Inspiration 1/2019

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Inspiration 1/2019
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Impressum

45. Jahrgang – Heft 1, April 2019

ISSN 2366-2034

Die Zeitschrift »inspiration« erschien bis zum 41. Jahrgang 2015 unter dem Titel »meditation« mit der ISSN 0171-3841

Verlag: Echter Verlag GmbH, Dominikanerplatz 8, 97070 Würzburg

Telefon (09 31) 6 60 68-0, Telefax (09 31) 6 60 68-23, Internet: www.echter.de

Satz: Crossmediabureau Jürgen Georg Lang, Gerolzhofen

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt.

Redaktion: Maria Gondolf, E-Mail: buero@maria-gondolf.de, Tel.: 0 22 26/8 90 05 29

Redaktionsbeirat: Gotthard Fuchs, Katrin Gergen-Woll, Klaus Kießling, Irene Leicht, Lisa Straßberger, Burkard Zill

inspiration erscheint viermal im Jahr

Bezugspreis: jährlich: 30,00 €, Einzelheft 8,50 € zuzüglich Versandkosten

Auch als digitale Ausgabe erhältlich.

Informationen unter www.echter.de/zeitschriften/inspiration

Abonnementskündigungen nur zum Ende des jeweiligen Jahrgangs

Bildnachweis: Titelmotiv: Panka Chirer-Geyer – www.panka.info

Inhalt

Editorial

Gotthard Fuchs

Zur Einführung

Johannes Lieder

Über 7 Milliardenmal »Mein Gott«

Thomas Ruster

Unverständliche Fürbitten – ein ungelöstes theologisches Problem.

Zu welchem Gott kann man beten?

Georg Steins, Universität Osnabrück

Eine gefüllte Leerstelle

Der biblische Ort des göttlichen Namens

Irene Leicht und Katharina Martin

Von »Gott« reden?

Ein psycho-theologisches Schreibgespräch

Gotthard Fuchs

Gottes Begehren.

Eine vergessene Dimension (nicht nur) christlicher Spiritualität.

Volker Hassenpflug

Mechthild von Magdeburg.

Die Erfahrbarkeit Gottes

Von Adina Wilcke

Der Weg

Armin Münch und Marco A. Sorace

Duchamps gläserne Theologie

Darüber, wie wir Gott nur begehren können

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

während ich dieses Editorial, mein erstes wohlgemerkt, verfasse, zieht der Frühling zieht langsam aber sicher in meinem Garten ein – ein Aufbruch und Neubeginn liegt in der Luft. Auch hier, bei der Zeitschrift Inspiration, bemerken Sie ab dem Jahrgang 2019 einige Veränderungen, etwa durch das etwas anders gesetzte Appetithäppchen zu Beginn der Beiträge.

Wir beschränken uns nicht auf die optischen Anpassungen, dies sind eher die äußeren Sichtbarkeiten. Wir versuchen uns auch an dem Format des Gesprächs, in dem wir unterschiedliche Sichtweisen und kontroverse Gedanken zum Heftthema in einen anregenden Dialog bringen. Mit kurzen lyrischen, Gebets- oder Impulstexten schaffen wir Freiräume für Ihre eigenen Gedanken, damit – in diesem Fall – »mein Gott« auch über die Lektüre hinaus nachklingt und inspiriert. Diese Mischung macht Inspiration für Sie in neuem Maß lebendig und greifbar und nimmt Sie mit in den geistlichen Prozess wachsenden Lebens.

Besondere Aspekte oder kurze Impulse finden Sie durch solche optischen Hervorhebungen

In der Redaktion hat ebenfalls ein Wechsel stattgefunden. Seit diesem Jahr habe ich die Ehre, die Zeitschrift für Sie zu gestalten. Dies ist für mich eine neue Herausforderung, auf deren Annahme ich mich tüchtig freue. Damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben, stelle ich mich gerne kurz vor. Ich bin Maria Gondolf und von Hause aus Rheinländerin, Diplom-Theologin und Musikerin. Für mein Studium verweilte ich zu Beginn des Jahrtausends an der Universität zu Bonn und habe mit dem Schwerpunkt Liturgiewissenschaft und praktische Theologie besonders viel Spaß daran gehabt, theologische Themen an ihrer Alltagsrelevanz zu überprüfen. Nun hat es mich nach einiger Zeit auf Bistums- und Bundesebene zu einem freien Berufsleben verschlagen und auch zu Ihnen, liebe Leser*in. In diesem Sinne freue ich mich auf gemeinsame inspirierende Erlebnisse.


