Read the book: «Das Blutsiegel von Isfadah», page 3

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Arko

Die Stunden vergingen in quälender Langsamkeit. Man gab ihm weder zu essen noch zu trinken und er fühlte sich schwach und krank. Die Nacht war kalt gewesen. Dieser Umstand, gepaart mit seinen nassen Sachen, hatte dazu geführt, dass Arko fieberte und inzwischen auch stark husten musste. Dazu kam, dass seine verbrühte Haut wahnsinnig schmerzte und sich an einigen Stellen Blasen gebildet hatten, die sich jetzt öffneten und schnell infizieren konnten.

Als er Kamir, Farids Knappen, in der Nähe sah, wie dieser die Stiefel seines Herren putzte, gab er ihm unauffällig zu verstehen, dass er mit ihm reden musste. Zögernd und sich vorsichtig umschauend näherte sich der etwa fünfzehnjährige Junge Arkos Gefängnis. Jedoch nur so weit, dass er ihn verstehen konnte.

„Was wollt Ihr? Es ist verboten mit Euch zu sprechen“, flüsterte er ängstlich.

„Sag mir, wie es deinem Herren geht! Wird er es schaffen?“, fragte Arko besorgt. Als der Junge zögerte, fügte er eindringlich hinzu: „Ich schwöre dir bei Gott, dass ich nichts mit der Sache zu tun habe! Egal was für Beweise sie zu haben glauben.“

Kamir schien einen inneren Kampf auszufechten, aber dann gab er ihm doch eine Antwort.

„Er hat die Nacht überlebt. Der Medikus glaubt, dass er den Tod damit besiegt hat.“

Arko atmete auf. Wenigstens eine gute Nachricht!

Ein Stück entfernt wurden die Wachen aufmerksam. „He, Bursche, was geht da vor sich? Du weißt wie der Befehl lautet. Scher dich weg da, sonst setzt es was!“ Zur Untermalung seiner Drohung hielt er eine Reitgerte in die Höhe. Ohne ein weiteres Wort machte sich der Junge aus dem Staub und ließ Arko mit seinen Fragen allein.

Im Laufe des Tages verschlechterte sich sein Zustand rapide. Der Husten machte sich schmerzhaft in seiner Brust breit und das Fieber trieb ihm den Schweiß aus den Poren. Irgendwann wurde seinen Bewachern klar, dass etwas nicht stimmte. Wie durch eine Wand hindurch drang eine Unterhaltung in Arkos Bewusstsein.

„Sieh ihn dir an! Der sieht aus, als würde er nicht mehr lange machen. Wenn wir nicht aufpassen, stirbt er uns weg, bevor er in Isfadah vor Gericht steht.“

„Soll er doch verrecken!“, meinte eine andere Stimme. „Ich heule diesem feigen Mörder keine Träne nach.“

„Das mag sein“, erwiderte der erste Redner, „aber ich glaube nicht, dass das im Sinne des Prinzen und der Königin wäre. Am Ende zieht man uns zur Verantwortung.“

„Dann lass ihn halt was trinken. Vielleicht hat er nur Durst.“

Arko spürte wie man ihm Wasser einflößte und schluckte gierig. Jedoch linderte es nur die Trockenheit in seinem Hals und würde nicht das Fieber senken, welches ständig zu steigen schien. Willenlos gab er sich seinem Dämmerzustand hin.

Etwas später wurde er rüde wachgerüttelt. „Prinz Farid will dich sehen. Bewege deinen Hintern! Und keine Sperenzchen!“, warnte einer der Wächter und hielt ihm drohend ein Messer entgegen, während er den Käfig öffnete.

„Wovor hast du Angst? Dass ich dir an die Kehle springe und mich in deinen Hals verbeiße? Da kann ich dich beruhigen. Der ist mir entschieden zu dreckig“, sagte Arko beinahe amüsiert. Das brachte ihm einen derben Stoß in die Rippen ein, der ihn wegen seines geschwächten Zustands beinahe von den Füßen riss.

'So ist der Lauf des Lebens' , dachte er. 'Noch vor zwei Tagen hätte der Kerl sich geehrt gefühlt, wenn ich ihm auch nur zugeprostet hätte, jetzt behandelt er mich wie Schweinedreck.'

