Geheimnisdetektive

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Geheimnisdetektive
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Ich widme dieses Buch meinen Kindern

Marion, Frank und Julia

und meinen Enkeln

Mascha, Philipp, Maja, Lara und Luki

Endlich neue Nachbarn

Oberburtenbach war ein kleines Dorf mit nur tausend Einwohnern in der Nähe von Augsburg mit einem Schulzentrum für alle umliegenden Dörfer. Die meisten Einwohner lebten in schmucken Häusern mit Garten, aber es gab auch einige Villen und Bauernhöfe. Wenn jemand neu hierher zog, wussten das die meisten Leute schon Wochen vorher. Diesmal war es anders. Keiner konnte sagen, wer in das kleine Häuschen am Ortsrand in der Nähe des Jagdschlosses einziehen würde. Lange Zeit hatte es leer gestanden und erst vor einigen Wochen hatten Handwerker mit der Renovierung begonnen.

Charlotte Horn, genannt Charly, die gerade zwölf Jahre alt geworden war, und ihr vierzehnjähriger Bruder Walther, genannt Teddy wegen seiner kurzen blonden Haare, versuchten öfters die Handwerker auszufragen, lag dieses Haus doch auf dem Nachbargrundstück.

Doch sie bekamen meist nur ein Brummen oder ein „Weiß ich nicht“ zu hören. Sie hatten mit ihren Freunden Maja, genannt Biene, und ihrem Bruder Matthias, der wegen seiner immer strubbeligen, lockigen Haare Wuschel genannt wurde, oft gerätselt, wer hier wohl einziehen würde.

Da die Freunde im gleichen Alter waren, dieselbe Klasse jeweils der Realschule besuchten und nur ein paar Häuser weiter wohnten, verbrachten sie die meiste Zeit gemeinsam. Auch ihre Hobbys waren fast gleich, die Mädchen interessierten sich für das Fotografieren und die Jungen für ferngesteuerte Autos und Flugzeuge.

Sie unterschieden sich hauptsächlich äußerlich, Walther und Charlotte waren groß und blond, Maja und Matthias etwas kleiner und dunkelhaarig. Bei den Mädchen trug Maja meist Zöpfe und Charlotte einen Pferdeschwanz. Fehlen dabei durfte in der Freizeit natürlich nicht Lisa, Walthers Hündin, ein Schäferhund-Husky-Mischling, die ein grünes und ein braunes Auge hatte.


Heute nun geschah endlich etwas auf dem Nachbargrundstück. Ein Möbelwagen stand vor dem Nachbarhaus, als Charlotte und Walther am Montag von der Schule kamen.

„ Hey, Teddy, nun geht was“, rief Charlotte aufgeregt, „jetzt werden wir endlich erfahren , wer hier einzieht.“ Walther legte den Kopf schief und betrachtete die schon ausgeladenen Möbelstücke: mehrere Regale, einen Schaukelstuhl, einen Tisch und sechs gepolsterte Stühle dazu, außerdem eine Menge Kartons. Ein Möbelpacker hievte sich gerade einen auf die Schulter.

„ Da sind wohl Goldbarren drin“, murmelte er ärgerlich vor sich hin.

„ Das alles sieht nicht gerade nach Kindern aus. Schade !“ meinte Walther enttäuscht. Insgeheim hatte er gehofft, dass ein paar nette Jungen in seinem Alter mit ihren Eltern einziehen würden. „Komm endlich ins Haus, sonst schimpft Mami, wenn wir schon wieder zu spät zum Essen kommen“, rief Walther Charlotte zu, die immer noch neugierig am Zaun stand. „ Ich komm schon, heute Nachmittag kann ich mich ja mal umschauen. Vielleicht erfahre ich dann endlich, wer hier einzieht“, erwiderte Charlotte, während sie sich umdrehte um ins Haus zu gehen.

