Deine Liebe ist ein Juwel

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Font:Smaller АаLarger Aa

Während sie vor Schmerz wie betäubt war, litt Frans Wyntack Höllenqualen. Tagelang saß er in seinem Atelier und starrte auf eine Leinwand, die er immer wieder mit kleinen Portraits ihrer Mutter bemalte, die Bilder jedoch sofort wieder wegwischte, als würden sie der Frau, die er abgöttisch geliebt hatte, nicht gerecht.

»Sie müssen ihn dazu bringen, daß er wieder malt«, sagte Hannah eines Tages energisch. »Es ist kein Geld mehr da, und wenn Sie auch keinen Hunger verspüren, Miss Cyrilla, ich habe welchen!«

Cyrilla mußte zugeben, daß Hannah recht hatte. Ruhig, aber bestimmt teilte sie Frans Wyntack mit, daß er wieder malen müsse, da sie nichts mehr hätten, was sie verkaufen könnten.

Zunächst weigerte er sich, weitere Fälschungen zu produzieren, die er nur ihrer Mutter zuliebe angefertigt hatte, und begann wieder eigene Bilder zu malen. Doch dafür bekamen sie jeweils nur wenige Schillinge, und die reichten gerade, um die Leinwand zu bezahlen.

Schweren Herzens trennte Cyrilla sich von den wenigen Wertsachen, die ihre Mutter besessen hatte, einem Seidenschal, einem Spitzenkragen und einem Pelzmuff, und als nichts mehr da war, ging sie entschlossen ins Atelier und sagte: »Einer von uns muß etwas Geld verdienen. Vielleicht kann ich irgendwo Böden schrubben, denn für eine andere Tätigkeit tauge ich nicht.«

Frans Wyntack betrachtete sie, als sähe er sie zum ersten Mal. Sie war ihrer Mutter sehr ähnlich, die ihm bei ihrer ersten Begegnung als das schönste Geschöpf erschienen war, das er je gesehen hatte.

Cyrillas Gesicht war vom Kummer und der mangelnden Ernährung schmal und das Kinn spitz geworden, und ihre Augen wirkten übergroß. Sie hatte ihn vor dem Frühstück in seinem Atelier aufgesucht und deshalb ihr Haar noch nicht aufgesteckt. Es fiel offen über ihre Schultern und glich im Morgenlicht einer schimmernden Woge. Das Außergewöhnliche daran war der Silberschein, der ihrem Haar anhaftete, als habe sich versehentlich das Mondlicht darin verfangen.

Er starrte Cyrilla so merkwürdig an, daß es ihr schwerfiel, seine Gedanken zu erraten. Schließlich sagte er: »Ich hatte gerade ein Bild angefangen - die Fälschung eines Lochner -, als deine Mutter krank wurde und deshalb konnte ich es nicht vollenden. Weiß der Himmel, ob ich die Stimmung wieder einfangen kann, aber ich will es zumindest versuchen.«

»Was meinst du damit, Papa?«

»Du willst Geld von mir haben, also mußt du es dir verdienen«, sagte er beinahe schroff. »Hülle dich in das Seidentuch da und setz dich auf den Thron da drüben.«

»Du willst mich zu deinem - Modell machen?« fragte Cyrilla.

Schweigend stellte Frans Wyntack die Staffelei auf. Nach einigem Suchen fand er das unvollendete Bild, dann rückte er Cyrilla so zurecht, daß sich das durch das Fenster einfallende Licht in ihrem Haar verfing, und begann zu malen.

Die Madonnen mit dem vergeistigten Antlitz, für die Stefan Lochner berühmt war, hatten ihn an seine Frau erinnert, und er hatte den Wunsch verspürt, das Bild wie ein Porträt von ihr zu malen, nicht nur deshalb, weil es sich dann besser verkaufen würde, sondern weil ihn nur Vollkommenheit befriedigte.

Er schuf drei andere Gemälde, während er noch mit dem beschäftigt war, für das Cyrilla ihm nun Modell saß.

Die drei, die er als reine »Brotarbeit« bezeichnete, hatte er von Gemälden aus Sir George Beaumonts Sammlung abgemalt und demselben Mann verkauft, der annahm, er habe sie gestohlen. Sie brachten ihm genügend Geld ein, um Hannah zu besänftigen.

