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Einsatzrecht – Basisausbildung gehobener Dienst
Lernbuch für den gehobenen Polizeivollzugsdienst in der Bundespolizei
Patrick Lerm
Polizeioberkommissar
Fachlehrer am Bundespolizeiaus- und -fortbildungszentrum Bamberg für Einsatzrecht und Öffentliches Dienstrecht
Lehrbeauftragter der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern – Fachbereich Allgemeine Innere Verwaltung
Dominik Lambiase, M. A.
Polizeioberkommissar
Fachlehrer am Bundespolizeiaus- und -fortbildungszentrum Bamberg für Einsatzrecht und Öffentliches Dienstrecht
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Print ISBN 978-3-415-06873-5
E-ISBN 978-3-415-06875-9
© 2020 Richard Boorberg Verlag
E-Book-Umsetzung: Datagroup int. SRL, Timisoara
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Einführung
Dieses Lernbuch hat das primäre Ziel, den Polizeikommissaranwärter1 des gehobenen Polizeivollzugsdienstes in der Bundespolizei (BPOL) in die Lage zu versetzen, die im Rechtsunterricht der Basisausbildung2 dargebotenen Befugnisse und Straftaten nachzuvollziehen und den schriftlichen Leistungstest (am Ende der Basisausbildung) mit Erfolg zu bestehen. Darüber hinaus ist dieses Buch geeignet für bereits ausgebildete Polizeibeamte, die den Ausbildungsaufstieg absolvieren, als auch für sog. Praxisaufsteiger, die den verkürzten Aufstieg in den gehobenen Polizeivollzugsdienst anstreben.
Die Anregung zur Erstellung dieses Lernbuches lieferten diverse Gespräche mit Polizeikommissaranwärtern und -anwärterinnen im Rahmen der Unterrichtungen in der Basisausbildung der vergangenen Studienjahrgänge am bislang größten Bundespolizeiaus- und Fortbildungszentrum in Bamberg. In Anlehnung an die ebenfalls im RICHARD BOORBERG VERLAG erschienenen Werke für die Auszubildenden des mittleren Polizeivollzugsdienstes (u.a. Einsatzrecht kompakt – Definitionswissen für die Grundausbildung, Zwischenprüfung erfolgreich bestehen) wurde versucht, den spezifischen Anforderungen an das Studium des gehobenen Polizeivollzugsdienstes Rechnung zu tragen.
Aufbauend auf den rechtlichen Grundbegriffen (u.a. Gefahrenbegriffe, Entscheidung) werden zunächst die erforderlichen Definitionen der Befugnisse und Straftaten dargestellt, ohne die die spätere, erfolgreiche Sachverhaltsbeurteilung nicht denkbar ist. Stets dabei abgedruckt sind der jeweilige Gesetzesauszug und ein kurzes Fallbeispiel.
Auch wurde das im mittleren Polizeivollzugdienst bewährte Konzept der Hilfsfragen bei den einzelnen Tatbestandsmerkmalen bzw. Voraussetzungen aufgegriffen, durch die die Anwärter in die Lage versetzt werden sollen, Sachverhalte rasch, umfänglich und damit erfolgreich zu bearbeiten. Im Anschluss daran werden Mustersachverhalte zu den einzelnen Befugnissen und Straftaten ausformuliert. Ein separates Kapitel widmet sich dem öffentlichen Dienstrecht, da dieses Fach zumeist auch Bestandteil des schriftlichen Leistungstestes ist. Zum Schluss wird noch eine Musterklausur mit Lösungsvorschlag präsentiert.
Wir hoffen, dass dieses Werk auch über die eigentliche Basisausbildung hinaus an Strahlkraft gewinnt, da die hier dargestellten Inhalte im Laufe des Grund- und Hauptstudiums wiederholt und vertieft werden und somit weiterhin von Relevanz sind.
