Allerlei Alltag für Jedermann

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Allerlei Alltag für Jedermann
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Allerlei Alltag für Jedermann

Autor

Danny Fränkel

E-Mail: danny-fraenkel@web.de

Vorwort

Werte Leser,

dies, was sie hier vor sich in Händen halten, ist eine Kurzgeschichtensammlung, die ich für Jung bis Alt schrieb. Es sind lustige Geschichten, aber auch nachdenklich stimmende darunter. Ernste, wie auch vor Verlust und Enttäuschung strotzende. Lassen sie sich entführen von verschiedensten Charakteren und Aktzenten, von Weltenverbesserern, Privatdetektiven, gestressten Arbeitern, Gaunern, Verliebten und jugendlichem Leichtsinn.

Normalerweise schreibe ich Romane und Reisebücher. Aber die meisten dieser Kurzgeschichten sind das Resultat eines zweijährigen Belletristik-Fernstudiums und lagen darum öfters auf dem Prüfstand. Ich finde es schade, diese Anekdoten aus dem alltäglichen Leben einfach verstauben zu lassen.

Ich wünsche Ihnen darum viel Spaß beim Lesen. Und vielleicht inspiriere ich ja auch Sie zu der ein oder anderen Kurzgeschichte.

Ihr Danny Fränkel

Engelshand

Heute war ein besonderer Tag. Den ließ er sich von niemand versauen, dachte sich Ralf Bäumer. Dieser groß gewachsene, schlanke Mann von etwa zweiundzwanzig Jahren trug ein graues Jackett am Leib. Seine Beine waren mit einer schwarzen Jeanshose und Hochglanz-Schuhen bestückt. Er schlenderte mit einem Plastikbeutel in der Hand die Straße entlang, in dem sich ein Schopf Bananen, drei Äpfel und fünf Kiwis befanden.

Gerade als er nachdenken wollte, was er in der halben Stunde des Wartens auf den nächsten Bus anstellen sollte, hörte er plötzlich ein merkwürdiges Geräusch.

Mit der Reaktion einer Katze schwang er herum und lauschte einem erneuten Schluchzen; das kam ganz aus der Nähe.

Mit Neugierde und ernstem Gesicht näherte sich Ralf einem Container für Grünglas. Er erblickte einen etwa acht Jahre alten Jungen mit blauem Basecap und bunten Markenklamotten, der davon rannte und aus Ralfs Sicht verschwand. Doch das Schluchzen hielt weiter an.

Hinter dem grünen Glascontainer entdeckte Ralf einen zusammen gekauerten Jungen, der bekümmert vor sich hin weinte. Ralf erstarrte zu einem Klotz, als er das blau umrandete rechte Auge des Jungen sah. Mit einem eingetrübten und zornigen Blick in die Gasse, in die das andere Kind verschwunden war, wandte er sich an den schluchzenden Jungen.

Ralf setzte sich links neben ihn und legte ihm seine freie Hand auf die Schulter. Dieser zuckte auf, nahm seine Händen vom verweinten Gesicht und sah den Mann mit großen Augen an.

Ralf fragte den Kleinen, mit ruhiger Stimme: „Hallo, ich bin Ralf. Und wie heißt du?“

Der Junge antwortete mit zitternder Stimme: „Jonas.“

„Wer war denn dieser andere Junge?“ Er deutete in die Gasse ihm gegenüber. „Hast du ihm etwas getan?“

Jonas schüttelte den Kopf zum Unbekannten: „Das war Felix aus meiner Klasse. Seine Eltern haben ein großes Haus und er bekommt alles, was er sich wünscht; das sagt er jedenfalls immer.“

Ralfs Miene verfinsterte sich. Und dabei fiel ihm etwas ein, und fragte Jonas: „Soll ich dir eine Geschichte erzählen? Dauert nicht lang.“

