Als die Lenden lodern lernten

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DERHANK

Als die Lenden lodern lernten

Provinzposse

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Inhaltsverzeichnis

Titel

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Vorwort des Autors

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Als die Lenden lodern lernten

Gott sei Dank

DERHANK

Der LSD-Verlag

Leseprobe Innen

Impressum neobooks

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LSD - Verlag Literarische Sammlung DERHANK

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Vorwort des Autors

Was ich hier beschrob, ist eine Welt des Horrors und des Grauens, eine verlogene Welt, so schlimm, wie sie schlimmer vielleicht nur in Wirklichkeit stattfindet, eine Welt des Sodom und Gomorra, in der sich das vom Lodern seiner Lenden angetriebene innere Tier des Menschen in der uns fremden Welt der sagenumwobenen Sexualität ebenso ergießt wie in profanstem Blut und Rausche. Unvorstellbar.

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»Geschmacklos!«

Anja Wedershofen (Leserin)

Als die Lenden lodern lernten

Joseph konnte seine Tränen nicht länger unterdrücken. Beschämt wendete er sich von seinen Mitarbeitern ab, um ihre Loyalität nicht zu untergraben. Sicher, es war in der heutigen, verweib- und verweichlichten Zeit wohlgesehen, wenn ein Mann den Mut hatte, zu weinen. Aber Joseph war im Grunde seines zerschlagenen Herzens doch mehr vom alten Schlag, einer, der sich nicht unterkriegen ließ, einer, der von keiner Erschütterung so rührselig Zeugnis geben wollte.

Doch diese Erschütterung war auch für ihn zu viel. Der Bürgermeister von H. persönlich, dieser grobschlächtige Sohn einer alteingesessenen Seilereifamilie, der nur durch die Gunst seines Parteibuchs, seine polternde, mit Volksnähe allenfalls zu verwechselnde Art und seine mit spitzen Ellenbogen geführte Wirtschaftspolitik in diesen hoch dotierten Posten gerutscht war, wollte ihm sein Honorar nicht bezahlen.

Dabei hatte Josephs Architekturbüro der gesichtslosen Stadt H. im mittleren Süden des nördlichen Ostwestfalen ein dem Ort angemessenes, in keinster Weise überzogen wirkendes und dennoch modernes, wenn nicht zeitloses, der Ewigkeit anheim gegebenes Rathaus von überregionaler Strahlkraft erschaffen, von wo aus dieser selbstherrliche Despot nun regierte, als wäre er der König eines Zwergenstaates. Und nun wollte dieser gemeine Schuft, dass Joseph ihm auch noch einen adäquaten Rathausplatz vor die aufgeblasene Nase setzte, und dass für »Umme«, wie man so sagt, weil Joseph doch schon so viel Geld verdient hätte. Dieser Bürgermeister, geprägt von seiner provinziellen Krämerseele, hatte schon immer zugesehen, alles für »Lusche«, wie man auch manchmal sagt, zu bekommen. So war er aufgestiegen in diesem der Welt noch unbekannten Ort, hatte seinen Vorgänger und Parteifreund zu immer neuen Zugeständnissen gedrängt, hatte sich hier ein Pöstchen und da ein Privileg ergaunert, bis der seit Generationen regierende Altbürgermeister unter dem massiven Druck verlogener Machenschaften abdanken musste und seitdem im Düsseldorfer Exil ein trauriges Dasein fristet. Und nun wollte der neue Herrscher, dieser eitle Popanz, mehr und immer mehr.

Ach, wenn Pömmèrâncé ihn doch jetzt so sehen könnte, dachte Joseph in einem Moment aufkeimender Sehnsucht. Wenigstens für sie sollten seine Tränen noch zu etwas nütze sein. Joseph zog sein Mobiltelefon aus der Tasche und klickerte sich durch das Menü, bis er die Kamerafunktion fand. Er musste sich beeilen, denn der Tränenstrom drohte bereits wieder zu versiegen, und dabei waren doch Tränen das einzige, was Pömmèrâncé, dieses heißblütige französischstämmige Vollweib, zur Rückkehr bewegen könnte. Sie fand ihn nämlich immer wie einen gefühlskalten Klotz, so harsch hatte sie es ihm gesagt, bevor sie gegangen war, ihn allein lassend in einem Scherbenhaufen einstigen Glücks, das einmal Liebe gewesen war. Joseph presste die Augen mit der Wangenmuskulatur zusammen und zwang die Tränendrüsen seinem Gesicht wie saure Zitronen einem Fisch noch einen guten Tropfen zu servieren.

»Klick!«, machte die Kamera, und schnell noch mal, »Klick, Klick, Klick!«

Viel Zeit blieb nicht, sein Leid auf Zelluloid, besser gesagt in Bits und Bytes zu verewigen. Doch das Ergebnis war zufriedenstellend. Wie für Pömmèrâncé gemacht glänzte die letzte zarte Perle seiner Seele im Lichte der untergehenden Sonne, die man von diesem Teil der Büroetage bestaunen konnte.

