Pekulani

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Pekulani
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Ben Tillmann

Pekulani

Das Geheimnis von Doany

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Zusammentreffen

Firma Stiffmann & Co

Ankunft in Madagaskar

Dr. Taozara

Carolin

Der Weg zum Hagasa See

Treffen in der Vanillefabrik

Spuren

Entdeckt

Oase im Urwald

Medizin

Zweifelhafte Versöhnung

Ein schwieriger Fang

Verrat

Die Jagd nach dem Pekulani

Nachtwache

Eine fesselnde Show

Die Ehrenbürger von Madagaskar

Impressum neobooks

Zusammentreffen

Yanick glitt lächelnd zwischen den Besuchern der Galerie hindurch zum Buffet und griff über den Tisch nach drei Champagnergläsern. Er ließ sanft den Korken aus der Flasche, als ihn jemand an der Schulter berührte. Yanick dreht sich halb um und sah Armins besorgte Miene.

„Wer sind denn die beiden Frauen, denen du den Champagner einfüllst?”

„Die Blonde ist Angelika, sie studiert Kunstgeschichte und ist mit irgendeinem Professor zusammen“, meinte Yanick. „Die Schwarzhaarige arbeitet in einem Sonnenstudio.”

„Ist die Schwarzhaarige Single?”

„Ja.”

„Ich hoffe, du interessierst dich für die Schwarzhaarige. Das gibt weniger Schwierigkeiten.”

Yanick verzog keine Miene, obwohl Armin falsch lag.

„Und wie findest du ihn?”, fragte die Schwarzhaarige.

„Wenn ich ihm zuhöre, habe ich auch mal Lust tauchen zu gehen.“ Angelika fuhr sich mit der Hand durch den blonden Wuschelkopf. „Ich möchte mich gerne wieder in die Tiefe hinabsenken.“

„Schon aber…“

„Das muss wirklich wunderschön sein“, unterbrach Angelika. „Rundherum sind überall exotische Fische in ihren schillernden Farben. Und man schwimmt mitten unter ihnen.“

„Das meinte ich nicht.“

„Ich weiß, dass du das nicht meintest.“ Angelika lachte kurz. „Wo denkst du bloß hin?“

„Dir gefallen immer Männer, die sich für die Natur interessieren.“

Angelikas Blick trübte sich. „Mein Mann hat mir kürzlich von torkelnden Elefanten erzählt. Das klang zuerst interessant. Aber dann ging es nur um eine Theorie. Sind die Elefanten von vergorenen Früchten betrunken? Dann müssten sie aber mehr als das Hundertfache ihrer normalen Nahrungsmenge essen. Daran kann es also nicht liegen“, endete Angelika verdrießlich.

„Mach keine Dummheiten”, sagte die Schwarzhaarige.

„Die habe ich vor Jahren gemacht.” Angelika trank ihr Glas und stellte es beiseite. „Heute nicht.”

Yanick wollte schon mit dem Champagner zu den beiden Frauen gehen.

„Moment noch, Yanick.” Armin fasste Yanick am Arm. „Kannst du mir noch das Geld zurückgeben, dass ich dir geliehen habe?”

„Im Moment habe ich keines dabei, aber du kriegst es noch zurück.” Da waren sie wieder. Seine Schulden tauchten auf wie die vielen Bläschen im Sprudel: Schulden bei Armin, bei dem Autohändler, bei der Frau seines Vermieters und bei der Bank.

„Ja klar, Yanick, aber das sagst du schon seit Wochen und ich brauche das Geld dringend.”

„Natürlich gebe ich dir das Geld zurück. Wo ist das Problem?”

„Ja, klar, ich weiß ja, dass du immer dein Wort hältst”, meinte Armin. Er kratzte sich am Kopf. „Ich habe schon Stress zu Hause.”

„Oh”, wehrte Yanick ab. „Davon will ich nichts wissen.”

„Solltest du aber”, meinte Armin. „Ich habe deinetwegen Stress. Sophie sagt, ich soll mich von dir in nichts hineinziehen lassen.”

So, das sagt also deine Freundin, dachte Yanick. Das war natürlich eine weitere Gefahrenquelle.

„Ich brauche das Geld wirklich“, drängte Armin.

