Musik der Habsburger

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Musik der Habsburger
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Camillo Schaefer

Musik der Habsburger

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

Anmerkungen

Impressum neobooks

1. Kapitel

1. Kapitel

ANSTELLE EINES VORWORTS: DIE HABSBURGER UND IHR KULTURELLES VERMÄCHTNIS

"Requiem aeternam dona eis! Domine, et lux perpetua luceat eis!- Herr, gib ihnen die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihnen!" Dieser feierliche Introitus der katholischen Totenmesse Mozarts prägt, dem Haus Habsburg in berührend zeitlosem Nachklang verbunden, an einem milden Märzabend 1989 - also mehr als sieben Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der alten Donaumonarchie - das Bild der eleganten Wiener Innenstadt, in der dumpf die Kirchenglocken dröhnen. Von den Dächern wehen Trauerfahnen, dazwischen zeigen sich die schwarzgelben Farben mit dem Doppeladler des ehemaligen Kaiserreichs. Aus etlichen Geschäftsauslagen blicken trauerumflorte Zita-Porträts auf die am Kohlmarkt und längs des Grabens versammelte, dicht gestaffelte Menge, die nunmehr in Scharen dem Dom zuströmt, wo die letzte Kaiserin, deren Lebenszeit ganze Generationen umspannt, nach einem langen, beschwerlichen Dasein (1892-1989) aufgebahrt ist.

Wie zum Zeichen, dass der Kreis sich damit wohl endgültig geschlossen hat, steht Zitas Sarg während der Aufbahrungsfeierlichkeiten in Sankt Stephan dann auch zu Füßen des kolossalen Hochgrabs von Friedrich III., der als erster Habsburger die deutsche Kaiserkrone trug und das sich aus eigener Kraft immer wieder erneuernde, dynastische Prinzip verkörperte, das schließlich mit Karl I. (1887-1922), dem letzten Kaiser und Zitas Gemahl, endete.

Die Habsburger sind zwar aus der Geschichte, nicht aber jedoch aus dem Geschichtsbewusstsein verschwunden - vom Verlust des Ersten Weltkriegs mit allen nachhaltigen Folgen bis zurück ans Ende der Hohenstaufen den europäischen Völkern mehr oder minder schicksalhaft verbunden geblieben, haben allein zwanzig römisch-deutsche Kaiser und Könige dem Haus Habsburg angehört, das länger regierte, als sämtliche Sachsen-, Salier- und Stauferkaiser insgesamt. So liegen zwischen dem erzwungenen Thronverzicht des letzten und der Krönung des ersten Habsburgers rund sechseinhalb Jahrhunderte abendländischer Geschichte, in der mit Karl V. das Universalkaisertum Wirklichkeit geworden und die Habsburger zur klassischen europäischen Regentenfamilie aufgestiegen waren (1). Im Gegensatz zu parallelen Herrschergeschlechtern wie den Bourbonen, Romanows oder Hohenzollern, bedeutete der Begriff Habsburg aber weniger einen nationalen als vielmehr einen dynastischen Anspruch - nicht als nationale Potentaten, sondern als Dynastie sind die Habsburger zur großen europäischen Ausnahme geworden, wie denn auch die vielzitierte Artgleichheit der habsburgischen Köpfe, im Großen und Ganzen genommen, historische Wahrheit bleibt. Augenscheinlich überdauert das habsburgische Antlitz tatsächlich unversehrt die Zeitläufe - sogar noch Kaiser Franz Joseph I. (1830-1916) wird man große äußere Ähnlichkeiten mit seinem Ahnherrn Friedrich III. (1415-1493) zuschreiben. Diese Dynastie, so sagten selbst ihre zahlreichen Gegner, ruhte durch die Jahrhunderte in sich selbst (2).

Habsburger tragen die Kronen Spaniens, Italiens, Ungarns, Böhmens, der Niederlande, Deutschlands sowie Österreichs, sie erscheinen nicht nur als Multiplikatoren des Übernationalen - sie sind es. Maximilian I. (1459-1519) erheiratet sich Burgund, die Hochzeit seines ältesten Sohnes Philipps des Schönen (1478-1506) bringt das bis in die neue Welt mit reichen Kolonien gesegnete Spanische Erbe an das Haus Habsburg; eine weit verzweigte Reihe ähnlich dynastischer Hochzeiten führt in Verbindung mit glückhaften Umständen zu weiteren großen Ländererwerbungen. Für die österreichische Linie Habsburgs war die Heirat Erzherzogs Karl II. von Innerösterreich (1540-1590) mit Maria von Bayern (1571) womöglich von noch größerer Bedeutung, legte sie doch den Grundstein für den Weiterbestand des Hauses. Alle österreichischen Habsburger ab Ferdinand II. sind somit Nachkommen dieses Paares (3).

