Die Geliebte des Mörders

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Die Geliebte des Mörders
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Christian Macharski

Die Geliebte des Mörders

DORFKRIMI

Das Buch

Drei Jahre sind vergangen, seit ein schreckliches Verbrechen das kleine Dorf Saffelen heimgesucht hat. Mittlerweile ist wieder Ruhe eingekehrt in diesem idyllischen Dorf an der holländischen Grenze. Landwirt und Ortsvorsteher Hastenraths Will steht gerade vor einer privaten Herausforderung, als ihn die Schatten der Vergangenheit einholen. Wie aus dem Nichts taucht Hauptkommissar Peter Kleinheinz mit einer jungen Dame auf, für die er im Rahmen eines Zeugenschutzprogramms vorübergehend eine sichere Unterkunft sucht. Die Kronzeugin hat gegen eine gefürchtete Unterweltgröße ausgesagt und befindet sich in Lebensgefahr. Schon bald geraten die Dinge außer Kontrolle und die Mafia bekommt Wind von dem ländlichen Versteck. Schwer bewaffnet machen sich die Killer auf den Weg nach Saffelen. Doch sie haben die Rechnung ohne Hastenraths Will, Richard Borowka und Fredi Jaspers gemacht. Und so stehen sich am Ende Gut und Böse in einem blutigen Showdown gegenüber.

Der Autor

Christian Macharski wurde 1969 in Wegberg geboren. Seit 1991 ist er als Kabarettist und Autor tätig und entwickelte diverse Programme mit dem Comedyduo „Rurtal Trio“ sowie mehrere Soloprogramme. Darüber hinaus arbeitete Macharski als Autor für verschiedene Fernsehsender (WDR, SAT1, RTL) und war zehn Jahre lang Kolumnist bei den Aachener Nachrichten. Aktuell glossiert er für die Rheinische Post. Die Kunstfigur des Hastenraths Will verkörpert Macharski auch auf der Bühne, im Radio und im Fernsehen. „Die Geliebte des Mörders“ ist der siebte Teil der beliebten Dorfkrimi-Reihe um den ermittelnden Landwirt.

Außerdem als Taschenbuch erhältlich:

Das Schweigen der Kühe (ISBN 978-3-9807844-4-3)

Die Königin der Tulpen (ISBN 978-3-9807844-5-0)

Das Auge des Tigers (ISBN 978-3-9807844-7-4)

Die Rache des Waschbären (ISBN 978-3-9816638-4-6)

Der Tango des Todes (ISBN 978-3-9807844-8-1)

Die Höhle des Löwen (ISBN 978-3-9816638-0-8)

© 2016 by paperback Verlag

Alle Rechte vorbehalten. Abdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlags

Umschlaggestaltung: kursiv, Oliver Forsbach

Fotos: Wilfried Venedey, Marcus Müller

Lektorat: Kristina Raub

Satz & Layout: media190, Wilfried Venedey

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2017

ISBN 978-3-9816638-7-7

Die Personen und Handlungen der Geschichte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden und verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Die Protagonisten des Romans basieren auf Bühnenfiguren des Comedy-Duos Rurtal Trio.

