Read the book: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 15»

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Impressum

© 1976/2013 Pabel-Moewig Verlag GmbH,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-198-1

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

1.

In der „Bloody Mary“ in Plymouth, Ecke Millbay Road – St. Mary Street, standen die Zeichen auf Sturm. Es war der Abend des 13. November 1577.

Nathaniel Plymson, der feiste Wirt der „Bloody Mary“, trug seine Perükke bereits verkehrt herum und wischte sich ständig die Haare von der schweißnassen Stirn. Hinten waren diese Haare natürlich länger als vorn. Da er aber seine Perücke um einhundertachtzig Grad verschoben hatte, hingen ihm die langen Zotteln über Auge und Nase und behinderten seinen Rundumblick. Er verlor allmählich die Übersicht.

Vor seinem Tresen stauten sich die Kerle, die mal eben einen Humpen stemmen wollten. Sie waren alle so freundlich wie Straßenköter, die sich wegen eines wochenalten, abgenagten und kahlen Knochens anknurren.

Links von ihm prallten neue Zecher in die „Bloody Mary“ und schrien schon in der Tür, daß sie die verdammte Bude leersaufen wollten.

Und rechts von ihm, an den Tischen zwischen den steinernen Stützpfeilern, da begann jener Krawall zwischen Seeleuten, die sich wegen einer Hure in die Wolle kriegen oder einfach nur so drauflos schlagen wollen.

Rechts war das Zentrum des Sturms.

Da saß zum Beispiel der eisenharte Edwin Carberry, Profos der Galeone „Marygold“, und hielt dem ehemaligen Schiffszimmermann der Beute-Galeone „Isabella“ die Faust unter die Nase.

„Ferris Tucker“, sagte er und tupfte die Handknöchel unter die Nasenlöcher des Schiffszimmermanns, „du magst vielleicht bei dem Seewolf ’ne Nummer haben, aber bei mir bist du eine müde Krücke.“

„Ich gehöre zur Crew von Philip Hasard Killigrew“, sagte Ferris Tukker grollend und wischte die Faust Carberrys weg. „In Irland hättet ihr ohne den Seewolf und uns den Arsch zugekniffen.“

„Ha!“ schrie Carberry. „Ihr miesen Kakerlaken, ihr Segler auf dem Nachttopf ...“

Die kleine Hand Donegal Daniel O’Flynns, geballt, stand plötzlich unter dem Kinn Carberrys.

„Sag das noch mal, Edwin Carberry, und ich stopf dir das Maul.“ Dan O’Flynn, knapp sechzehn Jahre alt, war so wild wie ein ausgewachsener Stier. Er war dürr und schmal, aber hart und sehnig. Er zitterte vor Wut.

Neben ihm stieg Pete Ballie, Rudergänger der abgesoffenen „Isabella“, vom Hocker hoch und zeigte dem Profos ebenfalls die Fäuste. Die hatten den Umfang einer Bratpfanne. Und neben Peter Ballie schob Stenmark, ein blonder Schwede, den Hokker zurück und krempelte die Hemdsärmel auf.

Der eiserne Carberry fegte sämtliche Kannen und Humpen vom Tisch, knurrte, wuchtete sich hoch und sagte: „Ihr seid wohl lebensmüde, he? Was, wie?“

Mac Pellew, Koch der „Marygold“, der rechts vom Profos saß, zerrte am Hemd Carberrys und sagte grämlich: „Laß das, Ed, sauf lieber. Gegen die Bande des Seewolfs bist du ’ne Null. Die spielen mit dir Fangen, und deine Zähne werden auch weniger.“

„Ha!“ brüllte Ed Carberry. „Männer der ‚Marygold‘! Habt ihr das gehört?“

Sie hatten es gehört. Sie saßen an den Nebentischen, soffen oder spielten den Gockel bei Nathaniel Plymsons weiblicher Truppe, die darauf getrimmt war, für viel Geld wenig zu zeigen. Das heißt, die Ladys steigerten zwar die Sauflust der Zecher, damit die Weinfässer Nathaniel Plymsons leer wurden, aber um das Nahgefecht in den Kammern über der Kneipe schacherten sie wie ausgekochte orientalische Markthändler.