Während durch die Verehelichung Maximilians I. mit der Erbtochter Maria von Burgund (1477) auch eine geistige Verbindung mit der burgundischen Welt gelingt, deren Hofhaltung zur glanzvollsten ihrer Zeit zählt, wird Maximilians einziger Sohn Philipp nach Spanien entsendet, und erst sein Enkel Ferdinand I. (1503-1564), kehrt land- und volksfremd wieder in die Heimat zurück. Dessen Bruder Karl V. (1500-1558), geboren und erzogen im belgischen Gent, darf sich nun rühmen, dass in seinem Reich die Sonne nicht untergeht.

Auch das habsburgische Hofzeremoniell, das man später allgemein als das >Spanische< bezeichnet, ist in Wahrheit burgundischer Herkunft. In der Zeit danach werden unter Maria Theresia (1717-1780) auch französische Elemente in dieses >Spanische< Zeremoniell aufgenommen, das, um dem Hofleben das Gepränge angemessener Grandezza zu verleihen (4), unter Leopold I., Josef I. und Karl VI. darauf seine strengsten und unabänderlichsten Formen erreicht. Ebenso wird die spanische Sprache, welche sich gleichzeitig mit dem Spanischen Zeremoniell am Wiener Hof eingebürgert hatte, allmählich durch die italienische, dann, wie an allen übrigen Höfen durch die französische und seit Maria Theresia durch die deutsche Sprache verdrängt.

Sämtliche Zeremonialangelegenheiten am habsburgischen Hof sind von den so genannten Hofämtern geregelt, deren gesamtes Zeremonialwesen das Obersthofmeisteramt vereint, das auch die entsprechenden Protokolle als Nachschlagewerke führt (5). Für alle regelmäßig wiederkehrenden Anlässe ist das Hofzeremoniell damit bereits festgelegt - so legt dieses sogar die Sitzordnung bei den Vorstellungen, die Beschaffenheit der Stühle, Teppiche, Baldachine usw. fest. Bei außerordentlichen Ereignissen wird es nach Bedarf neu geordnet. Die Größenordnung einer Veranstaltung ist dabei stets vom Anlass des zu feiernden Ereignisses abhängig. Nur Trauerfälle, Kriege oder Pestzeiten unterbrechen bisweilen den schier unablässigen Fortgang des höfischen Lebens und seiner Musikfeste, die den Herrschenden immerhin derart wichtig sind, dass Leopold I. etwa extra anordnet, die Hoftrauer um die verstorbene Prinzessin Luise von Savoyen erst nach seiner eigenen Geburtstagsoper zu beginnen (6).

Ab 1753 verbietet das habsburgische Hofzeremoniell beispielsweise bei den Kirchenandachten jeglichen Gebrauch von Pauken und Trompeten, erlaubt jene jedoch weiterhin bei den Tauffeiern der kaiserlichen Familie, nur darf die Hofkapelle die besagten Instrumente nicht mehr in voller Lautstärke, sondern bloß >temperiert< spielen. Das Hochamt in der Hofkirche anlässlich so genannter >Hervorsegnungsfeiern< zelebrierte ab dieser Zeit einer der Bischöfe bei getragener, schöner Vokal-Instrumentalmusik, aber ohne Pauken und Trompeten. Zum Abschluss dieser Taufzeremonien gehörte regelmäßig auch das >Te Deum Laudamus<.

Bei derartigen Hochzeiten, Geburten, Taufen und sonstigen Habsburgischen Festlichkeiten, für welche späterhin immer namhaftere Musiker und Dichter programmatische Werke schufen, entstanden diese in enger Verbindung mit der antiken Triumphidee, dem >Trionfo<, das den Helden auf pompöse Weise am Ende mit Lorbeer krönte. War die Musik nach der Minnesängerzeit bis ans Ende des Mittelalters fast ausschließlich noch Sache von Mönchen, Kapellensängern, Organisten und kirchlicher Kreise gewesen, setzte um 1600, geprägt von den nationalen Eigenheiten der Völker, jedoch eine neue, umwälzende Entwicklung zur weltlichen Musik ein. Ungefähr gleichzeitig mit diesem Umschwung entstehen die neuen Kunstformen der Oper, des Oratoriums sowie der Sonate, die kunstvolle Ausgestaltung der bereits entwickelten Tanztypen und deren Zusammenstellung zu Variationen, welche sich bald zur Orchestersonate und Orchestermusik sowie gewaltigen Vokalwerken, Orgel- und Klavierkompositionen entwickeln.

