Frühkindlicher Fremdsprachenerwerb in den " Elysée-Kitas "

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2.3 Auftrag für eine externe Untersuchung: Einblick in den empirischen Beobachtungsrahmen

Grundsätzlich sieht die bilaterale Deutsch-Französische Qualitätscharta für bilinguale Kindertageseinrichtungen eine Zertifizierung für fünf Jahre und eine „lokale Evaluation der angestrebten und erreichten Ziele“ vor. Auf der französischen Seite konnte aufgrund der zentralen Zuständigkeit des französischen Bildungsministeriums eine institutionelle, interne Analyse mit den Schwerpunkten Spracherwerb, Kontinuität des Angebots, Fort- und Weiterbildung des Personals und Kontakte zu den Partnereinrichtungen durchgeführt werden.

Da im Rahmen dieses bilateralen Abkommens auf deutscher Seite jedoch weder einheitliche Benchmarks noch institutionelle Zuständigkeiten noch Mittel für eine Evaluation geplant wurden, steht im Netzwerk der deutsch-französischen Elysée-Kitas die Münchner Untersuchung als asymmetrisches Pendant der französischen alleine gegenüber. Keine weitere deutsche Stadt, auch kein Bundesland, unterzog das eigene Elysée-Netzwerk einer Begutachtung. Die LH München gab eine externe Studie in Auftrag, die von einer deutsch-französischen interdisziplinären Forschungsgruppe bei der Ludwig-Maximilians-Universität in Zusammenarbeit mit dem Forschungslabor der Universität Straßburg LiLPa (UR1339), im Zeitraum von Oktober 2018 bis Mai 2020 durchgeführt wurde.

Dreh- und Angelpunkt der vorliegenden Studie ist, dass sich die Erarbeitung und Formulierung der wissenschaftlichen Fragestellungen induktiv aus der Empirie ergaben, d.h. aus den Hospitationen. Zunächst soll die Vorgehensweise des Forschungsteams erläutert werden, um einen Einblick in die Aspekte zu ermöglichen, die im Rahmen der Hospitationen in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt sind. Daran wird anschließend exemplarisch verdeutlicht, inwiefern diese Merkmale für die Formulierung der Fragestellungen von Relevanz sind. Die protokollierten Beobachtungen haben beispielhaften Charakter und sind den Aufnahmen aus der Schnupperstunde des Forschungsteams entnommen. Sie repräsentieren nur einen kleinen, eher zufälligen Ausschnitt aus der jeweiligen Schnupperstunde. Diese Ausschnitte stehen jedoch exemplarisch für das, was beobachtet wurde. Sie lassen sich aber nicht im Sinne einer statistischen Repräsentativität für den gesamten Unterricht in der Schnupperstunde generalisieren. Eine eingehende Darstellung der Hospitationen erfolgt in Kapitel 3.1.2.

Im Zeitraum der Untersuchung bis zur Veröffentlichung dieser Studie können sich die Rahmenbedingungen mancher Kindertageseinrichtungen geändert haben. Auch sind zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Buches andere Lehrkräfte in den Kitas tätig als zu jenem der Erhebung. Die Beobachtungen des Forschungsteams beziehen sich daher weder namentlich auf die eine oder andere Einrichtung noch auf die Lehrkräfte, sondern sie sollen Praxen, Verhaltensmuster und Modelle abstrahieren, exemplarisch aufzeigen und hinterfragen, mit denen die Schnupperstunde Französisch im Sinne des Projekts politische, kulturelle und soziale Teilhabe bei den Kindern initiieren will.

