Seewölfe Paket 11

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6.

Auf der Nordseite der Insel Bali ging das Schreckgespenst in Gestalt der Gestrandeten immer übler um.

Die Kerle hatten sich noch mehr junge Mädchen geholt, und sie benahmen sich, als gehöre ihnen die Insel. Ihre Toten hatten sie in einer großen Mulde in der Nähe des Pagodenwaldes in der Erde begraben. Die jungen Männer mußten unter Androhung von Prügel diese Grube ausheben und die Leichen hineinlegen.

Die Fremden verwüsteten die Insel, hatten etliche Hütten in Besitz genommen und verscheuchten die Insulaner, klauten ihnen die Früchte und nahmen ihnen die Schweine weg.

Immer wieder röhrten ihre Donnerrohre über die Insel, hielten sie Strandfeste ab und randalierten betrunken herum, berauscht von dem Inhalt der angeschwemmten Fässer.

An diesem Morgen erschienen sie wieder, um sich junge Mädchen zu holen und ihren Tribut zu fordern, und als die Insulaner sich zur Wehr setzten, kam es zu einer Schlägerei.

Doch die wurde ganz schnell unterbrochen, denn ein bärtiger Mann erschien und deutete brüllend zum fernen Horizont, wo sich die Umrisse eines größeren Schiffes abzeichneten.

Die Schlägerei war vergessen, die ganze Horde rannte brüllend zum Strand, stellte sich ans Wasser und begann zu winken und laut zu schreien.

Aber das fremde Schiff zog weiter. Es näherte sich nur so weit der Küste, daß man gerade noch die Segel erkennen konnte.

Als das Winken und Schreien nicht half, entzündeten die üblen Kerle einen der großen Holzstöße, und gleich darauf auch den zweiten.

Etwas später schlugen helle Flammen zum Himmel, von dem anderen Holzstoß stieg eine dichte Rauchwolke auf, als sie Gras und grüne Blätter hineinwarfen.

Hoffentlich, dachte der noch immer nicht gesunde Balian, hoffentlich legt dieses Schiff hier an und nimmt die Horde mit.

Dann würde endlich wieder Ruhe einkehren, und sie konnten mit dem Kecakfest beginnen.

Die „Isabella“ segelte nordwärts durch die Passage zweier unbekannter Inseln.

Wenn Hasards Berechnungen stimmten, und er zweifelte nach seinen Karten und den spanischen Roteiros nicht daran, dann mußten sie, vorausgesetzt, sie gingen nördlich der Inselgruppe wieder auf Westkurs, in der Straße von Malakka herauskommen. Die Strecke waren sie schon früher einmal gesegelt. Nur hatten sie damals von Kalimantan aus Kurs auf die Straße von Malakka genommen.

Ein winziger Rest Unsicherheit blieb noch, aber den hoffte der Seewolf zu beseitigen, wenn er später auf Westkurs ging. Diese Inseln, an denen sie jetzt vorbeisegelten, hatten sie jedenfalls noch nie zuvor passiert.

Ergänzend trug er sie daher in die polynesische Karte ein, denn da waren sie nur – bis auf Java – ganz vage ohne Bezeichnung angegeben.

„In ein, zwei Tagen werden wir irgendwo an einer der Inseln anlegen“, sagte er zu Ben, „und Frischwasser nehmen. Mit unseren Früchten ist es auch nicht mehr weit her. Der Kutscher hat schon ganz zaghaft angeklopft und diskret darauf hingewiesen.“

Sie rundeten ein paar Stunden später eine Landzunge und gingen dann auf Westkurs. Der Abstand zum Land mochte etwa fünf bis sechs Meilen betragen.

Jetzt liefen sie wieder raumschots, und der Wind briste ein wenig auf.

Von der Insel war nur ein schmaler Strich zu erkennen. Lange weiße Strände wechselten mit bewaldeten Hügeln dicht am Meer. Dann folgten wieder ganze Kolonien von Palmenwäldern, und einmal sahen sie wie hingeduckt eine Gruppe Hütten.

Die Insel war also bewohnt.

„Feuer an Land!“ rief in diesem Augenblick der Ausguck.

Ganz deutlich war es zu sehen. Am fernen Strand loderte ein Feuer auf, dicht daneben wurde ein zweites entzündet, und gleich darauf quoll eine dunkle Rauchwolke zum Himmel.

„Das ist ein Notzeichen“, sagte Ben. „Vielleicht sind es Schiffbrüchige, die auf der Insel gestrandet sind.“

„Und den Wilden in die Hände gefallen“, ergänzte Dan O’Flynn.

