Seewölfe - Piraten der Weltmeere 435

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 435
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Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-843-0

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Burt Frederick

Die Galeone der Komödianten

Sie waren ein lustiges Völkchen – und verdrehten einigen Seewölfen die Köpfe

Er war blond, blauäugig und ein stattlicher, schöner Mann, dem die Frauenherzen zuflogen. Die versklavten Indios in den Minen von Potosi verdammten ihn jedoch in die Hölle. Und würden sie jemals die Gelegenheit erhalten, über ihn herfallen zu können, dann würden sie Luis Carrero, den Oberaufseher über die Sklaven von Potosi, buchstäblich in der Luft zerfetzen – wie es seine Bluthunde taten, die er entflohenen Indios nachhetzte. Die Arbeit in den Minen war mörderisch. Dem entsprachen die Verluste unter den Indios. Darum erhielt Carrero die Order, für „Nachschub“ zu sorgen. Er beschaffte ihn sich aus den verstreuten Küstensiedlungen – mit Gewalt, versteht sich. Dann hatte er das Pech, Philip Hasard Killigrew zu begegnen …

Die Hauptpersonen des Romans:

Don Gonzale – bereist mit seiner Schauspieltruppe die Neue Welt und hat dazu eine Galeone gechartert.

Doña Mariana – sein Eheweib ist eifersüchtig, nimmt es aber selbst nicht so genau.

Edwin Carberry – wird bis aufs Blut gereizt und zertrümmert mit einem Vorschlaghammer ein Riff.

Roger Lutz – der Frauenheld aus Jean Ribaults Crew plant einen Alleingang.

Philip Hasard Killigrew – muß Distanz üben, um Komplikationen zu vermeiden, und ärgert sich über seinen Profos.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Im Bauch des Schiffes war es ruhig, so ruhig, daß jeder normale spanische Seemann vor Langeweile fast krank geworden wäre. Auf jedem Handels- oder Kriegsschiff wäre das so gewesen. Auf der „Torbellino“ war das jedoch anders.

O nein, dachte Roviro Lloberas, das glaubt einem später wieder kein Mensch, was auf diesem Eimer alles passiert ist. Er kicherte leise in seinen sorgfältig gestutzten Vollbart. Aber die gekünstelte Heiterkeit vermochte seine Anspannung nicht zu dämpfen. Roviro zitterte innerlich, und er hatte die böse Ahnung, jeden Moment vor Aufregung zu platzen.

Langeweile? Himmel, die hatte es auf der „Torbellino“ nun schon seit einem Jahr nicht mehr gegeben. Jeden Tag passierte etwas Neues, Unerwartetes. Und diesen 13. November 1594 würde Roviro Lloberas in seinem geheimen kleinen Tagebuch mit einem dicken Doppelstrich versehen.

Daß er überhaupt schreiben und lesen konnte, hatte er seinen Eltern zu verdanken, die ihn damals in Cadiz bei einem gestrengen Kaufherrn in die Lehre gesteckt hatten. Es war wie in einem Gefängnis gewesen, und Roviro hatte die einzige Fluchtmöglichkeit genutzt, indem er sich in die Mannschaftsliste eines Handelsfahrers eingeschrieben hatte.

Seitdem hatte er die halbe Welt gesehen und jede Menge Abenteuer erlebt. Doch die Krönung von allem würde er heute erleben, an diesem 13. November, vor der peruanischen Küste – jetzt, in wenigen Minuten.

Doch wie, um Himmels willen, sollte er diese verdammte Nervosität bekämpfen? Er schalt sich einen Narren, daß er bibberte wie ein Kind vor der Bescherung. Immerhin hatte er seine ersten Erlebnisse mit Frauen schon hinter sich. Ganz schöne Erfahrungen hatte er gesammelt, wenn auch nur in den Hurenhäusern der Hafenstädte.

Irgendwie hatten die käuflichen Damen ihn, den jungen Burschen, besonders gern gemocht. Ob es an seiner Jugend gelegen hatte, an seiner Schüchternheit oder an beidem – er hatte es bis heute nicht ergründet.

