Read the book: «Deine Wahl»

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EIN WECKRUF FÜR HUMANISTISCHEN, ÖKOLOGISCHEN UND TECHNOLOGISCHEN WANDEL, der uns alle betrifft, an uns alle gerichtet ist, der hinausgehen soll über nationale und sprachliche Grenzen, und deswegen in Deutsch und Englisch verfasst ist.

Wir leben in einer Zeit nie dagewesenen Wandels. Wir drohen an Überforderung durch neue Technologien und maßlose Informationsvielfalt kollektiv zu ersticken und mit uns das, was wir einmal Gesellschaft nannten. Jene, die den Wandel vorantreiben, haben vor allem zweierlei im Sinn: Profit und Macht. Sie missbrauchen uns als Klickvieh und Datenlieferant, reduzieren uns auf ein Dasein als Human Ressource und Konsument. Dadurch gefährden sie unsere Demokratie, Vielfalt und heute schon die Menschheit als ganze.

Das müssen wir nicht hinnehmen, sagt Humanist und Unternehmer Christopher Peterka. Statt unser Streben nur noch auf seine Wirtschaftlichkeit auszurichten, plädiert er für einen radikal offenen Dialog über das Menschsein: Wer wollen wir sein? Wie wollen wir miteinander als Gesellschaft leben? Welchen Sinn soll unser Streben haben?

Wir müssen diese fundamentalen Fragen neu verhandeln sonst tun es andere. Keine kurzsichtigen Lösungen mehr, stattdessen Widerstand gegen das gegenwärtige System! Wir müssen uns von den Ketten, die uns derzeit noch halten, lösen.

»Deine Wahl« soll uns ermutigen, den Status quo in Frage zu stellen und als progressiver Optimist das System nachhaltig zu verändern.

ANALOGER OPPORTUNIST

ODER

PROGRESSIVER OPTIMIST?

EINE EINLADUNG,

AM SYSTEMWECHSEL

MITZUWIRKEN


DARUM GEHT’S:

Du bestimmst mit, wie diese Welt aussehen soll: Turbokapitalismus oder nachhaltige Wirtschaft? Edge oder Internet der Dinge? »Weiter so« oder »ab jetzt anders«? Kurz: Du entscheidest, ob du ein analoger Opportunist oder ein progressiver Optimist sein willst. Um deine Position bestimmen zu können, findest du am Ende jedes Buchkapitels Orientierungsaussagen für einen Selbsttest. Denn: ES IST #DEINEWAHL.

Entscheiden: Gib zu jeder unserer Orientierungsaussagen an, wie sehr oder wie wenig du ihr zustimmst. Die 0 entspricht der Aussage »Ich stimme überhaupt nicht zu«, die 6 der Aussage »Ich stimme vollkommen zu«, alles dazwischen beschreibt eine Tendenz. Und natürlich gilt: Es gibt weder richtige noch falsche Antworten.

Ankreuzen: Trage für jede deiner abgegebenen Aussagenwertungen die Kreuze auf den dazu angegebenen drei Achsen des Achtecks (Download), deinem Profil-Oktagon, ein. Beispiel: Stimmst du bei einer Aussage vollkommen zu, machst du die drei Kreuze jeweils auf der 6 der in den Orientierungsaussagen vorgegebenen Achsen.

Entdecken: Wo häufen sich die Kreuze bei dir? Wenn du alle Orientierungsaussagen bewertet hast, vergleiche dein Profil-Oktagon mit den aufgeführten sechs Auswertungsbeispielen, um deine Tendenz zu ermitteln: Gehörst du eher zum analogen Opportunisten oder eher zum progressivem Optimisten?

Und jetzt? Posten und diskutieren! Fotografiere dich und dein Oktagon, diskutiere mit uns und deiner Community: Brauchen wir einen Systemwandel? Wenn ja, welche Rolle willst du dabei spielen? #DeineWahl @C_Peterka @MurmannVerlag


Download unter: bit.ly/DeinProfil

INHALT

Prolog

EINE UMARMUNG

Einleitung

HALLO

Wie lange wir hier sind, liegt bei uns

Kapitel 1

WIR SIND SKLAVEN DIGITALER MONOPOLE

Von Gutenberg bis Zuckerberg – von der Befreiung hin zum Rausch

Kapitel 2

GAFATA BEHERRSCHT DIE WELT

Virtueller Raum und reales Territorium – zwei Seiten derselben Münze?

