Read the book: «Seewölfe Paket 27», page 10

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Das Wasser ging noch weiter zurück.

„Wir müssen weiter aufs Meer verholen“, sagte Hasard, „sonst sitzen wir fest.“

Er blickte zum Meer hin. Nicht weit von dieser großen Insel gab es noch weitere, die aber alle kleiner waren. Auch sie schienen künstlich aus Korallenschutt und Basaltsäulen angelegt worden sein. Man hatte sie auf den natürlichen Untiefen des Meeres gebaut.

In den zahlreichen Kanälen wurde das Wasser immer seichter. Der Hauptkanal war jetzt nur noch mit einem flachen Boot zu befahren. Seine Breite betrug hier etwa sechs Yards.

Hasard fielen wieder die beiden Eingeborenen ein, die sich so betont unauffällig von der Insel entfernt hatten. Was mochten sie hier getan haben? Warum hatten sie von der Galeone keine Notiz genommen und sie einfach ignoriert?

Achselzuckend kehrte er aufs Achterdeck zurück. Etwas an diesem Insellabyrinth beunruhigte ihn, ohne daß er zu sagen wußte, was es war. Wahrscheinlich das Geheimnisvolle, daß es eine künstliche Insel im Pazifik gab, die offensichtlich schon vor Jahrhunderten angelegt worden war und einstmals mächtigen Königen als Herrschersitz gedient haben mochte.

„Hievt den Anker“, sagte er, „wir umrunden die Insel und sehen sie uns genauer an.“

6.

Nan Madol, so hieß die geheimnisvolle Insel, gehört zu Ponape und bedeutet soviel wie „Ort der Zwischenräume“. Der Sage nach befand sich hier einst das mit Schätzen überladene Grabgewölbe der Saudeleur, der einstigen Herrscher über Ponape.

Die Eingeborenen sprachen von einem großen Mann namens Olosopha, der in einem Kanu hier landete und sich selbst zum Herrscher von Nan Madol ernannte. Er war ein kriegerischer Mann, der die Insel in drei Distrikte aufteilte und die Festung Nan Dowas bauen ließ.

Weiter besagt die Gründungssage, daß früher Zwerge auf Ponape hausten, deren Sprache wie das Schnarren von Fledermäusen klang, und die auf geheimnisvolle Weise verschwanden, als zwei Weitere Riesen, Li-ot und Konat, die Insel betraten. Die beiden plattnasigen Riesen riefen Flugechsen und Drachen herbei, die mit ihrem wilden und feurigen Schnauben die Kanäle aushoben.

So wurde Nan Madol zur Festung ausgebaut und bestand jahrhundertelang unter der Saudeleur-Dynastie. Der letzte König namens Saudemwohi wurde von dem aus Kosrae kommenden Isokelekel getötet, der die neue Herrscher-Dynastie der Nahnmwarki begründete. Nach seinem Tod wurde Ponape in fünf Reiche zergliedert.

Von all dem wußten die Arwenacks nichts, als sie die Insel rundeten.

Das Wasser war noch weiter zurückgegangen und hatte jetzt seinen tiefsten Punkt erreicht. Sie mußten höllisch aufpassen, um nicht auf Untiefen zu geraten.

An der Nordseite gingen sie vor Anker und fierten das Boot ab.

Hasard blickte zum Himmel. Die Sonne neigte sich im Westen dem Meer zu und würde in einer halben Stunde untergehen. Dann herrschte Dunkelheit, und jede Exkursion war zum Scheitern verurteilt.

„Morgen, in aller Frühe“, sagte der Seewolf, „dürfte das Wasser wieder seinen höchsten Stand erreicht haben. Dann ist die Zeit günstig, um ins Innere der Insel vorzustoßen. Die Tiden folgen etwa im Rhythmus von sechs Stunden.“

Er unterbrach sich, als ein lautes Klatschen zu hören war. Es hörte sich an, als sei ein großer Stein ins Wasser gefallen. Das allgemeine Augenmerk wandte sich sofort in die Richtung, wo jetzt leises Rauschen zu hören war.

