Bram Stoker
Dracula
Vollständige Deutsche Fassung
Bram Stoker
Dracula
Vollständige Deutsche Fassung
(Dracula)
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2021
Übersetzung: Heinz Widtmann
Fußnoten und Übersetzung: Jürgen Schulze
EV: M. Altmann, Leipzig, 1926
6. Auflage, ISBN 978-3-954180-08-0
www.null-papier.de/dracula
null-papier.de/katalog
Inhaltsverzeichnis
Editorische Anmerkung
Leben und Werk
VORWORT
ERSTES KAPITEL
Jonathan Harkers Tagebuch
ZWEITES KAPITEL
Jonathan Harkers Tagebuch
DRITTES KAPITEL
Jonathan Harkers Tagebuch
VIERTES KAPITEL
Jonathan Harkers Tagebuch
FÜNFTES KAPITEL
Brief von Frl. Mina Murray an Frl. Lucy Westenraa.
Brief von Frl. Lucy Westenraa an Frl. Mina Murray
Brief von Frl. Lucy Westenraa an Frl. Mina Murray
Dr. Sewards Diarium
Brief von Quincey Morris an Herrn Arthur Holmwood.
Telegramm von Arthur Holmwood an Quincey P. Morris.
SECHSTES KAPITEL
Mina Murrays Tagebuch
Dr. Sewards Tagebuch
Mina Murrays Tagebuch
SIEBENTES KAPITEL
Ausschnitt aus dem »Dailygraph« vom 8. August.
Logbuch der »Demeter«
Mina Murrays Tagebuch
ACHTES KAPITEL
Mina Murrays Tagebuch
Brief. Samuel F. Billington & Sohn, Sachwalter, Whitby, an Herren Carter, Paterson & Co., London
Brief. Herren Carter, Paterson & Co., London, an Herren Billington & Co., Whitby
Mina Murrays Tagebuch
Brief. Schwester Agathe, Joseph- und Marien-Hospital, Budapest, an Fräulein Mina Murray
Dr. Sewards Tagebuch
NEUNTES KAPITEL
Brief. Mina Harker an Lucy Westenraa
Brief. Lucy Westenraa an Mina Harker
Dr. Sewards Tagebuch
Lucy Westenraas Tagebuch
Brief. Arthur Holmwood an Dr. Seward
Telegramm. Arthur Holmwood an Dr. Seward
Brief von Dr. Seward an Arthur Holmwood
Brief. Abraham Van Helsing, Dr. med., Dr. phil., Dr. lit. etc., an Dr. Seward.
Brief. Dr. Seward an Herrn Arthur Holmwood
Dr. Sewards Tagebuch
Telegramm. Dr. Seward, London, an Van Helsing, Amsterdam
Telegramm Dr. Seward, London, an Van Helsing, Amsterdam
Telegramm. Dr. Seward, London, an Van Helsing, Amsterdam
ZEHNTES KAPITEL
Brief. Dr. Seward an Arthur Holmwood
Dr. Sewards Tagebuch
Dr. Sewards Tagebuch
Lucy Westenraas Tagebuch
Dr. Sewards Tagebuch
ELFTES KAPITEL
Lucy Westenraas Tagebuch
Dr. Sewards Tagebuch
Lucy Westenraas Tagebuch
»The Pall Mall Gazette«, 18. September.
Dr. Sewards Tagebuch
Telegramm. Van Helsing, Antwerpen, an Seward, Carfax.
Dr. Sewards Tagebuch
Memorandum, hinterlassen von Lucy Westenraa.
ZWÖLFTES KAPITEL
Dr. Sewards Tagebuch.
Brief. Mina Harker an Lucy Westenraa.
Bericht von Patrick Hennessey, Dr. med., Mitglied der K. Ärztlichen Gesellschaft, k. Rat etc. etc., an John Seward, Dr. med
Brief. Mina Harker an Lucy Westenraa
Dr. Sewards Tagebuch
DREIZEHNTES KAPITEL
Dr. Sewards Tagebuch.
Mina Harkers Tagebuch
Dr. Sewards Tagebuch
»The Westminster Gazette« 25. September. Das Geheimnis von Hamstead.
»The Westminster Gazette«. 25. September. Extrablatt
VIERZEHNTES KAPITEL
Mina Harkers Tagebuch.