Ungeduldig trat er von einem Bein auf das andere, biß sich auf die Unterlippe und plagte sich zum wiederholten Male mit der Befürchtung, einer von den anderen Kerlen aus der Mannschaft könnte plötzlich auftauchen. Oder Señorita Juana würde ihn vielleicht nicht finden, hier, am vereinbarten Treffpunkt vor der Segellast.

Allein der Gedanke an ihren Namen brachte ihn in Verzückung.

Juana!

Die Silben waren wie Musik, wie eine zauberhafte Tonfolge, die sich dem Rhythmus ihrer graziösen Bewegungen anpaßte. Juana – das war ein sanftes Gleiten, geschmeidig und von fast katzenhafter Spannkraft. Natürlich, dieses „katzenhaft“ bezog sich nur auf ihr Äußeres. In ihrem Charakter war Señorita Juana sanftmütig wie ein Reh.

Roviro hatte sie vom ersten Moment an bewundert. Ein Jahr hatte vergehen müssen, bis er endlich ihre Aufmerksamkeit auf sich lenken konnte. Aber sicherlich hatte es daran gelegen, daß er als jüngster Decksmann der „Torbellino“ meist in den entlegensten Winkeln des Schiffes seinen Dienst verrichtete.

Nun aber hatte sich die glutäugige Juana mit ihm verabredet.

Mit neuem Entzücken dachte Roviro Lloberas darüber nach, was es wohl sein mochte, das ihr an ihm gefiel. Denn gefallen mußte er ihr schon, sonst wäre sie wohl kaum bereit gewesen, sich mit ihm an diesem geheimen Ort zu treffen. Bei dem augenblicklichen prächtigen Wetter war es höchst unwahrscheinlich, daß sich jemand aus nicht dienstlichem Anlaß in die Unterdecksräume verirrte.

Ohnehin war es auf der Kuhl und auf der Back viel abwechslungsreicher. Das wiederum hing mit der außergewöhnlichen „Fracht“ der Dreimastgaleone „Torbellino“ zusammen. Don Gonzale Jimenez de Tarragona und seine Komödiantentruppe waren für ständig neue Überraschungen gut.

Capitán Gaspar Morales hatte seine liebe Last mit dem munteren Völkchen, das sich beim besten Willen nicht in den Rahmen einer strengen Bordroutine pressen ließ. Unter Schauspielern ging es eben locker zu, das wußte man aus dem alten Europa. Warum sollte es also in der Neuen Welt anders sein?

Unvermittelt hörte Roviro Lloberas das Tapsen von nackten Fußsohlen. Er erstarrte zur Reglosigkeit. Sein Herz hämmerte bis zum Hals. Die Schritte näherten sich dem Niedergang zur Segellast und durchquerten den Stauraum, der mit Requisiten der Theatergruppe angefüllt war. Auch die übrigen Stauräume waren vollgestopft mit dem verrücktesten Zeug, von großen Ölbildern, die als Kulisse dienten, bis zur nachgeschneiderten Königsrobe, vom furchterregenden Drachenkopf bis zu Engelsflügeln, die man sich auf den Rücken schnallen und damit richtige Flatterbewegungen vollführen konnte.

„Hallo, mein Herzblatt!“ rief eine halblaute Stimme.

Roviros Herz tat einen jähen Hüpfer und schlug dann so heftig, daß er das Gefühl hatte, sein Brustkasten würde gesprengt. Oh, diese Stimme! Ihr Klang war für ihn wie Engelsgesang. Und mit „mein Herzblatt“ konnte nur er gemeint sein. Juana hatte also derart zärtliche Empfindungen für ihn, daß sie schon ein Kosewort für ihn ersonnen hatte.

Er mußte mehrmals krampfhaft schlucken, bis er überhaupt eine Antwort hervorbringen konnte.