„Krokodile“, sagte Batuti. „Salzwasserkrokodile, die ganz großen Echsen. Dort vorn schwimmt es.“

In einem acht Yards breiten Kanal ging gerade ein Salzwasserkrokodil auf Tiefe. Sie sahen nur noch die Schnauze aus dem Wasser ragen, hörten das Rauschen und blickten genauer hin. Aber da war die Riesenechse bereits verschwunden.

„Vor denen müssen wir uns morgen vorsehen“, warnte Hasard. „Das sind wahre Teufelsbiester und sehr angriffslustig.“

Er blickte zu der Stelle hin, doch das Krokodil war nicht mehr zu sehen. Nur das Wasser kräuselte sich noch an jener Stelle.

Die Sonne ging in einem farbenprächtigen Schauspiel unter und versank im Meer. Schon lange vorher war der Mond zu sehen, doch jetzt bei der Dunkelheit schien er immer größer und aufgeblähter zu werden.

Sein geheimnisvolles Licht strahlte auf die Ruinenstadt Nan Madol, die auf unheimliche Weise zum Leben erwachte.

Stumm saßen oder standen die Arwenacks an Deck und lauschten den Tönen. Old O’Flynn zog ein sehr bedenkliches Gesicht. Diese Insel war ihm von Anfang an nicht geheuer. Hier schienen wahrhaftig nächtliche Geister ihr Unwesen zu treiben.

Hinter den Basaltblöcken und mächtigen Säulen bewegte sich etwas, darauf hätte er geschworen. Und die Töne ließen sich auch nicht wegleugnen, denn jeder konnte sie hören.

Da war wieder jener Klang, der sich wie Äolsharfen anhörte, durch die leise der Wind streicht. Die Harfen wimmerten und klagten, oder sie stöhnten verhalten. Dazwischen blies mit seltsamer Eindringlichkeit die Muscheltrompete. Nach wenigen Sekunden brach der Ton ab und erklang dafür an anderer Stelle neu.

Smoky, der Profos und Old Donegal sahen sich unbehaglich an. Ihre Gesichter waren im bleichen Mondlicht blaß, wie ausdruckslose helle Scheiben ohne Leben.

Der Alte starrte erbittert vor sich hin. Die Töne gingen ihm mächtig auf den Geist, und er war deshalb erbittert, weil die Geister taten, was sie wollten und er keinerlei Einfluß darauf hatte.

Immer wieder zuckte er zusammen, wenn die Muscheltrompete mit ihrem durchdringenden Ton erklang. Er drang jedesmal von einer anderen Stelle der verwunschenen Insel zu ihnen.

„Kannst du mir vielleicht mal sagen, was das ist?“ erkundigte er sich brummig bei Hasard. „Seehunde ganz bestimmt nicht, die heulen ganz anders. Also sind es doch Inselgeister, die uns mit ihrer Tröte wahnsinnig machen wollen.“

„Weshalb sollten sie das tun, Donegal?“

„Damit wir hier verschwinden und sie in Ruhe lassen. Sie wollen uns einschüchtern.“

„Da haben Geister aber viel bessere Mittel“, meinte Hasard lächelnd. „Jedenfalls nehme ich das an.“

„Aber den Ton kannst du mir nicht erklären.“

„Er ist natürlichen Ursprungs, da bin ich ganz sicher. Der Wind streicht über Löcher im Gestein, als wenn du über den Hals einer leeren Flasche bläst. Genauso hört sich das dann an.“

„Ich blase niemals über leere Flaschenhälse“, motzte Old Donegal. „Nur über volle. Außerdem ruft man dadurch nur die Geister herbei.“

„Hoffentlich nagen sie dann nicht dein Holzbein an.“

Old O’Flynn war eingeschnappt. Die Geister riefen immer noch, und außer ihm, Smoky und dem Profos wollte das keiner wahrhaben.

„Ich schlafe heute nacht jedenfalls nicht an Deck“, verkündete er bockig. „Die Geister dieser Insel …“

„… die ärgern jeden Einfaltspinsel“, sagte Ferris Tucker grinsend.

