Lebenstabus

Text
From the series: Leben mit Verantwortung #10
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Lebenstabus
Font:Smaller АаLarger Aa

Beate Reinecker

Lebenstabus

Band 10 der Reihe "Leben mit Verantwortung"

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Lebenstabus

Die schnell abrufbaren Inhalte

Die Kröte im Verließ

Verstrickungen

Die scheinbar schnelle Lösung

Der Peitschenhieb

Der Kick, die Dröhnung, die innere Leere

Wann sind wir da?

Die Scheinvernunft

Die innere Leere

Lebenstabus

Die verbotene, unbequeme Frucht

Die Zweifel an dir

Der doppelbödige Herrscher

Der Verwundete

Das Loslassen

Der tägliche Spagat

Nichts geschieht ohne Grund

Impressum neobooks

Lebenstabus

Manchmal fragst du dich, was deine Unversehrtheit mit deiner Mündigkeit zu tun hat. Diese Lebensbereiche kannst du oft nicht gleichzeitig denken, denn du fühlst dich in der Komplexität des Lebens überfordert. Am liebsten würdest du deine Verantwortung das eine oder andere Mal abgeben. Du ertappst dich dabei, dass du andere für deine Schieflagen verantwortlich machen willst. Dabei geht dir wertvolle Zeit verloren. Es ist deine Lebenszeit, in der du deine Verantwortlichkeit trainieren musst. »Nimm dein Lebensruder in die Hand und begreife, dass du jeden Tag aufs Neue um dich kämpfen musst. Du darfst nicht nachlassen und niemals aufgeben! Schau dich an und versuche zu verstehen, was und wer dir nicht gut tut. Wer legt dir Steine in den Weg? Wer schwächt dich?« Deine Unversehrtheit ist die Voraussetzung zur Chance auf Selbstbestimmung, auf Mündigkeit. Wenn du kräftig und selbstbewusst sein darfst, so kannst du für dich sorgen, für dich entscheiden und frei denken. Wenn du in Freiheit leben und denken kannst, so wirst du selbstständig Entscheidungen treffen. Das alles bedeutet Arbeit, Arbeit an deinem Selbst. Dein Körper und deine Seele brauchen Nahrung, tägliche Unterstützung, die Reinigung von den Giften jeglicher Destruktivität. Nur der gesunde, aufgeklärte Geist kann es schaffen, mündig zu denken und zu handeln. Nur der freie, selbstbestimmte Mensch kann sein Lebensruder in die eigene Hand nehmen. Nur ein frisches, waches Gehirn kann die komplizierten Anforderungen des Lebens begreifen, die Kontexte erkennen. »Erarbeite dir deine Mündigkeit, denn sie bedeutet Freiheit und Unabhängigkeit. Der freie Mensch ist der Garant unserer Demokratie. Der freie Denker wird nicht zum verblendeten Mitläufer.« Es ist anstrengend, verantwortlich zu sein. Es ist so aufreibend, ein mündiger Bürger zu werden. Die Gier ist der Feind der Mündigkeit. Die Gierigen lieben keine Mündigen. Die Herrschsüchtigen hassen die Denkenden und Mündigen. Die Dominanten wollen weiterhin ihre Märchen erzählen und sie wollen ihre Vorteile, ihre Pfründe sichern. Der Denkende, Mutige wird abgeschmettert und ausgelacht. Niemand kann sich weiterentwickeln, wenn er die Schuld und die Ursachen bei anderen sucht. Auch im kleinen Rahmen können wir mutig, mündig und verantwortlich handeln, Tag für Tag. Dir geht kostbare Zeit verloren, wenn du immer die anderen mit Vorwürfen überziehst. »Nimm dein Lebensruder in die Hand und lasse nicht nach, um dich und für dich zu kämpfen! Deine Unversehrtheit bietet die Voraussetzung dazu, dass du mündig leben kannst. Nur wenn du kräftig und ungebrochen genug bist und bleibst, kannst du mündig, selbstbestimmt entscheiden.« Du brauchst den Durchblick, den Klarblick. Dein Körper und deine Seele brauchen Nahrung und Unterstützung in schweren Zeiten, denn sie müssen immer wieder von den Vergiftungen gereinigt werden. Du brauchst die Aufklärung, um mündig zu handeln. Dein frisches Gehirn wird die Fallen erkennen. Dein klarer Verstand kann die Kontexte des Lebens denken. »Erarbeite dir deine Mündigkeit, denn sie bedeutet Freiheit und Unabhängigkeit! Erarbeite dir deine Mündigkeit, denn sie wird dir helfen, kein Verbogener zu werden. Deine Mündigkeit ist dein Schutz, deine Chance auf Unversehrtheit.«