Da die wöchentliche Schnupperstunde Französisch dem Konzept der jeweiligen Kindertageseinrichtungen angepasst wurde, findet man ganz unterschiedliche Umsetzungen. Grundsätzlich wird gesteuerter Fremdsprachenerwerb mit partieller Immersion in denjenigen Einrichtungen angeboten, die über frankophones Personal verfügen. In fast allen Kitas ist der gesteuerte Fremdsprachenerwerb strukturiert: Die Französischlehrkraft interagiert mit Gruppen von 8 bis 15 Kindern und die Gruppen wechseln sich ab, im Idealfall ist eine Progression über drei Jahre (Anfänger, Fortgeschrittene 1, Fortgeschrittene 2) vorgesehen. Das pädagogische Personal nimmt manchmal teil, wobei interessant zu beobachten ist, welche Rolle es jeweils einnimmt. Zuweilen interagiert die Französischlehrkraft zusätzlich mit allen Kindern im Morgenkreis und die Schnupperstunde Französisch strahlt über Lieder und Begrüßungsrituale über ihren zeitlichen Rahmen hinaus, wodurch sie sich teilimmersiv in den Alltag integriert.

Die Schnupperstunde ist dadurch gekennzeichnet, dass die Lehrkraft einen Dialog oder eine Aktivität initiiert, indem sie z. B. eine Frage stellt (Initiation), auf die die Lernenden antworten (Response), um damit möglichst viel sprachliche Interaktion in der Stunde zu ermöglichen. Diese Gestaltung der Stunde ist für die Untersuchung von besonderer Bedeutung, denn damit lässt sich die Interaktionsqualität messen, die wiederum direkt auf die allgemeine sprachliche Entwicklung einschließlich der Fremdsprache Französisch einwirkt.

2.3.1 Lehrkräfte und pädagogische Ansätze

Die pädagogischen Ansätze kann man aus verschiedenen Perspektiven bewerten. Eine wesentliche Voraussetzung für den Fremdsprachenerwerb ist die Möglichkeit, sich selbst in der Fremdsprache ausdrücken zu können. Ausgehend von den Beobachtungen des Forschungsteams wurde z. B. geprüft, ob die Lernenden genug Zeit hatten, auf die Fragen der Lehrenden zu reagieren, und ob es Durchbrechungen des Interaktionsmusters gab. Exemplarisch wird erforscht, zu welchen Teilen die Lehrkräfte den Impuls für die Äußerungen der Lernenden geben und zu welchen Teilen die Lernenden sich unaufgefordert (fremd- oder selbstinitiiert) äußern.1

Die Kinder der Elysée-Kitas lernen die Zielsprache gesteuert. Es wäre jedoch zu verallgemeinernd zu behaupten, dass die Schnupperstunde einem bestimmten didaktischen Ansatz folgt, vielmehr ist eine Ansammlung verschiedener didaktischer Ansätze zu beobachten, die gestaltet und durchgeführt wurden. Alle Lehrkräfte üben Vokabeln und singen Lieder mit den Kindern. Das kann als Ansatz aus der Pattern-drill-Methode identifiziert werden, bei der Strukturen des Wortschatzes und der Grammatik mechanisch eingeübt werden, bis die Lernenden sie beherrschen. Sie lehnt sich an einen behavioristischen Ansatz an, welcher das Lernen als Stimulus-Response-Kette auffasst. Bei erwünschten positiven Reaktionen werden die Lernenden z. B. mit Lob belohnt, wohingegen bei unerwünschten oder gar negativen Reaktionen das Lob ausbleibt und weitere Übungen zum selben Gegenstand initiiert werden. Lernen wird als ein Prozess gesehen, der über ständige Imitation funktioniert. Pattern-drills setzen zudem im Unterricht voraus, dass die Lernenden sowohl ihr kognitives Wissen als auch ihr Weltwissen in den Unterricht einbringen. So müssen sie z. B. wissen, wie Würfel- oder Rollenspiele funktionieren („Obst-und-Gemüsehändler bzw. Käufer/in“). Diese Strategie bedient sich zusätzlich kognitivistischer, aber auch interaktionistischer und soziokultureller Ansätze.