»Pömmèrâncé«, schrieb er in die das Foto begleitende digitale Nachricht, »komm zurück zu mir! Ich weine Tränen der Verbitterung, der Liebe und Erinnerung!«

Diese modernen technischen Artefakte machten ihm noch immer Kopfzerbrechen im Gebrauch, daher schrieb er auch so kurz und prägnant. Zudem hatte er nun Wichtigeres zu tun, als sich von solcher Gefühlsduselei zu sehr einmachen zu lassen. Joseph war ein Mann der Tat, viel mehr noch als der Bürgermeister von H. Auch Joseph hatte es geschafft, und das ohne eine vermögende Familie im Hintergrund. Josephs Architekturimperium, wie er das kleine Büro mit 25 Mitarbeitern manchmal jovial nannte, hatte er ganz alleine aus dem Nichts erschaffen. Dabei war er von Anfang an nie zimperlich gewesen. Er hatte den Markt von hinten aufgerollt, wie ihm selbst seine ärgsten Bewunderer zugestehen mussten. Was mit Handys oder HiFi funktionierte, das musste auch in der zeichnenden Zunft möglich sein. Darum hatte er die Discountplanung erfunden. Er nannte sein Büro, welches er direkt nach dem Studium gegründet hatte, »Bauen Billig Planen«, kurz BBP, und er akquirierte fortan mit einer aggressiven Werbekampagne, in die er jeden überschüssigen Kreuzer steckte. Er inserierte in Zeitungen, auf Plakaten und im Radio. Und immer lenkte er die Aufmerksamkeit auf den Preis. »Qualität is' für'n Arsch!«, hatte ihm schon sein Großvater gesagt, der Mann, der Joseph entscheidend geprägt hatte.

Ja, und wie für diesen schicksalhaften Moment bestellt, trällerte aus dem kleinen Kofferradio in der Zeichnerabteilung der Jingle, den er besonders liebte:

»Billig billig billig planen, BBP!«, sang ein Chor junger Mädchen, in den ein Mann freudig erregt hineinrief: »Die kleinen Preise, bei B, B und P!« Und dann folgte eine aus dem Leben gegriffene Sequenz, in der sich ein junges Ehepaar über seine Zukunftsängste austauschte:

»Ach Manfred, ich könnte es nicht ertragen, wenn unserem Traumhaus das Gaubentürmchen fehlen würde, aber der Architekt hat schon wieder die Hand aufgehalten. Es steht noch kein Stein auf dem anderen, und schon haben uns die Planungskosten aufgefressen.«

»Ach Julia, ich weiß, aber was sollen wir tun? Planung ist nun mal teuer, eine Dienstleistung, die man nicht unterbewerten darf, auch wenn sie nur digitales Papier bekritzelt.«

»Ach Manfred, aber diesmal treibt der Architekt es doch zu weit. Nur weil’s ein paar Quadratmeterchen mehr sein sollen, ein kaum wahrnehmbares Türmchen, ein schnödes Kellerlein vielleicht noch, und schon spricht man von Aufwand und Honorar, es geht ins Bodenlose ...« (weint)

»Entschüldigen Sie die Störung«, brummte da eine ältere männliche und sonore Stimme, die Zuversicht und Seriosität ausstrahlt, »aber ich habe aus Versehen Ihr kleines Gespräch mit angehört. Warum wollen Sie für Planung mehr Geld ausgeben, als nötig? Ich zum Beispiel habe bei BBP planen lassen und bin nun stolzer Besitzer eines Eigenheims, das sich ohne Scham messen lassen kann!"

Eine schöne Melodie erklang und man konnte förmlich fühlen, wie die Radio-Julia dem Radio-Manfred um den Hals fiel vor Glück. Im Abspann erklang noch einmal der Choral, der mit diesmal flott instrumentierter Begleitung sein »Billig billig billig planen, BBP!« herausschmetterte.

Ja, so war Joseph groß geworden. Am Anfang hatte die Konkurrenz noch hämisch gelacht über seine unkonventionelle Herangehensweise. Dann, als seine ersten Erfolge von der Presse umjubelt wurden, da hatten sie geklagt, hatten die Architektenkammer auf ihn gehetzt und wie eine Meute schmutziger Köter Hunderte von Gerichtsverfahren auf ihn niederprasseln lassen. Doch Joseph, wie ein Fels in der Brandung, hatte sie alle hinweggefegt, hat diese mittelalterlichen Privilegienvereine, diese Kammern, Zünfte und Gilden in spektakulären, bei Funk und Fernsehen inszenierten Schauprozessen zerschlagen. Hunderte von missgünstigen Architekturbüros mussten Konkurs anmelden. Ein Heer arbeitsloser Jungplaner ergoss sich über das Ruhrgebiet, eine Krise, gegen die der Zusammenbruch der Steinkohle wie ein schlechter Witz daherkam, eine Krise, die dem Ausverkauf der Stahlindustrie die wohlverdiente Dornenkrone aufsetzte.