Er arbeitete monatelang an dem Lochner-Gemälde. Als es schließlich fertig war, forderte er Cyrilla auf, sich daneben zu stellen.

»Schau es dir an!« sagte er. »Gib dein Urteil ab. Verlaß dich auf deinen Instinkt. Mißfällt dir etwas daran?«

»Es ist wunderschön, Papa. Ich wünschte, ich würde wirklich so aussehen wie auf deinem Bild!«

»Es wird deinem Aussehen gerecht«, erwiderte er sachlich. »Doch darum geht es mir nicht, sondern um meine Malkunst.«

»Sie ist grandios! Warum kannst du nicht solche Bilder malen, statt andere zu kopieren, sie mit deinem Namen signieren und berühmt werden?«

Einen Augenblick war es still in dem kleinen Atelier, dann ließ Frans Wyntack sich wieder vernehmen: »Willst du wissen, warum? Ich kenne die Antwort.«

»Sag es mir.«

»Künstler wie Lochner und all die anderen, die du und ich bewundern, haben etwas Geniales an sich, etwas, das sie befähigt, Werke zu schaffen, zu denen andere Maler nicht fähig sind.«

»Du willst damit sagen, Papa, daß sie wie Musiker sind, die zwar sehr musikalisch sein mögen, aber nicht das Zeug zum Komponisten haben?«

»Das trifft es genau! Ein Komponist ist ein Genie, und ein Maler muß eine ähnliche geniale Ader haben. Wenn er die nicht besitzt, vermag er seinen Gemälden kein Leben einzuhauchen, und so ergeht es mir mit meinen Bildern.«

»Aber du bist talentiert, Papa. Dieses Gemälde ist wunderschön. Am liebsten möchte ich es behalten und jeden Tag anschauen.«

Frans Wyntack lachte.

»Du brauchst nur in den Spiegel zu schauen, Kleines. Für das hier werden wir eine Menge Geld bekommen.«

»Wie willst du das anstellen?« fragte Cyrilla.

»Ich wende mich an einen anderen Kunsthändler, einen Mann namens Solomon Isaacs, von dem ich gehört habe, daß er verzweifelt nach seltenen Bildern sucht, die er dem Kronprinzen vorstellen möchte.«

»Du willst ihm nicht sagen, daß es eine Fälschung ist?«

»Natürlich nicht. Ich werde ihm weismachen, ich hätte das Bild aus einem alten Familienbesitz geerbt und hätte mich bisher nicht davon trennen können.« Er lächelte, als wolle er sich selbst verspotten, dann sagte er zu Cyrilla: »Häng meine besten Sachen heraus, von denen deine Mutter immer sagte, ich sähe in ihnen wie ein Gentleman aus.«

Frans Wyntack sah aus wie ein etwas altmodisch gekleideter Gentleman, als er mit dem Gemälde das Haus verließ, und Cyrilla betete, daß er Erfolg haben möge.

Hannah war in letzter Zeit unausstehlich, weil sie kein Geld zur Verfügung hatte, um Lebensmittel einzukaufen. Cyrilla achtete darauf, daß alles, was sie erübrigen konnten, ihrem Vater zukam und nicht ihnen. Sie aß so wenig, daß sie zuweilen in einem Schwächeanfall zur nächsten Sitzgelegenheit wankte.

Als ihr Vater schließlich an die Tür klopfte, war sie einen Augenblick lang unfähig, sich zu erheben und ihm zu öffnen.

Sie hatte entsetzliche Angst, er könnte mit dem unverkauften Gemälde unterm Arm vor ihr stehen.

Stattdessen stürmte er mit einem Freudenschrei ins Haus und wirbelte sie durch die Luft, wie er es getan hatte, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war.

»Wir haben gewonnen! Wir haben gewonnen!« schrie er mit sich überschlagender Stimme.

»Du hast das Bild verkauft?« Cyrilla rang nach Luft, und ihr war ein wenig schwindlig von seiner ungestümen Umarmung.

»Ich habe es verkauft, vorausgesetzt, der Kronprinz erwirbt es, doch der Händler ist ganz sicher, daß dies geschehen wird. Der Prinz wollte schon immer einen Lochner für seine Sammlung haben.«

»Ich brauche sofort Geld!« ließ Hannah sich in scharfem Ton von der Küchentür her vernehmen.