Brief. Van Helsing an Frau Harker
Telegramm. Frau Harker an Van Helsing
Mina Harkers Tagebuch
Brief. Van Helsing an Frau Harker
Brief. Frau Harker an Van Helsing
Jonathan Harkers Tagebuch
Dr. Sewards Tagebuch
FÜNFZEHNTES KAPITEL
Dr. Sewards Tagebuch
Notiz von Van Helsing im Berkeley-Hotel im Handkoffer zurückgelassen, für John Seward, Dr. med., bestimmt
Dr. Sewards Tagebuch
SECHZEHNTES KAPITEL
Dr. Sewards Tagebuch
SIEBZEHNTES KAPITEL
Dr. Sewards Tagebuch
Mina Harkers Tagebuch
Dr. Sewards Tagebuch
Mina Harkers Tagebuch
Dr. Sewards Tagebuch
Jonathan Harkers Tagebuch
Mina Harkers Tagebuch
ACHTZEHNTES KAPITEL
Dr. Sewards Tagebuch
Mina Harkers Tagebuch
Dr. Sewards Tagebuch
NEUNZEHNTES KAPITEL
Jonathan Harkers Tagebuch
Dr. Sewards Tagebuch
Mina Harkers Tagebuch
ZWANZIGSTES KAPITEL
Jonathan Harkers Tagebuch
Dr. Sewards Tagebuch
Brief. Mitchell Söhne & Candy an Lord Godalming
Dr. Sewards Tagebuch
EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Dr. Sewards Tagebuch
ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Jonathan Harkers Tagebuch
DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Dr. Sewards Tagebuch
Jonathan Harkers Tagebuch
VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Wiedergabe eines Gespräches, von Van Helsing in Dr. Sewards Phonografen gesprochen
Jonathan Harkers Tagebuch
Jonathan Harkers Tagebuch
Dr. Sewards Tagebuch
Jonathan Harkers Tagebuch
FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Dr. Sewards Tagebuch
Jonathan Harkers Tagebuch
Telegramm. Rufus Smith, Lloyd, London, an Lord Godalming, zu Händen des k. Vizekonsuls, Varna
Dr. Sewards Tagebuch.
Telegramm. Rufus Smith. Lloyd, London, an Lord Godalming, zu Händen des k. Vizekonsuls, Varna.
Dr. Sewards Tagebuch
SECHSUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Dr. Sewards Tagebuch
Mina Harkers Tagebuch
Jonathan Harkers Tagebuch
Mina Harkers Tagebuch
Mina Harkers Denkschrift
Mina Harkers Tagebuch
Jonathan Harkers Tagebuch
Dr. Sewards Tagebuch
Mina Harkers Tagebuch
SIEBENUNDZWANZIGSTES KAPITEL
Mina Harkers Tagebuch
Abraham van Helsings Memorandum
Jonathan Harkers Tagebuch
Dr. Sewards Tagebuch
Dr. Van Helsings Memorandum
Mina Harkers Tagebuch
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Dieser Text basiert auf folgender Ausgabe:
Dracula : Ein Vampyr-Roman / Bram Stoker. Autoris. Übers. aus d. Engl. von Heinz Widtmann, 2. u. 3. Aufl., Leipzig, 1926: M. Altmann
Er wurde komplett überarbeitet, der neuen deutschen Rechtschreibung von 2006 angepasst und mit erklärenden Fußnoten versehen. Wo zweckmäßig wurden Wörter, Bezeichnungen und Begriffe auch einer aktuelleren Schreibung angepasst.
J. Schulze, Verleger
Abraham »Bram« Stoker (✳ 8.11.1847 bei Dublin; † 20.04.1912 in London) war ein irischer Schriftsteller, der hauptsächlich durch seinen Roman Dracula bekannt wurde.
Bram Stoker wird als drittes von sieben Kindern geboren. Die Eltern sind Abraham Stoker und Charlotte Matilda Blake Thornley.
Bis zu seinem siebten Lebensjahr leidet Stoker unter einer rätselhaften Krankheit, die ihn ans Bett gefesselt hält. Er erholt sich auf unerklärliche Weise. Seiner eigenen Aussage nach, hat ihn diese Erfahrung ein Leben lang beeinflusst.