Daß es genau umgekehrt war, ahnte niemand.

Hasard fand das merkwürdig, denn wenn wirklich Schiffbrüchige den Wilden in die Hände gefallen waren, dann konnten sie schlecht in aller Ruhe hingehen und ein Feuer entzünden.

„Da steckt noch etwas anderes dahinter“, meinte er. „Aber das werden wir herausfinden. Wir laufen die Insel an!“

Gleich darauf gingen alle Mann auf Stationen, und die „Isabella“ drehte ihren Bug dem Land zu.

Immer noch flackerte das Feuer, der Schein wurde immer heller. Der andere Holzstoß qualmte und stieß dichte Rauchwolken aus, die einen Teil des Strandes einnebelten. Ein fremdes Schiff war nicht zu sehen, wie Hasard durch das Spektiv feststellte. Auch in der kleinen Bucht hatte sich keins versteckt.

„Mann, da sind Tempel“, sagte Bill zu Blacky. „Im Wald stehen sie, und da vorn sind auch Kerle, eine ganze Schiffsbesatzung.“

Immer deutlicher traten die Einzelheiten hervor.

Ja, am Strand stand eine winkende Horde. Männer rannten hin und her, rissen die Arme hoch und brüllten auch ganz sicher etwas, doch das verstand noch niemand.

Hasard musterte die Burschen durch das Spektiv. Es waren wilde Gesellen, nicht unbedingt vertrauenswürdig, fand er, vielleicht waren es sogar Piraten, die es hierherverschlagen hatte.

„Merkwürdig, daß sich kein Eingeborener sehen läßt“, sagte er zu Ben. „Es scheint, als hätten sie Angst. Dabei stehen ganz in der Nähe Hütten und kleine Tempel.“

Auch Ben Brighton blickte durch das Spektiv.

„Die Kerle sehen wirklich übel aus“, sagte er. „Denen sollten wir nicht über den Weg trauen.“

„Das tun wir auch nicht. Es scheinen Malaien zu sein – oder Indonesier von den Inseln. Ein paar Kerle, die wie Europäer aussehen, sind auch dabei.“

Auch der Profos blieb äußerst mißtrauisch, als er die wild durcheinanderrennenden Burschen sah. Einige hatten Musketen in den Fäusten und gebärdeten sich wie toll. Schüsse wurden abgefeuert, Pistolen krachten, und immer noch ließ sich keiner der Insulaner blicken.

Das gab Hasard immer mehr zu denken.

Zwei Meilen vor dem Strand sahen sie noch die Ausläufer eines Riffs, aber das wurde von Pete Ballie in einem kleinen Bogen umsegelt, bis sich die „Isabella“ dem Strand näherte.

„Fallen Anker!“ rief Hasard.

Der Anker rauschte aus, und sie mußten Trosse nachfieren, denn der Grund bestand aus Korallensand und der Anker slippte nach. Aber nach einer Weile schwojte die „Isabella“ doch ruhig im Wasser um die Trosse. Die Segel waren aufgegeit worden, die Seewölfe warteten.

Vom Strand trennte sie jetzt noch knapp eine Kabellänge.

Al Conroy verteilte Faustfeuerwaffen und vergaß auch nicht, die Drehbassen auszurichten, als einige der unrasierten Kerle ins Wasser sprangen und schwimmend die „Isabella“ zu erreichen versuchten.

„Schickt ein Boot!“ schrie jemand. „Nehmt uns an Bord!“

Es klang halb spanisch, halb portugiesisch, aber der Profos, der am Schanzkleid lehnte, tippte sich mit dem Finger an die Stirn.

„Das könnte euch Rübenschweinen so passen“, sagte er. „Ihr habt doch selbst ein Boot am Strand liegen.“

Hasard sah nur Rattengesichter, Visagen von ausgesprochenen Galgenvögeln, verschlagene, hinterhältige und schmierige Typen, die man nicht einmal mit der Kneifzange anfassen würde. Den Kerlen sah man ihre Tätigkeit zehn Meilen gegen den Südwind an. Das waren einwandfrei Piraten, Schnapphähne zur See, Halsabschneider, Gauner und Deserteure, ein buntes Gemisch aus vielen Nationen.

Die Kerle, die das hörten, drehten wieder ab und schwammen zum Strand zurück. Dann schoben sie das Boot ins Wasser, bemannten es und gingen erneut auf die Reise.

