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Reise durch den Stillen Ozean

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XII
WAILEVU

Allgemeines über Viti. Ankunft in Kandavu. Herrn Kleinschmidt kennen gelernt. Gepäckschwierigkeiten. Meine ersten echten Wilden. Das Hotel von Wailevu und seine Eigenthümlichkeiten. Drei junge Flibustier mit trüben Aussichten. Eine interessante Tischgesellschaft. Besuch beim Doktor. Kawa-Gelage. Zauberhafte Tropennacht.

Nach nicht ganz vier Tagen hatten wir die neunzehn Breitengrade oder 1140 Seemeilen zwischen Auckland und Kandavu zurückgelegt, und wir waren in Viti.

Die Viti- oder, wie man gebräuchlicher, aber weniger richtig sagt, Fidschi-Gruppe, die ausgedehnteste der Südsee, besteht aus über 200 Inseln.7 Diese Inseln, deren Gesammtflächeninhalt von 20 807 Quadratkilometer ungefähr dem des Königreichs Würtemberg (19 504 Quadratkilometer) gleichkommt, lassen sich in mnemotechnischer Rücksicht eintheilen in zwei von erster Grösse, Vitilevu und Vanualevu, zwei von zweiter Grösse, Tawiuni und Kandavu, und eine Menge kleinerer dritter Grösse bis zu wasserlosen und deshalb unbewohnten Felsen herab. Die Bevölkerung wird nach der letzten Schätzung zu 118 000 Eingeborenen und 1500 Weissen angegeben. Davon sollen auf Kandavu etwa 5000 Eingeborene und 50 Weisse treffen.

Die Regierungshauptstadt Levuka liegt auf einer Insel dritter Grösse, auf Ovalau. Viti ist die jüngste englische Kolonie. Erst vor vier Jahren, am 21. März 1874, haben die Engländer auf Antrag des eingeborenen Königs Thakombau, dem die begonnene moderne konstitutionelle Regierung mit seinen weissen Unterthanen nicht mehr recht gelingen wollte, sie in Besitz genommen. Die Viti-Inseln sind auch noch dadurch interessant, dass unter allen bisher bekannten Menschen der Erde gerade die Viti-Insulaner ehemals am meisten dem Kannibalismus fröhnten.

Als ich am 7. Juli Morgens aufwachte, ging die Maschine bereits langsamer. Ich sprang ans Fenster. Die dunklen Umrisse hoher Berge lagen vor uns im Dämmerlicht, und hie und da brandete die See in weissen Schaumlinien über Korallenriffen.

Trotz der frühen Stunde und trotz des Regens waren bald die meisten Passagiere auf Deck, und auch draussen auf dem Wasser wurde es lebhaft, als wir in die Angaloa Bai einfuhren. Der Dampfer von Sydney, die »City of New York« hatte sich bereits auf dem Ankerplatz eingefunden, und hinter uns drein kam mit einer in diesen Breiten geradezu erstaunlichen Pünktlichkeit der kleine »Star of the South«, welcher die Post von Levuka brachte, und entwickelte eine so mächtige Rauchsäule, dass wir ihn anfangs für den grossen erst in zwei Tagen fälligen Dampfer von Amerika hielten. Aus allen Ecken erschienen beflaggte Segel- und Ruderböte europäischer Konstruktion und Segel- und Ruderkanuus von Vitibauart, und nackte braune Menschen sassen in ihnen. Eine Dampfbarkasse mit den fliegenden Farben der Pacific Mail Steam Shipping Company fuhr kreuz und quer durch die kleine Flottille, scheinbar ohne anderen Zweck als das Durcheinander zu vermehren und die Wirkung des belebten Bildes zu erhöhen. Von den Hügeln, welche mit einer eigenthümlichen, unschön grellgrünen Vegetation bedeckt waren, wie auf schlechten Aquarellen, begannen Palmen zu winken, und auch unten am Ufer tauchten Palmenhaine auf und zwischen ihnen die niedrigen Strohhütten eines Vitidorfes.

Kaum war der Anker hinabgerasselt und die Falltreppe niedergelassen als Dutzende von Fahrzeugen sich an unsere Seite legten. Der Regierungsdoktor kam in seinem Boot, an dessen Stern die blaue Flagge des englischen Zivildienstes flatterte, mit sechs Insulanern, deren frischgewaschene weisse Turbans geschmackvoll von dem satten, glänzenden Braun ihrer muskulösen Körper sich abhob, herangerudert und frug, ob Alles an Bord gesund sei. Agenten und Kaufleute stiegen herauf, und Eingeborene boten von ihren Kanuus aus Früchte, Muscheln und alte Kannibalenwaffen feil.