Kapitel 3

DAS EINZIGE, WAS UNS ZU EINEM SYSTEMWANDEL FEHLT, IST ÜBERZEUGUNG

Hedonist 3.0 – Der Wuchermensch

Kapitel 4

WIR HABEN ENTSETZLICHE ANGST VOR UNSERER FÄHIGKEIT ZU LIEBEN

Preis versus Wert – den Unterschied erkennen und wissen, was zählt

Kapitel 5

LEUTE AUF DROGE SOLLTEN KEINE SUPERTANKER STEUERN

Von Liegestühlen und Rudern – begreifen, dass wir nicht machtlos sind

Kapitel 6

EXPONENTIALITÄT IST TÖDLICH

Von exponentiellem Wachstum und Hockeyschlägern – Verwickelt in eine Sache, die wir uns nicht vorstellen können

Kapitel 7

WIR SIND KAUM MEHR ALS EIN FLACKERN

Beschleunigende Beschleunigung – Warum wir uns danach sehnen, zu entschleunigen

Kapitel 8

WIR WERDEN MIT UNSEREN MASCHINEN VERSCHMELZEN

Homo ludens versus Software sapiens – die neue Spezies auf dem Planeten

Kapitel 9

DEN PLANETEN RETTEN KOSTET NICHTS

Das Unbekannte und sein Potenzial – »das Problem« lieben lernen

Kapitel 10

DAS GLOBALE WIRTSCHAFTSSYSTEM IST IRREPARABEL

Inklusion – Wir stecken hier alle gemeinsam drin

Kapitel 11

WARUM NICHT FLAMINGOS IN GRÖNLAND ZÜCHTEN?

Von menschlichen Ressourcen zu ressourcenreichen Menschen – verstehen, was wir sind

Kapitel 12

ES IST IN ORDNUNG, AHNUNGSLOS ZU SEIN

Die Komfortzone – Was soll daran so schlecht sein?

Kapitel 13

ALTERNATIVE FAKTEN SIND REAL

Anpassung an neue Realitäten – drei Fallbeispiele

Kapitel 14

VERTRAUE NUR FORENSISCH

Die Ära der digitalen Moderne – ein Umriss in sieben Perspektiven

Kapitel 15

WEITER SO BEDEUTET REGRESSION, ANDERS BEDEUTET SYSTEMWANDEL

Eine Schlussfolgerung – welche Wahl?

Über die Autoren

Profilauswertung (sechs Beispiele)

Prolog
Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten
EINE UMARMUNG

»Our deepest fear is not that we are inadequate. Our deepest fear is that we are powerful beyond measure. It is our light, not our darkness, that most frightens us. We ask ourselves, Who am I to be brilliant, gorgeous, talented, fabulous? Actually, who are you not to be?«

So las ich es im Jahr 1998. Circa 15 Meter unter der Erde, am Ende einer Ausstellung zum Thema »Energie« angekommen, die der österreichische Medienkünstler André Heller im Auftrag des deutschen Energiekonzerns RWE zu dessen 100-jährigem Jubiläum auf dessen erste – nun stillgelegte – Zeche für umgerechnet 17 Millionen Euro gebaut hatte.

Der »Meteorit«, wie das gewaltige, schräg in die Erde gebaute Gebäude hieß, war für mich ein früher Ort der Faszination. Zahlreiche internationale Vordenker und Künstler hatten diesen Fremdkörper inmitten des Ruhrgebietes zu einer kraftstrotzenden Inspirationsquelle gemacht, in der ich mich immer wieder stundenlang aufhielt, um die wundersamen Perspektiven auf das für uns Menschen vielleicht zentrale Thema unserer Existenz – Energie – auf mich wirken zu lassen und zu erkunden.

