Handbuch des Strafrechts

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I. Funktionen

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Zur Beurteilung dieser rivalisierenden Lehren ist es hilfreich, sie daran zu messen, inwieweit sie den spezifischen Funktionen gerecht werden, die der Begriff des Vermögens im Betrugstatbestand zu erfüllen hat. So muss zuerst ein Verständnis des Vermögensbegriffes gefunden werden, das eine Güterveränderung als betrugsrelevanten Schaden des Opfers ebenso richtig erfasst wie die dazu spiegelbildliche Bereicherung des Täters. Dabei steht das Schadenskriterium im Mittelpunkt der Diskussion: Der „juristischen“ Lehre, nach der der Schaden als Beeinträchtigung eines Vermögensrechts zu begreifen ist, stehen Interpretationen gegenüber, die den Schaden entweder in einer wirtschaftlichen Wertminderung oder in einer Einbuße personaler Freiheit im gegenständlichen Bereich sehen. Um dem Bereicherungskriterium gerecht zu werden, können nur solche Güter als Vermögensgegenstände in Betracht kommen, bei denen sich die ihnen als Schaden zugeschriebene Werteinbuße in einen bereicherungsrelevanten Vorteil transformieren lässt, die also zugleich nachteilig und vorteilhaft verschoben werden können.

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Schließlich sollte sich der Vermögensbegriff widerspruchsfrei in die gesetzliche Systematik der Vermögensdelikte einfügen (Kohärenzkriterium).

II. Der sog. juristische Vermögensbegriff

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Nach dem vor allem im 19. Jahrhundert dominierenden „juristischen“ Vermögensbegriff[76] ist unter Vermögen die Gesamtheit der einer Person zustehenden (subjektiven) Vermögensrechte unabhängig von ihrem wirtschaftlichen Wert zu verstehen.

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Kritiker werfen der juristischen Vermögenslehre vor, sie sei mit ihrer Bezugnahme auf subjektive Rechte insoweit zu weit, als nicht alle subjektiven Rechte einen vermögensrechtlichen Charakter hätten.[77] Dieses Argument verliert an Gewicht, wenn Vermögensrechte durch ihre Übertragbarkeit definiert und so von höchstpersönlichen Rechten abgegrenzt werden, denn dann erfasst der Vermögensbegriff nicht mehr reine Persönlichkeitsrechte oder die höchstpersönlichen Güter Leib, Leben oder Ehre.[78] Zugleich wird aber auch immer wieder bemerkt, der Ansatz der juristischen Vermögenslehre sei zu eng, da es auch schutzwürdige Positionen gebe, die dogmatisch aber nicht als subjektive Rechte anzusehen seien, wie dies etwa bei Geschäftsgeheimnissen, Kundenstamm, Arbeitskraft oder Exspektanzen der Fall sei.[79] Auch diese Kritik überzeugt wenig, wenn man bedenkt, dass auch das Zivilrecht Wandlungen unterworfen ist und heute nach dem „juristischen“ Verständnis etwa auch Anwartschaften zum strafrechtlich geschützten Vermögen gerechnet werden könnten.[80] Vielmehr mag es sogar der beachtlichste Vorteil der juristischen Lehre sein, dass sie zwischen strafrechtlichem Vermögensbegriff und zivilrechtlicher Vermögenszuordnung die Widerspruchsfreiheit wahrt, die aufgrund der Einordnung des Betrugstatbestands als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB geboten ist.

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Auch das Kohärenzkriterium erfüllt der juristische Vermögensbegriff schon aufgrund seiner Definition ohne Einschränkung: Da das Eigentum das subjektive Vermögensrecht schlechthin ist, lassen sich die Eigentumsdelikte – systematisch sogar zwingend – als Unterfälle der allgemeinen Vermögensdelikte darstellen.