Aber damit kam er bei dem Alten schlecht an. Der wurde jetzt regelrecht grantig, als er sich veräppelt fühlte. Er stand auf und ging wortlos nach unten. Erst am Niedergang drehte er sich noch einmal um.

„Die Geister dieser Inseln, die lassen dich noch winseln“, reimte er und blickte dabei den Schiffszimmermann an. „Morgen früh wirst du dein blaues Wunder erlebt haben.“

„Wir werden’s überstehen“, sagte Ferris gelassen. „Wir haben schon so viel überstanden, da werden uns die Inselgeister auch nicht mehr schaffen.“

Die anderen blieben noch ein paar Stunden an Deck. Aber die Unterhaltung versandete allmählich, denn immer wieder erklangen diese Töne geheimnisvoll aus dem Nichte. Etwas später war auch ein leises und fernes Brausen zu hören, das ständig anschwoll und lauter wurde.

„Die Flut“, sagte Hasard lakonisch, als die Mannen lauschten. „Das Wasser wird durch die Kanäle hereingedrückt oder schießt in das poröse Gestein. Oder sind das auch Geister?“

In dieser Nacht wurden zwei Wachen aufgestellt, ein Mann im Großmars, der den größten Teil der Insel überblicken konnte, und einer an Deck.

Aber sie hörten nichts als geheimnisvolles Raunen, Gurgeln und immer wieder die seltsamen Töne der Muscheltrompete, auf der ein Unsichtbarer blies.

Am anderen Morgen hatte die Flut fast ihren höchsten Punkt erreicht. Es herrschten jetzt die günstigsten Voraussetzungen für eine Erkundung der Insel.

„Juan, Ed, Ferris, Dan und ich werden als erste an Land gehen“, verkündete Hasard. „Wir bilden sozusagen den Voraustrupp. Ein paar andere können dann folgen.“

Auf Musketen verzichtete Hasard. Sie waren unhandlich und schwer. Daher nahmen sie Pistolen mit, die bequem im Hosenbund verstaut werden konnten.

Als sie im Boot saßen und zur Insel hinüberpullten, deutete Hasard mit dem Finger voraus.

„Wir werden uns das Zentrum der Insel ansehen. Das wird uns ohnehin noch genügend Rätsel aufgeben.“

Die anderen blickten schweigend auf das merkwürdig geformte Inselland, das so ganz anders aussah, als sie es gewohnt waren.

Am Ufer, zwischen aufgetürmten kantigen Basaltsäulen, waren dämonische Fratzen zu erkennen. Der Basaltstapel stellte offenbar einen Altar dar, den die dämonischen Fratzen bewachten. Sie sahen fürchterlich aus mit ihren langen hervorstehenden Zähnen, den breiten Mäulern und den flammenden Blicken.

Sie bewegten sich weiter auf dem breiten Kanal, der ein Stück um die Insel herumführte. Salzwasserkrokodile waren keine zu sehen, obwohl sie scharf aufpaßten.

„Da ist wieder das klagende Signal zu hören“, sagte Don Juan. „Woher mag es nur stammen? Das sind keine Löcher, über die der Wind bläst. Das muß etwas anderes sein.“

„Man hört die Töne aus allen möglichen Ecken“, erwiderte Hasard. „Mal sind sie weit entfernt, dann wieder ziemlich nah. Vermutlich ist es doch der Wind, und der streicht über mehrere Löcher im Felsgestein. Ich habe keine andere Erklärung.“

Immer wenn sie angestrengt lauschten, verstummte der klagende Ton. Hasard fand das sehr eigenartig. Aber vielleicht war es nur ein Zufall. Dennoch ließ ihn der Reiz dieser Töne nicht mehr los. Immer wieder lauschte er, bis er sie wieder vernahm. Jetzt erklangen sie wieder von einer ganz anderen, weiter entfernten Stelle.