Als Jonas nickte, fing Ralf an zu sprechen: „Als ich etwas in deinem Alter war, wurde ich jeden Tag gehänselt. Ich hatte nie Mut gehabt, mich zur Wehr zu setzen. Eines Tages kam ich mit einem verrenkten Arm nach Hause, und meine Eltern waren bis in die späte Nacht auf Arbeit. Bekümmert ging ich zu Bett. In dieser Stimmung bin ich auch eingeschlafen. Und ich träumte etwas Eigenartiges: Ein greller Raum, ohne Wände und Türen, und vor mir stand ein leuchtender Engel mit Flügeln, die strahlten wie reines Licht. Der Engel sagte nur zwei Sätze zu mir: „Kämpfe für dein Recht auf Leben. Du wirst etwas Besseres werden.“ Die letzten Sätze betonte er zusätzlich. „Als ich aufgewacht bin, dachte ich, es sei ein einfacher Traum gewesen. Aber die Feder unter dem Kopfkissen bewies, dass es real war.“

Der Junge starrte den Mann mit leuchtenden Augen an.

Auf Ralfs Zügen bildete sich ein Lächeln. „Danach habe ich Mut gefasst und mich endlich gegen meine Mitschüler aufgelehnt. Sie hatten sogar manchmal Angst vor mir. Heute sehe ich einige von ihnen, wie sie Gartenzäune streichen. Lächerlich – oder?“

Der Junge erzwang sich eine Frage: „Was ist aus Ihnen geworden?“

Ralf lächelte. „Ich hatte heute früh ein Bewerbungsgespräch, und mir wurde danach schon mitgeteilt, dass ich bei ihnen als Arzt und Heilpraktiker lernen darf. Ich freu mich auf den ersten Tag.“

Doch plötzlich stützte Ralf seine Hände vom Boden ab, stand auf. Er öffnete die graue Plastiktüte in der Hand, griff hinein und holte einen der grünen Äpfel heraus. Den drückte er Jonas in die Hand. „Glaube an die Worte des Engels. Sie galten bestimmt nicht nur mir.

Schließlich trottete Ralf langsamen Schrittes in Richtung Haltestelle. Jonas sah ihm nachdenklich hinterher.

Nachdem Jonas ebenfalls aufgestanden war, biss er herzhaft in den knackigen Apfel. Danach setzte er zum Weg in die Schule an.

Kaum hatte er zwei Meter zurückgelegt, sah er auch schon Felix, der mit schnellen Sohlen auf ihn zustapfte.

Erst übermannte Jonas die Angst. Dann aber blickte er wieder nachdenklich auf den Apfel. Jetzt entschied sich, ob er aus den Worten des Fremden gelernt hatte.

Als Felix immer und immer näher kam, schritt Jonas auf ihn zu, bis ihm der warme Atem aus Felix’ Nase entgegenstieg.

Ohne etwas zu ahnen und mit bereits ausholender Hand stolperte Felix über Jonas’ rechtes Bein, das dieser tückisch vor dem Zusammenstoß ausgefahren hatte. Felix flog mit der Nase gen Bürgersteig.

Als er nach keinem Augenblick verwirrt nach oben starrte, grinste Jonas ihm zu, sagte kein Wort, nahm dafür einen weiteren Biss vom Apfel und setzte seinen Weg fort. Felix sah ihm nur noch mit aufgelösten Pupillen nach.

Hinter einer Hecke stand Ralf, der gerade ein zufriedenes Grinsen aufsetzte. Wie abgemacht hielt auch schon der Bus an seiner Seite und er stieg ein, mit einer weißen Feder in der Hand.

Nichts

Bernd Klausner hatte sich vor kurzem auf eine Annonce des Städtischen Anzeigers beworben. 'Bis zu 1500 Euro im Monat.'

Seit nunmehr einen halben Monat arbeitete er im Büroabteil eines Autokonzerns. Man setzte ihn vor den PC, legte ihm einen Zettel mit den Aufgabenbereichen vor und überließ ihn seinem Schicksal.

Er schuftete Tag für Tag, tippte wie ein Besessener, übertrug die Stückzahl der Produktionsliste, berechnete Verlust, Arbeiteraufwand und Profit. Er wagte nie aufzustehen oder auszuschnaufen.

Außer Heute. Die Auftragslage hat sich stabilisiert.

Bernd stemmte seine knackenden Beine in die Höhe, streckte sich wie ein Kater, der zu lang auf dem Sofa gelegen hatte. Nur dass seine Schläfen pulsierten.

Also ging er zum Fenster und ließ frische Luft in die Muffigkeit. Er zündete sich eine Zigarette an, lehnte sich auf den Sims und sog seine Lunge mit prickelndem Rauch voll. Währenddessen beobachtete er das Markttreiben zwanzig Meter unter ihm.

