Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft - Societas Europaea

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Um ihren umfassenden Aufgaben zu entsprechen, müssen die Vorstandsmitglieder die für die Wahrnehmung ihrer Leitungsaufgabe erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen. Sie können sich nicht darauf berufen, für die Gesellschaft erforderliche Entscheidungen mangels besonderer Kenntnisse nicht treffen zu können.



291





Das Hauptproblem der Bestimmung einer Sorgfaltspflichtverletzung des Vorstands liegt in der Abgrenzung der Verletzung der Sorgfaltspflicht gegenüber bloßen

Irrtümern und Fehleinschätzungen

. Wegen des weiten

unternehmerischen Ermessensspielraums

 können Irrtümer und Fehleinschätzungen gegebenenfalls zur Abberufung des Vorstands und unter Umständen auch zur fristlosen Kündigung seines Anstellungsvertrages führen. Sie müssen aber noch nicht zu seiner zivilrechtlichen Haftung führen. Eine Erfolgshaftung des Vorstands gibt es nicht.



292





Der BGH hatte schon vor der Neueinfügung des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG die Grenze des unternehmerischen Ermessens in Anlehnung an die im US-amerikanischen Recht geltende

Business Judgement Rule

 in zwei grundlegenden Entscheidungen konkretisiert und festgestellt, dass das unternehmerische Ermessen des Vorstands sehr weit geht und eine Haftung erst bei schlechthin

unvertretbarem Vorstandshandeln

 eintreten darf. Wenn der Vorstand aufgrund sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen unter Ausnutzung aller Erkenntnisquellen eine am Unternehmenswohl orientierte Entscheidung trifft und diese sich dann im Nachhinein als fehlerhaft erweist, tritt keine Haftung des Vorstands ein. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG erweist sich insofern als eine Kodifikation der Rechtsprechung.



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Obwohl es für die Beurteilung des unternehmerischen Beurteilungsspielraums immer auf die Frage der konkreten Entscheidungssituation ankommt, lässt sich die allgemeine Regel aufstellen, dass es zur unternehmerischen Leitung gehört, Risiken einzugehen, dass jedoch, je höher die Risiken sind, die Vorbereitung und Überprüfung der Entscheidung durch den Vorstand umso gründlicher ausfallen muss.



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Aufgrund der

Gesamtverantwortung

 des Vorstands haftet jedes Vorstandsmitglied nicht nur für seine eigenen unternehmerischen Entscheidungen in seinem Ressort, sondern auch für die Entscheidungen seiner Vorstandskollegen. Eine Geschäftsverteilung unter den Vorstandsmitgliedern hebt die Pflichten der unzuständigen Vorstandsmitglieder nicht auf. Deren Pflicht wandelt sich in eine Pflicht zur Überwachung der jeweils anderen Ressorts und eine Pflicht zum Einschreiten im Fall der Feststellung von Pflichtverletzungen. Bei der Prüfung und Überwachung darf sich das unzuständige Vorstandsmitglied nicht darauf beschränken, gegen eine Beschlussvorlage, die aus dem Ressort eines anderen Vorstandsmitglieds stammt, zu stimmen. Wenn das Vorstandsmitglied erkennt, dass in der Maßnahme eine potenzielle Gefährdung der Gesellschaft enthalten ist, besteht die Verpflichtung, den Aufsichtsrat einzuschalten.



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Ungeklärt ist, inwieweit die

Empfehlungen des DCGK

 den Sorgfaltsmaßstab des § 93 AktG konkretisieren. Allgemein wird davon ausgegangen, dass eine Haftungsverschärfung durch die Beachtung oder Nichtbeachtung der Empfehlungen des DCGK nicht eintreten soll. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Abs. 6 der Präambel des DCGK den Gesellschaften ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, von den Empfehlungen des Kodex abzuweichen, um branchen- oder unternehmensspezifische Bedürfnisse wahrnehmen zu können. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass der DCGK

unverbindliche Verhaltensempfehlungen

 geben will. Denkbar ist gegebenenfalls, dass der DCGK zur Auslegung aktienrechtlicher Vorschriften herangezogen werden kann. Auch die Abgabe der Entsprechungserklärung gem. § 161 AktG kann nicht als rechtlich bindende Konkretisierung der Sorgfaltspflichten des Vorstands angesehen werden, denn die Entsprechungserklärung wird von den Organen abgegeben, um die von der Gesellschaft geübte

Corporate Governance

 transparent zu machen. Eine rechtliche Bindungswirkung für oder zwischen den Organen soll dadurch nicht erreicht werden.