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Probleme bereitet das juristische Vermögensverständnis allerdings mit Blick auf das Schadens- bzw. das Bereicherungskriterium. Nach der juristischen Vermögenslehre soll als betrugsspezifischer Nachteil jede „nachteilige Veränderung oder Aufgabe von Rechten oder Nichtgeltendmachung derselben oder Belastung mit Pflichten“[81] infrage kommen. Da nun aber im Zivilrecht ein Rechtsgeschäft, das auf einer arglistigen Täuschung beruht, als für die getäuschte Person derart nachteilig angesehen wird, dass diese dem Geschäft nachträglich durch Anfechtung den Rechtsgrund entziehen kann (§ 123 Abs. 1 BGB), wäre nach der juristischen Lehre bereits jede täuschungsbedingte Disposition ein Vermögensschaden im Sinne des Betrugstatbestands. Und in der Tat spricht nichts dagegen, in einer aufgrund einer Täuschung rechtsgrundlosen Verfügung einen Vermögensnachteil zu sehen. Jedoch erfüllt ein solcher Schaden nicht das Bereicherungskriterium, denn eine wegen arglistiger Täuschung angefochtene Verfügung hat keine rechtsgültige Vermögensänderung zur Folge. Geht etwa die getäuschte Person (irrtumsbedingt) eine Zahlungsverpflichtung ein, so erlangt der Täter nur einen scheinbaren Rechtsvorteil, der mit der Anfechtung wieder beseitigt wird. Eine bloße Rechtsänderung, die der Berechtigte kraft Anfechtungsmöglichkeit selbst unschwer korrigieren kann, bedarf nicht der strafrechtlichen Pönalisierung. Eine schädigende und strafrechtlich relevante Vermögensverschiebung kann vielmehr nur dann angenommen werden, wenn der Täter (oder ein Dritter) faktisch etwas erhält, was sich auf der Seite des Vermögensinhabers als Verlust (oder wenigstens als Gefahr eines Verlustes) von Gütern darstellt. Wie das Strafrecht auch beim Diebstahl nicht das Eigentum an einer Sache in seinem rein rechtlichen Bestand zu sichern braucht, weil es allein durch die Wegnahme der Sache nicht beeinträchtigt wird, bedarf auch das Vermögen in seinem bloßen rechtlichen Bestand keines strafrechtlichen Schutzes durch das Betrugsverbot, wenn die Rechtsstellung durch Täuschung grundsätzlich nicht materiell tangiert wird. Gerade für die praktisch wichtigen Fälle des Eingehungsbetruges stößt die juristische Vermögenslehre also an ihre Grenzen. Die Befürworter des juristischen Vermögensverständnisses sehen aber für diese Konstellationen einen Ausweg darin, dass sie den Schaden nicht in der Übernahme der Leistungspflicht durch die getäuschte Person, sondern im Abweichen der Gegenleistung von der vereinbarten Sollbeschaffenheit sehen.[82] Damit verlassen sie jedoch die Deliktsstruktur des Betruges, nach der Schaden und Bereicherung durch die als irrendes Werkzeug verfügende getäuschte Person und nicht durch den Täter selbst bewirkt sein müssen.

III. Der sog. wirtschaftliche Vermögensbegriff

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Die grundlegende Abkehr vom juristischen Vermögensbegriff vollzog das Reichsgericht 1887 in einer Entscheidung, in der es nach seiner Ansicht um einen Fall formaler Tatbestandsverwirklichung, aber mangelnder Strafwürdigkeit ging:[83] Der Kunde eines Versicherungsvertreters wollte ausdrücklich einen Versicherungsvertrag mit fester Prämie abschließen, wurde aber durch Täuschung des Vertreters dazu veranlasst, eine Versicherung auf Gegenseitigkeit einzugehen. Obgleich die Versicherung auf Gegenseitigkeit im konkreten Fall für den Versicherungsnehmer finanziell günstiger als der gewünschte Vertrag mit fester Prämie war, wäre ihm nach der juristischen Lehre durch die täuschungsbedingte Übernahme einer Zahlungsverpflichtung ein Schaden entstanden. Das Reichsgericht verneinte jedoch einen Betrug mit dem Argument, es fehle an einem Vermögensschaden und entwickelte in seiner Begründung eine wirtschaftliche Schadenslehre, die bis heute besonders in der Praxis maßgeblich ist.[84] Der Wechsel vom juristischen hin zum wirtschaftlichen Vermögensbegriff vollzog sich in der Entscheidung in zwei argumentativen Schritten: Zunächst bezog das Gericht den Vermögensbegriff auf den Gegenstand von Vermögensrechten und nicht auf die Rechte selbst. In einem zweiten Schritt addierte es dann alle Gegenstände, die einer Person kraft ihrer Rechtsstellung zugeordnet sind, zu einem in Geld berechneten Gesamtwert und bezeichnet diesen Gesamtwert als das „Vermögen“.[85] Im Ergebnis stand die Feststellung, dass „dieses Ganze“ nur dadurch beschädigt werden könne, „dass sein Gesamtwert in Geld vermindert […] wird.“[86]