„ Ich“, kam eine Stimme aus dem Hintergrund. Charlotte drehte sich blitzschnell um und vor ihr stand eine etwa sechzig Jahre alte Frau, ziemlich klein und zierlich, mit hochgesteckten Haaren und sah sie erwartungsvoll an.

„Darf ich mich vorstellen?“ fragte sie freundlich. „ Frau Fridoline Bretzelmoser, pensionierte Bibliothekarin aus Augsburg.“ Sie streckte Charlotte ihre zierliche Hand hin.

„ Hallo, ich bin Charlotte Horn“, begrüßte diese die kleine Frau und ergriff ihre Hand. „ Ich war schrecklich neugierig, wer in unser Nachbarhaus einziehen würde“, gestand Charlotte.

„ Und jetzt bist du sicher enttäuscht, dass es keine Mädchen oder Jungen in deinem Alter sind“, meinte Frau Bretzelmoser lächelnd.

„ Natürlich nicht“, versicherte Charlotte, „ich muss jetzt aber ganz schnell zum Essen gehen, sonst schimpft meine Mutter.“ Rasch sprang sie die Stufen hinauf. „ Aber später kann ich ihnen vielleicht ein wenig helfen“, rief sie über die Schulter zurück, „ bis nachher.“

„ Es würde mich sehr freuen, auf Wiedersehen“, sagte Frau Bretzelmoser und wandte sich wieder den Möbelpackern zu.

„ Na, jetzt wird es aber Zeit,dass du zum Essen kommst“, meinte Frau Horn vorwurfsvoll. Herr Horn und Walther hatten bereits mit dem Essen begonnen. Es gab Kartoffelbrei mit Putenbraten, Soße und Salat. Lisa lag erwartungsvoll unter dem Tisch und wartete darauf, dass Walther seine Hand unauffällig mit einem Stück Fleisch nach unten senkte. Sie liebte Putenbraten und war schon seit zwei Stunden um Frau Horn herumgeschlichen, bis diese sie aus der Küche geworfen hatte. Endlich erwischte sie ein saftiges Stück Fleisch.

Charlotte schöpfte sich einen großen Teller voll. Besonders Kartoffelbrei liebte sie. In die Mitte des Breis grub sie eine Kuhle, in die sie die Soße goss.

„ Guten Appetit“, wünschte sie den anderen, dann steckte sie sich einen großen Bissen in den Mund. Auch ihre Mutter hatte mit dem Essen begonnen. Charlotte konnte es kaum erwarten, ihrer Familie die Neuigkeit mitzuteilen. Sie schluckte rasch das Essen hinunter und berichtete dann aufgeregt: „Stellt euch vor, ich weiß, wer gerade in das Haus neben uns einzieht!“

„ Wie bitte?“ Walther verschluckte sich fast. „Wer ist es? Sag schon!“ Charlotte schob sich genüsslich einen neuen Bissen in den Mund.

„ Du sollst jetzt nicht essen, sondern sagen, was du weißt.“ Walther wurde fast wütend. Auch die Eltern schauten interessiert.

„ Ist schon okay, Teddy. Es ist eine ältere, allein stehende Frau namens Fridoline Bretzelmoser, die Bibliothekarin war. Sie hat Berge von Büchern mitgebracht. Ne sehr nette Frau, glaub ich.“ Zufrieden lehnte sie sich zurück und schob sich wieder eine gefüllte Gabel in den Mund. „ Och, und ich dachte schon, dass Kinder in unserem Alter einziehen würden“, murmelte Walther enttäuscht.

„ Genügen unsere Freunde und ich dir nicht mehr? Jetzt warte es doch erst einmal ab. Bei mir hat sie einen guten Eindruck gemacht und ich habe ihr angeboten, beim Einräumen zu helfen“, sagte Charlotte zu Walther, „ außerdem müssen wir das alles noch Biene und Wuschel mitteilen.“

Frau Horn mischte sich ein: „Da muss ich dir Recht geben, mein Schatz, man muss unserer neuen Nachbarin erst einmal eine Chance geben, uns gegenseitig kennen zu lernen.Aber bevor ihr irgend etwas macht, esst ihr erst einmal euer Essen auf.“

„ Das meine ich doch auch“, brummte Herr Horn. Charlotte und Walther konnten das Essen nicht schnell genug hinunterschlingen.

