Dante Alighieri
Die göttliche Komödie
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Die Hölle – Inferno
Erster Gesang
Zweiter Gesang
Dritter Gesang
Vierter Gesang
Fünfter Gesang
Sechster Gesang
Siebenter Gesang
Achter Gesang
Neunter Gesang
Zehnter Gesang
Elfter Gesang
Zwölfter Gesang
Dreizehnter Gesang
Vierzehnter Gesang
Fünfzehnter Gesang
Sechzehnter Gesang
Siebzehnter Gesang
Achtzehnter Gesang
Neunzehnter Gesang
Zwanzigster Gesang
Einundzwanzigster Gesang
Zweiundzwanzigster Gesang
Dreiundzwanzigster Gesang
Vierundzwanzigster Gesang
Fünfundzwanzigster Gesang
Sechsundzwanzigster Gesang
Siebenundzwanzigster Gesang
Achtundzwanzigster Gesang
Neunundzwanzigster Gesang
Dreißigster Gesang
Einunddreißigster Gesang
Zweiunddreißigster Gesang
Dreiunddreißigster Gesang
Vierunddreißigster Gesang
Erster Gesang
Zweiter Gesang
Dritter Gesang
Vierter Gesang
Fünfter Gesang
Sechster Gesang
Siebenter Gesang
Achter Gesang
Neunter Gesang
Zehnter Gesang
Elfter Gesang
Zwölfter Gesang
Dreizehnter Gesang
Vierzehnter Gesang
Fünfzehnter Gesang
Sechzehnter Gesang
Siebzehnter Gesang
Achtzehnter Gesang
Neunzehnter Gesang
Zwanzigster Gesang
Einundzwanzigster Gesang
Zweiundzwanzigster Gesang
Dreiundzwanzigster Gesang
Vierundzwanzigster Gesang
Fünfundzwanzigster Gesang
Sechsundzwanzigster Gesang
Siebenundzwanzigster Gesang
Achtundzwanzigster Gesang
Neunundzwanzigster Gesang
Dreißigster Gesang
Einunddreißigster Gesang
Zweiunddreißigster Gesang
Dreiunddreißigster Gesang
Erster Gesang
Zweiter Gesang
Dritter Gesang
Vierter Gesang
Fünfter Gesang
Sechster Gesang
Siebenter Gesang
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Einunddreißigster Gesang
Zweiunddreißigster Gesang
Dreiunddreißigster Gesang
Fegefeuer - purgatorio
Das Paradies - paradiso
Impressum neobooks
Dante Alighieri
Die göttliche Komödie
Impressum:
Titel: Die göttliche Komödie
Autor: Dante Alighieri
Übersetzer: Karl Witte
Verlag: Pretorian Books, Ul Hristo Samsarov 9, 9000 Varna
Erscheinungsdatum: 23.6.2019
Es war in unseres Lebensweges Mitte,
Als ich mich fand in einem dunklen Walde;
Denn abgeirrt war ich vom rechten Wege.
Wohl fällt mir schwer, zu schildern diesen Wald,
Der wildverwachsen war und voller Grauen
Und in Erinnrung schon die Furcht erneut:
So schwer, daß Tod zu leiden wenig schlimmer.
Doch um das Heil, das ich dort fand, zu künden,
Will, was ich sonst gesehen, ich berichten.
Wie ich hineingelangt, kann ich nicht sagen,
So schlafbenommen war ich um die Zeit,
Als ich zuerst den wahren Weg verlassen.
Doch, als ich eines Hügels Fuß erreichte,
An welchem jenes Tal zu Ende ging,
Das mir das Herz mit solcher Furcht befangen,
Blickt' ich empor, und sah des Hügels Schultern
Bekleidet schon mit des Planeten Strahlen,
Der uns den rechten Pfad zeigt allerwege.
Beruhigt wurde da die Furcht ein wenig,
Die in des Herzens See mir angedauert
Die Nacht durch, die so angstvoll ich verbrachte.
Wie einer, der mit ganz erschöpftem Atem,
Dem Meer entronnen, das Gestad' erreicht,
Auf die verräterische Flut zurückblickt,
So wandte sich mein Geist, noch immer fliehend,
Zurück, um zu beschaun die dunkle Talschlucht,
Die keinen, der drin weilt, lebendig ließ.