»Nun, darauf mußt du noch eine Weile warten«, erwiderte Frans Wyntack, »oder auf Pump kaufen.«

Sie ging in die Küche zurück und schmetterte die Tür hinter sich ins Schloß. Cyrilla und ihr Vater blickten sich eine Weile verdutzt an, dann lachten sie lautlos wie zwei Verschwörer.

»Alles in Ordnung«, sagte er. »Isaacs war nämlich so beeindruckt von dem Lochner, daß er mir ein paar Pfund Vorschuß gegeben hat.«

»Oh Papa! Warum hast du das nicht gleich gesagt?« fragte Cyrilla kopfschüttelnd. »Du hast Hannah unnötig verärgert.«

»Ich wollte eigentlich einige Lebensmittel einkaufen und euch damit überraschen«, antwortete Frans Wyntack, »aber dann bin ich doch auf schnellstem Wege nach Hause geeilt, um dir alles zu erzählen.«

Cyrilla lächelte. Es sah ihm ähnlich, daß er sich so unvernünftig benommen hatte, und im Grunde konnte sie das verstehen, denn er lebte in einer Phantasiewelt, und deshalb hatte ihre Mutter ihn auch so sehr geliebt.

Doch sie wollte jetzt keine trüben Gedanken aufkommen lassen und sagte sachlich: »Gib mir das Geld, Papa. Ich kaufe davon ein. Ich weiß genau, was Hannah braucht.«

Frans Wyntack kam ihrer Aufforderung nur zu gern nach, denn er befaßte sich möglichst selten mit leidigen Geldangelegenheiten.

Während Cyrilla sich auf den Weg machte, um die Läden aufzusuchen, ging er in sein Atelier zurück, um eine Arbeit zu beginnen, die sein Meisterwerk werden sollte.

2

»Bei meiner Ehre, Mylord, das ist wirklich und wahrhaftig alles, was ich weiß.«

Solomon Isaacs streckte in theatralischer Gebärde die Hände aus.

Der Marquis, der in dem Trödelladen sehr groß und respekteinflößend wirkte, sah ihn durchdringend an.

»Nach Ihren Angaben«, sagte er gedehnt, »will der Eigentümer des Van Dyke anonym bleiben, und das ist durchaus verständlich. Andererseits dürfte Ihnen aber auch einleuchten, daß ich Seiner Königlichen Hoheit nicht zum Kauf eines Gemäldes raten kann, das keine verläßliche Geschichte aufzuweisen hat.« Er hielt einen Augenblick inne und fügte dann drohend hinzu: »Es könnte ja gestohlen oder eine Fälschung sein.«

Der Händler protestierte lauthals.

»Ich habe einen Ruf zu verlieren, Mylord, und ich kann Ihnen versichern, daß meine jahrelange Erfahrung im Handel mit wertvollen Gemälden mich dazu befähigt, eine Fälschung sofort zu erkennen.«

Der Marquis schien von seiner Beteuerung wenig beeindruckt. Er wußte, daß Isaacs zwar einen guten Ruf in der Branche genoß, aber keineswegs zu den bedeutendsten Kunsthändlern Londons zählte. Andererseits spürte er aber, daß er ein Mann von scharfem Intellekt und überragendem Kunstverstand war, besonders was Gemälde anbelangte.

 

»Haben Sie noch mehr Bilder von dieser speziellen Quelle auf Lager?« erkundigte er sich.

Nach kaum merklichem Zögern erwiderte Solomon Isaacs: »Nein, Mylord, das ist das erste.«

Das klang durchaus überzeugend, aber der Marquis war trotzdem sicher, daß der Mann log. Um Zeit zu gewinnen, sah er sich scheinbar interessiert im Laden um.

Die Bilder an den Wänden waren wertlos. Keines davon hätte Gnade in den Augen des Kronprinzen gefunden. Einige Stapel Ölgemälde befanden sich auf dem Fußboden, außerdem Bilderrahmen in verschiedenen Größen.

»Zeigen Sie mir diese Bilder«, forderte der Marquis den Händler auf und wies auf einen Stapel.

Isaacs kam seinem Wunsch beflissen nach und hielt eines der Bilder in das diffuse Licht, das durch die schmutzige Scheibe in den Laden einfiel.