Die schnell abrufbaren Inhalte

Bequemlichkeit und Denkfaulheit, wo führen sie hin? Immer wieder suchst du nach den schnell abrufbaren Inhalten. Du willst die schnellen Lösungen, Patentrezepte und immer wieder irgendwelche Richtlinien. Am liebsten hast du es, wenn Autoritäten dir dein Leben in sicheren Bahnen und Anleitungen vorkauen. Gleichzeitig wehrst du dich, wenn andere über dich das Sagen haben wollen. Du lebst in Widersprüchen. Deine Bequemlichkeit führte zur Denkfaulheit. Deine Autoritätshörigkeit beförderte dich geradewegs in die Unfreiheit. Nichts davon ist dir wirklich bewusst, denn den unbequemen Gedanken weichst du wieder aus. Du lebst in vielen Widersprüchen, du läufst in Schlangenlinien. Ein freier, mündiger Geist ist nicht zu erkennen. Du bist ängstlich und du willst immer wieder die Absolution irgendwelcher Autoritäten. Wo soll das hinführen? Je älter du wirst, umso widersprüchlicher entscheidest du. Man kann weder ein Konzept, noch eine Ethik, noch tieferliegende, logische Strukturen erkennen. Du lässt dich treiben, obwohl du krampfhaft den Vorteil suchst. Du lässt dich treiben, weil du den Vorteil suchst. Das fällt nicht sofort auf, da die Gier vieler den Alltag bestimmt. Dein Selbst ist dir zu anstrengend geworden, da es Wege anmahnt, die dir immer wieder zu mühsam erscheinen. Das Kümmern um Nachhaltigkeit und Werte erscheint dir oft sinnlos, zu unbequem, denn du willst vorwärtskommen in einer Welt, in der die schnellen Vorteile zählen. Dein Sicherheitsdenken lässt dich ins Schleudern geraten, da du keine eigenen Wertmaßstäbe entwickelt hast. Du willst die schnell abrufbaren Inhalte, und Menschen gehen dir gegen den Strich, die mal länger reden oder analysieren wollen. All diejenigen, die die schnellen, bequemen Lösungen parat haben, sind gern gesehene Kaffeekränzchengäste. Wenn alle nicken und freundlich zustimmend lächeln, ist dein Tag in Ordnung. Du rufst gerne diejenigen an, die dir die schnellen Lösungen anbieten. Manchmal wird dir bei deinem Lebenstempo schon schwindelig. Du rast durch dein Leben und die kurzen, einfachen Raster sollen dir helfen. Immer wieder suchst du nach Trampelpfaden und ausgetretenen Wegen, die dir als sicher und bequem erscheinen. Du willst ans Ziel, du kennst keine Geduld und keinen Tiefgang. Du glaubst, dass du planst, und willst dein Glück erzwingen. Menschen, die dir den Ball des Lebens zurückwerfen, die dir die Verantwortung an dich selbst zurückgeben wollen, stören dich. Tipps und leicht eingängige Kost sollen dein Leben versüßen, leichter gestalten. Es muss doch für alles die schnelle Lösung geben. Es muss doch den rechten Weg geben und es müssen die passenden Formeln, die rechten Gebete und Absicherungen irgendwo zu finden sein. »Doch wo bleibt das Verstehen? Wo bleiben die eigene Erfahrung und das gewachsene Betrachten der Wirklichkeit? Wo und wann kann die eigene Urteilsfähigkeit heranreifen? Kannst du zu dir selbst finden und dir einen eigenen Standpunkt erarbeiten, wenn du nach schnellen Lösungen gierst und die Mantras der anderen nachplapperst? Ist dir dein eigenes Selbst zu anstrengend geworden, da sein Wachstum nach Arbeit ruft? Kannst du deine eigene Stimme noch wahrnehmen in deiner Umgebung der oberflächlichen Tipps und Termine?« Du bist zum Lebensflüchtling geworden. Flüchtige Eindrücke, überflüssige Kontakte, schnelle Ratschläge und ein voller Terminkalender. Du suchst nach Vorkostern für dein Leben, denn du willst nicht reinfallen, dich nicht verletzen, nichts wirklich wagen. Andere sollen deine Lebensroute ausleuchten. Du wirst immer schwächer, abhängiger und fehlgeleiteter. Die unbequemen Denker hast du verraten und verscheucht, während du die Menschen der flotten Sprüche anhimmelst. »Wo sind deine Lebensantennen geblieben?«