296





Bindungswirkungen

 entfalten die Empfehlungen des DCGK jedoch dann, wenn sie zum Inhalt der Geschäftsordnung und des Anstellungsvertrages des Vorstands gemacht wurden. Eine Sorgfaltspflichtverletzung des Vorstands ist auch anzunehmen, wenn die Entsprechungserklärung gem. § 161 AktG nicht abgegeben wird, von den Empfehlungen ohne Bekanntmachung abgewichen wird oder eine von vornherein unzutreffende Entsprechungserklärung abgegeben wird.



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Eine Ersatzpflicht des Vorstands setzt voraus, dass das Vorstandsmitglied schuldhaft, d.h. vorsätzlich oder fahrlässig, die gestellten Sorgfaltsanforderungen verletzt hat. Der

Verschuldensmaßstab

 des § 93 Abs. 1 S. 1 AktG ist wie derjenige des § 276 Abs. 1 S. 2 BGB ein typisierter. D. h., es kommt darauf an, ob das Vorstandsmitglied die subjektiv an ein ordentliches und gewissenhaftes Geschäftsleitungsmitglied zu stellenden Sorgfaltsmaßstäbe beachtet hat. Aufgrund dieser

typisierten Betrachtung

 ist bei der Feststellung eines objektiven Sorgfaltspflichtverstoßes auch die subjektive Pflichtwidrigkeit regelmäßig anzunehmen. Dies ist letztendlich darauf zurückzuführen, dass Vorstandsmitglieder die Fähigkeiten und Kenntnisse haben müssen, die für die ihnen anvertraute Leistungsaufgabe objektiv erforderlich sind. Bei mangelnden eigenen Kenntnissen und Fähigkeiten können sich die Vorstandsmitglieder daher nicht exkulpieren. Dem Verschulden kommt aus diesem Grund in der Praxis nur geringe Bedeutung zu, da in der Regel die objektive und die subjektive Pflichtwidrigkeit deckungsgleich sind. Allenfalls in Fällen, in denen ein sofortiges Handeln vom Vorstand im Gesellschaftsinteresse verlangt wird und er keinen sachverständigen Rat einholen kann, ist ein Auseinanderfallen von objektivem und subjektivem Pflichtverstoß denkbar.



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Sowohl die objektive Pflichtwidrigkeit als auch die subjektive Pflichtwidrigkeit, d.h. das Verschulden des Vorstands, wären im Streitfall nach allgemeinen Beweislastregeln von der Gesellschaft als Anspruchstellerin zu beweisen. Diese Beweisführung wäre der Gesellschaft im Streitfall oft nicht möglich, weil nur der Vorstand über die entsprechenden Unterlagen und Dokumentationen seines unternehmerischen Handelns verfügt. Deshalb ordnet § 93 Abs. 2 S. 2 AktG eine

Beweislastumkehr

 an und fordert vom Vorstand den Beweis, dass er die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt hat.



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Die

Verteilung der Beweislast

 bei Geltendmachung eines Anspruchs gem. § 93 Abs. 2 S. 1 AktG stellt sich demnach wie folgt dar:



300





Die

Gesellschaft

 hat die Handlung oder Unterlassung des beklagten Vorstandsmitglieds, den Eintritt eines Schadens und die adäquate Kausalität zwischen Handlung und Schaden zu beweisen. Gelingt ihr diese Darlegung und auch der erforderliche Beweis, muss der

Vorstand

 darlegen und beweisen, dass er nicht pflichtwidrig und nicht schuldhaft gehandelt hat oder der Schaden auch bei einem pflichtgemäßen Verhalten eingetreten wäre (rechtmäßiges Alternativverhalten). Die geschilderte Beweislastregelung gilt auch in den Fällen des § 93 Abs. 3 AktG: Hier kommt ergänzend zu der Beweiserleichterung zugunsten der Gesellschaft hinzu, dass bei Vorliegen einer der dort genannten Vermögensminderungen das Vorliegen eines Schadens der Gesellschaft vermutet wird.