Die Männer der „Marygold“ hatten Carberrys Kampfruf zwar gehört, aber sie reagierten nicht. Das hatte die obengenannten Gründe, außerdem war die Crew des Seewolfs dafür bekannt, alles zu Kleinholz zu verarbeiten. Sie glotzten zu ihrem Profos hoch, der breit und massig hinter dem Tisch aufragte, aber sie dachten gar nicht daran, für ihren Profos Stellung zu beziehen.

Nur ein paar Männer von der „Elizabeth“ und der „Swan“ – alles Schiffe, die zu einem Verband unter Kapitän Francis Drake gehörten – ruckten hoch und begannen zu lauern. Bei denen spielte der Neid eine gewisse Rolle. Denn die Männer Philip Hasard Killigrews, des legendären Seewolfs, hatten die Taschen voller Silber – ihr Anteil von der Silberbeute der spanischen Galeone „San Mateo“, die sie mit dem Seewolf gekapert und in einer verwegenen Fahrt von der spanischen Reede vor Sevilla nach Plymouth gesegelt hatten.

Sie waren dem Sensenmann von der Schippe gesprungen, und seit Wochen ließen sie in der „Bloody Mary“ die Puppen tanzen. Klar, daß die Habenichtse der anderen Schiffe mit scheelen Blicken auf die Seewolf-Männer schauten und nur darauf warteten, sie in die Pfanne hauen zu können. Und wenn ein Mann wie der eisenharte Carberry der zündende Funke war, dann sollte ihnen das nur recht sein.

Aber der erboste sich jetzt mehr über seine müden Männer von der „Marygold“ als über die grinsende Mannschaft Philip Hasard Killigrews.

„Männer!“ schrie er. „Sollen wir uns von diesen Rübenschweinen beleidigen lassen?“

„Ich fühl mich nicht beleidigt“, sagte Mac Pellew.

„Ich auch nicht“, sagte Big Niels, ein blonder Däne, der auf der „Marygold“ in den letzten Monaten als Stückmeister gefahren war.

„Wollt ihr etwa kneifen?“ fauchte Carberry sie an.

Big Niels grinste. „Kneifen ist immer gut“, sagte er und zwickte der dunkelhaarigen Lady, die auf seinem Schoß saß, in den Hintern.

„Huch!“ schrie die Lady. „Was machst du da?“

„Kneifen“, sagte Big Niels. „Du hast so einen schönen Popo!“

Edwin Carberry geriet völlig aus der Fassung, weil sich Big Niels mit anderen Dingen beschäftigte, statt ebenfalls auf die Hasard-Männer wild zu werden.

„He, du dänischer Lümmel!“ brüllte er ihn an. „Laß die Alte sausen. Die kannst du auch später noch in den Hintern zwicken. Jetzt geht’s rund! Auf, Männer! Zeigt den Kakerlaken, von wo bei uns der Wind pfeift! Gebt’s ihnen!“

Die „Marygold“-Männer blieben sitzen. Dafür kamen die Männer von der „Elizabeth“ und der „Swan“ hoch.

Mac Pellew ächzte, als er es sah.

Und Big Niels war ziemlich wütend — nicht auf die Hasard-Männer, auf Edwin Carberry. „Dänischer Lümmel“ hatte er ihn genannt, dieser englische Ochse. Er setzte die Lady unsanft auf einen Stuhl, stand auf, zog sich die Hosen mit einem entschlossenen Ruck hoch, kümmerte sich einen Dreck um das Gejammer Mac Pellews, der ihn zurückhalten wollte, walzte auf Carberry los und trat ihn vors Schienbein.

„Au!“ schrie der Profos und hielt sich das Bein.

Big Niels feuerte aus der Hüfte einen rechten Haken hoch, der voll Carberrys Kinn traf und ihn über einen Tisch beförderte. Der Tisch brach zusammen.

Die Männer von der „Elizabeth“ und der „Swan“ verharrten unschlüssig. Hasards Männer lachten sich halbtot. Edwin Carberry stand fluchend auf, brach ein Tischbein aus der Trümmermasse und schwang es drohend gegen Big Niels.

Der Däne bewaffnete sich mit einem dreibeinigen Hocker.

Nathaniel Plymson rang die Hände. Es war wieder soweit. Innerhalb der nächsten halben Minute würde in der „Bloody Mary“ der Teufel los sein.