Der Kanal wurde um ein gutes Yard schmaler. Weiter vorn ragte eine terrassenartig angelegte Treppe ins Wasser. Rechts und links flanierten sie zwei steinerne Figuren mit bösartigen Gesichtern. Sie starrten die Eindringlinge wild an.

Hasard blieb davon unbeeindruckt. Dämonenfratzen hatten ihn noch nie erschüttert. Sie sollten abschrecken, und in vielen Fällen taten sie das auch.

Die steinernen Dämonen hatten die Größe von Zwergen, von bösartigen Zwergen. Carberry wurde das Gefühl nicht los, als würden sie sich sofort auf ihn stürzen, sobald er sich nur umdrehte.

Sie vertäuten das Boot an dem steinernen Steg und gingen ein paar Basaltstufen hinauf. Verwundert blieben sie stehen.

„Donnerwetter“, sagte Hasard. „Das ist ja eine mächtige Festung. Sie ist fast unangreifbar.“

Staunend sahen sie sich um.

Die Festung ragte hoch aus dem Meer und sah aus wie ein großes, steinernes Schiff. Als Masten dienten die Kokospalmen, die in der Nähe wuchsen.

Die steinerne Festung bestand aus gewaltigen Wänden und Wällen, wobei die Wände etwa zehn Yards hoch waren und drei Yards dick. Sie waren ausschließlich aus grauen Basaltpfeilern aufgeschichtet und etliche Jahrhunderte alt.

Nachdem sie die Basaltpfeiler gebührend bestaunt hatten, gingen sie weiter in einen Vorhof, der quadratisch angelegt war. Hier befanden sich die gewaltigen Ringmauern von fast hundert Yards Länge. Der riesige Zyklopenwall war noch gut erhalten. Nur an vereinzelten Stellen hatten sich Brotfruchtbäume festgesetzt und am Mauerwerk genagt. Ein Teil der Wälle war von Kletterpflanzen überzogen. Dadurch wirkten sie noch gewaltiger.

Hasard drehte sich um und sah vom Innenhof hinaus.

„Von diesen Baumeistern können wir eine Menge lernen. Was sie hier geleistet haben, grenzt fast an Zauberei.“

Don Juan nickte beeindruckt. Sein Blick war auf eine Steinfigur gerichtet, die drohend den rechten Arm hochhielt, als wollte sie die Eindringlinge am weiteren Betreten hindern.

„Wirklich phantastisch. Diese Festung hat nur eine einzige Öffnung von der Seeseite her. Kein großes Schiff gelangt in diesen Kanal. Nicht einmal beim höchsten Stand der Flut. Eindringlinge oder Angreifer mit Booten haben ebenfalls keine Chance, weiter vorzudringen. Sie liegen wie auf dem Präsentierteller, wenn sie hier hereinfahren.“

„Und das alles ist aus kantigen Basaltsäulen gebaut“, sagte Dan staunend. „Die haben nicht einmal Bindemittel gebraucht, und trotzdem ist alles so wasserdurchlässig, daß es keinen großen Widerstand bietet.“

Ein zweites Bollwerk, das den Innenbezirk zusätzlich schützte und absicherte, tauchte vor ihnen auf, als sie langsam weitergingen. Hier waren riesige Säulen aus Basalt wie Holzstöße aufgetürmt, ähnlich den Balken eines großen Blockhauses. In die wenigen Hohlräume hatte man porösen durchlässigen Korallenschutt gefüllt.

Nach der zweiten Mauer gelangten sie in einen weiteren Innenhof, der zur Mitte hin leicht anstieg. Ihre Blicke fielen auf einen gigantischen Basaltträger, der auf steinernen Stützen ruhte. Ein aus Korallenschutt bestehender Pfad führte direkt dorthin. Unter dem gewaltigen Träger befand sich der Eingang zu einem Gewölbe. Dahinter war es pechschwarz, nur auf den Eingang fiel etwas Licht. Auch hier hatten Schlingpflanzen teilweise alles überwuchert.