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Der Wechsel der Blickrichtung vom Recht an einem Gegenstand zum Gegenstand selbst und dem Wert, den die Nutzung des Gegenstandes für den Rechtsinhaber hat, ist in der Tat bedeutsam. Jedoch hat die Rechtsprechung in der Folgezeit diesen noch an der juristischen Lehre ausgerichteten Ansatz verlassen und das Vermögen nunmehr als Summe der geldwerten Güter definiert, über die eine Person faktisch verfügen kann.[87]

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Der so entwickelte wirtschaftliche Vermögensbegriff mag auf den ersten Blick – gerade für die forensische Praxis – in der Tat attraktiv erscheinen, denn er „objektiviert“ das Vermögen zu einer rein arithmetischen Konstruktion, die nicht mit normativen Elementen belastet ist, sondern die rein rechnerisch ergründet werden kann. Doch täuscht die vermeintliche Einfachheit des wirtschaftlichen Vermögensverständnisses über seine zahlreichen Probleme hinweg:

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So erscheint es schon aus praktischen Überlegungen geradezu absurd, zur Feststellung eines Schadens zunächst den Gesamtwert der Vermögensgegenstände einer Person zu errechnen, um sodann nach der irrtumsbedingten Verfügung den Gesamtwert des Vermögens erneut zu berechnen und schließlich zu prüfen, ob sich der Gesamtwert verringert hat; kein Gericht wird dies wohl je tatsächlich getan haben. In der Regel kann allenfalls ein Wertvergleich der unmittelbar mit der Vermögensverfügung zusammenhängenden Vermögensbewegungen für die Schadensberechnung nachvollziehbare Ergebnisse bringen.

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Auch die Konsequenzen der Anwendung eines rein wirtschaftlichen Vermögensbegriffes sind, gerade auch aus strafrechtlicher Perspektive, nicht akzeptabel: Wenn die rechtliche Zuordnung der Güter irrelevant sein soll, als Vermögensgegenstand also alles in Betracht kommt, was im legalen oder illegalen Wirtschaftsleben handelbar ist, müssen auch Ansprüche aus verbotenen und sittenwidrigen Geschäften sowie widerrechtlich erlangte Positionen zum Vermögen gerechnet werden. Ausschlaggebend ist nämlich nur, ob sie „zu Geld gemacht“ oder sonst wirtschaftlich eingesetzt werden können. Neben obligatorischen und dinglichen Rechten,[88] hinreichend konkretisierten tatsächlichen Erwerbsaussichten[89] und der Arbeitskraft gehören zum Vermögen dann auch der redlich oder widerrechtlich erlangte Besitz an Sachen[90] sowie sonstige (faktisch durchsetzbare) „Forderungen“ aus sittenwidrigen und verbotenen Geschäften.[91] Mithin gehört auch die Beute des Diebes zu dessen strafrechtlich geschütztem Vermögen, während Gegenstände, die zwar im Eigentum einer Person stehen, die aber keinen wirtschaftlichen Marktwert haben, nicht unter dem Schirm des strafrechtlichen Vermögensschutzes stehen.[92]

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Die Schwachpunkte dieser Bestimmung des Vermögens liegen damit auf der Hand: Zunächst hängt es mehr oder weniger vom Zufall – wie der Existenz von modegebundenen Sammlermärkten oder Schwarzmärkten – ab, ob ein Gegenstand überhaupt von wirtschaftlichem Interesse ist. Sodann ist unklar, wonach sich die Vermögenszuordnung überhaupt richten soll.[93] Im seriösen Wirtschaftsleben sind allein rechtlich anerkannte Positionen von Belang (für Bankkredite werden illegale Betäubungsmittel nicht als Sicherheit akzeptiert), während dort, wo allein auf Gewalt und Macht gestützte faktische Zugriffsmöglichkeiten Inhalt und Umfang der Zuordnung von Werten bestimmen, die juristischen Grenzen unmaßgeblich sind. Vom wirtschaftlichen Vermögensbegriff profitieren also vornehmlich die Beteiligten in Verhältnissen, die sich strafrechtlich kaum als schutzwürdig ausweisen lassen.[94] Hinzu kommt, dass sich die Schätzung des Geldwertes verbotener und unsittlicher Geschäfte wie Auftragsmord oder Verkauf von Falschgeld im Spekulativen verlaufen dürfte.