Rings ums Schiff wimmelte es von den seltsamen Gestalten der Südseekanuus mit ihren Auslegern, die sich so gebrechlich ansehen und so gut segeln. Die See ging ziemlich hoch, schlug sie voll Wasser, warf eines gegen das andere, und verwickelte die dünnen, zusammengebundenen Holzgerüste der Ausleger. Heftiges Geschrei flog hin und her, Körbe mit Früchten wurden über Bord geschwemmt und trieben hinweg, und zwei der Kanuus kenterten, so dass ihre braunen Insassen ins Wasser fielen, woraus sie sich aber viel weniger machten, als aus dem Verluste einiger hundert Apfelsinen, welche ihren ganzen Handelsvorrath bildeten und nun von der Ebbe entführt über die hüpfenden Wellen sich ausbreiteten.

In einem Kanuu befanden sich zwei Frauenzimmer, ebenso wie die Männer kurz geschoren, mit weiter nichts als einem Stück Tuch um die Lenden bekleidet und blos durch ihre vollen Brüste als solche erkennbar. Sie zogen die Aufmerksamkeit unserer Passagiere in nicht geringem Grade auf sich, nicht allein der männlichen, sondern auch der weiblichen, deren Mienen ausser der allgemein weiblichen Neugierde etwas wie Eifersucht und Neid über diese privilegirte Zurschaustellung verriethen trotz des affektirten verächtlichen Naserümpfens.

Ich war noch immer unentschlossen, wohin ich mich wenden, ob ich nach Levuka fahren oder dem Rathe des Lootsen folgen und auf Kandavu bleiben sollte, als ich allen Zweifeln hierüber durch meinen guten Stern sehr angenehm entrissen wurde, indem er mir, eben im Begriff, den Dampfer zu verlassen, einen deutschen Landsmann und Naturforscher zuführte. Herr Kleinschmidt, der als wissenschaftlicher Reisender des Museum Godeffroy in Hamburg sich eben zum Zweck zoologischen Sammelns auf Kandavu aufhielt, kam an Bord des Dampfers, wurde mir vorgestellt und hatte die Güte, mir seine Führung auf gemeinschaftlich zu unternehmenden Streifzügen anzubieten, was ich natürlich mit dem grössten Dank annahm. Ich weiss wahrhaftig nicht, wie ich ohne Herrn Kleinschmidt, der, seit mehreren Jahren in Viti, Land und Leute kannte und der Vitisprache vollständig mächtig war, mit den Insulanern zurecht gekommen wäre, die fast kein Wort Englisch verstehen und sehr geneigt zu sein scheinen, den ihrer Sprache unkundigen Fremdling an der Nase herumzuführen. Ich beschloss also, auf Kandavu zu bleiben und habe es nicht bereut.

Es galt zunächst, mein Gepäck an Land zu schaffen. Ein Boot war bald zur Hand. Aber das Gepäck zu erhalten war nicht so leicht. Es stand unten im Zwischendeck, und um es herauszubekommen, musste eine Pforte in der Schiffswand geöffnet werden. Von Pontius zu Pilatus geschickt, hier mit einem Grobian einige scharfe Worte wechselnd, dort von einem Lümmel auf meine bescheidene Anfrage ohne Antwort gelassen, fand ich endlich jenen dritten oder vierten Offizier, der hiezu allein berechtigt war, und bei dem ich auf weniger Widerstand stiess, als ich erwartet hatte. Die schweren eisernen Barrieren der Pforte wurden losgeschraubt, aber als sie offen war, war das Boot nicht da. Nochmals drängte ich mich durch Gänge und über Treppen, über Treppen und durch Gänge nach dem Deck, das Boot zu suchen und herüberzubeordern, und als es an Ort und Stelle war, war die Pforte wieder zugeschraubt und der betreffende Offizier weg, weiss Gott wo.

Das Wetter hatte sich vorübergehend aufgeklärt, die Sonne brannte glühend heiss herab, von der Stirne rieselte der Schweiss. In der Maschine rasselten die Ketten, an denen die Asche aus dem Feuerraum gehisst wurde, Matrosen und Heizer, lauter Chinesen, Eingeborene und Passagiere rannten durcheinander. Geschrei von allen Seiten, chinesisch und viti, englisch, deutsch und französisch. An allen Eingängen verrammelten Ladies die Passage, waren nur nach mehrmaligen, unterthänigsten Bitten zu bewegen, sie freizugeben und setzten die Kourtoisie auf eine harte Probe. Unter solchen Annehmlichkeiten verging über eine Stunde, ehe ich mit meiner Habe im Boot und bald darauf trotz der bewegten See glücklich und ohne nennenswerthe Havarie gelandet war.