Für Claudia

Inhalt

Cover

Titel

Das Buch/Der Autor

Impressum

Widmung

Prolog

1. Veränderungen

2. Der Fremde

3. Freunde fürs Leben

4. Ein alter Bekannter

5. Der Preis der Freiheit

6. Dunkle Schatten

7. Das Attentat

8. Das Geheimnis

9. Der Gänsehautkrimi

10. Das Wiedersehen

11. Großstadtlichter

12. Plan B

13. Kopfkino

14. Die Schlangengrube

15. Planänderungen

16. Der Hinterhalt

17. Katerstimmung

18. Der Krisenstab

19. Das Paket

20. Das Gesetz der Prärie

21. In der Falle

22. Die Explosion

23. Zwei Welten

24. Die Hütte im Wald

25. Der Strohhalm

26. Das Geschenk

27. Der einsame Held

28. Bittere Wahrheiten

29. Der Austausch

30. Nebelschwaden

31. Der Showdown

32. Das Versprechen

33. Der leise Tod

34. Auf des Messers Schneide

35. Das Plädoyer

36. Der Abschied

37. Ohrenbetäubende Stille

Epilog

Danksagung

Die Dorfkrimi-Reihe mit Hastenraths Will

Prolog

Big Bongo verschränkte die Hände hinter seinem Stiernacken und blickte zufrieden an die stuckverzierte Decke des Schlafzimmers. Big Bongos bürgerlicher Name war Karl-Heinz „Kalle“ Kretzschmar, aber so nannte ihn hier in Frankfurt schon seit über 30 Jahren niemand mehr. Angefangen hatte er Ende der 80er Jahre als Türsteher im „Mon Ami“, aber der kleine Kalle aus Offenbach hatte sich schon früh Respekt verschafft, vor allem mit seinen gefürchteten Rechts-Links-Kombinationen. Diese Gabe verhalf ihm auch zum Nulltarif zu seinem ersten Mädchen. Die Abstecke, also die Ablösegebühr, sparte er sich durch einen einzigen spektakulären Schlag, der seinem Kontrahenten einen Schädelbasisbruch bescherte. Schnell wuchs die Zahl der Mädchen und „Bongo“, wie er sich zu dieser Zeit noch nannte, eröffnete sein erstes Laufhaus auf der Taunusstraße. Gefürchtet wegen seiner Brutalität, wurde er bald immer mächtiger. Natürlich wehrten sich in dieser Zeit einige Etablierte und versuchten, dem Emporkömmling das Licht auszublasen. Doch Bongo überlebte Schlägereien, Messerstiche und sogar einen Bauchschuss. Den Zusatz „Big“ erhielt er schließlich nach einer legendären Straßenschlacht auf der Elbestraße, von der noch lange ehrfürchtig gesprochen wurde. Ab da war er der König des Kiez. Und so war es bis heute geblieben, auch wenn der Job rauer wurde. Aber Big Bongo war clever. Er hatte als einer der Ersten gespürt, dass die Zeit der klassischen Rotlichtgrößen zu Ende ging. Nach und nach verschwanden Legenden wie „Der schöne Dieter“, „Neger-Nobby“ oder „Knockout-Charlie“ von der Bildfläche und Albaner und Russen übernahmen die Geschäfte. Brutale und skrupellose Banden und Großfamilien, die mit alter Kiez-Romantik nichts am Hut hatten. Aber skrupellos war Big Bongo auch und er hattefrühzeitig Allianzen mit den Hells Angels und anderen einflussreichen Gangs geschlossen, um sein Revier zu verteidigen. Dass ihm dies bis heute gelungen war, erfüllte ihn mit Stolz. Er hatte sich eine kleine Entourage von Vertrauten geschaffen, die ihm treu ergeben war und auf die er sich blind verlassen konnte. Und dann war da noch Mariella Romano, die sich vor zehn Jahren bei ihm vorgestellt hatte. Big Bongo, der alle seine Mädchen persönlich aussuchte, hatte gleich erkannt, dass Mariella nicht ins Bordell gehörte, auch wenn sie aufgrund ihrer italienischen Wurzeln mit ihrem Exotenfaktor gut fürs Geschäft gewesen wäre. Doch noch bevor er sie wieder wegschicken konnte, hatte er sich schon heillos in sie verliebt. Sie war so anders als jede Frau, die er vorher hatte. Und er hatte viele gehabt, sich aber nicht in eine davon verliebt. Mariella dagegen strahlte unter der Schminke, die sie viel zu dick aufgetragen hatte. Ihrer eigentümlichen Würde konnte er sich nicht entziehen. Ausgerechnet er, der Abgebrühteste von allen, fing Feuer für eine Frau von gerade mal 25 Jahren, die ihm mit ihrer gefährlichen Mischung aus Unschuld und Unnahbarkeit gegenübersaß. Vielleicht waren es zu Beginn auch nur ihr schöner Körper und ihre leichten Bewegungen, doch schon nach wenigen Wochen wusste er, dass sie die Frau seines Lebens war. Mit so etwas hatte er gar nicht mehr gerechnet. Schon gar nicht in seiner Branche und erst recht nicht mit seinem kaputten Lebenslauf.

