Donnerschlag und Rattenschiss!

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Donnerschlag und Rattenschiss!
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Heike Rau, Christine Rau

Donnerschlag und Rattenschiss!

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Einleitung

1. Ankunft in Hexaloz

2. Unser neues Haus

3. Hexengerede

4. Wo wohnt Anton?

5. Und Hexen gibt es doch!

6. Nächtlicher Besuch

7. Arabella kommt zum Abendessen

8. Das Geheimversteck

9. Der Tausch

10. Das Flugsalbenrezept

11. Die Kunst zu fliegen

12. Das Monster

13. Können Hexen krank werden?

14. Hexen essen nicht, sie fressen

15. Wie geht das mit dem Wetterhexen?

16. Gibt es doch noch Schnee?

17. Wenn Hexen hexen

18. Verrückte Pläne

19. Der Babysitter

20. Das Hexenspektakel

21. Das Ende?

Impressum neobooks

Einleitung

Emily zieht mit ihrer Mutter aufs Land, während der Vater in der Stadt zurückbleibt. Es soll eine Trennung auf Probe sein. Auf dem Ziegenhof gibt es Hühner und einen gefräßigen Ziegenbock, der vor keinem Hinterteil haltmacht. Das Haus ist alt, nichts funktioniert, obwohl die Handwerker da waren. Auf dem Nachbarhof wohnt Anton mit seinem Großvater, der ein seltsames Hobby hat. Er ist nicht einfach nur Jäger, er ist Hexenjäger. An Hexen mag Emily nicht glauben, bis sie einer begegnet. Im Wald gibt es eine geheime unterirdische Hexenschule. Hier ist Arabella von Hexford zu Hause. Sie ist eine Hexe wie aus dem Märchenbuch, auch wenn sie vorgibt, eine gute Hexe sein zu wollen. Sie scheint auch wirklich nett zu sein. Nur diese rosaroten Stinkbomben, die sie niest, wenn sie sich ärgert, sind wirklich nicht zum Aushalten. Nach und nach beweist Arabella, dass sie als Hexe in Ausbildung doch schon einiges drauf hat. Sie kann Uhren anhalten, klauen wie ein Rabe, Winterwetter hexen, den besten Ameiseneierfledermausmilchreis zubereiten und, wie sich das gehört, auf einem Besen fliegen. Ständig droht sie damit, Anton in eine Kröte verwandeln zu wollen. Irgendwann wird sie das auch können. Emily, Anton und Arabella werden dennoch Freunde. Doch immer wieder lauert ihnen der Hexenjäger auf. Bald hat er Arabella im Visier und er ist sich sicher, in diesem Wald gibt es nicht nur eine Hexe.

Das illustrierte Kinderbuch ist für Kinder ab 10 Jahren geeignet.

1. Ankunft in Hexaloz

„Wir sind bald da!“, sagte Mama als wir am Ortsschild von Hexaloz vorbeifuhren und sie immer langsamer mit dem Auto wurde. „Jetzt halte mal Ausschau, Emily! Der Abzweig muss hier irgendwo sein!“

Ich sah die ganze Zeit schon aus dem Fenster und betrachtete die Wiesen, die Felder und die verstreut liegenden Häuser und Höfe. Dann entdeckte ich einen Feldweg, der von der Landstraße abbog. Hier standen drei windschiefe Schilder.

„Ist es der Jägerhof, der Ziegenhof oder der Einsiedlerhof?“, rief ich.

„Der Ziegenhof“, antwortete Mama. „Aber keine Sorge, es ist keine Ziegenherde mehr da. Nur ein Ziegenbock, den die Vorbesitzer uns hinterlassen haben, weil er schon seit Urzeiten auf dem Hof lebt und nicht umziehen wollte. Harri heißt er.“

Ich musste lachen. Statt des üblichen Stadtlärms würden wir nun Ziegengemecker hören. Mama brachte das Auto vor einem alten Bauernhaus zum Stehen und wir stiegen aus.

„Jetzt hör dir das nur an“, sagte sie und atmete tief ein.