Mühsam schlurfte er, seinen Bewacher im Rücken, zu Farids Zelt. In ihm wuchs die Hoffnung, dass sich jetzt alles aufklären würde und er schon morgen diesen Kerl wieder in seine Schranken weisen könnte. Doch noch saß der andere am längeren Hebel und zwang ihn vor Farids Krankenlager auf die Knie.

„Was ist mit ihm passiert?“, hörte er Ammons Halbbruder fragen und blickte auf. Im Gesicht des alten Freundes stand deutlich dessen Abscheu und Unglaube geschrieben. „Ihr solltet ihn bewachen und nicht umbringen!“, herrschte Farid den Wachmann an. „Er ist ein hochrangiger Adliger und ihm steht eine faire Behandlung zu.“

Er sah Arko jetzt direkt in die Augen und plötzlich trat der Ausdruck von Zorn in das ungewöhnlich blasse Gesicht. „Auch, wenn er diese feige Tat begangen hat ...“

Bei seinen letzten Worten verflüchtigte sich Arkos Hoffnung auf eine Erlösung von diesem Albtraum. Farid schien diesen absurden Vorwurf, er wäre der Mörder des Königs und beinahe auch der seine, nicht entkräften zu wollen.

Von einem Schwächeanfall geplagt, ließ sich der verletzte Prinz in die Kissen zurücksinken.

Arko nutzte dessen Schweigen und richtete das Wort an ihn. „Farid, was soll das? Du weißt genau, dass ich Ammons Zelt als Erster verlassen habe. Ich bin kein Mörder. Ich habe Ammon geliebt! Das weißt du. Genau wie ich dich liebe! Warum in Gottes Namen sollte ich so etwas Unglaubliches tun?“

Noch bevor Farid sich äußern konnte, vernahm Arko ein Räuspern aus einem nur schwach beleuchteten Winkel des Zeltes. König Halan trat ins Licht. „Diese Frage kann ich Euch beantworten. Ihr gestattet?“, fragte er mit einem Blick zu Farid, der traurig nickte. „Unser Medikus hat den Leichnam des Königs untersucht. Dieser wies, genau wie Prinz Farid, die gleiche Wunde auf. Die eines Zweizacks, so wie ihn meine Krieger verwenden.“

Arko war kurz davor, sich darüber zu freuen, dass er jetzt entlastet würde, doch etwas im Tonfall des Königs hielt ihn davon ab.

„Die Beweise sprechen eindeutig dafür, dass Ihr der Täter wart. Euer Plan war gut, doch wie es scheint, wart Ihr zu besoffen, um ihn fehlerfrei zu Ende zubringen.“

„Was redet Ihr da? Ich würde niemals ...“

Mit einer Handbewegung brachte Halan ihn zum Schweigen. „Euer Plan sah wie folgt aus: Ihr habt Euch die Waffe eines meiner Männer beschafft. Damit wolltet ihr Ammon und Farid gleichzeitig aus dem Weg schaffen, da Ihr so, als Vetter des Königs, der nächste Thronanwärter wäret. Natürlich nur, sofern Ismee keinen Jungen zur Welt bringt. Doch auch dann wäret ihr bis zu dessen Mündigkeit, als Vormund, der Regent des Landes. Und bis dahin hätte dem Jungen viel passieren können ... Euer Problem war, dass Ihr Euch zu viel Mut angesoffen habt. So wart ihr nicht in der Lage festzustellen, dass Farid noch am Leben war, geschweige denn, die Spuren zu verwischen. Anderenfalls wäre der Verdacht auf uns gefallen.“

Arko traute seinen Ohren kaum. Sein ungläubiger Blick suchte den Farids. Was er darin sah war keineswegs beruhigend. Doch noch wollte er nicht aufgeben. „Farid, sag ihnen endlich, dass das alles Unsinn ist. Wer immer das getan hat, ich war es nicht!“

Farid schüttelte nur langsam den Kopf. „Arko, wie konntest du nur? Bei allem, was wir gemeinsam erlebt und geteilt haben?“

„Farid!“ Arko sprang auf und wollte sich ihm nähern, wurde jedoch erneut brutal auf die Knie gezwungen.