 

Big Bongo beugte sich hinüber zum Nachttisch und fischte sich eine Zigarette aus der Packung. Durch die Bewegung erwachte Mariella, die mit dem Kopf auf seiner von eindrucksvollen Narben übersäten Brust gelegen hatte. „Was ist?“, fragte sie im Halbschlaf.

„Alles gut“, antwortete Big Bongo, „schlaf weiter.“

Es war noch sehr früh am Morgen. Er zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch in den Raum. Heute stand ihm ein anstrengender Tag bevor. Er wollte sich persönlich um den Portier eines seiner Etablissements kümmern, den er im Verdacht hatte, krumme Geschäfte hinter seinem Rücken abzuwickeln. Bei so was kannte Big Bongo keine Gnade. Er hatte schon einige, die Ähnliches versucht hatten, spurlos verschwinden lassen. Er kommentierte das im kleinen Kreis gerne damit, dass er für einen „Interessenausgleich“ gesorgt hatte. Big Bongo musste grinsen, als er darüber nachdachte. Er hatte sich auch schon was Schönes überlegt für den bald ehemaligen Portier seines „Wonderland Clubs“.

Ein lautes Geräusch aus dem Flur ließ ihn aus seinen Gedanken hochfahren. Mariellas Kopf wurde zur Seite geschleudert und sie erwachte mit einem Schrei. Big Bongo riss die Nachttischschublade auf, aber noch bevor er seine Beretta herausziehen konnte, flog die Schlafzimmertür auf und vier schwer bewaffnete und vermummte SEK-Beamte standen mit auf ihn gerichteten Maschinenpistolen vor ihm. „Hände hoch. Umdrehen auf den Bauch!“, brüllte jemand.

Während ein Beamter sich auf seinen Rücken setzte, um ihm Handschellen anzulegen, trat ein groß gewachsener Mann mit Helm und hochgeklapptem Visier ins Zimmer. Seinem Auftreten nach tippte Big Bongo darauf, dass es sich um den Einsatzleiter handeln musste. Jetzt war er aber mal gespannt. Was sollten sie schon gegen ihn in der Hand haben? Big Bongo gehörte nicht umsonst zu den wenigen Milieugrößen, die noch nie im Knast gesessen hatten. Selbst für seine Beretta besaß er einen Waffenschein. Ganz abgesehen von seinen Geschäften. Die Verbindungen waren so geschickt gesponnen, dass ihm niemand etwas nachweisen konnte, und von der Handvoll Menschen, die Bescheid wussten, wie es läuft, würde ihn keiner verraten. Jedenfalls keiner, dem sein Leben noch etwas wert war. Aber irgendeiner hatte gesungen, anders war dieser Einsatz nicht zu erklären. Big Bongo schwor sich: Sollte er einfahren, würde der Verräter dafür mit einem qualvollen Tod büßen. Der SEK-Mann riss ihn hoch. Direkt vor dem Einsatzleiter kam er auf die Beine. Ein Lächeln umspielte dessen Mund, während er in sein Kopfmikrofon sprach: „Aktion beendet. Zielobjekt wurde festgenommen.“ Big Bongo schnaubte wütend und drehte sich zu seiner Mariella um, die neben dem Bett stand und ihn traurig ansah. Tränen liefen über ihr Gesicht, aber ihre Stimme klang ungewöhnlich gefasst, als sie sagte: „Es tut mir leid.“

Im ersten Moment wusste Big Bongo nicht, was sie damit meinte. Aber dann verstand er und der Satz explodierte in seinem Kopf wie eine Handgranate.