1864 beginnt er ein Studium der Geschichte, Literatur, Mathematik und Physik am Trinity College in Dublin. Er zeichnet sich als außergewöhnlicher Athlet und Student aus. Anschließend erhält er eine Beamtenstellung bei der Dienstaufsichtsbehörde der Justizverwaltung in Dublin Castle. Aber hier wird er nicht lange glücklich.
Er arbeitet gleichzeitig als Journalist und Theaterkritiker und schreibt Artikel für das Dublin University Magazine. 1872 wird seine erste Kurzgeschichte The Chrystal Cup veröffentlicht. 1875 folgt die Kurzgeschichte The chain of Destiny. 1876 verfasst er den Bericht The Duties of Pretty Sessions in Ireland.
Sein Interesse am Theater und eine von ihm verfasste positive Rezession führt zu einer lebenslangen Freundschaft mit dem Schauspieler Henry Irving.
Stoker heiratet 1878 Florence Balcombe, die auch von Oscar Wilde umworben wird. Die kleine Familie zieht nach Chelsea in London, wo er als Manager von Irvings Lyceum Theatre arbeitet. Durch die Arbeit für Irving findet er Zugang zur Londoner Gesellschaft, wo er unter anderem auf den Maler James McNeill Whistler und den Autoren der Sherlock-Holmes-Geschichten Sir Arthur Conan Doyle trifft. Stoker wird Irvings Sekretär und bereist mit ihm die Welt. Daneben arbeitet er als Buchautor. Silvester 1879 wird sein Sohn Irving Noel geboren.
1881 erscheint Under The Sunset, Stokers erstes Buch, eine Sammlung von acht Kindermärchen.
1890 erscheint der erste Roman The Snak’s Pass. Im gleichen Jahr trifft Stoker bei einer okkulten Sitzung den ungarischen Professor Arminius Vámbéry, der ihm von der Legende des rumänischen Fürsten Vlad III. Drăculea erzählt. Man ist sich heute größtenteils einig, dass Stoker daraus die Figur des Vampirs Dracula entwickelte. In den nächsten Jahren ist er mit der Recherche zu historischen und kulturellen Details seiner Geschichte beschäftigt. Sieben Jahre arbeitet Stoker an dem Buch, bis es am 18. Mai 1897 erscheint.
Bis zu seinem Tod veröffentlicht Stoker noch weitere Kurzgeschichten und Romane, die aber heute größtenteils in Vergessenheit geraten sind.
Bekannt ist und bleibt er für Dracula. Leider erlebt Stoker den weltweiten Erfolg seines Buches nicht mehr. Er stirbt 1912 in bescheidenen Verhältnissen in London. Die genaue Todesursache ist nicht bekannt.
Zu Ehren des Autors verleiht die Vereinigung der amerikanischen Horrorschriftsteller seit 1987 jährlich in verschiedenen Kategorien den Bram Stoker Award. Erhalten haben ihn unter anderem Stephen King, Clive Barker, Dean Koontz und Joyce Carol Oates.
Graf Dracula ist der berühmteste Vampir der Literaturgeschichte. Ins kollektive Gedächtnis gelangte er vor allem auch durch zahlreiche Verfilmungen des Stoffes. Schon Christopher Lee, Bela Lugosi, Klaus Kinski und Gary Oldman haben Dracula Gestalt verliehen.
Dracula steht am Anfang einer ganzen Reihe von Geschichten über Vampire, die in der Romantik und später im 19. Jahrhundert zu einem beliebten Thema der Literatur wurden.
Zur Zeit der Romanvorlage, Ende des 19. Jahrhunderts, ist Siebenbürgen (eng. Transylvania) ein Teil der k.u.k. Monarchie Österreich-Ungarn und liegt im Königreich Ungarn. Heute zählt dieses Gebiet zu Rumänien.
Der Roman ist in Form von Tagebucheinträgen, Telegrammen und neidergeschriebenen Tonbandmitschnitten sehr geschickt und aufwendig konstruiert. Stoker gelingt damit der zu seiner Zeit sehr moderne Kunstgriff, die Protagonisten durch das Lesen der Korrespondenz und der Tagebücher in die Gedanken der anderen Personen vordringen zu lassen. Der Leser wird somit gleichzeitig zu einem unsichtbaren Mitwisser.
