Seewölfe Paket 11

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Zwischendurch reichten anmutige junge Tänzerinnen Früchte und berauschende Getränke. Das dem Kawa ähnliche Getränk berauschte jedoch sehr schnell, und der erste, der mit glasigen Blicken auf die Tänzerinnen stierte, war der Hitzkopf Luke Morgan.



Hasard warf dem Profos einen Blick zu. Carberry verstand sofort.



„Trinkt vorsichtig, ihr triefäugigen Hafenratten“, warnte der Profos. „Sauft das Zeug nicht so in euch hinein, sonst fallt ihr um und steht die nächsten Tage nicht mehr auf. Und wen ich total besoffen bei der Arbeit sehe, den hänge ich zum Auslüften so lange an die Rah, bis er Schimmel ansetzt. Habt ihr das kapiert?“



„Das Zeug schmeckt aber wirklich gut“, sagte Luke lallend. „Ich will noch mehr davon!“



Er kriegte aber nichts mehr, und der Profos goß ihm Kokosmilch in die Schale.



Luke war so voll, daß er jedesmal, wenn er Kokosmilch trank, verzückt die Augen verdrehte.



„Ein – ein – ed-edles Gesöff“, lobte er überschwenglich. „Und so schön berauschend.“



Aus dem Wassertempel ertönte Gesang, und als das Singen zart durch die Nacht herüberklang, da war die Hexe Rangda von dem Dämon endlich besiegt worden.



Die Bewegungen wurden matter und langsamer, als ließe der Gesang die Tänzer aus tiefer Trance erwachen. Einer nach dem anderen blieb stehen. Ihre Blicke wurden klarer, und die meisten sahen sich ernüchtert um, als grenzenloser Jubel losbrach. Wieder einmal hatte der Dämon mit Hilfe der jungen Männer es geschafft, das Böse zu besiegen.



Auch der Balian kehrte mit glänzenden Augen zurück und nahm dicht neben dem Seewolf auf dem Boden Platz.



Gedämpfte Schweinestücke wurden herumgereicht, und die Seewölfe hieben kräftig rein.



Der Balian unterbreitete Hasard gestenreich den Vorschlag, man solle doch die Gefangenen holen, um sie abzumurksen, doch Hasard schüttelte den Kopf. Die Leute waren teilweise berauscht und in genau der Stimmung, in der sie das auch getan hätten.



Statt dessen erklärte der Seewolf, sie würden die neun Männer zu einer kleinen Insel bringen.



Der Balian verstand, erhob sich und zeigte erfreut nach Osten. Damit meinte er die Insel, die die Seewölfe schon gesehen hatten. Drei Inseln gäbe es, erklärte der Medizinmann, und damit war das Thema für ihn erledigt.



Nach einer kurzen Pause ging es weiter.



Das Holz in der Grube wurde entzündet und mit einer Flüssigkeit getränkt, die es schnell brennen ließ.



Rings um die Grube wurde Aufstellung genommen, und wieder strömten alle zusammen und blickten in das lodernde Feuer.



„Jetzt bin ich aber wirklich gespannt, was das wird“, sagte Big Old Shane zu Hasard. „Bis jetzt sehe ich noch keinen Sinn darin.“



„Eine rituelle Handlung“, meinte Hasard achselzuckend. „Nur, in welcher Form sie stattfindet, weiß ich nicht.“



„Vielleicht verbrennen sie die Toten“, meinte Smoky. „Deshalb ist die Grube auch so lang.“



Aber sie brachten keine Toten Zwölf sehr lebendige Männer erschienen auf geheimnisvolle Weise aus dem Tempelwald. Sie tauchten so urplötzlich auf, als wären sie aus dem Boden gewachsen.



Junge Mädchen legten sich an den Rand der Mulde und bliesen ins Feuer, das immer stärker aufloderte. Dann wurde das Feuer außerdem noch mit langen Palmwedeln angefacht, bis auf dem Grund der Mulde das Holz hellrot aufglühte.



Hasard sah sich die Männer an, die am hinteren Ende der Mulde Aufstellung nahmen. Sie wirkten unbeteiligt. Ihre Gesichter waren maskenhaft starr, und wenn sie sich bewegten, wirkte es hölzern.



Als Bekleidung trugen sie nur einen von der Hüfte bis zu den Knien reichenden Schurz aus buntem Stoff. Dazu hatten sie ein gebogenes Bambusgestell über dem Rücken hängen, das mit langen Gräsern und getrockneten Pflanzen verziert war.