Wailevu, das »grosse Wasser« heisst das Dorf, welches dem Ankerplatz gegenüberliegt und so zum Verkehrsmittelpunkt und zur Hauptstadt der ganzen Insel geworden ist. Ein erst kürzlich entstandenes Hotel, einstöckig, vier Fenster breit und mit Veranda oben und unten nach der Seeseite zu, ist das hervorragendste und zugleich einzige, aus Holz und europäisch gebaute Haus. Sonst sieht man nur Hütten aus Palmblättern, Schilf oder Laub, von denen drei oder vier aussen mit Kalk beworfen sind, und selbst der oberste Beamte und der Regierungsarzt wohnen nur in solchen. Etwa zwölf Hütten sind von Weissen bewohnt, alles Uebrige ist eingeborene Bevölkerung.

Wailevu war voll von den Passagieren der Dampfer, nicht wenig geputzte, kokettirende und die muskulösen Insulaner belorgnettirende Damen waren darunter. Was aber kümmerten mich jetzt diese Blassgesichter, mich, der ich jetzt zum ersten mal unter wirklichen Wilden wandeln durfte, und dem es wie ein Traum vorkam, die Figuren aus den Bilderbüchern der Kindheit verkörpert und leibhaftig vor sich zu sehen. Wie interessant war mir Alles, was sie thaten und an sich trugen.

Hier kauerte ein Dutzend Männer, die Mannschaft eines Bootes, welches gerade beschäftigungslos war, in einer Reihe am Strande, blos mit den Fusssohlen den Boden berührend, während das Gesäss freischwebte, eine Stellung, die ihnen eben so bequem zu sein schien, als sie dem Europäer schwierig und ermüdend wäre. Dort stand ein Anderer, frierend in seiner Kostümlosigkeit – denn wir hatten nur 20 Zentigrade – und klapperte mit den Zähnen und sah so blau aus, dass ich dachte, der arme Mensch hätte einen Fieberanfall, bis mich Herr Kleinschmidt eines Besseren belehrte. Zwei bunte Muscheln hielt er in einer Hand und bot sie den Vorübergehenden zum Kaufe an. Als ich ihn Abends wieder sah, hatte er seine zwei Muscheln noch immer nicht angebracht und klapperte noch immer mit den Zähnen. Er war jedenfalls ein aussergewöhnlicher Pechvogel. Denn im Allgemeinen war die Nachfrage nach Muscheln seitens der Fremden, die ein Andenken mitnehmen wollten, sehr gross, und für die gemeinsten Schneckengehäuse, die man nur vom Strande aufzulesen brauchte, wurden die unverschämtesten Preise verlangt und bezahlt. Selbst auf die Herstellung richtiger »Exportartikel« waren die schlauen Insulaner schon gekommen. Man sah da Bogen, Pfeile und Lanzen, ganz deutlich eben erst flüchtig zurechtgeschnitzt und ohne jeglichen ethnographischen Werth, aber sie wurden gekauft. Nur an Keulen der verschiedensten Formen waren viele echte und alte zu haben.

 

Es waren lauter schöne, starke, malerische Gestalten, die ich hier sah. Und blieb auch bei den Meisten der Gesichtsausdruck in der Ruhe, wenn sie gerade gedankenlos vor sich hinstarrten und dabei häufig das Maul offen stehen liessen, weit hinter den Anforderungen europäischer Schönheitsbegriffe zurück, so wirkte die Lebhaftigkeit ihrer Züge, das Blitzen der dunklen Augen und der Glanz ihrer weissen Zähne, das Wilde und Natürliche in ihrem ganzen Wesen, wenn sie sprachen und lachten, nur um so angenehmer und anziehender. Namentlich bei den Weibern, von denen in der Bewegung keine absolut hässlich zu nennen war. Doch liessen sich von dem zarteren Geschlecht nur wenige Vertreterinnen blicken. Es trieben sich fast nur Männer auf dem Strande herum.

