Seewölfe Paket 11

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Font:Smaller АаLarger Aa

5.

Der Aufprall auf das Wasser zerschmetterte die Galeone mit einem gewaltigen Donnerschlag.

Neu aufsteigende Säulen von gewaltiger Kraft zerstörten das Schiff innerhalb weniger Sekunden und verwandelten es in einen Trümmerhaufen aus treibenden Planken, gebrochenen Masten und Verbänden.

Wie ein Spielzeug in der Hand eines Riesen wurde alles zerquetscht, zermalmt und zertrümmert.

Die Trümmer wurden emporgewirbelt und verschwanden in dem schwarzen Schleier aus Qualm und Rauch. Dann war selbst mit dem Spektiv nur noch hier und da eine Planke zu sehen oder ein treibendes Faß, das durch das Meer hüpfte und zum Spielball der Naturgewalten wurde.

„Glaubst du, den Aufprall hat einer überlebt?“ fragte Smoky den Profos schaudernd.

„Nein, bestimmt nicht. Ich glaube es jedenfalls nicht. Aber ich bin sicher, daß Hasard später noch alles absuchen lassen wird, wenn der Ausbruch sich gemäßigt hat.“

Weitere Erschütterungen kündigten sich an. Wellen liefen auf die „Isabella“ zu und rüttelten sie hart. Die achtern ringförmig auflaufenden Wogen wurden immer größer, und der Rahsegler reckte seinen Achtersteven mal steil nach oben, wenn er unterlaufen wurde, und fiel dann wieder hart aufklatschend in die See zurück. Dann rollte schon die nächste Woge brausend heran, und das Meer begann sich wie toll zu gebärden.

Jetzt fehlte der Wind, der sie schneller von der Stätte des Unheils fortgetragen hätte, denn was da wehte, war nicht viel mehr als eine laue Brise.

Wieder lief achtern eine große Welle auf. Sie war abrupt aus der See entstanden und suchte sich nun mit Donnergetöse ihren Weg durch das Meer.

Selbst der Profos schluckte, als er das Ungetüm anrollen sah. Die Welle hatte keine Schaumkrone, die begann sich erst zu bilden, als sie sich immer höher aufrichtete. Aus dem anfänglichen Brausen wurde ein Donnern und Grollen.

Jeder der Seewölfe klammerte sich dort fest, wo er gerade stand, und erwartete den starken Anprall.

Doch der erfolgte nicht, denn vor der großen Welle hatte sich eine kleine, walzenförmige gebildet, und die nahm die „Isabella“ erst einmal auf ihren Buckel und eilte mit ihr davon. Die Riesenwelle lief hinterher mit gierig ausgestreckten Wasserarmen, blieb aber mehr als fünfzig Yards zurück.

Der Profos sah erleichtert nach achtern und spie grinsend über das Schanzkleid. Himmel, dachte er, jetzt hatten sie die richtige Musik drauf. Die „Isabella“ segelte so beängstigend rasch, als würde der Teufel sie schieben.

Aber immer noch stand als drohendes Gespenst dicht hinter ihnen der grollende Wasserberg, der vorerst vergeblich versuchte, sie einzuholen.

Minutenlang ging das so, und es war ein unbeschreibliches Gefühl, so dahinzusegeln, bedroht von einer gewaltigen Wassermenge, die nun wild aufzuschäumen begann.

Vom Achterkastell aus sah es noch bedrohlicher aus, und der Seewolf hatte das Gefühl, als würde die Welle jeden Augenblick donnernd und brüllend über das Schiff rennen.

Immer weiter entfernten sie sich von der Unglücksstelle und liefen auf ihren alten Kurs zurück. Hinter ihnen blieben die spärlichen Trümmer der spanischen Galeone in der See liegen, und diese Reste verschwanden gleich darauf in einem Trichter aus brodelndem Wasser, der sie mit kräftigem Sog in die Tiefe zog.

Hasard drehte sich um. Er hatte sich an der Nagelbank festgeklammert, jetzt aber losgelassen, denn es drohte keine unmittelbare Gefahr. Er konnte nichts anderes tun, als abzuwarten, was geschah, denn das Schiff ließ sich nicht steuern, es gehorchte dem Gesetz der großen Welle, die es vor sich her schob.

Eine Unterhaltung auf dem Achterdeck war so gut wie unmöglich.