Der oben angeführte Satz war in drei Sprachen auf einen Raum im Raum in Weiß auf mattem Schwarz geschrieben, der ganz am Boden des Meteoriten lag. Geschrieben hat ihn Marianne Williamson, die als spirituelle Aktivistin, Autorin, Lehrerin und Gründerin der Friedensallianz derzeit nicht nur eine Graswurzelbewegung zur Einführung eines amerikanischen Ministeriums für Frieden anführt, sondern sogar Kandidatin der Demokraten für den nächsten amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf ist. Dieser Hintergrund, der sich erst heute so klar für mich darstellt, war mir damals offen gestanden ziemlich egal. Viel wichtiger war die »Magie« dieses Ortes – dieser tiefschwarz gefärbten Kammer, versteckt im Meteoriten. Williamsons Gedanke hat mich jedoch nie verlassen und mich seit jeher als Mantra begleitet.

Seit ich mit 16 Jahren meine ersten unternehmerischen Gehversuche noch vom Schulhof aus gehen durfte und über all die folgenden Jahre steter Neugründungen und Partnerschaften mit immer wieder neuen, spannenden Köpfen bin ich vom kreativen Potenzial des Menschen und des Menschseins immer wieder neu fasziniert. Und als Kind zweier Beamter, aufgewachsen in einem konservativen, behüteten Umfeld, bedeutete er mir damals wie heute immer wieder, die Energie zu finden, die ich brauche, um wieder aufzubrechen, erneut aufzustehen, aufzubrechen, mich aufzumachen, um Ideen in die Tat umzusetzen.

Umso mehr schmerzt es mich bis hin zur körperlichen Empfindung von Enge, Härte und Trauer, wenn ich spüre, wie viele der Menschen, denen ich begegne, aus Angst an längst abgelaufenen Versionen von sich selbst, an Rollen oder Geschäftsmodellen von gestern festhalten, als gäbe es keine Alternativen. Alternativen, die jedem ausnahmslos sofort ein Lächeln ins Gesicht und ein Funkeln in die Augen zaubern, sobald wir darüber zu sprechen beginnen.

Während all der Jahre, 20 ungefähr sind es an der Zahl, die ich nun also schon als Spurenleser zukünftiger Entwicklungen durch die Weltgeschichte reise, habe ich für mich entdecken dürfen, wie mich dieses Lächeln und Funkeln nährt. Wie es mich motiviert, selbst über Alternativen, neue Möglichkeiten und Wege nachzudenken – und darüber auch immer öfter und öffentlicher zu sprechen. Und damit schließt sich ein Kreis zum Satz aus dem Meteoriten.

Immer wieder wurde ich von Freunden, Kollegen und Partnern gefragt: Warum machst du das? Warum fliegst du für drei Tage nach São Paulo, um einen Kurator dazu zu befragen, warum er seine Biennale mit leeren Hallen ohne Kunstwerke bestreitet? Warum musst du unbedingt den Bürgermeister von Reykjavík kennenlernen oder einen Entwickler von sozialen Wohnungsbauprojekten in Johannesburg? Schreibst du deine Doktorarbeit? Machst du einen Film? Was soll der ganze Aufwand?

Die Antwort steht in diesem Buch – endlich. Nach zwei gescheiterten Anläufen, die ich in den letzten drei Jahren unternommen habe, habe ich seit dem Sommer 2018 aus meinem Netzwerk auf wunderbar leichtfüßige Art und Weise die Komplizen empfohlen bekommen, mit denen ich meine Beobachtungen, Reflexionen und Thesen für ein gesünderes Miteinander von uns allen und unserem Planeten zusammenfassen durfte.

Und damit ist es Zeit, mich zu bedanken. Bei meiner »denkenden Feder« Sebastian Michael, der nach zehn Jahren Funkstille plötzlich – übrigens via Facebook Messenger – wieder auftauchte und es auf faszinierende Art und Weise versteht, Gedanken in Worte zu übersetzen und mit seinem eigenen Erfahrungsschatz zu würzen. Bei Lars Zöllner, der mit blitzschnellem Intellekt und Fingerspitzengefühl für die richtige Adresse die Verbindung zu Murmann Publishers hergestellt hat. Bei Adrian Iselin, der unsere englischen Texte mit Tempo und viel persönlicher Identifikation für die Themen ins Deutsche übersetzt hat.

Und letztlich und vor allem bei Johann und seiner Schwester Josephine, meinen beiden wundervollen Kindern, die mir die Disziplin und Entschlusskraft ermöglichen, jeden Tag aufs Neue selbst zu erproben, was es bedeuten kann, ein progressiver Optimist zu sein.

