IM LAND DES SCHRECKENS

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Kapitel 3

Oog war ein primitives Dorf. Die Wände der Hütten waren aus einem bambusähnlichen Schilfrohr gebaut, das aufrecht in den Boden gesteckt und mit einem langen, zähen Gras verwoben war. Die Dächer waren mit vielen Schichten von großen Blättern bedeckt. In der Mitte des Dorfes stand die Hütte von Gluck, die größer war als die anderen, die sie in einem groben Kreis umgaben. Es gab keine Palisade und keine Mittel zur Verteidigung. Wie ihr Dorf waren auch diese Menschen äußerst primitiv, ihre Kultur war von extrem niedrigem Niveau. Sie stellten ein paar Gefäße aus gehauenem Stein her, die keinerlei Verzierungen aufwiesen, und flochten ein paar sehr grobe Körbe. Ihre feinste Handwerkskunst floss wohl in den Bau ihrer Kanus, aber selbst diese waren sehr krude Angelegenheiten. Ihre Steinschleudern waren von der einfachsten Art. Sie besaßen ein paar Steinäxte und Messer, die als Schätze angesehen wurden, und da ich nie sah, dass welche hergestellt wurden, während ich unter diesen Leuten war, bin ich der Meinung, dass sie Gefangenen abgenommen wurden, die aus Ländern außerhalb des Tals stammten. Ihre Rauchpetarden waren hingegen ihre eigene Erfindung, denn ich habe sie nirgendwo anders gesehen und dennoch frage ich mich, wie viel besser ich mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung standen, hätte arbeiten können.

Perry und ich diskutierten oft über die Hilflosigkeit des Menschen des 20. Jahrhunderts, wenn er auf seine eigenen Ressourcen angewiesen ist. Wir berühren einen Knopf und wir haben Licht und denken uns nichts dabei, aber wie viele von uns könnten einen Generator bauen, um dieses Licht zu erzeugen? Wir fahren wie selbstverständlich mit Zügen; aber wie viele von uns könnten eine Dampfmaschine zusammenzimmern? Wie viele von uns könnten Papier oder Tinte oder die tausendundein kleinen alltäglichen Dinge herstellen, die wir jeden Tag benutzen? Könnten Sie Erz veredeln, vorausgesetzt Sie erkennen es überhaupt, wenn Sie darauf stossen? Könnten Sie überhaupt ein Steinmesser herstellen, ohne mehr Werkzeuge zur Verfügung zu haben als die, die die Menschen der alten Steinzeit besaßen und die aus nichts anderem als ihren Händen und anderen Steinen bestanden?

Wenn Sie glauben, dass die erste Dampfmaschine ein Wunder an Erfindungsreichtum war, wie viel mehr Erfindungsreichtum muss es dann erst gebraucht haben, um das erste Steinmesser zu erfinden und herzustellen.

Schauen Sie nicht mit Herablassung auf die Menschen der Urzeit herab, denn ihre Kultur war im Vergleich zu dem, was vorher war, größer als die Ihre. Denken Sie zum Beispiel daran, welch wunderbares Erfindergenie derjenige gewesen sein muss, der zuerst die Idee hatte Feuer zu erzeugen. Dieses namenlose Geschöpf aus einem vergessenen Zeitalter war bedeutender als Edison.

Als sich unser Kanu dem Ufer gegenüber des Dorfs näherte, wurde ich losgebunden und grob an Land gezerrt, kaum hatten wir angelegt. Die anderen Kanus folgten uns und wurden aus dem Wasser gezogen. Eine Gruppe von Kriegerinnen war heruntergekommen, um uns zu begrüßen, und hinter ihnen drängten sich die Männer und die Kinder, die alle ein wenig Angst vor den tobenden Kriegerinnen zu haben schienen.

Ich erregte nur eine milde Neugierde. Die Frauen, die mich noch nicht gesehen hatten, sahen mich eher verächtlich an.

»Wem gehört er?«, fragte eine. »Er ist keine gute Belohnung für eine ganztägige Expedition.«

»Er gehört mir«, sagte Gluck. »Ich weiß, dass er kämpfen kann, denn ich habe ihn gesehen. Und er sollte so gut arbeiten können wie eine Frau. Kräftig genug ist er ja.«

»Du kannst ihn haben«, sagte die andere. »Ich würde ihm keinen Platz in meiner Hütte geben.«

Gluck drehte sich zu den Männern um. »Glula«, rief sie, »komm und nimm ihn mit. Sein Name ist David. Er wird auf dem Feld arbeiten. Sieh zu, dass er Futter bekommt und arbeitstüchtig bleibt.«

Ein haarloser, verweichlichter kleiner Mann trat vor. »Ja, Gluck«, sagte er mit dünner Stimme, »ich werde darauf achten, dass er arbeitet.«

Ich folgte Glula in Richtung des Dorfes. Als wir zwischen den anderen Männern und Kindern hindurchgingen, folgten uns drei der ersteren und drei Kinder, die mich alle ziemlich verächtlich ansahen.