Es war rege. Leute schlenderten am Asia-Markt, dem Dönerwagen und Eiscafé vorbei, kaum jemand blieb stehen. Das einzige, worauf Bernd seine Augen einbrannte, war der Brunnen in der Mitte des Kopfstein-Platzes. Nicht die sprudelnden Fontänen interessierten ihn, eher der Mann, der am Rand hockte. In zerrissener Kleidung, einem verdreckten Gesicht, und neben ihm ein ebenso zerfranster Golden Retriever. Sie beobachteten das Getümmel. Eine Frau in Tanga und BH warf ihm ein paar Münzen hin.

Bernd schüttelte den Kopf. ‚Solche Typen sollen für ihr Geld arbeiten, statt sinnlos rumzulungern’, und setzte sich wieder an den Bildschirm. Die Tastatur glühte wieder.

Am Folgetag schlappte Bernd – schweißgebadet und allein mit Überhemd – von der Pause zurück ins Büro. Den Kaffee stellte er vor den surrenden Ventilator, und spähte aus dem Fenster.

Wie gestern: Der gleiche monotone Anblick. Erneut hockte der Penner am Brunnenrand, brach gerade ein Hörnchen entzwei, legte das größere seinem Hund vor die Schnauze. Während der Retriever es hinunter schlang, lächelte der Bettler, gab ihm das Resthörnchen und streichelte ihn.

Bernd zog die Braue hoch. ‚Hauptsache der Hund fühlt sich wohl?’ Das wäre ihm nicht im Traum eingefallen. Wahrscheinlich war der Alte betrunken; oder nur gutmütig. Wie war er wohl auf der Straße gelandet? Vielleicht hatte sein Betrieb dicht gemacht, Hartz 4 – wie bei Bernd – und dann Straße, weil ihn niemand einstellte.

Bernd bibberte, als er sich die Übernachtung in der Frühlingskälte vorstellte, allein in Lumpen gehüllt. Allmählich hegte er Mitgefühl für den Mann.

Die Arbeitsglocke ließ Bernd zusammenfahren, er flitzte zum Schreibtisch zurück.

Als die Glocke erneut läutete, schnappte Bernd seinen Koffer und marschierte aus dem Gebäude. Nicht durch den Hauptausgang, sondern durch die Hintertür zum Marktplatz.

Nach einem würzigen Döner fragte er den türkischen Verkäufer: „Der Mann dort drüben –“, er deutete mit Knoblauchsoße bekleckertem Finger zum Brunnen. „Kennen Sie den?“

Der Wagenbesitzer legte ein Grinsen auf. „Heißen Bruno. Sitzen seit Jahren dort und genießen Sonne.“

„Aber nicht schon immer?“

„Nee. Hat schweres Schicksal. Frau mit ganzem Geld abgehauen. Gab vor Depression Job auf. Staat haben Haus gepfändet.“

‚Armer Kerl’, dachte Bernd. „Übernachtet er etwa auch am Brunnen?“

 

„Nee.“ Der Budenbesitzer blinzelte zum Rand des Marktplatzes. „Legt sich auf Bänke. Mummeln sich in Zeitungen ein.“

Bernd wurde klar, wie grausam das Leben für manche Menschen war. Diesen Anblick ertrug er nicht mehr. Jetzt erst erspähte er die Narben auf Brunos Gesicht.

Und Bernd fasste einen Entschluss. Er entfernte sich mit raschen Füßen vom Platz, um keine fünf Minuten später wieder drauf zu treten. Jedoch begann sein Leib zu zittern.

Ein grimmig dreinblickender Polizist rempelte ihn an. Die Prostituierte von gestern rauchte am Straßenrand eine Zigarette. Er glaubte von Blicken erstochen zu werden, obwohl der Platz fast leer war. Es wurde finster.