„Nein“, flüsterte der feiste Plymson, „bitte nicht, Leute. Hört auf!“ In seiner Aufregung merkte er nicht, daß er mit seiner Perücke, statt mit dem Scheuerlappen, seine Theke polierte.

Den Krawall eröffnete ein Weinkrug, der aus einer dunklen Ecke heranflog und wie ein Geschoß in das Flaschenregal hinter dem Tresen krachte. Die Glatze Nathaniel Plymsons verfehlte er um eine knappe Fingerbreite. Plymson ging in die Knie, als habe ihn der Luftzug umgeweht.

Fast schlagartig setzte der Krach ein und brandete durch die „Bloody Mary“, daß die Mauern erzitterten.

Nathaniel Plymson hockte unter dem Tresen, und seine Lippen formten Worte, die keiner verstand, natürlich nicht. Und zu sehen war er ja auch nicht mehr. Nathaniel Plymson überlegte ernsthaft, ob er die „Bloody Mary“ verkaufen sollte. Das hielten seine Nerven nicht mehr aus, weiß Gott nicht. Die Kerle von den Schiffen wurden immer wilder und ungebärdiger – vor allem, seit der Seewolf, dieser Hurensohn, wieder in Plymouth aufgetaucht war.

Auf dem Tresen zerplatzte eine Flasche. Rotwein lief über die Platte und tropfte auf Nathaniel Plymsons Glatze. Der Dicke kostete mit der Zunge, als der Wein über sein Gesicht lief, und stellte erbittert fest, daß es der teuerste Tropfen war, den er in seiner Kneipe ausschenkte. Die Bande vom Seewolf hatte ihn bestellt. Natürlich, für die war nichts teuer genug. Und jetzt benutzten sie die Flaschen als Wurfgeschosse, diese Vandalen.

Die „Vandalen“ indessen kämpften wie immer: hart, geschmeidig, unbekümmert und mit jener gesunden Portion Selbstvertrauen ausgestattet, unbesiegbar zu sein.

Sie standen im Zentrum des Hexenkessels Schulter an Schulter und hatten einen Kreis gebildet, eingerichtet auf Rundumverteidigung und blitzschnelle Ausbrüche.

Zur maßlosen Wut Edwin Carberrys hatte sich Big Niels auf die Seite der Hasard-Männer gestellt und in ihre Phalanx eingereiht.

Mac Pellew wiederum hatte sich unter einen massigen Schanktisch verzogen und setzte das fort, was Big Niels begonnen hatte. Er zwickte die dunkelhaarige Lady, die mit ihm unter den Tisch geflüchtet war, in den Hintern und knutschte mit ihr auf Teufel komm raus. Die Lady kicherte und sagte ein ums andere Mal: „Huch!“

Im übrigen war der Raum unter dem Schanktisch, der an einer Gewölbewand stand, so gut wie sturmsicher, und eine Flasche hatte Mac Pellew auch gerettet. Die lenzten sie jetzt zu zweit. Mac Pellew hatte alle Aussichten, unter dem Schanktisch zu einem erfreulichen Abschluß zu gelangen. Der Steinboden war zwar kein weicher Pfuhl, aber darauf pfiff Mac Pellew. Außerdem war die Lady rundum mollig.

Es war Edwin Carberry, der ihre Zweisamkeit als erster störte. Ferris Tukker, der rothaarige Riese, hatte dem Profos eine geschmiert. Nun ja, eigentlich eine Maulschelle, aber bei dem alten Tucker waren Maulschellen so etwas Ähnliches wie ein Huftritt. Edwin Carberry nahm die Maulschelle voll und kreiselte. Dabei geriet er vor den riesigen Batuti, der von einem Ohr zum anderen grinste und genau im richtigen Moment dem Profos in den Hintern trat.

So rutschte Edwin Carberry auf dem Bauch über den Steinboden und erschien unter dem Schanktisch. Er hatte eine Platzwunde auf der Stirn, eine knallrote Wange, auf der sich die Pranke des Schiffszimmermanns abzeichnete, und sah insgesamt so freundlich aus wie eine Bulldogge, die mit der Schnauze voran in eine Kiste voller Hufnägel gerast war.

