Seewölfe Paket 11

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6.

Laurindo de Carvalho sprang mit einem Satz aus dem Boot und stapfte durch das seichte Wasser. Es kümmerte ihn dabei nicht, daß seine wertvollen Stiefel feucht wurden. Wutschnaubend baute er sich vor der Reihe der Angeketteten auf.

„Damit ihr wißt, woran ihr seid, ihr gottverdammten englischen Bastarde! Euer ehrenwerter Kapitän ist um euer Leben keine Spur besorgt.“ De Carvalho schwankte. Wie schwer seine Zunge war, bemerkte er selbst nicht. Und ebensowenig bemerkte er die konsternierten Blicke seiner portugiesischen Landsleute, die links und rechts neben den Gefangenen Stellung bezogen hatten. „Dieser noble Sir Hasard denkt nämlich nicht im Traum daran, sein Schiff herauszugeben. Dafür will er euch lieber opfern.“ De Carvalho wippte auf den Zehenspitzen, wodurch sich sein Schwanken noch verstärkte.

Edwin Carberry zog verächtlich die Mundwinkel nach unten. Herausfordernd schob er sein mächtiges Rammkinn vor. Die Ketten, die sie ihm verpaßt hatten, spürte er kaum – abgesehen davon, daß sie ihn in seiner Bewegungsfreiheit einengten. Wie seine Gefährten, trug er einen eisernen Ring um den Hals. Ketten waren in Ösen an diesem Ring befestigt und mit den eisernen Ringen an den Handgelenken verbunden.

Außerdem trug jeder der Männer von der „Isabella“ einen weiteren Ring dieser Art um ein Fußgelenk. Beim Profos war es das linke, und er war durch eine etwa einen Yard lange Kette mit Dan O’Flynn verbunden, dem sie den Ring um das rechte Fußgelenk gelegt hatten. Auf diese Weise waren jeweils zwei Mann aneinandergekettet. Geschlossen waren die Eisenringe mit einem Splint, den man zwar nicht mit bloßen Händen herausziehen konnte, für den aber ein oder zwei Hammerschläge genügten, um ihn hinauszutreiben.

„Einer stinkenden Kanalratte wie dir würde ich das Schiff auch nicht übergeben“, grollte der Profos. „Ich an Hasards Stelle hätte dir einen Tritt in den Hintern gegeben, daß du in hohem Bogen über das Schanzkleid gesegelt wärst.“

Laurindo de Carvalho erbleichte. Er ballte seine gepflegten Hände zu Fäusten.

Dan O’Flynn, Matt Davies und die anderen konnten sich ein gedämpftes Lachen nicht verkneifen, obwohl ihnen ganz und gar nicht fröhlich zumute war. Nachdem er aus der Bewußtlosigkeit erwacht war, spürte Dan noch immer die brennenden Schmerzen, die ihm Kapitän Einauge mit seinen gemeinen Hieben zugefügt hatte.

Mit kurzen schnellen Schritten stelzte de Carvalho auf den riesenhaften Profos zu, der einen halben Kopf größer war als er. De Carvalho mußte zu ihm aufblicken, als er blitzschnell ausholte und ihm mit der flachen Hand ins Gesicht schlug.

Ed Carberry zeigte keine erkennbare Regung.

Nur die schaufelförmigen Fäuste hob er kurz und schnell und tupfte dem Portugiesen kettenklirrend vor die Brust. Es sah harmlos aus, doch der Stoß hätte ausgereicht, einen indischen Wasserbüffel zu Fall zu bringen.

So stieß de Carvalho einen erschrockenen Laut aus, als er sich plötzlich von den Füßen gehoben fühlte und der Länge nach rückwärts segelte. So lang, wie er war, klatschte er ins seichte Wasser.

Carberrys Gefährten konnten nicht mehr anders, sie brüllten vor Vergnügen.

Wutentbrannt bauten sich die acht Portugiesen vor ihnen auf, während de Carvalho sich fluchend aufrappelte. Einer der Senhores, die vor weniger als einer Stunde ihr Schiff verloren hatten, versetzte Carberry mit dem Knauf seiner Pistole einen Stoß vor die Brust.

„Dafür wirst du bezahlen, du verfluchter Hurensohn!“ zischte der Portugiese.

Ed Carberry zeigte auch diesmal keine Reaktion. Er geriet nicht einmal ins Wanken. Von oben herab blickte er den Mann nur geringschätzig an.

