Read the book: «Love me louder»

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Deutsche Erstausgabe (ePub) September 2021

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2018 by Christina Lee

Titel der Originalausgabe:

»Love me louder«

Published by Arrangement with Christina Lee

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2021 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock; AdobeStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

Druckerei: CPI Deutschland

Lektorat: Martina Stopp

ISBN–13: 978-3-95823-904-3

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed–verlag.de


Aus dem Englischen

von Susanne Ahrens

Liebe Lesende,

vielen Dank, dass ihr dieses eBook gekauft habt! Damit unterstützt ihr vor allem die*den Autor*in des Buches und zeigt eure Wertschätzung gegenüber ihrer*seiner Arbeit. Außerdem schafft ihr dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der*des Autor*in und aus unserem Verlag, mit denen wir euch auch in Zukunft erfreuen möchten.

Vielen Dank!

Euer Cursed-Team

Klappentext:

Noah ist vom Schicksal gezeichnet. Durch einen Unfall hat er körperliche und emotionale Narben davongetragen und kaum Hoffnung, irgendwann den richtigen Mann fürs Leben zu finden. Lieber zieht er sich von allem zurück, um nicht noch mehr verletzt zu werden. Doch dann wird er zur Verlobungsfeier seines besten Freunds eingeladen und sieht sich in seiner Vorstellung schon einsam und unsichtbar zwischen unzähligen attraktiven Männern stehen. Da kommt ihm die Idee, einen Escort zu engagieren. Unwissentlich fällt seine Wahl auf seinen Kollegen Will, der durch den Zweitjob die Pflege seiner kranken Mutter finanziert. Beide beschließen, einfach als Freunde eine gute Zeit zu haben, aber im Verlauf des Wochenendes lernen sie eine ganz andere Seite des jeweils anderen kennen und entwickeln Gefühle, für die in ihrer Lebensrealität mit ihren Verpflichtungen und Unsicherheiten allerdings kein Platz ist – außer sie kämpfen dafür…

Kapitel Eins

Noah

Noah Dixon öffnete die Online–Einladung, die er von seinem ältesten Freund Tony Malone erhalten hatte. Er hatte sie in eine private Facebook–Gruppe eingestellt, daher hatte Noah eine Meldung erhalten. Sein Mauszeiger schwebte über den Antwortmöglichkeiten: Ja, nein, vielleicht.

Hallo miteinander,

ich gebe zu Matts Dreißigstem eine fette Party im Strandhaus. Geschenke sind nicht nötig. Er würde sich aber freuen, wenn ihr eine Spende an eine seiner bevorzugten Stiftungen leisten würdet. Links siehe unten.

Es wird auch eine Überraschung geben, die ihr nicht verpassen wollt. Aber sagt Matt nichts davon. Ich fände es schrecklich, wenn ihm jemand etwas verrät. Bitte gebt mir Rückmeldung und sagt Bescheid, ob ihr einen Gast mitbringt. Dann können wir Essen und Getränke besser kalkulieren.

Ich hoffe, wir sehen uns bald.

Tony hatte sicher vor, Matt auf der Geburtstagsparty einen Antrag zu machen. Schließlich hatte Noah mit ihm in den letzten Monaten genug Gespräche über Ringe, Ideen, wie man den Antrag machen könnte, und sein wackeliges Nervenkostüm geführt.

Tony und Matt waren seit drei Jahren zusammen. Sie arbeiteten beide als Bilanzanalytiker und waren sich immer wieder in denselben Kreisen über den Weg gelaufen, bis sie sich auf einer Benefizgala endlich unterhalten und verliebt hatten. Der Rest war Geschichte. Noah wusste, wie sehr Tony Matt liebte und wie gern er sein Leben mit ihm verbringen wollte.

Erneut betrachtete Noah die Bitte um Rückmeldung in der Einladung. Tony veranstaltete stets extravagante Zusammenkünfte in seinem Haus in Fire Island Pines und dieses Mal würde keine Ausnahme bilden. Noah seufzte, als sich die vertraute Übelkeit in seinem Magen bildete. Dieses Mal konnte er sich unmöglich rausreden, auch wenn es auf das Übliche hinauslaufen würde: überall wunderschöne Männer. Wunderschöne und halb nackte Männer, die am Pool oder Strand herumalberten. Niemand würde ihm einen zweiten Blick zuwerfen, schon gar nicht, falls er mutig genug sein sollte, sein Hemd auszuziehen. Und meistens war er das ganz und gar nicht.