„ Übertreibt jetzt nicht“, meinte Frau Horn, „ die Neuigkeit läuft euch nicht davon, außerdem gibt es noch einen Nachtisch.“

„ Ich glaube , ich bin satt“, murmelte Walther, während er den letzten Bissen hinunterschluckte. „ Das hat es ja noch nie gegeben, dass du zu satt für einen Nachtisch warst!“ Frau Horn schaute ihren Sohn überrascht an, dann lächelte sie. „ Na gut, ausnahmsweise könnt ihr euren Nachtisch später mit euren Freunden zusammen essen. Saust schon, sonst zerplatzt ihr ja noch.“ Das ließen sich Charlotte und Walther nicht zweimal sagen. Blitzschnell rannten sie zusammen mit Lisa zu ihren Freunden, die ja nicht weit entfernt wohnten. Aufgeregt klingelten sie. Maja öffnete die Tür: „ Wen darf ich bitte melden?“ fragte sie vornehm und schaute die beiden hoheitsvoll an, „die Herrschaften nehmen gerade ihr Mittagsmahl ein.“ „Lass den Quatsch“, brummte Walther und schob Maja zur Seite, „ wo ist Wuschel?“

„ Das hab ich dir doch gerade gesagt“, beschwerte sie sich, „ wir sind beim Mittagessen und du weißt, mein Vater wird fuchsteufelswild, wenn dabei einer stört. Also wartet im Garten. Ich werde Wuschel ein Zeichen geben, dass er sich beeilen soll, okay ?“ Bevor Charlotte und Walther antworten konnten, hatte Maja die Tür bereits wieder geschlossen. „ Komm schon und meckere nicht“, sagte Charlotte besänftigend und zog Walther zu der Bank im Garten, die vor einem kleinen Gartenhäuschen stand. Lisa trottete hinterher und ließ sich unter der Bank nieder.

„ Du weißt unsere Eltern sind auch nicht entzückt, wenn während des Essens unsere Freunde vorbeikommen. Außerdem werden sie gleich hier sein“, bemerkte Charlotte. Sie wollte Walther möglichst rasch beruhigen, der war nämlich ganz schön wütend geworden.

„Ist schon recht“, brummte Walther und wurde langsam ruhiger.

„ Du, vielleicht hat sie auch alte Bücher über Burgen mit Schatzkarten und geheimen Plänen“, meinte er mit leuchtenden Augen und wurde durch diese Gedanken wieder ganz aufgeregt, denn das war ein Hobby von ihm, sich mit Burgen zu beschäftigen. Auch seine Schwester und ihre Freunde interessierten sich dafür.

„ Hallo Brüderchen, träum weiter. Glaubst du das wirklich?“

Bevor Walther Charlotte antworten konnte, stürzten Maja und Matthias aus dem Haus.

„ Hey, was ist los, dass ihr um diese Zeit hier aufkreuzt?“ fragte Maja ganz außer Atem.

 

„ Stellt euch vor, in das Haus neben uns ist eine ältere Frau, eine ehemalige Bibliothekarin, mit Tausenden von Büchern eingezogen“, erzählte Charlotte, „sie ist sehr nett.“

„ Och, eine ältere Frau?“ Matthias war ganz enttäuscht. „ Und ich dachte schon, da würden ein paar nette Jungs in unserem Alter einziehen.“

„ Na, erlaube mal, genügen wir dir nicht mehr?“ protestierte Charlotte ärgerlich.