„Was? Ich höre nichts.“

„Genau, das ist es. Absolute Ruhe.“

2. Unser neues Haus

Ich glaube, so grünes Gras hatte ich noch nie gesehen. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen und ließ mich einfach hineinfallen. Wie das duftete! Und überall Butterblumen. Ich rollte mich auf den Rücken, streckte die Beine aus und blinzelte in den Himmel. Es war wie im Paradies. Nur Papa fehlte. Er hatte nicht mit aufs Land ziehen wollen und war in unserer Stadtwohnung geblieben. Ihr müsst wissen, zwischen meinen Eltern hat es in letzter Zeit viel Streit geben. So ist das Ganze hier auch eine Trennung auf Probe, wie Mama mir erklärt hat. Ich hoffte, Papa käme irgendwann nach, damit wir wieder eine richtige Familie wären.

Ich rollte mich herum, hob den Kopf und da sah ich ihn. Ein Junge hockte auf dem Zaun gegenüber, sah zu mir herüber und grinste über das ganze Gesicht.

„Was ist!“, rief ich. „Noch nie ein Mädchen gesehen?“

„Doch, doch, aber noch nie eins mit so tollen Rattenschwänzen.“

Ich fühlte sofort, wie ich rot wurde. So etwas hatte noch keiner zu mir gesagt.

Anton war dünn und wirkte sportlich. Honigblonde Haare hingen ungekämmt in sein Gesicht. Ich schätzte ihn etwa ein oder zwei Jahre älter als mich. Seine Kleidung bestand aus einer alten Jeans und einem ausgewaschenen karierten Holzfällerhemd, das er unordentlich in den Hosenbund gestopft hatte.

„Ich glaube, wir sind Nachbarn“, sagte ich freundlich und bemühte mich, meine Zahnspange nicht hervor blitzen zu lassen. „Ich heiße Emily.“ Ich stand auf und ging auf ihn zu.

„Ich bin Anton, ich wohne gleich da drüben.“ Er warf den Kopf zur Seite und deutete hinter sich. Dann musterte er mich eingehend. „Ich wette, die frische Luft wird dir gut tun. Du bist bestimmt in einer Woche so schön braun wie unsere Kuh Elfriede!“

„Witzbold!“, erwiderte ich.

„Emily! Komm! Schau dir das Haus an“, rief Mama mit Begeisterung in der Stimme und winkte mich zu sich. Ich nickte Anton kurz zu und wandte mich dann in Richtung Haus. Meine alten Schulfreunde hätten es wohl eher als Bruchbude bezeichnet. Der Gegensatz zu unserem Stadthaus mit den vielen Bewohnern war jedenfalls enorm. So ein richtiges Fachwerkhaus kannte ich nur von Bildern und aus dem Bauerhofmuseumsdorf, das wir letztes Jahr besucht hatten. Die Fenster waren klein und die Läden hingen aus den Angeln. Eine riesige Veranda aus Holz war angebaut. Das sah alles etwas morsch aus, aber das Dach schien neu. Es hatte hübsche rotbraun glänzende Schindeln und zwei neu eingebaute Dachgauben. Das Erdgeschoss war fast wie ein einziger Raum durch die großen offenen Durchgänge. Links befand sich die Küche und rechts war der Wohnbereich mit einem unheimlich großen Kamin. Man hätte ein ganzes Wildschwein darin braten können. Das Untergeschoss wurde von einer nach oben führenden Treppe optisch getrennt. An der Wand hinten waren zwei Türen.

„Bad links und Keller rechts“, erklärte Mama.

Das Wort Bad weckte ein dringendes Bedürfnis in mir, ein sehr dringendes. Ich rannte, so schnell, wie man das auf eilige Weise eben kann, auf eine der Türen zu. Leider achtete ich nicht auf Mamas Zuruf. Ich riss eine Tür auf und … Holterdiepolter … weg war ich. Ich fand mich wieder unterhalb der Kellertreppe auf einem Stapel Pappkartons.

„Links! Links hab ich gesagt. Ist dir was passiert?“ Mama kam die Treppe zu mir herunter und zog mich aus dem Stapel Pappe. Ich hatte mir nicht wehgetan. Aber wenn die Kartons nicht gewesen wären ...

Ich beschloss, mir von nun an ganz genau zu merken, wo rechts und links sind.

Als ich die Spülung betätigte, kam ein Schwall rostiges Wasser von oben herunter. Ich sah ungläubig an mir hinunter. Wer hat denn auch noch eine Klospülung, deren Wasserkasten unter der Decke hing?