Beim Kognitivismus wird neues Wissen auf der Basis von vorhandenem Wissen möglichst kreativ und nicht mechanisch verarbeitet. Interaktionistische und soziokulturelle Ansätze basieren auf Vermutungen zu sprachlichem In- und Output.2 Derartige Interaktionshypothesen gewinnen in der fremdsprachlichen Vermittlung immens an Bedeutung. Grundsätzlich wird in beiden Theorien die Sprache über eigene Hypothesen zum Verständnis überprüft und modifiziert; mit anderen Worten ausgedrückt: Erst die gegenseitige Übereinkunft zwischen Lehrenden und Lernenden gewährleistet das Sprachverstehen, woraufhin das Sprachlernen zustande kommt.

Bei allen Lehrkräften sind im Unterricht Phasen aus allen drei Ansätzen zu erkennen. Die Schwerpunkte und die Intensität der jeweiligen Vermittlungsansätze fallen jedoch je nach Lehrkraft unterschiedlich aus, was zu mehr oder weniger gelungenen Unterrichtseinheiten führt.

2.3.2 Interaktionsqualität

Aus den empirischen Beobachtungen im natürlichen Umfeld sowie in Anlehnung an Gisela Kammermeyer1 betrachten die Autoren die Interaktionsqualität als ein zentrales Element der Untersuchung, denn sie hat einen direkten Einfluss auf die sprachliche Entwicklung der Kinder. Gisela Kammermeyer identifiziert im natürlichen Spracherwerb verschiedene Sprachförderstrategien, die die Kinder zum Sprechen und Nachdenken anregen und in Alltagssituationen tiefgehende Gespräche auf Deutsch initiieren. Das Konzept lässt sich auch auf den gesteuerten Fremdsprachenerwerb übertragen. Sprachenunabhängig beeinflusst die Anregungsqualität der Lehrkraft den sprachlichen Output der Kinder.

Gisela Kammermeyer unterscheidet die Sprachförderstrategien hinsichtlich ihres Grads an kognitiver Anregung. Einfache Sprachförderstrategien bedeuteten eine geringe kognitive Anregung und führen zu kurzen Antworten. Komplexe Sprachförderstrategien hingegen initiieren tiefgründige und längere Äußerungen der Lernenden.2

In der vorliegenden Analyse werden Frage-, Modellierungs- und Rückmeldestrategien erfasst, d.h. welche Kommunikationsstrategien die Kinder wählen, zu welchen Teilen die Lehrkräfte den Impuls für die Äußerungen der Lernenden geben (fremdinitiiert) und zu welchen Teilen die Lernenden sich unaufgefordert äußern (selbstinitiiert). Die Messungen der Redeanteile der Lehrkräfte und der Äußerungen der Lernenden fallen unterschiedlich aus.3 Das Forschungsteam konnte außerdem beobachten, ob es z. B. Durchbrechungen des Interaktionsmusters gab.

2.3.3 Eine Person, eine Sprache

Im Konzept der Immersion ist das Prinzip „Eine Person, eine Sprache“ etabliert.

Eine Person – eine Sprache bedeutet, dass eine Person kontinuierlich eine Sprache gebraucht. Eine Person – eine Sprache ist beispielsweise ein Prinzip beim „Sprachbad“ Immersion. In der Kita spricht eine pädagogische Fachkraft zum Beispiel immer Deutsch, die andere stets eine andere Sprache (die Immersionssprache). Dieses Prinzip ermöglicht, dass die Kinder zuverlässig eine gewisse Menge an sprachlichem Input in allen Zielsprachen erhalten.1

 

Auch bei gesteuertem Spracherwerb in der Kita wird in der Literatur zur Spracherwerbsforschung grundsätzlich von systematischen Übersetzungen abgeraten, weil für die Lernenden dann nicht mehr ersichtlich ist, welche Sprache gewünscht wird.2 Ein Sprachwechsel innerhalb eines Satzes ist für den Sprachaufbau insgesamt wenig förderlich. Wechseln die Erwachsenen in der Schnupperstunde selbst häufig die Sprache, erkennen die Kinder, dass sie, gleichwertig zum Französischen, Deutsch nutzen können, um die Kommunikation aufrechtzuerhalten.