In der Luft lagen orkanartiges Pfeifen und Heulen, untermalt von einem dumpfen Brausen, das immer noch anschwoll.

Ben Brighton grinste schwach zurück. Seine Gesichtsfarbe hatte gewechselt, aber in seinen Augen erkannte der Seewolf auch die grenzenlose Erleichterung, daß bisher alles noch ganz gut verlaufen war.

Etwas später staunten sie über ein neues Phänomen. Das hohle Pfeifen und Brausen mäßigte sich etwas. Die urweltlichen Geräusche verklangen spürbar, und die Kraft der Riesenwelle ließ nach.

Immer mehr sank der gewaltige Wasserberg in sich zusammen, wurde kleiner, nahm ab und rollte schließlich nur noch als hohe, langgezogene Dünung weiter.

Gleichzeitig ging auch die Fahrt aus dem Schiff. Die „Isabella“ bewegte sich ruckartig wie ein großer Schwan durch das Meer. Noch eine knappe Meile wurde sie weitergetragen, dann blieb sie fast im Wasser stehen. Ein letzter Stoß, und die Reste der Welle unterliefen sie sanft.

Damit war alles vorbei oder fast vorbei, denn ein paar Meilen weiter lag immer noch Rauch über dem Wasser, dampfte und kochte es und gab es eine unnatürlich wirkende Erhebung im Meer.

Aber die Flutwellen waren vorüber, das Grollen hatte aufgehört, und auch das unterseeische Beben ließ nach.

Die Weite des Meeres hatte die Kraft der riesenhaften Welle mühelos gebrochen und die Ausläufer in sich aufgenommen.

Alle atmeten erleichtert auf, denn in Gedanken hatte jeder das Schiff ähnlich wie die spanische Galeone gesehen, die genau in ihr Verderben gesegelt war.

Der alte O’Flynn bekreuzigte sich.

„Das war mehr Glück als Verstand“, murmelte er mit heiserer Stimme. „Ich sah uns schon zerschmettert auf dem Grund liegen. Diesmal hat wirklich der liebe Gott seinen Daumen dazwischengehalten.“

„Ja, das hat er“, sagte auch Smoky.

Ferris Tucker und der Profos unternahmen einen Rundgang und kontrollierten, ob alles in Ordnung war. Aber es gab keinen Schaden an dem Schiff, das harte Aufsetzen hatte der Rahsegler mühelos verkraftet.

Carberry ging nach achtern und meldete, daß alles in Ordnung sei.

„Gehen wir wieder auf den alten Kurs zurück“, fragte er den Seewolf, „oder segeln wir nach Westen?“

„Wir segeln Nordkurs weiter, Ed. Und wir sehen uns die Unglücksstelle noch einmal aus der Nähe an. Es besteht trotz allem die Möglichkeit, daß es jemand überlebt hat. Ich selbst glaube es nicht, aber es ist unsere Pflicht, dort noch einmal nachzusehen.“

„Aye, Sir. Ich glaube auch nicht, daß es jemand überlebt hat. Das Wasser an der Ausbruchsstelle war sicher kochend heiß.“

Der Seewolf nickte nachdenklich. Ja, das Wasser hatte mit Sicherheit gekocht, und wenn es wirklich noch einen Überlebenden gegeben hatte, dann war er elend umgekommen.

Das Wagnis konnten sie eingehen, obwohl natürlich die Möglichkeit bestand, daß sich die Katastrophe wiederholte. Zumindest konnte ein plötzlicher Ausbruch erfolgen, und dann gab es keine Rettung mehr.

Egal, dachte Hasard, sie würden die See absuchen, denn mitunter geschah auch ein Wunder, so wie eben, und vielleicht hatte sich jemand auf einem Trümmerstück retten können.

Die „Isabella“ ging auf ihren alten Kurs zurück und segelte bald darauf in einem schwachen Wind wieder Kurs Nord.

Das Grollen aus dem Meer hatte aufgehört. Nur der dunkle Rauch hing noch träge über dem Wasser, und die Luft war brühwarm, die der leichte Wind heranführte.

Dan O’Flynn suchte vom Großmars aus mit seinen scharfen Augen pausenlos die See ab, und immer wenn der Seewolf zu ihm hochblickte, schüttelte Dan den Kopf.