Mama hatte das ganze Haus natürlich von Handwerkern durchsehen lassen, aber die mussten ziemlich schlampig gearbeitet haben. Ich stand in der Dusche, um mir die Spülkastenplörre abzuwaschen und starrte nach oben, aber kein Tropfen Wasser kam. Mama brachte einen Stapel Geschirrtücher zum Abtrocknen herein, weil richtige Handtücher noch im Umzugsauto waren, das allerdings auf sich warten ließ. Sie konnte mir nicht helfen. Auch dem Wasserhahn am Waschbecken entlockte sie nur ein paar Tropfen.


Dabei waren meine Haare voller Rostsprengel. Das in der Küchenspüle abzuwaschen, deren Wasserhahn immerhin funktionierte, kam irgendwie nicht infrage. Es war zu wenig Platz. Ich brauchte eine Dusche oder ein Bad!

 

Neben der Scheune, das sah ich aus dem Küchenfenster, lag eine kleine alte umgestülpte Zinkwanne, für die uns jedes Museum dankbar gewesen wäre. Ich zog mich notdürftig wieder an und wir schleppten sie unter Einsatz unseres Lebens auf die Veranda, machten sie sauber und füllten sie mithilfe der Eimer, die wir unter der Spüle im Schrank fanden, und die wir uns durchs Küchenfenster zureichten. Nach einer Viertelstunde saß ich im herrlichsten Schaumbad. Na gut, es war Geschirrspülmittel, weil das Umzugsauto noch fehlte. Aber ich sage euch was, der Schaum war perfekt.

Wie auf Befehl erschien zu dieser unpassenden Zeit besagtes Umzugsauto. Was sollte ich jetzt tun? Ich saß schließlich nackt in der Badewanne. Und wenn die Männer ins Haus wollten, mussten sie über die Veranda laufen. Bei jeder Kiste, die sie vorbeischleppten, tauchte ich mit angezogenen Knien unter. Das ging so lange, bis Mama endlich merkte, was los war. Sie rettete mich, indem sie eine Wäscheleine spannte und ein Betttuch als Sichtschutz daran festklammerte.

Am späten Nachmittag konnte ich endlich mein Zimmer ansehen. Es lag oben unterm Dach, genau neben Mamas Schlafzimmer. Jeder hatte also eine Hälfte vom Dachgeschoss für sich. Es gab hier ein Fenster an der geraden Wand und ein weiteres in der kleinen Dachgaube.

Der Möbelwagen war längst weg, aber das Haus sah immer noch ziemlich leer aus. Mama hatte nicht viele Möbel mitgenommen. Sie wollte nicht, dass Papa auf dem Fußboden sitzen und seine Kleider aus einem Pappkarton nehmen musste. Für zwei Personen war dieses Bauernhaus beinahe zu groß, aber vielleicht käme Papa doch bald nach, dann würde sich das ändern. Er fehlt mir jetzt schon.

„Wo ist eigentlich der Ziegenbock, Mama?“ Ich hatte ihn noch nicht gesehen.

„Oh, den hab ich ja ganz vergessen, der ist bestimmt in der Scheune eingesperrt.“

Mühevoll zogen wir das große Flügeltor auf. „Uiii!“ Ich hielt die Arme vors Gesicht. In weniger als einer Sekunde waren wir in eine graue Staubwolke gehüllt. Irgendetwas riss mich zu Boden. Ein wahnsinniger Lärm war um uns herum. So schnell, wie es gekommen war, war es dann aber auch vorbei. Ein Haufen aufgebrachte Hühner hatte uns angeflattert. Die waren wahrscheinlich schon länger in dem dunklen Raum eingesperrt gewesen und hatten es dementsprechend eilig gehabt, herauszukommen. Die Hühner hatten bestimmt ebenfalls keine Lust auf Umzug gehabt, trotzdem darf man Tiere doch nicht so einsperren! Was wäre denn passiert, wenn wir erst ein paar Tage später gekommen wären?

Mama versuchte, ihre staubige Hose auszuklopfen. Meine Hose war auch ruiniert. „Was meinst du, wie oft am Tag muss man hier baden?“, wollte ich von ihr wissen. Da lachten wir beide und ein bisschen klang es wie Hühnergackern. Das muss ich schon sagen!

„Ich hoffe, wir kriegen raus, wohin sie ihre Eier legen. Lass uns da drinnen nachsehen“, forderte Mama mich auf. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte.

