Read the book: «Gesprächsführung im Jobcenter: Die Kunst, wirksam zu beraten und gesund zu bleiben»
Inhalt
Geleitwort (Herbert Bock)
Warum dieses Buch?
1. Warum sind Langzeitarbeitslose »speziell«?
Warum Arbeitslosigkeit krank macht
Der Verlauf von Arbeitslosigkeit – was Berater im längeren Kontakt beachten müssen
Deprivationstheorie
Adaptionsmodell
Erlernte Hilflosigkeit
Motivation
Zur Entwicklung von Beschäftigungsfähigkeit während der Arbeitslosigkeit
Wer bekommt einen Job? Einflussgrößen der Wiederbeschäftigung
Selbstwirksamkeitserwartung
Kontrollüberzeugung
Bewältigungsstile
Gute seelische Gesundheit
Selbstkonzept eigener Fähigkeiten
Motivation und Ziele
2. Die Besonderheiten der Arbeitssituation in Jobcentern
3. Methoden und Techniken für eine wirksame Fallarbeit
Übersicht über die folgenden Abschnitte
Die Besonderheiten helfender Beziehungen
Methodisches Beispiel: Sich mit dem Widerstand verbrüdern
Die eigene Motivation
Der fürsorglich-helfende Stil
Wie gelingt es Helfern, mit diesen Mustern umzugehen?
Der wertende Stil
Was hilft in einer solchen Situation?
Die »naive« Grundhaltung von Beratung
Die geeignete Rolle wählen
Die wichtigsten Gesprächstechniken
Raum und Atmosphäre
Die Grenzen unseres Ansatzes
4. Achtsamkeit und Selbstsorge für Beratende in Jobcentern und deren Arbeitsgemeinschaften
Wie geht es Ihnen im Jobcenter?
Selbstsorge und Achtsamkeit
Experiment: Ist Achtsamkeit einfach?
Achtsamkeit als Kernstück (selbst-)verantwortlichen Handelns Beratender
Experiment: Wahrnehmungslenkung, Benennen und Etikettieren
Warum sind »Benennen« und »Etikettieren« für die Schulung der Wahrnehmung notwendig und wertvoll?
Achtsamkeit und Gesundheit
Praxisbericht: Susannes Geschichte
Wo sich Methoden der Achtsamkeit mit Methoden der Beratung und Einzelfallarbeit treffen
Praktikabel? Achtsamkeitsübungen für den Anfang
Übung: Achtsamkeit Arbeitsweg mit dem Auto
Übung: Achtsamkeit im Sitzen
Übung: Den Atem zählen
Abschließende Gedanken
Literatur
Zu den AutorInnen
Geleitwort
In diesem Buch geht es um Kompetenzen, die für eine erfolgreiche Gesprächsführung im Jobcenter unverzichtbar sind. Der praktische Nutzen des Buches für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Jobcentern liegt schon deshalb auf der Hand, weil die Autoren einschlägige Erfahrungen mit den Herausforderungen in diesem Segment beruflicher Praxis mitbringen und diese Erfahrungen im Text mit zahlreichen Beispielen dokumentieren.
Ein wichtiger Bestandteil kommunikativer Kompetenzen ist der bewusste Einsatz sprachlicher Mittel und die Fähigkeit zur Reflexion sowohl der damit ausgelösten Reaktionen beim Gegenüber als auch der Rückwirkungen auf sich selbst. Damit geht es um zwei Dinge zugleich: Erstens soll mit gezielter Gesprächsführung etwas erreicht werden, und zweitens ist die Art und Weise der Gesprächsführung das im Jobcenter vielleicht wichtigste Mittel der Selbstsorge in belastenden Gesprächssituationen.
Genau in diesem Sinne verstehen die Autoren ihr Projekt – Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Jobcentern konkrete Gesprächsmodelle und -techniken an die Hand zu geben, die sowohl die Belange der »Kunden« berücksichtigen als auch die innere Achtsamkeit angesichts einer steigenden Zahl von belastenden Gesprächsereignissen betonen.
Die Quintessenz des Textes betrifft allerdings nicht nur Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Bereich der Arbeitsverwaltung. Ein Transfer der Konzepte in andere berufliche Kontexte mit kommunikativen Belastungssituationen ist unschwer möglich!