„Hier“, sagte er leise, und es hörte sich an wie ein Krächzen. „Hier bin ich. Vor dem Niedergang. Juana, bist du es?“

„Wer denn sonst?“ Sie kicherte. Mit raschelnden Röcken schob sie sich näher heran. „Hast du gedacht, ich schicke dir eine Stellvertreterin? Etwa Doña Mariana, den alten Drachen? Oder Micaela mit ihrem dicken Bauch?“ Juana brach in Gelächter aus, als sie rücklings den Niedergang hinunterstieg.

„Nicht so laut!“ rief Roviro mit erstickter Stimme. „Um Himmels willen, wenn uns einer …“ Er konnte nicht weitersprechen. Juanas Unterröcke wippten beim Hinuntersteigen auf und ab. Ob er wollte oder nicht, er mußte ihre Beine ansehen – schlank, straff und nahezu unverhüllt.

Dann, als sie neben ihm stand und den Leinenrock glattstrich, konnte er wieder einigermaßen frei atmen. Ihre dunklen Augen blitzten amüsiert. Ihr schwarzes Haar war ein wenig zerzaust. Der Südwestwind mußte darin gespielt haben. Roviro zuckte zusammen, als sie mit Daumen und Zeigefinger nach seinem Bart griff, kicherte und daran zupfte.

„Du kleiner Heimlichtuer, du! Hier an Bord weiß doch sowieso jeder Bescheid.“

„Über uns?“ entgegnete er erschrocken.

Sie tätschelte ihm die Wange, und ihre Miene wirkte einen Moment fast mitleidig.

„Aber mein Herzblatt! Was soll denn mit uns sein? Jeder weiß, wer es mit wem treibt, das ist alles. Nur Doña Mariana, die Arme, ist sich nie ganz sicher, mit wem es Don Gonzale nicht treibt.“ Abermals begann Juana lauthals zu lachen.

Roviro spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg.

„Du meinst“, flüsterte er, „die ganze Mannschaft weiß, daß wir beide uns hier unten treffen?“

„Unsinn“, entgegnete sie kopfschüttelnd. „Die meisten interessiert so etwas gar nicht. Und wenn es wirklich einer weiß – na und? Dafür kriegst du das nächste Mal mit, wenn dein Kumpel José mit Carmencita in die Koje kriecht. Beinahe auf den Tag genau ein Jahr ist jetzt vergangen, seit Don Gonzale die ‚Torbellino‘ in Panama gechartert hat. Wir haben die gesamte Westküste des Kontinents abgeklappert, bis hinunter nach Val… Val… – wie heißt das doch gleich?“

 

„Valparaiso“, sagte Roviro heiser.

„Richtig. Valparaiso. Und jetzt sind wir schon wieder auf der Rückreise. Willst du allen Ernstes behaupten, du hättest in der ganzen Zeit kein einziges Mal …“

„Kein einziges Mal was?“ Er starrte sie mit großen Augen an und spürte einen Hauch von Enttäuschung in sich aufsteigen. Es mußte an Juanas Redeweise liegen, die so wenig von einem sanften Reh hatte. Aber vielleicht bildete er sich das auch nur ein. Sicher war es falsch, vom Äußeren eines Menschen darauf zu schließen, wie er in seinem Wesen sein müßte.

„Sag mal“, raunte sie, „lebst du auf dem Mond? Wir sind fünf Señoritas in der Truppe. Ein Jahr hat dreihundertfünfundsechzig Tage, und wenn du die Zahl der Decksmannschaft und der Offiziere dagegenhältst, dann kannst du dir leicht ausrechnen, wie oft jeder schon mit jeder …“

„Aber ihr seid doch Schauspielerinnen“, entgegnete er fassungslos.

„Sicher“, sagte sie und nickte ernsthaft. „Aber Schauspieler sind auch Menschen. Und du weißt sicher, was Menschen am liebsten tun. Davon hast du doch schon mal gehört, oder?“ Sie legte den Arm um seine Schulter und deutete auf das Schott zur Segellast. „Ich nehme an, dorthin möchtest du mit mir verschwinden – heimlich, still und leise, stimmt’s? Also, auf was wartest du dann noch?“

Roviro Lloberas erschrak abermals. War das die Art, wie ein Mädchen mit einem jungen Mann umging? Soweit er wußte, mußte der Mann der auf Entscheidungen drängende und Entscheidungen treffende Teil sein. Die junge Frau fügte sich dann schüchtern und zaghaft, wie es dem Wesen ihrer Weiblichkeit entsprach. Das hatten ihm seine Eltern und Onkel und Tanten eingeschärft, als er damals in die angebliche Freiheit der Kontorlehre entlassen worden war.