Als etwas ich den müden Leib gerastet,
Setzt' ich den Weg am wüsten Abhang fort,
So daß der ruh'nde stets der untre Fuß war.
Doch, siehe, fast bei dem Beginn des Anstieg's,
Ein Panthertier, leichtfüßig und behende,
Das überdeckt war mit gestecktem Haare.
Vor meinen Augen wich das Untier nimmer
Und störte mich so sehr in meinem Wege,
Daß mehrmals schon zur Umkehr ich mich wandte.
Es war die Zeit der ersten Morgenfrühe;
Die Sonne stieg empor mit jenen Sternen,
Die sie begleiteten, als Gottes Liebe
Zuerst bewegte diese schönen Dinge,
So daß kein Unheil mich befürchten ließ
Von jenem Tier mit buntgeflecktem Felle
Die Stunde, wie die schöne Jahreszeit.
Doch war darum der Schrecken nicht geringer,
Der mich ergriff beim Anblick eines Löwen,
(Erhabnen Hauptes und mit grimmem Hunger
Kam dieser dräuend auf mich zugeschritten,
So daß die Luft vor ihm zu fürchten schien)
Und einer Wölfin, die von jeder Gier
Besessen schien in ihrer Magerkeit,
Und über viele schon Verderben brachte.
Sie gab mir durch die Furcht, die von ihr ausging,
So großes Ungemach, daß ich die Höhe
Des Berges zu erreichen nicht mehr hoffte.
Und wie der Mann, der gern Reichtümer sammelt,
Wenn eine Zeit kommt, die Verlust ihm bringet,
In seinem Herzen sich betrübt und wehklagt,
So ward mir ob des friedelosen Tieres,
Das wie es auf mich zukam, ganz allmählich
Mich dahin drängte, wo die Sonne schweiget.
Und während ich zur Tiefe niederstürzte
Erschien mir plötzlich eines Mann's Gestalt,
Der heiser mir, vor langem Schweigen, däuchte.
Als in der großen Wüst' ich den erblickte,
Rief flehend ich ihn an: Erbarm dich meiner,
Sei'st du ein Lebender, sei'st du ein Schatten.
Kein Lebender, wohl war ich einst ein solcher.
Lombarden waren meine Eltern beide
Und ihre Vaterstadt war Mantova.
Geboren unter Julius, wenn auch spät,
Lebt' ich in Rom zur Zeit August's des guten,
Als man die falschen Lügengötter ehrte.
Ein Dichter war ich, sang von des Anchises
Gerechtem Sohne, der von Troja kam,
Als Ilion war verbrannt, die stolze Veste.
Doch du, weshalb zu so viel Plage kehrst du?
Weshalb ersteigt du nicht den schönen Berg,
Der Anfang ist und Ursach aller Freude?
So bist du der Virgil und jene Quelle,
Der so gewalt'ger Redestrom enfließet?
Entgegnet ich mit schamgefärbter Stirne.
O Licht und Ehre du der andren Dichter,
Mein Eifer, meine Liebe für dein Buch,
Die ich bewährt, sei'n mir bei dir Empfehlung.
Du bist mein Meister, du mein hohes Vorbild,
Und nur von dir hab' ich die schöne Schreibart
Entnommen, die zur Ehre mir gereichte.
Sieh jenes Tier, das mich zur Umkehr trieb.
Errette mich vor ihm, gepriesner Weiser,
Denn Puls' und Adern macht es mir erbeben.
Willst du entgehen diesem argen Orte,
Erwidert' er, als er mich weinen sah,
So mußt zu and'rer Reise du dich wenden,
Denn jenes Tier, das deiner Klagen Anlaß,
Gestattet niemand, diesen Weg zu ziehen.
Es hindert jeden, bis es ihn getötet.
So bös geartet ist es, so verworfen,
Daß seine schnöde Gier es nimmer sättigt
Und nach dem Fraß mehr Hunger als zuvor hat.
Viel Tiere sind, mit denen es sich gattet,
Und mehr noch werden sein, bis daß der Rüde
Erscheinen wird, der unter Qual es tötet.
Nicht Land, nicht Silberblech sind seine Speise,
Wohl aber Weisheit, Christenlieb' und Tugend.
Daheim ist zwischen Feltro er und Feltro.
Italien wird er retten, das gebeugte,
Für das Camilla einst, die Jungfrau, starb,
Eurialus, Turnus, Nisus sich verblutet.