»Das sind Rumla, Foola und Geela«, sagte Glula. »Und das sind die Kinder von Gluck.«

»Du siehst nicht gerade wie ein Mann aus«, sagte Rumla, »aber das tun auch die anderen Männer, die wir außerhalb des Tals fangen, auch nicht. Das da draußen muss eine eigenartige Welt sein, wo die Männer wie Frauen und die Frauen wie Männer aussehen. Vermutlich aber auch toll, wenn man größer und stärker ist als seine Frau.«

»Ja«, sagte Geela. »Wenn ich größer und stärker als Gluck wäre, würde ich sie jedes Mal mit einem Stock schlagen, wenn ich sie sehe.«

»Das würde ich auch«, sagte Glula. »Ich würde das große Biest gerne töten.«

»Ihr scheint Gluck nicht sehr zu mögen«, sagte ich.

»Hast du jemals einen Mann gesehen, der eine Frau mochte?«, fragte Foola. »Wir hassen die Grobiane.«

»Warum unternimmt ihr dann nicht etwas dagegen?« fragte ich.

»Was können wir schon gross tun?«, fragte er. »Was können wir armen Männer gegen sie ausrichten? Wir kriegen schon Prügel, wenn wir ihnen nur widersprechen.«

Sie brachten mich zu Glucks Hütte, und Glula zeigte auf einen Platz direkt vor der Tür. »Dort kannst du schlafen«, sagte er. Wie es schien, waren die bevorzugten Plätze am anderen Ende der Hütte, weit weg von der Tür. Den Grund dafür erfuhr ich später. Die Männer fürchteten sich davor, in der Nähe der Tür zu schlafen, weil Räuber kommen und sie stehlen könnten. Sie wussten, wie schwer sie es in Oog hatten, aber sie wussten nicht, dass es ihnen in Gef oder Julok, den beiden anderen Dörfern des Tals, noch schlechter gehen könnte. Die beiden Orte lagen in einem ständigen Krieg mit dem Dorf Oog und stahlen sich auf zahlreichen auf Raubzüge gegenseitig Männer und Sklaven.

Die Schlafstätten in der Hütte bestanden lediglich aus gerupftem Gras. Glula half mir dabei, welches für mein eigenes Bett zu sammeln. Dann führte er mich außerhalb des Dorfes und zeigte mir Glucks Garten. Ein anderer Mann arbeitete gerade darin, ein aufrichtig wirkender Kerl, der offensichtlich von außerhalb des Tals stammte.

Er pflügte die Erde mit einem angespitzten Stock um. Glula reichte mir ein ähnlich grobes Werkzeug und ließ mich neben dem anderen Sklaven arbeiten. Dann kehrte er in das Dorf zurück.

Nachdem er weg war, wandte sich mein Begleiter an mich. »Mein Name ist Zor«, sagte er.

»Und ich heiße David«, antwortete ich. »Ich bin aus Sari.«

»Sari. Ich habe davon gehört. Es liegt neben dem Loral Az. Ich bin aus Zoram.«

»Ich habe viel von Zoram gehört«, sagte ich. »Es liegt in den Bergen der Thipdars.«

»Woher weisst du von Zoram?«, fragte er.

»Von Jana, der Roten Blume von Zoram«, antwortete ich, »und von Thoar, ihrem Bruder.«

»Thoar ist ein guter Freund von mir«, sagte Zor. »Jana ist mit ihrem Mann in eine andere Welt gegangen.«

»Hast du hier schon oft schlafen müssen?« fragte ich.

»Viele Male«, antwortete er.