Endlich gelangte er an den Brunnen und setzte sich neben den kopfhebenden Retriever. „Schönes Tier. Woher haben sie ihn?“

Bettler Bruno zuckte auf, sah aber aus gelassenen Augen zu Bernd. „Vor acht Jahren von meiner Frau geschenkt bekommen.“

Bernd erinnerte sich an den Vorfall des Diebstahls, wollte keine Wunden aufschürfen. Also streckte er ihm die Hand aus der Jackentasche entgegen. „Ich bin Bernd.“

Bruno wollte erwidern, hielt aber in der Bewegung inne. Ein Hundert-Euroschein klemmte zwischen Bernds Zeige- und Mittelfinger. „Was soll das?“

„Etwas für die Runden.“

„Nehm' ich nicht an.“ Brunos störrischer Blick bohrte sich in Bernds Lächeln.

„Kommen Sie schon!“

„Nein.“ Bruno verschränkte die Arme.

Mit enttäuschter Miene ließ Bernd das Geld in die Tasche zurück gleiten. Dann deutete er auf den Dönermann. „Darf ich Ihnen was zu Essen spendieren?“

Wieder ein „Nein.“

Bernds Stirn wurde zusehens tiefer. Er hätte ein solches Angebot mit Freuden angenommen. „Okay. Aber die Nacht heute soll kalt werden. Ich biete Ihnen ein gemütliches Kaminfeuer und eine Unterkunft an. Wie wär's?“

Der Alte schüttelte seinen Kopf und lächelte wie ein Kind, das sich über das Missgeschick eines Erwachsenen in die Hose machte. „Vielen Dank. Aber ich bin zufrieden mit dem, was ich habe.“ Er beugte sich vor. „Mein Leben gefällt mir. Ich brauche keine überschwänglichen Almosen. Solang mein Herz gleichmäßig schlägt und ich nicht in eine Kabine mit Computern gesperrt werde, ist mein Dasein gesegnet.“

Das ließ Bernd das Kinn herunterfallen. Dass solche Leute noch existierten, auf dieser geldgierigen Welt, verschlug ihm den Atem. Er fühlte sich plötzlich mit dem Mann verbunden.

Und Bernd versuchte es noch einmal, in weniger formellen Ton: „Darf ich Sie wenigstens auf ein Bier einladen?“ Er grinste weiter.

Der Alte kramte statt Antwort in seiner zerrissenen Jacke herum. „Aber ich bezahle“, und brachte fünf Euro und ein paar Centstücken zum Vorschein. „Das sollte reichen.“

Schlaf Äffchen, schlaf

Und wieder hockte er hier, in der nächtlichen Novemberkälte – versteckt neben dem Felseingang zum Affenhaus. Wartete.

Doch allmählich zweifelte Enriko, ob er mit seiner Theorie Recht behielt. Wenn der Düsterling heute Nacht nicht auftaucht, wäre sein Spürsinn erschlafft. Er fragte sich, weshalb er diesen Fall überhaupt angenommen hatte. Nur weil plötzlich diese Klientin Sabine – eine sich sorgende, junge Zoopflegerin – dem Privatdetektiv ihren Mordverdacht erläutert hatte? Endlich ein interessanter Fall!, hoffte Enriko Klienert. Was musste er sich danach nicht alles gefallen lassen: Der selbstüberzeugte Cheftierarzt des Zoos – Gregor Langer – stritt den Verdacht der Jungpflegerin ab: „Die Tiere sind bloß an Altersschwäche verendet. Das ist normal, sogar beim Menschen – basta!“, und dem Schnüffler sogar einen Platzverweiß verpasst. Nur mit nervenzerreißender Überzeugungsarbeit und teuren Eintrittskarten beschaffte er sich beim Direktor eine neue Aufenthaltsgenehmigung.

Er spionierte weiter (Langer wiederum spionierte ihm hinterher), und immer wieder beobachtete er diesen wohlhabenden Zoobesucher, der jeden Tag hier einher trottete, mit Hütern quatschte und ab und zu sogar bei den Fütterungen mithalf. Sabine berichtete ihm schließlich: „Das ist Heiko von Braunschärf; ein Apothekenleiter hier in der Nähe. Er ist seit Jahren Dauergast bei uns. Hat glaube dem Zoo irgendein Tier gestiftet. Für Enriko war Braunschärf abgehakt.

Vor mehreren Nächten, als Enriko sich auf die Lauer gelegt hatte, erspähte er eine finstere Gestalt durch den Zoo pirschen. Er jagte ihr hinterher, schnappte sie aber nicht. Und da entdeckte er den Beweis, den der Düsterling – nachdem er von Enriko überrascht worden war – neben dem Meerkatzengehege verloren hatte: Eine Spritze.