Ihre Maria Gondolf

Gotthard Fuchs

Zur Einführung

Das Wort Gott mit all seinen Fassetten ist vielen fremd geworden oder es ist für sie gänzlich überflüssig. Zu verjenseitigt und personal(istisch) den einen, zu verklebt mit Angst- und Gewaltgeschichten und zudem mit Kirchengeruch anderen. Wieder anderen Inbegriff größter Hoffnung und Adressat aufrichtigen Betens. Schon das eigene Leben nötigt hier zur Klärung. So galt es auch für dieses Heft, Eingrenzungen vorzunehmen und einen einzigen Blickpunkt in den Blick zu nehmen: Mein Gott.

Natürlich ist jede Mehrdeutigkeit gewollt, die Vielfalt der Leserschaft und den Reichtum unterschiedlicher Erfahrungen im Blick. Schon das Wort »Gott« ist vielen abhandengekommen oder wird ausdrücklich abgelehnt: »o Gott«, jetzt doch wieder ein Heft mit diesem Thema. Aber gehen wir mutig davon aus, dass dieses umstrittene Wort selbst als Leerstelle noch sinnvoll bleiben und werden kann. »Das ist das Verderbliche an diesem Wort, das so oft als Antwort gebraucht wird. Er hätte einen Namen haben müssen, der wie eine Frage klingt.« So eine Figur im Roman »Rituale« von C. Nooteboom.

»Mein Gott« – diese Formulierung hat denselben Status wie »mein Mann« oder »meine Wohnung«. Sie signalisiert Zugehörigkeit, Verbundensein und Beziehung, ja Intimität. Das Possessivpronomen hat im Raum zwischenmenschlicher Beziehungen mindestens zwei Lesarten. Symbiotisch ist es ein Besitzverhältnis verwickelter (wörtlich: verwachsener) Art: Partner oder Partnerin werden als Eigenbesitz betrachtet, als Verlängerung des Ego zwecks Lebenserhalt. Entsprechend war und ist es die Gefahr aller Religionen und Kirchen, Gott als Privatbesitz zu betrachten und, gegen andere für sich behalten zu wollen. Von Liebe dagegen im Unterschied zu solcher Symbiose ist erwachsen(d) erst dann zu sprechen, wenn Freiheit und die Lust am Unterschied im Spiel ist, am Bejahen der Anderen als Anderen: ich brauche dich nicht, aber ich will dich brauchen, und so bist Du mein und Ich dein.

So beziehungsstark lernen und lehren Bibel und Mystik von und mit Gott zu reden. Der biblische Gott gewinnt Name und Gesicht in Beziehungen und aufgrund von Geschichte(n). Er ist der Gott Abrahams und Saras, der Gott Israels und Rebekkas, der Gott Jesu Christi. Die originelle Gottesrede, die Jesus praktiziert und empfiehlt, verstärkt diese Intimität der Beziehung: »Abba, mein Vater« – und das direkt neben der Überlebensfrage: »Mein Gott, mein Gott, warum hast mich verlassen«. Gottesbeziehung und Selbstwerdung gehören untrennbar zusammen. So mögen die Beiträge dieses Heftes anregend sein für die Frage: »Was tue ich, wenn ich – bejahend oder bestreitend – Gott sage?«

Johannes Lieder

Über 7 Milliardenmal »Mein Gott«

Das vielzitierte Wort des Theologen Karl Rahner: »Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein, einer, der etwas von Gott erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein.« möchte ich aus meiner Sicht als Geistlicher Begleiter ergänzen mit dem Wort: »Die Kirche der Zukunft wird eine erfahrene Begleiterin für die existentiell suchenden Menschen von heute sein oder sie wird nicht mehr sein.«