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Wenig überzeugend ist schließlich auch der auf einen zweckfreien Geldwert gerichtete Wertmaßstab der wirtschaftlichen Lehre, der geradezu „unwirtschaftlich“ wirkt: Das Interesse an einer wirtschaftlichen Verfügung liegt in der Regel nicht in der Wahrung eines gleichbleibenden Geldwertniveaus, sondern in der Erreichung eines bestimmten Tauschzwecks. Wer beispielsweise mit hochwertigen Waren einer bestimmten Art handelt, ist wirtschaftlich darauf angewiesen, Waren genau dieser Art und nicht irgendwelche Gegenstände, die (auf welchem Markt auch immer) ihren Preis wert sind, zum Weiterverkauf zu erwerben. Ansonsten hätte die Investition ihren wirtschaftlichen Zweck – gegebenenfalls auf ruinöse Weise – verfehlt. Der wirtschaftliche Vermögensbegriff verkennt mithin in einer sich selbst ad absurdum führenden Weise, dass der Wert von Gütern irreduzibel abhängig ist von den Zwecksetzungen der über sie disponierenden („wirtschaftenden“) Personen.

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Zwar lässt sich bei allen oben dargelegten Bedenken der wirtschaftliche Vermögensbegriff hinsichtlich des Schadens- wie auch des Bereicherungskriteriums grundsätzlich konsistent entwickeln. Keinesfalls genügt er indessen dem Kohärenzkriterium; er ist vielmehr ein Fremdkörper in der strafrechtlichen Systematik.[95] Beispielhaft: Wer eine wirtschaftlich wertlose Sache mit der Absicht rechtswidriger Zueignung wegnimmt, verletzt das Eigentum des Berechtigten in einer Art und Weise, für die das StGB die Strafbarkeit wegen Diebstahls (§ 242) vorsieht. Wer sich hingegen durch Täuschung das Einverständnis in die Besitzverschiebung hinsichtlich eben dieser Sache erschleicht, bliebe unter dem Blickwinkel des wirtschaftlichen Vermögensbegriffes mangels Vermögensschädigung und Bereicherung straflos. Dies, obgleich Diebstahl und Sachbetrug materiell identisches Unrecht erfassen und nur phänotypisch differieren (Rn. 35). Noch viel deutlicher tritt die systematische Inkonsistenz im Verhältnis der Raub- (§§ 249 ff. StGB) zu den Erpressungstatbeständen (§§ 253, 255 StGB) zutage: Wer einem anderen dessen objektiv wertlose Sache unter Drohung für Leib und Leben mittels einer Waffe wegnimmt, verwirklicht das Eigentumsdelikt eines schweren Raubes nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB mit einer Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren. Wer dagegen das Opfer unter Anwendung solcher Drohungen veranlasst, ihm denselben Gegenstand auszuhändigen, beginge mangels Vermögensschadens im Sinne der wirtschaftlichen Lehre keine qualifizierte räuberische Erpressung (§§ 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) mit gleichem Strafmaß, sondern (nur) eine Nötigung gemäß § 240 StGB mit einer maximalen Freiheitsstrafe von drei Jahren. Zufälligkeiten der Tatausführung können also nach Maßgabe des wirtschaftlichen Vermögensbegriffes zu drastischen Differenzen im Strafmaß führen, denen jedwede dogmatische und kriminalpolitische Plausibilität fehlt.

IV. Der sog. juristisch-ökonomische Vermögensbegriff

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In der Strafrechtswissenschaft wird überwiegend ein Vermögensbegriff vertreten, der sich im Wesentlichen zwar mit den zunächst vom Reichsgericht entwickelten Prämissen der wirtschaftlichen Betrachtungsweise deckt, jedoch dadurch „juristisch“ ergänzt wird, dass sich die Zuordnung der Güter an rechtlichen Kriterien ausrichten soll. Im Detail ist diese Zuordnung aber umstritten: Nach der hier restriktivsten Position wird verlangt, dass positiv festgestellt werden müsse, ob ein zum (wirtschaftlichen) Vermögen zählendes Gut auch der rechtlichen Verfügungsmacht einer Person unterliegt;[96] weniger streng lassen es einige Autoren genügen, wenn die wirtschaftliche Zugehörigkeit des Gutes zum Vermögen der Person zumindest von der Rechtsordnung anerkannt wird.[97] Schließlich wird es von Teilen der Literatur bereits für ausreichend gehalten, wenn die Zuordnung nach außerstrafrechtlicher Wertung nicht missbilligt wird.[98] Damit erhält der wirtschaftliche Vermögensbegriff lediglich ein ebenso praktisch einfach nachvollziehbares wie lockeres Korrektiv, so dass es nicht erstaunt, dass die neuere Rechtsprechung nun auch in diese Richtung tendiert, wenn sie etwa rechtlich nicht geschützte Exspektanzen oder sittenwidrige Leistungen nicht mehr dem strafrechtlichen Vermögensbegriff zuschlägt.[99]