Als Hasard den Balian fragend ansah, der sich immer an seiner Seite hielt, erschien ein geheimnisvolles Lächeln auf seinem Gesicht, und er sprach schnell ein paar unverständliche Worte.



Dann zeigte er auf die Männer und unterstrich mit Gesten, daß sie alle durch das Feuer gehen würden.



Es handelte sich um das Trance-Zeremoniell des Sanghyan Djaran, das zweitgrößte Fest auf Bali, wie der Balian versicherte.



Smoky, Blacky, Big Shane, der junge O’Flynn und selbst der Seewolf sahen den Balian ungläubig an.



„Der will uns wohl auf den Arm nehmen“, sagte Dan. „Ich habe noch keinen Menschen gesehen, der durch so ein Feuer geht. Und wenn es einer wagt, überlebt er nicht einmal die erste halbe Minute. Da drin ist es so heiß wie in der Hölle!“



„Als ob du schon mal da gewesen bist“, spottete Smoky. „Vielleicht meinen die damit zum Tode Verurteilte, die man auf den Scheiterhaufen wirft wie bei den Hexenverbrennungen bei uns.“



Der Seewolf zog plötzlich ein bedenkliches Gesicht. Es widerstrebte ihm, hier einzugreifen, wenn das wirklich geschah, aber er fand den Gedanken von Smoky gar nicht unwahrscheinlich.



Noch einmal sah er sich die Männer an, die wartend in einer langen Schlange Aufstellung nahmen.



Sollten das zum Tode Verurteilte sein? überlegte er beklommen. So sahen sie gar nicht aus, aber der Teufel mochte wissen, was hier vorging und was das alles bedeutete.



Nein, sie mußten den Balian warnen, keine Menschen zu verbrennen, selbst wenn sie damit geheiligte Riten störten.



Anscheinend sah der Balian die Zweifel in Hasards Augen, denn er lächelte beruhigend und demonstrierte etwas.



Er tat ein paar tänzelnde Schritte, drehte sich dabei ein paarmal um seine eigene Achse, schloß die Augen und tat so, als ginge er durch das knisternde Feuer. Unversehrt und ohne Schaden würde dort jeder der Tänzer wieder erscheinen, betonte er.



Der Profos schüttelte den Kopf, während Hasard sinnend den Balian anblickte.



„Das gibt es nicht“, behauptete Ed sturköpfig. „Das kann mir keiner erzählen. Seht euch doch nur mal das Feuer an, das ist ja wirklich eine Höllenglut. Niemand läuft da hindurch.“



„Daran glaube ich auch nicht“, versicherte Smoky. „Und du glaubst auch kein Wort, Sir, oder?“



„Ich weiß nicht recht“, erwiderte Hasard. „Bei den Insulanern ist alles möglich. Da gibt es unerklärliche Geheimnisse.“



Sie schlossen untereinander Wetten ab, sahen in die gewaltige wabernde Glut, die sie nicht einmal für Sekunden die Hände hineingehalten hätten, und schüttelten die Köpfe.



Da sollte ein Mensch durchgehen? Ausgeschlossen, entschieden sie. Oder sie hatten den Balian mißverstanden wegen der Sprachschwierigkeiten.



Einige der maskenhaft starr wirkenden Männer trugen eine Art Amulett an dem gebogenen Bambusstab. Es zeigte den Kopf eines Stieres oder eines Hundes. Auch das Haupt eines Löwen glaubten sie deutlich zu erkennen.



Eine seltsame Stille senkte sich über den Platz. Die Seewölfe traten ein paar Schritte zurück, denn die Glut, die aus der Mulde drang, legte sich beklemmend heiß auf die Lungen und ließ das Atmen zur Qual werden.



Irgendwo aus dem Tempelwald erklang das leise Dröhnen einer Trommel. Anfangs leise, dann schwoll es immer mehr an. Dazwischen wurde ein riesiger Gong geschlagen, der über die ganze Nordseite der Insel dumpf und dröhnend erklang. Die Abstände wurden kürzer, dafür wurden die Töne sinnverwirrend und laut.



Die Männer bewegten sich kaum. Erst als der Balian am Rand der lodernden Grube Aufstellung nahm, kam Bewegung in die Leiber. Schweißtropfen standen auf den braunen Körpern, nur die Augen waren immer noch seltsam starr und teilnahmslos in das Feuer gerichtet.



