Read the book: «MediCannabis»

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Marie Borell

MediCannabis

Hilfe bei der Krebstherapie

Ratgeber & Erfahrungsbericht

Aus dem Französischen von Anja Schmidtke


Originaltitel: “MédiCannabis. Comment j’ai surmonté mon cancer grâce au cannabis.”;

Copyright © der Originalausgabe by Guy Trédaniel Èditeur, 2015

Alle Rechte vorbehalten.

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Copyright © der deutschen Ausgabe 2019 Verlag “Die Silberschnur” GmbH

ISBN: 978-3-89845-630-2

eISBN: 978-3-89845-702-6

1. Auflage 2020

Sämtliche Zitate frei übersetzt von Anja Schmidtke

Übersetzung: Anja Schmidtke

Umschlaggestaltung & Satz: XPresentation, Güllesheim; unter Verwendung verschiedener

Motive von © WeedPorn und © MoreVector; www.shutterstock.com

Verlag »Die Silberschnur« GmbH · Steinstraße 1 · D-56593 Güllesheim www.silberschnur.de · E-Mail: info@silberschnur.de

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Kapitel: Der Tag, an dem ich beschloss, etwas ›Illegales‹ zu tun

Untersuchungen und kein Ende

Von der Praxis ins Krankenhaus

Die Diagnose steht

Die Stunde der Therapie schlägt

Bereit für Tag X

Ein langer Tag mit Infusionen

Beschwerden über Beschwerden

Zweiter Behandlungstermin: Eine Entscheidung muss her

Die Symptome werden schlimmer

Noch mehr Nebenwirkungen

Cannabis als Lösung?

Unentbehrliche Vorbereitungen

Und noch mehr unerwartete positive Wirkungen

Keine Schlafmittel, Angstlöser und Schmerzmittel mehr

Weder Missbilligung noch Vorwürfe

Heute ist alles gut

Die Frage nach dem Warum

2. Kapitel: “Cannabis, wer bist du?”

Eine Pflanze mit vielen Gesichtern

Hanffasern

Im alten China

In der abendländischen Antike

In heimischen Gefilden

Heilungsrituale

Entdeckungen, die alles veränderten

Pionierarbeit im Labor

Vom Warum zum Wie

Unzählige Wirkstoffe

Gesamte Pflanze, natürlicher Extrakt oder synthetischer Wirkstoff?

Cannabis: eine besonders komplexe Pflanze

Gibt es die ideale Art des Konsums?

3. Kapitel: Vielversprechende Forschungen

Neuroprotektive Wirkung?

Krebshemmende Wirkung?

Weitere allgemein anerkannte Wirkungen

Immer dieselbe Frage – warum?

4. Kapitel: Von Land zu Land

Deutschland

Schweiz

Österreich

Wie sieht es in anderen europäischen Ländern aus?

Auf der anderen Seite des Atlantiks

Israel – das Land, wo alles begann

Schlusswort

Anhang

Nebenwirkungen der Chemotherapie

Die wichtigsten Verabreichungsmethoden von Cannabis in der Therapeutik

Die wichtigsten Cannabinoide und ihre anerkannten Wirkungen

Wichtige Studien

Nützliche Bücher

Informative Websites

TV-Dokumentationen

Gesetzesartikel über die Verwendung von Cannabis in Frankreich

Über die Autorin

Einleitung

Ich habe schon immer zu den besonders gesetzestreuen Bürgern gehört. Ich gehe über Zebrastreifen, halte an roten Ampeln und gebe meine Steuererklärung pünktlich ab. Die Gesellschaft hat Regeln, und sie einzuhalten ist wichtig für ein Zusammenleben, bei dem sich alle wohlfühlen. Ganz zu schweigen davon, dass der Gedanke daran, mich über Recht und Gesetz hinwegzusetzen, auch wenn es nur um Lappalien geht, bei mir schwere Schuldgefühle verursacht. 2014 allerdings tat ich monatelang Dinge, die nach dem Gesetz mit einer saftigen Geldstrafe und sogar einer Freiheitsstrafe geahndet werden.