Er machte niemandem einen Vorwurf daraus. Er war selbst ohne die hässlichen Narben auf seinem Oberkörper kein besonders interessanter Anblick. Über die Jahre hinweg hatte er sich mit einigen Männern getroffen, am College sogar den Versuch gewagt, eine Beziehung zu führen, aber zu viele dieser Begegnungen waren auf unangenehme Weise zu Ende gegangen. Er freute sich bestimmt nicht darauf, der einzige Single auf der Party zu sein. Schon wieder.

Vielleicht war einer seiner Freunde aus der Stadt bereit, ihn zu begleiten. Allerdings erforderte es schon einigen Einsatz, bis in die Pines zu fahren. Nach der Zugfahrt nach Long Island, gefolgt von der Überfahrt mit der Fähre auf die Insel, wollte man im Allgemeinen einfach nur ein oder zwei Tage seine Ruhe haben. Abgesehen davon würde Tony ihm nie vergeben, wenn er nicht über das ganze Wochenende blieb. Angesichts ihrer vollen Terminpläne kamen sie momentan nicht oft dazu, Zeit miteinander zu verbringen, und seitdem Tony ganz mit dem Gedanken an die Verlobung beschäftigt war, hatten sie kaum über etwas anderes gesprochen.

Noah schloss das Fenster mit der Einladung. Er würde später entscheiden, wie seine Antwort ausfallen würde.

Er war seit seiner Kindheit mit Tony befreundet und ihre Familien hatten viele gemeinsame Sommer auf der Insel verbracht. Tonys Eltern würden vor Ort sein und helfen, die Party verschwenderisch auszurichten. Doch wenn Noahs Erinnerung ihn nicht trog, würden seine eigenen Eltern zu diesem Zeitpunkt noch durch Europa reisen. Das war eine Erleichterung.

Noahs Beziehung zu seinen Eltern war in den vergangenen Jahren zunehmend angespannter geworden. Nach dem Unfall hatten sie sich in das Sinnbild von Helikoptereltern verwandelt, die immer über ihn wachten, sich einmischten und nicht zuließen, dass er eigene Entscheidungen fällte oder auch Fehler beging.

Und auch wenn er sie verstehen konnte, fühlte er sich von ihnen erdrückt. Dazu kam noch sein Coming–out mit achtzehn und die Tatsache, dass er sich für eine weniger einträgliche Karriere als Verkaufsberater in einer Filiale von Home and Heart entschieden hatte. Seine Eltern wussten nicht mehr recht, wie sie mit ihm umgehen sollten.

Nicht, dass sie seine sexuelle Orientierung nicht akzeptierten. Es war eher die Tatsache, dass sie so verzweifelt um seine Sicherheit bemüht waren, dass ihr Sinn für Logik irgendwie fehlgeleitet wurde. Darüber hinaus konnte Noah nie ganz das Gefühl abschütteln, dass sein Dad von ihm enttäuscht war. Wegen praktisch allem.

Geistesabwesend strich Noah über das Narbengewebe unter seinem rechten Ohr, dann knöpfte er sein Hemd zu. Der Kragen bedeckte seinen Hals zum größten Teil und seine Frisur erledigte den Rest. Daher musste er unter normalen Umständen nicht die Blicke der Kunden erdulden.

Noah winkte einem Nachbarn zu, als er kurz darauf sein Apartment an der Upper East Side verließ und sich mit der U–Bahn auf den Weg ins Stadtzentrum machte. Er pfiff vor sich hin, während er an einem Saxofonspieler am Zugang zu den Stufen vorbei ging, und warf sein Wechselgeld in dessen leeren Koffer.

Er verstand sich definitiv als glücklichen schwulen Single. Meistens. Nur Einladungen zu einem Wochenende auf Fire Island oder ähnliche Veranstaltungen waren eine brutale Erinnerung, dass er allein war.