Selbst die Insulaner blieben stumm. Niemand sprach auch nur ein Wort.



Noch einmal dröhnte der Gong auf, dann senkte sich bleierne Stille über die Insel, und die Natur schien den Atem anzuhalten.



Da trat der erste feierlich vor. Er hob den Kopf und rief mit schriller Stimme ein kurzes Wort.



Was dann folgte, jagte den abgebrühten Seewölfen einen Schauer nach dem andern über den Rücken. Sie trauten ihren eigenen Augen nicht mehr.



Der Mann schritt in die Glut, drehte sich dabei um seine Achse, tänzelte auf den glühenden Scheiten und schritt ruhig und feierlich weiter. Flammen schlugen bis an seine Hüfte, griffen nach dem Bambusgestell und hüllten die Gestalt ein, die ruhig und gemessen immer weiterschritt, bis ein Aufstöhnen durch die Menge ging.



„Das – das gibt es nicht“, ächzte Carberry. Er sah das Bild klar und deutlich vor sich, und doch hatte er das Gefühl, als erlebe er einen bösen Traum.



Der erste Tänzer hatte jetzt fast die Mitte der Grube erreicht, als auch schon der zweite in die Höllenglut trat und dem ersten Mann auf die gleiche Art folgte. Niemand hatte es eilig, keiner rannte, um die Pein so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Gemessenen Schrittes wurde die glühende Mulde durchwandert, und jetzt hatte der erste sein Ziel erreicht.



Er stieg aus der flachen Grube, ging weiter und kehrte in einem Bogen von außen an den Ausgangsort zurück.



Der Seewolf blickte auf seinen Körper, ganz besonders aber auf seine Beine.



Es gab keine Brandblasen, keine sichtbaren Verletzungen, und der Mann sah nicht so aus, als habe er Schmerzen.



Der Kutscher griff sich verzweifelt an die Stirn und wirkte total verstört.



„Der Mann müßte verbrannt sein“, stammelte er.



„Er ist aber nicht einmal verletzt“, sagte Hasard. „Oder kannst du irgendeine Wunde entdecken?“



„Nein, nicht die geringste.“



„Ich begreife das auch nicht, Kutscher, und ich weiß nicht, ob wir jemals dafür eine Erklärung kriegen. Aber ich sehe es mit meinen eigenen Augen und muß es wohl oder übel glauben.“



Vier Männer waren jetzt schon wie in einer feierlichen Prozession durch das tödliche Feuer geschritten, ohne auch nur den geringsten Schaden zu nehmen.

 



Die Seewölfe stöhnten ungläubig und konnten es nicht fassen. Immer noch standen in jedem Gesicht Zweifel und bange Erwartung, wenn sie die Feuertänzer beobachteten.



Die meisten der Tänzer hatten die Augen geschlossen. Einige aber waren dabei, die die Glut mit starren, weitgeöffneten Augen durchschritten. Sie wirkten wie Puppen, die an langen unsichtbaren Fäden durch das Feuer gezogen wurden.



Nach einer endlos scheinenden Ewigkeit war auch der letzte Mann hindurchgeschritten, ohne Schaden zu erleiden. Lediglich die Gräser an den Bambusgestellen hatten Feuer gefangen, bei jedem einzelnen, und auch die getrockneten Blumen qualmten oder brannten.



Am Ausgang der Mulde schlugen sie die Bambusstöcke auf den Boden, bis das Feuer gelöscht war.



Es gab keine körperlichen Schäden, denn der Balian zeigte den Seewölfen die Männer, hielt sie fest und drehte sie langsam um ihre Achse, wobei jeder der Seewölfe vergeblich nach Brandblasen suchte.



Dann rief der Balian mit beschwörender und lauter Stimme ein paar Worte, fuhr den Männern mit der Hand über die Gesichter und murmelte schließlich nur noch leise.



Einer nach dem anderen erwachte aus seiner maskenhaften Starre, als kehre jetzt erst das Leben in ihn zurück. Die Bewegungen wurden fließender, die durch das Feuer Geschrittenen gaben sich gelöst und setzten sich auf den Boden.



Hasard sah in entspannte Gesichter. Nur Carberry und Smoky saßen immer noch mit offenen Mündern da und starrten die unheimlichen Feuertänzer an.



Dann stand der Profos auf und trat an die Grube.