Veränderungen
1

Freitag, 5. Juni, 9.10 Uhr

Hastenraths Will stiefelte schwer atmend die Treppenstufen hoch. Seine Knochen knackten und auf seiner Stirn bildete sich kalter Schweiß. Er hob den Kopf. Der Flur des ersten Stocks schien ihm so weit entfernt wie die Spitze des Mount Everests. Unfassbar! Damals, vor über 30 Jahren, als er sein Elternhaus zusammen mit seiner frisch angetrauten Frau Marlene übernommen hatte, war er diese Treppe stets leichtfüßig und zwei Stufen auf einmal nehmend hochgejagt. Vor allem, wenn seine Frau zuvor im Wohnzimmer eindeutige Signale ausgesendet hatte, bevor sie sich mit einem geheimnisvollen Lächeln nach oben zurückgezogen hatte. Doch diese Art von Signalen war ebenso versiegt wie Wills Körperkraft, die von jahrzehntelanger harter Arbeit in der Landwirtschaft aufgezehrt war. Der Spätsommer des Lebens verlangte seinen Tribut. Die Leichtigkeit der jungen, wilden Jahre war längst dahin. Zwar hatte Will es schon am Tag der Hochzeit trotz verzweifelter Versuche nicht geschafft, Marlene in den ersten Stock zu tragen, aber das hatte nicht an ihm gelegen, sondern daran, dass seine Frau schon damals kein Leichtgewicht war. Heute würde ihm ohnehin jeder verantwortungsvolle Orthopäde von solchen Aktionen abraten.

Keuchend erreichte Will den oberen Treppenabsatz. Als er in das Zimmer sah, in dem Richard Borowka gerade einen neuen Bohrer in die Bohrmaschine einspannte, fragte er sich, warum er sich diesen Stress auf seine alten Tage überhaupt noch antat. Den ersten Stock hatte er in den letzten Wochen mithilfe von Freunden und Bekannten zu Pensionszimmern umgebaut. Mit Ausnahme des eigenen Schlafzimmers waren nun alle Räume in Gästezimmer verwandelt worden. Tochter Sabine hatte gleich zwei Kinderzimmer mit Verbindungstür besessen, es gab das alte Bügelzimmer und auch Wills Großeltern hatten bis zu ihrem Tod im großzügigen Obergeschoss gelebt. Wenn es in diesem Bauernhof an einem nicht mangelte, dann an Wohnraum. Erst recht, wenn man sich, wie Will, um lästige Formalitäten wie Baugenehmigungen wenig scherte.

Der Umwidmung der Räumlichkeiten in Hotelzimmer waren intensive Gespräche vorausgegangen, in denen Marlene Hastenrath ihren Mann davon überzeugt hatte, dass die Landwirtschaft in der Form, in der sie sie betrieben, auf lange Sicht nicht mehr zum Leben reichen würde. Gegen die industrielle Landwirtschaft war als kleiner bäuerlicher Familienbetrieb mit ein bisschen Viehwirtschaft und einem kleinen Kartoffel-ab-Hof-Verkauf einfach nicht anzukommen. Und so waren, dank intensiver Nachbarschaftshilfe, innerhalb kürzester Zeit vier rustikale Gästezimmer entstanden, mit allem, was nötig war, um eine Anerkennung als Hotel Garni zu erhalten. Um den Papierkram hatte Marlene sich gekümmert. Sie würde später auch die Leitung der Frühstückspension übernehmen, während Will für die Bespaßung der jüngeren Gäste eingeplant war. Seiner Frau schwebten dabei zwar Dinge wie Schweinefüttern oder Stallausmisten vor, aber Will hatte noch weit mehr auf Lager. Seinen Vorschlag, als besonderen Freizeitspaß ein Bananenboot hinter seinen Hanomag zu hängen und mit den Kindern darauf über die Felder zu rasen, hatte seine Frau zwar aus Sicherheitsgründen verworfen, aber er hatte noch viele andere gute Ideen. Die Kleinen könnten ihm zum Beispiel helfen, Kälbchen aus der Kuh zu ziehen, oder sie könnten ihm bei der Handbesamung assistieren oder heimlich die Spritzen mit den Wachstumshormonen aufziehen. Es gab so viel zu entdecken auf einem Bauernhof. Will hatte sogar darüber nachgedacht, als besondere Attraktion wieder Hühner anzuschaffen. Nicht nur das Eiersuchen hatte seinen Enkelkindern immer große Freude bereitet, sondern auch das Schlachten der Tiere. Wie oft war ein geköpftes Huhn noch sekundenlang herumgelaufen? Manche waren sogar noch bis aufs Dach geflattert. Für seine beiden Enkelkinder, Kevin-Marcel und Justin-Dustin, die früher fast täglich auf dem Hof gespielt hatten, war das immer wieder ein Heidenspaß gewesen.