„Lass es, Arko! Ich habe dich gesehen. Ich habe gesehen, wie du Ammon getötet hast. Und ich habe gespürt und gesehen, wie du denselben Zweizack in meinen Leib getrieben hast. Also hör auf mit deinen Lügen! Es wird dir nichts nützen. Nur im Gedenken an unsere langjährige Freundschaft bin ich bereit, dir einen offiziellen Prozess zu ermöglichen. Doch eines ist sicher: Am Ende wirst du für deine Taten büßen.“ Farid, den das Reden deutlich angestrengt hatte, schloss seine Augen. „Bringt ihn fort und macht alles für unsere Abreise fertig!“

Arko ließ sich willenlos zu seinem Käfig zurückbringen. Das alles hatte ihn noch mehr verwirrt, als er zuvor schon war. Was in Dreiteufelsnamen ging hier vor sich? Begann er verrückt zu werden? War er schlafgewandelt und hatte dabei die Anschläge auf seine besten Freunde begangen? Aber wie war er an diese Waffe gekommen? Das alles ergab keinen Sinn. Angestrengt dachte er darüber nach, ob ihn vielleicht jemand in König Halans Auftrag unter Rauschmittel gesetzt haben könnte und er sich deshalb an nichts mehr erinnerte. Doch zu einem derartigen Komplott hätte man ihm mit Sicherheit keine so verräterische Waffe untergeschoben. Auch das ergab keinen Sinn, egal wie man es drehte. Oder gehörte das auch zum Plan, um glaubhafter zu machen, dass Arko wiederum Halan die Schuld in die Schuhe schieben wollte? Wer auch immer dahinter steckte, er hatte ganze Arbeit geleistet.

Sich nähernde Schritte rissen ihn aus seinen Gedanken. „Danke Gott dafür, dass der Prinz so gnädig ist! Auf seinen Befehl hin sollst du bis zur Abreise in dein Zelt gebracht werden. In Ketten zwar, aber immerhin ist es dort deutlich bequemer.“ Eher widerwillig half man dem stark geschwächten, fiebernden Arko aus dem Käfig und schubste ihn in Richtung seines Zeltes. Ringsum herrschte reges Treiben. Alle waren damit beschäftigt, einzupacken.

„He, hat einer von euch den Vogelkäfig aufgelassen? Es fehlt ein Botenrabe“, rief jemand.

„Keine Ahnung“, antwortete ein anderer mürrisch. „Vielleicht hat ihn jemand gebraten. Wäre kein Wunder bei dem Fraß hier.“ Die umstehenden lachten beifällig. Alles schien wie immer zu sein, doch in Wirklichkeit war nichts mehr so wie noch vor ein paar Tagen.

Als sie das Zelt betraten, legte man Arko schwere Fußfesseln an und ließ ihn auf sein Lager legen. Zumindest das war eine Wohltat für seinen geplagten Leib.

'Die Ketten hätten sie sich sparen können', dachte er bitter. 'Ich wäre niemals in der Lage, allein zu fliehen.'

Schon das Ändern seiner Liegeposition brachte ihn an seine Leistungsgrenzen. Der Husten, der sich eingestellt hatte, wurde auch nicht besser.

'Wenn ich Glück habe, verrecke ich, bevor sie mir vor den Augen ganz Isfadahs den Kopf abhacken', dachte er resigniert.

Wenn ihm nicht sogar eine brutalere Hinrichtung drohen würde ...

Finea

Finea hatte das Gefühl gehabt, es wäre eine Ewigkeit vergangen, bis sich endlich die Tür öffnete und Sina eintrat. „Endlich! Den Göttern sei Dank“, stieß sie erleichtert aus.

Eilig legte die Großpriesterin ihren Umhang ab und trat an das Bett der Gebärenden. Die Königin sah besorgniserregend blass aus und dicke Schweißperlen standen auf ihrer Stirn. Sie war nicht ansprechbar. Besorgt überprüfte Sina Ismees Puls und tastete ihren Leib ab.