Ich gebe es zu: Ich habe Cannabis konsumiert. Ich tat es, weil ich an Lymphknotenkrebs erkrankt war, gegen den eine aggressive Chemotherapie notwendig war, was bei mir zu schwer erträglichen Nebenwirkungen führte: starke Übelkeit, diffuse Schmerzen, Appetitverlust, Schlaflosigkeit. Die Ärzte verschrieben mir alle möglichen Medikamente, die aber nichts gegen die quälenden Symptome ausrichten konnten. Mir blieb keine andere Wahl, als mich abzukapseln und mich in eine Welt der Erschöpfung und des Leids zurückzuziehen, von ständigen Ängsten begleitet, die meine Genesung ganz klar nur verlangsamen konnten. Doch dann erinnerte ich mich an Artikel über die wohltuenden Eigenschaften von Cannabis in solchen Situationen. Ich bin seit rund 30 Jahren Journalistin und Autorin im Bereich Gesundheit und Wohlbefinden, war also gut aufgestellt, um an Informationen zu kommen, ihre Glaubwürdigkeit zu beurteilen und sie entsprechend einzuordnen. Und genau das tat ich.

Meine Recherchen ergaben, dass es für meine Erkrankung keine Kontraindikationen gegen den Konsum von Cannabis gab. Also beschaffte ich ihn mir und stellte mir meine ganz persönliche Therapie zusammen. Die Wirkung war unglaublich, ja fast magisch. Sofort verging die Übelkeit, die Schmerzen ließen nach, ich konnte wieder schlafen. Mein Appetit kehrte wieder etwas zurück und Erschöpfung und Angst verschwanden. Ich hörte auf, den Cocktail aus Angstlösern, Schlaf- und Schmerzmitteln zu nehmen, der mir verschrieben worden war und kaum anschlug. Ich hatte das Gefühl, ein schwarzes Loch aus Schmerz, Angst und Erschöpfung zu verlassen und mein inneres Licht wiederzufinden. Befreit von den Symptomen, die mich ans Bett gefesselt hatten, fing ich zwischen zwei Chemotherapiebehandlungen wieder an zu leben. Ich schlief, aß ein bisschen und die Tage vergingen für mich unendlich weniger beschwerlich.

Zu meinem Beruf gehört es, Fragen zu stellen und zu versuchen, Antworten darauf zu finden. Ich habe mich für diese Laufbahn entschieden, weil sie meiner Persönlichkeit entspricht. Ich bin neugierig, liebe es, Neues zu erfahren und mit neuen Informationen zu arbeiten. Auch während meiner Erkrankung blieb dieser Mechanismus in mir lebendig. Zumindest sobald ich die Nebenwirkungen der Chemotherapie los war. Naturgemäß fragte ich mich, warum tausenden von Patienten ein wirksames, einfaches Mittel verwehrt wird, das auch noch kostengünstiger ist als viele andere verschriebene Medikamente gegen die Nebenwirkungen der Chemotherapie. Sobald ich wieder auf den Beinen war (die Hodgkin-Krankheit gehört zu den am besten therapierbaren Krebsarten), begab ich mich deshalb auf die Suche. Verwundert stellte ich fest, dass der therapeutische Nutzen von Cannabis noch viel weitreichender war. Von zahlreichen Studien weisen die meisten auf eine Besserung der Symptome vieler Erkrankungen hin, darunter Glaukom, Multiple Sklerose und Schmerzsyndrome.

Ich beschloss, meine persönlichen Erfahrungen und die Ergebnisse meiner Nachforschungen öffentlich zu machen. Ganz klar möchte ich an dieser Stelle sagen: Hier soll es nicht um die Frage der Entkriminalisierung oder Legalisierung von Cannabis als Genussmittel gehen. Es ist eine sehr komplexe Thematik, die viele sensible gesellschaftliche Fragen berührt und in verschiedenste Bereiche wie Wirtschaft, Politik und Moral hineinreicht. Meine analytischen Fähigkeiten sind nicht solide genug, um in allen diesen sich mitunter überlagernden und widersprechenden Bereichen meine Meinung abzugeben. Ganz klar möchte ich aber die Frage nach der therapeutischen Nutzung von Cannabis in einem von Medizinern streng kontrollierten Rahmen stellen, denen hoffentlich mehr an den wissenschaftlichen Erkenntnissen und am Wohlbefinden der Patienten gelegen ist als an einer moralischen oder ideologischen Positionierung, die ich in diesem Kontext eher zweitrangig finde.