Sechzehn Männer zählten die Seewölfe, sechzehn mit allen Hunden gehetzte Marodeure, Seeräuber der übelsten Garnitur.

Sie pullten wie die Wilden zur „Isabella“. Wie sie sich das vorstellten, einfach an Bord zu gelangen, war dem Seewolf ein Rätsel.

Sie nahmen wohl an, es würde ihnen ungehindert gelingen. Wenn diese Brut erst einmal an Bord war, würde Zustand auf dem Rahsegler herrschen, soviel war sicher.

„Halt!“ rief Hasard mit donnernder Stimme, als die Entfernung nur noch zwanzig Yards betrug und die Kerle weiterpullten. „Kein Yard weiter, oder wir feuern mit der Drehbasse!“

Einige hörten auf zu pullen, doch ein bärenstarker Kerl mit rotem Gesicht und Stiernacken stand im Boot auf und blickte den Seewolf aus verschlagenen Augen an.

Auch er sprach das spanisch-portugiesische Gemisch, das die Seewölfe gut verstanden.

„Ah, Capitano, wir sind ehrliche Handelsfahrer!“ rief er. „Gute, ehrliche Kaufleute, die Pech hatten. Nehmt uns an Bord, wir wollen weg von dieser Insel. Pullt weiter, Leute!“ rief er im selben Atemzug und grinste herausfordernd.

Der Seewolf nickte Al Conroy zu, der eine Flaschenbombe in der Hand hielt. Er zündete die Lunte an, maß die Entfernung und schleuderte die Flasche ins Meer.

Dicht vor dem Boot krepierte sie noch halb unter Wasser und überschüttete die Kerle mit einem Hagel Seewasser, das wie eine Fontäne über sie rauschte.

Erst da hörten sie auf zu pullen, ließen das Boot aber weiter zur „Isabella“ treiben.

„He, was soll das?“ schrie der Anführer erbost. „Behandelt man so ehrliche, in Not geratene Seeleute? Wir sind in friedlicher Absicht erschienen, unser Schiff haben wir verloren.“

„So ehrlich seht ihr auch gerade aus, ihr Schnapphähne“, sagte der Seewolf laut. „Auf meinem Schiff habt ihr nichts zu suchen. Verschwindet!“

Ein Wutgeheul war die Antwort. Einer der Kerle zog eine Pistole unter der Ducht hervor. Ohne lange zu zielen, drückte er ab und schoß. Die Kugel sauste dicht an Carberrys Schädel vorbei und blieb im Mast stecken.

 

Da richtete sich schon ein anderer auf und griff nach einer geladenen Muskete.

„Wenn ihr uns nicht freiwillig aufnehmt, dann geht es eben anders“, sagte der stiernackige Riesenlümmel hämisch.

Die Kerle wollten es nicht anders, und es sah ganz danach aus, als wollten sie mit dem Mut der Verzweiflung die „Isabella“ entern.

Sie waren jedenfalls zu allem entschlossen, das zeigten sie deutlich genug.

Noch bevor der Musketenschütze feuern konnte, traf ihn ein Pfeil von Batutis Langbogen. Der Mandingo traf immer sein Ziel, und diesmal rettete er wahrscheinlich einem Seewolf damit das Leben.

Der Schütze ließ die Muskete fallen, riß die Arme hoch und kippte mit einer seitlichen Drehung außenbords. Er versank sofort im Meer.

Wieder ertönte ein Wutgeheul von den Piraten. Der Stiernackige schleuderte ein Entermesser, aber jetzt hatte der Seewolf genug.

Er ließ die Drehbasse aus kürzester Distanz abfeuern.

Sie war mit einer Kettenkugel geladen, und Al Conroy nahm genau Maß.

Die Kugel eierte blitzschnell heraus, knallte in den Bug des Bootes und zerfetzte ein paar Planken.

„Die nächste ist mit grobem Blei geladen“, warnte Hasard. „Wenn ihr jetzt nicht augenblicklich verschwindet, schicken wir euch auf den Grund!“

Der Stiernackige fluchte laut und ordinär und hob drohend die Faust.

„Ihr Hunde!“ schrie er. „Ihr dreckigen Halunken! Wenn ihr nicht zu feige seid, dann kommt an Land. Dort werden wir es austragen, und ich werde euch schon zeigen, wie man euch kleinkriegt!“

„Das war meine letzte Warnung an euch Lumpengesindel“, sagte Hasard ruhig. Er gab Al den Befehl, die mit Grobschrot geladene Drehbasse ebenfalls auf das Boot zu richten.