Tropfnaß stürmte Laurindo de Carvalho heran und zerrte seinen Landsmann zur Seite. Der Blick, mit dem der Einäugige den Profos maß, war so tödlich wie ein Dolchstoß – abgesehen von der Wirkung. De Carvalho zitterte vor Wut. Wie es schien, hatte ihn das unfreiwillige Bad schlagartig ernüchtert.

„Dieser Mann“, schrie der Einäugige mit sich überschlagender Stimme, „wird auf der Stelle hingerichtet!“ Während er die Worte ausspie, wippte er heftig auf den Zehenspitzen.

Edwin Carberry stieß nur ein verächtliches Knurren aus.

Seine Gefährten preßten die Lippen zusammen. Sie wurden von dem Gefühl beschlichen, daß der Profos es möglicherweise doch zu weit getrieben hatte. Denn sie waren sich darüber im klaren, daß Hasard – wenigstens im Moment – keine Möglichkeit hatte, ihnen zu helfen.

Carberrys Reaktion steigerte de Carvalhos Wut zum Überkochen.

„Einen Säbel!“ keifte der Einäugige. „Bringt mir sofort einen Säbel! Ich werde die Exekution selbst durchführen!“

Der Portugiese, der zuvor dem Profos gegenübergestanden hatte, packte Kapitän Einauge an der Schulter.

De Carvalho schüttelte ihn ab wie eine lästige Fliege.

„Laurindo“, sagte der andere beschwörend, „sei jetzt vernünftig, verdammt noch mal! Es bringt uns doch nichts ein, wenn wir jetzt den Kopf verlieren. Unüberlegtes Handeln können wir uns nicht mehr leisten, nach dem, was passiert ist. Und vergiß nicht, der Raja erwartet von dir, daß du dich mit ihm berätst, bevor du etwas unternimmst.“

Ed Carberry und die anderen beherrschten das Spanische gut genug, um auch Portugiesisch zu verstehen. So kriegten sie jedes Wort mit.

„Das interessiert mich nicht“, fauchte de Carvalho, allerdings schon einen Grad leiser. „Dieser aufgeblasene Holzklotz wird für seine Unverschämtheit büßen. Mit seinem Leben!“

„Aber das muß doch nicht sofort sein, Laurindo“, sagte der andere Portugiese. „Sprich erst mit dem Raja. Wir wollen doch hier auf der Insel keine unnötigen Schwierigkeiten. Denk daran, daß der Raja auch uns mächtig einheizen kann, wenn wir etwas tun, ohne daß er die Entscheidung getroffen hat.“

De Carvalho preßte die Lippen aufeinander. Dann drehte er sich um, damit die Männer von der „Isabella“ seinen nachdenklich gewordenen Gesichtsausdruck nicht sehen konnten.

„Also gut“, sagte er halblaut. „Ich sehe ein, daß du recht hast, Luiz. Aber vergessen werde ich diesen Vorfall ganz bestimmt nicht.“

Luiz Cardona, ehedem zweiter Offizier auf der jetzt versenkten Karacke, deutete mit dem Daumen über die Schulter. „Wir wollen die englische Galeone, Laurindo. Vergiß das nicht. Unbesonnenheiten können wir uns nicht leisten. Du hast selbst gemerkt, daß nicht alles so glatt läuft, wie du es dir vorgestellt hast. Oder warst du allen Ernstes überzeugt, der englische Kapitän würde sein Schiff mir nichts dir nichts herausrücken?“

De Carvalhos Auge funkelte.

„Er begeht den größten Fehler seines Lebens, wenn er es nicht tut. Aber jetzt Schluß damit. Wir werden die britischen Bastarde erst einmal in den Palast bringen. Dann sehen wir weiter.“

Cardona lächelte zufrieden.

„So gefällst du mir schon besser, Laurindo.“ Er wandte sich den anderen zu und rief einen Befehl in der Sprache der Inselbewohner.

Sofort entstand Bewegung unter den Indonesiern. Sie bildeten eine Marschformation, die sie nur von den Portugiesen gelernt haben konnten. Die Gefangenen wurden in die Mitte dieser Formation genommen, flankiert von den Portugiesen. Laurindo de Carvalho übernahm die Spitze der insgesamt mehr als hundert Mann starken Kolonne.

Zwei Indonesier blieben mit dem Auslegerboot als Wächter am Strand zurück.

Die Formation bewegte sich auf einem Pfad dem Palmenwald zu. Der weiche Erdboden dämpfte nun die Schritte. Laut und vernehmlich war nur das Kettenklirren der Gefangenen. Unter den Baumkronen lastete die Luft jetzt, am Vormittag, drükkend heiß.