„Ich versichere dir, es wird keine Schwierigkeiten geben", meinte Yanick. Alles, was ich brauche, ist eine Chance, dachte Yanick, eine Chance, werde ich auch irgendwie nutzen.

Yanick wachte auf und setzte sich auf die Bettkante. Sein Blick streifte die zerwühlte Bettdecke, die sich langsam, rhythmisch hob und senkte. Am Kopfende schaute ein blonder Wuschelkopf hervor.

Yanick erhob sich leise, um die Blonde nicht zu wecken, und zog sich an. Er glitt leise die Treppe hinunter und blickte flüchtig zu den vielen Photographien einer ständig lachenden Angelika, zwischen denen sich auch vereinzelt Bilder mit einem ernsten Mann mit Anzug und Urkunde befanden.

Yanick erreichte das untere Stockwerk, öffnete die Haustür und trat ins Freie.

„Professor Maisenbacher“, tönte es mit scharfer Stimme.

Verdammt.

Yanick brummte eine Antwort, die weder Ja noch Nein hieß.

Gleichzeitig überdachte er blitzschnell seine Möglichkeiten.

Wenn er nicht Professor Maisenbacher war, warum trat er um die Uhrzeit aus Professor Maisenbachers Haus? Wenn er Professor Maisenbacher war, wäre es das Beste, der Mann trifft nie auf den echten Professor Maisenbacher.

Beides warf Probleme auf.

„Professor Maisenbacher!“, wiederholte der Mann genauso scharf wie zuvor. „Wenigstens treffe ich Sie doch noch. Ich muss Sie unbedingt sprechen.“

Yanick sagte: „Ich habe im Moment gar keine Zeit!“ Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er über den Kiesweg zur Straße.

„Ja, ja. Die Tour kenne ich! Ich rufe Sie seit Tagen an, nur um mich von Ihrer Sekretärin abwimmeln zu lassen! Sie hat sogar behauptet, sie wären zwei Tage verreist. Aber so leicht lasse ich mich nicht abspeisen. Und dann raten Sie mir auch noch, ich soll mir einen Termin geben lassen!“

Yanick machte eine verärgerte Miene. „Es ist eben nicht so einfach einen vielbeschäftigten Menschen zu treffen. Und Sie sehen ja, dass…“

„Ich weiß. Ich weiß. Sie sind vielbeschäftigt“, unterbrach ihn der Mann. „Zum Glück habe ich Ihrer Sekretärin nicht geglaubt und versucht Sie trotzdem hier anzutreffen. Mein Name ist Bossel.“

„Angenehm.“

„Also jetzt reden wir doch mal Klartext! Ich schlage vor, Sie geben mir fünf Minuten und hören sich mein Angebot an.“

„Wissen Sie? Ich bin wirklich sehr in Eile…“ Yanick ging weiter.

Nicht ablenken lassen, dachte Yanick.

„Verdammt noch mal!“, brauste der Mann auf. „Es geht um die Reise nach Madagaskar. Wir müssen Sie unbedingt dabeihaben.“

„Ach… ach wirklich?“ Yanick sah auf. Was hatte Bossel da gerade gesagt? Yanick schielte zum Nachbarhaus. Es war alles still.

„Wissen Sie, ich bin gerade am Gehen…“

„Professor Maisenbacher! Ich habe nicht den Weg gemacht, um mich noch einmal abspeisen zu lassen. Ich lasse Sie jetzt nicht so einfach davonkommen. Geben Sie mir wenigstens eine Antwort! Ich kann auch anders werden!“

Yanick fixierte Bossel. Kräftig gebaut. Breite Stirn, große Hände.

„Sie brauchen eigentlich gar nicht viel tun. Sie müssen nur mit mir nach Madagaskar fliegen. Wir brauchen Sie. Deshalb kommen wir für die Kosten auf und wenn Sie sie finden, erhalten Sie eine Belohnung.“

Das ist sie, dachte Yanick. Seine Chance. Ein Auftrag in Madagaskar, Traumstrände inklusive.