Denn wenn ich mich auf eines freue, dann ist es der Tag, an dem sie mich fragen werden: Papa, was hast du damals im Jahr 2020 gemacht, als es für uns und die Erde um alles ging?

Anders als die vielen bewundernswerten Aktivisten, Wissenschaftler, Unternehmer und Engagierten, die sich in weit wirkungsvollerer Art und Weise um positive Visionen und, noch viel mehr, handfeste Modelle für mehr Balance miteinander und unserem Planeten verdient machen, darf ich wenigstens sagen: Ich habe ein Buch geschrieben und mich getraut. Habe es gewagt, von Liebe, Menschlichkeit und Fortschritt zu sprechen und all die da draußen einzuladen, mehr darüber zu sprechen als nur über das nächste heiße Geschäftsmodell.

Also betrachte dieses Buch als Umarmung, selbst wenn sich das etwas merkwürdig anhört. Schließlich kennen wir uns zum größten Teil nicht. Bisher.

Aber wir – und jetzt muss ich hier Sebastian miteinbeziehen, denn er hat alles in Worte gefasst, was von hier an folgt –, wir lieben dich. Für dein Menschsein. Und wir wollen das sagen können, ohne kitschig oder »hippy« zu klingen oder den Eindruck zu machen, dass wir beide vor einer halben Stunde ein paar Pillen eingeworfen haben. Dieses Buch entstammt einer Liebe für die Menschheit. Es wird von einer gewissen Dringlichkeit begleitet, und wir hoffen, sie erreicht dich als freundliche Geste. Die Iren haben ein Sprichwort: »There are no strangers here, only friends you haven’t yet met.«

Weswegen wir auch ganz offen zu dir sprechen wollen. Keiner von uns ist »Experte« als solcher. Also könnte man auch sagen, es ist anmaßend von uns, sich hinzusetzen und ein Buch zu schreiben. Aber wir haben doch so einiges an Wissen und Erfahrung gesammelt bei all der Arbeit, die wir mit vielen Leuten geleistet haben, die besser qualifiziert sind als wir und die wir daher als unsere Lehrer erachten. Wenn du also an irgendeinem Punkt, während du dieses Buch liest, den Eindruck bekommst, dass wir uns ein bisschen als Lehrer betrachten, dann lass uns das mit einem Zitat von Jack Ma, dem Mitgründer von Alibaba, ins rechte Licht rücken. Alibaba, wenn du das nicht bereits weißt, ist eines der zehn wertvollsten Unternehmen auf der Welt und das größte E-Commerce-Unternehmen weltweit. Wir zitieren ihn auch an einer anderen Stelle in diesem Buch.

In einer Unterhaltung mit dem World Economic Forum in Davos sagte er: »Being a teacher does not mean that I am better than you are. Everything I know better than you, I learnt from others. So a teacher should learn all the time. A teacher should share all the time. A teacher should always expect other people to be better than [they] are.« Und in diesem Sinne sind wir froh, Lehrende und Lernende und Teilende zu sein. Und wir sind selbstverständlich deine Brüder und deine Freunde. Können zwei Menschen all diese Dinge zugleich sein? Absolut. Das ist das Schöne an dem Zeitalter, in dem wir leben.

Willkommen in der Ära der digitalen Moderne.

Christopher Peterka, Planet Erde, 2019

Einleitung – Wie lange wir hier sind, liegt bei uns
Geschätzte Lesezeit: 15 Minuten
Erster Abschnitt: 9 Minuten
Zweiter Abschnitt: 6 Minuten
HALLO

Du bist großartig.

Ernsthaft: Auch ohne dass du dabei aufgenommen wirst, wie du einen Rückwärtssalto durch einen Ring machst und der Clip in eine YouTube-Compilation aufgenommen wird, bist du bereits ein außergewöhnliches Wesen. Dein Körper ist wunderschön: ein fein abgestimmter Organismus mit der bemerkenswerten Fähigkeit, sich an sein Umfeld anzupassen; und lange bevor du es überhaupt genutzt hast, ist dein Gehirn das komplexeste Ding, das der Menschheit bekannt ist. Du bist wahrhaft erstaunlich.