Wenn ich hier etwas über »Geistliche Begleitung« in Bezug zum Thema dieser Ausgabe »Mein Gott« schreibe, sind mit diesem kurzen Satz bereits die wesentlichen Fragen angesprochen:

1. Wie geht die Kirche mit dem Wort, oder, besser gesagt, mit der Wirklichkeit »Gott« um?

2. Was haben die Erfahrungen aus der Geistlichen Begleitung dazu beizutragen?

3. Abschied von »Unserem Gott«?

Wo ich »die Kirche« sage, kann ich natürlich nur von dem Erfahrungsausschnitt sprechen, den ich wahrnehme und der mir besonders am Herzen liegt. Und da habe ich wohl die Erfahrung mit vielen Zeitgenoss*innen gemeinsam, dass das Wort »Gott« in Liturgie und Verkündigung oft zu oberflächlich oder als sei es objektiv erfassbar im Munde geführt wird. Was für ein frommer – sicher meist gut gemeinter – Wortschwall! Der gute Gott, der allmächtige Vater, der Sohn, der mit ihm herrscht in Ewigkeit, und das alles in der Einheit des Heiligen Geistes usf. Als wäre das alles so klar, so greifbar, so selbstredend, eine objektiv gegenüberstehende definierbare, d.h. abgrenzbare, Wirklichkeit!

 

Wie gut kann ich da die Worte von Rainer Maria Rilke nachempfinden:

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.

Sie sprechen alles so deutlich aus:

Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,

und hier ist Beginn und das Ende ist dort.

Mich bangt auch Ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,

sie wissen alles, was wird und war;

kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;

ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.

Die Dinge singen hör ich so gern.

Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.

Ihr bringt mir alle die Dinge um.

(aus: Rainer Maria Rilke, Die frühen Gedichte, Leipzig, Insel-Verlag; Auflage: 18.–20. Tsd., 1919)

Die Kirche wird als eine besserwisserische Lehrinstitution erlebt, die alles über Gott und das Leben weiß und einen Alleinbesitzanspruch auf »ihn« zu haben.

Wenn dies schon für das Wunder »der Dinge« gilt, wie viel mehr dann für das Wort und die Wirklichkeit Gottes, die so groß ist, dass wir immer nur einen Zipfel von ihr erhaschen. Ja, auch die Kirche im Ganzen: nur ein Zipfel dieser unfassbaren Lebens- und Liebesfülle der göttlichen Wirklichkeit!

Die Kirche wird so vielfach als eine besserwisserische Lehrinstitution erlebt, die meint, alles über Gott und das Leben zu wissen und gleichsam einen Alleinbesitzanspruch auf »ihn« zu haben.

Ihr bringt mir alle die Dinge um … Ihr bringt mir Gott um …

2. Was haben die Erfahrungen aus der Geistlichen Begleitung dazu beizutragen?

2.1. Es gibt nicht den Gott und den Glauben: Gott ist vielfältig.

Dem entgegengesetzt sieht es in den Gesprächen der Geistlichen Begleitung aus. Menschen suchen, ringen, sehnen sich, tasten sich vor…

Suchen ihre Wahrheit, nicht irgendeine geschriebene, sondern die konkrete Kraft genau für ihr eigenes Leben. Ringen von daher immer wieder um das angemessene stimmige Handeln. Sehnen sich nach der Fülle des göttlichen Lebens, eben der Füllung der zu viel und zu oft gehörten gelehrten und leeren Glaubensformeln.