„Es liegt verkehrt herum“, bestätigte sie Finea, was diese schon geahnt hatte. Eilig begab sich die Großpriesterin zur Tür und gab den Dienern Anweisung, dass sie bis auf Weiteres keine Störung wünschten, es sei denn, sie würden nach Hilfe verlangen. Dann kehrte sie rasch an die Bettstatt zurück. Mit geübten Griffen versuchte sie, das Kind zu drehen. Zunächst von außen, doch als das nichts nützte, machte sie sich daran, das Laken zurückzuschlagen.

„Halt sie fest! Ich werde diesem Kind lebend auf die Welt helfen, koste es was es wolle“, sagte Sina entschlossen, bevor sie zur Tat schritt. Ein langer gellender Schrei entfuhr der eben noch besinnungslosen Königin, als die Großpriesterin ihr die Hand weit in den Leib schob. Inzwischen rann auch ihr der Schweiß in dicken Rinnsalen die Stirn hinunter. Unter voller Konzentration und unter Aufwendung all ihrer Kräfte gelang es Sina schließlich, das Kind in die richtige Position zu schieben. Nun war es an der Königin, den nicht unerheblichen Rest zu erledigen. Doch die schien sich wieder in ihre Bewusstlosigkeit gerettet zu haben.

„Hol mir bitte das Riechsalz! Schnell!“ Finea gab ihr das Gewünschte und so gelang es ihnen, Ismee wieder aufzuwecken.

„Majestät, Ihr müsst jetzt mitarbeiten, sonst hat Euer Kind keine Chance zu überleben. Und Ihr seid ebenfalls in Gefahr!“

Ismee nickte fast unmerklich und mobilisierte ihre buchstäblich letzten Kräfte. Die Presswehen waren heftig und halfen ihr dabei, das Kind in diese Welt zu befördern. Mit einem letzten markerschütternden Schrei bäumte sich Ismee auf und das Neugeborene glitt aus ihrem Leib. Sie selbst bekam davon allerdings nichts mehr mit, denn eine neue Welle der Bewusstlosigkeit riss sie mit sich fort. Mit geübten Handgriffen nabelte Sina das Kleine ab und wickelte es in großer Eile in weiche Tücher.

„Kümmere dich um die Nachgeburt!“, wies sie die verwunderte Finea jetzt an.

Diese tat, wie ihr geheißen. „Was ist es denn? Und ist es gesund?“

Doch Sina gab ihr keine Antwort, sondern nahm sich eine Kerze vom Tisch und schwenkte sie vor einem der Fenster. Dann sah sie Finea eindringlich an. „Hör zu, du musst mir jetzt vertrauen! Ich erkläre dir später alles.“ Mit einem kontrollierenden Blick auf die geschwächte Mutter trat sie, das Kind auf dem Arm, dicht an Finea heran und flüsterte ihr zu: „Alles was jetzt geschieht, darf niemand außer uns beiden erfahren. Es geht um das Leben des Thronfolgers und die Zukunft dieses Landes.“

Sie legte das Kind, einen rosigen Knaben, am Fußende des Bettes ab und machte sich nun daran, der Königin die Kette abzunehmen, die ihr Ammon einst zur Hochzeit geschenkt hatte. Der Anhänger hatte die Form zweier sich überschneidender Kreise. Ein Zeichen für ihre untrennbare Verbindung.

„Wo ist das Betäubungsmittel?“, fragte Sina jetzt kurz angebunden.

Finea reichte ihr das Gewünschte.

Im Gegenzug gab Sina ihr den Anhänger. „Lege ihn ins Feuer!“, befahl sie. Dann betäubte sie das Neugeborene mit ein paar Tropfen des Mittels auf einem Tuch, das sie ihm über Nase und Mund legte. „Schnell! Gib mir den Anhänger! Die Betäubung wird nicht ewig vorhalten.“

„Oh mein Gott, was habt Ihr vor?“, fragte Finea entsetzt.

„Tu, was ich dir sage!“, fuhr ihre Meisterin sie an. Dann nahm sie das glühende Metall und presste es, zum Entsetzen ihrer Schülerin, auf die Innenseite des kleinen Kindschenkels. Einem zischenden Geräusch folgte der üble Geruch von verbranntem Fleisch. Zum Glück schien die Betäubung zu wirken, denn der Kleine verzog nur kurz das Mündchen.