301





Die Haftung gem. § 93 Abs. 2 S. 1 AktG ist für jedes Vorstandsmitglied individuell festzustellen. Verletzen mehrere Vorstandsmitglieder ihre Sorgfaltspflichten, so haften sie der Gesellschaft für den daraus entstandenen Schaden als

Gesamtschuldner

. Die gesamtschuldnerische Haftung tritt dann ein, wenn die Vorstandsmitglieder eine Schädigung durch gemeinsames Handeln oder Unterlassen herbeigeführt haben, weil die Maßnahme in die Gesamtzuständigkeit des Vorstands oder mehrerer Vorstandsmitglieder gefallen ist. Denkbar ist auch der Fall, dass ein Vorstandsmitglied in seinem Ressort den Pflichtverstoß begangen hat, die anderen Vorstandsmitglieder in diesem Zusammenhang aber ihre Kontroll- und Überwachungspflichten nicht in ausreichendem Umfang ausgeübt haben.



302





Eine Haftung der Vorstandsmitglieder ist gem. § 93 Abs. 4 S. 1 AktG ausgeschlossen, wenn ihre pflichtwidrige Handlung oder Unterlassung auf einem gesetzmäßigen Beschluss der Hauptversammlung beruht. Zu beachten ist allerdings, dass nicht jeder Hauptversammlungsbeschluss zu einem

Haftungsausschluss

 führt. Nur in den Fällen, in denen der Vorstand gem. § 83 Abs. 2 AktG an die Beschlüsse der Hauptversammlung gebunden ist, tritt auch ein Haftungsausschluss gem. § 93 Abs. 4 S. 1 AktG ein. Die bloße Ermächtigung zu einem bestimmten Handeln durch einen Hauptversammlungsbeschluss führt nicht zum Haftungsausschluss. Auch die Billigung des Vorstandshandelns durch den Aufsichtsrat führt gem. § 93 Abs. 4 S. 2 AktG nicht zu einem Haftungsausschluss gegenüber dem Vorstand. Durch die Billigung kann allerdings eine zusätzliche Haftung des Aufsichtsrats gem. § 116 i.V.m. § 93 AktG eintreten.



303





Auch die nachträgliche

Billigung

 des Vorstandshandelns und ein Verzicht auf Schadensersatzansprüche sind nur unter engen Voraussetzungen möglich. Gem. § 93 Abs. 4 S. 3 AktG kann ein Verzicht oder ein Vergleich nur auf der Grundlage eines Hauptversammlungsbeschlusses nach Ablauf von drei Jahren nach Entstehen des Anspruchs abgeschlossen werden. Zusätzliche Voraussetzung ist, dass nicht eine Minderheit, die 10 % des Grundkapitals hält, Widerspruch erhebt.

 



304





Die Ansprüche gegen die Vorstandsmitglieder verjähren nunmehr gem. § 93 Abs. 6 AktG bei Gesellschaften, die zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung börsennotiert sind, in zehn Jahren, bei anderen Gesellschaften in fünf Jahren. Für Organe von Kreditinstituten gilt gem. § 52a Abs. 1 KWG unabhängig von der Börsennotierung die zehnjährige Verjährungsfrist. Die

Verjährungsfrist

 kann weder im Anstellungsvertrag noch durch die Satzung verlängert oder verkürzt werden. Die Regelung in § 93 Abs. 6 AktG ist abschließend und zwingend. Die Verjährungsfrist gilt für alle Ansprüche der Gesellschaft, egal ob sie von Gläubigern gem. § 93 Abs. 5 AktG geltend gemacht werden oder ob es sich um eine schwerwiegende Pflichtverletzung gem. § 93 Abs. 3 AktG handelt. Sofern neben der Haftung aus § 93 AktG Ansprüche aus einer positiven Vertragsverletzung des Anstellungsvertrages konkurrierend angenommen werden, verjähren Ansprüche aus einer positiven Verletzung des Anstellungsvertrages ebenfalls gem. § 93 Abs. 6 AktG in zehn Jahren bei börsennotierten Gesellschaften und im Übrigen in fünf Jahren. Alle sonstigen Schadensersatzansprüche gegen die Vorstandsmitglieder verjähren selbständig nach den für sie geltenden Verjährungsvorschriften.