Von Stadt zu Stadt wird er die Wölfin jagen,
Bis er zurückgetrieben sie zur Hölle,
Von wo der erste Neid sie losgelassen.
Weshalb zu deinem Heil ich denk' und ordne,
Daß du mir folgst; ich will dein Führer sein.
Geleiten werd' ich dich durch ew'ge Räume,
Wo der Verzweiflung Schrei du wirst vernehmen
Von jenen alten schmerzgebrochnen Geistern,
Die alle nach dem zweiten Tod begehren.
Dann wirst du jene sehn, die in den Flammen
Zufrieden sind, weil sie, wie spät auch immer,
Zu den Erwählten zu gelangen hoffen.
Willst auch zu diesen du empor dann steigen,
Wird eine Seele, würdiger als ich bin,
Dahin dich führen, wenn ich von dir scheide.
Denn, der dort oben herrscht, des Weltall's Kaiser,
Will, weil ich unbefolgt ließ sein Gesetz,
Nicht, daß durch mich in seine Stadt man komme.
Im Weltenall gebeut, doch dort regiert er,
Dort ist die Stadt und dort sein hoher Thron.
Gesegnet ist, wen dort er auserkoren.
Und ich zu ihm: O Dichter, ich beschwöre
Bei jenem Gotte dich, den du nicht kanntest,
Damit ich dies und größ'res Unheil fliehe,
Daß du mich dorthin führest, wo du sagtest,
So daß des heil'gen Petrus Tür ich sehe,
Und jene, die du schilderst als so traurig.
Dann ging er, und ich folgte seinen Schritten.
Der Tag entfloh, das abendliche Dunkel
Entnahm die Tiere, die auf Erden weilen,
Allseitig ihrer Müh; nur ich allein
Bereitete mich vor zum Doppelkampfe
Der Wanderschaft sowohl als auch des Mitleids,
Den die Erinn'rung, die nicht irrt, nun melde.
Jetzt, Musen, helft mir, hilf erhabner Geist,
Gedächtnis, das verzeichnet, was ich schaute,
Hier möge sich dein Adel offenbaren!
O Dichter, hub ich an, der du mich leitest,
Erwäge meine Kraft, ob sie auch hinreicht,
Eh du mich wagen läßt die kühne Wandrung.
Zwar sagst du, daß des Silvius frommer Vater,
Verweslich noch zur wandellosen Welt
Gepilgert sei mit seinem Erdenleibe;
Doch, wenn der Feind des Bösen, in Erwägung
Der Zukunft, die sich an Aeneas knüpfte,
Des wer und was, ihm solche Gunst gewährte,
Kann tiefer Denkende das nicht befremden,
Weil er erkoren war im Empyreum
Zum Vater Rom's und seines hohen Weltreich's.
Denn beides war, die Wahrheit zu bekennen,
Vorherbestimmt zum gottgeweihten Orte,
Wo der Nachfolger Petri seinen Sitz hat.
Auf jener Wanderung, die du ihm nachrühmst,
Vernahm er Dinge, die zu seinem Siege
Und zu der Päpste Mantel mitgewirket.
Auch das erwählte Rüstzeug ging hinüber,
Um für den Glauben Kräftigung zu bringen,
Der Anfang ist zum Wege der Erlösung.
Doch welchen Grund hab' ich und wer gewährt mir's
Aeneas bin ich nicht und bin nicht Paulus;
Für würdig hält mich niemand und ich selbst nicht.
Drum, wenn dem Wunsch des Gehn's ich mich ergebe,
Befürcht' ich Törichtes zu unternehmen.
Erwäg' es selbst, der weiser du als ich bist.
Und wie, wer nicht will, was zuvor er wollte,
Und, neues sinnend, seinen Vorsatz ändert,
So daß sein erstes Ziel er gänzlich aufgibt,
So widerfuhr mir an dem düstren Abhang.
Bedenkenvoll entsagt ich dem Beginnen,
Das, als ich es ergriff, bei mir so feststand.
Wenn richtig deine Meinung ich verstanden,
Erwiderte der Schatten jenes Hohen,
Hat Kleinmut deiner Seele sich bemächtigt,
Der oft in solchem Maß den Mann betöret,
Daß er von ehrenvoller Bahn ihn abzieht,
Wie falsches Sehn die Tiere, wenn sie scheuen.