Die Eröffnung von „Wills Wald- und Wiesenparadies“ stand unmittelbar bevor, wobei Marlene noch Bedenken hatte, es bei diesem Namen zu belassen. Sie wollte lieber bescheidener und im Stillen starten, um sich langsam an ihre neue Aufgabe heranzutasten. Will hingegen plante eine große Eröffnungsparty, zu der er sogar versuchen wollte, den Landrat als Festredner einzuladen. Kein leichtes Unterfangen, hatte sich doch das ohnehin belastete Verhältnis zum obersten Kommunalbeamten des Kreises Heinsberg noch weiter verschlechtert durch die unglücklichen Vorfälle bei der Verleihung des Verdienstordens nach dem letzten erfolgreich gelösten Kriminalfall, bei der Will den Spitzenpolitiker aus Versehen in eine peinliche Situation und damit auf sämtliche Titelseiten des Landes gebracht hatte. Aber auch für den Fall, dass der Landrat ihm immer noch böse sein sollte, obwohl dieser nicht nur sein Parteikollege, sondern Will als Ortsvorsteher von Saffelen sogar fast eine Art Amtskollege war, hatte der Landwirt vorgesorgt. Festredner hatte er genug andere in petto, dazu plante er ein großes Feuerwerk und eine Hoffete, auf der er zum großen Finale die Cover-Rockband „Top Sound“ auftreten lassen wollte. Für die hatte Will sich entschieden, weil sie mit Abstand die Billigste war und ihre eigene Anlage mitbrachte.

Doch bevor es so weit war, galt es noch, die letzten Restarbeiten zu erledigen. Richard Borowka hatte sich extra, um Will zu helfen, bei seinem Arbeitgeber Auto Oellers für zwei Wochen krankschreiben lassen. Die Zeit drängte, da er ab Montag wieder würde arbeiten müssen. Leider hatte Saffelens bester Schwarzarbeiter keinen guten Tag erwischt. Schon zweimal hatte er im Lauf des Vormittags eine Stromleitung angebohrt, woraufhin der FI-Schalter im Keller herausgeflogen war. Entsprechend außer Atem war Will, nachdem er zum wiederholten Mal die Treppe rauf- und runtergegangen war. Abgekämpft lehnte der Landwirt nun im Türrahmen und beobachtete, wie Borowka den Bohrer mit dem Bohrfutterschlüssel fest anzog, um die Haken für den Badezimmerschrank anzubringen. „Ich hoffe, diesmal triffst du besser. Ich wollte nämlich irgendswann mal fertig werden“, sagte Will.

„Keine Panik“, antwortete Borowka gelassen, „so doof kann ja keiner sein, dreimal hintereinander eine Stromleitung zu erwischen. Hör mal, Will, ich hab gesehen, dass in das Haus, wo der Kommissar Kleinheinz damals gewohnt hat, neue Leute eingezogen sind. Ist das verkauft?“

Will zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Marlene versucht gerade, das rauszufinden. Es hat ja jetzt lange leer gestanden und leicht ist das bestimmt nicht zu verkaufen mit die tragische Vorgeschichte.“

„Das Mordhaus!“, murmelte Borowka und seine Nackenhaare stellten sich auf, als er an die dramatischen Ereignisse dachte, die sich vor nunmehr drei Jahren dort zugetragen hatten. Er sah Will an. „Hast du eigentlich jemals wieder was von der Kleinheinz gehört?“

„Nee, nix. Nach die schlimme Sache mit seine Verlobte war der total verändert. Ich hab dem danach nur noch zweimal getroffen, bevor der weggezogen ist. Und das auch nur zufällig, wie der seine Sachen aus dem Haus am Holen war. Ein Bekannter von mir, beziehungsweise der Kegelbruder von dem sein Schwager, der ist auch bei der Polizei in Heinsberg beschäftigt und der hat erzählt, dass Kleinheinz zum LKA Hessen gegangen wär. Aber bei mir hat der sich nie mehr gemeldet.“

„Der war ja immer was komisch. Typisch Zugezogener“, konstatierte Borowka und hakte das Thema damit für sich ab.