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§ 93 Abs. 6 AktG enthält für den

Beginn

 und das

Ende der Verjährung

 keine gesonderten Regelungen, sodass die allgemeinen Verjährungsvorschriften des BGB zur Anwendung kommen. Die Verjährung beginnt damit gem. § 200 BGB mit der Entstehung des Anspruchs als objektivem Umstand. Im Gegensatz zum früheren Recht ist damit für den Beginn der Verjährungsfrist nicht die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen des Anspruchsberechtigten der anspruchsbegründenden Tatsachen erforderlich. Vielmehr knüpft der Beginn der Verjährung an die erstmalige Möglichkeit der Geltendmachung des Anspruchs durch Klage an. Es ist zu beachten, dass die zehnjährige Verjährungsfrist auch auf vor dem 15.12.2010 entstandene, aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährte Ansprüche anzuwenden ist.






6.3 Änderungen nach dem UMAG



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Mit dem Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung (UMAG) ist am 1.11.2005 eine der bedeutendsten und systemrelevantesten Reformen in Kraft getreten. Das Gesetz beruht auf Vorschlägen der

Regierungskommission Corporate Governance

 und setzt die im TransPuG und im Spruchverfahrensneuordnungsgesetz begonnene Neuordnung des Gesellschaftsrechts fort. Ein Schwerpunkt des UMAG ist die Neugestaltung des Rechts der

Innenhaftung

 der Verwaltungsorgane. Daneben ist das

Anfechtungsrecht

 reformiert worden.



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Die Schwerpunkte des Gesetzes, die Reformierung der Innenhaftung der Verwaltungsorgane und des Anfechtungsrechts, stehen in unmittelbarem Zusammenhang. Ziel war es, bei den aktienrechtlichen Schutzmechanismen eine

Gewichtsverlagerung

 von der Anfechtungsklage zur Haftungsklage zu erreichen. Dementsprechend wurde die Durchsetzung der Haftungsklage verbessert, indem es nun einer Minderheit als gesetzlicher Prozessstandschafter erlaubt ist, ein gerichtliches Zulassungsverfahren anzustrengen und im Falle der Zulassung die Klage selbst zu führen.



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Die Innenhaftung der Verwaltungsorgane wurde durch das UMAG entsprechend der von der Rechtsprechung entwickelten

Business Judgement Rule

in positives Recht gegossen. Art. 1 Ziff. 1 des UMAG fügt als neuen § 93 Abs. 1 S. 2 AktG folgende Regelung ein: „Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung ohne grobe Fahrlässigkeit annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohl der Gesellschaft zu handeln.“



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Gerade im Hinblick auf aufsehenerregende Prozesse in der Vergangenheit hat sich das praktische Bedürfnis für eine gesetzliche Regelung unternehmerischer Fehlentscheidungen zu einer einheitlichen und rechtssicheren Beurteilung des Organhandelns gezeigt.



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Durch die gesetzliche Einführung der

Business Judgement Rule

, die bereits vom BGH in der ARAG-Garmenbeck-Entscheidung angewandt wurde, ist ein „

sicherer Hafen

“ für das Organhandeln geschaffen worden, der der gerichtlichen Überprüfung entzogen ist. Klarzustellen ist, dass die Haftungsprivilegierung des neuen § 93 Abs. 1 S. 2 AktG ebenso wie die vom BGH geregelte Anwendung der

Business Judgement Rule

 nur für Ermessensentscheidungen und nicht für Verstöße gegen das Gesetz oder die Satzung gilt.



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Die gesetzliche Regelung ist allerdings über die vom BGH entwickelte Anwendung der

Business Judgement Rule

 hinausgegangen, da eine Befreiung von der Organhaftung auch für den Fall der Verletzung grundlegender Sorgfaltspflichten bei der Informationsbeschaffung normiert wurde. Denn im Gegensatz zur bisherigen Rechtsprechung reicht es nach der gesetzlichen Neuregelung in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG aus, dass das Organ annehmen durfte, seine Entscheidung auf der Basis angemessener Informationen getroffen zu haben. In der Literatur wird bezweifelt, ob damit nicht der

Haftungsfreiraum der Organe

 zu stark erweitert wurde und ob eine Organhaftung für die Verletzung von Sorgfaltspflichten bei der Informationsbeschaffung ohne grobe Fahrlässigkeit notwendig ist.