„Sieht fast nach einem Grabgewölbe aus“, sagte Ferris Tucker. „Wer weiß, wie weit der Eingang ins Inselinnere führen mag.“

Hasard bückte sich und sah sich nach Fußspuren um. Er mußte kopfschüttelnd aufgeben, denn der harte Boden hinterließ keine Spuren.

„Was mag die beiden Eingeborenen hierhergeführt haben?“ fragte er. „Was können sie hier gesucht haben? Es besteht doch kein Zweifel daran, daß sie hier waren.“

„Vielleicht ist das ein Schatzversteck“, meinte der Profos. „Sie haben etwas hergebracht, was andere nicht finden sollen.“

„Das glaube ich kaum. Jeder kann die Insel betreten, und das gilt auch für diesen Eingang dort vorn. Es wäre dann allerdings kein sehr gutes Versteck.“

„Dann haben sie etwas geholt.“

„Ich weiß es nicht.“

Vor dem Eingang blieben sie stehen. Sie mußten sich bücken, wenn sie die im Dunkel liegende Kammer betreten wollten. Aber noch wollten sie nicht, denn der Profos deutete unbehaglich auf zwei unregelmäßig geformte Steine.

„Da sind bestimmt Knochenmänner drin“, sagte er. „Oder das hier ist so eine Art Kultstätte. Kann ja sein, daß die Eingeborenen nur hier herkamen, um ihre Götter anzubeten oder so. Wenn wir die Kammer betreten, fällt uns die Decke auf den Kopf.“

„Bisher hat sie ziemlich lange gehalten“, entgegnete Hasard. „Aber du könntest trotzdem recht haben mit der Kultstätte.“

Er ging zwei Schritte weiter und beugte sich etwas hinab. Die beiden unregelmäßig geformten Steine konnten durchaus Grabsteine sein. Sie waren mit Inschriften bedeckt, die in den Stein gemeißelt waren.

Niemand war in der Lage, sie zu entziffern. Ziemlich ratlos standen sie davor, da hörten sie bereits die zweite Gruppe, die sich näherte. Ein paar weitere Arwenacks befanden sich jetzt an Land.

Hasard ging gebeugt ein paar kleine Schritte in den Schacht, bis sein Körper mit der Dunkelheit fast verschmolz.

Der Gang war nicht mal eineinhalb Yards hoch, aber auf ihm lastete ein ungeheurer Druck von mächtigen Basaltsäulen. Auf dem Boden lag Muschelkalk. Viel mehr konnte er nicht erkennen.

„Da müßte man schon eine Fackel haben“, sagte er, als er wieder ins Licht trat. „Der Gang scheint ziemlich tief ins Inselinnere zu führen. Ich konnte leider nicht mehr erkennen.“

Da Hasard keine Knochenmänner entdeckt hatte, die dem Profos immer ein heimlicher Greuel waren, zögerte Ed jetzt nicht länger, auch mal einen Blick in den künstlich angelegten Gang zu werfen, sonst hätte ihm seine Neugier keine Ruhe mehr gelassen. Sehr vorsichtig und noch mißtrauischer bewegte er sich in das dunkle Verlies.

Er gelangte nur zwei Schritte weit. Dann flitzte er mit allen Anzeichen des Entsetzens wieder hinaus und schluckte schwer.

Der Klang des Muschelhorns oder der Muscheltrompete war wieder erklungen, und zwar in unmittelbarer Nähe.

„Direkt vor mir“, sagte er unbehaglich, „als wenn mir einer ins Gesicht geblasen hätte. Jetzt ist es wieder weg.“

Die anderen hatten die Töne auch gehört. Aber jeder glaubte sie aus einer anderen Richtung zu vernehmen.

„Das kam nicht aus dem Schacht“, behauptete Don Juan. „Es kam von der inneren Ringmauer.“

„Nein, von dort, wo die Palmen stehen, die an Schiffsmasten erinnern“, sagte Ferris Tucker.

Auch Hasard schwor darauf, es aus einer anderen Ecke gehört zu haben.