Schon Erzherzog Karl II. von Innerösterreich hält sich eine Italienische Hofkapelle, der im Musikleben von Graz eine bedeutsame Rolle zufällt; gleichzeitig prägt die bayrische Renaissancekultur, als deren prägnantester musikalischer Hauptvertreter Orlando di Lasso gilt, ihrerseits stark die gesamte habsburgische Gebrauchsmusik dieser Zeit. Man bevorzugt nun Kirchenmusik in mehrchörigem Stil, vor allem aber madrigaleske Tafelmusik, Ballett und Comedia dell' arte. Mit dem 17. Jahrhundert hält die italienische Oper mit italienischem Personal aber auch in Wien siegreichen Einzug. Die kirchliche Musik wird zwar weiterhin mit großem Nachdruck gepflegt, aber nun zunehmend von weltlicher Musik abgelöst. An Stelle der Kirchensänger treten Opernsänger, an Stelle der Organisten Opernkapellmeister und Instrumentalisten. Der Prunkentfaltung der Barockzeit kommt die Oper, die unter Leopold I. eine ungeahnte erste Hochblüte erreicht, damit besonders entgegen.

 

In der Faschingszeit folgen die Feste bei Hof einander in solcher Dichte, dass sogar sämtliche Staatsgeschäfte wochenlang ruhen: "Die Publica stunden gantz still." - Stattdessen vergnügte man sich an Faschingsopern, Bällen, Komödien, Schlittenfahrten und sonstigen lustigen Umzügen - absoluter Höhepunkt blieb ein Maskenfest am Faschingsdienstag, wo jeder Teilnehmer in einem Kostüm erscheint, das vom gezogenen Los bestimmt wird. Zwischen so genannten >Bauernhochzeiten<, zu deren Anlass sich die mit Wein und Schmaus überladenen Tische bogen, wurden in bunter Folge Ballette und Intermezzi aufgeführt. Auch ansonsten war das festliche Jahr des habsburgischen Hofes genau geplant: die Fastenzeiten kulminierten in Oratorienaufführungen, die - an den Karfreitagen - in der >Sacra Rappresentazione<, vor dem Heiligen Grab der Hofkapelle abgehalten werden. Der Frühling wird traditionell im Schloss Laxenburg zugebracht, wo man hie und da auch Freilichtaufführungen gibt, der Sommer im künstlichen Garten des Lustschlosses Favorita (Theresianum), auf dessen großen Teich die berühmten Wasserspiele stattfanden, die die geniale Bühnenarchitektenfamilie Burnacini drei Generationen lang mit ausschweifend barocker Phantasie inszeniert. Besonders beliebt sind die groß angelegten Wasseropern und Wasserballette, die ihrerseits wieder genügend Gelegenheiten zu festlichen Aufzügen, Verwandlungen, Tänzen und Seegefechten bieten. Einmal soll in der kaiserlichen Favorita sogar eine Sängerin von einem Schiff in den Teich gefallen und im vollen Trubel des >Theatrum Mundi<, wie man die Ära der Barocken Prunkopern ebenfalls bezeichnete, völlig unbemerkt darin ertrunken sein.

Welche enormen Anstrengungen an großen Festspielen geleistet, welche Unsummen an Vorbereitungen und Kosten in gewaltigste Opernaufführungen gesteckt wurden, bleibt selbst für unsere Zeit, die sich brüstet, die gegenwärtige Hochkultur mit großen Geldmitteln zu unterstützen, wohl ebenso schwerlich vorstellbar wie die übrigen, rauschhaften Kategorien dieses unermüdlichen, vitalen Entwicklungsstroms einer elitären Hofkultur, von der einzelne Historiker später abschätzig meinten, "für unseren Geschmack nur trockene, entseelte Barockgewinde in Händen" (7) zu halten. Wenngleich die augenfälligen Merkwürdigkeiten des Barock dem Zeitgeschmack naturgemäß fern stehen, wird man sich doch schwerlich der Faszination der dunkel aufrauschenden Gesänge und Instrumentalpartien jenes wahrhaft imperialen Welttheaters entziehen können, das sich als Huldigung und Machtrepräsentation zugleich versteht, um noch im Phantasieraum ganze Kontinente zu umfassen, Völkerschaften zu beherrschen, und sich solcherart voll heroischen Selbstbehauptens in den Mittelpunkt eines überweltlichen Ringens ohnegleichen zu stellen (8).