Die Piraten kannten die Wirkung von gehacktem Blei. Auf kurze Distanz abgefeuert, wirkte sie besonders verheerend, und jetzt begannen sie zu kuschen, als sie in die dunkle Mündung der Drehbasse blickten.

„Noch etwas“, sagte Hasard. „Werft eure Waffen ins Meer, augenblicklich, sonst feuern wir! Ihr seid genau im besten Bereich der Drehbassen.“

Stumm glotzten sie sich an. Damit hatte selbst der Stiernackige nicht gerechnet. Er zögerte noch unentschlossen, aber als er jetzt überall hinter dem Schanzkleid Waffen auftauchen sah und in die Gesichter dieser hartgesottenen Burschen blickte, da wußte er, daß seine letzte Stunde geschlagen hatte, wenn er die Aufforderung nicht befolgte.

In ohnmächtiger Wut warfen sie eine Muskete nach der anderen ins Wasser, bis auch die letzte verschwunden war.

„Und jetzt die Pistolen!“ forderte Hasard. „Auch die du noch im Gürtel stecken hast!“

„Verdammt!“ brüllte der Stiernakkige.

Da ruckte die schwenkbare Drehbasse noch etwas weiter herum und senkte sich leicht.

„Das werdet ihr noch bereuen, ihr Hurenböcke!“ schrie er. Dann warf er voller Wut auch die Pistolen über Bord.

„Sehr schön“, höhnte der Profos. „Und jetzt verzieht euch, sonst ziehe ich euch die Haut in Streifen von euren Piratenärschen!“

Das narbige Gesicht und Carberrys entschlossene kalte Wut verfehlten ihren Eindruck nicht auf das Piratengesindel.

Sie drehten unter lautstarken Verwünschungen ab und pullten wieder zurück, dem Strand entgegen.

„Möchte wissen, was die mit den Insulanern angestellt haben“, sagte der Seewolf nachdenklich. „Das ist ja die reinste Satansbrut, diese ehrlichen Handelsfahrer.“

„Wir sollten uns die Burschen mal an Land ansehen, Sir“, meinte Carberry. „Die Kerle gehen mir mächtig auf die Nerven, und den großkotzigen Anführer würde ich gern mal verhackstücken.“

Immer noch pullten die Kerle verbissen und sauer. Sie hatten ihre erste Niederlage schneller hinter sich, als sie geglaubt hatten.

„Ja, wir gehen auf jeden Fall mit einem Trupp an Land“, sagte Hasard. „Offensichtlich sind die Halunken hier gestrandet und hausen jetzt auf der Insel wie die Wilden. Deshalb haben sich die Insulaner auch versteckt oder sind geflüchtet.“

Nein, da gab es kein langes Überlegen, entschied der Seewolf. Jetzt, da dem Gesindel der Schreck noch in den Knochen steckte, war es am besten, gleich nachzufassen und die Kerle auf ihre normale Größe zurechtzustutzen.

„Laß das große Boot zu Wasser, Ed!“ befahl er. „Ich suche einen Trupp aus, der an Land geht, die anderen bleiben an Bord und nehmen alles unter Feuer, was sich der ‚Isabella‘ auch nur auf hundert Yards nähert. Alle Culverinen werden sofort überprüft.“

„Aye, aye, Sir“, sagte Ed.

Dann wurde das große Boot abgefiert.

7.

Hasards Stellvertreter Ben Brighton hatte das Kommando, als das Beiboot ablegte.

Es war besetzt mit Hasard, Dan O’Flynn, Big Old Shane, Carberry, Ferris Tucker, Matt Davies, Batuti, Stenmark, Bob Grey, Luke Morgan, Smoky und Jeff Bowie.

Die anderen Seewölfe blieben für alle Fälle zur Verteidigung an Bord zurück.

Elf Männer würden genügen, um mit der Horde aufsässiger und randalierender Kerle fertig zu werden, falls sich das als nötig erweisen sollte, denn der Seewolf glaubte, die Piraten würden die Flucht ergreifen.

Diesmal täuschte er sich allerdings. Die Kerle waren zwar losgepullt, aber sie gaben nicht auf. Ihre einzige Chance, hier wieder wegzukommen, lag auf der „Isabella“, und ihre Verzweiflung trieb sie zu mutigen Taten.