Damit von solcher Furcht du dich befreiest,
Vernimm, weshalb ich kam und was ich hörte,
Als deiner mich zum erstenmal erbarmte.
Ich weilte da, wo Freude nicht noch Pein ist.
Da rief ein Weib mich, die so schön als selig,
So daß, mir zu gebieten, ich sie ansprach.
Ihr Auge leuchtete so hell als Sterne,
Und leis' und langsam hub sie zu mir an
Mit engelgleichem Laut in ihrer Rede:
Du wohlgesinnte Mantuanerseele,
Von deren Ruhm die Welt noch itzt erfüllt ist
Und bleiben wird so lang' als die Bewegung,
Mein Freund, der aber nicht des Glückes Freund ist,
Wird an dem wüsten Berghang so behindert
In seinem Weg, daß er vor Furcht zurückweicht.
Nach dem, was ich von ihm im Himmel hörte,
Besorg' ich fast, er sei schon so verirret,
Daß ich zu spät zur Hilfe mich erhoben.
So eile denn, mit kunstgeübter Rede
Und dem, was sonst zu seiner Rettung nottut,
Ihm so zu helfen, daß ich sei getröstet.
Ich bin Beatrix, die zu gehn dir aufträgt.
Dorthin zurück, woher ich kam, verlangt mich.
Die Liebe hieß mich gehn und heißt mich reden.
Bin ich demnächst aufs neu vor meinem Herren,
So werd' ich oft, was du getan, ihm rühmen.
Dann schwieg sie; aber ich begann zu reden:
O Frau, so hochbegnadigt, daß die Menschheit
Nur ihretwillen alles überraget,
Was sonst noch in sich schließt der engste Himmel,
So sehr ist mir, was du befiehlst, willkommen,
Daß, hätt' ich's schon getan, zu spät mir's schiene;
Mir deinen Wunsch mehr zu enthüll'n bedarf's nicht.
Doch, sage mir den Grund, daß du nicht Scheu trägst,
In diesen Mittelpunkt herabzusteigen
Vom weiten Raum, wohin du dich zurücksehnst.
Verlangst du denn so tief eingehnde Auskunft
Sprach sie zu mir, will ich dir kurz berichten,
Warum, hierherzukommen ich nicht fürchte.
Furcht hegen soll man nur vor solchen Dingen,
Die Schaden uns zu tun, die Macht besitzen;
Vor andren nicht, weil nichts an ihnen furchtbar.
Durch seine Gnade schuf der Herr mich also,
Daß all' eu'r Elend mich nicht kann berühren,
Und dieses Brandes Flamme mir nichts anhat.
Ein holdes Weib beklagt im Himmel droben,
Das Hindernis, zu dem ich dich entsende,
So daß sie harten Richterspruch dort umstößt.
Lucìen trat sie an mit ihrer Bitte,
Und ihre Worte waren: dein Getreuer
Bedarf itzt dein und dir sei er empfohlen.
Lucìa, die jedweder Härte Feind ist,
Begab sich zu dem Ort, wo ich verweilte,
Wo ich mit Rahel saß, der Tochter Laban's.
Beatrix, sprach sie, wahres Lob des Herr'n,
Was hilfst du dem nicht, der dich so geliebt hat,
Daß er um dich verließ den großen Haufen?
Vernimmst du nicht den Schmerzlaut seiner Klage,
Gewahrst du nicht den Tod, der mit ihm streitet
Am Flußgestade, schlimmer als der Meerstrand?
Dort in der Welt war niemand je so eilig,
Ihm Dienliches zu tun, zu fliehn den Schaden,
Als ich, nachdem ich dieses Wort vernommen.
Zu dir kam ich von meinem sel'gen Sitze,
Auf deiner würd'gen Rede Macht vertrauend,
Die dich und alle, die sie hörten, ehret.
Als diese Wort sie zu mir gesprochen,
Verwandt' in Tränen sie den Glanz der Augen,
Wodurch sie zu noch größ'rer Eil mich antrieb.
Wie sie geboten, kam ich her zu dir,
Und führte dich hinweg von jenem Tiere,
Das dir zum Berg den graden Weg versperrte.
Was hast du nun, daß du noch länger zauderst,
Was nährest solchen Kleinmut du im Herzen?
Was hegst du Zuversicht und frischen Mut nicht,
Da drei so hoch gebenedei'te Frauen
Im Himmelshof fürsorgend dein gedenken
Und meine Rede solches Heil dir zusagt?