Meine Güte, war das eine dunkle Höhle. Nur ein wenig Licht fiel durch die dicken Bretter, aus der die Scheune gemacht war. Mama stieß einen Fensterladen auf, um besser sehen zu können. „Ich hab eins!“, rief sie begeistert und bückte sich danach. Aber das hätte sie lieber nicht tun sollen. Ziegenbock Harri kam mit gesenkten Hörnern, als hätte er nur auf die passende Gelegenheit gewartet, aus einer Ecke geschossen. Er gab Mama einen gehörigen Schubs ins Hinterteil. Sie landete mit Schwung im Heuhaufen. Ich konnte mich vor Schreck nicht rühren. Mama tauchte aus dem Stroh hervor wie ein Monster. Staubig, das Gesicht verzogen, das Haar total zerwühlt. Rasend vor Wut schnappte sie sich eine Mistgabel und setzte mit wehendem Haar, kleine Staubwölkchen aufwirbelnd, dem Ziegenbock nach. Ich hatte meine Mama noch nie so gesehen. Der Bock gewann das Rennen schließlich. Wutentbrannt gab Mama auf und stapfte ins Haus.

„Na, deine Mama kann Tiere wohl nicht leiden?“ Anton saß wieder auf dem Zaun und winkte herüber. Ich beschloss, seine dumme Frage nicht zu beantworten. Aber er hatte sofort eine neue parat. „Gefällt es dir wenigstens hier?“

Als ich wieder nicht antwortete, merkte er wohl, dass ich schlechte Laune hatte. Er hüpfte vom Zaun und pflückte einen Strauß Butterblumen. „Für dich! Aber pass auf, dass der Ziegenbock sie nicht frisst.“

Da konnte ich nicht länger böse sein.

„Ihr hättet sowieso nicht hierher ziehen sollen“, meinte er nachdenklich.

„Wieso?“ Was hatte das nun wieder zu bedeuten?

„Hier gibt es Hexen!“

Ich hielt das für einen Scherz und antwortete deshalb: „Das kann ja nicht so schlimm sein, du wohnst ja schließlich auch hier!“

Anton verzog den Mund. „Ich bin ja schließlich ein Mann. Und mein Großvater hat ein Gewehr, er ist Jäger.“

Das mit dem Mann konnte stimmen. Anton roch nämlich nach Rasierwasser. Aber was, um Himmels willen, hatte er sich abrasiert?

Ich wollte ihn von dem Hexenquatsch ablenken und fragte deshalb nach seinen Eltern. Sofort veränderte sich sein Gesichtsausdruck und er senkte den Kopf. „Autounfall, beide.“

„Oh, das tut mir so leid.“ Ich war echt betroffen. Mir stiegen die Tränen in die Augen. Daher kam Antons Hexengerede also. Er hatte sich ein Hobby zugelegt, um sich abzulenken. Ich holte eine Handvoll Gummibärchen aus meiner Hosentasche und schenkte sie ihm. Sie waren etwas staubig und eine Hühnerfeder klebte daran, aber er freute sich trotzdem.

Müde setzte ich mich, nachdem Anton wieder auf seine Seite des Zauns gewechselt hatte, auf die Verandastufen, um ein wenig auszuruhen. Schließlich suchte ich die Hühnereier im Schuppen. Ich ging ordentlich in die Hocke und streckte niemals mein Hinterteil heraus.

Das Rührei schmeckte prima. Es war doch nicht so schlecht, dass die Hühner dageblieben waren.

Es war schon nach zehn Uhr, als wir beschlossen, ins Bett zu gehen. Ich stiefelte im Nachthemd in meinem Zimmer umher und freute mich über die Bilder, die ich bereits angebracht hatte. Die nächsten Wochen würde ich genießen könne, denn es waren Ferien. Ich ließ ich mich auf dem Bett nieder und schüttelte ausgiebig mein Kopfkissen. „Ah!!“ Was war das? Ich sah eine Gestalt an meinem Fenster und musste sofort an die Hexen denken. In Panik warf ich mein Kissen an die Scheibe. Es folgten ein Schrei und dann ein komisches Krachen. Mama stand sofort in meiner Tür. „Was ist!“, rief sie.

„Ich weiß nicht! Eine Hexe war an meinem Fenster.“

„Es könnte alles Mögliche gewesen sein. Aber eins ist sicher, eine Hexe war es nicht, also lass uns nachsehen!“

Meine Mama glaubt nicht an Hexen, Gespenster, Ungeheuer und Kobolde und was es sonst noch alles geben soll. Ich eigentlich auch nicht, aber in dem Moment war ich mir nicht ganz sicher gewesen. Ich klammerte mich an Mamas Rockzipfel und folgte ihr. Gelassen nahm sie ihre Taschenlampe aus der Schublade, dann gingen wir hinaus.