„Eine Planke“, sagte Ben. „Mehr scheint von dem Schiff nicht übriggeblieben zu sein. Und da vorn schwimmt noch ein leeres Faß.“

Vorerst war das alles, was sie entdeckten, als sie sich der trägen Rauchwolke näherten. Dann wurden ein weiteres leeres Faß und eine treibende Handspake gesichtet.

Aber aus dem Dunst schälte sich ein kegelförmiger Berg heraus, der etwa zwanzig Yards in die Höhe ragte. Pechscharzes Gestein war zu bizarren Formen erstarrt und hatte eine kleine Insel mitten im Meer gebildet.

Wenn sie weiterhin bestand, würde es eines fernen Tages ganz sicher hier einmal Pflanzen geben, falls Vögel Samenkörner hierher verschleppten oder Kokosnüsse antrieben. Vielleicht half auch der Wind ein wenig mit. Andererseits konnte das kleine Eiland auch schon morgen wieder in den Fluten versunken sein.

Dichter Rauch lag über der erstarrten Landschaft. Die Insel hatte etwa die achtfache Größe der „Isabella“.

Hasard ließ Tiefe loten.

Da, wo das Schiff sich jetzt befand, war die Meerestiefe nicht meßbar, sie mußte einige tausend Yards betragen. Aber je mehr sie sich dem Vulkanland näherten, desto rapider senkte sich der neuentstandene Felsen ins Wasser.

Als die Wassertiefe nur noch zwanzig Yards betrug, ließ der Seewolf abdrehen.

„Ein Pestgeruch ist das“, sagte Smoky zum Kutscher. „Da kann einem ja übel werden, wenn man die Luft einatmet.“

Schwefel“, sagte der Kutscher lakonisch. „Das ist das Zeug, das direkt aus der Hölle stammt. Gewöhne dich nur daran, denn später wirst du mit dem Zeug leben müssen.“

„Wieso?“ fragte Smoky verständnislos.

„Weil du dann in der Hölle schmorst, du Stint“, sagte der Kutscher mit Grabesstimme.

„Da landen zuerst die Knochenbrecher und Medizinmänner, die Quacksalber und Feldschere, die Wald- und Wiesenärzte.“

Der Kutscher ging nicht darauf ein. Er suchte die See ab, und nach einer Weile schüttelte auch er den Kopf.

„Nein, das Schiff ist verschwunden und mit ihm die gesamte Mannschaft, das kann keiner überlebt haben, das gibt es nicht.“

Der Kutscher behielt mit seiner Vermutung recht. Es traf das ein, was auch die anderen schon gesagt und vermutet hatten.

Außer zwei leeren Fässern, ein paar kleineren Holztrümmern und zwei Spaken wurde nichts gefunden. Es gab keinen Überlebenden, sie fanden in der See nicht einmal eine treibende Leiche.

 

Alles, bis auf die paar Teile, war von dem wirbelnden Trichter im Meer verschlungen worden.

„Wir segeln weiter“, sagte Hasard. „Setzt wieder jeden Fetzen Tuch, damit wir nicht doch noch von einem neuerlichen Ausbruch überrascht werden.“

Der Profos war froh, diesen Befehl gleich weitergeben zu können, denn die neuentstandene Lavainsel wirkte unheimlich und bedrückend. Außerdem war der Schwefelgeruch so stark, daß es die meisten Männer würgte, sobald sie tief Luft holten.

Als sie wieder auf Nordkurs lagen, hatten sie die Insel gerade einmal gerundet, und jetzt waren sie froh, als sie achteraus langsam kleiner wurde.

Die Rauchfahne, die wie die schwarze Pest über der Insel hing, war noch stundenlang zu sehen.

Erst jetzt fand der Profos Zeit, sich um den Papagei Sir John zu kümmern.

„Hoffentlich sind seine Eier nicht aus dem Nest gefallen und zerbrochen“, sorgte er sich. „Das wäre wirklich ein Jammer.“

„Ja, wir hätten sie festzurren sollen“, sagte Ferris Tucker und grinste dabei, aber der Spott traf den Profos nicht.

„Was verstehst du rothaariger Decksaffe schon von der Liebe eines Papageis zu seinen Kindern!“ schnaubte er.

„Noch sind ja keine da“, sagte Ferris.

„Aber es wird nicht mehr lange dauern, darauf kannst du dich verlassen!“

Carberry ging besorgt nach vorn, und wieder folgte ihm eine ganze Meute, denn die meisten amüsierten sich über ihren Profos mehr als über die Eier, die Sir John gelegt hatte.