„Was wird Hasard unternehmen?“ flüsterte Dan O’Flynn, der neben dem Profos marschierte.

„Egal, was es sein wird, er heizt diesen Rübenschweinen garantiert ein. Darauf kannst du Gift nehmen.“ Ed Carberry bemühte sich, ebenfalls zu flüstern, was ihm bei seinem Reibeisenorgan nicht ganz leicht fiel.

„Das Schwierige ist nur“, fuhr Dan leise fort, „daß sie tagsüber nicht ungesehen an die Insel heran können. Wenn wir eine Galgenfrist bis zur Dunkelheit kriegen, haben wir nicht mehr viel zu befürchten. Sonst …“ Er sprach nicht weiter.

„Wie ich diese Burschen kenne“, Ed Carberry deutete mit einer Kopfbewegung zu den vorausmarschierenden Indonesiern, „werden sie erst mal ein stundenlanges Palaver veranstalten.“

„Hoffentlich.“

„Sag mal“, zischte der Profos, „hat dieser portugiesische Stint mich einen Holzklotz genannt oder nicht?“

„Allerdings“, erwiderte Dan, „das hat er.“

„Hm. Also habe ich mich nicht verhört. Dafür werde ich ihm die Haut in Streifen von seinem Wanst ziehen, sobald ich dieses verdammte Kettengeklimper losgeworden bin.“

„Ruhe!“ schnauzte der Portugiese, der rechts neben ihnen ging. „Haltet euer dreckiges Maul, oder ich stopfe es euch!“

Der Profos setzte zu einer passenden Antwort an, aber Dan brachte ihn rechtzeitig mit einer Handbewegung zur Besinnung. Zur Zeit, davon war Dan O’Flynn überzeugt, hatte es wirklich keinen Sinn, die Portugiesen unnötig zu reizen.

Der Pfad stieg jetzt an und führte in zunehmend engeren Windungen durch den Wald. Schließlich blieben die Palmen zurück, und die Marschformation erreichte eine steinige Anhöhe, die aus erkalteter Lava bestand – fast ein Plateau, jedoch nur von geringen Ausmaßen, denn es senkte sich sehr bald wieder in östlicher Richtung.

Für einen kurzen Moment hatten die Männer der „Isabella“ aber Gelegenheit, einen Blick über die Insel zu werfen. Im Schatten des alles überragenden Vulkans erstreckte sich tropischer Regenwald in hügeliger Weite. Fleckenartig war der Wald von Lichtungen größeren und kleineren Ausmaßes durchsetzt, Lavafelder hatten den Wald auf weiten Teilen der Insel völlig unter sich begraben.

 

Weiter entfernt, schon zum Fuße des Vulkans hin, gab es eine grüne Ebene. Es war anzunehmen, daß die Menschen dort Bodenfrüchte anbauten. Daß sie ihre Existenz als Jäger bestritten, war dagegen unwahrscheinlich, denn jagdbares Getier gab es auf der Insel sicherlich nicht. Bestenfalls Schlangen oder größere Vögel, doch davon konnten Hunderte von Menschen auf Dauer nicht satt werden. Hirsche oder Wildschweine hatten die Insulaner noch nicht einmal im Traum gesehen.

Die Seewölfe nahmen folgerichtig an, daß sich die einzelnen menschlichen Ansiedlungen auf den verschiedenen Lichtungen befanden. Außerdem vermutlich am Rand jener Ebene, die sich zum Fuß des Vulkans hin erstreckte.

Von der steinigen Anhöhe führte der Weg wieder hinunter in den Tropenwald. Etwa eine halbe Stunde lang wurden die Männer vom vielstimmigen Geschrei der Urwaldvögel begleitet, bis sich das Dickicht abermals lichtete.

Das Dorf war erstaunlich groß, die Hütten aus Bambusholz und Palmenblättern gebaut. Die Seewölfe waren welterfahren genug, um auf Anhieb zu erkennen, daß dies hier gewissermaßen die Hauptstadt des kleinen Inselreichs sein mußte.

Grund für diese Annahme waren die Tempel, die das Zentrum des Dorfes bildeten. Der breite Hauptweg, über den die Indonesier und Portugiesen ihre Gefangenen führten, verlief schnurgerade auf die Tempel zu.

Beiderseits des Weges erstreckten sich die flachen Bambushütten in unüberschaubarem Gewirr. Kinder lärmten in den schmalen Gassen zwischen den Hütten, in Verschlägen gackerten Hühner, grunzten Borstentiere. Letztere waren klein, gedrungen und schmutziggrau, nicht zu vergleichen mit ihren fetten europäischen Artverwandten.