„Tja, immer diese Hektik!“ Yanick schüttelte den Kopf. „Zu Ihrer Frage, Herr Bossel. Ich kann Ihnen natürlich keine positive Antwort erteilen, bevor ich nicht die genauen Details kenne.“

„Lassen Sie mich Ihnen erklären, …“

„Gerne, gerne.“ Yanick warf ein Blick auf das Haus, in dem ein Licht anging. „Ich würde dennoch vorschlagen, nicht hier. Dem Charakter des Gesprächs entsprechend sollten wir lieber ein ruhigeres Plätzchen suchen.“

Bossels Miene hellte sich auf. „Einverstanden.“

Bossel und Yanick nahmen ein Taxi. Während der Fahrt telefonierte Bossel kurz und teilte der Person am anderen Ende mit, dass er Professor Maisenbacher getroffen habe und wohin sie fuhren.

Professor Maisenbacher. Der Klang des Titels und des Namens waren vielversprechend. Doch würde er als Professor durchgehen? Wenn ja, dann höchstens als einer dieser Senkrechtstarter, die in jungen Jahren schon in den besten Fachzeitschriften veröffentlicht haben und mit 32 Professor wurden. Ein zielgerichteter Mann mit eigenwilligen Vorstellungen. So wie der echte Professor Maisenbacher.

 

Sein Betrug könnte jederzeit aufgedeckt werden, wenn jemand den echten Professor kannte. Und dann?

Er musterte Bossel, dessen muskulöse Oberarme, die sich unter dem Jackett spannten.

Yanick riss sich sofort wieder zusammen. Das war seine Chance! Er hatte den ersten Schritt gemacht, um sich mit einem Befreiungsschlag seiner Schulden zu entledigen. Es durfte nicht schiefgehen.

Yanick atmete tief durch.

Und plötzlich lächelte Yanick wieder ganz entspannt.

Madagaskar.

Firma Stiffmann & Co

Im Café Maxx servierte ein Kellner Rotwein in einer fein ziselierten Karaffe. Er füllte die Gläser und zog sich mit einer kaum merklichen Verbeugung zurück.

Ein Mann mit Glatze und lichten, weißlichen Augenbrauen eröffnete das Gespräch. „Mein Name ist Schneider. Ich leite die Firma Stiffmann & Co. Zunächst mal möchte ich Ihnen danken, dass Sie noch so schnell kommen konnten. Um gleich auf den Punkt zu kommen, wir wollen unbedingt einen Pekulani haben.“

Schneider beobachtete ihn, um die Wirkung seiner Worte abzuschätzen. Neben Schneider und Bossel saß ein schlanker Typ mit zierlicher Brille, dessen Augenlid nervös zuckte.

„Einen Pekulani“, wiederholte Yanick. Er hatte keine Ahnung, was das sein sollte. Und er hatte das Gefühl, er sollte wissen, was das ist.

„Um genau zu sein ein Paar“, erläuterte Schneider. „Männchen und Weibchen. Wir wissen, dass das eine... delikate Angelegenheit ist. Aber, Professor Maisenbacher, Sie könnten uns doch sicher behilflich sein, dieses Tier zu besorgen.“

„Einen Pekulani“, wiederholte Yanick nachdenklicher als beim ersten Mal. Er musterte Schneider. Mit seinem hochgekrempelten Hemd passte er kaum in dieses schicke Café. Allerdings war Schneider nicht der Typ, den so etwas jemals stören würde. Bossel genau so wenig. „Das ist nicht einfach“, sagte Yanick schließlich.

„Sie sagen es. Deshalb wollen wir auch, dass Sie die Sache übernehmen.“

Der schlanke Typ zuckte wieder nervös mit einem Augenlid und fing sich einen finsteren Blick von Bossel ein.

„Ein Pekulani ist eine sehr heikle Sache“, sagte Yanick.

„Heikle Sache.“ Schneider lachte kurz auf. „Ich sehe, Sie haben Humor. Gefällt mir.“

Die Geschichte fing an, Yanick Vergnügen zu machen und er verkündete: „Ja, das ist schwierig. Aber ich kann Ihnen versichern, Sie haben dafür den besten Mann ausgewählt. Wahrscheinlich werden Sie kaum jemand anderes in dieser Stadt... ich meine überhaupt finden, der Ihnen einen Pekulani herbeischaffen kann.“

„Sie haben ihn in der Nähe von Doany entdeckt?“, fragte Bossel.

„Richtig!“

„Dann wäre es doch das Beste, dort nach ihm zu suchen.“

„Das wäre sicher das Beste.“

„Wie sieht es denn in Madagaskar mit dem Pekulani aus?“, fragte Schneider. „Was halten Sie von seiner Verbreitung dort?“

„Bestens, bestens“, antwortete Yanick.