Der historische Vlad III., genannt »Der Pfähler«, war ein Adliger aus der Walachei, der im 15. Jahrhundert lebte. Sein Stammschloss ist heute allerdings nicht bekannt. Er trug den Beinamen Drăculea (Rumänisch für »Sohn des Drachen«), was Stoker allerdings fälschlicherweise mit »Sohn des Teufels« übersetze. Vlad war berüchtigt für seine Grausamkeit im Kampf gegen die Türken und Ungarn. Seine Feinde ließ er bei lebendigem Leib auf Pfähle spießen. Trotz seiner Grausamkeit verlor er letztlich den Krieg gegen die Türken, nachdem er mehrmals vom Thron gestoßen worden war, zurückkehrte und immer wieder die Seiten in der Auseinandersetzung zwischen Ungarn und Osmanischen Reich gewechselt hatte.
Um diesen Mann rankten sich schon zu Lebzeiten zahlreiche Legenden. Auch heute gehen die Meinungen über ihn auseinander. So wird er einerseits als einer der schlimmsten Massenmörder der Geschichte bezeichnet, andererseits soll er nicht grausamer als zu seiner Zeit üblich gewesen sein.
Stoker hat die Handlungsorte seines Romans selbst nie besucht. Er stellte umfangreiche Nachforschungen an und durchforstete Bibliotheken und Archive, vor allem die des Britischen Museums. Seine Recherchen waren so genau, dass selbst die Zugfahrpläne, die im Roman genannt werden, mit der Wirklichkeit übereinstimmten.
Wie diese Blätter entstanden sind, ergibt sich aus deren Lektüre. Alles Überflüssige ist ausgelassen worden, sodass sie, unabhängig von dem Glauben oder Nichtglauben späterer Geschlechter, als einfache historische Tatsachen dastehen. Sie sind durchaus keine Erzählungen vergangener Dinge, in denen das Gedächtnis sich irren kann, sondern alle Berichte sind sofort niedergeschrieben und spiegeln den Standpunkt und die Auffassung der betreffenden Schreiber treu wieder.
(Stenogramm)
Bistritz,1 3. Mai. München ab am 1. Mai 8:35 abends. Wien am frühen Morgen des nächsten Tages; sollte eigentlich 6:46 ankommen, der Zug hatte aber eine Stunde Verspätung. Budapest scheint eine herrliche Stadt zu sein, soweit ich es aus dem Waggon und in der kurzen Zeit, die mir zu einem Spaziergang zur Verfügung stand, beurteilen konnte. Ich fürchtete nämlich, mich allzu weit vom Bahnhofe zu entfernen, da wir so spät angekommen waren und jedenfalls so pünktlich als möglich abfahren würden. Der Eindruck war der, dass man den Occident verlassen und den Orient betreten hatte; die westlichste der prächtigen Brücken über die Donau, die hier eine beträchtliche Breite und Tiefe aufweist, versetzte einen jedenfalls mitten in die Zeit der Türkenherrschaft.
Wir fuhren rechtzeitig ab und kamen nach Einbruch der Nacht nach Klausenburg. Ich wohnte im Hotel Royal. Zum Diner oder vielmehr Souper aß ich ein Huhn, das mit rotem Pfeffer zubereitet war; sehr schmackhaft, aber dursterregend (Anm. Rezept für Mina verlangen). Auf meine Frage sagte mir der Kellner, man nenne es »Paprikahendl!« und ich würde es, da es Nationalgericht sei, überall in den Karpaten bekommen. Mein bischen Deutsch kam mir hier sehr zustatten; ich wüsste nicht, wie ich ohne es durchgekommen wäre.
Da ich in London noch etwas Zeit gehabt hatte, hatte ich das Britische Museum besucht und dort unter den Büchern und Karten über Transsylvanien eine Auswahl getroffen, da ich hoffte, einige Vorkenntnisse würden mir für den Verkehr mit den Edlen des Landes jedenfalls von Nutzen sein. Der Distrikt liegt im äußersten Osten des Landes, da, wo sich die Grenzen dreier Staaten, Transsylvanien, Moldau und Bukowina, treffen, mitten in den Karpaten. Einen genauen Anhalt für die Lage des Schlosses Dracula konnte ich jedoch nicht finden, da die Landkarten jener Zeit mit denen unserer Landesvermessung nicht zu vergleichen sind, aber ich fand, dass Bistritz, die Poststation für Dracula, ein ziemlich bekannter Platz ist. Ich will einige meiner Notizen hier eintragen; sie sollen mir als Anhalt dienen, wenn ich mit Mina über meine Reisen plaudern werde.