Aus den Eingängen der Hütten beobachteten Frauen die vorbeiziehende Marschformation. Die meisten der Frauen waren klein und zierlich und in sorgfältig gewickelte bunte Sarongs gekleidet.

Die Kolonne näherte sich den Tempeln. Es handelte sich um drei Gebäude mit kunstvollen Schnörkeln, Drachenfiguren und Dämonengesichtern. Im Gegensatz zu den Hütten waren die Tempel aus dunklen Steinblöcken gebaut und die Figuren aus eben jenem Stein gehauen. Soweit die Seewölfe gehört hatten, gab es in allen Hindu-Ortschaften solche drei Haupttempel. Einer war der Sitz der gottgewordenen Begründer des jeweiligen Dorfes, beim zweiten handelte es sich um den Schrein für die Ahnenverehrung, und der dritte wurde als Haus für die Totenfeiern benutzt. Letztlich spiegelte diese Tempel-Anordnung auch die Dreifaltigkeit des Hindu-Glaubens wider, die sich auf die höchsten Götter namens Brahma, Wischnu und Schiwa bezog.

Vor den Tempeln führte der Weg nach rechts weiter und mündete in einen von Palmen umsäumten Platz vor einem noch größeren Gebäude aus Gesteinsblöcken. Verziert war dieses Gebäude mit unzähligen Türmchen und Erkern und nur wenigen steinernen Dämonengesichtern, die der üblichen Abschrekkung unsichtbarer Dämonen dienten. Fraglos handelte es sich um den Königspalast.

Wenig später bestätigte sich diese Vermutung der Seewölfe. Von den Portugiesen und einem zehn Mann starken Wachkommando der indonesischen Krieger wurden sie in eine düstere Halle geführt, die von wenigen glaslosen Fenstern nur unzureichend erhellt wurde. Modergeruch hing in der Luft – entweder vom Urwalddickicht, das bis an die Rückseite des Gebäudes reichte, oder von dem Gemäuer selbst, dessen poröses Gestein sich mit Feuchtigkeit vollgesogen hatte. Großen Staat konnte der Raja von Seribu mit diesem sogenannten Palast jedenfalls nicht machen.

„Halt!“ befahl Laurindo de Carvalho in der Mitte der Halle. Seine Landsleute und die indonesischen Bewacher blieben mit den Gefangenen stehen, während der Einäugige selbst gemessenen Schrittes weiterging.

Aus dem Halbdunkel einer Nische löste sich ein Palastwächter in hochgeschlossener weißer Sarong-Kleidung und verneigte sich vor dem Portugiesen.

De Carvalho sagte einige Worte in der Sprache der Inselbewohner.

Der Palastwächter, dessen Krummdolch in einer kunstvoll ziselierten Scheide steckte, verneigte sich abermals. Dann wandte er sich ab und verschwand in einem Durchgang zur Rechten, der im Halbdunkel nur undeutlich zu erkennen war.

De Carvalho brauchte nicht lange zu warten.

Eine malerisch gekleidete Abordnung erschien. Der drahtige kleine Mann, der die farbenprächtigste Sarong-Kleidung trug, war offenbar der Ranghöchste. Das verdeutlichte der respektvolle Abstand von einem Schritt, mit dem die anderen ihm folgten. Raja Sohore Jugung Moharvi also. Er trug eine weiße, turbanähnliche Kopfbedeckung, die den Ansatz graumelierten Haars erkennen ließ.

Zwei weitere Männer, wesentlich jünger jedoch, mußten Familienangehörige des Raja oder zumindest Mitglieder des königlichen Hofstaates sein. Denn in ihrer Mitte trippelte mit grazilen Schritten eine junge Frau von unvergleichlich ebenmäßigen Gesichtszügen. Ihrem Alter nach konnte sie die Tochter des Raja sein.

Edwin Carberry und die anderen wußten noch nicht, daß dieses bezaubernde Geschöpf die Lebensgefährtin von Kapitän Einauge war – das Druckmittel, das der Raja eingesetzt hatte, um das portugiesische Schlitzohr zum Verweilen auf der Insel zu bewegen.

Der Fünfte im Bunde war ein Brahmane, kenntlich durch sein langwallendes schneeweißes Gewand, das bis auf den Boden reichte. Der Hindu-Priester hatte aschgraues Haar und einen mächtigen Vollbart von dunklerer Farbe.