Am Strand hatten sie sich zusammengerottet und warteten. In den Fäusten trugen sie Entermesser, einige hatten auch Äxte und Schiffshauer, zwei waren mit Degen bewaffnet. Ihr stiernackiger, rotgesichtiger Anführer fühlte sich außerordentlich stark und stand vor seiner bunt zusammengewürfelten Meute herausfordernd da.

Hasard blieb vier Yards vor ihm stehen und musterte ihn. Er sah nur in bärtige, unrasierte oder dreckige Visagen, die ihn hämisch, verschlagen oder hinterhältig anstarrten.

„Bist du gekommen, um zu kämpfen, Mann?“ fragte der Anführer.

„Was habt ihr mit den Eingeborenen getan?“ wollte Hasard wissen.

Lachen wurde laut.

„Na, was schon, du Wanze! Wir haben uns das geholt, was wir dringend brauchten, und das waren vor allem Weiber. Stimmt’s Leute?“

Zustimmendes Gegröle war die Antwort.

Hasard glaubte das unbesehen. Er warf einen Blick auf den kleinen Tempel im Wasser und sah, daß die Statuen davor beschädigt waren. Alles war mutwillig zerstört worden. Die Galle stieg ihm bei diesem Anblick hoch.

Noch beherrschte er sich, doch der Anführer näherte sich ihm um noch ein Yard und grinste frech.

„Hör mal zu, Capitano“, sagte er. „Ihr habt uns überlistet. Gut, das verzeihen wir ja, schließlich habt ihr Kanonen und wir nicht. Wir verlangen nicht viel von euch. Ihr sollt uns nur zurück nach Sumatra bringen, da gehen wir an Land. Das tut euch nicht weh, und wir sind wieder daheim.“

Er sah Hasards spöttisches Lächeln und lief rot an. Er sah aber auch den narbengesichtigen Mann an seiner Seite, dann einen rothaarigen, breitgewachsenen Burschen und einen graubärtigen Riesen mit den Schultern eines Giganten. Daneben stand noch ein Herkules und außerdem ein Kerl mit einem Eisenhaken statt einer Hand, und da wurde ihm zum ersten Male etwas mulmig, und er fragte sich besorgt, ob sie sich nicht doch etwas übernommen hatten, denn diese Burschen waren ganz sicher keine harmlosen Handelsfahrer.

„Den Teufel werde ich tun“, sagte Hasard gelassen. „Und die Wanze nimmst du zurück, sonst stopfe ich dir den Bart zwischen die Zähne!“

Der Anführer spie verächtlich in den Sand.

Den Seewölfen juckte es mächtig in den Fäusten, aber auch sie beherrschten sich noch und warteten ab.

Hasard war mit zwei Sätzen so schnell bei dem rotgesichtigen Koloß, daß der erschrocken zusammenfuhr. Automatisch riß er die Arme hoch, aber da traf ihn ein Brocken in den Magen, daß ihm die Luft wegblieb und er sich vor Schmerzen krümmte. Er hatte den Kopf noch nicht ganz unten, da trafen ihn zwei unheimlich schnelle und harte Schläge und rissen seinen Schädel wieder hoch.

„Ar-we-nack!“ donnerte der Profos, und jetzt hielt ihn nichts mehr. Das war auch gleichzeitig für die anderen das Signal zum Angriff, und dann ging es rund am Strand. Die Seewölfe hatten sich von den Kerlen genug bieten lassen, jetzt war das Maß voll.

Carberry hatte sich schon vorher einen rattengesichtigen Kerl ausgesucht und sich vorgestellt, wie er mit ihm verfahren würde.

Jetzt setzte er seine hochgespannten Erwartungen augenblicklich in die Tat um, schnappte sich blitzschnell den Kerl und wischte den Strand mit ihm auf. Doch das Rattengesicht hielt das Tempo leider nicht lange mit, und so ließ Ed ihn einmal um seine Achse kreisen und dann losfliegen, bis der Kerl mit dem Schädel voran im Sand landete und liegenblieb.

Schon hatte er den nächsten am Wickel. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Batuti zwei Gegner herzhaft mit den Köpfen zusammenstieß.

Dan O’Flynn wütete mit schnellen harten Fäusten, Ferris Tucker sprang mit den Burschen um, als bearbeite er sie mit einem gewaltigen Hobel, und der Schmied von Arwenack ackerte sich durch, als habe er glühendes Eisen auf dem Amboß und klopfe es mit einem Hammer in die richtige Form. Da ließ Bob Grey die Fäuste fliegen, da kämpften Smoky, Stenmark und der Hitzkopf Luke Morgan, dem mal wieder das Temperament durchging. Und die beiden Hakenmänner knallten dem Gegner ihre Prothesen entgegen.