Er knurrte sogar und zeigte dabei die Zahnlücke, die ihm Philip Hasard Killigrew vor über einem Jahr geschlagen hatte.

„Huch!“ sagte die dunkelhaarige Lady.

Mac Pellew nahm seine Hand von einer Stelle weg, wo sie nicht hingehörte, und sagte erbittert: „Hau ab, Ed, du störst hier.“

Edwin Carberry quollen die Augen buchstäblich aus dem Kopf. Er glotzte auf den Busen der dunkelhaarigen Lady, den Mac Pellew bereits freigelegt hatte, und sein Gesicht färbte sich blaurot. Sichtlich hatte er Schwierigkeiten mit der Atmung. Oben auf der Platte des Schanktisches zerkrachte etwas, und es klang wie ein Schuß aus einem Elfpfünder. Carberry zuckte zusammen.

„Wa-was ...“, stotterte er.

„Ist der blöd“, sagte Mac Pellew mehr zu sich selbst.

„Nicht wahr?“ sagte die dunkelhaarige Lady etwas außer Atem. „Er hat hier wirklich nichts zu suchen. Schick ihn weg, Süßer.“

Der „Süße“, meist grämlich, spindeldürr und ganz gewiß kein Apollo, nickte und sagte: „Worauf du dich verlassen kannst.“

Da er lag, mußte er sich etwas von der dunkelhaarigen Lady wegwälzen, um das zu tun, was ihm in dieser Situation als das einzig Richtige erschien. Und er tat es mit der Erbitterung eines Mannes, den nach langer Durststrekke ein Humpen schäumenden Biers erwartet, der ihm aber immer wieder vor der Nase weggezogen wird.

Mac Pellew schwang im Liegen sein rechtes Bein zurück, nahm Maß, ließ es vorschnellen und donnerte seine Stiefelspitze unter Carberrys Kinn.

Der Profos ächzte und bettete seinen Kopf auf dem Steinboden.

„Ist er hin?“ fragte die dunkelhaarige Lady neugierig.

„Der doch nicht“, sagte Mac Pellew wütend, und die ganze Stimmung war zum Teufel. Er fluchte verhalten und schob den Schädel Carberrys mit dem Fuß in eine Lage, daß der Profos nicht unbedingt beim Erwachen gleich wieder unter den Schanktisch stierte.

Zäh war Mac Pellew. Unverdrossen widmete er sich wieder seinem Ziel, noch mehr als nur Busen freizulegen.

Und nach genau vier Minuten sagte die Lady wieder: „Huch!“

Mac Pellew betrachtete stirnrunzelnd das Kleidungsstück, das er erobert hatte. Es war aus sehr feinem Stoff und mit vielen Rüschen versehen. Es endete über den Knien, und das war die Schwierigkeit gewesen. Dort nämlich, links und rechts, war der Weg ins Himmelreich mit Bändseln verschnürt. Mac Pellew hatte sie verbissen aufgepult, während die Lady gekichert und gegluckst hatte. Zwischendurch hatte das Luder an seinen Ohrläppchen geknabbert und ihn so richtig in Hitze gebracht.

Zwischendurch auch hatte es über ihnen auf der Platte des Schanktisches weiter gekracht, um den Tisch waren Männerbeine gestampft, und – was sie nicht sehen konnten – der Abwehrring der Hasard-Männer hatte einen Angriff nach dem anderen eisern abgeschlagen. Jetzt war der Zeitpunkt, das Heft in die Hand zu nehmen und zum Halali zu blasen. Nicht einer der Hasard-Männer war zu Boden gegangen, nicht ein einziger. Aber um sie herum lagen die Kämpfer der „Elizabeth“, der „Swan“ und der „Marygold“. Letztere hatten es ja so kommen sehen und sich bei der Rauferei keineswegs überanstrengt.

Immerhin aber waren etwa fünfzehn Männer der „Elizabeth“ und der „Swan“ noch nicht von den Füßen, und gegen sie richtete sich jetzt, der Angriff der Hasard-Männer.

Ferris Tucker leitete ihn ein und brüllte den alten Kampfruf der „Isabella“-Crew: „Arwenack! Auf sie!“

„Arwenack!“

Der Schlachtruf prallte wie ein Sturmstoß durch die „Bloody Mary“.