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Das Argument, der Unternehmensleiter sei auch dann ausreichend geschützt, wenn seine Entscheidung auf der Basis einer objektiv angemessenen Informationsgrundlage erfolge, verkennt, dass auch die Beschaffung der erforderlichen Informationen bzw. die Sicherstellung einer ausreichenden Informationsgrundlage zur unternehmerischen Leitung gehört und damit selbst dem unternehmerischen Ermessen unterliegt. Konsequenterweise sollte das Haftungsprivileg daher auch für die Informationsbeschaffung gelten. Dafür spricht auch, dass die Abgrenzung dahingehend, ob die unternehmerische Entscheidung selbst oder die ihr zugrunde liegende Informationsgrundlage bereits fehlerhaft waren, im Einzelfall schwer vorzunehmen sein wird.



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Teilweise wird angenommen, dass die Haftungsprivilegierung in § 93 Abs. 1 S. 2 AktG im Widerspruch zur Beweislastumkehr in § 93 Abs. 2 S. 2 AktG steht. Begründet wird dies damit, dass Ausgangspunkt der jetzt in das Gesetz übernommenen

Business Judgement Rule

 die Vermutung eines rechtmäßigen Handelns des Vorstandsmitglieds sei. Demnach obliege es nicht mehr dem Vorstand, darzulegen, dass eine Pflichtverletzung nicht vorliegt, sondern die Gesellschaft werde im Zulassungsverfahren gem. § 147a AktG das Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung nachweisen müssen. Diese Betrachtungsweise entspricht nicht der Gesetzessystematik. Die Beweislastverteilung in § 93 Abs. 2 S. 2 AktG wird durch die gesetzliche Neuregelung nicht modifiziert. Auch weiterhin muss der Vorstand nachweisen, dass er ohne grobe Fahrlässigkeit im Rahmen seines unternehmerischen Ermessens auf der Basis angemessener Information seine Entscheidung getroffen hat. Durch die gesetzliche Neuregelung wird lediglich der

Haftungsmaßstab

 im Sinne der Schaffung eines unternehmerischen Freiraums vergrößert. Ob sich die Entscheidung im Rahmen dieses unternehmerischen Freiraums befindet, muss weiterhin der Vorstand darlegen und beweisen. Teilweise wird dies auch unter der gesetzlichen Neuregelung als erhebliche Gefahrerhöhung hin zu einer persönlichen Haftung des Organs eingeordnet und den Organmitgliedern eine entsprechende Beweissicherung im Vorfeld empfohlen.



5

 ›

IV

 › 7. Corporate Governance






7. Corporate Governance



314





Corporate Governance

 bezeichnet allgemein definiert den rechtlichen und faktischen Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung eines Unternehmens.



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Als

Bausteine

 eines Systems der Unternehmensüberwachung im Sinne der

Corporate Governance

 werden allgemein unterschieden: der Vorstand und der Aufsichtsrat bzw. der Verwaltungsrat und die geschäftsführenden Direktoren im monistischen System, die Arbeitnehmer und ihre Mitbestimmung, die Banken, die Börse und der Kapitalmarkt, der Markt für Unternehmenskontrolle, die Publizität und die Wirtschaftsprüfung.



316





Corporate Governance

 soll die Unternehmensüberwachung in diesem Sinne nicht nur beschreiben, sondern den am System der Unternehmensüberwachung Beteiligten eine

Richtlinie

 geben, wie die Unternehmensüberwachung gut funktionieren kann. Dies dient letztendlich dazu, die Aktionäre und die zukünftigen Investoren davon zu überzeugen, dass ihr Kapital bei Befolgung eines bewährten

Corporate Governance

 Kodex gut angelegt ist.