Nun, er hatte heute, am 13. November des Jahres 1594, zum ersten Mal Gelegenheit, sich mit einem richtigen Mädchen zu treffen. Denn das, was er in den Hurenhäusern erlebt hatte, zählte natürlich nicht. Doch vielleicht hatte sich einiges geändert seit jener Zeit in Cadiz. Und überhaupt – es konnte ja auch sein, daß in der Neuen Welt sowieso alles anders war.

Deshalb gab sich Roviro einen innerlichen Ruck.

„Ja“, sagte er rauh, „auf was warten wir eigentlich noch.“ Er legte seinen rechten Arm um ihre Taille, öffnete das Schott und tauchte mit ihr in die Dunkelheit und den teerigen Geruch der Segellast.

„Ach, du liebe Güte“, sagte Juana und stieß einen spitzen Laut der Entrüstung aus. „Hier sieht man ja die Hand vor Augen nicht. Hol eine Laterne, mein Herzblatt, sonst ist es mir zu unheimlich.“

„Licht ist in den Unterdecksräumen nur mit Genehmigung des Capitáns …“

„Ach, Unsinn“, unterbrach sie ihn. „Was der Capitán nicht weiß, macht den Capitán nicht heiß.“ Sie kicherte über ihr Wortspiel, das sie für lustig hielt.

Notgedrungen schlurfte er los und fand eine Laterne im angrenzenden Stauraum. Mit einiger Mühe gelang es ihm, den Docht in Brand zu setzen. Als er zu Juana zurückkehrte, hatte sie sich auf einem Stapel geflickten Segeltuchs niedergelassen. Sie blinzelte in die blakende Flamme und lächelte in einer seltsam entrückten Verzückung. Er hatte das Gefühl, daß sie buchstäblich durch ihn hindurchsah.

„Weißt du eigentlich, daß der heutige Tag in meinem Leben eine besondere Rolle spielt?“ sagte sie versonnen.

Roviros Hand zitterte, als er die Lampe an einen Haken hing. Wieder klopfte sein Herz bis zum Hals. Natürlich empfand Juana genau wie er. Er hatte sich in ihren verzehrenden Blicken nicht getäuscht, und sie hatte auch sogleich gespürt, daß er sie über alle Maßen liebte.

„Für mich entscheidet sich heute“, fuhr sie fort, ehe er etwas erwidern konnte, „wie meine Zukunft als Schauspielerin aussehen wird.“

Roviro hatte das Gefühl, die Planken müßten sich unter ihm auftun und ihn in die Tiefe des Pazifischen Meeres versinken lassen.

„Ist das wahr?“ hörte er sich tonlos antworten, und mit einer mehr mechanischen Bewegung zog er das Schott hinter sich zu.

„Aber ja“, sagte Juana eifrig und nickte. Sie schien in die Wirklichkeit zurückgekehrt zu sein, denn sie sah den bärtigen jungen Mann jetzt mit leuchtenden Augen an. „Stell dir vor, Don Gonzale hat mir in Aussicht gestellt, eventuell die Rolle der ersten jugendlichen Liebhaberin zu übernehmen. Das ist bislang noch Micaela. Aber du weißt, die dumme Gans hat sich einen dicken Bauch machen lassen. Da ist sie als jugendliche Liebhaberin natürlich nicht mehr glaubhaft.“ Juana kicherte und schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel. „Das gibt vielleicht noch eine Aufregung, wenn wir erst mal in Lima sind. Bestimmt erinnerst du dich noch, wie wir dort vor dem Vizekönig aufgetreten sind. Nun, er hat sich in Micaela vergafft. Deshalb bat er Don Gonzale um ein weiteres Gastspiel auf der Rückreise. Stell dir vor, der sehr verehrte Vizekönig muß erleben, daß eine andere die jugendliche Liebhaberin spielt und seine Angebetete einen Kugelbauch vor sich her schiebt! Bis wir in Lima sind, wird die süße kleine Micaela nämlich schon ganz schön Pfunde zugelegt haben. Und die dumme Pute weiß noch nicht einmal, wem sie das Balg verdankt! Soll ich dir noch was sagen?“ Juana hielt die gewölbte linke Hand vor den Mund und prustete hinein. „Doña Mariana hat dem armen Don Gonzale schon gedroht, daß sie ihn erdolchen wird, falls Micaelas Nachwuchs von ihm sein sollte!“