»Und es gibt kein Entkommen?«

»Sie beobachten uns sehr genau. Es gibt immer Wachen um das Dorf herum, denn sie wissen nie, wann ein Überfall passieren könnte. Und diese Wachen beobachten auch uns.«

»Wachen hin oder her«, sagte ich, »ich habe nicht vor, den Rest meines Lebens hier zu bleiben. Irgendwann muss sich eine Gelegenheit ergeben, bei der wir fliehen können.«

Der andere zuckte mit den Schultern. »Vielleicht«, sagte er, »aber ich bezweifle es. Sollte sich aber eine Gelegenheit anbieten, werde ich mit dir gehen.«

»Gut. Dann bleiben wir beide wachsam und halten die Augen offen. Wir sollten so viel wie möglich zusammenbleiben und zur gleichen Zeit schlafen, damit wir zur gleichen Zeit wieder wach sind. Zu welcher Frau gehörst du?«

»Zu Rhump. Sie ist ein Sie-Jalok, wie keine zweite. Und du?«

»Ich gehöre zu Gluck.«

»Die ist noch schlimmer. Halte dich so oft wie möglich von der Hütte fern, wenn sie drin ist. Schlaf, während sie jagt oder auf einem Streifzug ist. Sie scheint zu denken, dass Sklaven keinen Schlaf brauchen. Wenn sie dich jemals schlafend findet, wird sie dich treten und schlagen, bis du fast tot bist.«

»Was für ein liebreizender Charakter«, sagte ich trocken.

»Sie sind sich alle ziemlich ähnlich«, antwortete Zor. »Sie haben praktisch keine weiblichen Eigenschaften. Dafür sind sie so abstossend und niederträchtig, wie so manche Männer.«

»Was ist mit ihren Männern?« fragte ich.

»Oh, die sind ein anständiger Haufen, aber sie fürchten alle um ihr Leben. Das wirst du bald auch merken.«

Während wir uns unterhielten, hatten wir weitergearbeitet, denn die Wachen beobachteten uns praktisch die ganze Zeit über. Die Wachen war um das ganze Dorf herum postiert, damit kein Teil davon einem Überraschungsangriff ausgeliefert war. Ebenfalls waren so alle Sklaven, die in den Gärten arbeiteten, unter ständiger Beobachtung.

Diese Kriegerinnen und Wächterinnen waren gnadenlose Herrscherinnen, die keine Erholung von der ständigen Arbeit des Hackens und Jätens zuließen. Wenn ein Sklave in die Hütte seiner Herrin gehen wollte, um zu schlafen, musste er zuerst die Erlaubnis einer der Wächterinnen einholen – und die wurde ihm meistens verweigert.

Ich weiß nicht, wie lange ich in den Gärten der Anführerin Gluck, gearbeitet habe. Mir wurde nicht gestattet, genug zu schlafen, weswegen ich immer halb tot vor Müdigkeit war. Das Essen war ausserdem schlicht und bescheiden und wurde uns Sklaven nicht gerade üppig zugeteilt.

Halb verhungert hob ich einmal eine Knolle auf, die ich beim Hacken ausgegraben hatte, drehte dem nächsten Wachposten den Rücken zu und begann, daran zu knabbern. Trotz meiner Bemühungen, mich verdeckt zu geben, sah mich die Wache und kam schwerfällig auf mich zu. Sie schnappte sich die Knolle aus meiner Hand und steckte sie in ihr eigenes großes Maul. Dann versetzte sie mir einen Schlag, der mich zu Boden gebracht hätte, wenn er denn getroffen hätte – aber das tat er nicht. Ich duckte mich erneut unter der Faust weg. Das machte die Wache wütend, woraufhin sie noch einmal nach mir schlug. Wieder ließ ich den Schlag ins Leere gehen und diesmal geriet die Frau in Rage und begann, tobsüchtig herumzubrüllen. Sie warf mir eine ganze Kanonade an pellucidarischen Flüchen an den Kopf.

 

Sie machte dabei so viel Lärm, dass sie die Aufmerksamkeit der anderen Wachposten und der Frauen im Dorf auf sich zog. Plötzlich zog sie ihr Knochenmesser und kam mit mordlüsternem Blick auf mich zu. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich einfach versucht, ihren Schlägen auszuweichen, denn Zor hatte mir gesagt, dass ein Angriff auf eine dieser Frauen wahrscheinlich den sicheren Tod bedeuten würde; aber jetzt war es anders. Sie war offensichtlich darauf aus, mich zu töten, und ich musste etwas dagegen tun.

Wie die meisten ihrer Art war sie unbeholfen, muskelbepackt und langsam. Jede ihrer Bewegungen war voraussehbar. Ich hatte keinerlei Mühe, all ihren Schlägen auszuweichen – dieses Mal ließ ich es aber nicht dabei bewenden. Stattdessen schwang ich meine Rechte mit aller Kraft, die ich hatte, gegen ihren Unterkiefer und schickte die Wache zu Boden, wo sie wie ein Sack voller Kartoffeln aufschlug.