Seine Eltern besaßen nach wie vor Eigentum auf Fire Island – eine Wohnung in Cherry Grove, die etwas bescheidener war als ihre Unterkunft in den Sommern seiner Kindheit –, doch sie reisten inzwischen so viel, dass es schade gewesen wäre, sie dauernd leer stehen zu lassen. Daher vermieteten sie sie in den wärmeren Monaten praktisch jedes Wochenende, was nach sich zog, dass Noah sie während Tonys Partys nicht als Zufluchtsort nutzen konnte. Abgesehen davon verband er mit der Insel seit dem Unfall nur noch wenig gute Erinnerungen.

Es war keineswegs so, dass er keine Dates oder One–Night–Stands fand: Sie liefen nur nie auf viel hinaus. Seine längste Beziehung hatte rund vier Monate gehalten und genauso lange hatte er gebraucht, um sich in intimeren Momenten halbwegs wohlzufühlen. Doch die Narben waren für die meisten Männer zu viel des Guten und seine Eltern drängelten zu sehr, sodass die meisten Treffen eher unbehaglich ausfielen. Wenn er schon dabei versagte, sich einen vernünftigen Mann zu suchen, dann wollte er wenigstens allein versagen.

Seine letzte Hauttransplantation lag mindestens zehn Jahre zurück. Es war seine achte Operation gewesen und danach hatte er entschieden, dass er nicht mehr ertragen konnte.

Während er auf der unruhigen Fahrt an der Tür des Waggons Halt suchte, kratzte er sich die Brust. Auch nach all den Jahren war der stechende Phantomschmerz immer noch da. Das Narbengewebe zog sich von seinen Rippen über seine Schulter und den Hals entlang bis hinauf zum Ohr. Seine Ärzte hatten ihm bei zahllosen Gelegenheiten versichert, dass es viel schlimmer hätte ausgehen können. Auch sein Gesicht hätte betroffen sein können, dazu sein Gehör, von Organschäden ganz zu schweigen und der größte Schlag von allen: Er hätte tot sein können.

Daran versuchte er sich stets zu erinnern, egal, wie entmutigend sein Leben manchmal war. Sicher, diese Partys auf der Insel weckten in ihm den Wunsch, zurück in die Stadt zu flüchten und in seinem eigenen Leben zu verschwinden, in dem er sich nie bemühen musste, mehr zu sein, als er war. Aber davon konnte er sich nicht die Laune verderben lassen.

Außerdem musste er für seinen besten Freund da sein.

Er stieg aus und eilte in der Nähe des Saks Fifth Avenue die Stufen zur Haltestelle hinauf. Dort hielt er kurz inne, um das kitschige Blumenarrangement des Kaufhauses zu bewundern, ehe er dann an der stark frequentierten Ampel die Straße überquerte.

Die Wahrheit war, dass er seine Arbeit im Einzelhandel und speziell im Home and Hearth liebte. Es handelte sich um ein gehobenes Lifestyle-Geschäft, das Möbel, Beleuchtung, Kunst und moderne Haushaltswaren anbot. Er hatte schon immer ein Auge für Design gehabt. Daher genoss er es, die Verkaufsausstellungen einzurichten und hatte auch nichts dagegen, harte Arbeit zu leisten, wenn die Regale neu bestückt werden mussten. Der Job war nicht sonderlich gut bezahlt – erst recht nicht gemessen an den Standards seiner Eltern –, aber er finanzierte ihm eine bescheidene Wohnung, die er sich über die Jahre ziemlich hübsch eingerichtet hatte.

Seine Arbeit war das Einzige, worauf er sich im Verlauf der Woche freute. Das und die Limonade, die nebenan im Bagel–Laden von dem heißen Asiaten serviert wurde. Kaffee machte ihn nur zappelig und das konnte er nicht gebrauchen.

Noah nippte an seinem süßen Getränk, als er den Laden betrat, und betrachtete die warm und freundlich gehaltene Schlafzimmerausstellung, bei deren Gestaltung er im Juni geholfen hatte. Der Manager hatte sich als Leitthema Schlafräume an Colleges ausgesucht, auch wenn der Sommer damals erst vor der Tür gestanden hatte. Aber so lief das im Einzelhandel. Man arbeitete immer auf die nächste Saison zu.

Das Geschäft war groß genug, dass zeitgleich mehrere Mitarbeitende anwesend waren. Heute würde er mit Samantha und Michelle zusammenarbeiten. Michelle neigte ein bisschen zum Tratschen, aber Samantha war gesprächig und unbekümmert und das würde helfen, falls es zwischendurch ruhig zugehen sollte. Dazu kam es jedoch während der Hauptreisezeit äußerst selten.