»Sind die Farben nicht einmalig«, schwärmte er. »Und schauen Sie sich den Pinselstrich an und den Glanz, den der Künstler in die Augen des Modells gezaubert hat!«

Der Marquis schenkte dem Geschwätz keine Beachtung. Die meisten Bilder waren Schund oder sie zeigten Motive, die ihm nicht zusagten.

Sie wandten sich dem nächsten Stapel zu, und Isaacs Lobpreisungen zogen sich so in die Länge, daß der Marquis den Redefluß mit einer unwilligen Handbewegung unterbrach.

»Zurück zu meiner eingangs gestellten Frage«, sagte er, als er endlich zu Wort kam. »Was wissen Sie über den Van Dyke?«

»Ich habe Eurer Lordschaft alles mitgeteilt, was mir über die Herkunft des Bildes bekannt ist!« beteuerte Isaacs in verzweifeltem Ton.

»Dann denken Sie gefälligst nach, ob Ihnen nicht doch noch dieses oder jenes zur Herkunft des Bildes einfällt. Sonst kann ich Seiner Königlichen Hoheit den Ankauf auf keinen Fall empfehlen.«

Der Marquis wandte sich entschlossen der Ladentür zu. Sofort war Isaacs neben ihm.

»Ich tue alles, was in meinen Kräften steht, Mylord!« schwor er. »Darauf gebe ich Ihnen mein Ehrenwort!«

»Dann beeilen Sie sich damit«, bemerkte der Marquis kühl und machte erneut Anstalten, den Laden zu verlassen.

»Da wäre höchstens noch eine Sache zu erwähnen, Mylord«, hörte er den Händler hastig sagen. »Allerdings gebe ich sie nur ungern preis.«

»Was ist es?«

»Der Verkäufer braucht dringend Geld. Sie hat mich sogar um . . .«

»Sie?«

Der Zwischenruf des Marquis kam wie aus der Pistole geschossen.

Der Mann zuckte erschrocken zusammen. Seine Reaktion verriet, daß ihm das versehentlich herausgerutscht war.

Einen Augenblick lang herrschte gespannte Stille.

»Sie sagten »sie« brauche Geld«, wiederholte der Marquis mit schwerer Betonung. »Heißt das, das Gemälde gehört einer Dame?«

»Sie sprach gestern bei mir vor«, gab Isaacs widerwillig zu. »Sie sagte, ihr Vater, dem das Bild gehöre, sei schwer erkrankt und sie benötigten Geld für den Arzt.«

Der Marquis spürte zwar, daß es Isaacs große Überwindung kostete, diese Informationen preiszugeben, doch er ahnte nicht, daß die ärmliche Erscheinung der Kundin und die noch armseligere Gegend, in der sie wohnte, der Grund dafür waren, weshalb der Händler in tödlicher Verlegenheit war, mußte er doch befürchten, daß sein vornehmer Kunde davon abgeschreckt würde.

Isaacs hatte als gewiefter Geschäftsmann sofort die Chance gewittert, den von ihr geforderten Preis herunterzuhandeln und damit den eigenen Profit beträchtlich zu vergrößern. Nun hatte er das unbehagliche Gefühl, daß der Marquis, den er für äußerst geschäftstüchtig hielt, eine Möglichkeit finden würde, dies zu verhindern, sobald er herausgefunden hatte, woher das Bild stammte.

Seine Befürchtungen erwiesen sich als berechtigt, denn schon hörte er den Marquis sagen: »Ich würde die junge Dame gern aufsuchen und mit ihr über das Gemälde, das sie verkaufen will, ausführlich sprechen. Sicher wird sie mir mehr über die Herkunft sagen können als Sie.«

»Ich fürchte, das ist unmöglich, Mylord«, erklärte Isaacs hastig, doch er konnte den Marquis nicht täuschen.

»Warum?« wollte er wissen, obwohl er die Antwort ahnte.

»Weil ich ihre Adresse nicht kenne, Mylord.«

»Wie wollen Sie ihr dann das Geld zukommen lassen?«

»Sie will morgen wieder bei mir vorbeischauen.«

»Wann genau?«

»Das hat sie nicht gesagt, Mylord.«

Der Marquis dachte einen Augenblick nach.

»Würde sie Ihnen ihre Adresse geben, wenn Sie sie darum bitten?« fragte er schließlich.