„Da muß ein mieser Trick dabei sein“, sagte er. Er hielt die Hand über die Grube, zog sie aber sofort mit einer leise gemurmelten Verwünschung zurück, denn was ihm da entgegenschlug, war heißer als das Feuer des Kutschers in der Kombüse.



„Vielleicht möchtest du auch einmal da durchlaufen“, sagte Smoky. „Ich wette um ein Faß Rum und meinen Anteil, wenn du da heil durchmarschierst.“



„Nicht für alle Schätze der Welt“, versicherte Ed. „Ich würde schon nach dem ersten Schritt in Flammen aufgehen. Aber diese Burschen haben sich in einen Rausch versetzt, das sah man deutlich an ihren Augen.“



„Das erklärt noch lange nicht, daß das Feuer ihnen nichts anhaben konnte“, meinte Hasard.



„Nein, allerdings nicht“, gab Ed widerwillig zu. „Könntest du nicht mal den Balian danach fragen, Sir?“



Hasard tat es, aber der Balian hatte keine Erklärung dafür. Er sagte nur, daß die Männer glaubten, das Feuer werde ihnen nichts anhaben und allein ihr Wille würde das Feuer bezwingen.



Das begriff erst recht niemand.



Spät in der Nacht wurde das Fest beendet. Viele Insulaner blieben noch und tanzten.



Da nahm der Balian den Seewolf beiseite.



„Morgen“, so erklärte er, „wird Atun, der Priester, verbrannt, der durch den Dämon des Gunung Agung ums Leben kam. Es wird ein Fest, ein Totentanz. Alle mögen erscheinen.“



Hasard versprach es schließlich, worauf der Balian sich feierlich verneigte und bedankte.



Anschließend fuhr die Crew mit dem Boot an Bord zurück, aber dort wurde noch weiter diskutiert. Das Thema der Feuertänzer, das so beeindruckend war, war für die Seewölfe noch lange nicht erledigt.





8.



Die in der Vorpiek eingesperrten Piraten begannen am nächsten Morgen mit einem Höllenkonzert. Sie schrien und brüllten durcheinander und rasselten mit den Ketten.



Smoky brachte ihnen etwas zu essen und frisches Trinkwasser.



Auch der Profos erschien mit einer Lampe in der Hand. Als sie sein narbiges Gesicht sahen, begann das Brüllen erneut.



„Laßt uns endlich raus, ihr Hunde!“ brüllte der Anführer.



Carberry musterte ihn lange im Schein der flackernden Lampe.



„Wenn du noch einmal dein Maul aufreißt“, drohte er, „dann ziehe ich dir als erstem die Haut von deinem Rattenarsch! Es bleibt dabei: Ihr werdet auf eine Insel gebracht, und dort könnt ihr tun und lassen, was ihr wollt. Dort könnt ihr auf den nächsten Kahn warten, falls in diesem Jahrhundert einer die Insel anläuft. Und jetzt will ich nur noch freundliche Nasenlöcher sehen, sonst hole ich die Neunschwänzige und lasse euch Halunken tanzen!“



Carberrys entschlossenes und grimmig verzogenes Gesicht beruhigte die Kerle augenblicklich.



Der Anführer schwieg, und damit verhielten sich auch die anderen ruhig.



„Ich bin froh, wenn wir diese verlauste Satansbrut endlich von Bord haben“, sagte er zu Smoky.



„Du sprichst mir aus der Seele. Ein anderer hätte die Kerle längst einen nach dem anderen an die Rah gehängt.“



Nach dem Essen wurde Wasser gemannt, und ein paar Eingeborene brachten Körbe voller Reis an den Strand, von dem es hier soviel gab wie im Land des Großen Chan.



Der Balian, der in Begleitung zweier Mädchen am Strand erschienen war, erklärte dem Seewolf, gegen Mittag, wenn die Sonne ihren höchsten Stand erreiche, würde das Fest des Affengottes beginnen. Sie hätten es schon zu lange hinausgeschoben und Hanuman würde sonst grollen und seinen Zorn nach ihnen schleudern.



Hasard hielt auch das für eine Einladung und nahm an.



Dann blickte er zum Wassertempel hinüber und wunderte sich über das große Bambusgerüst, das da am Strand stand.



„Für den Priester Atun“, erklärte der Balian. „Es ist seine Totenstätte. Nach dem Fest wird er verbrannt.“



Das Gerüst hatten sie anscheinend noch vor Sonnenaufgang gebaut.