Der Aracanga allerdings hockte oben auf der Rah und putzte ausgiebig sein Gefieder, zog seinen langen Schnabel durch sein Federkleid und war so emsig beschäftigt, daß ihn nichts störte, schon gar nicht sein Gelege.

Wieder kroch Carberry halb in den Stall hinein.

„Du mußt da oben noch ein Brett rausnehmen, Ferris“, murmelte er dumpf. „Dann kann man später die Jungen besser sehen.“

Ferris verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf.

„Soll ich ihm auch noch eine Koje zimmern und ein Schapp, wo er die Federn für seine lieben Kleinen immer aufheben kann?“ fragte er ironisch. „Oder soll ich einen Kieker einbauen lassen, damit du sie immer unter Kontrolle hast?“

Statt einer Antwort hörten sie zu ihrer großen Verwunderung den Profos jammern.

„Auch das noch“, sagte er, „jetzt ist doch tatsächlich ein Ei aus dem Nest gefallen.“

„Dann leg es doch wieder rein!“ riet Tucker. „Mann, du kannst einem ja den letzten Nerv rauben mit deiner Affenliebe zu dem Federvieh.“

„Hoffentlich zerbricht das zarte Gebilde nicht“, klagte Ed. „Ich habe so grobe Finger und traue mich nicht, es anzufassen.“

Vor dem Käfig bogen sich die ersten Männer vor Lachen. Vom Profos war nur der mit einer Leinenhose bespannte Achtersteven zu sehen, so tief steckte er in dem Käfig.

Der Profos streckte den Finger vor und berührte das Ei ganz zart.

Dann zog er seine Hand jedoch blitzschnell zurück, denn das Ei schien ein besonderes Ei zu sein. Sehr klebrig und sehr ekelhaft fühlte es sich an seinem Finger an.

„Pfui Deibel“, sagte der Profos. „Ein Ei muß sich doch kühl und frisch anfühlen und nicht so klebrig. Das ist ja die reinste Sauerei.“

Aber wohl oder übel mußte er das klebrige Ding zurück ins Nest legen, und zum erstenmal verstand er auch den Papagei, daß der nicht gern mit seinen Federn auf solch klebrigen Dingern hockte und das Brutgeschäft noch ein wenig hinauszögerte.

Richtig eklig wurde dem Profos, als er das Ei zurücklegte. Seine Haare an den Händen berührten dabei die anderen Eier im Nest, und prompt blieb eines daran kleben.

Carberry stieß einen erbitterten Fluch aus. Vorsichtig packte er zu und staunte, wie schwer so ein kleines Ei war. Das wiegt ja gut und gern soviel wie ein Hühnerei, dachte er verblüfft.

Dann passierte ihm ein Mißgeschick. Das Ei, das immer noch an den Haaren seines Handrückens klebte, fiel hinunter und platschte auf den Käfigboden.

Carberry schloß entsetzt die Augen.

Als er sie wieder öffnete und schon im Geist den vermatschten Dotter vor sich sah, starrte er verblüfft auf den Boden.

Das Ei war immer noch heil, und das erstaunte ihn jetzt doch mächtig, das ging einfach über seine Vorstellungskraft.

Ein Ei, das aus dieser Höhe zu Boden fiel, zerplatzte nicht?

Das war mehr als merkwürdig, befremdend war das, eigentümlich!

Der Profos hob es auf, erleichtert darüber, daß nichts passiert war, und dann traf er eine zweite, noch merkwürdigere Entdeckung.

Die zarten Punkte auf den Eiern waren verschwunden. Zusammen mit dem braunen Klebezeug waren die grünlichen Tupfer und Sprenkel verlaufen und hatten sich aufgelöst.

Noch erwachte Carberrys gesundes Mißtrauen nicht, er fand das alles verdammt merkwürdig. Eier, die klebten und deren Farbtupfer verliefen, waren nun wirklich eine Rarität, und die außerdem nicht zerbrachen, wenn sie hinfielen, und die sich auch noch in der Größe unterschieden, das ging entschieden zu weit. Das, verdammt, das wollte er sich doch gern einmal bei Tageslicht ansehen.

Sehr vorsichtig nahm er das Ei wieder auf, überwand seinen Ekel vor dem klebrigen Ding und zwängte sich an Deck, wo die anderen erwartungsvoll mit ernsten Gesichtern herumstanden.