»Das bezweifle ich, Mylord. Vielmehr war es wohl genauso, wie es der Herr, der mir das andere Bild brachte, geschildert hat . . .«

»Welches andere Bild?«

Isaacs sah sich in die Enge getrieben. Er hatte sich vom Marquis übertölpeln lassen, weil er das Gemälde unbedingt an den Mann bringen wollte und sich deshalb Blößen gegeben hatte.

In seiner Branche war es ein offenes Geheimnis, daß die Kunstkäufe, die der Kronprinz tätigte, gewöhnlich von einem seiner wohlhabenden adligen Freunde bezahlt wurden.

Für Gemälde war der Marquis von Fane zuständig, der Seiner Königlichen Hoheit bereits eine große Anzahl wertvoller Bilder finanziert hatte. Das Geld für den Lochner hatte Isaacs ebenfalls durch einen Boten erhalten, der die Livree des Marquis trug.

»Wenn ich mich recht erinnere«, sagte der Marquis gedehnt, »so haben Sie vorhin noch behauptet, dies sei das erste Bild von diesem speziellen Eigentümer.«

»Das war ein Irrtum«, gestand Solomon Isaacs. »Mir ist eben eingefallen, daß der Gentleman, der mir damals das Bild brachte, das in den Besitz Seiner Königlichen Hoheit überging, mir dieselbe Adresse nannte wie die junge Dame. Das ist mir eben erst aufgefallen.«

Der Marquis bemerkte die Lüge sofort, aber er ließ sie durchgehen.

»Wie war sein Name?«

»Ich habe ihm mein Wort gegeben, Mylord, seinen Namen nicht preiszugeben; es wäre unehrenhaft, wenn ich mich nicht daranhielte.«

»Dann nennen Sie mir die Adresse!«

»Das verstößt gegen meine Prinzipien, Mylord, und würde meinem guten Ruf in der Branche schaden. Meine Diskretion ist mein Kapital, pflege ich immer zu sagen.«

Der Marquis wirkte verärgert.

»Ihre Geschichte wird immer widersprüchlicher. Das Lochner-Bild, das Sie Seiner Königlichen Hoheit vor sechs Monaten verkauft haben, stamme aus einer privaten Sammlung, haben Sie behauptet, deshalb wäre Ihnen nicht mehr darüber bekannt.«

»Das ist richtig, Mylord.«

»Nun scheint dieses Bild, über das Sie sich nur in geheimnisvollen Andeutungen ergehen, aus derselben Quelle zu stammen.«

»Ich war etwas verwirrt, Mylord, weil ich es diesmal mit einer jungen Dame und vorher mit einem Herrn zu tun hatte.«

»Sie sagte, es sei ihr Vater gewesen?«

»Ja, ja, Mylord, das sagte sie.«

»Und er sei krank?«

»Ja, Mylord.«,

»So daß sie dringend Geld benötigte?«

»So ist es, Mylord.«

Isaacs entging, daß die Augen des Marquis triumphierend aufblitzten, doch er hatte das dumpfe Gefühl, sich zum Narren gemacht zu haben. Der Marquis erwies sich als gerissener Verhandlungspartner.

»Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, sagte der Marquis bedächtig. »Ich kaufe Ihnen das Bild zu dem von Ihnen geforderten Preis ab, der vermutlich astronomisch sein wird, unter einer Bedingung: Sie nennen mir die Adresse, an die das Geld bezahlt wird. Den Namen brauchen Sie mir nicht zu nennen, weil Ihnen Ihr Ehrenwort offenbar so viel bedeutet.«

Der spöttische Unterton in seiner Stimme mißfiel Isaacs. Der Verkäufer des Lochner-Gemäldes war zwar altmodisch gekleidet gewesen, hatte aber das Auftreten eines Gentlemans gehabt und schien zudem aus dem Ausland zu stammen. Erst nachdem er sich das Geld abgeholt und wieder gegangen war, hatte Isaacs sich überlegt, daß es vielleicht von Vorteil für ihn sein könnte, nachzuforschen, ob er noch mehr wertvolle Gemälde zu verkaufen hatte. Isaacs war deshalb hocherfreut gewesen, als die junge Frau ihm den Van Dyke gebracht hatte. Allerdings hatte er sich das nicht anmerken lassen. Da sie ärmlich und unbedeutend aussah, hatte er sie zunächst kaum beachtet, als sie mit dem Bild unter dem Arm zögernd seinen Laden betreten hatte. Er war überzeugt davon, daß sie ihm nichts Bedeutendes anzubieten hatte, und es gehörte zu seiner Taktik, Leute, die etwas von ihm wollten, warten zu lassen, bis sie immer nervöser wurden und jeden Preis akzeptierten, den er ihnen nannte.