Es war ein Turm aus Bambus und dem Holz des Wracks, von dem sie zersplitterte Planken genommen hatten.



Links, ganz dicht am Palmenwald, wo es zu den kleinen Geistertempeln der verstorbenen Ahnen ging, befand sich eine Bale, eine kleine Pfeilerhalle, die von allen Seiten offen war.



Der Balian führte den Seewolf und Ben Brighton darauf zu.



Er deutete auf holzgeschnitzte Tierköpfe, die die Bale zierten und prächtig bemalt waren.



„Das ist die Schlange Naga“, sagte der Balian, „das der Adler Garuda, das Schwein, die Schildkröte und der Stier. Atun kann nun eingehen in das Reich der Götter.“



Der Balian streckte die Arme aus, als wolle er alles umarmen. Doch damit deutete er an, daß es ein großes Fest werden würde.



„Die feiern hier anscheinend nur große Feste“, meinte Ben. „Mit kleinen fangen die gar nicht erst an.“



Sie sahen sich alles an, was der Balian ihnen erklärte, und immer wieder neue Eindrücke stürmten auf sie ein.



Mit den paar Brocken Polynesisch konnten sie sich mehr schlecht als recht verständigen, und immer wieder blieben Fragen offen, die nicht geklärt werden konnten. Aber es ging auch mit Gesten und umständlichen Beschreibungen.



Der Balian versuchte, den Seewölfen die Geschichte der Insel zu erklären, langsam und geduldig. Er erzählte von Göttern und Dämonen, von dem Tempel der Elefanten und dem heiligen Fluß, einem Blutstrom der Dämonen.



Dann vergingen noch einmal drei Stunden, und das Fest für Hanuman, den Affenkönig, begann. Wie alle Feste auf Bali wurde es in unmittelbarer Nähe des Strandes gefeiert.



Kecak wurde getanzt, und die Insulaner fungierten dabei wiederum als Helfer des Affenkönigs.



Immer lauter und wilder erscholl ein Ruf, der sich pausenlos wiederholte.



„Kecak! Kecak!“



Die Tänzer saßen in Fünferreihen auf dem Boden und streckten die Hände über ihre Köpfe. Sie beschworen den Affenkönig und deuteten Gesten der Versenkung an, die sich Hasard nicht erklären konnte. Der ganze Tanz blieb geheimnisvoll und fremd. Sie erfuhren lediglich, daß das Fest dazu diente, Gefahren oder drohendes Unheil abzuwenden, wie den zornigen Ausbruch des Gunung Agung, von dem immer noch leichter Rauch in den Himmel quoll.



Das Kecakfest würde am anderen Abend erst richtig weitergefeiert werden, erläuterte der Balian. Dies war nur eine Vorstufe davon, um den Gott zu besänftigen.



Die Seewölfe mußten essen und trinken, und immer wieder wurden fremdartige Speisen gereicht, bis sogar der Profos stöhnte.



„Wann nimmt denn das ein Ende?“ fragte Ed. „Wenn das noch lange weitergeht, habe ich mich restlos überfressen und kann nicht mehr laufen. Aber abschlagen darf man auch nicht, oder?“



„Ich glaube, es würde ihren Stolz verletzen“, sagte Hasard. „Ich selbst kriege auch nichts mehr runter.“



Sie saßen im Schatten unter einem riesigen Banyonbaum. Die Hitze, die hohe Luftfeuchtigkeit, das viele Essen und Trinken ließen sie matt und träge werden.



Der Balian war unermüdlich unterwegs, und etwas später herrschte unnatürliche Ruhe. Kein Insulaner war mehr zu sehen.



„Die werden ihr Mittagsschläfchen halten“, meinte Dan O’Flynn. „Kein Wunder bei den vielen Festen.“



„Das ist ziemlich unwahrscheinlich. Ich glaube, sie treffen immer noch ihre Vorbereitungen, um den Priester zu verbrennen.“



Mit der Vermutung behielt Hasard recht, denn es dauerte nicht mehr lange, und in der Luft lagen wispernde Stimmen, die sich anhörten wie ein Sprechgesang. Sie waren noch weit entfernt, aber die kehligen Laute ertönten zweifelsfrei aus dem Wald der vielen Tempel.



Hasard stand auf, seine Schläfrigkeit war verflogen. Die anderen folgten seinem Beispiel.