„Wie soll man denn so etwas feststellen?“ fragte Roviro lahm und hoffte inständig, Juanas Redefluß würde endlich aufhören.

„Da kennst du aber uns Frauen schlecht, mein Kleiner. Unsereins hat einen sechsten Sinn für solche Dinge. Schon die kleinste Ähnlichkeit genügt. Und darauf kannst du Gift nehmen: Doña Mariana kennt ihren Don Gonzale lange und gründlich genug, um sofort zu wissen, woher das Kleine die lange Nase oder die abstehenden Ohren hat.“

„Aber Don Gonzale hat doch gar keine abstehenden Ohren.“

„War doch nur ein Beispiel, Schätzchen. Jedenfalls kannst du dir denken, wie aufgeregt ich bin. Wenn ich die Rolle kriege, muß ich nur darauf achten, daß ich sie auch behalte. Das heißt, ich muß Don Gonzale ein wenig verwöhnen. Schwierig ist dabei nur, daß man nicht mit Doña Mariana aneinandergerät. Man muß dafür ein gutes Fingerspitzengefühl haben. Aber ich werde es schaffen, da habe ich gar keine Sorge.“ Juana lachte girrend.

„Heißt das, daß du mit Don Gonzale ein – ein …“ Roviro suchte stammelnd nach dem richtigen Wort.

„Ein Verhältnis?“ Juana blies die Luft durch die Nase und schüttelte verständnislos den Kopf. „Komische Ausdrücke hast du. Das hört sich an, als ob dein eigener Großvater aus dir spricht. Für dein Alter bist du ganz schön trocken. Sag mal“, sie unterbrach sich und musterte sein Gesicht, „wie alt bist du eigentlich?“

„Achtzehn“, gestand er und senkte den Kopf.

„Hab ich’s mir doch gedacht! Dieses Gestrüpp hast du dir nur wachsen lassen, um wie ein toller Mann auszusehen.“ Sie zupfte erneut an seinem Bart. „Dabei bist du wahrscheinlich noch grün hinter den Ohren.“ Kichernd nahm sie sein Gesicht in beide Hände. „Ich werde das bei unserem Beisammensein berücksichtigen. Nun sag schon: Was hast du dir gedacht? Wieviel willst du spendieren, damit ich ein bißchen nett zu dir bin?“

Roviro glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. Einen Atemzug lang hatte er das Gefühl, vor seinen Augen drehe sich alles. Juana, dieses liebreizende und sanftmütige Mädchen, sollte nicht besser sein als die käuflichen Damen in den Hafenstädten? Er sah ihr zauberhaftes Lächeln und konnte nicht begreifen, was er soeben aus ihrem Mund gehört hatte.

„Das kann nicht dein Ernst sein“, flüsterte er. „Du kannst doch nicht von mir verlangen, daß ich dir Geld gebe. Ich meine – ich habe gedacht …“ Er konnte seine Gedanken nicht mehr in geordnete Bahnen lenken.

Juanas Lächeln schwand.

„Bist du noch bei Trost? Was ich kann, und was ich nicht kann, mußt du schon mir überlassen. Im übrigen laß dir gesagt sein, daß man als Schauspielerin nicht besonders gut verdient. Da ist es nicht mehr als recht billig, daß man sich ein paar Nebeneinnahmen verschafft. Also, willst du nun etwas ausgeben oder nicht?“

Als Roviro sie nur anstarrte und keinen Ton hervorbrachte, rappelte sie sich abrupt auf. Sie stieß einen verächtlichen Laut aus, würdigte ihn keines Blickes mehr und rauschte hinaus.