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Anfang der 90er Jahre setzte eine intensive

Corporate Governance

-

Diskussion

 ein. Ergebnis dieser

Corporate Governance-

Diskussion waren

Corporate Governance

-Kodizes in zahlreichen Ländern. In den verschiedenen Ländern wurden

Corporate Governance

-Regeln auf Initiative der unterschiedlichsten staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen und supranationalen Organisationen geschaffen. Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat OECD-Richtlinien zur

Corporate Governance

 entworfen, die im Mai 2004 noch einmal angepasst und verschärft wurden. In Großbritannien wurden die

Corporate Governance-

Regelungen im

Combined Code

 als Standardkodex festgehalten, in Frankreich im sog.

Vienot

-Bericht. In den USA wurde kein allgemein anerkannter

Corporate Governance

 Kodex geschaffen. Die Gesellschaften haben in den USA ihre individuellen Kodizes entwickelt und veröffentlicht. Dabei haben die Kodizes von General Motors, Campbell Soups oder Calpers besondere Bekanntheit erlangt.



318





Anders als diese internationale Entwicklung hat die Kodex-Diskussion zur

Corporate Governance

 in Deutschland relativ spät eingesetzt. Erst Ende der 90er Jahre, im ausklingenden Börsenboom, wurde es zunehmend als

Mangel

 empfunden, dass es in Deutschland keinen

Corporate Governance

 Kodex gab, der insbesondere für ausländische Investoren die Funktionsweise einer deutschen börsennotierten AG transparent machen sollte.



319





Im Jahr 2000 wurden auf der Grundlage zweier privater Initiativen

zwei Corporate Governance Kodizes

 entworfen. Es handelte sich dabei zum einen um die von der Grundsatzkommission

Corporate Governance

 aufgestellten „

Corporate Governance

 Grundsätze“ für börsennotierte Gesellschaften, die sog. Frankfurter Grundsätze, zum anderen um den vom Berliner Initiativkreis „German Code of

Corporate Governance

“ („GCCG“) vorgelegten Kodexentwurf. Die beiden Kodexentwürfe standen in einem gewissen Wettbewerb zueinander und hatten eine unterschiedliche Konzeption. Die Frankfurter Grundsätze waren eher juristisch geprägt, während die Berliner GCCG eine stärker betriebswirtschaftliche Prägung hatten.



320





Obwohl die Anregungen der Frankfurter und Berliner Initiativen auf positive Resonanz stießen, wurde es allgemein als problematisch angesehen, auf Dauer zwei unterschiedliche Kodizes in Deutschland zu haben. Deshalb wurde auf Initiative der Bundesregierung eine amtliche Kommission unter Leitung von

Baums

 berufen (sog.

Baums-Kommission

), die Empfehlungen zu einem noch zu erstellenden einheitlichen

Corporate Governance

 Kodex gab und entsprechende Veränderungen und Anpassungen des Aktiengesetzes in ihrem Abschlussbericht empfahl.



321





Auf der Grundlage des

Baums

-Berichts berief das Justizministerium im Herbst 2001 eine zunächst 12-, später 13-köpfige Kommission unter Leitung des damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden der ThyssenKrupp AG, Gerhard Cromme (

Kodex-Kommission

). Die Mitglieder der vom Bundesjustizministerium berufenen Kodex-Kommission wurden in dem Bestreben ausgewählt, alle interessierten und von dem Kodex später angesprochenen gesellschaftlichen Gruppierungen in die Kodex-Arbeit einzubeziehen. Bei den Mitgliedern handelte es sich um Vertreter der Wirtschaft, der Wissenschaft und des öffentlichen Lebens.

 



322





Entsprechend ihrem Auftrag hat die Kodex-Kommission auf der Basis des geltenden deutschen Rechts einen

deutschen Corporate Governance Kodex

 (DCGK) entwickelt und in seiner Sitzung am 23.1.2002 verabschiedet. Der Kodex wurde am 26.2.2002 auf der Website der Kodex-Kommission veröffentlicht. Da die Kodex-Kommission eine ständige Einrichtung ist, wird der DCGK von ihr ständig überprüft und bei Bedarf den geänderten Verhältnissen entsprechend angepasst. Die erste Novellierung des DCGK erfolgte in der Plenarsitzung am 21.5.2003.



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Der DCGK enthält

drei Kategorien von Verhaltensregeln

. Es handelt sich dabei um die Wiedergabe des ohnehin schon geltenden Rechts, die Formulierung von Regeln, deren Einhaltung empfohlen wird, und solchen, deren Einhaltung angeregt wird.