Auch William Crossen hatte sich gerade eingestempelt. Nenn mich Will, hatte er an seinem ersten Tag vor ein paar Monaten zu Noah gesagt, und Noah hatte daraus abgeleitet, dass er ein freundlicher Mensch sein musste. Das war nur bedingt der Fall.

Will war definitiv ein netter Anblick. Noah hätte seine perfekt modellierten Wangenknochen, das Grübchen im Kinn und die vollen Lippen den ganzen Tag lang anstarren können. Aber natürlich war das Interesse einseitig. Nicht nur, weil Will sehr wahrscheinlich hetero war, sondern auch, weil er abgesehen von ein paar Höflichkeiten unter Kollegen nicht viel mit Noah redete, wenn man ihn nicht drängte.

Aber er arbeitete fleißig und kam gut mit der Kundschaft zurecht. Er erzählte nur eben nichts von sich und ging auch selten mit ihnen etwas trinken. Vielleicht hatte er etwas zu verheimlichen und damit kannte Noah sich aus, nicht wahr?

Bald darauf kamen die ersten Kunden und sie hatten alle gut zu tun. Es handelte sich um eine Mischung aus Touristen, Wohnungseigentümern und Familien, deren Kinder an der NYU oder der Columbia aufgenommen worden waren. Die Eltern suchten nach kleineren Schlafzimmereinrichtungen für die jungen Erwachsenen, oder wollten verwaiste Kinderzimmer neu ausstatten.

Den ganzen Abend lang bildete sich eine Schlange vor der Kasse und am Ende seiner Schicht taten Noah die Füße weh. Er war erleichtert, als er hinter dem letzten Kunden abschließen konnte. Anschließend sorgten sie im Erdgeschoss für Ordnung und machten die Kasse.

Schließlich betrat Noah den Personalraum, um seine Tasche aus dem Spind zu holen. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass Will ein paar Nachrichten auf seinem Handy prüfte. Er hatte heute noch reservierter als sonst gewirkt – nicht, dass Noah ihn gut genug kannte, um seine Launen zu verstehen –, aber irgendetwas, das ihm per Sprachnachricht mitgeteilt wurde, ließ seine Augen aufleuchten. Vermutlich ein heißes Date.

Will warf einen Blick auf die Wanduhr und griff dann hastig nach seiner Tasche. Er angelte eine kleine weiße Karte aus seiner Tasche, kritzelte etwas darauf und stürzte zur Tür. Er murmelte eine hastige Verabschiedung über die Schulter und erst, als Noah vom Neubinden seiner Schnürsenkel aufsah, fiel ihm auf, dass Will die frisch beschriftete Karte heruntergefallen war.

Er griff danach und konnte nicht anders, als zu lesen, was darauf vermerkt war.

Gotham City Escorts

Louise, 22 Uhr, 22 Park Avenue.

In Noahs Ohren begann es zu klingeln.

Ruckartig richtete er sich auf, das Blut stieg ihm in die Wangen. Es war undenkbar, dass er Will noch einholen würde, trotzdem sah er sich, als er sich abgelenkt auf den Weg zur Haltestelle machte, auf der Straße um, um ganz sicher zu sein. Er steckte die Karte ein, stieg in die U–Bahn und dachte auf dem ganzen Heimweg über Will nach. War Will etwa ein Escort?

Er stellte sich vor, wie Will sich auf den Weg zur Park Avenue machte, um sich noch heute Abend mit seiner Kundin zu treffen.

Heilige Scheiße.

Noah hastete im Laufschritt zu seinem Apartmenthaus, warf kaum einen Blick auf seine Post, die er in der Lobby einsammelte, und auch auf der Fahrt hinauf in den fünften Stock war er ganz in seinen eigenen Gedanken verloren.

Während er die Sesamnudeln vom chinesischen Lieferdienst vom Vorabend aufwärmte, griff er nach einer Flasche des importierten Biers, das er sich beim letzten Einkauf mitgebracht hatte. Dann startete er seinen Laptop.

Nach ein paar Bissen, um seinen Magen zu füllen, und ein paar herzhaften Schlucken Bier rief er die Seite des Escortservices auf. Nur aus Neugier.