„ Quatsch“, meinte Matthias, „es wäre aber für uns alle ganz nett gewesen, neue Leute kennen zu lernen, oder?“

„Wenn du das so siehst, hast du natürlich Recht. In unserem kleinen Kuhkaff findet man außer in der Schule kaum interessante Leute in unserem Alter“, erwiderte Charlotte versöhnlich, „aber ich glaube mit Frau Bretzelmoser kann es auch ganz nett werden. Stellt euch vor, in alten Büchern zu schmökern, das wäre doch auch super.“

„Da würde ich doch vorschlagen, dass wir uns gleich auf die Socken machen. Ich ziehe mich nur noch schnell um.“ Mit diesen Worten verschwand Maja im Haus. Lisa hatte anscheinend alles verstanden, denn sie kam unter der Bank vor und sprang aufgeregt herum.

„ Außerdem wartet bei uns zu Hause ein leckerer Nachtisch auf uns“, erklärte Walther und fuhr sich mit der Zunge genüsslich über die Oberlippe.

„ Na, das hört sich doch gut an“, meinte Matthias, „und anschließend werden wir eure neue Nachbarin unter die Lupe nehmen.“

Endlich tauchte Maja wieder auf. Sie hatte sich einen Jeansrock und ein rotes T-Shirt angezogen, dazu ihre blauen Sandalen. „Oh, Madam haben sich fein gemacht“, ließ Walther erstaunt vernehmen. Es war etwas ungewöhnlich Maja in einem Rock zu sehen. Sie interessierte sich zwar für Mode, aber hauptsächlich für Hosen. Außerdem trug sie die braunen Haare offen. Sonst hatte sie meist zwei Zöpfe.

„ Rede keinen Blödsinn“, fuhr Maja ihn an, „aber wenn ich Frau Bretzelmoser kennen lerne, möchte ich einen guten Eindruck machen.“ „ Ich benötige dazu keine Klamotten“, erwiderte Walther. „Mann, hört endlich mit dem Quatsch auf und kommt, Lisa ist schon weit vorne“, rief Charlotte und rannte los. Die anderen folgten ihr. Bald waren sie am Haus von Familie Horn angekommen. Maja und Matthias schauten neugierig über den Zaun, aber Frau Bretzelmoser war nirgends zu sehen. „ Schade“, murmelte Matthias, „ dann wenden wir uns eben sofort dem Nachtisch zu, den ihr uns versprochen habt.“ Mit diesen Worten marschierte er auf den Eingang zu. Eilig kamen die anderen nach. „ Oh, hallo“, begrüßte sie Frau Horn, „es freut mich, dass mein Nachtisch euch angelockt hat.“ Auf dem Tisch standen vier Schälchen und eine Schüssel Schokoladenpudding mit Vanillesoße. Schnell setzten sich die vier auf die Stühle und begannen den Pudding zu essen. Auch Lisa bekam ein wenig in ihren Futternapf.„ Mmh, lecker“, lobte Matthias und verdrehte die Augen. Auch den anderen schmeckte es. Es dauerte nicht lange und die Schüssel war leer. „ So, nun wollen wir doch einmal bei Frau Bretzelmoser vorbeischauen und uns vorstellen“, schlug Maja vor. „ Genau, ich bin schon neugierig“, gab Walther von sich.

Frau Bretzelmoser und ihre Bücher

Sie marschierten zur Gartentür hinaus und klingelten beim Nachbarhaus. Zuerst blieb alles still, dann hörte man eine Tür zuschlagen und schon stand Frau Bretzelmoser vor ihnen. Sie war etwas erhitzt, was man an ihren geröteten Wangen sah, ein paar Haarsträhnen hatten sich aus ihrer Hochfrisur gelöst und ihre blauen Augen blitzten freundlich.