Laurindo de Carvalho verbeugte sich, als der Raja und sein Gefolge vor ihm stehenblieben. Ein kurzer Wortwechsel in der einheimischen Sprache folgte. Der Raja verzog irritiert das Gesicht, als ihm der alkoholgeschwängerte Atem des Einäugigen entgegenwehte. Schließlich trat de Carvalho beiseite und deutete mit einer Handbewegung auf die Gefangenen.

Der Raja musterte ausgiebig jeden einzelnen der Männer. Besonders lange und beinahe andächtig verweilte sein Blick auf Edwin Carberry, der wie eine Riesenstatue dastand und demonstrativ über den kleinen König hinwegstarrte.

Moharvi sagte ein oder zwei Sätze, ohne sich zu de Carvalho umzudrehen.

Kapitän Einauge übersetzte, denn die Worte des Inselherrschers galten den Gefangenen.

„Der Raja heißt euch auf Seribu willkommen, wenn es auch für euch keine angenehmen Umstände sind. Euch wird kein Haar gekrümmt, sofern euer Kapitän unsere Forderungen erfüllt.“

Edwin Carberry räusperte sich.

„Ich denke, ich werde hinge …“ setzte er an, brach aber ab, als Dan O’Flynn ihm auf den Fuß trat.

„Sei still, verdammt!“

Raja Sohore Jugung Moharvi blinzelte fragend, drehte sich zu seinem portugiesischen Kriegsführer um und sagte etwas.

Laurindo de Carvalho gab eine knappe Antwort, die besänftigend klang.

Der Raja fuhr fort, und wieder übersetzte der Einäugige.

„Auf Wunsch des Raja stelle ich sein Gefolge vor. Auch wenn ihr nichtsnutzigen Bastarde das nicht verdient habt. Aber egal. Hier haben wir zunächst einmal den Brahmanen Ayia Padang Mantra, den höchsten religiösen Würdenträger auf Seribu. Dann meine Frau, Prinzessin Nygasi Desawang Moharvi …“

Ed Carberrys Kinnlade sackte haltlos weg. Sein Blick wechselte von der ausgesprochen schönen jungen Indonesierin ungläubig zu dem Einäugigen, der für ihn bestenfalls mit einer Vogelscheuche vergleichbar war.

„… und außerdem Sukawasi Desai Moharvi, den Sohn des Königs“, fuhr Kapitän Einauge fort, „und Desai Gunung Lelong, den Neffen des Raja.“

Die jeweils Genannten verbeugten sich beim Klang ihres Namens mit freundlichem Lächeln.

Noch ein kurzer Hinweis des Inselherrschers folgte.

„Der Raja und ich ziehen uns jetzt mit dem Gefolge zur Beratung zurück“, erklärte de Carvalho widerstrebend, denn er selbst hielt die Gefangenen solcher Erklärung nicht für würdig. Seinen Landsleuten befahl er auf portugiesisch, die Engländer abzuführen.

Das geschah, nachdem der Raja und seine Begleitung im Halbdunkel verschwunden waren.

Luiz Cardona, der Mann, der den Seewölfen bereits vom Strand her in Erinnerung war, gab knappe Anordnungen in der Insulaner-Sprache.

Von derben Stößen getrieben, wurden die Gefangenen durch den vorderen Eingang hinausbugsiert und dann rechts herum, an die Seitenmauer des Königspalastes. Die Krieger, die zuvor am Strand aufmarschiert waren, hatten sich mittlerweile in das Dorf verzogen.

In der moosbewachsenen Seitenmauer des Palastes gab es eine Tür, die in einen tiefergelegenen Raum führte. Vor den drohenden Pistolenläufen der Portugiesen wurden die Seewölfe hineingetrieben. Hinter ihnen fiel die Tür zu, knirschend wurde ein Riegel vorgelegt.

Dunkelheit umgab sie, dazu noch stärkerer Modergeruch als zuvor in der Halle. Spärliches Licht, das nicht bis auf den Boden reichte, fiel nur durch eine offene Fensterhöhle im oberen Viertel des Raumes herein. Ein Mann hätte gerade Platz gehabt, um hindurchzukriechen. Daß es aber dennoch kein geeigneter Fluchtweg war, erkannten die Männer von der „Isabella“ sehr bald, denn die Stulpenstiefel eines Portugiesen wurden vor dem hellen Viereck sichtbar.

Der Boden des kellerartigen Raumes bestand aus festgestampftem Lehm.

Matt Davies kratzte mit seinem Prothesenhaken am Mauerwerk.