Das Logo der Website spielte mit dem Gotham City–Batman–Thema, indem es den Umriss der Skyline zeigte. Die Seite war sehr übersichtlich und doch informativ.

Brauchen Sie eine Begleitung für eine Veranstaltung? Sehnen Sie sich nach etwas Gesellschaft?

Dann ziehen Sie doch in Erwägung, eine professionelle Begleitung zu engagieren.

Sie dürfen erwarten, dass unsere Begleitungen sich Ihnen gegenüber höflich, aufmerksam und zuvorkommend zeigen. Sie stellen die Bedürfnisse unserer Kundschaft stets an erste Stelle.

Oben gab es ein Menü, über das man die einzelnen Unterseiten des Escortservice erreichen konnte. Es gab keine Fotos, nur schlichte Beschreibungen der einzelnen Angestellten: Vorname, Haarfarbe, Größe, Gewicht. Noah entdeckte nirgendwo Wills Namen, sodass er sich fragte, ob er mit der Vermutung, dass sein Kollege für die Agentur arbeitete, falschgelegen hatte. Vielleicht hatte Will vielmehr jemanden engagiert. Aber das ergab keinen Sinn.

Erneut holte Noah die Visitenkarte hervor. Darauf stand explizit Louise zu lesen, also vermutlich eine Kundin.

Als er sich wieder der Website zuwandte, bemerkte er ganz am rechten Rand einen mit LGBTQ beschrifteten Tab und klickte ihn an.

Diskretion ist unsere oberste Priorität.

Noah starrte lange auf den Bildschirm, bevor er sich eingestand, dass er die Vorstellung, einen Escort für das Wochenende auf Fire Island zu engagieren, ziemlich verlockend fand. Aber nein, so etwas konnte er unmöglich tun, oder? Wie viel würde das überhaupt kosten?

Er klickte sich durch die verschiedenen Seiten und entdeckte, dass der Preis je nach gebuchtem Escort und Veranstaltung variierte. Einige riefen eine Gebühr von dreihundert Dollar pro Stunde auf.

Noah bestückte die Spülmaschine. In seinem Kopf wirbelten die Möglichkeiten umher und in seinem Magen flatterte es nervös. Zog ein Abend mit einem Escort weitere Dienste wie Sex nach sich? Das stand vermutlich nicht zur Debatte. Immerhin handelte es sich um keine Prostituierten, die man für Sex bezahlte.

Laut der Website boten die Escorts Gesellschaft an und war es nicht genau das, was Noah wollte? Einfach jemanden, der an seiner Seite blieb und vorgab, sein Date zu sein, damit er es durchs Wochenende schaffte, ohne sich so allein zu fühlen?

Noah ließ sich schwer auf die Couch fallen. Es trieb ihm praktisch die Luft aus den Lungen.

War er wirklich so verzweifelt? Und was, wenn etwas vollkommen schiefginge?

Vielleicht könnte er Will direkt ansprechen und ihn fragen, wie sicher diese Sache war. Nein, das konnte er streichen. Wenn es nicht sicher wäre, würde Will es dann tun?

Noah kannte ihn kaum, aber er bezweifelte, dass solche Agenturen überleben würden, wenn sie ihren Angestellten und ihrer Kundschaft neben Diskretion nicht auch ein gewisses Maß an Sicherheit boten. Abgesehen davon: Wollte er Will wirklich wissen lassen, wie einsam er sich manchmal fühlte?

Nun ergab es verdammt mehr Sinn, warum Will nicht wollte, dass jemand allzu viel über seine Angelegenheiten erfuhr.

Noah versuchte, eine Zeitschrift für Wohnungsgestaltungen zu lesen, doch er konnte sich kaum konzentrieren. Stattdessen öffnete er – nach einem weiteren Schluck Bier und definitiv in einem Augenblick des Mutes – Tonys Einladung, klickte auf Ja und trug bei der Anzahl der Teilnehmer 2 ein.

Kapitel Zwei

Will

Verdammt, er hatte irgendwo zwischen dem Geschäft und der Haltestelle die Visitenkarte verloren. Tja, wenigstens hatte er sich die Einzelheiten gemerkt. Abgesehen davon musste er sich nur die Nachricht noch einmal anhören oder die letzte E–Mail aufrufen, die die Quittung über den Zahlungseingang enthielt. Wann immer er die Dollarzeichen sah, wusste er, dass er das Richtige tat. Das verlieh ihm wieder ein Ziel.