Hand in Hand damit empfindet sich die Entstehung des barocken Baustils, der sich in Österreich rasch künstlerisch durchsetzt, als großzügiger, prunkvoller Abschluss einer jahrhundertealten Kunstentwicklung. Gleichzeitig auch eine Steigerung des religiösen Ausdrucks manifestierend, wächst dieser als selbstständiges, in sich geschlossenes Ganzes aus vollkommen neuartigen Anfängen empor. Das bisherige Städtebild verwandelnd, entstehen, besonders in Wien, mit dem siegreichen Vordringen der Gegenreformation, der Berufung neuer Orden sowie der Stiftung neuer Klöster, die ersten Barockkirchen. Die neu gebaute Universitätskirche, noch unter Ferdinand II. geschaffen, ist eines der bezeichnenden Bauwerke jener Zeit; als Leopold I. den Amalientrakt der Hofburg durch einen mächtigen Bau mit dem Schweizerhof verbinden lässt, stattet Ludovico Burnacini dessen Fassade bereits durch die Scheidung von Sockel, Haupt- und Abschlussgeschoß mit deutlich barocken Elementen aus - ein Vorbild der meisten anderen, um diese Zeit entstehenden Adelspaläste.

Künstler wie Domenico Martinelli (Stadtpalais Liechtenstein), Carlo Carlone (Zentralkuppelbau Servitenkirche), Lucas von Hildebrandt, Jakob Prandtauer, Johann Bernhard Fischer von Erlach, Donato Felice von Allio, Josef und Franz Munggenast oder Andrea Altomonte prägen fortan die Architektur. Mit plastisch-figürlichem Beiwerk greifen Maler in die Baukunst ein und lösen den Raum durch farbenprächtige Visionen auf. Das Stukko tritt zunehmend zurück und dient schließlich nur noch als Rahmen ihrer Licht- und Farbphantasien, deren Erfindungskraft und Gestaltungskunst noch immer ihre Wirkung ausübt. Paul Troger schafft in den Klöstern Altenburg, Geras, Göttweig, Maria-Dreieichen und Salzburg seine gewaltigen Fresken, Daniel Gran das Deckenfresko für den Prunksaal der österreichischen Nationalbibliothek sowie Fresken und Altäre in Hetzendorf, Klosterneuburg, Seitenstetten und St. Florian. Martin Johann Schmidt, der "Kremserschmidt" entwirft Altargemälde von bezaubernder Leuchtkraft, Anton Franz Maulbertsch, ein unerhörter Gestalter, entfaltet in meisterlicher Kühnheit seine Kompositionen. Daneben gibt es noch eine große Anzahl so bedeutender Könner wie Philipp Ferd. de Hamilton, den Landschafter J. Christian Brand, die Porträtisten Joseph Grassi und Christian Seybold, Meytens, Franz Werner von Tamm oder Martino Altomonte.

In der plastischen Kunst erwirbt Georg Raphael Donner (1693-1741) durch seinen prachtvollen Brunnen auf dem Mehlmarkt (Neuer Markt) mit seinen um die >Providentia< gruppierten Flussfiguren sich zeitlosen Ruhm. Die Bildnisbüsten B. F. Molls, die Charakterköpfe Franz Xaver Messerschmidts (Unteres Belvedere), die Heiligenfiguren Franz und Johann Peter Schwanthalers, die prachtvollen Holzschnitzereien von Giovanni Giuliani (eines gebürtigen Venezianers), die Altarfiguren J. G. Dorfmeisters, Hagenauers und anderer bezeichnen somit eine Ära, die in allen österreichischen Provinzen die außerordentlichsten Werke entstehen lässt.