Zweifellos bin ich nicht die Einzige, die schon einmal das Gesetz in dieser Weise umgangen hat. Aber ich habe nie einen Hehl daraus gemacht. Ich habe mit Ärzten, Krankenschwestern, Pflegern und Patienten, die ich bei der Chemotherapie kennenlernte, über meine Entscheidung gesprochen. Niemand hat versucht, mich davon abzubringen. Niemand kam mir mit gesetzlichen oder moralischen Einwänden. Als würden sich, wenn es um Schmerz und Leid geht, solche Einwände von vornherein erübrigen. Ich lernte Patienten kennen, die dieselbe Entscheidung getroffen hatten wie ich und denselben Erfolg damit hatten. Ich erfuhr sogar, dass der berühmte amerikanische Paläontologe Stephen Jay Gould, weltweit bekannt für sein Lebenswerk und sein kommunikatives Talent, leidenschaftlicher Verfechter der therapeutischen Nutzung von Cannabis war und ihn selbst verwendete, um die Nebenwirkungen einer aggressiven Chemotherapie ertragen zu können, nachdem bei ihm 1982 ein Peritonealmesotheliom diagnostiziert worden war.

Unter anderem erklärte er: “Nichts ist auch für Optimisten entmutigender als die schweren Nebenwirkungen vieler medizinischer Behandlungen. Wenn die eintreten, verringern sich die Chancen, dass der Erkrankte sich wieder besser fühlt und wieder mehr Lebenslust verspürt, denn die Behandlung kommt ihm schlimmer vor als die Krankheit selbst. Cannabis hat perfekt funktioniert. Ich bin mir sicher, dass er eine große Rolle bei meiner Heilung gespielt hat.” Und er kam zu dem Schluss: “Ich begreife einfach nicht – und ich halte mich für jemanden, der sehr vieles begreift –, wie jemand, der auch nur einigermaßen human ist, Menschen eine so nützliche Substanz mit dem sinnlosen Vorwand verweigern kann, andere würden sie ja zu anderen Zwecken benutzen.” Stephen Jay Gould überlebte 20 Jahre lang seine Erkrankung, was außergewöhnlich ist für einen Krebs, der nach damaligem Wissensstand lebensgefährlich war und rasch zum Tod führte.

Ich hätte es nicht besser ausdrücken können. Genau in diesem Sinne möchte ich die Frage nach der therapeutischen Nutzung von Cannabis stellen, ein heikles Thema für alle, die in erster Linie ein moralisches Problem daraus machen. Zahllose Argumente sprechen für diese Art der Verwendung dort, wo sie etwas bewirken kann.

Ich lade Sie gerne ein, sie hier einmal kennenzulernen.

1. Kapitel
Der Tag, an dem ich beschloss, etwas ›Illegales‹ zu tun



Alles begann Anfang Februar 2014. Eines Morgens wachte ich mit hühnereigroßen Schwellungen am Hals auf. Ich machte mir keine größeren Sorgen. Ich hatte schon einmal so ein Symptom gehabt, das mir auf den ersten Blick ähnlich vorkam. Zwar nicht an derselben Stelle, aber ob die Beulen nun unterm Kiefer oder unterm linken Ohr saßen, schien mir keinen allzu großen Unterschied zu machen. Außerdem war das Problem damals nach ein paar Tagen wieder von selbst verschwunden. Es war eine völlig harmlose, vorübergehende Entzündung der Speicheldrüsen gewesen.

Eine Woche später waren die Schwellungen immer noch da. Sie waren keinen Millimeter kleiner geworden. Schon morgens fühlte ich mich abgeschlagen. Nachmittags hatte ich leichtes Fieber, nachts wachte ich schweißgebadet in nassen Laken auf.

Ich gehe normalerweise nicht bei der kleinsten Erkältung oder bei der ersten Magenverstimmung zum Arzt. Ich vertraue meinem Körper – und meinem Grundwissen über Gesundheit –, dass er kleine Alltagsbeschwerden ganz allein bewältigt. Diesmal allerdings sprang in meinem Kopf eine kleine Alarmglocke an. Mir kam das Ganze gelinde gesagt langsam merkwürdig vor.

Also machte ich einen Termin bei der nächstgelegenen Allgemeinärztin der Stadt, in die ich erst wenige Monate zuvor gezogen war, nachdem ich 30 Jahre lang in Paris gelebt hatte. Bis jetzt hatte ich mir noch nicht die Zeit genommen, mir einen Hausarzt zu suchen. Eine gute Gelegenheit, fand ich, um diese Ärztin aus der Nachbarschaft jetzt zu testen und sie bei Zufriedenheit meiner Krankenkasse als Hausärztin zu melden.