Dieser verdammte Sir John hat das ganze Schiff einschließlich der Crew verunsichert, dachte Ed. Alle waren irgendwie aus dem Häuschen, seit das passiert war.

Er hielt das Ei in der Hand und zeigte es herum.

Alle starrten auf das bräunliche, teilweise fast durchsichtige Ding und dann auf die Soße, die sich langsam auf Carberrys Hand ausbreitete und wie Kleister klebte.

Den Profos ekelte es so sehr, daß er das Ei Smoky in die Hand drückte, der es prompt fallen ließ, als er die klebrige, zerfließende Masse in seinen Pranken spürte.

Das Ei zerbrach nicht, es begann zu kullern, und ehe es jemand aufheben konnte, rollte es zum Niedergang, sprang eine Stufe nach der anderen hinunter und landete auf der Kuhl.

Dort zerbrach es in drei Teile.

Am Niedergang standen die Seewölfe und wußten nicht, wie ihnen geschah, denn das zersprungene Ei sah innen genauso aus wie außen.

Da war von einem Dotter keine Spur, da floß kein Eiweiß, da war rein gar nichts.

Jeder starrte belemmert jeden an, nur der Profos ging auf die Kuhl und hob die klebrigen Überreste auf.

Stumm und fassungslos blickte er auf die Trümmer und fand, daß von dem kaputten Ei ein lieblicher süßer Duft ausging. Er hätte darauf gewettet, daß es verteufelt nach Kandiszucker roch.

Das Ei hatte auch keine Schale, und sekundenlang keimte in dem Profos ein fürchterlicher Verdacht auf.

Mit einem lauten Fluch knallte er die Eierreste auf die Planken, daß sie splitternd nach allen Seiten davonflogen.

Dann lief sein Gesicht knallrot an, sein Rammkinn wurde noch größer und so hart, daß man Nägel darauf schmieden konnte.

Mit verbissenem Gesicht und wuchtigen Schritten stapfte er den Niedergang wieder hoch und blieb stehen.

Dann sah er die Männer der Reihe nach grimmig an, stemmte die Arme in die Seiten und brüllte so laut los, als sei ein neues Seebeben ausgebrochen.

„Ich warte!“ schrie er. „Ich warte auf eine Erklärung!“

„Was für ’ne Erklärung denn?“ fragte Jeff Bowie, der überhaupt nichts begriff.

„Was meinst du denn, Profos?“ fragte auch Gary Andrews, und selbst Big Old Shane sah den Profos verwundert an und fand keine Erklärung dafür.

Als Carberry einen nach dem anderen gründlich gemustert hatte und in seiner drohenden Lieblingspose stumm verharrte, blickten ihn nur unschuldige Augen an.

Ed wischte seine klebrigen Finger demonstrativ an seiner groben Leinenhose ab, bückte sich, griff in den Käfig und holte vorsichtig das nächste Ei heraus.

Es klebte fast noch entsetzlicher als das andere. Als er sacht darüberstrich, verschwanden auch hier die grünlichen Tupfer.

Und, verdammt wollte er sein, dieses Ei war gar nicht oval, es war eher rund und hatte noch einen kleinen Buckel. Mit leicht geröteten Augen starrte er es an.

Da erschien der Kutscher aus der Kombüse, der sich über den Lärm auf dem Vordeck wunderte.

Er sah den Profos mit dem Ei in der Hand und grinste. Aber Ed legte dieses Grinsen falsch aus und hielt dem Kutscher das klebrige Ding dicht unter die Nase.

„Was ist das?“ rief er wild. „Etwa ein Papageienei?“

Der Kutscher blieb die Ruhe selbst. Auch als Carberry ihm das klebrige Etwas in die Hand drückte, geriet er nicht aus der Fassung, sondern nahm es gelassen entgegen.

„Ganz bestimmt nicht“, sagte der Kutscher ruhig. „Das ist eher ein Ei aus Kandiszucker, schön zurechtgeschliffen und poliert und auch noch mit Tupfern bemalt. Das kannst du in aller Ruhe verzehren!“

„Verzehren!“ schrie der Profos. „Das kannst du selbst fressen, du lausiger Pfannenschwenker! Also du steckst dahinter!“

„Spinnst du? Was soll das alles?“

Der Kutscher gab das Ei zurück. Carberry ergriff es, nahm es voller Wut und knallte es an den Mast, so daß es in tausend Splitter zersprang.