Geheimnisvolle Gamelanmusik erklang, von Instrumenten erzeugt, die vorerst noch unsichtbar blieben. Gleichzeitig schwoll auch der Sprechgesang an und wurde lauter.



Die ersten Eingeborenen erschienen, an ihrer Spitze der Balian und zwei weitere, im Rang niedriger stehende Medizinmänner. Ihnen folgte ein endlos langer Zug brauner Leiber.



Voran gingen buntgekleidete Mädchen. Auf ihren Köpfen trugen sie hohe Schalen, die mit allen Früchten gefüllt waren, die auf der Insel wuchsen. Zwischen den Früchten waren leuchtende Blumen gesteckt. Die Menge bewegte sich unter leisem Gesang in Richtung der kleinen Bale.



Es war kein Fest der Traurigkeit, wie es die Seewölfe aus anderen Ländern kannten. Die Beerdigung des Priesters hatte eindeutig fröhlichen und unbeschwerten Charakter.



Eine Gruppe junger und alter Männer folgte den Mädchen. Sie murmelten etwas, jemand sprach ein paar Worte vor, und gleich darauf erklang wieder die Gamelanmusik. Die Prozession wirkte unglaublich bunt und quirlte durcheinander, ohne daß scheinbar eine gewisse Ordnung eingehalten wurde.



Andere Männer trugen eine hölzerne Schlange, die aus einem Baumstamm geschnitzt war. Sie war mit Leder und bunten Tüchern geschmückt, und um die heilige Naga hatte man außerdem noch flatternde Bänder geschlungen und Blumen herumgewunden.



In feierlicher Handlung wurde die Schlange zum Totentempel geleitet, wo man sie niederlegte.



Opfergaben wurden bereitgelegt, eine bestimmte Gruppe eng beieinanderstehender Insulaner nahm vor der Bale Aufstellung.



Da Hasard keine Erläuterungen mehr erhielt, mußte er sich das meiste selbst zusammenreimen.



„Das sind vermutlich die engeren Verwandten des Priesters“, sagte er auf Carberrys unausgesprochene Frage.



„Glaubst du, es ist ihnen nicht lästig, Sir, wenn wir hier herumstehen?“ wollte Ed wissen.



„Nein, ganz bestimmt nicht. Wir verletzen nicht ihre Pietät, sonst hätte der Balian uns nicht ausdrücklich eingeladen.“



„Ein Stier“, sagte Smoky, kaum das der Seewolf zu Ende gesprochen hatte. „Was hat das denn zu bedeuten?“



Das wußte auch Hasard nicht, er nahm jedoch an, es handele sich dabei um einen ähnlichen Götzen wie die Schlange Naga oder den Affengott Hanuman.



Es war allerdings kein richtiger Stier, das sahen sie sofort. Aber er war verblüffend echt nachgebildet, auch was die Größe betraf.



Etliche Männer schleppten ihn und brachten ihn in die Nähe des Bambusturmes, wo sie ihn auf den Boden stellten.



Der Stier war schwarz mit großen aufgemalten Augen, silbern schimmernden Hörnern und einem gebleckten Gebiß, das freundlich zu grinsen schien. Ein sanftmütiger Stier also. Um den Hals trug er eine reich verzierte Decke, das gleiche über dem Hinterleib.



Zwei Männer gingen auf den Stier zu und hantierten an ihm herum. Eine Öffnung entstand im Stierleib, und in dem Halbdunkel erkannte man Bambusstangen und Felle. Das Gerüst verlieh dem Stier Halt und ließ ihn ungewöhnlich groß erscheinen.



Was es damit allerdings auf sich hatte, wußten die Seewölfe nicht, sie sollten es aber bald erfahren.



Vor der Bale wurden immer mehr Opfergaben niedergelegt. Die jungen Mädchen begannen laut zu beten.

 



Anschließend hielt der Balian eine feierliche Ansprache, breitete die Arme aus und zeigte zu dem Pagodenwald hinüber, wo die kleinen Geistertempel geheimnisvoll herüberschimmerten.



Dann wurde es still, so still, als hätte die ganze Insel Bali den Atem angehalten.



Fasziniert sahen die Seewölfe auf eine weitere Prozession, die sich dem Bambusturm und dem Stier näherte.



Sechs farbenprächtig gekleidete ältere Männer trugen den toten Priester Atun. Seine Leiche war in ein weißes Gewand gehüllt und mit Bändern umwickelt.