»Du solltest besser fliehen«, flüsterte Zor. »Natürlich kannst du nicht entkommen, aber du solltest es wenigstens versuchen. Wenn du nämlich hierbleibst, wirst du ganz bestimmt getötet.«

Ich schaute mich kurz um, um zu beurteilen, wie meine Chancen auf eine Flucht aussehen könnten. Sie waren gleich Null. Die Frauen, die vom Dorf her auf mich zurannten, waren schon fast hier. Sie hätten mich mit ihren Schleudern zu Fall bringen können, lange bevor ich außer Reichweite hätte kommen können. Darum blieb ich stehen und wartete, bis die Frauen hier waren. Als ich sah, dass Gluck den Tross anführte, wurde mir klar, dass meine Aussichten noch schlimmer standen als angenommen.

Als Gluck vor mir stehen blieb, kam die Frau, die ich niedergeschlagen hatte, wieder zu sich und kam wankend auf die Beine. Gluck verlangte eine Erklärung.

»Ich aß gerade eine Knolle«, erklärte ich, »als diese Frau kam, sie mir wegnahm und versuchte, mich zu verprügeln. Als ich mich ihren Schlägen entzog, verlor sie die Beherrschung und versuchte, mich zu töten.«

Gluck wandte sich an die Frau, die ich niedergeschlagen hatte. »Du hast versucht, einen meiner Männer zu schlagen?«, sagte sie barsch

»Er hat Essen aus dem Garten gestohlen«, antwortete die Frau.

»Es macht keinen Unterschied, was er getan hat«, knurrte Gluck, »niemand kann einen meiner Männer schlagen und damit davonkommen. Wenn ich will, dass sie geschlagen werden, dann schlage ich sie selbst. Vielleicht wird dir das eine Lehre sein, meine Männer in Ruhe zu lassen«, und damit holte sie aus und schlug die andere nieder. Dann trat sie näher und fing an, die am Boden liegende Frau in den Bauch und ins Gesicht zu treten.

Die Frau hiess Gung und packte eine von Glucks Füßen und zerrte daran. Es entbrannte einer der brutalsten Kämpfe, die ich je erlebt habe. Die beiden Frauen schlugen, traten, krallten, kratzten und bissen sich gegenseitig wie zwei Furien. Die Brutalität des Ganzen machte mich krank. Wenn diese Frauen nun das Ergebnis davon waren, sie aus der Sklaverei zu holen und den Männern gleichzustellen, dann denke ich, dass sie und die Welt besser dran wären, wenn man sie wieder in die Sklaverei zurückschicken würde.

Eines der Geschlechter muss herrschen – und der Mann scheint vom Temperament her besser für diese Aufgabe geeignet zu sein als die Frau. Denn wenn die absolute Kontrolle über die Männer dazu geführt hat, dass diese Frauen hier in einem solchen Ausmaß verdorben und verroht sind, dann sollten wir darauf achten, dass sie dem Manne immer untergeordnet bleiben. Denn unter seiner Herrschaft bleiben sie meistens sanftmütig und mitfühlend.

Der Kampf dauerte einige Zeit, erst war eine oben, dann die andere. Gung hatte von Anfang an gewusst, dass es entweder ihr Leben oder das von Gluck war; und so kämpfte sie mit der Wut eines in die Enge getriebenen Tieres.

Ich werde dieses entwürdigende Spektakel nicht weiter beschreiben. Es genügt zu sagen, dass Gung nie eine Chance gegen die mächtige, brutale Gluck hatte. Bald lag sie tot da.

Gluck, davon überzeugt, dass ihre Widersacherin tot war, stand auf und stellte sich mir gegenüber. »Du bist die Ursache dafür«, sagte sie. »Gung war eine gute Kriegerin und eine gute Jägerin; und jetzt ist sie tot. Kein Mann ist sowas wert. Ich hätte sie dich töten lassen sollen, aber diesen Fehler werde ich wiedergutmachen.« Sie wandte sich an Zor. »Hol mir ein paar Stöcke, Sklave«, befahl sie.

»Was hast du vor?« fragte ich.