Roviro Lloberas hatte das Gefühl, die Welt müsse aufhören zu existieren. Dieser Tag, der mit der schönsten Hoffnung seines Lebens begonnen hatte, endete mit der größten Enttäuschung seines Lebens.

Eine kleine, schwache Stimme in seinem Inneren wehrte sich noch immer dagegen, daß Juana wirklich so kalt und berechnend sein sollte, wie sie sich gab.

2.

Don Gonzale Jimenez de Tarragona pflegte Besucher in seiner Achterdeckskammer zu empfangen. Das hielt er immer so, weil es seine Wichtigkeit unterstrich. Auch in den spanischen Hafenorten an der Westküste des südamerikanischen Kontinents hatte er das so gehalten.

Ob es nun Schankwirte oder Bürgermeister gewesen waren, mit denen er wegen eines Gastspiels zu verhandeln gehabt hatte – sie alle hatten sich bei ihm anmelden müssen, und dann hatte er sie wie bei einer gnädigen Audienz empfangen. Lediglich beim Vizekönig von Lima hatte Don Gonzale natürlich eine Ausnahme gemacht. Ihn hatte er in seinem Palast aufgesucht und ihm Honig um den Bart geschmiert.

Juana lachte bei der Erinnerung daran. Don Gonzale war schon ein rechtes Schlitzohr, aber ein liebenswertes. Daß er in Wirklichkeit schlicht Juan Gonzales hieß, wußten auch nur wenige. Als Direktor und künstlerischer Leiter eines Tourneetheaters brauchte man eben einen Künstlernamen, einen wohlklingenden natürlich.

Daß sich die Prinzipien des Don Gonzale auszahlten, war inzwischen erwiesen. Die Gastspiele in den vielen spanischen Stützpunkten Südamerikas hatten sich gelohnt. Die Kasse stimmte, man hatte längst einen guten Gewinn zu verbuchen. Und es stand noch der Auftritt vor dem Vizekönig in Lima bevor, der sich schon beim ersten Male äußerst spendabel gezeigt hatte.

Juana klopfte an das Kammerschott und trat gleich darauf ein, als sie Don Gonzales launige Antwort hörte.

„Herein, wenn’s kein Ehebrecher ist!“

„Keiner von der männlichen Sorte“, sagte Juana glucksend. Rasch drückte sie das Schott hinter sich zu. „Ansonsten tue ich nur das, was man mir aufträgt.“

„Du meinst, was ich dir auftrage“, verbesserte Don Gonzale.

Juana trat lächelnd auf seinen Tisch zu, ein wertvolles Stück mit kunstvollen Intarsien. Die verschnörkelten Beine waren fest mit den Bodenplanken verankert.

„Aber ja, Don Gonzale, aber ja. Habe ich nicht immer alles getan, was Sie sagten?“ Juana beugte sich vor und gewährte ihm dabei einen Blick in den tiefen Ausschnitt ihrer Bluse. Sie wußte, womit sie sich sehen lassen konnte.

Don Gonzale sog denn auch prompt heftiger an seiner Tabakspfeife. Obwohl er äußerlich den Gelassenen spielte, war doch ein Funkeln in seinen dunklen Augen nicht zu übersehen. Unvermittelt überfiel ihn ein Hustenreiz, und er legte die Tabakspfeife beiseite. Er hob den Kopf, als er sich beruhigt hatte.

„Hast du Einnahmen abzuliefern?“

„Leider nicht“, erwiderte Juana, richtete sich wieder auf und zog bedauernd die Schultern hoch. An allen Gunstbeweisen, die sie und ihre Kolleginnen aus dem Ensemble nach den Gastspielen und bei sonstigen Gelegenheiten in klingender Münze erhielten, war Don Gonzale mit einem festen Satz beteiligt. Das galt natürlich auch für Einnahmen, die an Bord der „Torbellino“ erzielt wurden.