Und in diesem Prozess stellen sich oft die fixierten bisherigen Namen und Bilder als nicht mehr lebensgemäß und heilsam heraus:

Da ist z.B. eine Frau, die sich in einem jahrzehntelangen mühsamen Entwicklungsweg von einem übermächtigen oder gar missbräuchlichen Vater befreit hat und auch in der Kirche männliche Dominanz in Liturgie und Moralfragen erdulden musste. Als Begleiter kann, will und darf ich diese Frau – um Gottes willen! – nicht auf einen männlichen Vatergott festlegen. Warum soll sie nicht der Spur der weiblichen Seite Gottes folgen? Ist Gott nicht größer als alles Männliche, Weibliche, Elterliche oder Kindliche? So ist die Erfahrung in der Geistlichen Begleitung – wenn ich sie denn zulasse – dass sich das Gottesbild eines Menschen entlang ihrer und seiner Persönlichkeitsentwicklung formt und immer wieder verändert. »Mein Gott« ist eben zunächst nicht einfach auch »Dein Gott«, geschweige denn »Unser Gott«. Man kann niemanden in eine vorgegebene, ja immer begrenzte Gottesvorstellung hineinpressen. Wenn der Mensch nach der Schöpfungserzählung in Genesis 1 als Bild Gottes gestaltet ist, dann hat Gott so viele Gesichter, wie es Menschen auf dieser Erde gibt:

Über 7 Milliarden Götter

Ist es der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs,

weil es der Gott war von Jesus, meinem Christus?

Und der Gott Gandhis, Tagores oder Rumis?

Wie könnte er nicht mein Gott sein?

Und der Gott des Inquisitors, Pius X. oder Escrivas?

Wie könnte er mein Gott sein?

Und der Gott der Frau,

die in der Ohnmacht ihrer Depression um ihr Leben ringt,

oder der Gott des Mannes,

der in der Mitte seines Lebens keinen Sinn und Weg mehr sieht,

und doch an der Sehnsucht nach Zukunft festhält.

Wie sollte der nicht mein Gott sein?

Hat denn jeder seinen Gott?

So gibt es Milliarden Götter.

Niemand kann mir mehr sagen, wer mein Gott ist.

Ich muss Ihn suchen aus unzähligen Bildern,

schauen, hören, spüren, staunen, was mich leben lässt.

Sehnsuchtswünschelrutengängergleich

werde ich Ihn finden –

und Sie mich.

Mein Gott!

(aus: Johannes Lieder, herzoffen – Inspirationen zur Zukunft der Religionen, Echter Verlag 2017, S. 40)

2.2. Geistliche Begleitung löst Seelenführung und Exerzitienmeisterei ab

Geistliche Begleitung schenkt dem suchenden und herzoffenen Menschen den Beziehungsraum, in dem diese Selbst- und Gottesfindung geschehen kann. Wie oft sitze ich nur da und höre in einer wohlwollenden und vertrauensvoll ermutigenden Atmosphäre den um Worte ringenden Erzählungen meines Gegenübers zu. Und immer wieder kann ich nur staunen und danken, wie sich vor meinen Augen ohne mein Eingreifen jemand im Sichausdrücken ordnet, entknotet und selbst entfaltet. Die alten Griechen nannten dies die Kunst der Mäeutik, die geistige Hebammenkunst.

Manchmal ist es dann natürlich hilfreich, in dunklen Zeiten und scheinbar erfolglosem Suchen zum Durchhalten zu ermutigen oder auch etwas vom Gesagten noch einmal wertschätzend hervorzuheben und damit klärend zu betonen, ganz so, wie die Hebamme das neugeborene Kind empfängt und der Mutter und dem Vater in die Hände gibt.

Diese Weise des Gespräches erinnert mich an die Schilderungen von Hans-Peter Dürr aus einem scheinbar ganz anderen Bereich der Erkenntnis: Der Quantenphysik! Dort unterhält er sich staunend und suchend mit seinem Kollegen Werner Heisenberg über buchstäblich unfassbare Entdeckungen in der Mikrophysik:

»Insbesondere in der kreativen Anfangsphase gab er der Umgangssprache gegenüber der mathematischen Ausdrucksweise den Vorzug, da sie unschärfer war und sich daher für ›Tastversuche‹ besser eignete als das Präzisionswerkzeug der Mathematik. Er dachte dabei laut vor sich hin, sprach langsam und konzentriert, oft mit geschlossenen Augen oder an die Decke blickend, die Hände mit gespreizten Fingern aneinandergelegt. Er war geduldig beim Zuhören, unterbrach selten. Im Mittelpunkt des Gespräches stand das gemeinsame Problem und der Wunsch, es zu erfassen und zu klären. Man tastete sich heran, spielte es dem anderen zu wie in einem freundschaftlichen Tischtennisspiel, wo beide darauf achten, dass der Ball im Spiel bleibt. Die ganze Aufmerksamkeit war darauf gerichtet, den Gesprächspartner wirklich zu verstehen und ihn nicht sophistisch über seine mangelnde oder unzureichende Ausdrucksweise stolpern zu lassen. Man konnte stammeln, man konnte vage, ja unverständlich reden und der andere würde erraten, was man eigentlich sagen wollte, würde es in eigenen, anderen Worten wiederholen, sodass man oft erfreut ausrufen konnte: ›Ja, genau, so ist es; so hatte ich es gemeint!‹«

(aus: Hans-Peter Dürr, Warum es ums Ganze geht – Neues Denken für eine Welt im Umbruch, S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2011, 4. Aufl. 2014, S. 45)

Was für ein Vorbild des Dialoges: Wie sehr sollten wir so in der Kirche von – und dann schon mit – Gott sprechen! Unscharf, Tastversuche, laut vor sich hindenken, mit geschlossenen Augen, geduldig beim Zuhören, im Mittelpunkt das gemeinsame Problem, dem anderen den Ball zuspielen, stammeln, vage, unverständlich reden, erraten, was der andere sagen will und gemeinsam freudig finden: Gott und das konkrete Leben in und aus ihm ist unser gemeinsames unfassbares Problem, immer wieder und immer neu in einen neuen Raum hinein. Es ist nicht so, dass wir die Lösung in der Tasche hätten oder jemals haben könnten, weil »Gott« überhaupt nicht zu haben ist, sondern reines, lebendiges, in tausend Farben schillerndes Sein, das es immer neu zu entdecken und verwirklichen gilt.

Rückrufaktion

»Wir haben uns geirrt.

›Es tut uns leid‹ trifft es nicht.

Wir sind zerknirscht, wir könnten im Boden versinken:

Wir haben Euch gesagt,

wir wüssten allein, wer Gott ist und wie ihr zu ihm kommt.

Wie furchtbar, Gott an die Perlenkette zu legen.

Es ist hart, aber wahr:

Jede und jeder muss sich selbst auf den Weg machen

und ihr und sein großes Herzensdu suchen.

Wir möchten Euch beistehen und anbieten,

unser kleines gesammeltes Wissen mit Euch zu teilen,

auf dass jede und jeder entdecke das Eigene.

Wir könnten für das Wunderbare gemeinsam

eine neue Sprache finden,

schillernd schön mit tausenden Zungen

wie glitzerndes Licht auf gewelltem Meeresspiegel,

auf dass jede und jeder Heil finde.«

Das aus einer Kirche Mund

und der christliche Glaube wäre rund.

Bis dahin wird es genügen,

wenn wir über Gott sprechen,

ohne zu lügen.

(aus: Johannes Lieder, herzoffen, s.o. Seite 26)

Für dieses native Geschehen zwischen zwei Menschen auf Augenhöhe in der Geistlichen Begleitung sind darum Begriffe wie »Seelenführung« oder »Formungsgespräche« unpassend und schädlich und die frühere Bezeichnung »Exerzitienmeister« für die Begleitung in diesen mehrtägigen betenden Lebensübungszeiten ungeeignet. Das ist auch sehr deutlich an der Entwicklung der Übersetzung von 2 Korinther 1,24 zu sehen: Wählten diesen Satz noch viele Priester gut gemeint als Primizspruch nach der Bedeutung aus: »Wir sind nicht Herren über euren Glauben, sondern Diener an eurer Freude.« und blieben dadurch doch im Denken von Über- oder Unterordnung befangen, so heißt es in der neuen Einheitsübersetzung »Mitarbeiter eurer Freude«. Dies entspricht wesentlich besser dem griechischen Wort »synergoi«, das dort steht: »Synergien nutzen« ist ja heute ein positiv besetztes Bild für ein gleichberechtigtes Zusammenwirken zweier Kräfte: Wiederum ein schönes Bild für das Geschehen in Geistlicher Begleitung jenseits einer Herrenkirche.