Demgemäß entwickelte sich aus dem energischen Tempo der Musik sowie aus der fortgesetzten Betreuung der höfischen Festlichkeiten und der weiteren Musiktheaterveranstaltungen notwendigerweise allmählich ein eigener >Theatralstaat<, der dem kaiserlichen Obersthofmeisteramt unterstand. Zur bestehenden Hofmusikkapelle und deren Sängern traten nun die Theaterarchitekten, der Hoftanzmeister und seine Gehilfen, der Theatral-Adjutant, ein Theatral-Sekretär im Sinn eines modernen Inspizienten und ein so genannter Musikgraf (Cavalier direttore della musica) hinzu, der für die gesamte Organisation der theatralisch-musikalischen Hoffestlichkeiten sowie für deren künstlerischen Rang zu sorgen hatte (9). Letzterer galt als absolut Oberverantwortlicher und wurde ausdrücklich als Vorgesetzter sämtlicher Mitwirkender und sonstiger Beteiligter geführt - verständlicherweise lösten die berühmtesten Adelsträger einander auf diesem - äußerst begehrten Posten - im Gesichtskreis des Kaisers ab.

Zweifellos hat das Vorbild des Wiener Hofes bald dazu beigetragen, dass sich vor allem die Hocharistokratie um eigene Musikkapellen zu bemühen begann - besonders markante Beispiele dafür sind die Familien Schwarzenberg in Krumau sowie die Eszterhàzy im heutigen Eisenstadt, die völlig in dieser musikalischen Tradition aufgingen. Nikolaus Eszterhàzy konnte 1766 mitten im trockengelegten Sumpfgebiet des Neusiedler-Sees das Prachtschloss seines >ungarischen Versailles< einweihen lassen, das nicht nur eine eigene Opernbühne, ein Marionettentheater, zwei Ballsäle sowie 126 Gästezimmer umfasst, sondern mit all seinen Orangerien, Glashäusern, riesigen Küchengärten, Viehställen, Schweinemästereien und Geflügelhöfen außerdem einen völlig autarken Betrieb darstellte, dem noch die riesigen Jagdreviere des Fürsten angehörten. Seinem Hofkapellmeister Joseph Haydn stand ein komplettes Symphonieorchester zur Verfügung (10).

Zur Kirchenmusik kamen längst Kammermusik, aber auch Opern hinzu, die die erweiterten Verpflichtungen des musikalischen Personals innerhalb ähnlicher Adelshäuser wirkungsvoll bestätigten. Sogar Kaiserin Maria Theresia soll neidvoll gesagt haben: "Wenn ich eine gute Oper sehen will, fahre ich nach Eszterhàza." Der dortige Fürst war wohl einer der kenntnisreichsten damaligen Musikmäzene, doch bleibt die Tatsache, dass die Habsburger sich Jahrhunderte über aktiv mit Musik beschäftigten, für die Vorgeschichte der Wiener Klassik und darüber hinaus auch für die gesamteuropäische Musikentwicklung von ungleich wesentlicherer Bedeutung.

Nicht nur, dass die musikalische Tradition bereits seit Kaiser Ferdinand II. (1578-1637) ein wichtiger Teil der Erziehung von Prinzen und Prinzessinnen wurde, gelten sowohl dessen Nachfolger Ferdinand III. (1608-1657), Leopold I. (1640-1705), Josef I. (1678-1711) und Karl VI. (1685-1740) noch als rege bemühte Komponisten und Musikenthusiasten. Neben ihrem alle vorstellbaren Dimensionen sprengenden Mäzenatentum, das teilweise ohne jede Rücksichtnahme auf die tatsächlich vorhandenen Mittel erfolgte, bildete die soziale Aufwertung der an den Kaiserhof verpflichteten Musiker, die Hand in Hand mit der Heranziehung von berühmten Dichtern, Librettisten und großartigen Bühnenkünstlern erfolgte, wie auch der Umstand, dass die Musik ein wesentlicher Faktor im gesamten Leben des Kaiserhauses blieb, ein wegbereitendes Fundament zur Entfaltung der späteren Wiener Klassik.

Ferdinand III., dessen langjähriger musikalischer Lehrmeister der Venezianer Giuseppe Valentini (1582-1649) war, der dreißig Jahre lang in Habsburgischen Diensten stand, komponierte bereits Stoffe geistlicher sowie weltlicher Themenkreise unter italienischem Einfluss und hinterließ, neben einer sechs- und einer achtstimmigen Messe, 4 Motetten, 10 Hymnen, ein Stabat Mater, ein Miserere sowie die Bühnenkomposition >Dramma Musicum< (1649). Schon Leopold I. begann - ebenso wie später Karl VI. - zum persönlichen Gebrauch eine umfängliche Sammlung von Notenhandschriften anzulegen, die sich im Wesentlichen in der Musikaliensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek erhielt; sein eigenes Werksverzeichnis umfasst wohl alle noch von ihm erhalten gebliebenen selbstständigen Kompositionen, nicht jedoch die große Anzahl an Einlagearien, Tanzsätzen und Lizenzen zu fremden Werken. Selbst der außerordentliche Katalog >Distinta Specificatione dell' Archivio musicale per il servicio della Cappella, e Camera Cesarea Prima Delle compositioni per chiesa e camera della Sacra Ces. Real Maest di Leopoldo Aug. Imperatore< kann insofern nicht als komplett angesehen werden, da verschiedene vorhandene Kompositionen Leopolds darin gar nicht aufscheinen, wenngleich damit eine wertvolle Titelsammlung weiterer Werke >per Chiesa e Camera< vorliegt.