Die Leiter lag unterhalb meines Fensters in den Stachelbeeren und untendrunter lag eine Hexe. Quatsch! Anton war es. Er konnte sich nicht rühren, weil die Dornen vom Busch ihn so sehr stachen. Wir zerrten die Leiter beiseite und halfen ihm hoch.

„Was machst du hier!“, wollte meine Mama wissen. Ihre Stimme klang so bedrohlich, dass ich gleich mit zusammenzuckte.

„Och“, sagte Anton, „ich habe die Leiter gesehen und gedacht, wo geht es denn da hin?“

Mama rollte mit den Augen.

„Also, gut, es tut mir leid, ich wollte euch erschrecken und beweisen, dass es hier Hexen gibt. War ein dummer Streich, kommt nicht wieder vor.“

Mama griff sich an die Stirn. Anton senkte beschämt den Kopf. „Bitte erzählen Sie meinem Großvater nichts!“

Das war nicht nötig. Anton bekam seine Strafe auch so. Mama zog ihm unendlich viele Dornen aus dem Hinterteil. Schade, dass ich nicht zusehen durfte!

3. Hexengerede

Am Morgen wachte ich von einem lauten Hupen auf. Bestimmt ist wieder Stau vorm Haus, dachte ich und blinzelte verschlafen. Doch dann fiel es mir ein. Wir waren ja umgezogen und Stau auf dem Lande gibt es nicht. Was war das dann also? Ich stieg aus dem Bett, um nachzusehen. Mama schlief wohl noch. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet mir, dass es erst sieben Uhr war. Frechheit! Als ich aus dem Fenster sah, entdeckte ich ein weißes Lieferfahrzeug mit der Aufschrift Bäckerei Mehlwurm. Da es immer noch entsetzlich hupte, ging ich hinunter.

„Na, das wird ja Zeit!“, rief die Verkäuferin. „Ich habe doch nicht den ganzen Tag Zeit.“ Sie musterte mich eingehend. Beinahe versank ich vor Scham im Boden. Ich war nicht gekämmt und nicht gewaschen. Eine eilends übergeworfene Strickjacke verdeckte mein Nachthemd nur notdürftig.

„Dann will ich dir mal die Regeln erklären, junge Dame. Jeder kauft bei mir was, wenn ich komme. Ich fahre schließlich nicht umsonst durch die Gegend.“ Ihre Augen funkelten böse und sie schwenkte eine Gebäckzange hin und her, als wollte sie mich damit zwicken. Also nahm ich vorsichtshalber zwei Brötchen und ein Brot. Mama würde es schon recht sein. Das Problem war nur, ich hatte kein Geld dabei. Mir blieb nichts anderes übrig, als ins Haus zu gehen, um welches zu holen, auch wenn das bedeutete, dass die Verkäuferin noch länger warten musste. Endlich fand ich ein paar Euro auf der Garderobe.

„Na, wenn du so viel Geld hast, dann nimm doch noch einen Hexenhaufen!“

„Was!“ Ich glaubte, hier wären alle verrückt. Aber ein Hexenhaufen, so wurde mir grinsend erklärt, besteht nur aus einem Kuchenteig mit Nüssen, der von feiner dunkler Schokoladenglasur umhüllt ist.

„Klar“, kicherte ich. „Ich nehme einen für Anton.“

„Und weil alles so lange gedauert hat, bringst du dieses Brot zum Einsiedlerhof! Da spare ich mir einen Weg. Du kannst ja den da mitnehmen.“ Sie zeigte mit dem Finger auf Anton, der gerade mit einer Milchkanne, die aus dem Mittelalter stammen musste, über den Zaun geklettert kam.

Das Bäckerauto verschwand vom Hof und wir standen alleine da.

Die Milch war für mich, mit schönen Grüßen von Elfriede. Und weil Anton so nett war, lud ich ihn zum Frühstück ein. Mama stand schon in der Küche und kochte Kaffee. Der Lärm hatte sich doch geweckt.

Sie wollte mich erst nicht zu dem fremden Hof lassen. Mütter haben da ja immer passende Begründungen parat. Anton lief zur Bestform auf. Er versprach, mich zu begleiten und mich vor allen möglichen Ungeheuern zu beschützen und wie seinen Augapfel zu behüten.