„Was heißt das: leider nicht?“ Er grinste und strich sich über das dunkle Haar mit den silbergrauen Strähnen. „Hat jemand auf deine Reize nicht angemessen reagiert, Kindchen?“

„Pah!“ rief Juana empört. „Ich bin auf einen Grünschnabel hereingefallen. Das Herzblatt glaubte doch allen Ernstes, in mich verliebt zu sein. Und was noch viel schlimmer ist: Er hat gedacht, ich würde seine Gefühle erwidern.“

„Hach, wie entsetzlich! So etwas ausgerechnet von dir zu erwarten!“ Don Gonzale schüttelte tadelnd den Kopf, schnalzte mit der Zunge und lachte leise.

„Wollen Sie damit sagen, ich hätte kein Herz?“ entgegnete Juana aufbrausend.

„Manchmal habe ich den Eindruck. Aber warte nur, kleine Juana. Eines Tages wird der Kerl erscheinen, der dir richtig den Kopf verdreht. Und dann wirst du ebenso als hilfloses Trottelchen dastehen wie dein Grünschnabel von vorhin.“

 

„Das glaube ich kaum.“

„Du solltest es dir aber vorstellen können.“

„Warum denn das?“

„Aus einem ganz einfachen Grund.“ Don Gonzale stand hinter seinem Tisch auf und strich sein rüschenbesetztes Seidenhemd glatt. „Als Schauspielerin mußt du in der Lage sein, jede dir auch noch so fremde Gemütsregung nachempfinden zu können. Wie wolltest du denn sonst das junge, schüchterne Mädchen spielen, das rettungslos in ihren Auserwählten verliebt ist?“ Er trat hinter dem Tisch hervor – ein Mann im besten Alter, wie man so sagt. Und dabei war er durchaus ansehnlich.

Juana begriff plötzlich, auf was er hinauswollte.

„Beruf und Privatleben sind bei mir zwei völlig verschiedene Dinge“, sagte sie schlagfertig. „Als privater Mensch spiele ich niemandem etwas vor. Da zeige ich meine echten Gefühle. Und wenn es denn eines Tages sein sollte, werde ich mich eben auch verlieben. Daß ich dabei aber hilflos sein werde, glaube ich trotzdem nicht.“

Don Gonzale lachte und legte beide Hände auf ihre Schultern.

„Letzteres glaube ich dir gern. Du hast immer gewußt, wann und wie du zupacken mußt, Juana. Aber Scherz beiseite …“ Er wandte sich unvermittelt ab, legte die Hände auf den Rücken und schlenderte zur Außenbordseite der Kammer, wo er durch die Bleiverglasung starrte. Draußen, auf der Wasseroberfläche, schienen die Lichtreflexe zu tanzen. Die Sonne meinte es gut mit dem Schiff und mit den Menschen an Bord.

Mit gesenkter Stimme fuhr Don Gonzale fort: „Du kennst unsere Lage, und du weißt, was wahrscheinlich auf dich zukommt. Traust du es dir zu, Juana?“ Ruckartig drehte er sich wieder um und blickte sie durchbohrend an.

„Deshalb Ihre merkwürdige Frage?“ Sie lächelte selbstsicher. „Ob ich es mir vorstellen kann, ein verliebtes und deshalb hilfloses Trottelchen zu sein. Die Antwort ist einfach, Don Gonzale: Ich kann es mir vorstellen, und ich kann es spielen. Aber in Wirklichkeit werde ich niemals so sein.“

„Gut, gut.“ Er nickte mehrmals hintereinander. „Du weißt, Juana, daß wir mit Micaela vorerst nicht mehr rechnen können. Bestenfalls kann sie noch Statistenrollen übernehmen.“

„In groben und plumpen Kleidern, nicht wahr? Eine Bettlerin in Kartoffelsäcken oder so etwas?“ Juana lachte schadenfroh.