Wie das Immersionsprinzip umgesetzt wird, ob in teilimmersiven Modellen oder indem die Lehrkraft allein agiert, erweist sich angesichts der vielfältigen Praktiken als zentral, denn „[b]egreift sich die Kita als immersiv arbeitend, sollte ein Sprachanteil in der Immersionssprache von mindestens 50 Prozent in den Kernbetreuungszeiten gewährleistet sein.“3

In den Münchner Elysée-Kitas wird der gesteuerte Spracherwerb grundsätzlich von einer externen Lehrkraft angeboten, die allein mit den Kindern interagiert. Die Schnupperstunde wird in den Fällen teilimmersiv, wo eine bilinguale pädagogische Kraft den Spracherwerb im Kita-Alltag weiterführt.

2.3.3.1 Tandem Lehrkraft – pädagogisches Personal in teilimmersiven Einrichtungen

In teilimmersiv arbeitenden Kitas konnten verschiedene Konstellationen beobachtet werden. Kita 31 und Kita 13 hatten zum Zeitpunkt der Datenerhebung jeweils eine bilinguale pädagogische Kraft zur Verfügung, die mit den Kindern 12 bis 15 Stunden pro Woche interagierte. Sie nahm regelmäßig an der Schnupperstunde Französisch teil. Die Vermittlungsansätze waren jedoch qualitativ sehr unterschiedlich und wirkten sich deutlich auf die fremdsprachliche Kompetenzentwicklung und Motivation der Kinder aus. Auch waren das Rollen- und Grundverständnis der Erzieherinnen, welches sie im Unterricht zeigten bzw. einnahmen, unterschiedlich ausgeprägt. Innerhalb der Schnupperstunde fungierte die bilinguale pädagogische Kraft in Kita 13 als zweite französischsprachige Ansprechpartnerin. Die übrigen pädagogischen Kräfte, die an der Schnupperstunde teilnahmen, wechselten dagegen gleichberechtigt mit den Kindern in die Rolle von Lernenden.


bilinguale Erzieherin C’est quel jour aujourd’hui?
Kind W10 Donnerstag
bilinguale Erzieherin Donnerstag c’est allemand. En français c’est… [fragend]
Kind W20 vendredi
bilinguale Erzieherin vendredi c’est demain. Aujourd’hui c’est…(….)
bilinguale Erzieherin j… (…)
Kind W30 jeudi [ausrufend]
Wochentage werden gemeinsam von Kindern aufgesagt
bilinguale Erzieherin samedi et dimanche, c’est le: …
Kinder week-end

Sequenz 1:

Gruppenaufnahme am 21.02.20192

Während der Schnupperstunde Französisch verlässt die bilinguale Erzieherin aus Kita 13 gegenüber den Kindern ihre französischsprachige Rolle kaum. Nach der Schnupperstunde fällt sie auch nicht in ein deutschsprachiges Sprachschema zurück, sondern erhält das Französische in der Kommunikation mit den Kindern aufrecht. Ebenso verhält sie sich im alltäglichen Agieren mit den Kindern. Sie bemüht sich um einen kindgerechten fremdsprachlichen Umgang, der während ihrer Anwesenheit in der Gruppe von Kontinuität und Authentizität zeugt.