„Oh, ich könnte mich ohrfeigen!“ brüllte er. „Die anderen Eier sind natürlich auch nicht echt. Los, Smoky, steh nicht rum und glotz die Welt voll, hole die beiden anderen Eier, aber ein bißchen dalli, sonst spiele ich euch lausigen Kanalratten mal zum Tanz auf!“

Smoky flitzte los. Wenn der Profos in diesem Ton rumbrüllte, dann war ihm etwas an die Nieren gegangen, und diesmal qualmte er fast vor Zorn und Wut.

Smoky kehrte mit dem Rest des Geleges zurück, und die Seewölfe rückten neugierig zusammen. Aber es gab nicht den geringsten Zweifel, denn auch diese beiden vermeintlichen Eier waren aus hellbraunem Kandiszucker und sahen täuschend echt aus.

Der Kutscher stellte sich so hin, daß er notfalls sogleich die Flucht ergreifen konnte, falls der Profos auf ihn losging.

Dann grinste er ihn an und schlug sich auf die Schenkel.

„Mann, Ed“, sagte er und lachte von einem Ohr zum anderen. „Dir sollte doch wohl klar sein, daß Papageien in Baumhöhlen brüten und nicht in Nestern auf dem Boden. Ich habe mir gleich gedacht, daß da etwas nicht stimmt, aber da du ja immer alles besser weißt, wollte ich nichts sagen.“

Der Profos der sich mächtig verschaukelt fühlte, war mit einem wilden Satz bei dem Kutscher.

„Dir wird dein dämliches Grinsen gleich vergehen“, kündigte er lautstark an.

Diesmal war der Kutscher, dessen Fluchtplan längst feststand, jedoch schneller.

Er schaffte es, die Kombüse zu erreichen, flitzte hinein, schlug das Schott hinter sich zu und verriegelte es.

Aber sein Gelächter klang nach draußen, und das versetzte den Profos in helle Weißglut. Er rannte zur Nagelbank und suchte Tuckers Axt, aber die war zum Glück nicht da, sonst hätte er in seinem Zorn das Schott zertrümmert. Immer noch war er der Ansicht, der Kutscher hätte ihm diesen dicken Hund unter die Weste geschoben.

„Verflucht, wo ist die lausige Axt?“ brüllte er, außer sich vor Wut. „Ferris, du rothaarige Kanalratte! Ich will augenblicklich die verdammte Axt haben! Den Kutscher nehm ich auseinander, das Rübenschwein wird den Tag seiner Geburt noch lauthals verfluchen, so wahr ich der Profos bin!“

Langsam wichen selbst die Hartgesottensten vor Carberry zurück, denn so wie jetzt hatten sie ihn höchstens mal beim alten Plymson in der Kneipe gesehen, als der Streit mit den Fischern losgegangen war und Ed herzhaft aufgeräumt hatte.

Jetzt sah er genauso gefährlich aus und wütete herum.

Keiner der Seewölfe hatte ein schlechtes Gewissen, auch der Kutscher nicht, der sich über den Spaß lediglich köstlich amüsierte. Das aber stachelte Carberrys Ärger nur weiter an.

Immer noch suchte er fluchend die Axt, um es „dem Rübenschwein von Kutscher“ ordentlich zu zeigen.

Da erklang eine sanfte Stimme hinter ihm.

Ed fuhr zornig herum und starrte den Seewolf an, der seinen Platz auf dem Achterdeck verlassen hatte und nun auf der Kuhl stand.

„Was ist denn mit dir los, Mister Carberry?“

Dieses „Mister Carberry“ und der sanfte Ton ließen Ed sofort hellhörig werden. Sprach der Seewolf in diesem sanften, fast singenden Tonfall, dann war das schlimmer, als wenn man die Pest erwischte.

„Ich suchte die Axt“, sagte Ed erbost. „Und damit du es weißt, Sir, ich will das Kombüsenschott einschlagen und dem Kutscher den Hals umdrehen.“

 

Hasard hatte zwar Gelächter und Gebrüll gehört, wußte aber nicht, um was es ging. Ihm war lediglich aufgefallen, daß die Zwillinge Hasard und Philip in auffallender Eile nach achtern verschwunden waren, als hätten sie ein schlechtes Gewissen.

„Und warum?“ fragte der Seewolf.