„Das war in dem Gang, direkt vor mir“, sagte Carberry. „Da hockt irgendein Kerl und bläst auf einer Tröte.“

„Ah ja“, sagte Hasard lächelnd, „ein Trötenmann also, der nichts anderes zu tun hat, als ausgerechnet dich zu erschrecken.“

Noch einmal erklang der Ton, diesmal aber so leise, daß seine ungefähre Richtung nicht bestimmt werden konnte. Dann brach er abrupt ab.

Inzwischen näherten sich auch die anderen. Der Kutscher führte den Trupp an, zu dem fünf weitere Arwenacks gehörten, die überall stehenblieben und sich staunend umsahen. In weiser Voraussicht hatte der weitblickende Kutscher auch zwei Fackeln mitgebracht – für alle Fälle, wie er versicherte.

„Die können wir gebrauchen“, sagte Hasard. „Dort vorn gibt es einen Schacht ins Inselinnere.“

„Hier gibt es noch mehr Schächte!“ rief Dan O’Flynn, der sich von der Gruppe ein paar Yards abgesetzt hatte und eine weitere Ringmauer bestaunte, einen mächtigen Zyklopenwall. Oben auf der Ringmauer führte ein Weg weiter, eine schräg geneigte Ebene, nicht sehr breit, aber ebenfalls von Gestrüpp und Rankpflanzen überwuchert. Links und rechts war die Ebene von hohen Wällen abgegrenzt, die ebenfalls aus Basaltgestein bestanden.

Als sich die anderen neugierig näherten, zeigte Ferris auf drei steingefaßte, mehr als mannshohe Schächte, die senkrecht in den Boden getrieben waren.

„Brunnen“, schätzte Ferris. „Sie führen ein Stück senkrecht nach unten, aber anscheinend geht dann eine Art Tunnel waagerecht weiter, damit sich dort das Regenwasser sammeln konnte.“

„Das Regenwasser hat sich eher hier oben auf der schräggeneigten Ebene gesammelt und wurde dann hier aufgefangen“, widersprach der Kutscher.

„Genau, und zwar in diesen Brunnen. Die liefen dann voll, und dann hatten die Leute immer eine frische Reserve.“

„Glaube ich nicht“, sagte der Kutscher. „Das sieht mir ganz und gar nicht nach Brunnen aus. Schau doch mal genau hin: In den Schächten würde das Wasser sofort versickern, weil es winzig kleine Hohlräume gibt. Das hier ist etwas anderes.“

„Hm, aber was?“

„Das werden wir herausfinden“, sagte Hasard, „aber für Brunnen halte ich das auch nicht. Wahrscheinlich bezogen sie ihr Trinkwasser auf eine ganz andere Art und Weise.“

„Das ist auch nicht von unbedingt weltweiter Bedeutung“, meinte der Kutscher. „Sehen wir uns doch einmal den Schacht im anderen Hof an, der einem Grabgewölbe ähnelt.“

Er reichte Hasard eine der beiden Fackeln und wollte die andere dem Profos geben, aber der wehrte ab.

„Ich bin kein Freund von alten Gräbern und so. Und auf Schätze bin ich auch nicht sonderlich wild. Außerdem ist das Grab viel zu eng für so viele Leute. Wenn du nichts dagegen hast, Sir, sehe ich mir mal die geneigte Ebene an. Mich würde brennend interessieren, wohin sie führt.“

„Keine Einwände, aber sei trotzdem vorsichtig, auch wenn die Insel nicht bewohnt ist.“

Dan und Ferris Tucker warfen sich einen Blick zu.

„Wir gehen mit Ed“, entschied Dan, „die Kammer können wir uns später immer noch ansehen.“

Ferris nickte, denn auch ihn interessierte dieser schräge Aufstieg, dessen Ende sich irgendwo in wildwuchernden Büschen verlor.

Die anderen wiederum interessierte mehr die künstlich angelegte Höhle, Grabkammer, oder was immer es auch sein mochte, und so blieben sie zurück.