Dem Fass schlug das am nächsten Tag endgültig den Boden aus, als dieser wahnsinnige Langer den eigene Verdächtigung zur Spitze trieb, und die mit glasklaren Gemisch befüllte Injektionsspritze im Beutel aus Wut gegen das Robbenbecken schleuderte. Die Spritze zerbrach, der Kunststoffbeutel öffnete sich und die Flüssigkeit vermengte sich mit dem Wasser. Da das Becken einen Inhalt von achttausend Litern enthielt, war das Gift auch nicht mehr nachweisbar. Ein Beweis weniger.

Hätte Sabine ihn nicht zuvor auf das Siegel des Druckknopfes aufmerksam gemacht, würde er jetzt nicht diese Grippe ausbrüten und kaum hier herumlungern. Durch speziell heraus gekramte Zoodokumente festigte sich nämlich ihr Verdacht. In dieser Nacht würde er aufräumen, hoffentlich.

Enriko unterdrückte ein Niesen, als eine Gestalt auf den Urang-Utan-Eingang zusteuerte.

Unbemerkt beobachtete Enriko, wie der Düsterling das Tor öffnete, sich noch einmal umguckte und hineinschlich.

Erst als der Täter seine Taschenlampe anknipste, trat Enriko hinter dem Sandstein hervor. Und wie er vermutet hatte, herrschte weiterhin Stille im Affenhaus. Raffinierter Kerl.

Hinter sich registrierte er zwar noch ein Rascheln von Gestrüpp, aber wegen seiner Konzentration auf den unterdrückenden Schnupfen, und dem Düsterling, beachtete er das Geräusch nicht.

Er ließ zehn Sekunden verstreichen, dann schlüpfte er durch den offenen Türspalt ... und betätigte den Lichtschalter. Grelle Neonröhren strahlte durch das Gehege.

Der in einen schwarzen Overall gekleidete und mit gleichem Stoff maskierte Mann blinzelte erschrocken auf, hielt sich die schützende Hand mit seiner Injektionsspritze vor die Stirn – die Verschlusskappe stak noch dran. Unbehagen bereitete Enriko das Einschläferungsmittel darin.

Den Griff von dem alten Zottel-Urang-Utan löste der Eindringling jedoch nicht. Trotzdem näherte sich der Detektiv, mit gezogenem Revolver, dem Tiermörder. „Auf frischer Tat ertappt.“

Der Täter blinzelte ihn unverholen an. „Lassen Sie mich abhauen, und dem hier passiert nichts.“ Er zerrte den hin- und herwankenden Urang-Utan an seine Brust.

„Erst den Affen.“ Sein Revolver zuckte. „Wenn nicht, knall ich euch beide ab. Sie haben ja auch keine Skrupel mit Tiermorden.“

Der Maskierte starrte ihn reglos an. „Machen Sie nicht, Schnüffler.“

Um sich eine Äußerung zu sparen, zog er einfach den Hahn zurück. Zugleich wühlte er in seiner Jacke, ohne seine Augen vom Täter zu lassen. Nach einem kurzen Knopfdruck hielt er ihm den Beutel mit ein paar Glassplittern und den dazugehörigen Plastikkolben – mit dem Siegel eines Gorillas – entgegen. „Kommt Ihnen das bekannt vor?“

Mit geweiteten Augen stierte der Killer auf den Druckknopf der zerborstenen Spritze.

„Das ist Ihnen vor drei Nächten runtergefallen, Braunschärf.“

„So heiß' ich nicht“, entgegnete der Maskierte. Er zog die Kappe mit dem Mund von der Spritzennadel. „Und jetzt lassen Sie mich gehen.“

„Höchstens hinter Gitter. Ich habe diesen grundlegenden Beweis.“ Enriko schwenkte den Revolver durch das Gehege. „Außerdem: Warum brüllen die Affen durch Ihr Eindringen nicht wild drauf los und greifen nicht an?“

Der Tiermörder blieb stumm.