„Wenn wir genug Zeit haben“, stellte er fest, „können wir einen von den Steinblöcken rauskriegen. Eisenteile, die sich als Werkzeug verwenden lassen, haben wir schließlich genug.“ Er klirrte mit seinen Ketten.

„Dazu müßten wir die verdammten Dinger erst mal loswerden“, sagte Luke Morgan, der mit Matt zusammengekettet war.

„Wir brauchen einen Steinbrocken oder einen anderen harten Gegenstand“, sagte Dan O’Flynn, „damit wir die Splinte losschlagen können.“

Die anderen brummten zustimmend, und sie begannen, den Boden des kellerartigen Raumes abzusuchen. Natürlich waren sie am Strand entwaffnet worden. Einen Pistolenknauf oder den Griff eines Entermessers hatten sie daher nicht zur Verfügung.

„Ob mit Ketten oder ohne“, knurrte Edwin Carberry, „wenn ich einen von diesen Hunden nur richtig erwische, ramme ich ihn so oder so unangespitzt in den Boden.“

7.

„… werden wir uns deshalb in zwei Gruppen aufteilen“, sagte der Seewolf gerade. „Wir brechen sofort auf, denn ich werde das Gefühl nicht los, daß wir keine Minute verlieren dürfen. Die erste Gruppe hat also mehr oder weniger die Aufgabe, die Wächter am Strand abzulenken, während die zweite …“

Bills gellende Stimme aus dem Großmars unterbrach ihn.

„Deck! Am Strand! Da tut sich etwas!“

Die Köpfe der Männer, die sich auf der Kuhl versammelt hatten, ruckten herum. Wohlweislich hatte Hasard den Moses für die Dauer der Lagebesprechung in den Ausguck geschickt. So waren sie nicht gezwungen, ständig ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Insel zu richten. Daß auf den Moses Verlaß war, hatte er ja an diesem Tag schon einmal hinreichend bewiesen.

Gemeinsam mit seinen Männern eilte der Seewolf ans Schanzkleid. Er zog das Spektiv auseinander und hob es ans Auge.

Zunächst war nichts Genaues zu erkennen – lediglich so viel, daß sich eine ähnlich große Menschenansammlung wie zuvor durch den Palmenwald auf den Strand zubewegte. Daß Bill dies bereits gemerkt hatte, zeigte, wie scharf seine Augen waren.

Die Männer an Bord der „Isabella“ hielten den Atem an.

Minuten später starrten sie fassungslos, mit weit aufgerissenen Augen zur Insel hinüber.

Dann, als sie klarer sahen, stieg ihnen allen die Zornesröte ins Gesicht.

Es war niemand anders als Edwin Carberry, den sie ans Wasser schleiften.

Schleiften!

Zusätzlich zu den Ketten war der Profos von Kopf bis Fuß mit Strikken zusammengeschnürt worden. Er hatte keine Chance, sich noch zur Wehr zu setzen. Sechs Indonesier waren notwendig, um ihn zu dem Auslegerboot zu zerren.

Eine furchtbare Ahnung stieg in Hasard auf. Er wandte sich um.

„Ladet die Musketen!“ rief er. „Schnell! Wir müssen auf das Schlimmste gefaßt sein!“

Die Männer stellten keine Fragen. Noch wußten sie nicht, was Ed Carberry bevorstand. Aber instinktiv spürten sie, daß es von ihnen abhing, ob er am Leben bleiben würde.

Der Seewolf beobachtete wieder den Strand.

Von Dan O’Flynn, Matt Davies und den drei anderen war nichts zu sehen. Merkwürdig. Noch ergab dieses teuflische Spiel, das sich hier anbahnte, keinen rechten Sinn.

Die Mehrzahl der Indonesier verharrte unmittelbar vor dem Palmenwald. Etwas abseits stand die Gruppe der Portugiesen. Neben ihnen Kapitän Einauge und eine weitere kleine Schar, die Hasard zuvor noch nicht gesehen hatte. Aber nach dem Äußeren dieser Leute wußte er, daß es sich um den Raja und sein Gefolge handelte.

 

Laurindo de Carvalho redete gestikulierend auf den buntgekleideten kleinen Mann mit der weißen Kopfbedeckung ein. Der Raja bewegte den Kopf bedächtig von einer Seite zur anderen. Hasard wußte, daß dies das Zeichen für Zustimmung war – was einem Kopfnicken in Europa entsprach.

Kapitän Einauge hatte also diesen Plan, was immer es auch sein mochte, mit dem Inselherrscher abgestimmt. Folglich mußten sie etwas ausgeheckt haben, was ihrem gemeinsamen Interesse diente.