Wills Gedanken jedoch kreisten noch etwas länger um die Vergangenheit. Obwohl er sich nie viel aus Gefühlen gemacht hatte, war ihm die Geschichte mit Peter Kleinheinz sehr nahe gegangen. Gemeinsam hatten sie viele schwierige und lebensgefährliche Situationen erlebt und waren am Ende sogar Freunde geworden. Der grußlose Abschied des Kommissars hatte den Landwirt getroffen. Mittlerweile waren zwar schon drei Jahre vergangen und in das kleine Dorf Saffelen war zum Glück längst wieder Ruhe eingekehrt, aber Will hing der verrückten Zeit gedanklich noch oft nach. Schließlich war es auch die aufregendste Zeit seines Lebens gewesen. Um sich abzulenken, fragte er: „Wie geht es eigentlich Rita und der kleine Jerome? Die sind doch jetzt bestimmt schon anderthalb Wochen weg, oder?“

Rita war die Frau von Borowka und Jerome der zweieinhalbjährige Sohn. Die Beiden befanden sich in Mutter-Kind-Kur, weil die ungeplante, späte Elternschaft zu Spannungen und Überforderungen geführt hatte. Insbesondere Borowka hatte sich mit seiner neuen Rolle als Vater schwergetan. Verantwortung lag ihm nicht besonders. Rita hingegen ging zwar in ihrer Rolle als Mutter auf, aber auch sie hatte die Veränderungen, die die Geburt mit sich brachte, unterschätzt. „Sieben Tage sind die jetzt weg“, sagte Borowka. „Wir telefonieren aber jeden Tag und Rita geht es schon viel besser. Und – ganz ehrlich – mir auch. Es hat sich die ganze Zeit immer nur noch alles um der Jerome gedreht. Ich konnte gucken, wo ich bleib. Aber das Schlimmste war, dass ich mit der Verlust von mein Ford Capri ganz alleine fertig werden musste. Und jetzt? Was ist nur aus mir geworden? Ich fahr jetzt ein VW Passat.“

 

Tränen stiegen ihm in die Augen, während Will ihm väterlich die Hand auf die Schulter legte. „Das wird schon wieder. Ich weiß genau, wie du dich fühlst. Ich bin damals auch ganz unerwartet Vater geworden. Gut, nicht so unerwartet wie Josef von Josef und Maria“, er lachte über seinen spontanen Scherz, wurde aber gleich wieder ernst, „aber trotzdem. Ich weiß, was das für eine Umstellung ist. Du musst dir vorstellen, damals, wie die Marlene mir eröffnet hat, dass sie schwanger ist, da war ich ja noch wie ein wilder, ungesattelter Hengst auf der Koppel. Und auf einmal war alles vorbei. Ich kann mich noch gut erinnern, wie die Marlene für mich sagte: ‚Wir sind bald zu dritt.‘ Da war mein erster Gedanke: ‚Ach du Scheiße – Schwiegermutter zieht bei uns ein.‘ Aber zum Glück war Marlene nur schwanger … Auf jeden Fall, was ich damit sagen will: Es könnte immer noch schlimmer kommen.“

Borowka nickte: „Ja, du hast recht. Rita hätte schließlich auch auf ein Volvo bestehen können.“

„Siehst du. Komm, ich hol uns mal ein Stützbier.“ Während Will das Badezimmer verließ, setzte Borowka die Hilti an und ohrenbetäubender Lärm ließ die Grundmauern erzittern. Als Will gerade den Treppenabsatz erreicht hatte, erstarb das Bohrgeräusch und Borowka schrie entsetzt: „Ach du Scheiße!“

Will riss den Kopf herum und rief erschrocken: „Was ist passiert? Schon wieder die Stromleitung?“

„Nein. Ich bin doch nicht bescheuert …“, antwortete Borowka, „… diesmal ist es die Wasserleitung.“