„Die Schmerzsalbe, schnell!“, kam nun die nächste Anweisung.

Auch dieser kam Finea unverzüglich nach. Sorgfältig bestrich Sina die Wunde des Babys und verband sie mit einem sauberen Tuch. Dann griff sie nach dem Korb, den sie bei ihrer Ankunft dabeigehabt hatte. An dessen Henkel befestigte sie eilig ein Seil, legte das noch immer schlafende Kind hinein und ging zu dem Fenster, an dem sie zuvor die Kerze geschwenkt hatte. Nachdem der Knabe sorgfältig zugedeckt war, öffnete sie es und blickte kurz hinaus. Sie gab jemandem, der für Finea unsichtbar blieb, ein Zeichen und ließ den Korb hinab. Wenig später holte sie ihn wieder hinauf. Darin lag ebenfalls ein Neugeborenes, das sie jetzt neben die Königin bettete. Danach schloss sie das Fenster und rang sichtbar um Ruhe.

Finea stand schon geraume Zeit mit offenem Mund da und beobachtete fassungslos das Geschehen. „Was habt Ihr getan?“, entfuhr es ihr.

Doch Sina gebot ihr mit einer eindeutigen Handbewegung zu schweigen. „Ich schwöre, es ist für alle zum Besten! Niemand darf wissen, dass Ismee einem Sohn das Leben geschenkt hat! Nicht einmal sie selbst. - Hast du das verstanden?“

Finea nickte mit gefurchter Stirn und Sina nahm es dankbar zur Kenntnis. „Gut! Ich werde dir so bald wie möglich alles erklären. Aber nicht hier.“ Sie wischte sich den Schweiß vom Gesicht. „So, nun lass uns die Dienerschaft rufen, damit sie uns dabei helfen, die Königin zu waschen und ihr Lager neu herzurichten!“ Sina kehrte zu ihrer alten Verfassung zurück. Sie strich sich das Haar aus der Stirn und ging zur Tür.

Etwas später lag Ismee erfrischt, und schon nicht mehr ganz so bleich, in den sauberen Kissen und betrachtete müde lächelnd 'ihre' Tochter.

„Ein wunderschönes, gesundes Mädchen, Eure Hoheit!“, gratulierte Sina.

„Ja, das ist sie“, flüsterte Ismee. „Auch wenn ich Ammon gern einen Sohn geschenkt hätte, der sein Erbe antreten könnte ...“, fügte sie bitter hinzu. „Ich werde sie Lina nennen.“ Zärtlich strich sie der Kleinen über die rosigen Wangen und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Dann verließen sie ihre Kräfte wieder. Schon bald waren ihr die Augen zugefallen und am gleichmäßigen Heben und Senken des Brustkorbes erkannten die Wächterinnen, dass Ismee schlief.

„Ich werde jetzt aufbrechen und zum Tempel zurückkehren. Du bleibst so lange hier, bis die Königin das Bett dauerhaft verlassen kann“, gab Sina der Jüngeren ihre letzte Anweisung für heute. Sie trat auf die junge Wächterin zu, nahm sie in ihre Arme und flüsterte. „Keine Sorge, wir haben nichts Unrechtes getan. Eines Tages wird sie die Wahrheit erfahren und unser Handeln verstehen. Das verspreche ich dir. Schlaf jetzt etwas!“ Mit diesen Worten ließ sie die völlig aufgewühlte Finea allein zurück.

Die ging zum Bett und nahm das Kind auf ihren Arm. Zärtlich streichelte sie es und trug es zu seiner Wiege, die man vor einiger Zeit hier aufgestellt hatte. Eine Weile noch sah sie dem kleinen Mädchen beim Schlafen zu. Nach einem prüfenden Blick auf die Königin begab sie sich zu dem Sessel, der in einer Ecke des Raumes stand, und ließ sich darin nieder.