Alle möglichen Schmucksachen hingen an den braunen Burschen. Ringe, aus grossen Schnecken geschliffen, umspannten die Handgelenke, kreisförmig in sich zurückgebogene Hirscheberzähne, weither von westlicheren Inselgruppen als Handelsartikel gebracht, hingen ihnen an Bändern um den Hals, wie unsere höheren Orden, ebenso mehrfache Schnüre von kleinsten farbigen Glasperlen, zu geschmackvollen mannigfaltigen Mustern gereiht und vorne wie eine Kravatte in zierlichen Knoten mit herabfallenden Enden geschürzt. Viele trugen ein Tuch turbanartig um die Stirne gebunden, welches ihnen bei dem Mangel an Kleidungsstücken als Tasche zur Aufbewahrung der erlösten Geldstücke diente. Ihren Tabak aber trugen sie, gleichwie die Maoris auf Neuseeland, in den durchbohrten Ohrläppchen.

Es war erstaunlich zu sehen, welcher Ausdehnung dieses Anhängsel des menschlichen Hauptes fähig ist. Bei einzelnen war es durch allmälige Erweiterung des Loches zu förmlichen Schlingen umgebildet, welche bis zu den Schultern herabhingen, gross genug, um die fünf Fingerspitzen mehr als drei Zentimeter weit durchzustecken. Zur Herstellung dieser nützlichen Monstrositäten werden wahrscheinlich die Säume der Ohren der halben Länge nach aufgeschlitzt und durch Holzklötzchen an der Wiederverheilung gehindert. Die in den so entstandenen Schlingen getragenen Gegenstände, also vornehmlich ein paar Strünke Tabaksblätter oder auch vielleicht eine Thonpfeife weiten durch ihre Schwere sie immer mehr aus.

Pfeifen sind zwar im Allgemeinen bei den Vitis nicht üblich. Sie rauchen meistens die »Suluka«, eine Zigarette, die sie sich aus einem mittels der Nägel zugeknipsten viereckigen Stück trockenen Bananenblattes und aus zerzupftem Tabak wickeln. »Sulu« heisst der klafterlange Kalikofetzen, den sie um die Hüften wickeln, und diese ihre Bekleidung und die Zigarette scheinen somit in einem ethymologischen Zusammenhang zu stehen.

Doch entbehrten auch die grossen Ohrläppchen nicht des Schmuckes. Blechstückchen, Metallknöpfe, Draht, kurz was sie nur immer aufgabeln konnten, hingen an denselben, einer hatte einen ganz gemeinen Uhrschlüssel mit einem schwarzen Faden daran baumelnd befestigt. Einige, die keinen Tabak besassen, hatten die Leere ihrer Ohrläppchen durch zierlich geringelte Hobelspäne aus der Werkstatt des weissen Zimmermanns zu verbergen gewusst. Hobelspäne staken auch in den Turbans des einen oder anderen und starrten korkzieherlockenartig von den Schläfen herab. Andere hatten Blätterguirlanden vorgezogen, welche zugleich kühlend die Stirne beschatteten.

Ein junger Mann fiel mir auf durch gemessenes ernstes Benehmen. An seinem linken Oberarm glänzte eine schmale weisse Binde, seine Uniform, wie mir Herr Kleinschmidt sagte. Er war Polizeidiener, die Binde das Zeichen seiner Amtswürde.

Was mich jedoch gleich zuerst und am meisten überraschte, das war die Farbe der Haare. Für solche dunkle Menschenkinder passten eigentlich nur schwarze Haare. Fast alle aber hatten braune, mehrere braunrothe, einige wenige sogar in ein goldenes Blond hinüberspielende fuchsfeuerrothe Perrücken, was als Krönung der schokoladefarbenen, bronzeglänzenden Körper seltsam und nicht unmalerisch aussieht, die Folge eines kosmetischen Verfahrens, dem sie sich theils aus Mode, theils zur Vertilgung des Ungeziefers unterziehen, und welchem ich später beizuwohnen Gelegenheit erhalten sollte. Sie beschmieren sich den Kopf von Zeit zu Zeit mit Kalkbrei, und an manchen gerade nicht sehr reinlich gehaltenen Koiffüren konnte ich noch deutlich die Spuren der letzten derartigen Prozedur an puderigen und bröckeligen Ueberresten erkennen.

