Sie muss irgendwas dringendes mit mir besprechen.“ “Hast du eine Ahnung, worum es geht?“ Ich schüttelte den Kopf. “Nö. Ich weiß nur, dass es nicht bis morgen warten kann. Das ist alles.“ “Hmmm“, machte sie. “Dann scheint es ja wichtig zu sein.“ “Oder sie dramatisiert nur“, sagte ich augenzwinkernd. “Ist ja auch egal. Wir werden sehen.“ Flott gingen wir zu meinem >Mercedes-Benz GLK<. Einem SUV mit Vierradantrieb und Automatikschaltung. Ich schloss den Wagen auf und stieg ein. Einige Meter weiter hatte Livia ihren Sportflitzer geparkt. Aufmerksam schaute ich mich um. Mein zweistöckiges Haus lag in einer etwas ländlicheren Gegend von Oberhausen. Nicht weit weg von hier gab es einige alte Bauernhöfe und Felder. Ich hatte das große Grundstück samt Haus vor einiger Zeit gekauft, als ich beschlossen hatte, längere Zeit in Oberhausen zu bleiben. Davor war ich jahrelang, als Nomade durch die Welt gereist. Nie mehr als nur ein paar Wochen oder Monate an einem Ort. Die Umstellung war mir zugegebenermaßen am Anfang nicht ganz leicht gefallen und dann hatte ich sogar eine Mitbewohnerin bekommen, was auch wieder Neuland für mich gewesen war. In einer folgenschweren Vollmondnacht war ich Violetta im Wald begegnet. Sie befand sich damals in einer ziemlich heiklen Lage und brauchte Hilfe. Ich half ihr und von da an wohnte sie bei mir. Als Violetta noch ganz klein war, sind ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Daraufhin lebte sie im Waisenhaus. Aus dem ist sie allerdings mit 16 Jahren ausgebügst, weil sie eigenartige Kräfte entwickelte und immer wieder zerstörerische Blackouts hatte, nach denen alles verwüstet war. Später fanden wir gemeinsam heraus, dass das daran lag, dass sie eine Halbdämonin war. Und nicht nur irgendeine Halbdämonin, sondern die Tochter von Baal, dem König der Hölle, oder der rechten Hand des Teufels... oder der leibhaftige Satans selbst. Da ist man sich nicht so ganz einig. Wie auch immer. Durch ihre Abstammung gab es einige Komplikationen. Normalerweise sind Halbdämonen Menschen mit ein paar Superkräften, doch Violetta hatte das Pech wirklich ein halber Dämon zu sein mit den selben diabolischen Zügen. Etwas was Violetta natürlich furchtbar fand. Außerdem gab es einige Legenden und Prophezeiungen darüber, dass sie gemeinsam mit ihrem Vater die Welt vernichten würde. So viel dazu. Jetzt zurück zum Wesentlichen. Wir fuhren nun schon eine Weile und ich linste zu Violetta hinüber. Sie schaute aus dem Fenster und spielte nachdenklich an ihrer Halskette herum. Vor kurzem hatten wir Ärger mit ein paar schwarze Magie betreibenden Hexen. Die brauchten Violetta für ein Ritual, um Baal zu beschwören. Damit sie Violettas Dämonenseite unter Kontrolle halten konnten, hatten sie irgendwelche kryptischen Symbole auf sie gemalt. Zum Glück gelang es mir die Situation zu bereinigen. Die Hexen stellten seitdem kein Problem mehr da, aber Violetta war ganz besessen von diesen Symbolen gewesen. Für sie waren diese Zeichen die Lösung all ihrer Probleme, weil sie ihr Dämonenerbe vollkommen unterdrückten. Deshalb hatte ich einen Schmuckmacher aufgetrieben, der aus diesen Symbolen silberne Kettenanhänger machen sollte. Nun besaß Violetta sowohl eine Halskette, als auch ein Armband, welche sie abwechselnd rund um die Uhr trug. Ich wollte nach wie vor mehr über die Magie hinter diesen Zeichen herausfinden, doch bisher hatte ich keinen Fachmann dafür gefunden. Vielleicht weiß ja Livia etwas darüber. Violetta räusperte sich. “Kann ich dich etwas fragen?