»Ich werde dich zu Tode prügeln.«

»Du bist eine Närrin, Gluck«, sagte ich. »Wenn du etwas Verstand hättest, würdest du wissen, dass die ganze Schuld bei dir liegt. Du lässt deine Sklaven nicht genug schlafen, sie sich überarbeiten und du lässt sie hungern. Wenn du denkst, dass sie geschlagen und getötet werden sollten, weil sie Essen stehlen oder sich verteidigen, kann ich dir nur sagen: Lass sie schlafen und mehr essen. Dann wirst du mehr Arbeit aus ihnen herausbekommen.«

»Was du denkst, wird keinen großen Unterschied mehr machen, wenn ich mit dir fertig bin«, knurrte Gluck.

Bald kam Zor mit einem Bündel von Stöcken zurück, aus dem Gluck einen schweren auswählte und auf mich zukam. Vielleicht bin ich kein Samson, aber ich bin auch kein Schwächling und ich kann ohne Prahlerei sagen, dass man die Gefahren der Steinzeit nicht sechsunddreißig Jahre lang überleben kann, wenn man nicht in der Lage ist, jederzeit auf sich selbst aufzupassen.

Mein anstrengendes Leben hat mir einen Körper beschert, der schon in Höchstform war, bevor ich die Oberwelt verließ. Dazu kamen die Tricks, die ich mitgebracht habe und von denen weder die Männer noch Frauen der Steinzeit etwas wussten. Als Gluck auf mich zukam, wich ich ihrem Schlag geschickt aus, packte sie mit beiden Händen am Handgelenk, drehte mich schnell und warf sie über meinen Kopf. Sie landete schwer auf ihrer Schulter, kam aber fast augenblicklich wieder auf die Beine und kam so wütend und tobend auf mich zu, dass sich an ihren Mundwinkeln Schaum bildete.

Als ich sie geworfen hatte, ließ sie den Stock fallen, mit dem sie mich zu Tode prügeln wollte. Ich bückte mich und hob ihn auf und bevor sie mich erreichen konnte, versetzte ich ihr damit einen furchtbaren Schlag, der sie direkt am Schädel. Sie ging zu Boden – und war bewusstlos.

Die anderen Kriegerinnen beobachteten uns mit erstauntem Blick. Dann kam eine von ihnen auf mich zu, und mehrere andere traten ebenfalls näher. Ich brauchte keine Übersetzungen für die steinzeitlichen Beschimpfungen, die sie mir entgegenschleuderten, um zu wissen, dass sie ziemlich sauer waren. Ihre Absicht schien ebenso klar. Meine Chancen gegen diese Brut standen gegen Null. Ich musste in diesem Moment sehr schnell denken.

»Wartet«, sagte ich und wich von ihnen zurück, »ihr habt gerade gesehen, was Gluck mit Frauen macht, die ihre Männer missbrauchen. Wenn ihr wisst, was gut für euch ist, werdet ihr warten, bis sie zu sich kommt.«

Nun, das ließ sie irgendwie zögern. Sie schauten von mir zu Gluck. Sie lag so reglos da, dass ich nicht wusste, ob ich sie getötet hatte. Wenig später begann sie sich aber zu bewegen, und nach einer Weile setzte sie sich auf. Sie sah sich ein oder zwei Augenblicke lang wie betäubt um, und dann richteten sich ihre Augen auf mich. Mein Anblick schien sie an das zu erinnern, was sie eigentlich vorhatte. Sie kam langsam auf die Beine und stellte sich mir gegenüber. Ich stand bereit und wartete, den Stock noch immer in der Hand haltend. Alle Augen waren auf uns gerichtet, aber niemand rührte sich oder sagte etwas – bis Gluck das Schweigen endlich brach.

»Du hättest eine Frau sein sollen«, sagte sie, und dann drehte sie sich um und ging zurück zum Dorf.

»Willst du ihn nicht umbringen?«, fragte Fooge.

»Ich habe gerade eine gute Kriegerin getötet. Ich werde niemanden töten, der noch besser ist«, schnauzte Gluck. »Wenn es zum Kampf kommt, wird er mit den Frauen kämpfen.«

Als sie alle gegangen waren, nahmen Zor und ich unsere Arbeit im Garten wieder auf. Bald kamen Gungs Männer und schleppten ihren Leichnam hinunter zum Fluss, wo sie ihn hineinrollten. Das Begräbnis ist eine einfache Angelegenheit in Oog, und die Bestattungsriten sind ohne Prunk. Bestatter und Floristen würden in Oog verhungern.

Es war alles ganz simpel hier. Es gab keine Hysterie. Die Väter ihrer Kinder zogen sie einfach an ihren haarigen Beinen mit, lachten und tratschten und machten unflätige Witze.