Nathaniel Plymson unter dem Tresen senkte den Kopf und weinte. Er wußte, was dieses „Arwenack!“ bedeutete – nämlich die Entfesselung eines Orkans. Jetzt ging in der „Bloody Mary“ alles in Stücke.

Und die dunkelhaarige Lady unter dem Schanktisch erzitterte. Nicht etwa in der Erwartung, ihre Festung von Mac Pellew stürmen zu lassen, nein. Sie zitterte vor Schreck. Dieses „Arwenack!“ war wirklich zum Fürchten.

„Scheiße“, sagte Mac Pellew erbittert.

2.

Er hatte es kaum ausgesprochen, da flog die Tür zur „Bloody Mary“ auf. Ein schwarzhaariger Mann stand auf der Schwelle, den riesigen Körper etwas angeduckt. Der Blick seiner eisblauen Augen flog sekundenlang über die wilde Szenerie, entdeckte die Männer, die gerade mit ihrem Schlachtruf „Arwenack!“ zum Gegenangriff übergingen – und ein kurzes Lächeln huschte über sein scharfkantiges Gesicht.

Mit katzenhafter Geschmeidigkeit sprang er die Stufen zum Schankraum hinunter.

Seine Stimme war messerscharf: „Aufhören!“

Die Männer zuckten zusammen und drehten sich zu ihm um.

„Der – der Seewolf!“ keuchte einer der Männer von der „Elizabeth“ und riß entsetzt die Augen auf.

Unter dem Tresen rappelte sich Nathaniel Plymson hoch. Seine Glatze schob sich über die Thekenkante, mit wieselflinken Augen stellte er fest, daß – jedenfalls im Moment – keine Gefahr drohte, und so richtete er sich ganz auf.

„Es ist ein Skandal ...“, legte er los.

„Maul halten, Plymson“, sagte Philip Hasard Killigrew, ohne sich nach ihm umzudrehen.

Nathaniel Plymson zog den Kopf ein. Von den heruntergetropften Rotwein sah seine Glatze wie Hackfleisch aus.

„Die Vorstellung ist beendet“, sagte Hasard knapp. „Sämtliche Männer aus Kapitän Drakes Verband melden sich unverzüglich zurück an Bord. Das ist ein Befehl.“

Einer von der „Swan“-Crew begann zu maulen, ein grobschlächtiger Kerl mit einer zerquetschten Nase und einem pockennarbigen Gesicht.

„Befehl von wem?“ fragte er. „Von dir vielleicht?“

„Nein, von Kapitän Drake“, erwiderte Hasard kalt.

„Phhf“, machte der Mann verächtlich, „der ist ja gar nicht in Plymouth.“

„Er ist vor zwei Stunden mit der ‚Pelican‘ eingelaufen“, sagte Hasard eisig. „Sonst noch was?“

„Ich bleib hier“, sagte der Kerl. „Du kannst mich mal.“

Hasard brauchte nicht einzugreifen. Das besorgte Batuti, der riesige Gambia-Neger. Er packte den Kerl kurzerhand an Kragen und Hosenboden, nahm Schwung, einmal, zweimal, und beim dritten Male ließ er los. Brüllend flog der Mann durch den Schankraum und landete auf den Steinstufen, die zur Schanktür hochführten. Benommen rutschte er über die Stufen wieder nach unten und blieb erst mal liegen.

Batuti strahlte und blickte sich um.

„Noch jemand frech zu Seewolf?“ fragte er. „Kann gleich hinterherfliegen, verstanden?“

Die Männer der Hasard-Crew grinsten.

Hasard schaute sich suchend um.

„War Carberry nicht auch hier?“ fragte er Ferris Tucker.

Der Riese deutete mit dem Kopf zu dem Schanktisch. „Der hat sich da schlafen gelegt.“

Hasard bückte sich, um den Profos an den Beinen unter dem Tisch vorzuziehen. Und dann stutzte er. Er ging in die Hocke und schaute unter den Tisch.

„Jetzt haut’s mich doch glatt um“, murmelte er verblüfft.