Er hatte die junge Frau schließlich in barschem Ton gefragt, was sie wünsche, und war überrascht gewesen vom melodischen Klang ihrer Stimme. Eine noch angenehmere Überraschung war für ihn das, was sie ihm anzubieten hatte.

Ihr Äußeres hatte er nur flüchtig wahrgenommen. Da es ein kalter Tag war, hatte sie ein langes Cape getragen, das verblichen und altmodisch wirkte, und die Kapuze tief ins Gesicht gezogen.

Wenn er es sich recht überlegte, wußte er nicht, wie sie ausgesehen hatte, zumal er nur Augen für das Bild gehabt hatte.

Mit einem Blick hatte er erfaßt, daß es sich um einen Van Dyke handelte und dazu um ein besonders gelungenes Werk des Künstlers. Natürlich war ihm auch bekannt, daß Van Dyke Hunderte von Bildern und Portraits gemalt hatte, außerdem noch eine große Anzahl hinreißender biblischer Darstellungen. Karl I. hatte ihm eine jährliche Pension von zweihundert Pfund gezahlt, ihm außerdem zwei Häuser zum Geschenk gemacht und ihn in den Adelsstand erhoben.

Isaacs bewunderte Van Dyke mehr als manchen anderen großen Maler, und es war immer sein Herzenswunsch gewesen, einmal eines seiner Bilder zum Kauf angeboten zu bekommen.

Nun schien sein ehrgeiziger Wunsch in Erfüllung zu gehen, und er vermochte sein Glück kaum zu fassen.

»Woher haben Sie es?«

»Es ... es gehört meinem Vater. Er hat Ihnen vor einiger Zeit ein anderes Gemälde aus seiner Sammlung verkauft.«

»Welches?«

»Es war . . . von Stefan Lochner.«

Die Worte kamen stockend über ihre Lippen, doch Isaacs hätte beinahe vor Entzücken gejubelt.

Der Lochner, von dem der Kronprinz so angetan war und für den der Marquis von Fane ohne zu feilschen den geforderten Preis gezahlt hatte, war ein Bombengeschäft gewesen. Er beging allerdings nicht den Fehler, der Kundin zu zeigen, wie begeistert er war, sondern fragte beiläufig: »Ich nehme an, Ihr Vater hat Sie bevollmächtigt, dieses Bild zu veräußern?«

»Ja . . . natürlich.«

Ihre Stimme zitterte ein wenig und bestärkte Isaacs Verdacht, daß sie das Bild gestohlen hatte.

»Dann werde ich es in Kommission nehmen und hoffentlich in einem angemessenen Zeitraum einen Käufer dafür finden.«

»Sie . . . könnten es nicht sofort kaufen?«

Er schüttelte den Kopf.

»Das tue ich selten. Was verlangen Sie dafür?«

Er vermutete, daß sie keine Ahnung hatte, wie wertvoll es war, doch dann nannte sie zögernd ihren Preis, der zwar durchaus angemessen war, für einen echten Van Dyke jedoch weit unter dem Marktpreis lag.

»Ich bezweifle, daß ich so viel dafür bekommen werde.«

»Würden Sie es bitte versuchen? Es ist sehr wichtig, daß mein Vater das Geld so schnell wie möglich bekommt.«

Spielschulden, möcht’ ich wetten! dachte Isaacs.

»Ich werde mein Möglichstes tun«, sagte er, »aber es zahlt sich nicht aus, wenn man etwas zu überstürzen versucht.«

Die junge Frau hatte tief Luft geholt und dann beinahe verschämt gesagt: »Wäre ... es möglich, daß Sie . . . mir einen kleinen Vorschuß geben? Mein Vater braucht. . . Medikamente und der Arzt muß auch bezahlt werden.«

Zunächst hatte Isaacs ihr die Bitte abschlagen wollen, doch dann hatte ihn so etwas wie Mitleid mit der zerbrechlichen Gestalt vor ihm erfaßt.