Die Bevölkerung Transsylvaniens setzt sich aus vier verschiedenen Nationalitäten zusammen: die Sachsen im Süden und, gemischt mit ihnen, die Wallachen, Nachkommen der Dazier; die Magyaren im Westen und Szekels im Osten und Norden. Ich gehe zu den Letztgenannten, die von Attila und den Hunnen abstammen sollen. Das mag sich wohl so verhalten; denn als die Magyaren im elften Jahrhundert das Land eroberten, fanden sie die Hunnen dort ansässig. Ich las, dass jeder nur erdenkliche Aberglaube dort unten in dem hufeisenförmigen Zuge der Karpaten zu Hause sei, als sei dort das Zentrum eines Wirbels abergläubischer Vorstellungen. In dieser Beziehung wird mein Aufenthalt wohl viel des Interessanten bieten (Anm. Ich muss den Grafen darüber befragen).
Ich schlief nicht gut, obgleich mein Bett ziemlich bequem war, denn ich hatte alle möglichen verworrenen Träume. Die ganze Nacht heulte ein Hund unter meinem Fenster, welches zu ihm in irgend einer Beziehung zu stehen schien; oder der Paprika war schuld, ich hatte alles Wasser in meiner Karaffe ausgetrunken und war doch immer noch durstig. Gegen morgen schlief ich endlich ein und erwachte erst auf heftiges Klopfen an meiner Türe, woraus ich schließe, dass ich sehr fest geschlafen haben muss. Zum Frühstück aß ich wiederum Paprika; eine Suppe von Maismehl, welches sie »Mamalika«2 nennen, und Eierkuchen mit einem Füllsel von gehacktem Fleisch, die »Impletata« (Anm. Auch hiervon das Rezept verlangen). Ich musste sehr rasch frühstücken, denn mein Zug ging kurz vor 8 Uhr, d.h. er sollte zu dieser Zeit gehen; als ich mich um 7:30 auf der Station einfand, musste ich fast eine Stunde im Wagen sitzen, bis endlich die Abfahrt erfolgte. Mir scheint es, als gingen die Züge umso unpünktlicher, je weiter man nach Osten kommt; wie mag es da erst in China sein?
Den ganzen Tag bummelte der Zug durch eine äußerst reizvolle Gegend. Manchmal sahen wir kleine Schlösser und Türme auf steilen Hügeln, ganz wie man sie in alten Chroniken abgebildet sieht; zuweilen passierten wir Flüsse und Bäche, die, nach den breiten Geröllstreifen auf beiden Seiten zu schließen, wohl häufig aus ihren Ufern treten.
Auf jeder Station lungerten größere oder kleinere Gruppen von Eingeborenen in allen möglichen Trachten herum. Einige von ihnen glichen ganz den Bauern, wie ich sie zu Hause oder auf meiner Reise durch Deutschland und Frankreich sah. Kurze Jacken, runde Hüte und Hosen aus hausgewebtem Tuch. Andere sahen wieder sehr malerisch aus. Die Frauen machten einen hübschen Eindruck, jedoch nur in der Entfernung, denn sie waren sehr plump um die Hüften. Sie hatten alle weite Ärmel; die meisten von ihnen trugen breite Gürtel, von denen Streifen herunterflatterten, wie Ballettkleider, nur hatten sie unter diesen ohne Zweifel Unterröcke. Am seltsamsten sahen die Slowaken aus, barbarischer als alle anderen, mit ihren mächtigen Cowboyhüten, weiten schmutzig weißen Pluderhosen und ungeheueren, schweren, fast einen Fuß breiten Ledergürteln, die über und über mit Messingnägeln besetzt waren. Sie trugen hohe Stiefel, in welche sie die Hosen gesteckt hatten, und zeichneten sich durch langes schwarzes Haar und große schwarze Schnurrbärte aus. Sie machen zwar einen malerischen, aber nicht sehr vertrauenerweckenden Eindruck. Auf den Stationen hockten sie beieinander wie orientalische Räuberbanden, sind aber, wie mir gesagt wurde, äußerst harmlos und selbstzufrieden.