„Hallo“, meinte sie, „ hereinspaziert. Charlotte, das sind sicher deine Freunde. Ich bin gerade beim Büchereinräumen, deshalb hat es etwas gedauert.“ „ Guten Tag Frau Bretzelmoser“, begrüßte Charlotte die neue Nachbarin, „darf ich vorstellen? Das hier ist mein Bruder Walther, genannt Teddy, und das sind unsere Freunde Maja und Matthias Eich, genannt Biene und Wuschel, und das hier ist Walthers Hund Lisa. Sie ist mehr Mensch als Hund von ihrem Verhalten her.“

Lisa setzte sich vor Frau Bretzelmoser hin und reichte ihr die Pfote. Diese ergriff und schüttelte sie. Alle mussten lachen. Charlotte fuhr fort: „Ich habe ihnen von ihren Büchern erzählt und jetzt sind sie furchtbar neugierig.“

„ Na dann kommt mal herein, wir können ja eine Tasse Schokolade zusammen trinken und dann könnt ihr meine Bücher begutachten“, schlug Frau Bretzelmoser vor. Das ließen sich die vier nicht zweimal sagen und auch Lisa sauste sofort hinterher. Hinter der Haustür sahen die Kinder einen langen Flur, an dessen Ende eine Treppe rechts zu erkennen war, die ins Obergeschoss führte. Von diesem Flur führten vier Türen in verschiedene Räume. Durch die der Haustür gegenüberliegende fünfte Tür kam man direkt auf die Terrasse.

So hereinspaziert“, forderte Frau Bretzelmoser sie auf und öffnete die erste Tür auf der linken Seite. Neugierig traten sie ein und sahen sich um. Außer dem großen Esstisch und den sechs Stühlen, die Charlotte und Walther schon auf dem Gehweg gesehen hatten, standen ein Eckschrank, eine Glasvitrine mit wunderschönem Geschirr, eine Standuhr und ein rundes, kleines Tischchen mit drei Stühlen in dem Zimmer. Eine weitere Tür führte in einen anderen Raum, vermutlich die Küche. Duftige Tüllvorhänge und hellgelbe Übergardinen ließen das Zimmer freundlich und gemütlich aussehen.

„ Das ist aber schön geworden“, meinte Charlotte, „ diese zartgelbe Tapete passt gut zu den braunen Möbeln.“ Die anderen nickten zustimmend.

„ Leider habe ich noch nicht alles ausgeräumt, aber die Tassen und Teller stehen schon im Schrank“, sagte Frau Bretzelmoser. Sie öffnete ihn und nahm fünf Tassen und fünf Teller heraus, stellte alles auf den Tisch und verschwand durch die Tür in die Küche.

„ Setzt euch schon einmal, gleich ist alles fertig“, rief sie.

„ Komm Walther, wir decken schnell den Tisch“, forderte Charlotte ihren Bruder auf. Lisa hatte sich schon unter dem Tisch breit gemacht. „ Hey Lisa, geh von meinen Füßen, du bist ganz schön schwer“, brummte Matthias, der sich inzwischen hingesetzt hatte.

„Wo sind denn die vielen Bücher?“ Suchend sah sich Walther um. „ Ich sehe nur Geschirr.“

„ Du Witzbold, wir sind ja auch im Esszimmer, falls du das noch nicht geschnallt hast Bruderherz.“ Charlotte stellte die letzte Tasse zurecht und setzte sich hin. Schon kam Frau Bretzelmoser mit einem großen Teller mit leckerem Marmorkuchen und einer dampfenden Kanne heißer Schokolade aus der Küche. „ So, ich habe noch Löffel und Kuchengabeln mitgebracht, lasst es euch schmecken“, sagte sie lächelnd. Jeder nahm sich ein Stück Kuchen und schenkte sich Schokolade ein.

„ Richtig gemütlich haben sie es hier“, meinte Maja.

„ Oh, warte nur, bis du das Arbeits- und das Wohnzimmer siehst. Ich bin zwar noch lange nicht fertig, aber wenn alles aufgeräumt ist, wird es ganz nett aussehen“, stellte Frau Bretzelmoser fest. Walther schluckte einen Bissen hinunter und bot ihr an: „ Wir können ihnen ja ein bisschen helfen. Ich liebe es Bücher in den Händen zu halten.