„Weil Sie sich bei den Fütterungen anboten und die zugeteilten Tiere Sie als Bestandteil der vertrauten Belegschaft akzeptiert haben. Und um den Verdacht nicht auf Sie zu lenken, haben Sie immer einen Tag ausgesetzt, bevor Sie zugeschlagen haben. Gerissen, aber verhängnisvoll.

Da Sie zudem ein Pharmageschäft führen, kommen Sie leicht an Kreislaufversager ran.“ Enriko schüttelte mit dem Beutel. Nur mit Mühe erinnerte er sich, wie er in das Eiswasser des Robbenbeckens gesprungen war und den Druckknopf samt einiger Scherben heraus gefischt hatte.

Enriko zog die Stirn kraus. „Eins ... versteh' ich trotzdem nicht: Wieso bringen Sie die Viecher um, seitdem der Tierarzt den Silberrücken Kongo, den Sie dem Zoo gestiftet haben, eingeschläfert hat.“

Selbst durch die Maske erkannte Enriko, wie Zorn des Unholds Schläfen aufpumpte. „Ermordet hat der ihn, verdammt!!“ Um Luft zu bekommen, riss er sich wie aus Reflex die Maske herunter. „Mein Kongo war zuvor putzmunter!“

Enttarnt. „Der Gorilla ist nicht an einer Krankheit gestorben. Er ist auf einem Felsen ausgerutscht und hat sich das Genick angeknackst. Langer musste ihn einschläfern.“ Auch wenn ich den Typ selbst gern in die Hölle jagen würde. „Mich wundert dennoch, dass so ein Tierfreund wie Sie seine Rache an drei dieser Geschöpfe verübt.“

„Ich wollte den Cheftierarzt belasten und ihm des Mordes beschuldigen. Der Depp hat aber nicht mal das Blut analysiert, die Tiere mit Altersschwäche abgestempelt. Noch ein paar Leichen und der Direktor wäre vielleicht stutzig geworden.“

Und endlich zog Enriko das kleine Aufnahmegerät aus seiner Jacke, präsentierte es Braunschärf. Der öffnete langsam den Mund, als müsste er erst begreifen, dass er verloren hatte.

Endlich ließ er den Urang-Utan los. Enriko erkannte, wie die Schwäche über Braunschärfs Gesicht glitt und ihn blass werden ließ.

Und dann knallte die Gehegetür gegen die Wand. „Du Mistfliege!!“, gröhlte der hinter Enrico her geschlichene Cheftierarzt und stürmte auf Braunschärf zu. Der hingegen zuckte die Nadel und jagte sie ihm vor der ersten Berührung ins Fleisch. Er pumpte das Todesgemisch nicht hinein, sondern packte den Arzt am Kragen, zog ihn mit dem Rücken an seine Brust. Nicht nur Langer keuchte, Enriko klammerte die Hände fester um seinen Revolver. Trottel!

„Sie haben mir die Augen geöffnet, Herr Klienert. Wieso unschuldige Tiere umbringen, wenn mir der wahre Schuldige in die Arme fällt.“ Langers verzweifelte Pupillen wechselten zu der Spritze und Enriko.

Der wollte am liebsten abdrücken, aber er grinste im erschreckenden aller Augenblicke hinauf, zwei Meter über Braunschärfs Kopf. Und bevor der das Kreislaufgift in Langers Blutlauf pressen konnte, zerfetzte das Kreischen eines Urang-Utan-Jungen ihr aller Gehör, als es sich von einem Vorsprung auf Braunschärf stürzte. Nacht brach über den Tiermörder ein, als sein Kopf auf den harten Fels krachte.

Endlich gewährte sich Enriko das lang zurückgedrängte Niesen. Endlich konnte er diese nächtlichen Streifzüge beenden. Vorerst zumindest, bis ein neuer Auftrag wie dieser käme.

Wann sind sie vorbei, diese 24 Stunden

Schon am frühen Morgen lief alles schief. Doch manchmal wurde solch ein Tag im Lauf der Stunden doch ganz erträglich. Diesmal aber wurde es schlimmer. Der Abend versuchte alles in den Schatten zu stellen.

Eigentlich wollte ich mich nur noch ein bisschen amüsieren, um diese schrecklichen Tag gemächlich abklingen zu lassen. Und genau das versprach ich mir mit meiner Freundin in der Disko.