»Das«, sagte ich zu Zor, »muss der absolute Tiefpunkt sein, zu dem ein Mensch sinken kann, wenn er unbetrauert ins Grab geht.«

»Du wirst bald selbst zum Fluss hinuntergehen«, sagte Zor, »aber ich verspreche dir, dass du einen Trauernden haben wirst.«

»Wie kommst du darauf, dass ich bald zum Fluss runtergehe?«

»Gluck wird dich schon kriegen«, antwortete er.

»Das glaube ich nicht. Ich denke, Gluck ist eine ziemlich gute Verliererin, so wie sie ihre Prügel eingesteckt hat.«

»Sie verliert nicht gerne«, spottete er. »Sie hätte dich sofort umgebracht, wenn sie keine Angst vor dir gehabt hätte. Sie ist ein Tyrann, und wie alle Tyrannen ist sie ein Feigling. Irgendwann, wenn du schläfst, wird sie sich an dich heranschleichen und dir das Hirn rausprügeln.«

»Du erzählst die schönsten Gutenachtgeschichten, Zor«, sagte ich.

Kapitel 4

Das Hauptgesprächsthema zwischen Zor und mir war natürlich eine Zeit lang mein Aufeinandertreffen mit Gluck und die Prophezeiungen von Zor, dass ich schon so gut wie tot sei. In seinen Augen war ich eigentlich nur noch ein wandelnder Leichnam. Aber nachdem ich zweimal geschlafen hatte und mir nichts passiert war, schwenkten wir zu anderen Themen um und Zor erzählte mir, wie es dazu kam, dass er so weit von Zoram entfernt war und was zu seiner Gefangennahme durch die Kriegerfrauen von Oog geführt hatte.

Zor, so schien es, war sehr verliebt in ein Mädchen aus Zoram, das sich eines Tages zu weit vom Dorf entfernt hatte und von einer Gruppe von Räubern aus einem anderen Land geschnappt wurde.

Zor machte sich sofort auf die Suche nach den Entführern, die ihn schätzungsweise hundert Schlafstunden lang durch viele fremde Länder führte.

Natürlich war es unmöglich zu wissen, wie weit er gereist war, aber er muss eine enorme Strecke zurückgelegt haben, vielleicht zwei- oder dreitausend Meilen, aber er hat die Entführer des Mädchens nie eingeholt. Schließlich wurde er von einem Stamm gefangen genommen, der in einem Palisadendorf im Herzen eines großen Waldes lebte.

»Ich war dort für viele Nächte«, sagte er, »mein Leben war ständig in Gefahr, denn sie drohten sofort, mich zu töten, um jemanden zu besänftigen, den sie ‘Ogar’ nannten. Ohne jeglichen ersichtlichen Grund wurde ich jedoch ganz plötzlich zum Ehrengast statt zum Gefangenen. Es wurde mir keinerlei Erklärung gegeben. Ich durfte gehen und kommen, wie ich wollte, und natürlich bin ich bei der ersten Gelegenheit geflohen. Da es im Wald mehrere Dörfer dieser Jukans gibt, zögerte ich, in dieser Richtung weiterzugehen, aus Angst, von einigen der anderen Dorfbewohner wieder eingefangen zu werden. So kletterte ich mit der Absicht aus dem Tal heraus, einen weiten Umweg zu machen, kaum war ich auf der anderen Seite herabgestiegen, wurde ich gefangen genommen.«

»Wo liegt das Tal der Jukans?« fragte ich.

»Dort«, sagte er und deutete in Richtung der schneebedeckten Berge, die eine Seite des Tals begrenzten.

»Das ist, glaube ich, die Richtung, die ich einschlagen muss, um Sari zu erreichen«, sagte ich.

»Meinst du?«, fragte er. »Weißt du es denn nicht?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht diesen eigenartigen Instinkt, den die Pellucidarer haben, der sie unweigerlich in Richtung ihrer Heimat führt.«

»Das ist seltsam«, sagte er. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand nicht in der Lage ist, sein Zuhause zu finden, egal, wo er sich gerade befindet.«

 

»Nun, weisst du, ich bin kein Pellucidarer.«, erklärte ich. »Deshalb habe ich diesen Instinkt nicht.«

»Kein Pellucidarer?«, fragte er. »Aber es gibt niemanden auf der Welt, der kein Pellucidarer ist.«

»Es gibt noch andere Welten als Pellucidar, Zor, auch wenn du vielleicht noch nie von ihnen gehört hast und aus einer davon stamme ich. Sie liegt direkt unter unseren Füßen, vielleicht zwanzig Schlafstunden entfernt.«

Er schüttelte den Kopf. »Du bist nicht zufällig ein Jukan, oder?«, fragte er. »Die haben auch viele merkwürdige Ideen.«

Ich lachte. »Nein, ich bin kein Jukan«, versicherte ich ihm. Und dann versuchte ich, ihm diese andere Welt auf der äußeren Kruste zu erklären, was natürlich völlig jenseits seiner Auffassungsgabe war.