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Im

rechtsbeschreibenden Teil

 des DCGK wird das Ziel verfolgt, kurz und prägnant mit für den Leser des DCGK leicht verständlichen Formulierungen einen möglichst objektiven, umfassendenden Überblick des geltenden Rechts zu schaffen. Die

Anregungen

 werden durch die Hilfsverben „sollte“ oder „kann“ kenntlich gemacht, um ihre Unverbindlichkeit deutlich zu machen. Die

Empfehlungen

 werden durch das Hilfsverb „soll“ gekennzeichnet, um ihren verbindlicheren Charakter deutlich zu machen.



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Da die Kodex-Kommission kein Gesetzgebungsorgan ist, hat der DCGK keine Normqualität. Durch das am 1.7.2002 in Kraft getretene TransPuG wurde ein gesetzlicher Anknüpfungspunkt für den

Corporate Governance

 Kodex in § 161 AktG eingeführt. Danach sind der Vorstand und der Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft verpflichtet, für jedes Geschäftsjahr eine sog.

Entsprechenserklärung

 abzugeben, durch die veröffentlicht wird, ob die Empfehlungen des DCGK von der Gesellschaft beachtet werden. Die Abgabe der Entsprechenserklärung ist eine

gesetzliche Pflicht

 des Organs. Die Entsprechenserklärung bezieht sich nur auf die Empfehlungen und nicht auf die Anregungen des Kodex. Die Entsprechenserklärung muss lediglich klarstellen, ob die Empfehlungen des Kodex eingehalten werden. Diese Erklärung muss wahrheitsgemäß erfolgen. Eine Verpflichtung, den DCGK zu erfüllen, besteht dagegen nicht. Gefordert ist allein das Herstellen von Transparenz.



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Die Organe müssen in der Entsprechenserklärung konkret darlegen, welche Empfehlungen sie nicht beachten. Sie müssen weiter erklären, ob von der betreffenden Empfehlung generell abgewichen werden soll oder ob sich die Abweichung auf einen oder mehrere Einzelfälle beschränkt. Die Entsprechenserklärung kann danach auch sehr knapp ausfallen. Es reicht, wenn die Gesellschaft erklärt, dass sie den Empfehlungen des DCGK generell entspricht oder insgesamt nicht entspricht. Bisher bedurfte es bei der

Nichtbefolgung

 keiner Begründung. Es wurde in Ziffer 3.10 des DCGK dem Vorstand und dem Aufsichtsrat demgemäß auch nur empfohlen, eine Abweichung zu begründen. Dies hat sich mittlerweile durch die Umsetzung der Richtlinie 2006/46/EG vom 14.6.2006 im Rahmen des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) vom 25.5.2009 geändert. Nunmehr wird die Begründung von Kodexabweichungen in § 161 AktG gesetzlich vorgeschrieben.



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Die Entsprechenserklärung ist den Aktionären der Gesellschaft und allen Kapitalmarktteilnehmern dauerhaft zugänglich zu machen. Sie muss jährlich, d.h. einmal im Kalenderjahr abgegeben werden. Solange die Erklärung den Aktionären dauerhaft zugänglich gemacht wird, gilt was in der Erklärung steht. Die Erklärung wirkt somit für die

Vergangenheit

 und die

Gegenwart

. Wird von der Entsprechenserklärung während des Jahres abgewichen, so ist eine entsprechende

Berichtigung

 vorzunehmen. Durch das BilMoG wurde zudem der Anwendungsbereich des § 161 AktG erweitert. Er gilt jetzt auch für nicht börsennotierte Aktiengesellschaft, die andere Wertpapiere zum Handel an einem organisierten Markt ausgegeben haben.



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Ob die gesetzliche Entsprechenserklärung gem. § 161 AktG vom Vorstand und Aufsichtsrat abgegeben wurde, prüft der

Abschlussprüfer

 der Gesellschaft. Im Anhang zum Jahresabschluss ist gem. § 285 Ziff. 16 HGB anzugeben, dass die Entsprechenserklärung gem. § 161 AktG abgegeben wurde und den Aktionären zugänglich gemacht worden ist. Eine Prüfung, ob die Erklärung