3. Abschied von »Unserem Gott«?

Das Verbindende einer Kirche und Religion der Zukunft wird in der gemeinsamen liebesuchenden, herzoffenen Haltung gefunden werden müssen.

Was bleibt bei aller notwendigen Individuation der eigenen Gottesbilder in der Geistlichen Begleitung an verbindender und verbindlicher Gemeinsamkeit übrig? Man könnte sich für uns Christinnen und Christen auf den Gott Jesu Christi berufen. Doch ist das wiederum so eindeutig und vorgegeben? Wir sahen schon, dass Jesu »Vatergottbild« für viele heute außerhalb des patriarchalen Weltbildes nicht mehr glaubwürdig ist. Ist jemand deshalb keine Christin mehr?

Das Verbindende einer Kirche und Religion der Zukunft wird in der gemeinsamen liebesuchenden, herzoffenen Haltung gefunden werden müssen.

Oder das »Reich Gottes«, das Jesus verkündet, die »Königsherrschaft Gottes«? Auch viel missbraucht und entstellt, viel-deutig. Was bleibt an Gemeinsamem? Wohl der personale Aspekt des Vaterbildes und sicher die Autorität und Wirkmacht des Reich-Gottes-Bildes. Und wenn wir noch einmal auf Genesis 1 schauen, sehen wir, dass es mit dem Menschlichen zu tun haben muss, wenn der Mensch das Bild Gottes ist. Wenn ich das mal zusammenführe, möchte ich sagen: Das Gemeinsame ist die Liebe! Eine personale, unbedingt gültige Wirkmacht in unserem Kosmos. Und zwar nicht als eine Eigenschaft eines Gegenübergottes, sondern als eine Art Wirkprinzip allen Seins und somit in uns Menschen unser Lebensgesetz, nach dem wir »funktionieren«, wie eine Uhr, die nicht rückwärtsgehen kann oder ein Bach, der nicht bergauf fließen kann.

 

Nun bringt es allerdings nichts, diese Einsicht wiederum allen von außen aufzudrücken.

Da wären wir wieder bei der alten Glaubensweitergabe-Strategie, der Seelenführung, der Katechetisierung und Instruktion. Das wird – um mein Anfangszitat wieder aufzugreifen – nicht die Zukunft von Kirche oder Religion sein.

Denn um es zum Schluss ganz deutlich zu sagen: In der Haltung der Geistlichen Begleitung werden zwar Alle und Alles geliebt, doch nicht alles gutgeheißen. Ein unverzichtbares Kriterium auch im mitgehenden Begleiten ist dies: Es muss zumindest auf Dauer ein Weg sein und immer wieder neu werden, ein Entwicklungsprozess. Im Anfang des Christentums wurde es »der Weg« genannt (Apostelgeschichte 9,2 und 22,4). Wer sich nur noch einrichtet, dauerhaft oder gar grundsätzlich stehenbleibt, also sein Herz verschließt, muss auch die lebensgefährliche Grenze dieser Lebenshaltung angezeigt bekommen, weil die Wirklichkeit Gottes immer größer ist als alle unsere »Positionen« im Glauben. Daher die kraftvollen Wider-Worte Jesu gegen die Pharisäer und ihre GesinnungsgenossInnen in seinen Tagen: »Heuchler, blinde Führer, blinde Narren, wie getünchte Gräber, Nattern und Schlangenbrut« in Matthäus 23 und kurz in Lukas 6: »Weh euch, Ihr Reichen; denn ihr habt euren Trost schon empfangen.« Daher die Notwendigkeit der eindeutigen Stellungnahme gegen jeden starren und lieblosen Fundamentalismus unserer Tage: Allen herzoffen Suchenden eine mitgehende Begleitung, den Glaubensbesitzern aber, den herzverschlossenen »Gottesprotzen« ein prophetisch-kritisches Gegenüber!

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