»Ich dachte immer, du wärst aus Sari«, sagte er.

»Das bin ich jetzt. Es ist meine Wahlheimat.«

»Es gab ein Mädchen aus Sari unter den Jukanern«, sagte er. »Sie war nicht in dem Dorf gefangen, in dem ich war, sondern in einem anderen Dorf, das nicht weit entfernt war. Ich hörte, wie sie über sie sprachen. Einige sagten, sie würden sie töten, um Ogar zu besänftigen. Sie taten immer irgendetwas, um diesen Ogar zu besänftigen, vor dem sie schreckliche Angst hatten. Dann hörte ich, dass sie sie zur Königin machen wollten. Sie änderten ständig ihre Meinung.«

»Wie war der Name des Mädchens?« fragte ich.

»Ich habe ihn nie gehört«, sagte er, »aber ich habe gehört, dass sie sehr schön war. Wahrscheinlich ist das arme Ding jetzt tot. Allerdings kann man das bei den Jukanern nie wissen. Vielleicht haben sie sie zur Königin gemacht, vielleicht haben sie sie getötet, oder vielleicht haben sie sie entkommen lassen.«

»Übrigens«, sagte ich, »in welcher Richtung liegt Sari? Ich habe es vorhin nur vermutet.«

»Du hattest recht. Wenn du jemals fliehen solltest, was du nie tun wirst, müsstest du über diese Berge dort. Das würde dich in das Tal der Jukans führen, wo du immer noch so schlecht dran sein würdest wie jetzt. Wenn ich jemals fliehen sollte, müsste ich denselben Weg gehen, um auf die Spur der Leute zu kommen, die Rana gestohlen haben.«

»Dann lass uns zusammen gehen«, sagte ich.

Zor lachte. »Wenn du dir etwas in den Kopf gesetzt hast, gibst du nie auf, oder?«

»Ich werde die Idee der Flucht sicher nicht aufgeben«, sagte ich ihm.

»Nun, es ist schön, darüber nachzudenken, aber weiter werden wir nie kommen, wenn uns all diese bärtigen Sie-Jaloks dauernd beobachten.«

»Es wird sich bestimmt eine Gelegenheit ergeben«, sagte ich.

»In der Zwischenzeit, schau mal, was da noch kommt!«, rief er und zeigte das Tal hinauf.

Ich schaute in die von ihm angegebene Richtung und was ich da sah, war äusserst seltsam. Selbst aus dieser Entfernung sah ich riesige Vögel, auf denen menschliche Wesen saßen.

»Das sind die Juloks«, sagte Zor. Gleichzeitig rief er einem Wachposten etwas zu und zeigte auf die anrückende Meute. Sofort wurde der Alarm ausgelöst und unsere Kriegerinnen kamen aus dem Dorf geströmt. Sie trugen Messer und Schleudern und die Schilfrohre, die sie als Rauchgranaten nutzen. Etwa jeder zehnte Krieger trug eine Fackel, mit der die anderen ihre Schilfrohre anzünden konnten.

Als Gluck aus dem Dorf kam, warf sie jedem von uns ein Messer und eine Steinschleuder zu, reichte uns Rauchbomben und sagte uns, wir sollten uns den Frauen bei der Verteidigung des Dorfes anschließen.

Wir bewegten uns in einer Art Scharmützel-Linie auf den Feind zu, der jetzt so nahe war, dass ich ihn deutlich sehen konnte. Die Krieger waren Frauen, buschig-bärtig und grobschlächtig wie die des Dorfes Oog. Ihre Reittiere waren Dyals, riesige Vögel, die dem Phororhacos von der Erdoberfläche ähnelten. Einem gefiederten Riesen aus dem Miozän, von dem man Überreste in Patagonien gefunden hat. Die Tiere sind sieben bis acht Fuß hoch, mit Köpfen, die größer sind als die eines Pferdes, und Hälsen, die aber etwa so dick sind wie die von Pferden. Ihre langen und kräftigen Beine enden mit drei Zehen, die ihre schweren Krallen mit ausreichender Kraft vorantreiben, um einen Ochsen umzurennen. Ihre großen, kräftigen Schnäbel könnten es mit einigen der schrecklichsten fleischfressenden Säugetiere und Dinosaurier der inneren Welt aufnehmen. Da sie nur rudimentäre Flügel haben, können sie nicht fliegen, aber ihre langen Beine erlauben es ihnen, mit ordentlich Tempo über die Prärie zu hetzen.