Sie mußten einen Teil des Ringwalles übersteigen und nahmen eine Stelle, wo starke Brotfruchtbäume einen Teil der Gigantenmauer teilweise gesprengt hatten. Dort lag überall Basaltschutt herum.

Kurz darauf befanden sie sich in einer Art Rinne und waren von hohen Basaltwällen umgeben. Rechts und links konnten sie nicht ausweichen. Der Weg führte schräg bergauf. In der Rinne standen kleine Büsche und bunte Blumen. Ein paar Steinbrocken lagen herum. Der Aufstieg war zwar nicht gefährlich, aber mühsam und unbequem. Trotz des milden Nordostpassats herrschte in der Rinne eine mörderische Hitze. Die Basaltwälle fingen sie auf und strahlten sie wieder zurück.

Einmal rutschte Ferris aus und geriet ins Straucheln. Carberry griff zu und hievte seinen Freund wieder hoch.

Mit jedem Yard aufwärts nahm die Hitze zu. Bald rann ihnen der Schweiß in Bächen über die Gesichter.

„Schlimmer als im Backofen“, stöhnte Dan, „dabei haben wir noch nicht einmal die Hälfte der Strecke zurückgelegt.“

Die Steigung war größer, als sie zuvor angenommen hatten. Es ging auch nur noch mühsam vorwärts, weil die Glut der Sonne ihnen buchstäblich die Luft nahm.

Sie blieben stehen, um zu verschnaufen. Von fast halber Höhe sahen sie die anderen, die um die Kammer im Halbkreis standen. Der Kutscher bemühte sich gerade, die Inschrift auf den Steintafeln zu entziffern. Die Kameraden wirkten klein wie Spielzeug.

Dan O’Flynn deutete auf eine rotleuchtende, mehr als handtellergroße Blume, die in der Rinne wuchs. Sie hatte fünf strahlenförmig angeordnete Blüten mit gelben Schäften. Aber die Blume war zur Hälfte zertreten worden, das war deutlich zu erkennen.

„Das ist doch eigenartig“, meinte er. „Sieht so aus, als sei gerade kürzlich jemand hiergewesen, der seitlich auf die Blume getreten ist. Ob das die Männer waren, die mit dem Boot verschwunden sind?“

„Wer sonst!“ sagte Carberry. „Ich frage mich nur, was die in dieser brühheißen Pißrinne gesucht haben.“

„Das wissen wir vorläufig noch nicht. Möglicherweise hängt das mit irgendwelchen uralten Ritualen und Gebräuchen zusammen. Gehen wir nun weiter, oder schlagen wir hier Wurzeln? Schließlich wollen wir ja erfahren, wohin diese Rinne führt.“

Sie gingen ein Stück weiter. Die Sonne sengte so heiß, daß es kaum noch zum Aushalten war. Zudem gab es glatte Stellen in der Rinne, in denen sie immer wieder abrutschten.

Dann entdeckten sie ganz plötzlich vor sich ein dünnes Tau. Es war aus Kokosfasern zusammengedreht und lag zwischen Gräsern, Blumen und kleinen Büschen.

„Na, das ist aber fein“, sagte Carberry. „Das erleichtert uns die verdammte Kletterei. Die lieben Kerlchen haben es oben irgendwo befestigt und entern dann gemütlich auf, damit sie nicht abrutschen.“

„Gute Idee“, lobte Dan. „Sie hätten das Tau ruhig verlängern können, aber das ist hier wirklich die schwierigste Strecke.“

Der Profos sah das Tau als sehr willkommen an. Er grinste erfreut, bückte sich und hob es auf. Dann zog er daran, um zu prüfen, ob es auch hielt.

Er hätte es lieber nicht tun sollen, denn die „lieben Kerlchen“ hatten keinesfalls die Absicht, den Arwenacks das Klettern zu erleichtern, so menschenfreundlich waren sie gar nicht.

Als der Profos mit seinem Gewicht an dem Tau hing, nahm das Verhängnis seinen Lauf.

Eine primitive Maschine erwachte zum Leben und schickte sich an, mit tödlicher Präzision zu funktionieren.