„Allerdings. Darauf wird es hinauslaufen.“ Sorgenvoll zog Don Gonzale die Stirn kraus. „Selbst wenn die Geburt ihres Kindes ohne Komplikationen verlaufen sollte, wird sie nicht mehr die Micaela sein, die sie einmal war. Mutter zu sein, verändert eine Frau vollständig, das kannst du mir glauben.“

„Ich habe davon gehört“, sagte Juana spöttisch. „Aber Sie sind der Fachmann, Don Gonzale.“

Er winkte ab.

„Sei es, wie es wolle. Bevor wir in Lima sind, müssen wir eine Lösung gefunden haben. Und die kann meiner Meinung nach nur folgendermaßen aussehen: Du übernimmst die Rolle der ersten jugendlichen Liebhaberin. Wir werden den Vizekönig schonend auf die geänderte Besetzung vorbereiten und …“

„Wollen Sie ihm auch den Grund nennen?“ fiel Juana ihm aufgeregt ins Wort.

„Ich denke schon. Ich halte es für besser, mit offenen Karten zu spielen. Der Vizekönig ist auch nur ein Mann, und er weiß, daß es beim Umgang mit dem weiblichen Geschlecht gewisse – hm – Zwischenfälle geben kann.“

Juana kicherte.

„Muß der Vizekönig nicht annehmen, daß dieser Zwischenfall von ihm stammt?“

„Das weiß nur er allein.“ Don Gonzale zuckte mit den Schultern. „Und ich überlasse es ihm, ob und wie er darauf reagieren wird. Vorsorglich werden wir Micaela während des Auftritts in Lima allerdings an Bord zurücklassen. Nur wenn der Vizekönig sie zu sehen wünscht, was ich allerdings nicht glaube, lasse ich sie holen. Viel wichtiger, ja entscheidend, ist aber das andere, Juana.“ Er trat wieder vor sie hin und nahm ihre Schultern. „Du mußt deine Rolle so gut spielen, daß der Vizekönig von dir begeistert ist. Du mußt besser sein als Micaela, damit er überhaupt nicht mehr an sie denkt.“

„Da brauche ich mich nicht anzustrengen“, sagte Juana herausfordernd. „Ich bin immer besser gewesen als die alte Schlampe. Sie wollten es nur nicht wahrhaben, weil Sie immer ein Auge auf sie geworfen hatten.“ Juana senkte den Kopf und bedachte ihn dann mit einem tiefgründigen Augenaufschlag. „So ein offenes Wort können Sie doch vertragen, Don Gonzale, oder nicht?“

„Aber ja, natürlich.“ Er schluckte, denn er wußte, daß die kleine Katze den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Es war eben jene Vermutung, die Doña Mariana stets so sehr in Weißglut gebracht hatte. Deshalb wechselte er rasch das Thema. „Jedenfalls wird sich in Lima letztlich unsere Zukunft entscheiden. Die Einnahmen aus dem Auftritt vor dem Vizekönig brauchen wir noch, damit unser Grundstock für Panama komplett ist. Du weißt, ich will dort etwas Vernünftiges aufbauen, etwas, das sich sehen lassen kann. Wir wollen nicht auf Hinterhöfen vor Säufern, Tagedieben und Huren spielen. Wir wollen das erste Haus am Platze sein und nur das allerbeste Publikum haben – Adlige, Staatsbeamte von hohem Rang, Offiziere, reiche Handelsleute.“

Juana nickte eifrig, und ihre Augen erhielten einen verträumten Glanz. Ja, dieses gemeinsame Ziel würden sie erreichen, daran zweifelte sie nicht. Don Gonzale hatte es geschickt angestellt, das mußte man ihm lassen. Seine Idee, die Stützpunkte in der Neuen Welt mit ein wenig Abwechslung, mit Theater, Tanz und derber Lustigkeit zu versorgen, hatte durchschlagenden Erfolg gehabt.

Man hatte einen Hauch spanischer Lebensart aus der Alten Welt herübergebracht, und alle Zuschauer waren rührselig darüber geworden. Man hatte vor Soldaten, Siedlern, Bürgern und Gouverneuren und eben vor dem Vizekönig gespielt, und denen hatte allemal das Geld locker gesessen.

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