Die Kröte im Verließ

Die Kröte war durch ein großes Gitter gerutscht und in Gefangenschaft geraten. Das Kellerverließ war sehr tief und sie konnte es nicht wieder durch eigene Kraft verlassen. Der Hauseigner fütterte die Kröte. Er beobachtete diese täglich und sie wuchs ihm ans Herz. Er konnte ein Tier, eine lebendige Kreatur beobachten und dies nahm ihm ein wenig die Einsamkeit in dunklen Stunden. Dieser lebendige Mitbewohner wurde gefüttert und mit frischem Wasser versorgt. Der Kröte fehlte somit an nichts, außer an Freiheit. Diese wurde immer fetter, behäbiger und apathischer. Ihre Muskeln verkümmerten. Die Kröte schaute manchmal hinauf zum Licht, doch ihre Augen wurden immer empfindlicher, sie nahm nur noch Schatten war. Ihre Sehkraft ließ Tag für Tag mehr nach. Das Verließ war klein und dunkel und die Natur, die Tiere und ein natürliches Umfeld schienen meilenweit entfernt, obwohl es direkt vor dem Verließ üppige Wiesen und Felder gab. Vielleicht konnte die Kröte die Gerüche der Freiheit wahrnehmen. Das Verließ gab ihr die Sicherheit, nicht gefressen zu werden und somit hatte sie die Aussicht auf ein langes Leben. In dem Gefängnis würde sie niemals verhungern oder überfahren werden. Die Jahreszeiten wechselten. Manchmal versuchte die Kröte, selbst Fliegen zu fangen. Sie lag auf der Lauer und streckte ihren Hals Richtung Gitter, dem Licht entgegen. Es waren die letzten Versuche, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Manchmal saß sie stundenlang auf der Lauer, so als wolle sie sich selbst beweisen, dass sie noch zu etwas nütze war. Sie lebte mit der Erfahrung, gefüttert zu werden, sie lebte mit der sicheren Gewissheit, abhängig zu sein. Sie konnte der Gefangenschaft nicht aus eigener Kraft entkommen und sie wurde schwächer und schwächer. Sie war ihrem Gönner ausgeliefert. Die natürlichen Gefahren des Lebens waren weit entfernt. Die natürlichen Freuden ebenso. Die Genüsse der Freiheit waren unerreichbar und sie dämmerte vor sich hin. Im Verließ würde sie niemals schwimmen oder weite Strecken laufen können. Sie war auf die Gnade ihres Versorgers angewiesen. Die Kröte verkümmerte immer mehr und sie bewegte sich nur noch selten. Sie verspürte kaum mehr den Impuls, selbstständig Fliegen zu fangen. Die Fettleibigkeit machte ihr immer mehr zu schaffen. Vielleicht hatte sie sich schon aufgegeben. Sie unterließ es nun auch, an den Wänden empor zu klettern, da alle Versuche schon vor längerer Zeit gescheitert waren. Manchmal drehte sie sich im Kreis und es war ein schrecklicher Anblick, sie so zu sehen. Die Kröte verkümmerte zusehend. Sie verlor jeden Antrieb. Jeder Mensch, der einen Bezug zu Tieren aufbauen kann, wird diesen schrecklichen Anblick nicht vergessen können. Der eigene Antrieb, überhaupt noch irgendetwas zu tun, löste sich völlig auf und die Kröte erlebte als einzige Aufregung eines jeden Tages nur noch ihre Fütterung. Fette Regenwürmer wurden durch das Gitter geworfen. Der Hausbesitzer wollte die Kröte niemals hungern lassen. Er sorgte akribisch für das Tier, während seine Freunde ihn kritisierten. Sie drängten darauf, sich von der Kröte zu trennen. Er selbst konnte es zunächst nicht umsetzen. Sein Herz hing an dem Tier. Es war zu einem engen Mitbewohner geworden. Der Hausbesitzer rang mit sich und er wusste, dass die Kröte litt. Er selbst hatte sich an das Leben des Tieres im Verließ gewöhnt, er selbst hatte Trost und Geborgenheit durch das Tier empfangen und so manche einsame Stunde war weniger einsam und schmerzhaft geworden. Dennoch entschied er sich, dem Tier seine Freiheit zu geben, zu gönnen. Er hatte die Kröte, so gut es ging, umsorgt, ihm Sicherheit und Schutz gegeben. Er hatte sie aber in all der langen Zeit nicht in