Eine andere in die Augen springende Eigenthümlichkeit war die Häufigkeit der Narben. Ich sah kaum einen der nackten Körper ohne solche, bei Alt und Jung und bei beiden Geschlechtern. Sie waren alle von der Grösse einer Bohne, etwas oblong und rundlich erhaben und konnten wohl nur durch fortgesetzte Misshandlung kleiner Wunden entstanden sein. Wie ich noch öfter beobachtete, pflegen die Vitis zufällig erhaltene Verletzungen auf ziemlich grausame Weise zu schneiden und zu brennen, theils aus Bravour, theils um sie in dieser Art chirurgisch zu behandeln. Auf manchem Rücken bemerkte ich ferner beiderseits einfache oder doppelte Reihen regelmässig in Abständen von Fingersbreite angeordnete Narben, welche wie die Rückennähte unserer Ulanen, doch mehr gerade, nicht eben so geschwungen, vom Kreuz nach den Schultern verliefen. Sollte dies blos eine Zierde sein, oder war es die Folge therapeutischer, nebenbei auch das ästhetische Moment berücksichtigender Eingriffe, ähnlich unserem Schröpfen oder Moxensetzen?

An den wenigen Ausnahmen von der allgemeinen Nacktheit waren verschiedene Grade europäischer Bekleidung zu würdigen bis zu dem höchsten hinauf, der im Vorhandensein eines Hutes und einer Hose gipfelte. Nur Stiefel waren an keinem der Insulaner zu entdecken und schienen auch bei den Weissen Seltenheiten zu sein, da der nächste Schuster in Levuka, eine zweitägige Seereise entfernt, wohnte.

Hinter einem mit Brotfruchtbäumen, Bananen und Farngestrüpp besetzten Hügel fliesst ein klares Bächlein von den Bergen herab, das von Süsswasserschnecken wimmelt, und dessen Lockungen ich nicht widerstehen konnte, nach mehrtägiger Entbehrung wieder ein Süsswasserbad zu nehmen. Etwas unterhalb, hinter dem nächsten Gebüsch waren einige Weiber mit Waschen beschäftigt. Sie bearbeiteten europäische Hemden mit europäischer Seife, wahrscheinlich für die Offiziere der Schiffe, schlugen sie mit Steinen auf den glatten Felsblöcken, hingen sie an einer quer über den Bach gespannten Liane zum Trocknen auf, klatschten, kreischten und lachten. Ganz wie bei uns.

In Wailevu selbst wars ungemüthlich. Immer mehr Passagiere strömten nach dem Lunch an Land und liessen sich huckepack von den Vitis aus den Böten aufs Trockene tragen. Haufenweise drängten sich die Insulaner zu diesem Dienst heran, um ein paar Pence zu verdienen und rissen sich um die manchmal nicht ganz leichten Bürden. Manche etwas zu üppig geformte Lady sträubte sich zwar ein wenig gegen diesen würdelosen Ritt vor aller Augen auf den braunen Burschen, die keine Idee von europäischer Zartheit besassen. Aber was halfs. Verlegen erröthend schlugen sie sich seitwärts, so wie sie abgesetzt waren.

Weiter innen im Dorfe unter den Palmen kicherte ein Rudel nackter Mädchen über zwei junge unternehmende Engländer, deren Galanterien ihnen sehr komisch vorkommen mussten. Kreischend stoben sie auseinander, so wie der eine etwas zudringlicher wurde und mit der Hand nach ihnen haschte, hinter den Palmstämmen stehen bleibend und zu neuen fruchtlosen Verfolgungen reizend. Die blonden Jünglinge hatten kein Glück. Eine andere Gesellschaft, die mit Revolvern durch Patronenvergeudung zu imponiren suchte, erfreute sich grösserer Erfolge. Der ganze Janhagel von Mädchen, Jungen und Kindern des Dorfes wandte sich dem Schiessvergnügen zu, ängstlich die Ohren zuhaltend, wenn es knallen sollte, bis ein hinkender alter Kerl erschien und unwirsch die ganze junge Weiblichkeit fort und in ihre Hütten zurückjagte.

Es war mir eine grosse Genugthuung, als endlich die »City of San Francisco« den Blue Peter hisste und mit der Dampfpfeife brüllte zum Zeichen, dass die Passagiere an Bord kommen sollten, um die Reise nach Osten fortzusetzen. Auf Grund des projektirten Aufenthaltes erblickte ich in dem Gesindel der Blassgesichter nur unberechtigte Eindringlinge in meine Domäne. Blos die wenigen Passagiere aus Levuka, die mit dem »Star of the South« gekommen waren, der erst nach Eintreffen des Dampfers aus Amerika zurückkehren sollte, blieben in Kandavu. Auch die »City of New-York« blieb, um auf jene zu warten, hatte aber keine Passagiere.