„Ich dachte, er ist extrem selten“, meinte Bossel.

„Oh ja. In der Tat. Insgesamt betrachtet ist er natürlich extrem selten. Aber wenn man die Gegend kennt, in der er sich aufhält, kann man ihn nicht verfehlen.“

„Ausgezeichnet“, bemerkte Schneider.

Und Bossel meinte: „Wegen Ihres Artikels gibt es noch einige Unklarheiten. Sie erwähnen dort die Besonderheiten des Pekulanis.“

„Richtig, richtig“, bemerkte Yanick nachsinnend.

„Gerade seine Verhaltensweisen“, warf Schneider ein. „Das ist doch sehr außergewöhnlich.“

„Ja, in der Tat. Da habe ich einiges beobachtet“, bestätigte Yanick. „Dieser Pekulani... er verhält sich genau wie seine Artgenossen.“

„Nein.“

„Doch, genauso.“

„Und?“, mischte sich der Bebrillte ein.

„Ich würde sogar sagen, er ist in jeder Beziehung genauso, wie es gemeinhin behauptet wird.“

„Ausgezeichnet“, rief Schneider. Er warf Bossel einen Blick zu, der besagen sollte, siehst du, was habe ich gesagt, habe ich doch recht gehabt, diesen Mann zu bestimmen, einen Pekulani zu fangen.

Bossel verzog keine Miene. Wieder wurde Yanick für einen Augenblick mulmig bei dem Gedanken, wie die drei es aufnähmen, wenn der Schwindel auffliegen würde. Sicher nicht lustig!

Bossel gab sich einen Ruck. Er wollte noch weitere Fragen stellen, doch Schneider kam ihm zuvor.

„Gut, dann wäre erst einmal alles geklärt. Kommen wir an den Kern der Angelegenheit“, erklärte Schneider. „Die Sache ist uns einiges Wert. Für ein Pärchen 80.000 €!“

„80?“

„Mehr ist nicht drin. Die Spesen übernehmen wir.“

„80? Für ein Pärchen?“

„Also gut. 100. Keinen Cent mehr.“ Schweißperlen tauchten auf der Stirn Schneiders auf. „Natürlich nur für ein aktives Pärchen.“

100.000 € für ein lebendes Pekulani-Pärchen, dachte Yanick. Sein Riecher war richtig gewesen. Das war seine Chance. Er zögerte einen Moment und sagte dann: „Akzeptiert.“

„Sie nehmen… an?“

„Hm, ja... ich meine... wie könnte ich das ablehnen.“

„Dann geht der Handel klar.“ Schneider bot ihm die Hand an und Yanick schlug ein.

„Bossel fliegt mit Ihnen“, fuhr Schneider fort. „Ach und noch etwas. Ich will nicht, dass die Angelegenheit länger als eine Woche dauert. Wir haben alle unsere Pläne. Und gerade jetzt stehen wir ziemlich unter Stress.“

„Eine Woche ist verdammt kurz.“

„Mehr Zeit haben wir nicht. Aus betrieblichen Gründen. Sollte etwas schiefgehen, kann ich verdammt unangenehm werden. Sie verstehen, was ich meine?“

„Ich verstehe. – Spesen im Voraus?“, fragte Yanick forsch.

„Den Flug und 10.000 Vorschuss. Den Rest nach Erhalt der Ware.“

„Einverstanden.“

„Sollten wir zur Sicherheit nicht noch Kinkretz mitschicken? Oder gibt es noch Probleme in Asien?“, fragte der Bebrillte.

Schneider und Bossel fuhren beide herum. Sie starrten ihn unangenehm an. Der Bebrillte zog seinen Kopf schildkrötenhaft ein.

„Kinkretz fliegt nach Asien“, sagte Schneider nachdrücklich. Dann wandte er sich an Yanick. „Es bleibt dabei. Bossel wird Sie begleiten!“

„Ich regele die Sache schon“, knurrte Bossel und der Bebrillte zog seinen Kopf noch weiter ein.

Wer ist denn Kinkretz, fragte sich Yanick. Und warum flog er mit Bossel? Er wäre lieber mit dem Bebrillten nach Madagaskar geflogen. Da hätte er leichtes Spiel gehabt.