Du bist ein Vollidiot, weil du Mark Zuckerberg deine Daten anvertraust. Und nicht wir nennen dich einen Vollidioten, Mark Zuckerberg höchstselbst tut es. Er nennt uns alle Vollidioten, und er hat recht damit: Wir sind alle Vollidioten, weil wir ihm unsere Daten anvertrauen.

Wenn du einer der wenigen Menschen bist, die das nicht tun, und du keinen Facebook-Account hast oder ihn nicht verwendest, dann herzlichen Glückwunsch. Freu dich aber nicht zu früh: Wenn du egal welchem der großen Digital Player egal wo auf der Welt deine Daten anvertraust, verschenkst du dich selbst.

[DU BIST WARE. WEGWERFBAR, AUSTAUSCHBAR, AUSBEUTBAR, VERKAUFBAR.]

Du verschenkst alles, was es über dich zu wissen gibt: Du bist Ware – wegwerfbar, ausbeutbar, verkaufbar. Und sie verkaufen dich tatsächlich: an ihre Werbeagenturen, aneinander, vorwiegend jedoch wieder an dich. Sie lernen dich so gut kennen, dass sie dir nicht nur die Dinge verkaufen, die du willst, sie kriegen dich auch dazu, Dinge zu wollen, die sie verkaufen. Sie können dich dazu bringen, Dinge zu glauben, von denen du nie gedacht hättest, dass sie wahr sein könnten, und sie schaffen es, dass du an Dingen zweifelst, die du immer für selbstverständlich gehalten hast. Sie besitzen dich.

Dennoch: Mach dich deshalb nicht fertig. Denn vielleicht hast du hier einfach keine wirkliche Wahl. Du lebst in einer Welt, in der es bald sieben bis acht digitale »Superstaaten« geben wird, die jede signifikante, von uns jemals getätigte Transaktion kontrollieren werden.

Social Media war nur der Anfang. China ist auf dem Weg, dein soziales Profil und dein öffentliches Verhalten direkt mit deinem Bankkonto und deinen Möglichkeiten, zu reisen, zu verknüpfen. Dein physisches Leben und deine Online-Existenz sind engstens verzahnt. Wenn du in Shenzhen bei Rot über die Straße gehst und die Gesichtserkennungssoftware dich erfasst, bekommst du nicht mal mehr einen Bußgeldbescheid geschickt: Das Geld wird automatisch von deinem Konto abgebucht, und dein Sozialkredit bekommt einen Punkteabzug. Und während du noch besorgt auf dein Wallet auf deinem Smartphone blickst, starren alle um dich herum auf den großen Bildschirm am Straßenrand, der der Welt dein Gesicht zeigt und dich dafür anprangert, gegen das Gemeinwohl verstoßen zu haben …

Und denk gar nicht daran, dass das woanders nicht passieren könnte oder nicht bereits passiert. »Offline bleiben« oder »aus Social Media aussteigen« – beides wird künftig keine Option mehr sein. Du bist vielleicht kein Vollidiot, der blind großen Unternehmen vertraut, aber die Grenze zwischen dem, was ein Unternehmen ist und was eine Nation, was ein autoritärer Staat und was ein drakonischer kommerzieller Monolith, ist bereits verschwunden: um überhaupt noch irgendwie sinnvoll zu funktionieren, musst du Teil des Netzwerks sein. Versuch mal, einen Handyvertrag ohne Datenpaket abzuschließen. Oder einen Flug zu buchen ohne E-Mail-Adresse. Oder in Schanghai eine Tasse Kaffee ohne Smartphone zu bekommen. Im Großen und Ganzen ist das alles einfach nicht mehr möglich.

Ein Vollidiot zu sein ist eine Sache. Nichts dagegen tun zu können eine ganz andere. Kein Wunder, dass wir völlig überfordert sind. Wir fühlen uns machtlos, und zwar nicht nur, weil der Mann, der Facebook erfunden hat, abfällig über uns redet. Wir werden auch nonstop mit Signalen und Eindrücken gefüttert, von denen viele schlechte Nachrichten enthalten: der Planet überhitzt, die Politik am Ende, und dann noch schnell ein Pop-up dazwischen oder Werbung, nach 40 Sekunden Spielzeit, mitten im Clip. Wer denkt sich das aus? Wenn sich jemand, der sich mit dir im Raum befindet, so verhalten würde, würdest du ihn hinauswerfen.