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Die juristisch-ökonomische Lehre vermeidet – vor allem in ihren restriktiveren Varianten – die Ausweitung des geschützten Vermögens in rechts- und sittenwidrige Besitzpositionen hinein und führt so nicht zu den normativen Schieflagen, die nach der rein wirtschaftlichen Betrachtung zu beklagen sind. Allerdings wird die juristisch-ökonomische Lehre ebenso wie der rein wirtschaftliche Vermögensbegriff dem Kohärenzkriterium nicht gerecht, denn auch sie ist nicht in der Lage, Eigentums- und Vermögensdelikte systematisch adäquat aufeinander zu beziehen. Die wirtschaftliche Bestimmung des Vermögens und der formale Eigentumsschutz stehen zusammenhanglos nebeneinander.

V. Der sog. personale Vermögensbegriff

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Der in Teilen des Schrifttums vertretene personale Vermögensbegriff versteht das Vermögen als Grundlage der Persönlichkeitsentfaltung im Rahmen wirtschaftlicher Zwecksetzungen und versucht, die von der rein wirtschaftlichen und juristisch-ökonomischen Lehre weitgehend ausgeklammerten individuellen Belange in die Betrugsdogmatik mit einzubeziehen.[100] Ohne, wie sogleich deutlich werden wird, der juristisch-ökonomischen Lehre zugerechnet werden zu können, basiert auch das personale Verständnis sowohl auf „juristischen“ wie auf „wirtschaftlichen“ Überlegungen. So wird zunächst der Gedanke der freien Entfaltung des Einzelnen, der hinter der Zuordnung von Rechten zu einer Person steht, nach dem Vorbild der juristischen Vermögenslehre zum Ausgangspunkt gemacht. Wie für den wirtschaftlichen Vermögensbegriff ist daneben für die personale Lehre das Verständnis von Vermögen als wirtschaftlicher Macht wesentlich. Auf der Basis einer Kombination dieser beiden Elemente definiert sie das Vermögen als das einer Person zustehende wirtschaftliche Entfaltungspotenzial. Dementsprechend wird der Schaden in einer Minderung der wirtschaftlichen Potenz des Vermögensinhabers gesehen.[101]

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Dass die personale Lehre das Vermögen nicht mehr als eine von ihrem Inhaber losgelöste Wertmasse deutet, mag eine adäquate Rückbesinnung auf die individualrechtlichen Grundlagen der Betrugsdogmatik sein. Doch damit wird allenfalls zu einer eher abstrakten Reflexion des Rechtsgutes und des Normzwecks angeregt, ohne dass präzisiert würde, wie das Personalitätskriterium zur Bestimmung von Inhalt und Umfang des einem Inhaber zugeordneten Vermögens beitragen könnte.[102] Es ist nicht zu erkennen, wie hinter dem Begriff der „Person“ mehr stehen könnte als die Inhaberschaft von Rechten und Pflichten, so dass die personale Entfaltungsfreiheit im gegenständlichen Bereich nichts anderes meint als die rechtlich geschützte Dispositionsfreiheit über übertragbare Güter und deren Nutzungen im Sinne des tradierten juristischen Ansatzes.[103] Damit erfüllt die personale Lehre zwar problemlos das Kohärenz- und das Schadenskriterium. Allerdings kann sie dem Bereicherungskriterium nicht entsprechen, denn wie ein als Minderung der wirtschaftlichen Potenz des Vermögensinhabers gedeuteter Schaden dem Täter als stoffgleicher Vorteil zuwachsen soll, bleibt unklar (zumindest sofern die Begrifflichkeiten der personalen Lehre mehr ausdrücken sollen als eine Paraphrase zur Bestimmung von Fehlinvestitionen nach gängigen Bewertungskriterien).