“ Das wäre schön“, erwiderte sie, „ aber greift erst noch einmal richtig zu.“

Das ließen sich die fünf nicht zweimal sagen. Lisa hatte nämlich einen Napf mit Wasser und ein Stück Kuchen bekommen.

Als sie endlich satt waren, räumten sie den Tisch ab und Frau Bretzelmoser führte sie über den Flur in das gegenüberliegende Zimmer. Hauptsächlich standen Bücherregale ringsherum, nur vor dem Fenster sah man einen Computer auf einem Tisch mit einem Drehstuhl davor, daneben in der Ecke einen Kachelofen, einen Schaukelstuhl und eine Lampe. Besonders fiel der riesige Schreibtisch neben dem Seitenfenster auf, vor dem ein bequemer, lederner Stuhl stand. Ein großer, flauschiger Berberteppich bedeckte den Boden. Überall standen geöffnete Kartons herum.

„ So, hier ist nun mein Arbeitszimmer und Arbeit gibt es hier genug, wie ihr seht“, bemerkte Frau Bretzelmoser.

„Nichts wie ran, Wuschel“, forderte Walther seinen Freund auf, „ und du Lisa lässt bitte deine Schnauze von den Büchern.“

„ Wahrscheinlich will sie uns helfen oder ne gute Geschichte lesen,“ kicherte Maja.

„ Sei nicht so albern und fang endlich an“, murmelte Walther.

Er hatte seinen Kopf bereits in einem Karton stecken und sah sich interessiert die Titel an.

„ Du hast genau den richtigen Karton erwischt“, meinte Frau Bretzelmoser, „ das sind alles Bücher, die ich selbst nicht kenne. Ich habe sie erst letzte Woche auf einem Flohmarkt in München gekauft und sie noch nicht angesehen. Sie gehörten einem alten Mann, der mir sagte, sie würden aus dieser Gegend stammen. Er hatte dabei so ein besonderes Lächeln im Gesicht, aber vielleicht habe ich mir das auch nur eingebildet.“

„ Oh, ich denke, hier habe ich ein interessantes Buch gefunden“, rief Walther aufgeregt aus, „ der Titel lautet „ Burgen und ihre Geheimnisse“.“

Alle beugten sich gespannt über den Karton. Das dicke Buch mit dem ledernen Einband fiel allen sofort auf. Frau Bretzelmoser fasste in den Karton und zog das Buch vorsichtig heraus. Der Buchtitel war in das Leder eingestanzt, dazu noch der Autor, ein Graf Waldenau, das Erscheinungsjahr, 1855, und eine Burg.


„ Interessant“, meinte sie, „ ich glaube, dieser Graf Waldenau ist, nachdem er dieses Buch geschrieben hat, auf geheimnisvolle Weise verschwunden. Ja, jetzt fällt es mir wieder ein. Ein Kunde der Bibliothek, in der ich gearbeitet habe, wollte genau dieses Buch ausleihen. Es war jedoch unauffindbar und blieb bis zu meiner Pensionierung verschwunden. Der Kunde glaubte, der Graf sei verschwunden, weil er die Geheimnisse von einigen Burgen in diesem Buch preisgegeben habe, wie zum Beispiel Geheimgänge, geheime Verliese u.s.w. . Dieses Buch soll das einzige sein, das es noch gibt. Alle anderen seien verbrannt worden. Ich frage mich jetzt wirklich, wie es auf den Flohmarkt gekommen ist?“

Nachdenklich starrte Frau Bretzelmoser auf das Buch. Die vier Kinder hatten aufmerksam zugehört, selbst Lisa war ganz still und versuchte nur an dem Buch zu schnüffeln.

„ Das werden wir vielleicht noch herausfinden. Aber, bitte Frau Bretzelmoser, öffnen sie doch das Buch, sonst platze ich noch vor Neugier“, bat Matthias. Burgen hatten ihn und die anderen schon immer begeistert. Vorsichtig schlug sie das Buch, das sie zuvor auf den Schreibtisch gelegt hatte, auf. Eine wunderschöne Zeichnung von einer Burg kam zum Vorschein.