Bamberg, Juli 2020 | Die Verfasser |
Inhalt
Einführung
Kapitel 1 Begriffliche und schematische Grundlagen
1.1 Prüfungsschemata
1.1.1 Befugnisse
1.1.2 Straftaten
1.2 Prävention/Repression (Entscheidung)
1.3 Gefahrenlehre
1.4 Grundlagen des StGB
1.4.1 Grundlagen
1.4.2 Handlung und Kausalität
1.4.3 Elemente der Straftat
Kapitel 2 Definitionswissen
2.1 Präventive Standardbefugnisse
2.1.1 Generalklausel
2.1.2 Platzverweis
2.1.3 Datenerhebungsgeneralklausel
2.1.4 Befragung
2.1.5 Identitätsfeststellung
2.1.5.1 IDF nach § 23 I Nr. 1 BPolG – zur Abwehr einer konkreten Gefahr
2.1.5.2 IDF nach § 23 I Nr. 2 BPolG – bei der Grenzübertrittskontrolle
2.1.5.3 IDF nach § 23 I Nr. 3 BPolG – im Grenzgebiet (30-km-Bereich)
2.1.5.4 IDF nach § 23 I Nr. 4 BPolG – an gefährdeten Orten
2.1.5.5 IDF nach § 23 I Nr. 5 BPolG – zum Schutz privater Rechte
2.1.6 Datenabgleich
2.1.6.1 Datenabgleich nach § 34 I S. 1 BPolG
2.1.6.2 Datenabgleich nach § 34 I S. 2 BPolG
2.1.7 Durchsuchung von Personen
2.1.7.1 Durchsuchung nach § 43 I Nr. 1 BPolG
2.1.7.2 Durchsuchung nach § 43 I Nr. 2 BPolG
2.1.7.3 Durchsuchung nach § 43 I Nr. 3 BPolG
2.1.7.4 Durchsuchung nach § 43 III BPolG
2.1.8 Durchsuchung von Sachen
2.1.8.1 Durchsuchung nach § 44 I Nr. 1 BPolG – anlässlich einer Personendurchsuchung
2.1.8.2 Durchsuchung nach § 44 II BPolG – im Grenzgebiet
2.1.9 Sicherstellung
2.1.9.1 Sicherstellung nach § 47 Nr. 1 BPolG – zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr
2.1.9.2 Sicherstellung nach § 47 Nr. 2 BPolG – zum Schutz des Berechtigten
2.1.9.3 Sicherstellung nach § 47 Nr. 3 BPolG – bei Freiheitsentziehungen
2.2 Repressive Standardbefugnisse
2.2.1 Identitätsfeststellung
2.2.1.1 Identitätsfeststellung beim Verdächtigen, § 163b I StPO
2.2.1.1 Identitätsfeststellung beim Unverdächtigen, § 163b II StPO
2.2.2 Durchsuchung
2.2.3 Sicherstellung und Beschlagnahme
2.2.3.1 Sicherstellung nach § 94 I StPO
2.2.3.2 Beschlagnahme nach §§ 94 I, II, 98 StPO
2.3 Straftaten
2.3.1 Sachbeschädigung
2.3.1.1 Einfache Sachbeschädigung
2.3.1.2 Sachbeschädigung („Graffiti“)
2.3.1.3 Gemeinschädliche Sachbeschädigung
2.3.2 Diebstahl
2.3.3 Körperverletzung
2.3.3.1 Einfache Körperverletzung
2.3.3.2 Gefährliche Körperverletzung
2.3.4 Widerstandsdelikte
2.3.4.1 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
2.3.4.2 Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte
2.4 Zwangsrecht
2.4.1 Allgemeines
2.4.2 Präventiver Zwang
2.4.3 Repressiver Zwang
2.4.4 Zwangsmittel
2.4.5 Weitere Vorschriften
2.4.6 Merkregeln und Definitionen zum unmittelbaren Zwang
Kapitel 3 Sachverhaltsbeurteilung
3.1 Präventive Standardbefugnisse
3.1.1 Generalklausel
3.1.2 Befragung
3.1.3 Identitätsfeststellung zur Abwehr einer Gefahr
3.1.4 Sicherstellung
3.2 Repressive Standardbefugnisse
3.2.1 Identitätsfeststellung
3.2.2 Durchsuchung
3.2.3 Beschlagnahme
3.3 Straftaten
3.3.1 Sachbeschädigung
3.3.2 Diebstahl
3.3.3 (Einfache) Körperverletzung
3.3.4 Gefährliche Körperverletzung
3.3.5 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte
3.3.6 Tätlicher Angriff
Kapitel 4 Öffentliches Dienstrecht
4.1 Grundbegriffe und verfassungsrechtliche Grundlagen
4.1.1 Grundbegriffe
4.1.1.1 Beamtenarten in der Bundespolizei
4.1.1.2 Dienstherr und dessen Organe
4.1.1.3 Sonstige Beschäftigungsverhältnisse
4.1.2 Verfassungsrechtliche Grundlagen
4.1.2.1 Art. 33 II GG (Leistungsprinzip)