“ “Selbstverständlich“, antwortete ich. “Ich kann dir nur nicht versprechen, dass ich die Antwort kenne.“ “Woher kennst du Livia?“, fragte sie. “Wie habt ihr euch kennengelernt?“ Ich zögerte. Einige Sekunden herrschte Stille, bevor ich mir einen Ruck gab. “Nach dem Auftritt gestern nehme ich an, du hast dir die Antwort darauf verdient. Also, das war so... Vor einigen Jahren war ich Türsteher in einem Nachtclub. Der Laden gehörte einem Zauberer. Zu der Zeit kamen immer wieder Drogendealer in den Club und wollten einen ihrer Leute da positionieren, um ihren Geschäften nachzugehen. Ich habe die jedes mal des Ladens verwiesen. Also fingen die an mir einen Anteil anzubieten. Ich habe abgelehnt. Was ich zu der Zeit nicht wusste war, das der Zauberer eine Abmachung mit den Drogendealer hatte. Die waren nun jedenfalls allesamt ziemlich angepisst. Deshalb sollte ich ausgeknipst werden. Um sich nicht selber die Hände schmutzig zu machen, sollte es eine Auftragsarbeit werden. Der Zauberer hatte irgendwoher von Livia gehört und nahm Kontakt auf. Damals hatte ich schon einen gewissen Ruf in der übernatürlichen Gemeinde. Um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, erzählte der Zauberer Livia, ich würde Schutzgeld erpressen und Frauen im Club vergewaltigen. Wegen diesen Humbug hatte sie sich schließlich bereiterklärt, den Auftrag anzunehmen. Na ja, eines Abends bin ich nach der Arbeit zu meinem Wagen gegangen und wurde von einem Pfeil durchbohrt.“ “WAS?!“ Ich lächelte und zog den Kragen meines T-Shirt herunter, um den Blick auf die Narbe unter meinem Schlüsselbein freizulegen. “Volltreffer. Die Spitze kam auf der anderen Seite wieder raus.“ “Oh mein Gott!“, sagte sie. “Und dann?“ Ich schnaubte. “Offensichtlich hatte sie nicht so gut getroffen, wie sie eigentlich vorhatte. Deshalb sprang sie aus ihrem Versteck und stürzte sich auf mich... Die Sache lief nicht so, wie Livia sich das vorgestellt hatte und so landete sie mit Gehirnerschütterung und ein paar gebrochenen Knochen auf dem Asphalt. Da ich wissen wollte >Wer sie war?< und >Wer sie beauftragt hatte?< habe ich sie nicht sofort umgebracht. Deshalb habe ich sie in meinen Kofferraum verfrachtet und mitgenommen.“ Ich lachte. “Während der Fahrt bin ich dreimal fast ohnmächtig geworden und in den Graben gefahren. Später beim Pfeil ziehen musste ich mich vor Schmerzen übergeben. Du kannst dir denken, was für eine miese Laune ich hatte.“ “Ich kann es mir vorstellen“, murmelte sie. “Aber wie kommt es dann, dass Livia noch lebt?“ “Dazu komme ich jetzt“, sagte ich. “Eigentlich hatte ich vor ein sehr ernstes >Gespräch< mit ihr zu führen, bevor sie für immer verschwinden würde, doch bei unserer Unterhaltung stellte sich irgendwann raus, dass sie böse verarscht wurde. Die wildesten Lügen hatte man ihr über mich erzählt, damit ich überhaupt dem Ehrenkotex der Amazonen entsprach... Unter diesen Umständen fand ich es nicht angebracht, wenn ich sie umbringen würde. Zum einen war es nur etwas geschäftliches und zum anderen war sie nur unter Vorspiegelung falscher Tatsachen dazu gebracht worden den Auftrag anzunehmen. Wie auch immer. Um das langatmige Geschwafel abzukürzen, ich habe Livia nicht umgebracht. Kurze Zeit später hatten der Zauberer und die Drogendealer so eine Art Unfall, wenn du verstehst, was ich meine. Auch wenn ich nachsichtig mit Livia war, galt das keineswegs für diese Dreckssäcke.