Auf Edwin Carberrys Kosten.

Aus der Gruppe des Raja-Gefolges löste sich jetzt ein weißgekleideter Mann. Hasard identifizierte ihn sofort als Brahmanen. Der Hindu-Priester ging mit gemessenen Schritten auf das Auslegerboot zu.

Hinter sich hörte Hasard die eilige Geschäftigkeit seiner Männer. Al Conroy überwachte das Laden der Musketen.

Der Seewolf wußte schon jetzt, daß ihm praktisch nur zwei Möglichkeiten blieben.

Entweder mußte er zu erkennen geben, daß er zur Übergabe des Schiffes bereit war, bevor Ed Carberry etwas zustieß.

Oder sie mußten den Profos mit gutgezielten Schüssen retten.

Letzteres barg ein unkalkulierbares Risiko, weil keinerlei Gewißheit darüber bestand, was mit den fünf übrigen Männern geschehen war, die dem Einäugigen in die Hände gefallen waren.

Vor dem Auslegerboot blieb der Brahmane stehen und verschränkte die Arme vor der Brust.

Die sechs Indonesier hatten den Gefesselten mittlerweile auf die vordere kleine Plattform des Bootes gezerrt, das bereits im seichten Wasser dümpelte. Abwartend blieben sie stehen, hielten dem Brahmanen gegenüber devot die Köpfe geneigt und achteten gleichzeitig darauf, daß sich der Gefesselte nicht vom Boot rollte.

Der Hindu-Priester nickte zufrieden. Dann drehte er sich langsam um und gab ein Handzeichen zur Menge der Wartenden am Palmenwald.

Eine Gruppe von Indonesiern, vier Mann diesmal, setzte sich in Bewegung. Sie zogen geflochtene Bastsäkke hinter sich her, die sie über den dunklen Sand schleiften.

„Musketen geladen!“ meldete Al Conroy.

„In Ordnung“, sagte der Seewolf, ohne den Kieker abzusetzen, „verteile die Waffen, Al. Die Männer sollen sich schußbereit aufstellen, die Musketen aber noch verborgen halten. Außerdem je eine Muskete für Ben und mich.“

„Aye, aye, Sir.“

Hasard drehte sich nicht um. Er wußte, daß er sich auf den Stückmeister und jeden einzelnen Mann verlassen konnte. Eine Unbedachtsamkeit würde es nicht geben. Dazu wußte jeder viel zu genau, daß das Leben Edwin Carberrys möglicherweise von ihrem Geschick oder Ungeschick abhängen würde.

Jeder von ihnen wünschte sich in diesem Moment, die dröhnenden Sprüche des Profos über Deck schallen zu hören.

Wie sie ihn jetzt dort drüben auf dem Auslegerboot sahen, war es ein verdammt schmerzlicher Anblick – unwürdig für einen aufrechten Mann wie Ed, der unter seiner rauhen Schale doch immer einen weichen Kern bewahrt hatte.

Hasard konzentrierte sich wieder auf das, was sich am Strand abspielte.

Die Indonesier, die die Bastsäcke mit ihrem offenbar schweren Inhalt herangeschleppt hatten, erreichten das Boot und zerrten die Säcke ins knöcheltiefe Wasser.

Hasard begriff plötzlich, was geschehen würde. Es brachte ihn fast um den Verstand. Eine imaginäre glühende Faust wühlte in seinem Magen.

Aber in diesem Augenblick konnte er nichts für Carberry tun. Noch nicht. Solange das Boot am Strand lag, war es sinnlos.

Die Minuten verrannen quälend langsam.

Auf der „Isabella“ war es totenstill. Das unfaßbare Geschehen wirkte wie lähmend auf die Männer.

Sie schnürten die Bastsäcke zu und verknoteten die Enden der dünnen Strikke mit Ed Carberrys Fesseln.

Insgesamt vier solcher Säcke waren es, und als sie sie ins Boot wuchteten, wurde klar, daß es sich bei dem Inhalt um nichts anderes als Steine handelte. Lavabrocken oder sonstwas.

Dem Profos war es reichlich egal, ob es nun erkaltete Lava oder Felsgestein war. Fest stand, daß sie ihm zentnerschwere Gewichte an den Leib gehängt hatten – um ihn zu ersäufen wie eine Katze.

Obwohl nur dieser niederschmetternde Umstand letzten Endes zählte, ertappte er sich dabei, daß er darüber herumgrübelte, was für Steine es nun wohl sein mochten.