„Wow, sieht die toll aus“, bewunderte Maja das Bild. Auch Matthias war überwältigt. „Wo liegt diese Burg oder eventuell die Ruine?“ fragte Walther gespannt. „Ich glaube, diese Burg gibt es noch, sie liegt im Allgäu bei Füssen, Hohenschwangau, wenn ich mich nicht täusche. Und auch diese hier ist sehr bekannt, Neuschwanstein von Ludwig II erbaut. Sieht aus wie ein Märchenschloss.“ Frau Bretzelmoser deutete auf die zweite Seite des Buches.

„ Oh, fantastisch“,rief Charlotte,“ davon habe ich schon eine Fotografie gesehen.“ Nun schien Matthias fast ein wenig enttäuscht zu sein: „Ich dachte eigentlich dass es sich um geheimnisvolle Burgen handelt.“ Frau Bretzelmoser lächelte und meinte: „ Ich denke, die kommen noch. Vielleicht sind diese zwei Burgen eine Art Tarnung, dass, wenn jemand das Buch öffnet, er glaubt, es handle sich um ein ganz normales Buch über Burgen. Denn, wenn ihr den Einband betrachtet, der ist schon sehr eigenartig.“

„ Stimmt“, erwiderte Matthias, „ dieses dicke Leder mit diesem Muster sieht wie eine Geheimschrift aus.“

„ Bitte blättern sie weiter“, bettelte Maja, „ ich bin so sehr gespannt, was wir noch alles darin finden.“ „ Das verstehe ich sehr gut“,stimmte Frau Bretzelmoser zu, „ ich bin auch ziemlich neugierig auf dieses Buch, aber ich wäre euch dankbar, wenn wir erst alles einräumen würden. Dann können wir anschließend in aller Ruhe und mit viel Platz dieses Buch genau anschauen.“

Die Kinder waren zwar etwas enttäuscht, aber sie verstanden Frau Bretzelmoser sehr gut. In diesem Durcheinander ließ es sich nicht gut arbeiten. Also packten sie Kartons aus und räumten die Bücher in die Regale. Sie waren so beschäftigt, dass sie gar nicht merkten, wie die Zeit verging.

Erst als Lisa zur Tür ging und brummte, erschrak Charlotte, als sie durchs Fenster sah und feststellte, dass es bereits dämmerte. Bis jetzt hatte das keiner bemerkt, da schon eine Weile das Licht brannte, um die Bücher besser sehen zu können.

 

„ Hey, wir müssen dringend nach Hause und ihr auch. Sonst bekommen wir Ärger mit unserer Regierung (so nannten sie ihre Eltern zum Spaß)“, rief Charlotte, „ und Lisa muss mal dringend gewisse Geschäfte erledigen. Wir waren heute Mittag gar nicht mit ihr spazieren.“ Auch die anderen waren erstaunt, wie schnell die Zeit vergangen war.

„ Schade, dass ich euch jetzt nicht mehr das Buch zeigen kann, aber morgen ist ja auch noch Zeit“, bedauerte Frau Bretzelmoser. „Ihr wart sehr fleißig, vielen Dank, hier habt ihr noch etwas Süßes.“ Sie überreichte jedem eine kleine Tafel Schokolade. Die Kinder bedankten sich und verabredeten sich mit Frau Bretzelmoser auf Dienstagnachmittag um 16.30 Uhr, weil sie noch ihre Hausaufgaben machen mussten.

Charlotte und Walther verabschiedeten sich rasch von ihren Freunden: „ Tschüss, bis morgen und träumt etwas Schönes von dem geheimnisvollen Buch!“

„Klar, macht's gut“, erwiderten Maja und Matthias und machten sich auf den Heimweg. Die Eltern würden über ihr spätes Heimkommen nicht erfreut sein, und Hausaufgaben hatten sie auch noch nicht gemacht.

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