So wurde Mac Pellew zum zweiten Male an diesem Abend bei dem gestört, was er so gern tun wollte. Er starrte in die eisblauen Augen des Seewolfes, aber bei dem einen Zuschauer blieb es nicht. Plötzlich hockten alle Männer, die sich noch vor vier Minuten die Köpfe einschlagen wollten, einträchtig um den Schanktisch und bestaunten Mac Pellews einmalige Liebeslaube samt der Dessous und Wäschestücke, die hingetupft wie Blumen auf einem Beet um die beiden herumlagen.

Typisch Männer, bewunderten sie natürlich nicht ausschließlich die Garderobe der dunkelhaarigen Lady, die als Nackedei auch viel hübscher anzusehen war.

Big Niels, ursprünglicher Favorit der Lady, erlitt fast einen Schlaganfall. Er schnappte nach Luft, knirschte wild mit den Zähnen und stöhnte mit solcher Inbrunst, daß Pete Ballie, der neben ihm hockte, ihm beruhigend auf die Schulter klopfte und „na-na-na“ sagte.

Mac Pellew, voller Gift und Galle, sagte: „Ihr solltet euch was schämen, ihr Lüstlinge. Könnt ihr nicht woanders hinglotzen, he? Ihr zieht die Lady ja förmlich mit euren Blicken aus!“

„Wir?“ empörte sich Smoky, der früher auf der „Marygold“ als Decksältester gefahren war, bis ihn Hasard in seine Crew übernommen hatte. „Ausgezogen hast du sie doch schon, du verdammter Hurensohn – und überhaupt, was denkst du dir eigentlich? Du kannst doch hier nicht unter dem Tisch ... na ja, und dann noch, während wir uns die Klüsen dichtschlagen ...“

„Kann ich nicht?“ fauchte Mac Pellew. „Wer sagt das denn?“

„Ich.“ Smoky geriet in Wut. „Außerdem hast du sie Big Niels ausgespannt, du verlauster Kombüsenhengst!“

„Ha!“ schrie Mac Pellew. „Der mußte sich ja unbedingt herumprügeln, dieser Idiot, genau wie Ed Carberry und ihr hirnrissigen Bastarde!“

„Ruhe!“ donnerte der Seewolf – mit hundert Lachfältchen in den Augenwinkeln.

„Huch!“ sagte die Lady und blickte den Seewolf schmelzend an. „Bist du nicht Mister Killigrew?“

„Der bin ich“, erwiderte Hasard.

„Besuchst du mich mal, Großer? Vielleicht morgen?“ Ihr Blick wurde verschleiert, die Zungenspitze huschte über ihre Lippen.

Mac Pellew ruckte herum, stinkwütend. „Untersteh dich, Maggy, morgen besuch ich dich, verstanden?“

„Keiner von uns“, sagte Hasard. „Kapitän Drake hat Ausgangssperre verhängt.“

Mac Pellew hielt die Hand hinter sein rechtes Ohr. „Sag das noch mal.“

„Tut mir leid, Mac. Es ist so.“

„Und warum ist das so?“

„Dreimal darfst du raten, Mac. Und jetzt sorg dafür, daß sich die Lady wieder etwas überzieht. Sie erkältet sich sonst. Was ist mit Ed?“

„Dem hab ich eine verpaßt“, sagte Mac Pellew höhnisch, „als er hier unter dem Tisch erschien und zuschauen wollte.“

Hasard schüttelte nur den Kopf und stand auf. Dieser Mac Pellew war eine Nummer für sich.

„Vorwärts, Männer, zurück an Bord“, sagte er und winkte Ferris Tucker heran. Leise sagte er zu ihm: „Unsere Männer sollen ihre Klamotten von der ‚San Mateo‘ herunterholen, Ferris. Wir steigen alle zu Kapitän Drake auf die ‚Pelican‘ über.“

Ferris Tucker pfiff durch die Zähne und sagte ebenso leise: „Geht’s los?“

„Schätze ja“, erwiderte der Seewolf. „Kümmert euch um Carberry.“

„Aye, aye, Sir.“

Drei Minuten später verließ Hasard als letzter die „Bloody Mary“.

„Und wer bezahlt mir den Schaden?“ jammerte Nathaniel Plymson.

Hasard wandte sich noch einmal um und ging zum Tresen. Nathaniel Plymson wich zurück, bis er gegen das zertrümmerte Regal stieß. Ein paar Scherben fielen scheppernd zu Boden, und Nathaniel Plymson zuckte zusammen.