Heute Abend traf er eine Stammkundin namens Louise. Sie war die CEO einer großen Finanzkooperative und musste an einer Vielzahl von Veranstaltungen teilnehmen, aber sie gab zu, dass sie sich dort als Single oft nicht wohlfühlte, und wollte jemanden an ihrer Seite haben. Jemanden, dem es nicht um ihren Status oder ihren Reichtum ging.

Will wurde gut bezahlt und es war meistens leicht verdientes Geld. Er leistete der Kundschaft einfach Gesellschaft und zeigte sich ihr gegenüber höflich und respektvoll. Es war nicht immer alles rosig verlaufen und er hatte im Verlauf des letzten Jahres auch einige unangenehme Situationen überstehen müssen, aber die Agentur stand hinter ihm und schien sich meistens auf die Seite ihrer Angestellten zu schlagen.

Er erreichte sein Wohnhaus an der Lower East Side, holte die Post aus dem Briefkasten und ging die drei Stockwerke hinauf zu der Wohnung, die er sich mit seiner Mom teilte. Die meisten Männer, mit denen er sich getroffen hatte, hatten nicht verstanden, warum er mit ihr zusammenlebte. Der Grund war zum einen, um ein Auge auf sie zu haben und zum anderen, um ihre Finanzen unter Kontrolle zu halten.

Das war auch der Grund gewesen, warum er letztes Jahr angefangen hatte, als Escort zu arbeiten. Es kostete Zeit und Geld, die Medikamente seiner Mom richtig einzustellen, nachdem sie einmal mehr im Krankenhaus gelandet war. Sie litt an Schizophrenie und zu Wills größten Ängsten gehörte nicht nur, dass er sie eines Tages auf tragische Weise daran verlieren könnte, sondern auch, dass er die Krankheit geerbt haben könnte. Die Statistiken besagten, dass sich die ersten Anzeichen einer entsprechenden Veranlagung schon im Kindesalter zeigten, manchmal auch erst bei Jugendlichen. Doch die Angst plagte ihn weiterhin, zusammen mit der Sorge, dass sie wieder in Geldsorgen geraten könnten.

Solange seine Mom ihre Medikamente nahm, ging es ihr gut. Aber wann immer sie eigenmächtig entschied, sie abzusetzen, brach die Hölle los. Dazu kamen dann Paranoia und Wahnvorstellungen, bis sie wieder genau dort waren, wo sie vor vielen Jahren angefangen hatten. Aus diesem Grund hatte sein Vater sie verlassen, als Will noch ein Kind gewesen war.

Nach dem College hatte Will in seiner eigenen Bruchbude gelebt. Doch vor drei Jahren war er bei seiner Mom eingezogen, damit er auf sie aufpassen und sich das Geld für die Miete sparen konnte. Abgesehen davon gab es nur sie beide und er musste dafür sorgen, dass sie in Sicherheit war.

»Alles klar, Mom?«, fragte er, nachdem er die Tür aufgeschlossen und einen raschen Blick in die Runde geworfen hatte. Es schien alles in Ordnung zu sein. Seine Mom saß in der Kleidung, die sie sich morgens angezogen hatte, auf der Couch und sah sich irgendetwas auf dem History–Sender an. Sie liebte Dokumentationen, aber manchmal verstärkten sie ihre Paranoia. Wenn schon nicht in Bezug auf Regierungsverschwörungen, dann wegen Aliens, die auf der Erde einfallen könnten.

»Ja, Schatz«, antwortete sie abgelenkt. »In der Küche steht ein Rest Pizza.«

An ein paar Tagen in der Woche nahm sie an einem Programm der Tagesklinik teil. Zudem arbeitete sie als Freiwillige bei einer Lebensmitteltafel nur eine Haltestelle entfernt, was ihr viel Freude bereitete. Will hoffte, dass sie sich eines Tages wieder selbst über Wasser halten konnte, war sich jedoch nicht sicher, ob das je ganz möglich sein würde. Die Schecks vom Sozialamt halfen, aber sie deckten nicht alle Kosten.