Stumm und mit mechanischen Schritten wurde der Tote in die offene Bale getragen und ebenso lautlos auf einen quadratischen Stein gelegt.



Es war ein merkwürdiges Zeremoniell, fanden die Seewölfe, denn statt mit den Totenfeierlichkeiten fortzufahren, schien es, als hätte jedermann das Interesse an dem toten Priester verloren.



Die Insulaner gingen herum und verteilten Früchte, setzten sich auf den Boden und aßen. Auch die Angehörigen, die in einer Gruppe eng beisammen waren, nahmen allerlei Speisen und Getränke zu sich.



Auch die Seewölfe kriegten wieder ihren Teil, und kaum jemand war in der Lage, noch einen Bissen zu schaffen.



Die Speisung dauerte nochmals eine Stunde, dann war sie beendet, und die Totenfeier ging weiter und nahm ihren Lauf.



Jetzt ertönten laute Gebete, Sprechgesänge und fremdartige, seltsam hohl klingende Musik.



Die Priester gingen auf und ab, der Balian trug eine Schale mit geweihtem Wasser in seinen Händen und benetzte damit den Toten. Dazu sprach er unverständliche Worte. Dann stellte er die Schale auf den Boden und gab den anderen Priestern ein Zeichen mit der Hand.



Daraufhin näherten sich die niedrigen Priester dem Leichnam und wickelten ihn aus dem weißen Gewand, bis sein eingefallenes Gesicht sichtbar wurde.



Die nächsten Angehörigen traten feierlich und hölzern hinzu, blickten in das welke Antlitz des Toten, wie es ihre Pflicht war, und zogen sich dann etwas zurück.



Das Tuch wurde wieder zurückgeschlagen und über den Leichnam Atuns eine bunte Decke gebreitet. Auch die wurde von dem Balian noch einmal mit ein paar Spritzern Wasser geweiht.



„Ich glaube, sie tragen die Leiche jetzt in den Stier“, flüsterte Hasard seinen Männern zu, die mit großen Augen auf das seltsame und ungewohnte Ritual sahen und nie wußten, wie es weiterging.



„Und dann?“ fragte Dan leise zurück.



„Wird er verbrannt, nehme ich an, einschließlich Turm und Stier.“



Der Tote wurde tatsächlich aufgehoben und unendlich vorsichtig in die Öffnung des hölzernen Stieres gelegt. In einem feierlichen Akt wurde die klappenähnliche Öffnung dann verschlossen.



Nun strömten immer mehr Männer hinzu, stellten sich um den Stier herum und hoben ihn auf ein leises Kommando hoch. Während die Priester laut sangen, wurde der Stier mit dem Toten zum Bambusturm getragen und dort wieder abgesetzt.



Um den Turm herum war Holz aufgeschichtet worden, und es wurde immer noch mehr herangetragen. Auch trockene Palmwedel wurden gebracht und so hoch aufgeschichtet bis nur noch der grinsende Kopf des Stieres und seine großen, weithin leuchtenden Augen zu sehen waren, die starr auf die Menge blickten.



Wieder murmelte der Balian unverständliche Worte, weihte den Stier und den Verbrennungsturm und nahm dann aus einer Schale glühende Holzkohle. Sechs Becken wurden gefüllt, aus denen leichter Rauch wehte.



Sechs niedere Priester erhielten die Schalen und nahmen rings um dem Stier Aufstellung.



Dann folgte wieder Gesang, der Balian entfernte sich, und in den Totengesang stimmte der ganze Chor der Insulaner ein, bis der Gesang mächtig anschwoll und sogar das Rauschen des Meeres überlagerte.



Der Balian ging direkt auf Hasard zu und verneigte sich leicht. Er versuchte Hasard den Sinn der rituellen Handlung zu erklären und sagte sinngemäß: „Atun wird jetzt verbrannt. Zum Priestergesang wird der Todesturm entzündet, und die Schlange Naga wird die Seele des Priesters mit in den Himmel nehmen. Aber Atun ist noch nicht frei. Er ist erst dann rein und befreit, wenn seine Asche in der folgenden Nacht dem Meer übergeben wird.“



Hasard und auch die Seewölfe, die in seiner unmittelbaren Nähe standen, hatten begriffen.



„Dann ist er frei für alle Ewigkeit“, sagte Hasard.



Doch der Balian schüttelte den Kopf.