4.1.2.2 Art. 33 II GG (Gleichheitsprinzip)
4.1.2.3 Art. 33 IV GG (Funktionsvorbehalt)
4.1.2.4 Art. 33 V GG (Hergebrachte Grundsätze)
4.2 Grundzüge des Ernennungsrechts
4.2.1 Begriff der Ernennung und Ernennungsanlässe
4.2.2 Fehlerhafte Ernennung und Rechtsfolgen
4.2.2.1 Nichternennung
4.2.2.2 Nichtigkeit
4.2.2.3 Rücknahme
4.2.3 Beendigung des Beamtenverhältnisses
4.2.3.1 Entlassungsgründe für alle Beamten
4.2.3.2 Entlassung von Beamten auf Probe
4.2.3.3 Entlassung von Beamten auf Widerruf
4.3 Beamtenpflichten (Auswahl)
4.3.1 Verfassungstreuepflicht (§ 60 I S. 3 BBG)
4.3.2 Pflicht zum vollen persönlichen Einsatz (§ 61 I S. 1 BBG)
4.3.3 Folgepflicht (§ 62 I S. 2 BBG)
4.3.3.1 Beratungs- und Unterstützungspflicht (§ 62 I S. 1 BBG)
4.3.3.2 Gehorsamspflicht (§ 62 I S. 2 BBG)
4.3.4 Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten (§ 61 I S. 3 BBG)
Kapitel 5 Übungsklausur
Lösungsvorschlag
Anlage 1 – Beschuldigtenbelehrung
Anlage 2 – Zeugenbelehrung
Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.
Franz Kafka
Kapitel 1Begriffliche und schematische Grundlagen
1.1 Prüfungsschemata
1.1.1 Befugnisse
Das nachfolgende Schema zur Prüfung von Eingriffsmaßnahmen im gehobenen Polizeivollzugsdienst dient (lediglich) zur Orientierung für die Basisausbildung. Das Schema wird im Grund- und Hauptstudium noch weiter ausgebaut und verfeinert. Gleichwohl ist es aus didaktischen Gründen erforderlich, das Schema (zumindest in den Grundzügen) kurz vorzustellen, so dass der im Unterricht dargelegte Inhalt besser eingeordnet werden kann.
Entscheidung für präventives oder repressives Einschreiten? |
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Bevorstehende RGV → Anhaltende RGV → Abgeschlossene RGV A. Mögliche Ermächtigungsgrundlage Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes (Art. 20 III GG)Nennung der in Betracht kommenden Rechtsgrundlage B. Formelle Rechtmäßigkeit I. Zuständigkeit der BundespolizeiII. … C. Materielle Rechtmäßigkeit I. Ermächtigungsgrundlage(Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen der jeweiligen Befugnis → Subsumtion!)II. Richtiger Adressat/AdressatenregelungIII. Allgemeine Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen |
Die Kernelemente der Basisausbildung sind der Punkt B, Zuständigkeit3 (sachlich und örtlich), als auch der Punkt C, Ermächtigungsgrundlage und Verhältnismäßigkeit als Bestandteil der allgemeinen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen. Das Schema kann zum einen in Gänze Bestandteil des Leistungstestes sein. Es ist jedoch auch möglich, dass nur einzelne Teile daraus Bestandteil der Fragestellung sind.
Bevor man mit der Prüfung der genauen Ermächtigungsgrundlage (= Eingriff) beginnt, muss stets eine Entscheidung (präventiv/repressiv) getroffen werden, damit klar ist, welches Gesetz zur Anwendung kommt. In der Basisausbildung spielen, was die Befugnisse (= Ermächtigungsgrundlagen) betrifft, das Bundespolizeigesetz (BPolG) und die Strafprozessordnung (StPO) eine herausragende Rolle.
Befugnisse / Ermächtigungsgrundlagen | |
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Präventiv (d. h. zur Gefahrenabwehr) | Repressiv (d. h. zur Strafverfolgung) |
Maßnahme aus dem BPolG | Maßnahme aus der StPO |
1.1.2 Straftaten
Wenn es um Straftaten geht, kommt häufig die typische Fallfrage auf Sie zu: Hat sich die Person strafbar gemacht?