Grundlegende Kommunikationsmuster, wie beispielsweise Begrüßungsformeln, die Frage nach dem Befinden und die dazugehörige Antwort, beherrschen die Kinder größtenteils Bonjour, ça va? – Ça va bien. Sie sind auf Französisch handlungsfähig, fragen ob sie in den Garten oder auf die Toilette gehen dürfen. Zwischen der bilingualen Pädagogin und zwei Kindern aus der Schnupperstunde konnte folgendes Gespräch nach der Schnupperstunde beobachtet werden:


Kinder (w/w) Dürfen wir in den Garten gehen?
bilinguale Erzieherin En français, s’il vous plaît!
Kinder (w/w) gemeinsam Est-ce que nous pouvons aller dans le jardin?
bilinguale Erzieherin Oui, bien sûr!

Sequenz 2:

Gruppenaufnahme vom 28.02.2019.3

Im Tandemmodell dagegen versuchte eine bilinguale Kraft während der Schnupperstunde ihrer Rolle als Übersetzerin so gut wie möglich nachzukommen. Nicht selten kamen ihre Übersetzungsdienste oder ihre Rolle als Ordnungshüterin in genau derselben Zeit zum Einsatz, in der die Lehrerin sprach. Sie ermahnte beispielsweise einen Jungen, er solle sich doch ordentlich im Schneidersitz hinsetzen.4 In erster Linie führte der Austausch auf Deutsch zu einer Durchbrechung des Interaktionsmusters und zur Ablenkung der gesamten Gruppe. Bei diesen Versuchen sprachen Lehrkraft und bilinguale Erzieherin in jeder Einheit für einen kurzen Augenblick wenigstens einmal gleichzeitig. Dies hatte zur Folge, dass die Lehrerin pausieren oder der Erzieherin ein steuerndes Zeichen geben musste, was wiederum bei den Kindern für Verwirrung sorgte. Insbesondere kam es oft vor, dass der Sprachwechsel mitten im Satz erfolgte, wie folgendes Beispiel zeigt:




Sequenz 3:

Gruppenaufnahme vom 13.03.2019.5

Es entstand der Eindruck, dass sich die Kinder darauf verließen, von ihrer Erzieherin alles ins Deutsche übertragen zu bekommen.

In folgender Unterrichtseinheit wollte die Lehrerin den Kindern den Begriff la neige entlocken, dabei riefen zwei Jungen falsche Wörter in die Runde. Die Aufnahme zeigt die Reaktion der Erzieherin darauf:




Sequenz 4:

Gruppenaufnahme vom 27.03.2019. 6

Der erste Junge M1 meldete sich mit Scheiße tun, obwohl er normalerweise ziemlich ruhig und recht überlegt wirkte. Wie aus dieser Hospitation ersichtlich ist, schien er sich ernsthaft an die Übersetzung von la neige zu erinnern. Der zweite Junge M7 meldete sich mit: Ich weiß es. Sowohl die Erzieherin als auch die Lehrerin (sie saß direkt neben Kind M7) unterbrachen und ermahnten ihn. Nach der unverkennbaren Zurechtweisung durch die Erzieherin blieben die Kinder eingeschüchtert, die sprachliche Interaktion war durchbrochen.

Nonverbale Kommunikation bildete die einzige Reaktion der beiden Jungen auf diese Herangehensweise des pädagogischen Teams. Die geschilderte Situation zeigt, wie extrinsische7 Motivation bei Kindergartenkindern beim Fremdsprachenlernen nicht ausfallen sollte, da sie entmutigend wirkt.

Grundsätzlich wurde in Kita 3 bei den Interaktionen mit den Kindern deutlich sichtbar, dass zwischen Lehrkraft und pädagogischer Fachkraft keine schlüssige Rollenverteilung vorlag. Das Prinzip „Eine Person, eine Sprache“ wurde nicht konsequent umgesetzt. Der ständige Sprachwechsel seitens der bilingualen Kraft war sowohl für die Lehrkraft als auch für die Kinder kontraproduktiv. Letztere sahen nicht ein, warum sie auf Französisch sprechen sollten, wenn eine Antwort auf Deutsch gleichwertig war und selbst die bilinguale Erzieherin wechselte ständig die Sprachen. Die Lernenden hatten nicht genug Zeit, auf Fragen zu reagieren. Mit ihren Interventionen durchbrach die bilinguale Kraft zu oft das Interaktionsmuster. Der sehr hohe Redeanteil des pädagogischen Tandems gab den Kindern kaum Gelegenheit, autonom in der Fremdsprache zu handeln. Bei einem ständigen Dialog im Erwachsenentempo war die Anregungsqualität niedrig.