An dem Hotel, welches innen lange nicht so zivilisirt aussah als aussen, und dessen Abtheilungen rohe Bretter bildeten, schien mir die hervorragendste Eigenthümlichkeit zu sein, dass die Gäste fast fortwährend betrunken waren. Doch glaube ich nach Allem, was ich gehört, schliessen zu dürfen, dass der Alkoholismus nicht nur hier, sondern ebenso in Levuka und auf Viti überhaupt in allen Plätzen wo Alkohol zu haben ist, den Genius loci repräsentirt, dem auch ich mich nicht völlig entziehen konnte.

Um meinen Aufenthalt gehörig auszunutzen und möglichst viel zu sehen, musste ich Bekanntschaften machen, und um Bekanntschaften zu machen, musste ich trinken. Jeder Neuvorgestellte treatete mich und ich treatete ihn, und somit kostete mir jeder die Vertilgung mindestens zweier Schnäpse. Unter anderen lernte ich in dem englischen Polizeisergeanten des Ortes einen ehemaligen Bonner Studenten mit etlichen Schmissen und zwei Landsleute kennen, die ihre Muttersprache vergessen hatten und als abgehauste Pflanzer in irgend einem abgelegenen Winkel der Insel seit mehr als dreissig Jahren mit eingeborenen Weibern zusammen lebten. Sie sprachen ein nothdürftiges Seemannsenglisch, dagegen ausgezeichnet Viti.

Als lehrreiche Gegenstücke zu diesen zwei interessanten Halbwilden waren mit dem Dampfer von Sydney drei junge Deutsche gekommen, welche die Absicht hatten, ebenfalls Pflanzer zu werden. Anfangs- und Endstadium eines und desselben Lebenslaufes standen hier nebeneinander.

Die Drei waren die echtesten Grünhörner, die man sich denken kann und ausstaffirt wie zu einem romantischen Flibustierzug. Kein Englisch, keine Idee von der Welt, die ausserhalb des Horizonts ihres preussischen Städtchens lag, aber zwei grosse Neufundländer Hunde hinter sich, Hirschfänger an der Seite, im Gürtel Messer und Revolver, Kanonenstiefel und Flinten, und was das Schlimmste war, sehr wenig Geld in der Tasche, so hofften sie in dem tropischen Lande Reichthümer zu erobern. Sie sahen trotz aller Bewaffnung ziemlich harmlos und ungefährlich aus, und ihre bebrillten Nasen und friedfertigen Gesichter passten mehr in den Typus von deutschen Schullehrern als von kühnen Abenteurern. Sie konnten keine unglücklichere Zeit für ihre Absicht gewählt haben, und Alles gab ihnen den Rath mit der ersten Gelegenheit sofort wieder wegzugehen. Die Regierung hatte auf unbestimmte Zeit alle Landkäufe sistirt, weil eine Menge Unregelmässigkeiten früheren Datums noch zu schlichten waren, es fehlte an Arbeitern, kein Mensch hatte Geld. Aber sie liessen sich nicht abbringen. Möge es ihnen besser gehen als sie verdienen. Die beiden verwilderten Landsleute nahmen sich ihrer gastfreundlich an.

Soweit nach den in Wailevu und auch später allenthalben auf Kandavu gehörten Aeusserungen zu urtheilen war, schien die ganze Kolonie bankerott zu sein und grosse Unzufriedenheit mit dem neuen Gouverneur, Sir A. H. Gordon, und dessen Regierungssystem zu herrschen. Schon in Neuseeland hatte ich vielfach Klagen über ihn gelesen. Man erzählte mir, dass er als hoher Aristokrat die eingeborenen Häuptlinge zu sehr bevorzuge, und dass ihm bei dem höchst schwierigen Streben, die alten angestammten Verhältnisse der Insulaner mit den importirten europäischen Staatsformen in Einklang zu bringen, der komische Fehler passirt sei, in den Parlamentsakten, welche englisch und viti gedruckt werden, den Begriff »Kommoners«, worunter alle nichtadeligen, also auch weissen Bürger zu verstehen sind, mit »Kai si«, dem verächtlichen Ausdruck für »Sklaven«, zu übersetzen.

 

Ich begann meine Akklimatisation damit, dass ich vor Allem den gesteiften Hemdkragen ablegte. Dem Hemdkragen folgten bald in schleuniger Stufenfolge die anderen Artikel europäischer Uebertünchtheit bis auf Hut, Wollenhemd und Leinenhose.