„Nun, diese verwanzte Hafenratte hat Eier in das Nest gelegt. Äh – ich meine, er hat mich angeschissen, jawohl, Sir, das hat er. Die Eier von Sir John waren nämlich gar nicht echt. Die sind aus Kandiszucker, und das Nest hat auch der Kutscher gebaut. Dieser Halunke untergräbt meine Autorität. Wie stehe ich jetzt da, wenn alle über mich lachen?“

Hasard schüttelte den Kopf, dann ging er zum Kombüsenschott und klopfte dagegen.

„Öffnen, Kutscher!“ befahl er.

Das Schott öffnete sich, und Carberry wollte sich mit einem wilden Schrei auf den Kutscher stürzen, aber Hasards Hand hielt ihn gerade noch zurück.

„Hier wird keinem der Hals umgedreht. Ich will jetzt wissen, was passiert ist.“

„Ich habe damit nichts zu tun, Sir, mein Ehrenwort“, sagte der Kutscher. „Ich habe lediglich über Ed gelacht, weil ihn jemand damit reingelegt hat. Herrgott, seit dieses Federvieh angeblich Eier legte, ist an Bord der Teufel los, und am schlimmsten benimmt sich der Profos. Da hat ihm jemand einen Steich gespielt, weiter steckt nichts dahinter, Sir.“

„Wer war es?“ fragte Ed drohend.

Niemand meldete sich. Sie grinsten nur versteckt, mehr oder minder stark, und einige verbissen sich das Lachen nur mühsam.

„Das hat mit der Untergrabung deiner Autorität nichts zu tun“, sagte Hasard schließlich zum Profos. „Hier hat jemand die gesamte Mannschaft kräftig auf den Arm genommen, und ein Schaden ist dabei auf keinen Fall entstanden. Ich kann mir auch schon denken, wer das war und sich das ausgeheckt hat.“

„Hasard und Philip, Sir?“ fragte der Profos zweifelnd.

„Viel Geschrei um nichts“, sagte Hasard. Er wandte sich an den grinsenden Moses Bill.

„Geh nach achtern, Bill, und bringe die beiden Kerle her.“

„Aye, aye, Sir!“

Bill rannte grinsend nach achtern und holte die Zwillinge, die ziemlich belemmert aussahen.

Niedergeschlagen wie zwei ertappte Sünder standen sie gleich darauf auf dem Vordeck vor der fast vollzählig versammelten Crew.

Hasard sah die beiden Racker lange an, die die Köpfe gesenkt hatten und auf die Planken starrten.

„Ich würde gern eine Geschichte hören“, sagte er, „aber sie muß gut sein. Ihr habt doch im Orient immer von den Märchenerzählern geschwärmt. Jetzt möchten wir alle auch mal so ein schönes Märchen von euch hören.“

Die Zwillinge hatten längst spitzgekriegt, um was es ging und daß alles wie eine Seifenblase geplatzt war. Sie hatten nur einen Spaß im Sinn gehabt, aber daß der Profos so sauer darauf reagierte, ahnte keiner der beiden.

„Es war so eintönig“, sagte Hasard junior schließlich stockend. „Und da wollten wir ein bißchen Abwechslung bringen.“

„Weiter, weiter, wir alle hören zu.“

„Da dachten wir, wenn Sir John plötzlich Eier legt, dann ist mal ordentlich was los an Bord, und das war es ja schließlich auch, Dad, Sir.“

„Ja, da war allerdings eine Menge los“, sagte Hasard und konnte sich das Lachen nicht verbeißen. „Und wie habt ihr das angestellt?“

Die beiden Knirpse wurden etwas mutiger, als sie die grinsenden Gesichter sahen. Hasard junior reckte leicht die Brust raus.

„Wir bauten ein Nest und brachten es in den Hühnerkäfig. Dann legten wir für Sir John Futter im Käfig aus, und der Ara hat sich auch gleich daran gewöhnt. Dann klau … äh – borgten wir uns ein paar Brocken Kandiszucker vom Kutscher und haben sie mit der Feile zurechtgeschliffen, bis sie wie Eier aussahen.“

Smoky prustete los und hielt sich die Hand vor den Mund. Neben ihm stand der ehemalige Schmied von Arwenack. Sein Riesenkörper bebte, und er lächelte verschmitzt.

Nur auf Carberrys Gesicht lag immer noch ein drohender, unheilverkündender Schatten. Seine Züge blieben finster, aber sein gewaltiges Kinn war nicht mehr so hart vorgeschoben.