Kurz nachdem wir durch die vibrierende Eingangstür traten und uns ein Schwall Pop-Musik entgegenschlug, trafen wir beide meinen Kumpel Christoph. Ich begrüßte ihn und stellte ihn anschließend meiner neuen Begleiterin Romy vor. So unbesorgt ich zu dieser Zeit war, bat ich ihn, sich mit uns an die Bar zu setzen.

Dabei tranken wir Bier, quatschten über den Job, meiner Begegnung mit Romy vor zwei Wochen beim Fasching, lachten und waren guter Laune. Mir schien, als wäre meine Pechsträne verflogen. Bei all dem Frohsinn ignorierte ich sogar die huschenden Blicke, die sich Christoph und Romy zuwarfen.

Nach einer Stunde musste ich aufs Klo. Als ich zurückkam, erschlug ein Meteor die fröhliche Stimmung in meinem Kopf, und Fassungs-losigkeit überrannte mich.

Drei oder vier geschlagene Sekunden stand ich so da – in einer unangenehmen Starre, die mich nicht einen Gedanken äußern ließ. Doch dann erlangte ich die Gewalt über mich zurück und rief; nein, schrie die sich küssenden Turteltäubchen Christoph und Romy aus kochender Kehle an: „Seid ihr noch ganz dicht?!“

 

Sie schraken auf und schauten mich geschockt an. Romy wollte mich mit einem gepressten Aber davon überzeugen, dass dem nicht so war.

„Hau ab!“, unterbrach ich sie und schaute zum verdrossenen Christoph. „Lass dich nie mehr bei mir blicken …!“

Vom Zorn überfallen, schnappte ich meine halbleere Bierflasche von der Bar, zeigte den beiden Geliebten meinen Hinterkopf und kämpfte mich durch die quengelnde Menge, hinaus aus der Disko, in die Kälte der Nacht.

Ich wurde hintergangen, schoss es immer wieder durch mein Hirn – hintergangen von meinem Mädchen und dem besten Freund, dem ich immer vertrauen konnte.

So stapfte ich, in Gedanken versunken, durch den knackenden Schnee der Gassen, um vielleicht irgendwann vor meiner Wohnung anzukommen und mich aufs Ohr zu knallen. Das Bier schlenkerte ich in meiner Hand sinnlos herum, ohne nur einen Schluck davon zu trinken. Der Durst war mir eh vergangen.

Und ich fragte mich: Konnte es noch schlimmer kommen? Heute früh die Treppe runtergerutscht (der Hintern schmerzte jetzt noch); zu spät zur Arbeit gekommen, weil mir irgendein Depp aufgefahren war und sich noch auf offener Straße mit mir anlegen wollte. Dann hat die Säge auf Arbeit den Geist aufgegeben und ich dafür eine Abmahnung vom schlechtgelaunten Meister bekommen. Und nach-mittags noch Stress mit dem Vermieter, wegen Monatszahlung und Rauswurf-Drohung. Schlimmer konnte es nicht mehr werden.

„Schön stehn bleiben, Alter.“

Prompt stoppte ich meinen Schritt, und erschrak. Das Bier entglitt meiner Hand, um auf dem festgefrorenen Schnee zu zersplittern. Meine Augen weiteten sich und mir wurde schlagartig klar: Es wurde schlimmer. Denn zirka zehn Meter vor mir stand eine nachtschwarze Gestalt, die mich mit einem Grinsen musterte. Und das glitzernde Metall in seiner Rechten war nicht nur scharf und spitz, sondern auch gefährlich. Der Düsterling fuchtelte damit in meine Richtung. „Kohle her oder weine!“, und stapfte mit aufforderndem Augen zwei Schritte auf mich zu.

Ich war außerstande, nur ein Handzucken zu tun – und ich zögerte. Würde ich ihm das Geld geben, wären zweihundert Euro weg – und meine Miete im Eimer. Sollte ich mich wirklich niederknien und flennen, bis er mir diesen Tag mit seinem Messer beendete? Oder sollte ich mich wehren, den Irren packen und K.O. schlagen? Es blieb mir kein anderer Ausweg. Entweder in der Gosse oder jetzt gleich verrecken. Es war mir gleichgültig. Und vielleicht hatte ich ja mal Glück.

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