Der Seewolf stand vor dem idiotisch lallenden Anführer, dem die Lippen aufgeplatzt waren und vorn oben die Schneidezähne fehlten.

Der Kerl war schon zweimal zu Boden gegangen, aber er hatte eine Bärennatur und stand immer wieder auf.

Taumelnd rückte er auf den Seewolf zu und hieb ins Leere. Hasards eisenharte Faust traf seinen Schädel und warf ihn zurück. Noch einmal kam er auf die Beine, zitternd, mit blutunterlaufenen Augen versuchte er, seinen Gegner anzugehen.

Hasard wich und wankte nicht und schickte den Stiernackigen mit einem letzten mächtigen Schlag endgültig zu Boden.

Dann bellte ein Schuß auf, und Bob Grey griff sich an die Schulter. Einer der Kerle hatte noch eine Waffe, und mit der setzte er sich jetzt zur Wehr.

Gerade als er noch einmal abdrükken wollte, fiel sein Arm kraftlos herunter.

Aus seinem Rücken ragte ein Kris, ein krummer Dolch, und auch ein zweiter hatte plötzlich die Waffe im Körper und fiel der Länge nach in den Sand.

Zwei Eingeborene verschwanden – so schnell, wie sie erschienen waren – wieder im Pagodenwald. Sie hatten die Messer geschleudert und Rache an den getöteten Insulanern genommen.

Damit war der Kampf auch schon entschieden. Die meisten hockten oder lagen im Sand, einige bewußtlos, drei oder vier waren tot.

Bob Grey hatte einen Streifschuß am Arm und blutete leicht, aber für ihn war das nur ein Kratzer, wie er versicherte, und er verband sich die Wunde auch gleich selbst, indem er einen Streifen aus seinem Hemd riß und ihn um den Arm wickelte.

Hasard zählte die restlichen Männer. Einer oder zwei hatten sich wahrscheinlich im allerletzten Augenblick doch noch abgesetzt und waren im Wald verschwunden. Aber die konnte er vergessen, denn die fielen mit Sicherheit den aufgebrachten Eingeborenen in die Hände, und damit war ihr Schicksal besiegelt.

Genau neun schwer angeschlagene Männer blieben übrig, und die Frage warf sich auf, was mit ihnen geschehen sollte. Der Anführer war immer noch bewußtlos und regte sich erst nach geraumer Weile.

Die Seewölfe nahmen den Kerlen die Entermesser ab und vergaßen auch die nicht, die noch in ihren Gürteln steckten.

„Wo lassen wir das Gesindel jetzt?“ fragte Carberry. „Das sind immerhin noch neun Kerle.“

Hasard zuckte mit den Schultern.

„Am liebsten würde ich sie hierlassen, aber dann werden sie von den Insulanern umgebracht, obwohl die Halunken das verdient hätten. Das möchte ich aber auch gern vermeiden.“

„Dann bringen wir sie auf eine der kleinen Inseln, die wir an Steuerbord in östlicher Richtung gesehen haben“, schlug der Profos vor. „Da sind ein paar Palmen, und bei der üppigen Vegetation gibt’s da bestimmt auch Trinkwasser.“

„Ich habe leider auch keinen besseren Vorschlag“, sagte der Seewolf. „Aber es ist die einzige Möglichkeit. Also los, bringen wir die Kerle zum Schiff. Shane wird sie in der Vorpiek in Eisen legen, damit wir vor Überraschungen sicher sind.“

Hasard schaute sich nach den Insulanern um, die er erst nur ganz flüchtig gesehen hatte, doch niemand ließ sich blicken. Sie mußten sich weiter ins Inselinnere zurückgezogen haben. Vielleicht wußten sie auch nicht, wie sie sich diesen neuen Fremden gegenüber verhalten sollten, und warteten erst einmal ab.

 

Immerhin hatten sie in den Kampf eingegriffen und es dabei nur auf die Piraten abgesehen.