Untersuchungen und kein Ende

Schon beim ersten Termin fand ich sie seriös; sie wechselte sehr feinfühlig und intelligent zwischen aufmerksamem Zuhören, Erklären der verschiedenen Möglichkeiten (ohne hohle Phrasen) und zuversichtlichen Worten. Ich verließ die Praxis mit einem Rezept für einen Bluttest auf verschiedene Keime, die zu geschwollenen Lymphknoten führen konnten, etwa Mononukleose oder Toxoplasmose. Die Analyse ergab normale Werte, bis auf ein paar harmlose inflammatorische Marker, die eindeutig auf die lokale Entzündung zurückzuführen waren, durch die meine Lymphknoten angeschwollen waren. Nichts Auffälliges also.

Der zweite Termin endete mit der Verschreibung einer Ultraschalluntersuchung und einer Computertomographie. Beide Untersuchungen bestätigten die sichtbaren Schwellungen, zeigten aber auch noch weitere auf, die weiter unten und tiefer an der Lymphknotenkette saßen. Jetzt musste man mehr herausfinden. Die Ärztin überwies mich an einen Hämatologen ins Krankenhaus. Bis dahin hatte ich mir keinerlei Sorgen gemacht. Ich hatte ein gesundheitliches Problem, das ich regeln musste, Punkt! Ich machte mir auch weiter keine Sorgen, als ich zu dem Termin in dem brandneuen, großen Krankenhaus fuhr. Im Aufzug fiel mir auf dem Etagenschild zwar das Wort “Hämatologie-Onkologie” auf, aber ich schenkte ihm keine besondere Beachtung.

Von der Praxis ins Krankenhaus

Mich begrüßte ein junger, vielbeschäftigter Krankenhausarzt in den Vierzigern. Auch wenn er nicht so auf mich eingehen konnte wie die Allgemeinärztin aus meinem Viertel, nahm er sich Zeit, mich eingehend zu befragen, bevor er mich in die nuklearmedizinische Abteilung zur Positronen-Emissions-Tomographie schickte, eine Untersuchung, die ihm zufolge wesentlich “feinere” Bilder ergab als eine einfache Computertomographie. Beim zweiten Termin drei Wochen später dann das Ergebnis der hochpräzisen Bildgebung: “Sie haben tatsächlich entzündete Lymphknoten, Genaueres müssen wir in weiteren Untersuchungen herausfinden.” Was für eine Neuigkeit! So viele Untersuchungen, und man war keinen Deut weiter? Mir kam die Zeit nun doch etwas lang vor. Mehr als ein Monat war vergangen, seit ich die ersten Symptome bemerkt hatte, und ich fühlte mich immer abgeschlagener und fiebriger.

“Die einzige Möglichkeit zu erfahren, was in Ihren Lymphknoten vor sich geht, ist, einen zu entfernen, damit wir ihn analysieren können”, sagte mir der Arzt für Hämatologie und Onkologie. Er gab mir direkt für die Woche darauf einen Termin in der OP. Innerlich murrte ich: “Das hätten die ja auch direkt machen können!” Immerhin nutzte ich die Tage dazwischen noch für einen Kurztrip nach Paris, wo ich ein paar berufliche Termine wahrnahm. Außerdem beschloss ich, meinen Pariser Homöopathen aufzusuchen, zu dem ich seit 30 Jahren absolutes Vertrauen habe. Er ist nicht nur ein hervorragender Arzt, sondern auch ein außergewöhnlich guter, humaner Zuhörer, so dass man sich schon beim Eintreten in seine Praxis besser fühlt. Ich war immer beruhigt und erleichtert wieder hinausgegangen. Doch an diesem grauen, regnerischen Märztag war es nicht so. Er sagte, alles sei möglich, und die einzige Möglichkeit, Klarheit zu bekommen, sei es, einen dieser verflixten Lymphknoten zu analysieren. Also auch er. Erschöpft und deprimiert kehrte ich von der Reise zurück. Zwischen zwei Terminen hatte ich mich schlafen gelegt, unfähig, etwas anderes zu tun. Ich hatte Besorgnis in den Augen meiner Kinder gesehen, was mich beunruhigt hatte. Und der Arzt, auf den ich gezählt hatte, um mich aufzumuntern, war sehr zurückhaltend gewesen. Aber es musste weitergehen.