»Ich ziehe mich nur kurz um. Ich, äh, gehe heute Abend aus.« Er schämte sich nicht für seine Arbeit als Escort, doch er zog es vor, diese Information für sich zu behalten. Seine Mutter würde sich zweifelsohne dauernd sorgen, während andere etwas dagegen einzuwenden hätten besonders seine alten Freunde vom Theater. Die meisten würden es einfach nicht verstehen, aber ehrlich gesagt, ging das niemanden etwas an.

Als er sich von seinem Ex getrennt hatte, der einer der Stars einer Off–Broadway–Produktion gewesen war, hatte Will zusätzlich entschieden, seine Stelle als Backstage–Assistent aufzugeben. Um ehrlich zu sein, hatte er dringend eine Pause gebraucht und die Bezahlung war ohnehin miserabel. Er hatte einen Abschluss in bildender Kunst, aber nachdem er jahrelang Geld für Sprachunterricht und Schauspielkurse ausgegeben hatte, um durch einen passenden Lebenslauf in die Riege der Schauspieler aufgenommen zu werden oder eine kleine Rolle auf der Bühne übernehmen zu dürfen, hatte er genug. Laut einigen Freunden, die an größeren Produktionen teilgenommen hatten, verdoppelte sich dadurch das Gehalt, aber das war auch nicht viel besser. Die meisten Schauspieler hatten Nebenjobs, wie er wusste.

Schließlich hatte er im Backstagebereich eine feste Anstellung gefunden, aber es war ein hartes Geschäft und er war nicht überzeugt, ob er es immer liebte. Er wünschte, er hätte sich für einen anderen Beruf entschieden, der nicht so mörderisch war, besonders in einer großen Metropole. Es hieß, in kleineren Städten und Theatern wäre es leichter.

Er setzte sich mit einem Stück Pizza auf einem Papiertuch neben seine Mom, damit er es runterschlingen und sich auf den Weg machen konnte. »Worum geht es?«

»Um die Kennedy–Verschwörung«, antwortete sie abwesend. Er konnte nicht anders: Seine innere Antenne richtete sich auf. Aber als er sie von der Seite ansah, erschien sie ihm nicht sonderlich aufgeregt. Nicht wie sonst, wenn sie misstrauisch wirkte oder sich seltsam benahm. Soweit er wusste, nahm sie jeden Tag pünktlich ihre Medikamente.

Zugegenermaßen zählte er manchmal die Tabletten, um sich zu vergewissern. Tja, wer von ihnen war nun misstrauisch?

Vielleicht hätte er Psychologie studieren sollen, wenn er überlegte, wie viel er inzwischen über die Krankheit seiner Mom und den sozialen Dienst gelernt hatte. Obwohl es ein Jahr her war, dass er am Theater aufgehört hatte, fuhr er dennoch manchmal in die Stadt, nur um die bunten, strahlenden Lichter zu sehen. Und wenn er etwas Geld übrig hatte, stellte er sich am Ticketschalter an, um ein paar vergünstigte Karten für eine neuere Produktion zu ergattern.

Das half für eine kleine Weile gegen die Sehnsucht und abgesehen davon war es nicht so übel, im Home and Hearth zu arbeiten. Alle waren freundlich zu ihm und im Verkauf zu arbeiten, hatte auch ein wenig mit Schauspielerei zu tun – genauso wie in manchen Bereichen die Arbeit als Escort. Er wusste, wie er seine Karten richtig ausspielte, ohne zu dick aufzutragen. Für einen seiner Kollegen, der vermutlich der Topverkäufer des Ladens war, hatte er allerdings nicht viel übrig. Er war ziemlich nervig, wenn er ehrlich war.

Die Kunden schienen sich von Noah angezogen zu fühlen, und wenn Will raten sollte, hatte das mit seinem überzogen sonnigen Gemüt zu tun. Der Typ war wie ein Charakter aus Pleasantville, wenn es dort Schwule gegeben hätte. Immer perfekt gekleidet in Stoffhose und Hemd. Das Einzige, was nicht ins Bild zu passen schien, war sein kinnlanger, stets etwas unordentlicher Haarschnitt. Will würde für eine kupferbraune Mähne wie diese töten, weil sie das Licht so schön einfing. Aber das war auch schon das einzige Interessante an ihm.