Es waren nur etwa zwanzig der Julok-Kriegerinnen. Sie kamen zuerst langsam auf uns zu und griffen dann, als sie etwa hundert Meter entfernt waren, an. Sofort zündeten unsere Frauen ihre Fackeln an und schleuderten sie auf den vorrückenden Feind. Gleich danach feuerten sie ihre pfeilartigen Geschosse aus ihren Schleudern auf den Feind. Sie hatten nicht alle Rauchfackeln geworfen, einige behielten sie als Reserve, falls der Feind noch näher kam. Dann waren die feindlichen Kriegerinnen auch schon über uns und ich sah unsere Frauen wie Furien kämpfen. Sie waren rücksichtslos und absolut gnadenlos. Sie gingen in den Nahkampf über und versuchten, die Dyals zu erstechen oder ihre Reiterinnen von ihrem Rücken zu zerren.

Für uns war der Rauch natürlich genauso schlimm wie für den Feind und bald sah ich mich ausserstande, vor lauter Würgen und Husten weiterzukämpfen. Zor stand neben mir, aber wir waren keine große Hilfe in der Schlacht, denn keiner von uns war im Umgang mit der Steinschleuder geübt.

Plötzlich tauchte aus dem dichten Rauch ein reiterloser Dyal auf, dessen Zügel am Boden schleiften. Sofort packte mich eine Eingebung und ich ergriff die Zügel des großen Vogels.

»Schnell!« rief ich Zor zu. »Vielleicht ist das die Chance, auf die wir gewartet haben. Steig auf!«

Er zögerte keinen Augenblick und kletterte mit meiner Hilfe auf den Rücken des großen Vogels, der vor lauter Rauch noch verwirrt und hilflos war.

Wir wussten nichts darüber, wie man die Kreatur kontrolliert, aber wir zogen ihren Kopf in die Richtung, in die wir gehen wollten und traten dann mit unseren Sandalenfüßen in die Flanken. Zuerst lief es langsam an, stolperte durch den Rauch, als wir schließlich dort herauskamen und das Tier die Gelegenheit witterte, den beissenden Dämpfen zu entkommen, schoss es los wie ein verängstigtes Kaninchen. Wir konnten uns nur mit Mühe im Sattel halten.

Wir steuerten geradewegs auf die Berge zu, auf deren anderer Seite das Land der Jukans lag. Wir gingen davon aus, dass man unsere Flucht nicht bemerkt würde, ehe die Schlacht vorbei war und der Rauch sich verzogen hatte.

Was war vielleicht ein wilder Ritt! Nichts außer einem anderen Dyal oder einem Schnellzug hätte uns einholen können. Die Kreatur war erschrocken und raste regelrecht davon. Wir konnten sie aber immer noch in die Richtung lenken, in die wir gehen wollten. Als wir die Ausläufer des Gebirges erreichten, wurde das Tier müde und wurde langsamer. Das letzte Stück bewegten wir uns in einem anständigen Tempo auf die höheren Berge zu. Und sie waren wirklich hoch! Schneebedeckte Gipfel ragten über uns auf – ein ungewöhnlicher Anblick in Pellucidar.

»Das ist ein ziemlich ideales Fortbewegungsmittel«, sagte ich zu Zor. »Ich bin noch nie so schnell in Pellucidar gereist. Wir können uns glücklich schätzen, diesen Dyal gefangen genommen zu haben, und ich hoffe, dass wir Nahrung für ihn finden können.«

»Die Frage, ob das Vieh Nahrung findet«, antwortete Zor, »wird der Dyal selbst klären.«

»Was meinst du?« fragte ich.

»Er wird uns auffressen.«

Nun, gefressen hat er uns nicht. Dafür blieb er uns auch nicht lange erhalten. Denn kaum hatten wir den Schnee erreicht, weigerte sich das Vieh, weiterzugehen und da es zunehmend streitlustiger wurde, ließen wir es schließlich ziehen.