Prof. Dr. Herbert Bock, Dresden International University
Warum dieses Buch?
Arbeitslosigkeit ist ein anhaltendes Problem in Deutschland. Wenn auch die Medien vom kleinen »Jobwunder« berichten und die Arbeitslosigkeit verhältnismäßig gering ist, täuschen die Statistiken über ein Problem hinweg. Es gibt eine ungünstige Umschichtung im »Markt der Arbeitslosen«. Auf der einen Seite gibt es weniger Menschen im ALG I. Dieser Personenkreis findet in der Regel schnell wieder eine Anstellung. Auf der anderen Seite verzeichnen wir eine Chronifizierung von Arbeitslosigkeit. Wir sprechen von einem »sich verfestigenden Sockel« von Langzeitarbeitslosen.
Es besteht hier eine problematische Verkettung mehrerer Faktoren. Erstens beeinträchtigen längere Arbeitslosigkeit und erlebte Misserfolge aus fehlgeschlagenen Bewerbungen das Selbstwertgefühl. Fehlende Erwerbsarbeit führt zweitens zu einem Mangel an Trainingsmöglichkeiten für die berufliche Qualifikation. Dequalifizierung wird so zur Folge zu geringen berufsbezogenen Selbstvertrauens und des Nichtgebrauchs der Kompetenzen. Besonders für ältere Arbeitnehmer bedeutet der Verlust des Arbeitsplatzes drittens einen Verlust an Erfolgserlebnissen, an beruflicher Anerkennung und damit eines Teils der persönlichen Identität.
Auf der anderen Seite des Tisches, namentlich in der Verwaltung, sind die Belastungen kaum geringer. Mitarbeiter von Jobcentern haben täglich Kontakt mit Langzeitarbeitslosen, die – im Unterschied zu den meisten Beziehern von ALG I – ganz spezielle Anforderungen an die Kommunikation stellen. Gespräche sind oft problematisch, Konflikte bleiben nicht aus, ein vergleichsweise hohes Maß an psychischer Belastung ist vorprogrammiert. Diese Belastungen jedoch, die durch die Arbeit mit Langzeitarbeitslosen entstehen, werden nach unserer Erfahrung in Jobcentern zu wenig (um nicht zu sagen: kaum) berücksichtigt. Auf der einen Seite stehen dabei die gesetzlichen Regelungen und die bisweilen harten quantitativen Erfolgsrichtlinien von Führungskräften. Auf der anderen Seite soll eine soziale Arbeit im besten Sinne geleistet werden, und das mit einer der beratungstechnisch schwierigsten Zielgruppen überhaupt. Jobcentermitarbeiter betreiben also die »Quadratur des Kreises«, indem sie recht gegensätzliche Welten – gesetzliche Regelungen, kennzahlenorientierte Ziele auf der einen und die Belange beraterischer Arbeit mit Menschen, die vergleichsweise »am Boden« sind, auf der anderen Seite – in einer beruflichen Rolle vereinen müssen. Das Ausmaß an psychischen Belastungen ist dementsprechend sowohl auf behördlicher Seite als auch auf Kundenseite hoch. Dem sollte unseres Erachtens auf Organisationsebene (etwa durch Supervision oder die teaminterne Diskussion von Kennzahlen) ebenso wie methodisch (in der direkten Arbeit mit den Kunden) begegnet werden. Deshalb schreiben wir dieses Buch. Es geht im Wesentlichen um vier Fragen:
1. Was ist an der Situation von Langzeitarbeitslosen besonders, und was ist in der Arbeit mit Langzeitarbeitslosen zu beachten?
2. Wie tragen Jobcenter als Verwaltungsorganisationen bisweilen zu psychischen Belastungsphänomenen bei, und was können Mitarbeiter tun, um ihre Behörde lernfähiger zu machen?
3. Welche Methoden und Techniken ermöglichen eine ebenso wirksame wie gesunderhaltende Art der Gesprächsführung? Wo liegen aber auch die Grenzen dieser Modelle?