„Ich gehe davon aus, Sie brauchen nicht lange, um sich reisefertig zu machen“, fragte Bossel.

„Natürlich nicht.“

„Gut. Ich bestätige dann die beiden Reservierungen. Wir nehmen morgen um 12 Uhr die Maschine nach Madagaskar. Ich hole Sie mit dem Taxi ab. Die Flugtickets habe ich.“

Yanick stand am Rand seiner Terrasse und knabberte an einem warmen Croissant. Er holte das Handy hervor. Keine Antwort. Er steckte das Handy wieder ein.

Mit den Fingernägeln schnickte er ein paar Krümel vom sanft geschwungenen Geländer, die vier Stockwerke in die Tiefe segelten, vorbei an Wohnungen, in denen Menschen vor dem Computer hingen, vorbei an einer Bäckerei, in der immer mitten in der Nacht das Licht anging und junge Menschen ihre Gesundheit ruinierten, während sie von einem besseren Leben träumten.

Sein Rucksack stand da, leer. Was sollte er auch einpacken? Er hatte noch von seinem letzten Urlaub eine halb vollständige Strandausrüstung mit Flossen, Taucherbrille und einem Fangnetz. Er besaß Stiefel, um auf Felsen herumzuklettern. Doch was braucht man, um einen Pekulani zu fangen?

Er sah wieder auf sein Handy. Seine 13 Anrufversuche leuchteten ihm auf dem Display entgegen. Doch keine Antwort.

Die Zeit wurde langsam knapp.

Er rief ein Taxi und ließ sich einige Häuserblocks weiterbringen. Yanick klingelte bei einem mehrstöckigen Haus.

Niemand reagierte auf sein Klingeln, also probierte er es bei einer anderen Wohnung. Eine ältere Dame ließ ihn ins Treppenhaus. Da es nicht für sie war, fegte sie weiter im Treppenhaus, allerdings ohne Yanick eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Yanick lief in den zweiten Stock, klingelte Sturm und pochte gegen die Tür.

Eine völlig verschlafen aussehende Frau öffnete ihm schließlich.

„Hi Sophie! Ist Armin da?“

„Bringst du das Geld vorbei?“

„Nein, ich muss mit Armin sprechen.“

„Er ist noch nicht ansprechbar. Komm später wieder.“

„Ich kann nicht. Ich verreise.“

„Komm später noch mal wieder.“

Sie wollte die Tür schon schließen.

„Ich kann nicht. Mein Flugzeug geht um 12 Uhr. Ich muss um 10 Uhr fertig sein.“

Sophie verzog einen Mundwinkel und machte ein wenig Platz.

Yanick rauschte vorbei. In Armins Zimmer hielt er sich die Nase zu. Armin hatte sich wohl in der Galerie zulaufen lassen.

Yanick nahm eine Mineralwasserflasche, die neben dem Bett stand und öffnete sie.

Er schüttete Armin etwas Wasser ins Gesicht.

Armin machte keinen Mucks.

Yanick leerte noch mehr Mineralwasser über Armins Kopf aus, dann schüttelte er ihn.

Ein Augenlid zuckte ein wenig.

„Armin, Armin. Wach auf!“

Yanick leerte die Flasche ganz.

„Oh…“ Armin stöhnte.

„Hey, hey Armin! Wach auf!”

Armin öffnete die Augen, starrte schräg an Yanick vorbei, verdrehte die Augen und sackte wieder weg.

„Armin!“ Yanick schüttelte ihn. „Armin! Was ist ein Pekulani? Und wie fängt man ihn?“

Armin öffnete erneut die Augen.

Yanick gab ihm zwei saftige Ohrfeigen.

Jetzt klärten sich die Augen Armins etwas.

Im selben Augenblick spürte Yanick einen Stoß gegen die Schulter und er segelte Kopf voran in ein Bücherregal.