Arko

„Wacht auf, Herr!“ Wie durch dichten Nebel drang Kamirs Stimme an Arkos Ohr. Mühsam öffnete er die schweren Lider und blickte dem Jungen direkt in die schwarzbraunen Augen. Dieser hatte sich dicht über den noch immer fiebernden Gefangenen gebeugt und sah ihn besorgt an. „Mein Herr schickt mich. Prinz Farid möchte, dass ich mich um Euch kümmere.“

„Ach, hat er Sorge, dass er mich nicht gesund aufs Schafott zerren kann?“, fragte Arko voller Häme.

Der Junge gab ihm darauf keine Antwort, sondern machte sich daran, ihn zu entkleiden und zu waschen. Arko war es gleich und er ließ ihn gewähren. Nachdem er in sauberen Kleidern steckte und sein Lager neu hergerichtet war, machte sich Kamir daran, ihm Löffel für Löffel eines schleimigen Breis aufzuzwingen. Als Arko drohte, ihm das Zeug ins Gesicht zu spucken, wenn er auch nur noch einen Bissen davon zu sich nehmen müsse, sah dieser ihn verzweifelt an. „Der Medikus ist der Meinung, dass Euch der Brei wieder zu Kräften bringt und mein Herr macht mich dafür verantwortlich, wenn Ihr ihn nicht esst.“

Arko entging der ängstliche Unterton in Kamirs Stimme nicht und ihm tat der Junge leid. Ihm war mehr als einmal aufgefallen, dass der Bursche als Prellbock für gelegentliche Missstimmungen Farids herhalten musste. Immer wenn er den Freund dann darauf angesprochen hatte, lachte dieser nur und sagte: „Ach, er wird es überleben. Schließlich soll eines Tages ein echter Mann und guter Soldat aus ihm werden. Da ist es besser, wenn er sich schon früh daran gewöhnt, dass das Leben kein Zuckerwerk ist.“

Widerwillig öffnete Arko den Mund, bis auch der letzte Löffel geschafft war. „Sage dem Pfuscher von Medikus einen Gruß von mir. Wenn er mir das Zeug noch einmal aufzwingen lässt, werde ich ihn persönlich umbringen, sobald ich meine Kräfte zurückhabe.“ Mehr zu sich selbst fügte er leise hinzu: „Dann habe ich wenigstens wirklich einen Mord begangen und weiß, wofür ich meinen Kopf verliere.“

Doch im Moment sah es nicht danach aus, als würde der Brei seinen Körper stärken. Er fühlte sich so elend wie zuvor. Trotzdem zwang er sich zu einem Lächeln und dankte dem Jungen für seine Hilfe, bevor der sich mit einer kurzen Verbeugung zurückzog.

Nachdem er eine ganze Weile geschlafen hatte, glaubte Arko, eine leichte Verbesserung seines Zustandes festzustellen, doch noch bevor er sich näher damit auseinandersetzen konnte, traten zwei Soldaten in sein Zelt und legten ihm wieder Fesseln an.

„Oh, sind meine erleichterten Haftumstände schon wieder vorüber?“, fragte er ironisch.

„Wir sind abmarschbereit! Der Kerker wartet. Dort habt Ihr es sicher kuschelig genug, bis man Euch den Prozess macht“, antwortete ihm der Ältere der beiden herablassend.

Arko nahm es hin und ließ sich von ihnen zu seiner braunen Stute bringen, die ihm, angebunden an ein anderes Pferd, mit gespitzten Ohren entgegensah. Man half ihm beim Aufsteigen und machte seine Fesseln am Sattel fest. Arko hatte keine Ahnung, wie er den langen Ritt nach Isfadah durchhalten sollte, aber es blieb ihm keine andere Wahl, als es zu versuchen. Während er sich umsah, wurde ihm bewusst, dass er zu den Letzten gehörte, die sich in den Sattel hievten. Ein paar Meter entfernt legte man eben Prinz Farid auf eine Trage, die nun in einem Planwagen verstaut wurde. Kurz trafen sich ihre Blicke, doch Arko konnte in den Augen des alten Freundes nichts ablesen, was ihn in irgendeiner Weise weitergebracht hätte. Er musste Geduld haben, so schwer es ihm auch fiel. Bei einem fairen Prozess musste schließlich ans Licht kommen, dass er unschuldig war. Und so wie es den Anschein hatte, würde ihm zumindest dieser gewährt werden.