Die Dämmerung war hereingebrochen, als wir in Bistritz, einer alten, interessanten Stadt, ankamen. Sie liegt zweckentsprechend hart an der Grenze – von hier aus führt der Borgópass in die Bukowina3 – und hatte demgemäß eine sehr stürmische Vergangenheit, von der sie noch heute Spuren trägt. Vor fünfzig Jahren hatten ungeheuere Feuersbrünste dort gewütet, fünfmal war sie ein Raub der Flammen geworden. Gleich zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde sie belagert; sie verlor hierbei 13 000 Einwohner, da außer den Gefechten auch noch Hunger und Seuchen viel Opfer forderten.
Graf Dracula hatte mir geraten, im Hotel Goldene Krone zu übernachten, einem Haus nach altem Stil – zu meiner Freude, da ich so viel als möglich von dem sehen wollte, was das Land bietet. Ich wurde offenbar erwartet, denn als ich eintrat, traf ich eine ältere, gutmütig aussehende Frau in dem gewöhnlichen landesüblichen Kostüm. Weißes Unterkleid mit langer doppelter, hinten und vorne herunterhängender Schürze aus buntem Tuch, die allerdings zu knapp anlag. Als ich näher trat, machte sie einen Knix und sagte »Der Herr Engländer?«
»Ja«, sagte ich, »Jonathan Harker.« Sie lächelte und gab einem ältlichen Mann in weißen Hemdärmeln, der ihr bis zur Türe gefolgt war, einen Auftrag. Er ging, kam aber gleich darauf mit einem Briefe in der Hand wieder zurück:
Mein Freund! Willkommen in den Karpaten. Ich erwarte Sie mit Ungeduld. Schlafen Sie wohl für heute. Um drei Uhr morgens geht die Postkutsche nach der Bukowina, ein Platz ist für Sie reserviert. Am Borgópass wird mein Wagen Sie erwarten und zu mir bringen. Ich hoffe, dass Sie eine gute Reise von London bis hierher hatten und dass Sie sich Ihres Aufenthalts in meiner herrlichen Heimat freuen mögen.
Ihr Freund Dracula.
4. Mai. – Ich brachte in Erfahrung, dass der Wirt einen Brief des Grafen erhalten hatte, der ihn beauftragte, den besten Platz in der Postkutsche zu belegen; als ich ihn über Details ausfragen wollte, wurde er jedoch zurückhaltend und gab vor, mein Deutsch nicht zu verstehen. Das konnte nur eine Ausrede sein, denn bisher hatte er es verstanden; wenigstens schien es so, denn auf alle meine Fragen war mir stets eine genaue Antwort zuteilgeworden. Er und seine Frau, die alte Dame, die mich empfangen hatte, sahen sich erschrocken an. Als ich ihn fragte, ob er den Grafen Dracula kenne und mir etwas von dessen Schloss erzählen wolle, bekreuzigten sich beide und brachen einfach das Gespräch ab, indem sie sagten, sie wüssten nichts davon. Das Geld wäre in einem Briefe gesandt worden, das wäre alles. Es war nur mehr wenig Zeit bis zur Abreise, sodass ich nicht mehr fragen konnte; übrigens war die Sache recht geheimnisvoll und wenig erfreulich für mich.