4. Mit welchen Methoden können Achtsamkeit und Psychohygiene verbessert werden?
Unser Ansinnen ist es, ein kurzes und übersichtliches Praxisbuch zu schreiben. Wir gehen jedoch nicht nur auf Methoden und Techniken ein, sondern schildern zunächst die spezifische Lebenssituation von Langzeitarbeitslosen aus dem Blickwinkel der Forschung (Kapitel 1). Dieses erste Kapitel wird einigen Lesern vergleichsweise »trocken« vorkommen. Wir haben Sorge getragen, das umfangreiche Wissen zum Thema übersichtlich zusammenzufassen. Wer dennoch lieber direkt in die Praxis eintauchen möchte, dem sei empfohlen, die Lektüre bei Kapitel 2 (Spezifik der Arbeitssituation in Jobcentern) oder sogar Kapitel 3 (Gesprächstechniken) zu beginnen. In Kapitel 2 betrachten wir die besondere, mitunter stark reglementierte Arbeitssituation von Jobcentermitarbeitern, um darauf aufbauend praktische Modelle und Methoden darzustellen, die es ermöglichen, wirksam zu beraten und auf Dauer gesund zu bleiben (Kapitel 3). Wir gehen dabei auch auf die Grenzen unserer Modelle und Techniken ein und schildern sowohl Situationen, in denen man tatsächlich nur noch sanktionieren kann, als auch Fälle, in denen weder Beratung noch Sanktion, sondern ein »wohlmeinendes Beobachten« Sinn macht. Abschließend stellen wir dar, welche Methoden helfen, mehr Augenmerk auf die eigene Gesundheit und die eigenen Grenzen zu lenken (Kapitel 4).
Letztlich geht es uns mit diesem Buch um Wege, wie die praktische Arbeit mit Langzeitarbeitslosen in Jobcentern ebenso wirksam wie gesunderhaltend gestaltet werden kann – und das trotz der vielschichtigen Herausforderungen, die eine solche Arbeit mit sich bringt.
Unsere Analysen, Gedanken und Darstellungen richten sich an Beratende in Jobcentern und jobcenternahen Dienstleistern. Die Bezeichnungen Berater, Fallmanager, Jobcentermitarbeiter, Jobcoach für Beratende auf der einen Seite sowie Klient, Ratsuchender, Leistungsempfänger und Kunde für die zu Beratenden auf der anderen Seite verwenden wir in unseren Ausführungen jeweils synonym. Wenn wir grammatikalisch die männliche oder weibliche Form verwenden, schließen wir jeweils das andere Geschlecht mit ein.
Dieses Buch wurde nur durch den regen Austausch mit Jobcentermitarbeiterinnen und arbeitsuchenden Menschen möglich, für deren Vertrauen wir uns herzlich bedanken möchten.
1. Warum sind Langzeitarbeitslose »speziell«?
Arbeitslose sind keine homogene Masse. Der eine kommt aus einem Job und wechselt in den nächsten. Kurze Pausen in der beruflichen Vita werden – vom Betroffenen und vom Berater in der Agentur – oft auch als Chance gesehen, sich neu zu orientieren oder kurz zu pausieren. Letzteres findet vor allem statt, wenn nur wenige Wochen überbrückt werden und eine neue Anstellung bereits gesichert ist. Diese »Kunden« stellen kein Problem dar, sie sind ganz normale Gäste der Arbeitsverwaltung.
Was ist aber mit »Problemfällen«? Wann reden Arbeitsvermittlerinnen oder Fallmanager von »schwierigen Kunden«, später gar von »schwierigen Menschen«? Wenn Zeitungen von Übergriffen auf Mitarbeiter in Jobcentern berichten, wird deutlich, dass nicht alle Betroffenen mit ihrer Situation in ähnlicher Weise umgehen, und dass einige offenbar keine andere Lösung sehen, als mit Gewalt zu drohen oder sogar Gewalt anzuwenden. Für die angegriffenen Mitarbeiterinnen bedeutet dies zumindest ein traumatisches Erlebnis, einige haben solche Angriffe gar mit dem Leben bezahlt. Wie ist also die Situation Langzeitarbeitsloser zu bewerten, und in welchem Verhältnis stehen sie zu den Mitarbeitern des Jobcenters, sodass es im äußersten Fall sogar in der Eskalation enden kann?