Das Schema zur Prüfung von Straftaten ist etwas übersichtlicher als das zur Prüfung von Eingriffsmaßnahmen. Des Weiteren muss keine Entscheidung getroffen werden, welches Gesetz zur Anwendung kommt. Denn: Die in der Basisausbildung relevanten Straftaten finden sich alle im Strafgesetzbuch (StGB).
Schema zur Prüfung von Straftaten |
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Typische Fallfrage in der Klausur: Hat sich die Person strafbar gemacht?1. Tatbestanda) objektiver Tatbestand → Schwerpunkt Subsumtion (3er-Schritt)b) subjektiver Tatbestand → Vorsatz und ggf. besondere Absichten2. RechtswidrigkeitDie Tatbestandsmäßigkeit indiziert die Rechtswidrigkeit. → ggf. Prüfung von Rechtfertigungsgründen3. Schuld→ Ggf. Prüfung von Schuldausschließungsgründen |
Für den schriftlichen Leistungstest gilt auch hier, dass entweder das ganze Schema geprüft werden muss oder auch nur einzelne Teile davon, z. B. nur der Tatbestand.
Für alle Aufsteiger/Umsteiger aus dem mittleren Polizeivollzugsdienst ist es wichtig zu wissen, dass der Vorsatz des Täters im Studium des gehobenen Polizeivollzugsdienstes nicht beim Punkt Schuld zu prüfen ist, sondern im sog. subjektiven Tatbestand.
Zu den einzelnen Prüfungspunkten wie folgt:
1. Tatbestandsmäßigkeit (des Täterverhaltens)
1.1 Objektiver Tatbestand
= als objektive Tatbestandsmerkmale (TBM) bezeichnet man solche Tatumstände, die das äußere Erscheinungsbild der Straftat bestimmen (Gegenstände, Zustände).
► Beispiel: § 223 StGB Körperverletzung
(1) Wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. […]
Der objektive Tatbestand des § 223 StGB ist:
■ Andere Person
■ Körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung
1.2 Subjektiver Tatbestand
= als subjektive TBM bezeichnet man diejenigen Tatumstände, die dem seelischen Bereich und der Vorstellungswelt des Täters angehören.
a) Vorsatz: Wissen + Wollen der Tatbestandsverwirklichung
(für die meisten Delikte reicht bedingter Vorsatz aus)
b) Ggf. besondere Absichten, z. B.
■ Absicht der rechtswidrigen Zueignung, § 242 I StGB (Diebstahl)
■ Absicht zur Täuschung im Rechtsverkehr, § 267 I StGB (Urkundenfälschung)
2. Rechtswidrigkeit (der Tat)
Es gilt der (grundsätzliche) Merksatz: Die Tatbestandsmäßigkeit indiziert die Rechtswidrigkeit.
Was bedeutet dieser Satz genau?
Es darf im Regelfall vermutet werden, dass aufgrund der Tatbestandsmäßigkeit des Täterverhaltens die Tat auch rechtswidrig geschah.
Ausnahmen von der Rechtswidrigkeit:
■ Vorliegen von Rechtfertigungsgründen, z. B. Notwehr gem. § 32 StGB
■ Rechtfertigender Notstand gem. § 34 StGB
■ Rechtmäßige Dienst- bzw. Amtsausübung
3. Schuld (des Täters)
= bezeichnet die Vorwerfbarkeit einer rechtswidrigen Tat im Hinblick auf die persönliche Verantwortlichkeit des Täters.
Berücksichtigung von:
■ individuellen Fähigkeiten, Kenntnissen und Fertigkeiten sowie
■ Beweggründen, Zielen und dem Vorleben des Täters (s. auch § 46 StGB).
Ausnahmen von der Schuld:
■ Sog. Schuldausschließungsgründe (z. B. § 19 StGB, unter 14 J.)
■ Entschuldigender Notstand, § 35 StGB
1.2 Prävention/Repression (Entscheidung)
Dreh- und Angelpunkt (fast) jeder Sachverhaltsbeurteilung ist die Entscheidung. Gedanklicher Ausgangspunkt der Entscheidung sind die drei Hauptaufgaben der Polizei:
Gefahrenabwehr (Prävention)
Bei der Prävention handelt die Bundespolizei nach dem sog. Opportunitätsprinzip, d. h. die jeweilige Bundespolizeibehörde hat bei ihren Maßnahmen einen Handlungsspielraum. Die Behörde kann eingreifen, muss aber nicht. Man spricht hier auch vom pflichtgemäßen Ermessen (§ 16 BPolG).