Von den 170 Gesängen >per Camera< für eine bis acht Stimmen haben sich insgesamt nur noch fünf erhalten - auch das durch gedruckte Textbücher (1675) und in einem späteren Katalog (1712) erwähnte kaiserliche Klagelied >L'Ingratitudine rimproverata< (Die Undankbarkeit des Vorwurfs) gilt mithin als verloren. Die teilweise erhaltene Oper >Timone Misantropo<, die zeitweilig Leopold zugeschrieben worden war, ist dagegen eine Komposition von Antonio Draghi - eine Dedikation am Beginn des zweiten Aktes hatte, nachdem der erste Akt verschollen blieb, zu diesem Irrtum geführt.

Seiner Hofkapelle hat Leopold zeitlebens größtes Interesse entgegengebracht und eine Fülle von Kirchenmusik für sie komponiert - noch bis 1740, also weit über seinen Tod hinaus, wurden seine kirchlichen Werke von dieser noch regelmäßig aufgeführt, vereinzelt blieben sie sogar noch bis ins 19.Jahrhundert hinein bekannt. Selbst ein Mann vom hohen Rang des Universalgelehrten und Philosophen Leibniz, fühlte sich veranlasst, Leopold den Vers zu widmen:

"Leopold, ewige Zier der Austriaden, mit Rechte

nennt dich den Großen die Welt, nennt dich den Heiligen auch".

Musikhistoriker haben festgestellt, dass die Kompositionen Leopolds zwar die Spitzenleistungen der Musik seiner Zeit nicht erreichten, doch andererseits alle singbar geblieben sind. Als Musiker sowohl ein bemühter wie achtbarer Dilettant im besten Wortsinn (11), findet die prunkvoll-höfische Oper während seiner Regentschaft jedoch ihren absoluten Höhepunkt. Da die Oper nahezu ausschließlich italienisch bleibt, vermag Leopold selbst sich dem italienischen Einfluss in seinen Kompositionen kaum zu entziehen; dazwischen schreibt er jedoch deutsche Singspiele und Oratorien (12). Auch der spanische Einfluss auf den Kaiser ist nicht zu übersehen - immerhin besitzt er eine spanische Mutter und seine erste Gemahlin ist ebenfalls Spanierin. Mehr oder minder zu deren Freude begehrt der Kaiser immer wieder Notenabschriften aus diesem Land, dessen musikalische Entwicklung er mit auffälligem Interesse verfolgt. Ungeachtet der furchtbaren Pestjahre von 1679 und 1691 sowie der zweiten Türkenbelagerung Wiens 1683, die faktisch das gesamte christliche Abendland existentiell bedroht, schafft Leopold in dieser Zeit mit seinen >Tres Lectiones nocturni< und dem späteren >Miserere< jedenfalls musikalische Aussagen, in denen sich seine ganze innere Zerissenheit ausdrückt, die sowohl sein persönliches Lebensleid wie seine Todesgedanken widerspiegeln (13).

 

In diesem Sinn bleibt der Kaiser ein grüblerischer, bisweilen melancholischer Tonkünstler, der sich abschließt und auf sich selbst zurückzieht, wenngleich nicht weiter schlüssig beantwortet werden kann, inwieweit andere Musiker - so aus der Hofkapelle oder fremde Komponisten tatsächlich an der Entstehung seiner Werke beteiligt gewesen sind. Nur zweimal notiert Leopold I. sich eigenhändig die Mitarbeit Bertalis und Schmelzers. Was und wie viel andere für Leopold geschrieben haben, ob der Kaiser überhaupt mehrfach Außenstehende zum Komponieren beigezogen hat, bleibt unbeantwortet, denn die Nachweise (sowohl zu seinen musikalischen Werken wie auch denen seines Vaters Ferdinands III. und nachfolgender Herrschern) sind - angesichts des großen Themenvorwurfs - seltsamerweise äußerst spärlich geblieben. Neben den bekannten Auswahlausgaben Guido Adlers sowie den Schriften Köchels, Weilens, Hadamovskys und Brosches existieren kaum entscheidende Hinweise über die musikalischen Arbeiten der Habsburgerkaiser, andererseits ist die Literatur über die Hofmusik relativ umfangreich.