VI. Funktionale Betrachtung

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Die oben ausgezeigten Probleme der verschiedenen Vermögensbegriffe lassen sich umgehen, wenn der Vermögensbegriff von seinen betrugsspezifischen Funktionen ausgehend entwickelt wird: So muss er alle Gegenstände umfassen, die dergestalt stoffgleich verschoben werden können, dass sie zum Nachteil (Schaden) ihres Inhabers rechtswidrig erlangt (Bereicherung) werden können, und er muss zudem den Anforderungen des Deliktssystems entsprechend das Eigentum mit abdecken (Kohärenz).

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Zum wirtschaftlichen Vermögensbegriff bleibt festzuhalten, dass es weder sachliche noch deliktshistorische Gründe gibt, allein solche Güter zum Vermögen zu zählen, die einen gegenwärtigen Marktwert haben.[104] Kaum einmal lässt sich einem Gegenstand per se die Möglichkeit absprechen, gegen Geld übertragbar zu sein, denn ganz unterschiedliche wertbeeinflussende kulturelle, historische, soziale und auch wirtschaftliche Kontexte lassen sich unschwer denken.[105] Es sollte daher, wie dies auch im Zivilrecht vertreten wird,[106] für die Qualität eines Gegenstandes als Vermögensbestandteil ausreichen, dass ihm ein abstrakter Geldwert zugesprochen werden kann, dass also er selbst oder die Möglichkeit seiner Nutzung gegen Geld übertragbar ist.

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Auch können für die Zuordnung zum Vermögen einer Person wegen des Erfordernisses der Rechtswidrigkeit der Bereicherung nur rechtliche Aspekte relevant sein.[107] Dies führt aber nicht dazu, den juristischen Vermögensbegriff als maßgeblich heranzuziehen, denn als dessen Schwäche wurde bereits herausgearbeitet, dass er (nur) Rechtspositionen als solche im Blick hat (Rn. 48). Der strafrechtliche Vermögensschutz soll aber nicht nur die Rechtsbeständigkeit einer Güterzuordnung garantieren, sondern er soll vielmehr auch der Sicherung der sich aus dem Recht je ergebenden Verfügungsmacht dienen. Gerade weil die Verfügungsmacht über ein Gut entgegen der rechtlichen Zuweisung unerlaubt beeinträchtigt werden kann, bedarf sie des strafrechtlichen Schutzes.

 

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Der Umfang des Vermögens lässt sich mithin nach bereicherungsrechtlichen Maßstäben bestimmen: Zum Vermögen einer Person gehört alles, was von ihr (rechtswirksam) geleistet und damit auch auf ihre Kosten (rechtswidrig) erlangt werden kann. Insoweit wirft es keine Schwierigkeiten auf, auch strafrechtlich schutzwürdige Positionen wie Know-how, Geschäftsgeheimnisse oder Anwartschaften dem betrugsrelevanten Vermögensbegriff zuzuordnen.[108] Negativ bedeutet dies, dass die Gegenstände höchstpersönlicher Rechte (etwa Leib, Leben oder Ehre) nicht zum Vermögen zählen können. Gleiches gilt für solche Fähigkeiten einer Person, mit deren Hilfe sie Vermögen erwerben kann, wie Arbeitskraft oder berufliche Fertigkeiten und Kenntnisse.[109] Übertragbare Rechte an Gütern kommen dagegen einer Person nicht schon aufgrund ihrer Existenz zu, sondern sie werden erworben. Objekte übertragbarer Rechte sind für den Einzelnen Mittel zur Wahrnehmung seiner Interessen, ohne für seine Personalität selbst konstitutiv zu sein. Solche Objekte können daher im Grundsatz beliebig von einer Person auf eine andere übergehen oder auch mehreren Personen – gegebenenfalls auch mit spezifischen Nutzungsmöglichkeiten – zugeordnet sein (eine Mietsache kann zugleich zum Vermögen des Eigentümers und – im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten – zugleich zum Vermögen des Mieters gehören).

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Nach dieser funktionalen Betrachtung des Vermögens kann folgende Definition des Begriffs des Vermögens angeboten werden: Vermögen ist die Verfügungsmacht einer Person über die (Gesamtheit der) ihr rechtlich zugeordneten übertragbaren (abstrakt geldwerten) Güter.

8. Abschnitt: Schutz des Vermögens › § 33 Betrug › D. Objektiver Tatbestand