Strafverfolgung (Repression)
Im Rahmen der Strafverfolgung handelt die Bundespolizei nach dem Legalitätsprinzip. Dieses ist die gesetzlich normierte Verpflichtung der Strafverfolgungsorgane, erkannte bzw. mögliche Straftaten von Amts wegen zu erforschen und zu verfolgen (s. auch § 163 StPO).
Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten
Dieses Teilgebiet gehört zwar zur Repression, aber das Einschreiten der Behörden erfolgt nach dem Opportunitätsprinzip (s. auch § 53 Ordnungswidrigkeitengesetz – OWiG). Demnach haben die Behörden und Beamten des Polizeidienstes nach pflichtgemäßen Ermessen Ordnungswidrigkeiten zu erforschen und dabei alle unaufschiebbaren Anordnungen zu treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten.
Anhand eines Beispiels aus dem bundespolizeilichen Aufgabenbereich soll die Entscheidung dargestellt werden:
► BPOLI Hamburg – Sie sehen am Bahnsteig eine Person, die eine Spraydose in der Hand hält und zielgerichtet auf einen Fahrausweisautomaten (FAA) zugeht.
Wie schreiten Sie hier ein? Wie lautet Ihre Entscheidung? (präventiv oder repressiv)?
Lösung
Der Schaden am Rechtsgut Eigentum der DB AG ist hier noch nicht eingetreten. Daher versuchen Sie hier, den Schadenseintritt zu verhindern und fordern die Person auf, die Spraydose auf den Boden zu legen. Man spricht hier von einer bevorstehenden Rechtsgutverletzung (in diesem Fall für das Eigentum).
Beachten Sie, dass polizeiliche Situationen dynamisch sind. Situationen können sich rasch ändern. Deshalb ist die Frage nach der Entscheidung stets eine Momentaufnahme. Die Situation wird für einen kurzen Moment eingefroren und Sie müssen sich entscheiden.
Sobald der Schaden am Rechtsgut eingetreten ist, spricht man von einem Schadenseintritt, siehe Übersicht. Dies wäre dann der Fall, wenn die Person bereits begonnen hat, den Automaten zu besprühen bzw. sie immer noch dabei ist, ihn zu besprühen. Das Verhalten stellt (zumindest) den Verdacht einer Straftat nach § 303 II StGB (Sachbeschädigung) dar. Die Polizeibeamten müssen demnach (auch) zwingend das Legalitätsprinzip beachten.
Sprüht die Person schon bzw. sprüht sie weiter, wird das Eigentum der DB AG immer weiter verletzt. Daher fordern Sie die Peron auf, unverzüglich mit dem Sprühen aufzuhören und die Dose auf den Boden zu stellen. Sie müssen demnach zunächst eine weitere Schadensvertiefung verhindern. Sie schreiten zuerst präventiv ein.
Kommt die Person der Aufforderung nach (also ist die Gefahr der Schadensvertiefung abgewehrt), werden im Anschluss repressive Maßnahmen eingeleitet wie z. B. eine IDF gem. § 163b I StPO. Sie schreiten demnach im Anschluss repressiv ein. Dies bezeichnet man auch als anhaltende Rechtsgutverletzung.
Nun zur dritten Rechtsgutverletzung:
Diese liegt dann vor, wenn es keine Gefahr mehr abzuwehren gilt. Der Schaden ist bereits eingetreten und eine Schadensvertiefung ist nicht mehr möglich.
Im Fall mit dem Sprayer würde das bedeuten, die Person hat gerade mit dem Sprühen aufgehört und beginnt, sich vom Tatort zu entfernen. Gerade in diesem Moment kommen Sie als Streife zum Ereignisort.
Es handelt sich demnach um eine abgeschlossene Rechtsgutverletzung. Sie schreiten (nur noch) repressiv ein.