Hasard lehnte sich gegen den Tresen und lächelte. Er mußte sich etwas bücken, um nicht mit dem Kopf an den ausgestopften Stör zu stoßen, der über dem Tresen hing.

„Weißt du noch, wie vor einem Jahr alles hier angefangen hat, Nathaniel Plymson?“ fragte er.

Der feiste Wirt nickte. O verdammt, er wußte es zu genau. Auf was wollte dieser blauäugige Teufel hinaus?

Hasard sagte: „Damals hast du mich an die Preßgang Kapitän Drakes verhökert.“

Nathaniel Plymson kriegte das Zittern. Sollte der Schrecken an diesem Abend denn nie ein Ende nehmen?

Hasard blickte sich suchend um. „Wo ist dann das kleine Kätzchen, das so gern Wein trank?“

Nathaniel Plymson grinste schwach. „Das ist in Liebesnöten.“

„Oh“, sagte Hasard. „Wie erfreulich. Ist noch eine Flasche heil geblieben?“

Der feiste Wirt bückte sich, griff unter die Theke und stellte eine verstaubte Flasche auf die Tresenplatte.

Hasard betrachtete sie von allen Seiten und blickte den Dicken fragend an.

„Sie nennen es Rum“, erklärte Nathaniel Plymson und spitzte die Lippen. „Die Spanier sollen es aus der Neuen Welt mitgebracht haben. Möchten Sie mal probieren, Sir?“

Hasard nickte. „Wenn’s kein andalusischer Schlaftrunk ist.“

Nathaniel Plymson schaffte es sogar, rot zu werden. Hastig öffnete er die Flasche, fand zwei heil gebliebene Gläser und schenkte ein.

Hasard roch an dem Glas. „Hm“, sagte er, „das duftet gut.“

„Das duftet nicht nur gut“, sagte der Dicke, „es schmeckt auch gut. Zum Wohl, Sir!“

Sie tranken.

Hasard spürte ein Brennen, aber dann eine angenehme Wärme in seinem Magen.

„Wie Samt und Seide“, sagte er. Dann schüttelte er den Kopf. „Was die Dons doch so alles von dort wegschleppen.“ Er erinnerte sich an etwas und griff in seine Segeltuchjakke.

Nathaniel Plymson zuckte wieder zurück. Aber dann riß er die Augen auf.

Hasard knallte einen Silberbarren auf den Tresen und lächelte. „Auch von den Dons. Reicht der für den Schaden hier?“

Plymsons Wurstfinger krochen langsam über den Tresen auf den Silberbarren zu. Seine flinken Äuglein funkelten, seine Miene verriet helles Entzücken. Er blickte zu Hasard hoch.

„Für mich?“

„Für dich“, sagte Hasard.

Nathaniel Plymsons Wurstfinger streichelten den Silberbarren. „Danke, Sir, vielen Dank.“

„Vielen Dank für den Rum“, sagte Hasard und wollte zur Tür gehen.

„Die – die Flasche ist für Sie, Sir“, sagte der Dicke.

Hasard drehte sich überrascht um.

Der Dicke druckste herum. „Wegen – wegen der Sache vor einem Jahr.“

Hasard nahm die Flasche in Empfang und lächelte. „Sie beschämen mich, Mister Plymson.“

Der Dicke lächelte zurück. „Nicht der Rede wert, Sir. Ich wünsche Ihnen eine gute Fahrt, Ihnen und Ihren Männern. Und kehren Sie gesund zurück.“

„He! Wer sagt denn, daß wir auslaufen?“ fragte Hasard mißtrauisch.

Der Dicke grinste. „Wir hier direkt am Hafen hören viel. Kapitän Drakes Schiffe sind seit Wochen ausgerüstet worden. Und heute sollten die Besatzungen plötzlich alle an Bord zurück.“

„Laß das bloß nicht die Spanier hören“, sagte Hasard.

Das alte Schlitzohr Nathaniel Plymson sagte: „Nicht, wenn’s um Silber geht, das ihr den Dons wegschnappt.“

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18+
Volume:
100 p. 1 illustration
ISBN:
9783954391981
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