Der ansonsten ziemlich mittelmäßig aussehende Noah verströmte sein Charisma erst, sobald die Kunden durch die Tür traten. Vermutlich hätte er einer Schlange Gift verkaufen können. Einfach unglaublich. An den meisten Tagen, an denen sie zusammen arbeiteten, schaffte Will es kaum, nicht die Augen zu verdrehen. Er fragte sich, ob Noah es je gut sein ließ und sich einfach entspannte, verdammt noch mal.

Noahs Zuhause stellte er sich vor, als wäre es einem Pottery Barn–Katalog entsprungen. Gleichzeitig fragte er sich, was Noah wohl von der Wohnung halten würde, die sich Will mit seiner Mutter teilte – sauber, aber heruntergekommen, bestückt mit Möbeln aus zweiter Hand und abgetretenen Teppichen.

Will unterbrach seine Gedanken, als ihm einfiel, dass eine zahlende Kundin auf ihn wartete.

Nachdem er sich in die einzige anständige Anzughose und Jackett geworfen hatte, die er besaß, ging er zur Tür. Er hoffte, dass seine Mom nicht auf ihn achten oder viele Fragen stellen würde. Das Glück war auf seiner Seite, denn sie warf ihm kaum mehr als einen Seitenblick zu, als er sich verabschiedete.

***

»Schön, dich wiederzusehen, Max«, sagte Louise zur Begrüßung, als er sie auf beide Wangen küsste. »Tut mir leid, dass es so kurzfristig war. Ich bin froh, dass du verfügbar warst.«

Max war der Name, unter dem er in der Escort–Agentur geführt wurde – eine Art Künstlername –, und er half ihm, genug Abstand zwischen der Kundschaft und sich zu wahren.

»Du siehst hinreißend aus, Louise«, erwiderte er und das Kompliment ließ sie erröten. Das warf für ihn die Frage auf, wie viele aufrichtige Reaktionen sie als hochrangige Geschäftsfrau vom anderen Geschlecht bekam.

Sie gingen durch die Eingangstür zum Wagen des Autoverleihs, der bereits auf sie wartete. Der Fahrer würde sie quer durch die Stadt zur Spendengala bringen. Will war gut darin, mit Menschen zu plaudern, doch er musste zugeben, dass er solche Angelegenheiten furchtbar langweilig fand. Also konzentrierte er sich auf das Ergebnis. Auf das Geld und das Wohlergehen seiner Mom.

Sie blieben ein paar Stunden, in denen Louise sich durch den Saal arbeitete und ihn als ihr Date vorstellte. Zwischendurch hielt er ihre Hand oder legte ihr seine ins Kreuz, weil sie das mochte. Sie war empfänglich für seine Aufmerksamkeit und Höflichkeit, besonders, wenn er ihr den Stuhl zurechtrückte oder an die Bar ging, um ihnen Getränke zu besorgen.

Sobald sie bei ihr zu Hause ankamen, fragte er sich, ob sie ihn mit nach oben bitten würde. In der Vergangenheit hatte sie das ein paar Mal getan und ihn aufgefordert, sie zu küssen oder im Arm zu halten. Um Sex hatte sie jedoch nie gebeten und dafür war er dankbar.

Sexuelle Handlungen wurden von den Vertragspartnern persönlich ausgehandelt. Die Escorts hatten mit dem Segen der Agentur das Recht, Nein zu sagen. Das war einer der Gründe, warum Will bei Gotham City unterschrieben hatte. Doch man hatte ihn gewarnt, dass ihn ein Stammkunde vielleicht nicht erneut buchen würde, wenn er sich Intimität verweigerte. Damit kam er zurecht, auch wenn das Trinkgeld, das er nach einem dieser Geschäfte hinter geschlossenen Türen erhielt, normalerweise ein wirklich netter Bonus war.

Doch dieses Mal gähnte Louise nur lange und küsste ihn anschließend auf die Wange, was ihm verriet, dass sie zu müde für einen Schlummertrunk war.

Nachdem Will zu Hause angekommen war und nachgeschaut hatte, ob seine Mutter friedlich schlief, war er zu aufgekratzt, um schon ins Bett zu gehen. Er machte kehrt und ging zum Café an der Ecke, um sich die Teemischung zu holen, die sein Freund Oren ihm für schlaflose Nächte empfohlen hatte.