2.3.3.2 Code-Switching bei der Lehrkraft

In den meisten Kitas agierte die Lehrkraft allein und die pädagogischen Kräfte nahmen die Zuhörerrolle an. In den Kitas 12 und 19 wechselten die Lehrkräfte in den seltensten Fällen die Sprache. Auch metasprachliche Kommentare wurden auf Französisch geäußert. Die französischen Redeanteile der Kinder fielen höher aus.

In Kita 6 dagegen wechselte die Lehrkraft schnell ins Deutsche. Insbesondere wenn ein Kind schon mehrere Fragen weder auf Französisch noch auf Deutsch beantworten konnte, tendierte die Lehrkraft dazu, die folgende Frage nicht mehr nur auf Französisch zu stellen, sondern auch direkt ins Deutsche zu übersetzen, vermutlich mit der Motivation, das Kind nicht zu entmutigen. Dadurch wurde allerdings die vorhergehende Frage auf Französisch überflüssig, da nicht länger die Notwendigkeit bestand, diese zu verstehen. In einigen Fällen stellte die Lehrkraft die Frage jedoch ausschließlich auf Deutsch.

Problematisch wurde es, wenn nach jeder Äußerung der Kinder ein kurzes Lob ausgesprochen wurde. In der folgenden Gesprächssituation wurde ein Kind nach der Farbe eines Gegenstands gefragt und antwortete gelb, was die Lehrkraft mit genau bestätigte. Die Bestätigung der Lehrkraft trug jedoch bereits einen Widerspruch in sich: Sie honorierte die Äußerung mit einem Kurzlob. Diese war zwar semantisch gesehen richtig, jedoch nicht in der gewünschten Sprache. Durch die Bestätigung wurde dem Kind das Gefühl vermittelt, dass eine Antwort auf Deutsch ebenso die Anforderungen erfüllte, da diese mit einem Kurzlob honoriert wurde, wie bei einer französischen Erwiderung. Der metalinguistische Hinweis und auf Französisch? erschien paradox, da die Lehrkraft, die eine Kommunikation auf Französisch forderte, in diesem Moment selbst Deutsch sprach. Ihr Aussagegehalt und ihre Sprachenwahl widersprachen sich.

 

Sequenz 5:

Kind M 1 (5,10 Jahre), individuelle Sprachstandserhebung, 22.03.2019. 1

Zusammenfassend können zwei wichtige Qualitätskriterien festgehalten werden: Die Interaktionsqualität profitiert von handlungsbegleitendem Sprechen, wenn Lehrkraft und pädagogische Fachkräfte ihre eigenen Handlungen sprachlich begleiten. Allerdings sollten sie Übersetzungssituationen vermeiden, wenn sie sich an die Kinder wenden: „Die Kinder sehen sonst möglicherweise nicht die Notwendigkeit, Äußerungen in der Zielsprache zu beachten. Möchten sich Kinder als Dolmetscher einbringen, sollte man das zulassen.“2 Somit lässt sich übereinstimmend mit dem „Kriterienhandbuch für Sprache und Mehrsprachigkeit“ von Nadine Kolb/Uta Fischer festhalten:

Die pädagogische Fachkraft übersetzt die Äußerungen der Immersions-Fachkraft nicht ins Deutsche. Es könnte die Autorität der Immersions-Fachkraft untergraben werden, wenn die Kinder wissen, dass eine Klärung auf Deutsch erfolgt. Sie würden der Immersions-Fachkraft weniger aufmerksam zuhören.3

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