Hinsichtlich der vielen (zumeist italienischen Namen) der Musiker, Komponisten, Textautoren und sonstigen Protagonisten erweist sich jedoch, dass nur auf die allerbesten Kräfte zurückgegriffen wird - der nationale Vorrang bleibt dabei bedeutungslos, die habsburgische Kulturauffassung polyglott. Analog zur Musik schaffen nach den Burnacinis noch Francesco (1657-1743), Fernando und Giuseppe Galli-Bibiena (1696-1756) einen Inszenierungstyp, der sich fast in ganz Europa über ein Jahrhundert erhält. Antonio Daniel Bertoli (1677-1745) kreiert dazu seine berühmten Bühnenfigurinen.

Auch nach Leopold I. verändert die von festlichen Farbräuschen bewegte Oper kaum ihre glanzvolle Szene - das barocke Bühnenbild überragt seine Helden immer um ein vielfaches; während ihre Gesänge die kolossalen Arkaden, Triumphbögen und mystischen Burgen durchhallen, erweitert eine alles verbrämende Allegorie den natürlichen Spielraum hinaus ins Unendliche, denn es ist ein Welttheater ohne fest umrissene Grenzen, das Himmel und Erde zu umschließen vorgibt.

Im 18. Jahrhundert holt Kaiser Karl VI. die berühmten italienischen Poeten Apostolo Zeno und Metastasio nach Wien, auch Goldoni, der aber ablehnt, wäre vom Kaiser bezahlt worden. Während der Opernstil sich zusehends verfeinert, werden die dramatischen Lösungen trotz grandioser Szenerien und raffinierter Ausstattung aber dennoch immer mehr zu den Elementen einer toten Staffage.

Der Regent Karl dirigiert höchstpersönlich die Aufführung von Caldaras >Euristeo< (1724), bei der alle Gesangs- und Orchesterpartien vom allerhöchsten Adel, die Tänze aber von den Erzherzoginnen selbst ausgeführt werden, emphatisch vom Klavier aus. Alle seine Kinder sind musikalisch bestens ausgebildet - häufig schmücken die Töchter Maria Theresia und Maria Anna die Geburtstage ihres Vaters mit stilvollen Gesangsvorträgen.

Sogar noch als Kaiserin findet Maria Theresia, Tochter eines fast schwermütig zu nennenden Vaters und der schönen, lebensfrohen Elisabeth Christine von Braunschweig (1691-1750), Gefallen am Gesang; ihre Arien verlangen eine volle Beherrschung der Technik, doch Stimmübungen und höchster Kunstgeschmack sind innerhalb der kaiserlichen Familie bereits liebgewordene Traditionen. Bald bevorzugt man die französische Komödie, bald das deutsche Singspiel, dann einfache Operetten und Konzerte im kleineren Rahmen; nunmehr geben die Töchter Maria Theresias, Maria Anna und Marie Christine ihrerseits Vorstellungen in italienischen Arien, die in der Retirada, wohin man sich gerne zurückzieht, in Anwesenheit beider Majestäten gesungen werden.

Dem Operngenie Christoph Willibald Gluck, der nach der unglücklichen Pachtung eines Theaters um viel Geld gekommen war, gewährt Maria Theresia ein sicheres Jahreseinkommen von 2000 fl. , das Gluck als >k. k. Hof-Compositeur< noch später von ihrem Sohn, dem Reformkaiser Josef II. empfängt, der nicht nur ebenfalls musikalisch gebildet ist, sondern auch das deutsche Nationaltheater begründet.

Es als profundes Mittel zur Bildung der Nation ansehend, gibt Josef diesem zusätzlich ein ausführliches Statut bei - fast gleichzeitig wenden sich seine Intentionen dem Wiener Singspiel zu.