Sonst hätte ich auch zu sehr von den Tischgenossen, die fast alle barfuss und mit entblössten Armen und entblösster Brust da sassen, abgestochen. Der Kellner war ein nackter Insulaner, welchen eine eingeborene Magd in seinem Dienste unterstützte. An dieser ungeschlachten stämmigen Hebe lernte ich zuerst den sogenannten »Pinafore«, ein loses Busenhemdchen, weches die Brüste verhüllt, die Erfindung der frommen Missionäre, schätzen. Mit dem Pinafore und dem enganliegenden bis zu den Knieen reichenden Sulu konnte ein Kurzsichtiger sie von ferne für eine Altenburger Bauerndirne halten.

Die Tischgesellschaft im Hotel war aus sämmtlichen Himmelsstrichen zusammengewürfelt. Der Stamm hatte sich zu gleichen Theilen aus England und aus Deutschland rekrutirt. Die Uebrigen waren ein amerikanischer Neger, ein Chinese, ein Mexikaner, in dessen Adern mehr indianisches, als weisses Blut fliessen mochte, ein Norweger und ein Italiener. Letztere drei nannten sich »verunglückte Seeleute«, ohne dass die Art ihres Verunglückens genauer festgestellt werden konnte. Ziemlich sicher waren sie zu jener im Pazifischen Ozean so zahlreichen Klasse zu rechnen, welche man Auswurf der Menschheit zu nennen pflegt.

Für den Augenblick war das Wichtigste an ihnen, dass sie kein Geld hatten, um ihren Rausch zu bezahlen, weshalb der Wirth sie noch in der Nacht aus dem Hause schmiss. Der Rausch des Norwegers gehörte, der sinnigen Intuitivität germanischer Rasse entsprechend, zur Art des stillen, nur unverständlich murmelnden Insichversunkenseins, der Italiener und der Mexikaner litten an der schwatzhaften Spezies. Der Italiener behauptete, ich müsse ein Franzose sein, der Mexikaner betheuerte, ich hätte eine fabelhafte Aehnlichkeit mit Bismarck. Durch solche unheimliche Schmeicheleien suchten sie meine Gunst zu gewinnen. Aber ich blieb kalt, und erst als sie meiner Spirituskiste, die im Gastzimmer stand, ein mehr als wissenschaftliches Interesse zu widmen und wiederholt ahnungsvoll dem Plätschern ihres Inhaltes zu lauschen begannen, liess ich mich in ein längeres Gespräch ein, um auf den aussen angemalten gräulichen Todtenkopf hinzuweisen und auf die grässlich qualvolle Todesart, die der Genuss auch nur eines einzigen Tropfens meines vergifteten Alkohols unabwendbar zur Folge haben würde.

Der Mexikaner war sehr musikalisch. Er spielte jedoch auf etwas aussergewöhnlichen Instrumenten, nämlich auf Zimmerthüren, Bretterwänden und Tischplatten, indem er mittels der benetzten Mittelfinger auf- und niederfahrend ein mächtiges Brummen erzeugte, dass manchmal das ganze leichtgebaute Haus zitterte. Dazu trampelte er einen Hornpipe, schnalzte mit der Zunge, jauchzte und sang alle möglichen Lieder in allen möglichen Sprachen. Sein deutsches Lied bestand aus einigen Strophen von Naturlauten mit dem Refrain »Ja, ja«, und zauberte Klänge der Heimath vor mein baiuvarisches Gemüth. Sollte jenes geistvolle Produkt der isaratheniensischen Muse, mit welchem jährlich beim Salvatorbier die Wiederkehr des holden Lenzes begrüsst wird, sollte der »Herr Fischer« jemals Eingang in die Ohren und in das Herz dieser mexikanischen Rothhaut gefunden haben? Welcher engere, ja engste Vaterlandsgenosse hatte ihm diese unvergleichliche Dichtung oder wenigstens die Melodie dazu überliefert? Es unterlag keinem Zweifel, es war die Melodie des »Guten Morgen, Herr Fischer«.

Ausser dem Chinesen waren übrigens die anderen nicht minder betrunken. Der amerikanische Neger fluchte, schlug auf den Tisch und schwor hoch und theuer, er sei der erste »Weisse« gewesen, der auf der Insel Kandavu sich niedergelassen, der Polizeisergeant und ehemalige Bonner Student bestrebte sich, mit mir zu paucksimpeln, der eine verwilderte Landsmann bewies mir zum sechsten mal, dass man in Viti nie reich werden könne, weil das Klima zu viel des kostspieligen Brandygenusses verlange, der andere hörte nicht auf, mich zu versichern, dass er sich schäme, sein Deutsch ganz vergessen zu haben, und weinte.