Zusammenfassung am o. g. Beispiel
Sie sehen am Bahnsteig eine Person, die eine Spraydose in der Hand hält und zielgerichtet auf einen Fahrausweisautomaten zugeht. | Sie sehen die Person, wie diese gerade den Automaten besprüht. | Sie sehen, dass die Person gerade mit dem Sprühen aufgehört hat und sich vom Tatort entfernt. |
Noch kein Schaden eingetreten | Schaden ist bereits eingetreten | Schaden ist bereits eingetreten |
Schadenseintritt steht unmittelbar bevor | Schadensvertiefung ist möglich | Schadensvertiefung ist nicht möglich |
Bevorstehende RGV | Anhaltende RGV | Abgeschlossene RGV |
Präventives Einschreiten | Erst präventives, dann repressives Einschreiten | Repressives Einschreiten |
Soweit zu den theoretischen Grundlagen der Entscheidung.
Für die Ausformulierung der Entscheidung gibt es ein kleines Schema, welches die Abarbeitung vereinfacht:
1. Kurzwiedergabe des Sachverhaltes
2. Benennung des beeinträchtigten Rechtsgutes
3. Feststellung, ob bereits ein Schaden eingetreten ist / ggf. Benennung der Straftat
4. Repressives Einschreiten möglich / nicht möglich
5. Schadensprognose (ist ein Schadenseintritt / Schadensvertiefung möglich)
6. Präventives Einschreiten möglich / nicht möglich
7. Feststellung der Art der Rechtsgutverletzung
8. Entscheidung zu repressiven / präventiven Einschreiten
Anhand der drei Sachverhaltskonstellationen und des Schemas finden sie auf den folgenden Seiten die entsprechenden Ausformulierungen:
Fall 1
Sie sehen am Bahnsteig eine Person, die eine Spraydose in der Hand hält und zielgerichtet auf einen Fahrausweisautomaten zugeht.
Fall 2
Sie sehen die Person, wie diese gerade den Automaten besprüht.
Fall 3
Sie sehen, dass die Person gerade mit dem Sprühen aufgehört hat und sich vom Tatort entfernt.
Fall 1
1. Die Person hat eine Spraydose in der Hand und läuft zielgerichtet auf einen Fahrausweisautomaten zu.
2. Durch dieses Verhalten ist das Rechtsgut Eigentum der DB AG beeinträchtigt.
3. Ein Schaden ist noch nicht eingetreten.
4. Repressives Einschreiten ist nicht möglich.
5. Die Person könnte mit dem Besprühen beginnen. Der Schadenseintritt steht unmittelbar bevor.
6. Präventives Einschreiten ist möglich.
7. Es handelt sich um eine bevorstehende RGV.
8. Ich schreite präventiv ein.
Fall 2
1. Ich sehe gerade die Person, wie diese gerade den Fahrausweisautomaten besprüht.
2. Durch dieses Verhalten ist das Rechtsgut Eigentum der DB AG beeinträchtigt.
3. Ein Schaden ist bereits eingetreten. Es kommt hier eine Straftat gem. § 303 II StGB (Sachbeschädigung) in Betracht.
4. Repressives Einschreiten ist möglich.
5. Die Person könnte immer weiter sprühen. Daher ist eine Schadensvertiefung möglich.
6. Präventives Einschreiten ist möglich.
7. Es handelt sich um eine anhaltende RGV.
8. Ich schreite zunächst präventiv ein (um die Schadensvertiefung zu verhindern), anschließend repressiv.
Fall 3
1. Ich sehe, wie die Person gerade mit dem Sprühen aufgehört hat und sich anschließend vom Tatort entfernt.
2. Durch dieses Verhalten ist das Rechtsgut Eigentum der DB AG beeinträchtigt.
3. Ein Schaden ist bereits eingetreten. Es kommt hier eine Straftat gem. § 303 II StGB (Sachbeschädigung) in Betracht.
4. Repressives Einschreiten ist möglich.
5. Eine Schadensvertiefung ist nicht möglich. Die Person entfernt sich vom Tatort.
6. Es handelt sich um eine abgeschlossene RGV.
7. Ich schreite repressiv ein.
Eine Empfehlung
Unabhängig davon, ob die Aufgabenstellung eine Entscheidung fordert, ist es ratsam, ständig eine kurze Entscheidungsprüfung im Kopf zu machen. Denn: Polizeiliche Situationen sind dynamisch. Je nachdem, wie das polizeiliche Gegenüber reagiert und je nach Fortschritt der Tathandlung(en) kann sich Ihr Einschreiten verändern.