„Dann malten wir ein paar grüne Farbtupfer auf die Eier und versteckten sie im Nest. Sir John hat sich auch ein paarmal drauf gesetzt, aber dann ließ er es bleiben, weil der Kandis so klebte.“

„Sir John war sehr verwundert, Dad“, sagte Philip. „Immer hat er die Eier mit dem Schnabel rumgerollt. Wir wollten sie später wegnehmen, aber dann hat sich Mister Carberry so sehr darum gekümmert, und wir wollten ihm die Freude doch nicht verderben. Nicht wahr, Hasard?“

„Ja, genauso war es. Wir dachten, alle würden es gleich merken, weil Papageien doch keine Nester bauen, aber es hat keiner gemerkt, und so ließen wir das Nest eben im Käfig.“

In Shanes Augen begann es zu blinken. Der graubärtige Riese schlug sich lachend auf die mächtigen Schenkel. Dann lehnte er sich mit beiden Armen an den Fockmast und lachte noch lauter.

Die Zwillinge belauerten den Profos, in dessen Gesicht eine eigenartige Verwandlung vor sich ging.

Eben sah es noch düster und drohend aus, doch langsam begann es sich aufzuhellen, und sein rechter Mundwinkel verzog sich etwas widerwillig. Der Profos sah so aus, als hätte er Essig getrunken.

Dann schüttelte er fast vorwurfsvoll den Kopf, kratzte sich den Kopf und verzog das Gesicht noch mehr.

„Ihr wolltet mich also nicht verarschen?“ fragte er, schon fast halb versöhnt.

Zwei unschuldige, von der Sonne stark gebräunte Gesichter sahen ihn an. Die Miniaturausgaben des Seewolfs zeigten ihre prächtigen weißen Zähne und grinsten entschuldigend.

„Nein, Mister Carberry, das hätten wir dir nie angetan“, versicherten sie. „Wir wollten nur mal sehen, wie alle reagieren, denn jeder weiß doch, daß Sir John ein Männchen ist und keine Eier legen kann.“

„Jaja“, sagte Ed. „Klar, das weiß jeder, und ich habe es ja auch selbst nicht so richtig glauben können, schon aus dem Grund, weil Papageien nur in Baumhöhlen brüten. Aber ich dachte, wenn Sir John jetzt tatsächlich ein Weibchen gewesen wäre, dann mußte man sich um ihn ja kümmern. Hätte ja alles sein können.“

„Ja, Mister Carberry“, sagte Hasard, der ältere der beiden. „Bei dir wäre ein brütender Papagei in den besten Händen, das meine ich ganz ehrlich. Niemand hat sich so darum gekümmert wie du, Mister Carberry, Sir.“

Der Profos räusperte sich und blickte zu dem Aracanga, der immer noch auf der Rahnock hockte und mit einem Auge an Deck schielte.

Hasard lachte leise.

„Jetzt braucht sich ja keiner mehr um die Namensänderung zu sorgen“, sagte er. „Sir John ist und bleibt Sir John, und wenn ihr beiden Helden dem Kutscher noch einmal Kandiszucker klaut, dann gibt’s was mit dem Tauende.“

„Und zwar so lange, bis ihr auch Eier legt“, setzte Ed hinzu, „und nicht mehr wißt, ob ihr Männchen oder Weibchen seid. Und jetzt feuert endlich das verdammte Nest über Bord. Sir John muß sich ja direkt dämlich fühlen, wenn er das sieht.“

Die Zwillinge waren erleichtert, denn diesmal waren sie sogar ohne ein blaues Auge davongekommen und ihr kleines Späßchen hatte niemand verübelt.

Sie hatten jedenfalls erreicht, was sie wollten. Für kurze Zeit hatte es an Bord einmal Abwechslung gegeben, und jeder hatte seinen Spaß daran gehabt.

Sie holten das verschmierte Nest und warfen es feierlich über Bord. Danach säuberten sie den Käfig und taten willig alles das, was der Profos anordnete oder befahl. Und sie hielten sich auch den ganzen Tag lang ständig in der Nähe auf, um ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen.

Denn so ein harter Kerl der Profos auch war, dachten sie, ein wenig genasführt würde er sich ganz sicher fühlen, und diesen Eindruck wollten sie so schnell wie möglich verwischen.

Zwei Tage später wurde Land gesichtet, und da war die Sache mit Sir John längst wieder vergessen.