Kurz bevor ich wegging, kam die alte Dame zu mir aufs Zimmer und sagte in hysterischem Tone: »Müssen Sie denn hingehen, junger Herr? Müssen Sie denn wirklich gehen?« Sie war dermaßen erregt, dass sie das wenige Deutsch, das sie konnte, vergessen zu haben schien, denn sie mischte es mit Worten einer anderen Sprache, die ich absolut nicht verstand. Ich konnte ihr nur soweit folgen, um zu erkennen, dass sie Fragen stellte. Als ich ihr aber sagte, dass ich gehen müsse und dass wichtige Geschäfte mich riefen, fragte sie wieder:
»Wissen Sie denn, was heute für ein Tag ist?« Ich antwortete, es wäre der 4. Mai. Sie schüttelte den Kopf und sagte wieder: »O ja, ich weiß, ich weiß; aber wissen Sie denn nicht, was für ein Tag heute ist?« Als ich verneinte, fuhr sie fort:
»Es ist St. Georgsnacht; wissen Sie nicht, dass, wenn die Uhr heute Mitternacht schlägt, alle bösen Dinge in der Welt freien Lauf haben? Wissen Sie, wohin Sie gehen und zu wem Sie gehen?«
Sie war so verstört, dass ich den Versuch machte sie zu trösten, aber vergebens. Schließlich warf sie sich auf die Knie und flehte mich an, nicht zu gehen, wenigstens meine Abfahrt um einen oder zwei Tage zu verschieben. Es war zu lächerlich, das alles, aber dennoch fühlte ich mich unbehaglich. Auf alle Fälle hatte ich meinem Dienst nachzukommen und nichts durfte mich davon abhalten. Ich hob sie also auf, trocknete ihre Tränen und sie gab mir dann ein Kruzifix, das sie von ihrem Halse genommen. Ich wusste nicht recht, was ich damit anfangen sollte, denn als englischer Christ hatte ich gelernt, solche Dinge als mehr oder minder götzendienerisch anzusehen; ich brachte es aber auch nicht übers Herz, das Geschenk der alten Frau, die es so gut mit mir meinte und sich in einer solchen Erregung befand, zurückzuweisen. Vermutlich sah sie mir diese Zweifel am Gesicht an, denn sie legte mir den Rosenkranz um den Hals und sagte: »Um Ihrer Mutter willen.« Dann ging sie aus dem Zimmer. Ich schreibe diesen Teil meines Tagebuches, während ich auf die Post warte, die sich ohne Zweifel verspätet hat. Der Rosenkranz hing noch um meinen Hals. Ich weiß nicht, ist es der Aberglaube der alten Frau oder die gespenstigen Traditionen der Gegend oder das Kruzifix selbst, aber ich fühlte mich nicht so zuversichtlich als sonst. Wenn dieses Buch Mina vor mir erreichen sollte, so möge es ihr meine Abschiedsgrüße bringen. Da kommt der Wagen!
5. Mai. – Das Schloss. – Die graue Morgendämmerung ist vergangen und die Sonne steht schon weit über dem Horizont, der von Bäumen oder Hügeln – ich kann es nicht erkennen, da sich Nahes und Fernes unterschiedslos von ihm abhebt – wie ausgezackt erscheint. Ich bin nicht schläfrig, und da ich doch nicht geweckt werde, so schreibe ich natürlich einstweilen, bis der Schlaf kommt. Es sind so viele seltsame Dinge, die ich da berichten muss, dass es dem, der diese Aufzeichnungen liest, vielleicht vorkommen wird, als hätte ich vor meiner Abreise von Bistritz zu reichlich diniert. Darum führe ich hier mein Diner an. Ich aß einen sog. Räuberbraten – Stücke von Speck, Zwiebeln und Rindfleisch, gewürzt mit Paprika und an Stäben über dem Feuer gebraten, in der einfachen Weise wie das Londoner »Katzenfutter«. Der Wein war weißer Mediasch,4 der ein eigentümliches Stechen auf der Zunge erzeugt, das aber nicht unangenehm wirkt. Ich trank davon zwei Gläser, sonst nichts.
Als ich mich zur Kutsche begab, hatte der Postillon seinen Sitz noch nicht eingenommen und ich sah ihn mit der Wirtin sprechen. Das Gespräch schien sich um mich zu drehen, denn hier und da blickten sie zu mir herüber. Auch einige Leute, die auf der Bank vor dem Hause gesessen hatten – sie wird mit einem Wort bezeichnet, das man am besten als »Wortführer« übersetzen kann – näherten sich ihnen und hörten zu; dann sahen sie auf mich, die meisten von ihnen mit einem Ausdruck des Mitleides. Ich hörte einige Worte sich immer wiederholen, seltsame Worte – denn es waren verschiedene Nationalitäten unter der Menge vertreten. Ich zog ruhig mein Polyglott-Wörterbuch aus der Tasche und schlug nach. Ich muss sagen, es war nicht gerade angenehm für mich; denn da stand: »Ordog = Satan«, »Pokol = Hölle«, Stregoica = Hexe; »vrolok« und »vlkoslak« bedeuten dasselbe; das eine ist slowakisch, das andere serbisch – nämlich Werwolf oder Vampir. (Ich muss den Grafen über diesen Aberglauben befragen.)