Arbeitslosigkeit geht häufig mit gesundheitlichen Einschränkungen einher. Bei längerer Arbeitslosigkeit ist bei den Betroffenen eine Zunahme an gesundheitsriskantem Verhalten zu beobachten. Dadurch kann sich ein Teufelskreis entwickeln, in dem ursprünglich gesunde Menschen im Laufe der Zeit gravierende Belastungen erfahren, die schließlich Krankheitswert erreichen. Die mit Langzeitarbeitslosigkeit verbundene Unsicherheit und die Einschränkungen in der Planbarkeit der Zukunft führen zu psychischen und sozialen Belastungen, zu Ängsten, Stress und Beschwerden, die im Laufe der Zeit chronifiziert werden. Ein besonderes Problem bilden dabei Langzeitarbeitslose jungen und mittleren Alters ohne ausreichende Qualifikation. Hier besteht häufig eine Kombination aus Schulbildungs- und Qualifikationsmängeln einerseits und gesundheitsriskantem Verhalten andererseits. Einige dieser Menschen haben erheblichen Entwicklungsbedarf beispielsweise in der Aneignung grundlegender Werte oder der Klärung elementarer Berufs- und Lebensziele. Die bei Langzeiterwerbslosen einsetzende Abnahme der Beschäftigungsfähigkeit mindert gleichzeitig ihr Vertrauen in die eigene Kraft zur Gestaltung des Lebens (Bernston et al. 2008). Das stellt Berater vor besondere Herausforderungen.
Arbeit stellt für viele Menschen in unserem Kulturkreis einen Teilbestand ihrer Identität dar, weshalb der Verlust von Arbeit nicht nur ein ökonomisches Problem für die Gesellschaft ist, sondern auch ein persönliches Problem des einzelnen von Erwerbslosigkeit betroffenen Menschen (Kieselbach/Wacker 1995). Der soziale Status eines Menschen ist eine tragende Komponente seiner Identität, und Arbeit bildet in unserem Kulturraum in der Regel die wesentliche Quelle für Status und Selbstwert. Verliert jemand seine Arbeit, bedeutet das für ihn einen Statusverlust, und Statusverlust wird von den Betroffenen oft als Stigmatisierung empfunden (Goffman 1992).
Behle (2007) zeigt, dass Arbeitslose unter spezifisch hohen psychosozialen Belastungen leiden, da sie durch finanzielle Einschnitte und fehlende Zukunftsperspektiven eine doppelte Belastung erfahren. Die individuellen Folgen des sozialen Ausschlusses, der Langzeitarbeitslosigkeit für die Betroffenen bedeutet, reichen von Identitätskrisen, Verlust der Hoffnung auf einen Arbeitsplatz, Resignation und Isolation bis hin zu Gefühlen von Scham, Unlust und Ärger. Hinzu kommt die bereits angesprochene Stigmatisierung, die mit fortwährendem Statusverlust einhergeht (Kieselbach et al. 2000). All das bleibt nicht ohne Folgen für die Gesundheit. Aus fortdauernder Arbeitslosigkeit können schwerwiegende körperliche und psychische Erkrankungen entstehen (Hollederer 2002; Kieselbach/ Beelmann 2006), wie die erhöhten somatischen und psychosomatischen Beeinträchtigungen Langzeitarbeitsloser im Vergleich zu Arbeitstätigen zeigen. Arbeitslose neigen eher zu Risikoverhaltensweisen wie Alkohol- oder Drogenkonsum (Beelmann 2003; Beelmann et al. 2000). Darüber hinaus gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen der Arbeitslosigkeitsdauer und der Zunahme von Belastungen. Wachsende Mutlosigkeit, fortwährend erlebte Stigmatisierung und mit den Jahren voranschreitende Dequalifi kation verringern die Chancen auf eine Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt mit der Zeit immer stärker.