„Los, hoch mit euch, ihr Halunken!“ befahl Big Old Shane. „Beißt die Zähne zusammen, ihr Strandläuse, jetzt gelangt ihr doch noch auf das Schiff, nur etwas anders, als ihr euch das vorstellt.“

„Und es wird geschwommen“, setzte Ed grimmig hinzu. „Immer schön neben dem Boot her, sonst gibt es richtige Senge. Das war nämlich erst der Auftakt.“

Niemand muckte mehr auf. Ihr Respekt vor den Seewölfen hatte sich nach der Schlägerei verzehnfacht, und sie staunten jetzt noch, daß sie so sang- und klanglos untergegangen waren. Und, verdammt noch mal, dabei glaubten sie sich wirklich aufs Kämpfen zu verstehen. Aber diese Kerle schienen direkt der Hölle entsprungen zu sein, denn so schnell hatte noch keiner mit ihnen aufgeräumt.

Trotzdem sannen sie auf Rache, das war ihr zweiter Gedanke, doch konnten sie den vorerst nicht verwirklichen.

Carberry scheuchte sie ins Wasser, und wer nicht schnell genug hineinflitzte, dem half der Profos kurzerhand nach, und als er den ersten die Marschrichtung zeigte, da beeilten sich die anderen so schnell wie noch nie in ihrem Leben und schwammen gehorsam auf die „Isabella“ zu, ganz so, wie sie es gewollt hatten.

Neun etwas übelriechende, verwahrloste Piraten wurden in Empfang genommen und in Eisen gelegt. In der Vorpiek war genügend Platz für die jetzt sehr schweigsame Meute. Selbst der grobschlächtige Anführer hatte die Sprache verloren.

„So, das ist geklärt“, sagte Carberry, als die Kerle versorgt waren. „Jetzt können wir uns um die Insulaner kümmern.“

„Die laufen schon am Strand zusammen“, sagte Bill und zeigte auf den Palmenwald, wo immer mehr braunhäutige Leute zusammenliefen.

Sie winkten und riefen zur „Isabella“ und bedeuteten den Seewölfen durch Handzeichen, daß sie an Land gehen sollten.

Hasard gab schließlich die Erlaubnis dazu, denn jetzt bestand keine Gefahr mehr, dessen war er sicher.

Etwas später legte das Boot wieder ab.

Die Insulaner entpuppten sich als freundliche, gütige und fröhliche Menschen. Sie feierten die Seewölfe wie Retter, die immer wieder von allen Seiten umringt wurden.

Ein paar Brocken Polynesisch verstand Hasard, der Rest wurde durch Handzeichen und Bewegungen verdolmetscht, und darin hatten die Seewölfe bereits langjährige Erfahrung.

Nach und nach fanden sie heraus, daß hier ein Fest gefeiert werden sollte, nachdem die Räuber und Mörder die Insel verlassen hatten und nicht wiederkehren würden.

Der Balian humpelte neben Hasard her, und als der Seewolf einen Blick zum Strand hinunterwarf, sah er, daß die Leichen der Piraten bereits verschwunden waren. Das hatten die Insulaner besorgt.

Noch am Abend desselben Tages begann das angekündigte Kecakfest, für dessen weitere Verschiebung kein Grund mehr bestand, und eins der eindrucksvollsten und seltsamsten Feste, die die Seewölfe je erlebt hatten, nahm seinen Lauf.

Es begann wieder mit dem Legong-Tanz. Zartgliedrige Mädchen bewegten sich anmutig zum Takt fremdartiger Musik, die auf hölzernen Trommeln, Flöten und harfenähnlichen Instrumenten gespielt wurde.

Die jungen Tänzerinnen trugen bunte, bis auf den Boden reichende Gewänder. In den schwarzen Haaren steckten rote und gelbe Blumen, die den Reiz der Tänzerinnen noch unterstrichen.

Dann ging der Mond über dem Meer auf. Einem Riesenball gleich, schob er sich über das Wasser, übergoß es mit zartem Silber, daß es weiter hinten wie erstarrt dalag. Am Strand liefen kleine Wellen flüsternd und murmelnd über den hellen Sand.

Man nahm zwanglos auf dem Boden Platz, wo in langen Reihen Körbe voller Früchte standen.

Der Balian, der sich immer noch nur mühsam fortbewegte, erklärte dem Seewolf, der Legong würde zu Ehren der fremden Männer extra stattfinden aus Dank für die Vertreibung der Piraten.

Es dauerte eine ganze Weile, bis Hasard begriff, was gemeint war, denn in dem hohen Singsang der hochbalinesischen Sprache hörte Hasard nur selten ein verständliches Wort heraus.

Erst die unterstreichenden Gesten erklärten manches.

Einmal blickte Carberry lange über die Schulter zur „Isabella“ hinüber. Dem Seewolf entging der Blick nicht.

„Besorgt, Ed?“ fragte er.