Wie Blümlein, die der Nachthauch schloß und senkte,
Sobald die Morgensonne sie erleuchtet,
Sich auf dem Stiel aufrichten und erschließen,
So kräftigte sich mein gesunkner Mut,
Und so viel Sicherheit gewann mein Herz,
Daß ich begann, wie wer von Zweifeln frei ist:
Gesegnet sei, die mir zu helfen eilte.
Dir aber dank ich, daß du gern bereit warst,
Zu tun, wie wahrheitstreu sie dir gesagt hat.
Den Wunsch, mit dir zu gehn, hast du im Herzen
Mir also angefacht durch deine Worte,
Daß ich zurück zum ersten Vorsatz kehrte.
So geh' denn; nur ein Will' ist in uns beiden.
Sei du mir Herr, mir Meister, sei mir Führer.
Da wandt' er sich zum Gehn, und unsre Schritte
Betraten einen Pfad, der rauh hinabstieg.
Der Eingang bin ich zu der Stadt der Schmerzen,
Der Eingang bin ich zu den ew'gen Qualen,
Der Eingang bin ich zum verlor'nen Volke.
Gerechtigkeit bestimmte meinen Schöpfer,
Geschaffen ward ich durch die Allmacht Gottes,
Durch höchste Weisheit und durch erste Liebe.
Vor mir entstand nichts, als was ewig währet,
Und ew'ge Dauer ward auch mir beschieden;
Laßt, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren.
In dunkler Farbe sah ich diese Zeilen
Als einer Pforte Inschrift. Drum begann ich:
O teurer Meister, düster ist ihr Sinn mir.
Er aber sprach, das rechte wohl erfassend:
Absagen mußt du jeglichem Bedenken
Und jeden Kleinmut hier in dir ertöten.
Gelangt sind wir dahin, wo ich dir sagte,
Du würdest sehn die schmerzerfüllten Scharen,
Die der Erkenntnis hohes Gut verloren.
Als seine Hand er dann gelegt in meine
Mit heit'rer Miene, die mir Mut gewährte,
Führt' er mich ein in die geheimen Dinge.
Hier tönten Seufzer, Schluchzen, laute Klagen
Erschütternd durch die sternenlose Luft,
So daß zu Anfang ich mitweinen mußte.
Verschiedne Zungen, grauenvolle Sprachen,
Des Schmerzens Worte, zornentbrannte Töne,
Erstickt' und laute Rufe, Schlag der Hände,
Sie bildeten ein wildverworrnes Tosen,
Das in der ewig düstren Luft sich umtreibt,
Wie bei des Wirbelwindes Wehn der Sand tut.
Ich aber, dem das Haupt Entsetzen einnahm,
Begann: Was ist das, Meister, was ich höre,
Und was für Volk, das übermannt vom Schmerz scheint?
Und er zu mir: Solch' jammervolle Weise
Verführen die unwürd'gen Geister deren,
Die ohne Lob gelebt und ohne Schande.
Der Engel schlechter Schar sind sie verbunden,
Die, ohne gegen Gott sich zu empören,
Ihm treu nicht, sondern unparteiisch waren.
Der Himmel Schönheit hätten sie getrübt,
Auch nimmt die tiefre Hölle sie nicht auf,
Weil etwas Ruhm sie den Verdammten brächten.
Da sprach ich: Meister, was ist denn so quälend
Für sie, daß solche Klagen es hervorruft?
Und er: Das will ich kürzlich dir berichten:
Der Tod hat Hoffnung ihnen nicht zu bieten,
Und so verächtlich ist ihr blindes Leben,
Daß sie jedwedes andre Los beneiden.
Die Welt gestattet ihnen keinen Nachruhm;
Erbarmen und Gerechtigkeit verschmäht sie.
Kein Wort von ihnen; schau, und geh vorüber.
Ich blickte hin: Da sah ich eine Fahne,
Die so geschwind umkreisend sich bewegte,
Daß zu verschmähn sie mir jedwede Rast schien.
Und hinterdrein lief solch endloser Haufen
Von Volke, daß ich nimmermehr vermutet,
So viele habe schon der Tod vernichtet.
Und als erkannt ich hatte den und jenen,
Erblickt' und kannte ich den Schatten dessen,
Den Feigheit zum Verzicht, dem großen, antrieb.