Erwerbsarbeit hat bestimmte Funktionen, wie beispielsweise den Erwerb und die Festigung einer bestimmten beruflichen Identität (Bergmann 2010). Brechen diese Funktionen mit dem Verlust der Arbeit weg, hat das bei längerer Arbeitslosigkeit dramatische Folgen für die Betroffenen. Semmer und Udris (1993, 134) beschreiben die psychosozialen Funktionen von Erwerbsarbeit anhand folgender Kategorien:
Aktivität und Kompetenz: Die mit Arbeit verbundene Aktivität ist eine wichtige Vorbedingung für die Entwicklung von Qualifikationen. Mit der Bewältigung von Arbeitsaufgaben erwerben Menschen Fähigkeiten und Kenntnisse und somit Handlungskompetenz.
Zeitstrukturierung: Arbeit strukturiert den Alltag und die gesamte Lebensplanung. Begriffe wie Freizeit, Urlaub oder Rente können nur in Bezug auf Arbeit definiert werden.
Kooperation und Kontakt: Berufliche Aufgaben und deren Bewältigung basieren meist auf der Zusammenarbeit mit anderen Menschen. Dies führt zur Entwicklung kooperativer Fähigkeiten und schafft ein soziales Kontaktfeld.
Soziale Anerkennung: Sowohl durch die eigene Leistung als auch durch Kooperation mit anderen erfahren Menschen soziale Anerkennung.
Persönliche Identität: Eine Berufsrolle und eine Arbeitsaufgabe zu haben und die Erfahrung zu machen, notwendige Kenntnisse und Fähigkeiten zur Beherrschung der Arbeit zu besitzen, bilden wesentliche Grundlagen für die Entwicklung von Identität und Selbstwertgefühl.
Jahoda et al. (1975) fanden im Zuge ihrer Forschungen zum Thema Arbeitslosigkeit fünf wesentliche Funktionen von Erwerbsarbeit. Erwerbsarbeit gewährleistet demnach:
– eine regelmäßige, anforderungshaltige Tätigkeit,
– das Verfolgen gemeinschaftlicher Ziele,
– soziale Kontakte außerhalb des engeren sozialen Kreises (Partner, Familie),
– eine sozial vermittelte Zeiterfahrung, die innerhalb gesetzter, fester Zeitstrukturen stattfindet, sowie
– einen anerkannten Status mit seinen Wirkungen für die persönliche Identität.
Verschiedene empirische Studien belegen, dass es für die Betroffenen einen folgenschweren Verlust bedeutet, wenn diese Funktionen durch Arbeitslosigkeit wegfallen. Neben den ökonomischen Verlusten hat insbesondere das Fehlen der sozialen Funktionen der Erwerbsarbeit erhebliche Auswirkungen. Bereits Wacker (1981, in Wacker/Kolobkova 2000, 23) charakterisierte die Situation von Erwerbslosen, die längere Zeit ohne Arbeit waren, anhand folgender Begleiterscheinungen:
– Wegfall des gewohnten Lebensrhythmus’ im Wechsel von Arbeit und Freizeit (kein Urlaub, kein Wochenende),
– Wegfall der aus der Arbeit resultierenden sozialen Rolle,
– Handlungsohnmacht und soziale Ausgrenzung durch die Erfahrung individueller Abhängigkeit (die Erfahrung von Abhängigkeit bewirkt eine Umstrukturierung der Realitätswahrnehmung und der »Realitätsbindung«; zu den Folgen anhaltender Hilflosigkeitserfahrungen siehe Seligmann 1989),
– Verunsicherung der Lebensperspektive und der sozialen Identität.
Warr (1987) nennt weitere psychische Beeinträchtigungen von Arbeitslosen im Vergleich zu Erwerbstätigen:
– geringe Zufriedenheit mit der gegenwärtigen Lebenssituation,
– überwiegend negative Gefühle wie Niedergeschlagenheit, Ängstlichkeit und negatives Selbstbild,
– vermehrte psychiatrische Erkrankungen und höhere Suizidgefährdung,
– Anpassungsschwierigkeiten und psychischer Stress.