[WIR SIND STÄNDIG ABGELENKT, STÄNDIG GEREIZT.]

Wir sind gestresst, weil wir ständig abgelenkt werden, sind dauergereizt und können scheinbar trotzdem nicht loslassen. Und wir spüren, dass diese neuen Strukturen, in die wir eingebunden sind, uns nicht nur auf kurze Sicht erschöpfen, sondern auf lange Sicht auch Schaden zufügen. Wir haben das Gefühl, dass bewährte Konzepte davon, was für uns eine Beziehung bedeutet oder eine professionelle Karriere oder ein Mitglied einer Gemeinschaft zu sein, zu leiden beginnen oder sogar zerfallen.

Das ist es, was uns so nervös macht, so unruhig, und paradoxerweise auch, was jede Ablenkung so willkommen macht, zumindest oberflächlich: Für ein paar Sekunden können wir vergessen, dass wir vollkommen gestresst sind, obwohl wir eben noch gestört wurden. Denn auch wenn wir es noch nicht ganz durchdacht haben, ist uns bewusst, dass wesentliche Grundlagen unserer Existenz untergraben werden. Und seien wir ehrlich: Wer hat schon die Zeit oder die Ruhe, sich mit dieser Art Phänomen auseinanderzusetzen – wo es doch unmöglich scheint, es überhaupt auf den Punkt zu bringen, geschweige denn, mit seinem Ausmaß klarzukommen?

Genau aus diesem Grund haben wir dieses Buch geschrieben. Denn die Frage ist offensichtlich nicht: Bist du ein Vollidiot oder bist du großartig? Ganz klar bist du beides. Die Frage ist: »Wie kann man großartig sein und dabei nicht so wütend werden, dass man jemanden hinauswirft, oder dabei nicht so in Depression verfallen, dass du das Handtuch werfen willst?« Oder kein dystopischer, unglücklicher Misanthrop werden, der von Verschwörungstheorien besessen ist und glaubt, alle anderen seien an der eigenen Misere schuld. Oder zu keinem passiven Lemming, der jede tragbare Alternative an sich vorbeiziehen lässt und hofft, mit ein paar Achtsamkeitsübungen wenigstens bei Verstand zu bleiben. Wenn du einmal verstanden hast, dass dies die Frage ist, kannst du anfangen, sie zu beantworten – und Dinge zu verändern.

Der Untertitel für dieses Buch lautet: Eine Einladung, am Systemwechsel mitzuwirken. Es gilt, den kleinmütigen Diskurs unserer Zeit zurückzulassen und sich zu entscheiden, auf welcher Seite man steht. Das meinen wir im Prinzip wörtlich. Es ist wichtig, eine Entscheidung zu fällen, ob man zu dem wird, was wir als analogen Opportunisten bezeichnen, oder zu dem, was wir einen progressiven Optimisten nennen.

Uns ist aber auch klar, dass das alles nicht ganz so einfach, auch nicht entweder schlicht schwarz oder schlicht weiß ist. Oder, wie das Cover suggeriert, einfach eine Frage nach der roten oder der blauen Pille. Wir wollen dich jedoch auch ein bisschen aufrütteln – auf die denkbar freundlichste Art –, sodass du feststellen wirst, dass wir gewagte Aussagen machen und auch mal eine Provokation in den Raum stellen. So läuft das heute im Tumult unserer Welt und ist auch ein Zeichen unserer Zeit.

Fakt ist, dass jeder von uns, wie vieles andere auch, ein ganzes Spektrum darstellt. Oder ein Raster. Also haben wir am Ende jedes Kapitels Behauptungen aufgestellt, die dir bei ehrlicher Beantwortung erlauben, dich auf dem Spektrum zwischen analogem Opportunisten und progressivem Optimisten zu verorten. Und wieder handelt es sich – wie bei so vielen Dingen – um eine nicht ganz so eindeutige Angelegenheit. Nur weil du heute mehr in der Welt von gestern zu Hause bist, muss das nicht heißen, dass du dort für alle Ewigkeit feststeckst. Außer natürlich, es ist deine Überzeugung, dort zu bleiben, dass es das ist, was du wirklich willst: deine Wahl. Und wenn nicht, dann können wir dir dabei helfen, ein progressiver Optimist zu werden. Tatsächlich würden wir uns am meisten darüber freuen, wenn das Buch genau diesen Effekt für dich hätte.