“ Violetta machte große Augen. “Und seitdem sie dich mit einem Pfeil abgeschossen hat, steht ihr in regelmäßigen Kontakt?!“ Ich zuckte mit den Schultern. “So ungefähr. Kann man so sagen.“ “Du weißt, wie verrückt das klingt, oder?“, fragte sie. “Ich meine, sie hat versucht dich umzubringen!“ “Ist mir bewusst“, erwiderte ich. “Aber es war nichts persönliches. Und zum Glück war ihr Versuch erfolglos. Seither hat sie sich einige Male als nützlich erwiesen, von daher war es nicht verkehrt sie nicht umzulegen.“ “Und damit ist die Sache für dich erledigt?!“, fragte sie. “Du hast keine Rachegelüste gehabt, oder so?“ Ich kratzte mich am Kinn. “Nö, nicht wirklich. Das einzige, was ich verlangt habe, war, dass sie niemandem davon erzählt, weil das schlecht für meinen Ruf wäre. Die Leute würden den Respekt verlieren, wenn die wüssten, dass ich so was habe durchgehen lassen. Das kann ich nicht gebrauchen.“ Ich warf ihr einen Blick zu. “Nur am Rande. Natürlich erwarte ich auch, dass du diese Geschichte für dich behältst. Ich denke, dass ist einleuchtend.“ “Von mir erfährt keiner etwas“, versicherte sie. “Ich bin schweigsam, wie ein Goldfisch.“ Ich lächelte. “Danke.“ Sie strich sich eine dunkle Haarsträhne hinters Ohr. “Wie war es eigentlich als Türsteher zu arbeiten?“ “Oh ich habe es gehasst!“, sagte ich grinsend. “Du weißt ja, dass ich Kneipen, Nachtclubs und den ganzen anderen Kack furchtbar finde! Betrunkene Leute gehen mir auch auf den Senkel, von daher war es genau die richtige Arbeit für mich.“ Ich zuckte mit den Schultern. “Hat sich halt so ergeben.“ “Also warst du froh als es vorbei war?“ “Über die Jahre habe ich immer wieder als Türsteher gearbeitet“, erwiderte ich. “Sowohl davor, als auch danach noch.“ “Ach so“, sagte sie. “Verdient man wenigstens gut?“ Ich legte den Kopf schief. “Geht so. Man kam über die Runden. Ich hatte schon lukrativere Jobs. Aber genug von mir. Womit hast du eigentlich Geld verdient, nachdem du aus dem Waisenhaus abgehauen bist?“ “Na ja, das mit dem Taschendiebstahl weißt du ja schon“, sagte sie verlegen. “Ansonsten Minijobs und so was in der Art. Über Kontakte bin ich an einen gefälschten Ausweis gekommen, damit ich auf dem Papier älter war und arbeiten konnte. Eine Zeit lang war ich Straßenmusikerin und habe Taschenspielertricks vorgeführt. Solchen Kram halt.“ Mein Augenbrauen wanderten in die Höhe. “Warum hast du das bisher nie erzählt? Ich bin beeindruckt! Welches Instrument hast du gespielt?“ Ihre Wangen röteten sich. “Ich habe mal eine Gitarre im Müll gefunden und mir selber ein bisschen das Spielen beigebracht.“ Anerkennend nickte ich. “Nicht schlecht. Was ist aus der Gitarre geworden?“ Sie lächelte. “Das Ding habe ich im Müll gefunden. So was hält nicht ewig. Irgendwann ist sie auseinandergefallen.“ “Möchtest du wieder eine haben?“, fragte ich. “Wenn du willst schenke ich dir eine.“ Sie machte ein nachdenkliches Gesicht. “Da habe ich noch gar nicht dran gedacht. Eigentlich hätte ich mir selber eine neue holen können...“ “Klar könntest du“, sagte ich. “Durch deine Halbtagsstelle in Jovanas Kneipe hast du ja Geld.“ “Ich denke mal drüber nach“, erwiderte sie und damit war das Gespräch mehr oder weniger beendet. Spärlicher Small Talk folgte, während wir unsere Fahrt fortsetzten.

 
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