Frisch gestärkt, das Brot unter Antons Arm geklemmt, machten wir uns dann auf den Weg zum Nachbarhof. Der Einsiedlerhof lag in einiger Entfernung. Aber es war kein anderer dazwischen, also war die Frau, die dort wohnte, unsere Nachbarin. Anton sagte, dass sie eine Geschichtenerzählerin ist. Frau Hinkebein freute sich über das Brot. Sogleich zog sie uns ins Haus. „Ihr habt doch Hunger?“ Ehe ich Nein sagen konnte, hatte Anton schon geantwortet: „Ja, riesigen Hunger. Wir können uns kaum noch auf den Beinen halten.“ Er blinzelte mir zu. Aha, er wollte Geschichten hören.

Frau Hinkebein war schon etwas älter. Sie hatte sehr helle Haut mit etlichen Leberflecken und schwarz gefärbte Haare, die nicht zu ihr passten. Sie stützte ihre Hände dort auf, wo ihre Hüften gewesen wären, wenn sie nicht wie eine Regentonne geformt gewesen wäre, und erzählte eine gruselige Gespenstergeschichte. Mir blieb ab und zu vor Schreck ein Bissen Brot im Hals stecken. Anton hatte keine Probleme damit, er kannte die Erzählungen wahrscheinlich schon. Na, dem werd ich schon das Gruseln noch beibringen!

„Sagen Sie mal Frau Hinkebein, was wissen Sie über Hexen?“, fragte ich deshalb und bemerkte mit Genugtuung, dass Anton erschrak.

Frau Hinkebein lachte. „Da musst du schon den Anton fragen, sein Großvater ist schließlich Hexenjäger.“

„Was! Hexenjäger? Stimmt das?“ Ich wusste nicht, ob sie das ernst meinte oder ob ich ihr gerade auf den Leim ging. Bestimmt hatte Anton das mal erfunden, um anzugeben.

„Natürlich!“, antwortete Frau Hinkebein, denn Anton war stumm geblieben. „Aber Herr Schrotkorn hat noch keine gefangen.“

Schließlich erfuhr ich die ganze Geschichte: Herr Schrotkorn war nur nach Hexaloz gezogen, weil er der Ansicht war, dass es hier Hexen geben müsse. Er hatte Nächte in Archiven zugebracht und sämtliche alte Zeitungen und Bücher studiert. Er besaß sogar eine Ausgabe des gefürchteten „Hexenbuchs“. Herr Schrotkorn wollte hier jedenfalls tatsächlich Anzeichen für Hexen entdeckt haben und er hoffte, dass ihm eines Tages eine in die Falle gehen würde.

 

„Dann werden ich und mein Großvater berühmt, dann hört ihr endlich auf zu lästern“, fauchte Anton.

„Ich lästere doch nicht“, protestierte Frau Hinkebein. „Ich glaube an Hexen.“

Na ja, Mama hatte mich ja gewarnt, auf dem Land ist alles anders. Die Menschen sind abergläubisch. Aber Hexen? Ich musste noch mal fragen. „Woran erkennt man denn nun eine Hexe? Ich meine, ich komme aus der Stadt und habe noch nie eine gesehen.“ Ich schaffte es, bei dieser Frage völlig ernst zu bleiben.

„Du musst die betreffende Person genau beobachten, mein Kind! Hat sie dieses unergründliche Glühen in den schwarzen Augen? Hat sie Leberflecke? Warzen? Kichert sie hinterlistig, isst ohne Besteck und schmatzt dabei? Hexen, die sich unter Menschen trauen, müssen eine Perücke tragen, weil man sie sonst an ihren verfilzten Haaren und den Kopfschuppen erkennen würde.“

Also, für mich klang das ja wie ein Märchen. Trotzdem spürte ich, wie mir die Angst langsam den Rücken hochkroch. Frau Hinkebein hatte selbst zwei der Merkmale! Oder nicht?

„Und wie kann man sich vor Hexen schützen?“ Ich wollte nämlich alles tun, um nachts ruhig schlafen zu können.

„Nun, das beste Mittel ist der Holunder“, seufzte Frau Hinkebein. Die Zweige, Blüten und Früchte sind magische Abwehrmittel gegen Hexen.“

Habt Ihr jemals solchen Mist gehört? Da wollte ich nicht drauf reinfallen.

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