Sofort ward ich bewußt mir und versichert,
Dies sei die Schar der schmachbeladenen Seelen,
Die Gott und seinen Feinden gleich mißliebig.
Die Elenden, die nimmer wahrhaft lebten,
Sie waren nackt und wurden schwer gepeinigt
Von Bremsen und von Wespen, die dort waren.
Bei deren Stichen troff von Blut ihr Antlitz,
Das tränenuntermischt zu ihren Füßen
Von ekelhaften Würmern ward verschlungen.
Und als ich weiter noch den Blick entsandte,
Sah Schatten ich am Ufer eines Stromes;
Weshalb ich sprach: Gewähre mir nun, Meister,
Daß, wer sie sind, ich hör', und welcher Antrieb
Sie scheinbar so zur Überfahrt geneigt macht,
Wie in dem falben Licht ich unterscheide.
Erfahren wirst du, sagt' er, was du fragest
Sobald wir hemmen werden unsre Schritte
Am Uferrand des traur'gen Acheron.
Da senkte schamerfüllt ich meine Blicke
Und, fürchtend, daß ihm lästig sei mein Reden,
Enthielt ich bis zum Flusse mich der Worte.
Und, sieh', im Nachen kam herangefahren
Ein Greis, der ob des Haares Alter weiß war,
Und ausrief: Weh euch, ihr verruchten Seelen!
Den Himmel hoffet nimmermehr zu schauen.
An's andre Ufer komm' ich euch zu führen
In ew'ge Finsternis, in Frost und Hitze.
Und, die du dort verweilst, lebend'ge Seele
Entferne dich von diesen, die gestorben.
Und als er sah, daß ich mich nicht entfernte,
Sprach er: Nicht hier, durch andre Weg' und Häfen
Wirst du zum Strand der Überfahrt gelangen;
Das Schiff, das einst dich tragen soll, ist leichter.
Mein Führer aber sprach: Sei ruhig Charon.
So will man's droben, wo jedwedes Wollen
Zugleich ein Können ist; nicht frage weiter.
Da glätteten sich die behaarten Wangen
Des Fährmann's auf dem trübgefärbten Sumpfe,
Der um die Augen Flammenräder hatte.
Doch jene Seelen, nackend und ermattet,
Verfärbten sich und klappten mit den Zähnen,
Sobald die harten Worte sie vernahmen.
Sie fluchten Gott und fluchten ihren Eltern,
Der Menschenbrut, dem Ort, dem Tag, dem Samen,
Durch die gezeugt sie wurden und geboren.
Dann drängten sie sich unter lautem Weinen
In dichten Scharen an das schlimme Ufer,
Das jedes wartet, welcher Gott nicht fürchtet.
Mit feur'gen Augen sammelt Teufel Charon
Gebieterischen Wink's die Seelen alle,
Schlägt mit dem Ruder jeden, der da zaudert.
Gleichwie zur Herbsteszeit die Blätter alle,
Eins nach dem andern abfall'n, bis der Zweig
Am Boden alles sieht, das ihn bekleidet,
So stürzt hier Adam's schuldbeladener Samen
Sich Haupt für Haupt vom Ufer in den Nachen,
Wie Vögel tun, wenn sie den Lockruf hören.
Hinüber fahren sie auf dunkler Flut,
Und eh' dem Kahne drüben sie entstiegen,
Hat diesseits schon sich neue Schar gesammelt.
Mein Sohn, begann zu mir der güt'ge Meister,
Die unter Gottes Zorne sterben, alle
Versammeln hier sich aus jedwedem Lande.
Auch ist zur Überfahrt bereit ein jeder;
Die göttliche Gerechtigkeit ist ihnen Sporn,
So daß die Furcht sich wandelt in Verlangen.
Nie fuhr noch fährt ein Guter hier hinüber!
Darum, wenn Charon scheltend dich zurückweist,
Verstehst du nun den Sinn von seinen Worten.
Darauf erzitterte die düstre Fläche
So heftig, daß noch itzt in der Erinn'rung
Mich des Entsetzens Schweiß kalt überrieselt.
Ein Luftstoß drang aus dem betränten Boden,
Worin ein roter Lichtesglanz erblitzte.
Darob entschwand mir jegliches Bewußtsein,
Und nieder sank ich, wie wen Schlaf ergriffen.