die Freiheit entlassen. Dem Hausbesitzer war klar, dass diese fette Kröte, sein geliebtes Tier nun unzähligen Gefahren ausgeliefert sein würde. Die Vögel würden leichte Beute haben. Er hatte die Kröte zu lange beschützt und somit unbeweglich werden lassen. Er hatte die Kröte seinen Freunden gezeigt, sie vorgeführt. Er hatte sie beschützen wollen und sie lichtempfindlich werden lassen. Vieles war ihm anfänglich nicht bewusst gewesen. Mit der Zeit hatte er die Kröte liebgewonnen und genau in dieser Zeit war das Tier fast erblindet, schwach und unbeholfen geworden. Die Fürsorge hatte aus dem Tier ein schwaches Lebewesen werden lassen und es bestand nun die berechtigte Sorge, ob es überhaupt noch in Freiheit überlebensfähig war. Der Hausbesitzer zögerte nicht mehr lange, denn er wollte dem Tier ein lebenswerteres Leben geben. Er setzte die Kröte in einen Bachlauf und sie tauchte unter und schwamm davon. Er sah zu, wie das Tier mit seinen dünnen Beinen strampelte und sich unbeholfen, leicht paddelnd bewegte. Es war ihr Schwimmstil nach langer Gefangenschaft. Eine große Sorge überfiel den Hausbesitzer, denn ihm war nun vollends bewusst, dass er die Kröte viel zu lange nicht freigegeben hatte. Schuldgefühle breiteten sich aus. Ob sie überleben würde? Die unbeholfenen Schwimmzüge mit den dünnen Beinchen schockierten ihn. Das Tier hatte keine Erfahrungen sammeln dürfen. Es konnte sich nicht ausprobieren, nicht stark und unabhängig werden. Seine Instinkte waren noch vorhanden, denn es hatte auch im Verließ nach Fliegen geschnappt. Die Muskelkraft und das Augenlicht hatten extrem gelitten. Die Fettleibigkeit zeugte von einem ungesunden Lebensraum. Das Verließ hatte es zu einem schwachen Lebewesen werden lassen. Es war auf den Grund des Bachlaufs getaucht. Der Besitzer konnte die Kröte nicht mehr sehen, doch er wusste, dass die Vögel der Umgebung sie entdecken würden, wenn sie sich nicht schnellstens versteckt. Er nahm Abschied vom Bachlauf und von der Kröte und ging langsam und traurig nach Hause. Sein Innerstes wurde jedoch nach kurzer Zeit friedlich und beinahe glücklich. Er wusste, dass die Kröte schwimmen, frei springen und Fliegen fangen würde. Er wusste, dass sie dies versuchen würde. Er wusste auch, dass sie nun wieder neue Lebenskräfte entwickeln könnte. Er war nun nicht mehr in der Lage, die Kröte zu sehen, doch vor seinem inneren Auge schwamm sie nun durch die Natur. Es stellte sich bei ihm ein tiefes Gefühl einer inneren Befriedigung ein. Er hatte es richtig gemacht und er wusste, dass ein Tag in Freiheit für die Kröte bereits unendlich kostbar sein würde. Die Kröte wurde nie mehr gesehen. Sie war in der Gefangenschaft zu einer schwachen Kreatur geworden. Sie hatte die Freiheit nicht leben dürfen und wurde voraussichtlich somit in Freiheit ein Opfer der Unfreiheit. Sie hatte nicht gelernt in Freiheit zu leben. Sie durfte nicht lernen in der Freiheit zu überleben. Ihre Muskelkraft war kaum trainiert worden und ihre Instinkte waren fast vollständig verkümmert. Das Leben in Unfreiheit und Apathie, hatte aus der Kröte einen behäbigen, unselbstständigen Zombie werden lassen. In den Zeiten der Unfreiheit waren die Gefahren weit entfernt. Unter den scheinbar absolut sicheren Lebensbedingungen gab es keine Genüsse eines selbstbestimmten Lebens. Dennoch durfte sie einige Momente eines freien Daseins genießen und somit erleben, was Freiheit bedeutet. Ihr Körper wurde am Leben gehalten, während sie in vieler Hinsicht verkümmerte. Niemand hatte sie jemals wiedergesehen, doch vielleicht konnte sie kräftig werden, vielleicht hatte die lange Zeit der Unfreiheit ihren Tribut gefordert. Niemand weiß es.

 
You have finished the free preview. Would you like to read more?