„Jetzt langt es aber“, herrschte Sophie ihn an. „Er muss schlafen. Schlafen. Verstehst du?“

Yanick hielt sich die Stirn. „Klar, aber ich brauche ihn…“

„Aber er braucht dich gerade nicht. Er braucht Schlaf. Mir gefallen ohnehin deine Machenschaften nicht.“

Er rappelte sich hoch. „Wie meinst du das?“

„Immer, wenn du Armin brauchst, gibt es hinterher Probleme. Wie war das das letzte Mal? Ich brauche Armin, um einen BMW zu leihen. ZU LEIHEN! Dass ich nicht lache.“

„Ich habe den BMW doch zurückgebracht.“

„Ja, aber…“

„Ich musste halt schnell nach Basel, eine Kundin besuchen.“

„Wozu gibt es Züge?“

„Verstehe, verstehe.“ Yanick merkte, dass die Stimmung ungünstig war, um ihr die Sache zu erklären. Ihm war klar, dass sie nicht genügend Weitblick besaß, um den Sinn solcher Aktionen richtig einschätzen zu können. Woher sollte jemand wie Sophie wissen, dass man manchmal jemanden einfach beeindrucken musste? Er warf einen Blick auf die Uhr. „Du hast recht. Ich komme später noch einmal wieder. Das heißt… ich rufe ihn an.“

Yanick ging an Sophie vorbei. Sie folgte ihm bis zur Haustür.

Er zog die Tür hinter sich zu und rannte die Treppe hinunter.

„So eilig?“ Die ältere Dame im Treppenhaus hörte auf zu fegen. „Gehen Sie schon wieder?“

„Ja, ich fliege nach Madagaskar.“

„Um Gottes Willen! Was machen Sie denn da?“

„Ich gehe auf die Suche nach einem Pekulani“, rief er und lief weiter. „Den werden Sie nicht kennen.“

„Doch natürlich!“ Die ältere Dame stemmte entrüstet die Hände in die Hüften.

„Was?“ Er bremste so abrupt, dass er beinahe hingefallen wäre. Wie konnte eine Frau, deren Leben vermutlich nur aus Kreuzworträtseln und Putzgegenständen bestand, wissen, was ein Pekulani ist, fragte sich Yanick.

„Ich kenne natürlich einen Pekulani“, erklärte sie.

„So? Was...“

„Sie können nicht einfach behaupten, ich wüsste nicht, was das ist.“

„Ja, gute Frau. Sagen Sie doch...“

„Sie glauben doch nicht etwa, nur weil ich alt bin, weiß ich nicht mehr so genau Bescheid.“

Er warf einen weiteren Blick auf seine Uhr. „Jetzt sagen Sie doch...“

„Ich bin noch hundertprozentig am Ball. Fit und rüstig.“

„Natürlich. Dann sagen Sie mir doch bitte, was Sie meinen, was ein Pekulani ist, und ich sage Ihnen, ob Sie Recht haben. Einverstanden?“

„Gut. Ein Pekulani ist ein Vogel.“

„Ein… ein Vogel?“

„Ein Wasservogel, um genau zu sein.“

„Wasservogel? Aha… Prima. Phantastisch. Sie haben natürlich recht. Ich gratuliere Ihnen. Entschuldigen Sie, wenn ich anfangs meinte, Sie würden so etwas Einfaches nicht wissen.“

 

„Schon gut.“

Yanick rannte weiter die Treppe hinunter. Seine Augen funkelten vor Freude. Nach Madagaskar fliegen, das süße Leben genießen, ein Wasservögelchen fangen, 100.000 € einstreichen.

Ein besseres Los konnte man nicht ziehen.

Hätte Yanick sich etwas mehr Zeit gelassen, dann wäre ihm vermutlich aufgefallen, dass ein unsicheres Flackern über das Gesicht der älteren Dame huschte. Sie lehnte den Besen an die Wand und ging zurück in ihre Wohnung. Im Wohnzimmer öffnete sie nervös den Schrank und kramte nach ihrem Kreuzworträtsellexikon. In der Rubrik Wasservögel war bei sieben Buchstaben ein Pelikan aufgeführt. Im Bereich Waldvögel fand sie zur Frage ‚Waldvogel in Europa, Skandinavien und Nordamerika’ den achtbuchstabigen Pinicola.

Keinen Pekulani.

Sie brachte einfach alles durcheinander.

Dieser junge Mann, dachte sie. Er hatte nur deshalb nicht protestiert, weil er sie nicht kränken wollte. Alle im Haus wussten wohl schon längst, dass ihr Gedächtnis sie im Stich ließ. Jetzt war es sogar schon so weit, dass fremde Menschen es bemerkten, Rücksicht nahmen und sie anlogen.