„Nein, noch nicht. Atun ist erst dann frei, wenn das Ritual nach vierzig Sonnenaufgängen wiederholt wird.“



„Das ganze Ritual?“ fragte Hasard mit einer allumfassenden Bewegung seiner Hände.



Der Balian erklärte umständlich, daß das Ritual auf Palmenblättern nachvollzogen würde. Auf die Blätter würden Abbilder gemalt und die Handlung noch einmal nachvollzogen. Erst dann sei Atun wirklich frei und würde in die höchsten Gefilde eingehen.



Der Seewolf erfuhr auch, daß die Angehörigen und die Bewohner des Dorfes augenblicklich noch unrein seien, solange die Handlung nicht zum zweiten Male nachvollzogen wäre. Erst danach wäre jedermann frei von Verunreinigung.



Der Balian fragte, ob sie verstanden hätten, und als Hasard das bejahte, verneigte er sich wieder und ging davon.



„Das ist noch komplizierter als bei den Chinesen“, sagte Dan. „Das kann sich ein Fremder kaum vorstellen.“



„Nicht mehr reden jetzt“, sagte Hasard. „Die für die Insulaner heilige Handlung nimmt ihren Anfang!“



Die Seewölfe schwiegen, als die Priester, die bis dahin mit den Schalen um den Holzstoß herumgestanden hatten, ein Zeichen erhielten.



Glühende Holzkohle ergoß sich wie Blut über den Stier, den Turm und das angehäufte Holz.



Es begann sogleich zu brennen, kleine Flammen schlugen hoch, wurden größer und größer, und bald darauf brannte der Turm wie eine riesige Fackel.



Fauchend fraß sich das Feuer weiter, bis es den Stier einhüllte, aus dessen Schädel jetzt helle Flammen schlugen.



Der Gesang wurde noch lauter, und eine seltsame Ergriffenheit lag über dem Platz in Strandnähe.



Von überall her liefen Kinder zusammen und sangen mit.



Etwas später stand der Turm lichterloh in Flammen, und nun wurde die brennende Fackel noch größer, die den Stier und den darin eingebetteten Priester gierig verschlang. Es knackte und prasselte, die erhitzte Luft fauchte über die Prozession hinweg. Es schien, als würde der Priester bis in alle Ewigkeit brennen und seine Seele durch die Glut immer mehr geläutert.



Langsam stürzte das große Gerüst in sich zusammen. Funken stoben davon und prasselten auf die Körper der Umstehenden. Aber seltsamerweise schien niemand die Glut zu spüren, wie es auch der Fall bei den Feuertänzern gewesen war.



Zwei Stunden lang brannte es, dann blieb ein glühender Aschehaufen übrig, der langsam in sich zusammenfiel.



Von dem toten Priester war innerhalb der relativ kurzen Zeit nichts mehr zu sehen.



Als auch die Asche sich abzukühlen begann, wurde sie zusammengetragen und in eine große Schale gefüllt.



Spät in der Nacht, wie es der Balian vorausgesagt hatte, wurde die Asche dann dem Meer übergeben.



Damit hatte Atun die erste Stufe der Reinkarnation erreicht und befand sich auf dem Weg ins Nirwana.



Damit endete auch für die Seewölfe der Tag, der anstrengend genug gewesen war und an den sie noch lange denken würden.



Die Verabschiedung begann und drohte noch einmal in eine Feier auszuarten.



Noch vor dem ersten Morgengrauen ging die „Isabella“ ankerauf und setzte Segel.



Trotz der frühen Morgenstunde ließ es kaum jemand der Insulaner nehmen, ihr Grüße nachzuwinken. Noch in der letzten Nacht hatten die Balinesen weitere Körbe an Bord geschleppt.



Auf der „Isabella“ gab es Früchte und so viel Reis, daß der Kutscher befürchtete, sie würden nie wieder Land anlaufen müssen, um ihre Vorräte zu ergänzen.



Als sie auf Ostkurs ging, brach in der Vorpiek wieder der Radau los, und die Piraten grölten und klirrten mit den Eisen.



„Laß sie raus, Ed“, sagte der Seewolf. „Sie haben keine Chance gegen uns. Sie sind waffenlos und haben ihre Lektion erhalten. Es dauert nicht lange, bis wir die Insel anlaufen, auf der sie dann bleiben werden.“



Smoky und der Profos ketteten die Kerle los, die es eilig hatten, an Deck zu gelangen.