„Ich will mich nur vergewissern, Sir. Aber die Kerle können aus eigener Kraft niemals aus der Piek heraus. Ich habe selbst alle kontrolliert und die Ketten überprüft.“

„Da kann nichts passieren. Außerdem geben die Männer, die an Bord geblieben sind, scharf acht, daß sich keiner von denen muckst.“

Als der anmutige Legong beendet war, begann der Drachentanz mit dem Dämon Barong.

Der Anblick des Dämons, in der Gestalt eines Tieres mit langen Haaren und stark hervorquellenden Maskenaugen und langen Zähnen, verkörperte das Gute.

Junge Balinesen sprangen auf und schwangen drohend ihre krummen Messer. Es sah gefährlich aus, und der Anblick des hin und her laufenden Dämons verfehlte selbst auf den Seewolf seine Wirkung nicht.

Im schimmernden Mondlicht war jede Einzelheit deutlich zu sehen. Wie rasend bewegte sich der Dämon mit dem furchterregenden Schädel. Die langen Haare berührten bei jeder Drehung den Boden. Der mit hauchdünnen Goldplatten bedeckte Schädel ruckte schnappend hoch, und jedesmal schrien die Insulaner wild auf.

„Was hat das zu bedeuten?“ fragte Bill den Seewolf.

Hasard ließ es sich wortreich von dem Balian und einer jungen Tänzerin erklären. Auch das dauerte eine Weile, bis er es verstand.

„Dieser Dämon Barong versucht, die Todesgöttin Rangda zu besiegen, die eine häßliche alte Hexe ist“, erklärte er Bill. „Aber weil der Dämon es allein nicht schafft, unterstützen ihn die Männer mit ihren Messern und lautem Geschrei.“

Der wilde Tanz nahm an Gefährlichkeit zu, als die Balinesen sich in einen regelrechten Rausch steigerten, von dem etwas später auch der Balian ergriffen wurde.

Die Wandlung mutete unheimlich an, als der Balian sich in Trance versetzte, das Gesicht verzog und zu zucken begann, bis sein ganzer Körper von den wilden Zuckungen ergriffen wurde.

Vorbei waren seine Schmerzen, er humpelte nicht mehr, sondern führte jetzt die Krieger an, die mit wildem Gebrüll die Hexe Rangda zu besiegen versuchten.

Die brüllende, sich wild bewegende Meute geriet dabei in ihrem Taumel bis dicht an die Reihe der auf dem Boden sitzenden Seewölfe, und die Krise schwangen gefährlich nahe vor ihren Gesichtern. Das Kampfgeschrei steigerte sich immer mehr.

„Mann“, sagte Carberry, „dagegen hört sich unser Arwenack-Gebrüll ja direkt kläglich an. Das werden wir in Zukunft noch etwas lauter üben müssen.“

Einige Balinesen hatten nun am teilweise verwüsteten Wassertempel flakkernde Lichter entzündet, die den Tempel geisterhaft beleuchteten.

Andere trugen Holzstücke von den verbliebenen Resten des Wracks zusammen und brachten sie in den Wald, aus dem fremd und geheimnisvoll die kleinen Geistertempel herüberblinkten.

Es war eine fremdartige, seltsam anmutende Welt, fanden die Seewölfe, faszinierend und irgendwie unwirklich.

„Was tun die mit dem Holz?“ fragte Ferris Tucker seinen Freund Ed.

„Vielleicht grillen die ein paar Schweine“, vermutete Carberry.

„Die verstreuen das Holz regelrecht zu langen Bahnen. Auf die Art kann man keine Schweine am Spieß grillen.“

Auch Hasard wußte es nicht und grübelte darüber nach. Den Balian konnte er nicht fragen, denn der bewegte sich jetzt in einer anderen Welt. Er wirkte völlig geistesabwesend und hatte einen verklärten Blick.

„Das ist eine lange Grube, in die sie das Holz legen“, sagte Matt Davies nachdenklich. „Sie ist mindestens zehn Yards lang.“

Die Seewölfe rätselten daran herum, doch vorerst erfuhren sie es nicht, und so blieb jedem selbst überlassen, was er sich in seiner Phantasie ausmalte.

Fast eine Stunde lang hielt der Tanz an. Der Dämon Barong bewegte sich immer schneller, und auch die jungen Krieger gerieten in fast beängstigende Ekstase. Sie brachten sich Verletzungen bei und waren bereit, sich selbst zu töten. Ihre Umwelt existierte für sie nicht mehr.