Gluck, der seinen Schüler Antonio Salieri in dessen Stellung als Kammer-Compositeur späterhin mit Rat und Tat unterstützt, findet als Musikerzieher Maria Antoinettes am Wiener Hof in der nachmaligen französischen Königin überdies eine einflussreiche, dankbare Gönnerin, die in der Durchsetzung seiner französischen Reformopern in Paris eine willkommene Manifestation ihrer Macht erblickt (14), und sich den Schutz des berühmten Opernmeisters besonders angelegen sein lässt. Nach Glucks Tod setzt Josef II. zu dessen Nachfolger als Hofkompositeur zwar Wolfgang Amadeus Mozart ein, streicht ihm jedoch aus Sparsamkeitsgründen das bisher ansehnlich gewesene Jahresgehalt von 2000 auf magere 800 fl. zusammen.

Mozart, der von seinem Amt zwar wenig in Anspruch genommen wird, beklagt, dass die 800 Gulden zu viel für das seien, was er leiste, aber zu wenig dafür, was er leisten könnte. Die vom Kaiser persönlich in Auftrag gegebene Oper >Figaro< bringt dem Komponisten alles in allem genommen nur 100 Dukaten ein - den gleichen Betrag, den der erst sechzehnjährige Mozart vormals für sein italienisches Bühnenwerk >Mitridate< erhalten hatte.

Ein Gemälde von Johann Franz Greipel (1720-1798) zeigt die Aufführung von Glucks einaktigem Festspiel >Il parnasso confuso< im Salon de bataille (Antecamera, heute Zeremoniensaal) des Schlosses Schönbrunn durch Mitglieder der kaiserlichen Familie sowie der Hofkapelle anlässlich der Hochzeit Josefs II. mit Maria Josefa von Bayern (24. Jänner 1765). Die vier Gesangspartien der kleinen Gluck-Oper (Text von Pietro Metastasio) haben vier Schwestern des Bräutigams übernommen: die Erzherzoginnen Maria Amalia (1746-1804), Maria Elisabeth (1743-1808), Maria Josefa (1751-1767) und Maria Karolina (1752-1814). Leiter der intimen Aufführung war der achtzehnjährige Erzherzog Leopold, im Orchester spielten vierzehn Musiker. Interessant bleibt das Bild jedoch vor allem hinsichtlich der Genauigkeit, mit welcher der Maler Hinweise zur damaligen Aufführungspraxis gibt. Die Partitur nennt nur zwei Hörner, die in der Sinfonia allerdings in Clarin-Lage geblasen werden - daher haben die Musiker die Instrumente gewechselt, die Hörner abgelegt und hohe Trompeten genommen; nach der damaligen Praxis traten zu Trompeten traditionell Pauken hinzu, auch wenn sie nicht eigens in der Partitur notiert sind - das heißt, die Spieler hatten zu improvisieren. Das Bild zeigt den Paukisten nun exakt ohne Notenvorlage sowie die verwendeten Clarin-Trompeten. Unter den Zuhörern hält Maria Theresia eine Partitur oder ein Particell in Händen, die Braut Maria Josefa und Prinzessin Charlotte aber je ein Textbuch (15).

Der spätere Reformkaiser Josef II. schätzt das überkommene Pathos in der Musik hoch, äußert oft geschmackliche Vorbehalte gegen erstrangige Komponisten und vertraut in diesbezüglichen Fragen vielmehr dem zweifelhaften Einfluss seines Kammerviolinisten und ergebenen Höflings Franz Kreibich. Dennoch sind die Bemühungen Josefs um die Installierung eines Nationalsingspiels als deutschsprachiges Gegenstück zur herkömmlichen opera buffa wohl außerordentlich zu schätzen - ausdrücklich anordnend, musikalische Darbietungen mit deutschen Texten zu versehen, begründet er das Wiener Singspiel damit als offizielle, kaiserlich subventionierte Bühne. Noch unter französischem Einfluss durchläuft jenes zunächst alle Wandlungen von der ländlichen Komödie bis hin zum bürgerlichen Rührstück und der romantischen Zauberoper, und entnimmt seine Sujets schließlich zusehends der Mode der neu erwachten Empfindsamkeit. In Wien werden Ignaz Umlauf, Karl Ditters von Dittersdorf, Emanuel Schikaneder, Josef Weigl, Johann Schenk sowie der Meister der Symphonie, Joseph Haydn, die bekanntesten Protagonisten dieses Singspiels, deren extra dafür komponierten Werke aber einer der ernsteren Oper zustrebenden Richtung angehören, die schlussendlich in der >Zauberflöte< ihren absoluten Höhepunkt finden sollte.

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