Sinnigerweise hatten sie seine Augen nicht verbunden, diese Kanalratten, diese dreimal verfluchten hinterhältigen Rübenschweine. Als sie seine Fußkette von Dan O’Flynn gelöst hatten, war es ihm noch nicht gleich klargeworden, was sie planten. Aber als sie dann mit zehn Mann über ihn hergefallen waren – draußen vor dem Palast, da war es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen.

Jetzt erlebte er alles bis ins Kleinste mit – eben weil sie ihm die Augen nicht verbunden hatten. Mit voller Absicht hatten sie das nicht getan.

Teuflische Bastarde!

Nie in seinem Leben hätte er es sich träumen lassen, einmal auf eine so schändliche Weise zu enden. Hier mußte er sich wie ein Stück Vieh auf der Schlachtbank fühlen. Schlimmer als ein Delinquent, der nach einem ordnungsgemäßen Gerichtsurteil hingerichtet wurde – auf welche Weise auch immer. Einem solchen Delinquenten gestattete man wenigstens noch einen Rest an menschlicher Würde.

Den Tod hatte Edwin Carberry nie gefürchtet. Allein deshalb nicht, weil er stets eine bestimmte Vorstellung vom Sterben gehabt hatte. Seite an Seite mit seinen Gefährten im wildesten Kampfgetümmel, Mann gegen Mann mit blanken Waffen – dann irgendwann der alles entscheidende Hieb wie ein Blitz aus heiterem Himmel – ein Hieb, den man fast nicht mehr spürte.

Ja, das wäre für den Profos der „Isabella“ ein ehrenvoller Tod gewesen. Selbst wenn ihn das Schicksal in einem Kampf an Land ereilt hätte, wäre es für ihn noch nicht unehrenhaft gewesen – obwohl Schiffsplanken für einen Profos natürlich der bessere Platz zum Sterben waren.

Aber dies, verdammt noch mal, war das Niederträchtigste, was Menschen einem Menschen zufügen konnten.

Ed Carberry drehte den Kopf ein wenig mehr zur Seite, so daß er besser sehen konnte, was sich am Strand abspielte. Mehr als den kleinen Finger konnte er praktisch nicht bewegen. Sie hatten ihn höllisch gut verschnürt. Darin verstanden sie ihr Handwerk, diese drahtigen kleinen Satansbraten.

Die sechs Kerle, die Mühe gehabt hatten, sein Lebendgewicht zu schleppen, standen noch immer abwartend neben dem Boot. Am Ufer hochaufgerichtet dieser Kerl in Weiß, Ayia Padang Mantra, der Brahmane. Ed Carberry erinnerte sich sehr genau an das alberne Vorstellungszeremoniell im sogenannten Königspalast. Dieser komische Raja hatte damit nichts anderes bezweckt, als sich aufzuspielen und seine Macht zu demonstrieren. Lächerlich! Gefesselten Gefangenen gegenüber konnte selbst eine Laus ihre Macht unter Beweis stellen.

Der Brahmane scheuchte jetzt die vier Steinträger mit einer herrischen Handbewegung fort.

Die Männer hasteten los, als säße ihnen der Leibhaftige im Nacken. Der Weißgekleidete genoß offenbar einen ungeheuren Respekt.

Ayia Padang Mantra stieß einen kehligen Befehl aus. Die sechs Männer, die neben dem Boot ausgeharrt hatten, schwangen sich behende an Bord. Der leicht gebaute Kahn mit den weit geschwungenen Auslegerstangen schaukelte beträchtlich. Die Indonesier griffen nach den Paddeln, deren Blätter aus dünnem Holz bestanden und kreisrund waren.

Ed Carberry mußte den Kopf noch mehr drehen, um zu erkennen, daß jetzt auch der Brahmane an Bord ging. Einen Moment blieb er aufrecht stehen. In der rechten Hand hielt er Palmenblätter, in die eine halbe Kokosnußschale gebettet war.

An Land herrschte völlige Stille. Nur das leise Rauschen des Windes in den hohen Kronen der Palmen war zu hören.

Der Brahmane griff mit der Linken in die Kokosnußschale und sprengte Wasser über das Boot und die Männer. Heiliges Wasser, wie sie es nannten. Dazu murmelte er einen monotonen Sermon von kehligen Worten. Die sechs Indonesier hielten die Köpfe geneigt. Dann, schließlich, setzte sich der Brahmane auf ein schmales Brett, das der Achterducht einer Ruderjolle ähnelte.