Nach den Gesetzen des Landes würde der Thron an Farid gehen. Sollte Ismee einem Sohn das Leben schenken, dann wäre er trotzdem bis zu dessen Mündigkeit Regent. Arko zweifelte nicht daran, dass er ein guter Herrscher sein und das Reich in Ammons Sinne regieren würde. Er hatte immer in den wesentlichen Dingen mit seinem Bruder übereingestimmt. Arko würde bis zum letzten Atemzug seine Unschuld beteuern. Es war schlimm genug, dass die Umstände ihm die Chance nahmen, den Verlust seines Vetters gebührend zu betrauern. Er würde nicht zulassen, dass man ihm diesen schändlichen Mord anlastete. Erneut ließ er den Blick schweifen, um in den Gesichtern der Männer, die bis vor Kurzem noch zu ihm aufgesehen hatten, lesen zu können. Doch die einen sahen sofort weg, wenn sie sich seiner Aufmerksamkeit bewusst wurden, und die anderen schauten unverhohlen feindselig zurück. Daraus konnte er erneut nur eines schließen: Man war sich im Allgemeinen darüber einig, dass er schuldig war. Wieder stiegen Unruhe und auch Angst in ihm hoch. Er zwang sich gewaltsam dazu, diese Gefühle zu unterdrücken.

Der Tross setzte sich in Bewegung und bald verfiel auch seine Stute in einen gemächlichen Trab. Vor sich sah er den Rücken eines der Männer, die ihn aus dem Zelt geholt hatten. Der andere ritt hinter ihm. 'Scheinbar meine neue Leibwache', dachte er resigniert. Irgendwann übermannte ihn die Schwäche und er sank vornüber auf den Hals seines Pferdes. Scheinbar endlose Zeit über verweilte er so, ohne einzuschlafen, denn das ständige Kitzeln der Mähne an seiner Nase hielt ihn davon ab. Doch schließlich musste es ihn doch übermannt haben, denn er entkam nur knapp einem Sturz, als ihn einer seiner Wächter zurief, er solle gefälligst zu sich kommen und aufpassen. Mit schmerzenden verspannten Gliedern richtete er sich auf und sah sich um. Er erkannte die Landschaft wieder und stellte überrascht fest, dass sie schon ein gutes Stück Weg hinter sich gebracht hatten. Im selben Moment wurde zur Rast gerufen und der Tross kam zum Stehen. Alle saßen ab und versorgten zunächst ihre Pferde, bevor sie sich um ihre Belange kümmerten. Auch ihn hatte man vom Pferd geholt und unter Bewachung an einen Baum gefesselt. Die Feuchtigkeit des Bodens drang langsam durch seine Beinkleider und ließ ihn wieder frösteln. Ein starker Hustenanfall machte Arko deutlich, dass er weit davon entfernt war, seinen Zustand als besser zu bezeichnen. Das Stechen zwischen seinen Schulterblättern ließ nichts Gutes vermuten. 'Hol‘s der Teufel!', dachte er.

Plötzlich trat Kamir an seine Seite und hielt ihm ein Fläschchen vor die Nase. „Hier, trinkt einen Schluck davon! Es ist eine starke Medizin, die Eure Beschwerden etwas lindern sollte.“ Als Arko zögerte, fügte er hinzu: „Vertraut mir, ich will Euch nichts Übles.“

'Hol‘s der Teufel!', dachte Arko erneut und ließ sich die Flasche an die Lippen halten. Das Zeug schmeckte widerlich, aber tatsächlich bemerkte er kurze Zeit später, dass es ihm etwas leichter um die Brust wurde.

Nach etwa einer Stunde ging es weiter. In ein paar Tagen sollten sie in Isfadah eintreffen. Dann würde das passieren, wovor er sich nicht weniger fürchtete als vor einem negativen Urteil: Er musste Ismee gegenübertreten.

Es würde ihm das Herz brechen, wenn auch sie nicht an ihn glaubte und in ihm den Mörder ihres geliebten Mannes sah.

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