Die große Entscheidung, die der Buchtitel anbietet, ist tatsächlich eine ganz simple. Es ist eine kontinuierliche Entscheidung, die jeden Tag deines Lebens ansteht: Gibst du nach, resignierst du oder tust du nichts? Oder inspirierst du dich, triffst eine positive Wahl, änderst deine Welt ein bisschen, jeden Tag zum Besseren.

[DU KANNST DEN PLANETEN WIEDER GROSSARTIG MACHEN.]

Wir haben natürlich eine Präferenz. Für uns ist klar, dass, solange du einfach nur in Panik gerätst, du gelähmt und hilflos bleibst. Das hilft denen, die Herrschaft über dich etablieren wollen. Wenn du wütend bist, bist du emotional geladen und irrational. Das hilft denen, die dich beeinflussen wollen, weil es für sie leicht ist, diese Wut anzuzapfen und dich dazu zu bringen, Dinge zu tun und zu sagen, die vielleicht nicht deiner eigentlichen Überzeugung entsprechen. Du fängst an, Feinde zu sehen, wo keine sind, und anstatt dich mit deiner unermesslichen Fähigkeit zu lieben zu verbinden, fängst du an, Dinge zu hassen. Vor allem »andere« Leute.

Es gibt Manipulateure und Agitatoren, die genau das wollen: dass du wütend bist, irrational, gehässig und gewalttätig. Solange das der Fall ist und wir uns gegenseitig bekämpfen, können sie sich im wahrsten Sinne alles erlauben.

Unsere Aufforderung ist also: Ja, werde wütend, gerate in Panik. Wenn du aber das Wütendsein und die Panik hinter dich gebracht hast – freu dich. Denn du kannst Dinge ändern. Du kannst die Kontrolle zurückholen. Über dein Leben, über das, was du willst und brauchst, über deinen Blick auf die Welt und über deine Beziehungen zu deinen Mitmenschen. Du kannst dich komplett neu kalibrieren. Du kannst sogar unseren Planeten wieder großartig machen.

Vielleicht ist es unmöglich, die Trillion an Faktoren zu kontrollieren, die aktuell dein Leben beeinflussen. Vielleicht stehen dir auch nicht die Ressourcen zur Verfügung, um jede Schlacht um dich herum zu bestreiten. Aber vielleicht ist das auch gar nicht notwendig. Denn die Kontrolle zurückzuholen bedeutet, zu einem Teil loszulassen. Zu akzeptieren, dass unsere Welt flüssig geworden ist, ungewiss, unvorhersehbar. Du kannst lernen, deinen Griff zu lockern, frei und anmutig, und eine neue Art von Stabilität finden in der Bewegung. Wenn das widersprüchlich klingt, dann, weil es das ist. Sei der Widerspruch! Blüh auf im fließenden Zustand der semidigitalen, semihumanen Existenz, auf die wir hintreiben: ebenso »virtuell« wie »real«. Das kannst du überall auf der Welt tun. Ohne Wut. Ohne Gewalt. Ohne Hass.

Und es ist wahr: Wir leben in wütenden, gewalttätigen, hasserfüllten Zeiten. Nicht zum ersten Mal und wahrscheinlich auch nicht zum letzten Mal. Nichtsdestotrotz: Wir müssen uns in unserer Zeit orientieren und Wege finden, zusammen frei zu sein, ohne uns gegenseitig zu verletzen, um Meinungen zu hören und unsere eigenen zu vertreten, ohne uns angegriffen zu fühlen, Raum und Zeit zu schaffen, damit unser Geist ruhen und tatsächlich denken kann. Wir müssen neue Wege finden, Menschen zu sein. Verletzlich, schön, fehlerhaft; zugleich anmutig, großzügig und respektvoll. Wertschätzend. Uns selbst gegenüber, gegenüber denen, mit denen wir den Planeten teilen, gegenüber dem Planeten, mit dem wir unser Leben teilen.

Und das bedeutet, uns selbst im Anthropozän neu zu verstehen.

Manche von euch werden nun weise nicken und sich denken: »Klaro.« Andere werden sich fragen: »Was soll denn das jetzt? Was zum Teufel ist das Anthropozän?«