 

Aber Joseph war natürlich kein Unmensch. Und so holte er die verlorenen Seelen von der Straße, die nun bei ihm, gegen gewisse Abstriche bei ihren einstigen Vorstellungen, die sie vom Lebensglück hatten, also beim Gehalt, bei der Arbeitszeit und beim Urlaub, ihr Auskommen bestritten.

Er betrat, wieder gefestigt von seinem Ausfall der Kontenance, das Büro der Bauingenieure. Zielstrebig schlich er sich hinter Achim, einen jungen Mann, der gerade im Begriff war, eine Familie zu gründen. Achim hatte in der letzten Woche festgestellt, dass er die Erdgeschosshöhe eines schmucken Einfamilienhauses mit der Kellergeschosshöhe verwechselt hatte. Die Baufirma hatte sich selbstverständlich nichts dabei gedacht, als sie mit Achims Bauzeichnungen ihr Werk begann. Erst die Auftraggeber, ein junges, ahnungsloses Lehrerehepaar, hatte sich beschwert, dass es im Wohnzimmer so dunkel sei und man draußen nur Regenwürmer, Ameisen und Maulwürfe zu sehen bekäme. Glücklicherweise hatte sich Joseph vorher die Pläne von dem Paar unterschreiben lassen, sodass die nun zutage getretenen Mehrkosten für das hydraulische Hochpressen des Gebäudes um drei Meter ganz zulasten dieser beiden Mitglieder einer ihm persönlich übrigens verhassten Berufsgruppe gingen.

Nichtsdestotrotz stellte sich Joseph nun hinter Achim und sah ihm scheinbar interessiert zu, wie der sich vergeblich an einer Ingenieurszeichnung auf seinem überteuerten, ultraflachen 27“-Breitbildformat-Computermonitor versuchte. Joseph verstand von diesen technischen Dingen nichts, er war eben durch und durch eine Führerpersönlichkeit, die zu delegieren wusste, aber was er da sehen musste, reichte ihm: Achims zitternde Hand hielt sich wie ein steinzeitlicher Großwildjäger verkrampft an der flinken Computermaus fest, die wie lebendig geworden vor den bohrenden Blicken Josephs flüchten wollte. Dies führte in der virtuellen Zeichnung zu grafischen Turbulenzen, die allein schon ein Kündigungsgrund wären. Joseph umfasste mit beiden Händen Achims Stuhllehne und ruckelte ein paar Mal so feste daran, dass der ganze Stuhl wackelte. Dann sagte er: »Achim, weißt du, was das bedeutet?« Achim wurde so bleich wie ein harnsäuregegerbtes Leinentuch des auslaufenden Mittelalters, und ohne eine Antwort abzuwarten, verließ Joseph mit einem diabolischen Lachen den Raum.

Ja, er liebte seine Angestellten, und zwar mehr wie die Einzelschicksale der obdachlosen Kinder von São Paulo, doch gerade darum war es wichtig, die nötige Distanz durch wohlmeinenden Druck wiederherzustellen. Und manchmal war es eben nötig, ein abgefaultes Glied zu opfern, um den Organismus zu retten.

Und dieser Organismus war nun in größerer Gefahr als durch das von Achim verursachte Gedöns zweier kleinkarierter, fauler Säcke, die in ihrem unverdienten Häuschen vom Wohlfahrtsstaat schmarotzen. Im Kronsaal des Bürgermeisters von H. hingen Dutzende von wundervollen Bauplänen, für die Joseph noch keinen einzigen Centime bekommen hatte. Sie zeigten das schmucke Rathaus umgeben von einem Platz, der die bisherige, bei Sonne staubfurzende und bei Regen schlammschlabbernde Lehmwüste, welche bislang sich Innenstadt nannte, in das Licht des steinernen Fortschritts tauchen sollte. Handgearbeitete Platten aus italienischem Porphyr, gewonnen in den sumpfigen Steinbrüchen des Amazonas, sollten das Plätzchen zieren, auf dem dann die Einwohner von H. sich aufstellen durften, wenn der Bürgermeister zu seinen berüchtigten Reden lud. Als »italienisch« galt das Pflaster nur, weil der Natursteinhändler, von dem die Stadt diesen Baustoff beziehen würde, sein kärgliches Auskommen im Heimatland der Renaissance zu haben suggerierte, und dies auch nur, weil die italienische Herkunftsbezeichnung auf der die eingeschweißten Pflastersteinpaletten umhüllenden Plastikfolie einen schützenden Mantel der Verschwiegenheit über die mitunter etwas archaischen Verhältnisse des von einem brasilianischen Privatwaisenhaus illegal im Kerngebiet der Yanomami-Indianer betriebenen Steinbruchs legte.

Josephs Anus juckte vor Wut bei dem Gedanken an die unbezahlten Zeichnungen, und durch seine Lenden wühlte sich ein Anflug von lähmender Panik, als er an die wirtschaftlichen Folgen für sein Büro dachte, die ins Existenzialistische zu gehen drohten.

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