Da Herr Kleinschmidt auf dem Levuka-Dampfer zu thun hatte, flüchtete ich, um nicht ewig dem wahnwitzigen Wortschwall der Betrunkenen ausgesetzt zu sein, vom Hotel weg und machte dem Regierungsarzt meine Aufwartung. Ausser der nächstliegenden Freude, endlich wieder einmal einen nüchternen Europäer zu sehen, war es mir besonders angenehm, in dem Doktor einen hochgebildeten Engländer kennen zu lernen, der den letzten französischen Krieg in deutschen Diensten mitgemacht hat. Eine stattliche Reihe deutscher Orden, die sich wohl nicht geträumt hatten, dereinst in einem Vitidorfe zu paradiren, befindet sich in seinem Besitz.

Ich blieb den Abend bei ihm und leerte eine kostbare Flasche echten Rheinweines mit dem liebenswürdigen Kollegen, der nur vorübergehend auf Kandavu kommandirt war, um die Eingeborenen zu impfen. Dementsprechend trug auch seine Wohnung vollständig den Charakter des Improvisirten. Es war eine blos etwas höher gebaute Vitihütte aus Palmstroh, die als vorzüglichste Eigenschaft zwei Fenster von Glas besass. Schon seit länger war eine Scheibe zerbrochen ohne Aussicht auf Reparatur dieses Defektes, da es auf Kandavu keinen Glaser giebt. Es wehte ein starker Wind draussen und durch das nur nothdürftig verstopfte Loch im Fenster herein, so dass ein offenes Licht nicht möglich und der Doktor gezwungen war, sich einer Laterne in seiner Studir- und Empfangsstube zu bedienen.

Als ich nach dem Hotel zurückkam, dessen betrunkener Lärm mir weit entgegenschallte, während ich unter dem sternklaren Himmel der lauen Tropennacht und unter rauschenden Palmen dahinwandelte, hatten sich noch mehr Gäste eingefunden. Einem von diesen, einem Perlenfischer, verdankte ich noch an jenem ersten Abend einen ungeahnten Genuss. Er lud mich ein, mit ihm zu kommen, er wolle sehen, ob er nicht irgendwo Kawa auftreiben könne.

Die Kawa ist das allen Polynesiern bis auf die Maoris und unter den Melanesiern auch den Vitis eigenthümliche Getränk, welches durch Kauen und Auslaugen der Wurzel einer Pfefferart, Piper methysticum, bereitet wird. Man liest oft, dass dabei ein Gährungsprozess eine wesentliche Rolle spiele. Dies ist unrichtig. Gährungsvorgänge bedürfen immer einer gewissen Zeit, die Kawa aber wird sofort getrunken sowie sie zubereitet ist. Die Piper methysticum-Wurzel wächst wild im Walde, und wird als Handelsartikel verkauft. Auch viele Europäer auf Viti haben sich das Kawatrinken angewöhnt, wie zum Beispiel mein Führer, der Perlfischer.

Wir gingen hinüber ins Dorf und krochen durch die niedrige Thüre in die Hütte des Häuptlings. Es war fast ganz dunkel innen. Zwei Feuer erhellten nur spärlich den kleinen Raum, entwickelten so viel Rauch, dass uns die Augen thränten, und beleuchteten flackernd etwa zwölf nackte braune Kerls, welche bereits schliefen und aufwachten, als wir über sie hinweg nach dem Hintergrund kletterten, wo etwas isolirt der Häuptling lag. Dieser mochte anfänglich ein wenig ungehalten sein über die Störung seiner Nachtruhe in so später Stunde, doch beschwichtigte ihn mein Führer, und die Vertheilung von Zigarren machte schnell die ganze Gesellschaft munter. Wir nahmen auf dem Boden Platz und kreuzten die Beine. Eine Menge Hände streckten sich mir aus der Dunkelheit entgegen, und ich schüttelte sie alle der Reihe nach, ohne jedesmal den Eigenthümer zu rekognosziren, und sagte dabei »Sa yandre«, was so viel bedeutet, als »Du wachst«, und die landesübliche Begrüssungsformel ist.

7Der offizielle englische Name der Kolonie ist »Fiji«, mit dem Akzent auf der letzten Silbe. Unsere deutschen Geographen schreiben überwiegend »Viti«. Die Eingeborenen selbst nennen sich »Kai Viti« (Kai = Mann), mit dem Akzent auf der vorletzten wie überhaupt bei fast allen polynesischen Wörtern. Auch für die Vitisprache gilt die italienische Vokalisation.