Die Diagnose steht

In der Woche darauf wurde ein Lymphknoten aus meinem Hals operiert. Etwa 12 Tage später war das Ergebnis da: “Hodgkin-Krankheit, Stadium II mit ungünstigen Faktoren”. Lymphknotenkrebs, recht häufig bei jüngeren Menschen, mit der größten Häufigkeit bei Menschen um die 30 Jahre. Ich musste schmunzeln. Mit 61 hatte ich eine Jugenderkrankung! Der Onkologe versicherte mir, die Therapie sei sehr wirksam, was mir auch mein Homöopath und ein befreundeter Arzt bestätigten, die ich um Rat fragte. Letztere empfahlen mir außerdem ergänzende natürliche Behandlungsmethoden, um meinem Körper zu helfen, mit etwas fertig zu werden, um das ich nicht herumkommen würde: der Chemotherapie. Der Begriff hat etwas Grausiges, vor allem wenn man von Schwerkranken hört, denen diese Tortur noch zugemutet wird, ohne dass die geringste Heilungschance besteht, allein mit dem Ziel, den Tod auf Kosten von furchtbarem Leid noch etwas hinauszuzögern. Aber so weit war ich noch nicht. Funde im Internet beruhigten mich: Ich würde zwar vier Monate Chemotherapie, gefolgt von einer Strahlentherapie, hinter mich bringen müssen, aber die Heilungschancen lagen bei 90 Prozent. Grund genug also, den Kampf ohne allzu viel Besorgnis aufzunehmen. Ich habe ein eher positives Naturell und sehe das Glas lieber halb voll als halb leer. Diesmal war es gut gefüllt! Kein Grund, sich übermäßig Sorgen zu machen.

Der Begriff “Krebs” ist emotional sehr stark aufgeladen. Er schürt mitunter unverhältnismäßig große Ängste, je nachdem, um welchen Krebs es sich handelt. Denn es gibt eine Vielzahl von Krebszellen, manche sehr aggressiv, andere weniger. Aber wenn man mit der Diagnose konfrontiert wird, löst das Wort meist einen tiefen, überwältigenden Schock aus, der mit einer Angst verbunden ist, die wir alle in uns tragen und die nach Sigmund Freud die Grundlage aller anderen Ängste ist und diese nährt: Todesangst. Glücklicherweise beruhigten mich die Informationen, die ich von befreundeten Ärzten und online in den sozialen Netzwerken erhalten hatte. Das ermöglichte es mir, dieser Panik nicht nachzugeben, die Menschen, die diese brutale Nachricht erhalten haben, so oft schildern.

Die Stunde der Therapie schlägt

Mein erster Chemo-Termin stand fest: der 1. April. Witzelnd sagte ich allen, die es hören wollten: “Das ist kein Aprilscherz!” Ich, die im Laufe ihres Lebens praktisch alle Diäten unter der Sonne ausprobiert und zig Kilo abgenommen und (meist noch mit einem leichten Plus) wieder zugenommen hatte, fand, die Therapie sei eine gute Gelegenheit, um der Waage eins auszuwischen. Wahrscheinlich würde ich abnehmen. Mir würden die Haare ausfallen? Selbst das amüsierte mich. Ich würde eine Glatze bekommen, eine komische Erfahrung, die ich ganz bestimmt nicht unter irgendeiner Perücke verstecken wollte. Ich würde die Reaktionen in meinem Umfeld, in meiner Familie, aber auch auf der Straße, auf der Post oder im Supermarkt direkt mitbekommen. Interessant.

Ich wurde für lange Zeit krankgeschrieben. Eine Situation, die nicht ganz einfach zu handhaben war, wenn man einen Job hat wie ich: In Frankreich sind Autoren weder Angestellte noch Selbstständige. Eine “Sonderstellung” aus Sicht der Behörden. Kein Arbeitgeber übernahm die Differenz zwischen meinem üblichen Einkommen und den dürftigen Leistungen der Krankenkasse. Aber all das traf sich ganz gut: Ich hatte etwas Geld zur Seite gelegt und außerdem gerade ein neues Buch fertig geschrieben. Den Verlegern, mit denen ich laufende Verträge hatte, sagte ich Bescheid, dass ich die Abgabetermine für das Manuskript verschieben musste. Alle zeigten sich sehr verständnisvoll.

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