In den vergangenen Jahren hat die Forschung auch die Auswirkungen von Erwerbslosigkeit auf die sozialen Beziehungen der Betroffenen deutlich gemacht: »In einer Untersuchung von Strokes und Cochrane (1984) wird nahegelegt, dass sich die sozialen Beziehungen qualitativ verschlechtern, aber nicht unbedingt abnehmen.« (Mohr 1997, 27) Um dem ihren eigenen Selbstwert schädigenden Vergleich mit Arbeitenden zu entgehen, entscheiden sich viele Erwerbslose für den Rückzug aus dem sozialen Leben (Deem 1988; Fryer 1992; Madry/Kirby 1996; Spieß 2005). Auch spielen das Freizeitverhalten, die soziale Unterstützung durch andere Menschen sowie weitere kompensierende Faktoren eine Rolle. Besonders eine ehrenamtliche Tätigkeit scheint Erwerbslose vor dem Verlust des Selbstwertes zu schützen und sich positiv auf die Persönlichkeitsentwicklung auszuwirken. Betroffene beschreiben hier vor allem das Gefühl des Gebrauchtwerdens als sehr wichtig (Richter/Nitsche 2002, 174). Die zentralen Ergebnisse der Marienthal-Studie (Jahoda et al. 1975) zeigen die veränderte Zeiterfahrung: Durch den Verlust durchgeplanter Tage bewegten sich die untersuchten Arbeitslosen langsamer fort, der Tag verlor seine Struktur, und das Gefühl für Zeit ging verloren. Auch heute klagt die Hälfte aller Arbeitslosen über Langeweile, Lustlosigkeit und Trägheit (Kieselbach 2000). Kieselbach (ebd.) spricht bei seiner Beschreibung resignierender Arbeitsloser von einer Verlangsamung des Denkens und Handelns, die der Anpassung der Betroffenen an den Umstand des Vorhandenseins einer größeren Menge unausgefüllter Zeit dient und dabei hilft, die empfundene Langeweile subjektiv zu reduzieren (Breig/Leuther 2007). Viele Mitarbeiter von Jobcentern konnten uns diese Befunde bestätigen.
Arbeitslosigkeit hat einen negativen Einfluss auf die Entwicklung von Qualifikationsniveau und beruflicher Kompetenz (Leana/ Feldmann 1992). »Eine gute Qualifizierung als Eintrittsvoraussetzung in den Beruf reicht nicht mehr aus. Die Bereitschaft und Befähigung zu lebenslangem Lernen wird erforderlich« (Bergmann 2000, 139). In Zeiten der Erwerbslosigkeit kommt es zu einem genau umgekehrten Prozess. Bei lang anhaltender Arbeitslosigkeit, so der Tenor in der Fachliteratur, kommt es zu einem Verlust beruflichen Wissens, beruflicher Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kompetenzen (Bergmann 1996; Kirchler/Kirchler 1993; Leana/Feldmann 1995; Pietrzyk 2002; Schaufeli/van Yperen 1993; Svensson 1995; Warr 1987; Zempel/ Frese 2000; Fritsch 2002). Die eben aufgeführten Erkenntnisse stammen vor allem aus Untersuchungen mit Arbeitslosen, die bereits wieder im Arbeitsprozess waren. Die Folgen der Dequalifikation sind vor dem Hintergrund einer sich verändernden Arbeitswelt beachtlich.
Mit Arbeitslosigkeit geht auch der Verlust finanzieller Sicherheit einher (Spieß 2005). Durch das gesunkene Einkommen sind finanzielle Restriktionen nötig, die sich laut Madry/Kirby (1996) zuerst in einer Einschränkung oder Umstrukturierung der Freizeitaktivitäten zeigen. Soziale Aktivitäten, die mit finanziellem Aufwand verbunden sind, müssen möglicherweise aufgegeben werden. Des Weiteren führen finanzielle Engpässe zu familiären Problemen und psychosozialen Belastungen (Ackermann 1997). So ziehen die finanziellen Einschränkungen in der Arbeitslosigkeit Konsequenzen im psychischen, sozialen und gesundheitlichen Bereich nach sich, die letztendlich zu einem qualitativ sinkenden Wert der Freizeitgestaltung führen (Ackermann 1997; Deem 1988; Fryer 1992; Jahoda 1986; Kieselbach et al. 2000; Madry/Kirby 1996; Opaschowski 2006).