»Ich weiß selbst nicht, wie ich dazu komme, Ihnen zuliebe mit meinen Grundsätzen zu brechen, aber hier haben Sie fünf Pfund, die ich natürlich vom Preis abziehen werde, außer der Provision, die ich bekomme.«

Er drückte fünf Goldmünzen in die behandschuhte Hand der Kundin.

»Danke ... ich danke Ihnen vielmals«, sagte sie. »Das ... ist sehr freundlich von Ihnen. In zwei Tagen . . . das wäre am Mittwoch, frage ich bei Ihnen nach, ob Sie einen Käufer auftreiben konnten.«

»Zaubern kann ich nicht! Aber kommen Sie ruhig vorbei. Außerdem brauche ich Ihre Adresse. Wenn Sie sonst noch etwas Brauchbares zu verkaufen haben, würde ich mir das gern ansehen.«

 

Er gab sich die größte Mühe, seine freudige Erregung vor ihr zu verbergen. Erst der Lochner und nun das! Er war sicher, der Kronprinz würde dem Van Dyke nicht widerstehen können.

Er hatte so lange seinen Gedanken, nachgehangen, daß er die Anwesenheit des Marquis fast vergessen hätte. Jetzt stellte er zu seinem Entsetzen fest, daß der Edelmann im Begriff war, den Laden zu verlassen.

»Mylord! Mylord!« rief er hinter ihm her.

»Wenn Sie nicht an meinem Vorschlag interessiert sind«, erklärte der Marquis, »werde ich dafür sorgen, daß Ihnen das im Palast des Kronprinzen befindliche Gemälde zurückgebracht wird.«

»Nein, Mylord! Nein, hören Sie mich bitte an!« flehte Isaacs ihn an.

Der Marquis war bereits auf die Straße getreten. Sein Phaeton mit dem unruhig tänzelnden Gespann wartete auf ihn.

»Nun?« fragte er so gleichmütig wie möglich.

»Die Adresse ist - Queen Anne Terrasse Nummer 17 in Islington, Mylord!«

Der Marquis stieg in die Kutsche ein.

»Sie bekommen das Geld für den Van Dyke morgen früh«, sagte er beiläufig.

Der Marquis fuhr davon und Isaacs begab sich mit einem tiefen Seufzer in seinen Laden zurück. Er hatte das unbehagliche Gefühl, einen Riesenfehler begangen zu haben, aber was hätte er denn tun sollen?

Die Queen Anne Terrasse im Armenviertel von Islington war nicht gerade eine Gegend, in der man Meisterwerke wie einen Lochner oder einen Van Dyke aufzustöbern hoffte. Er gelangte immer mehr zu der Überzeugung, daß mit diesen Bildern etwas nicht stimmte. Er hätte vorher Nachforschungen anstellen müssen, bevor er sie dem Kronprinzen zum Verkauf anbot.

Der Gentleman, der sich als Eigentümer des Lochner ausgegeben hatte, war seiner Überzeugung nach ehrlich gewesen, aber bei der jungen Frau hatte er Zweifel.

Keine Dame, die etwas auf sich hielt, wäre allein in die Bond Street gekommen, noch dazu mit einem Bild unter dem Arm.

Nachdem sie ihre Adresse genannt und den Laden verlassen hatte, waren ihm wieder Bedenken gekommen, das Bild könne gestohlen und der Diebstahl der Polizei bereits gemeldet worden sein. Ein klügerer und vielleicht auch reicherer Kunsthändler hätte vorher Erkundigungen eingezogen, aber Isaacs hatte es eilig gehabt, zu seinem Geld zu kommen und zudem dem Kronprinzen zu Diensten zu sein.

Mit dem ersten verkauften Bild hatte er sich Zugang zum Carlton House verschafft. Das zweite sollte dafür sorgen, daß sein Name im Palast ein Begriff wurde. Nun hatte er sich von dem Marquis überlisten lassen, und das verärgerte ihn.

»Seine Lordschaft ist ein schlauer Fuchs, das muß man ihm lassen«, murmelte er.

Der Marquis hatte in diesem Augenblick allen Grund, mit sich zufrieden zu sein. Er hatte dem Mann die Informationen entlockt, die er brauchte, und war entschlossen, der Fährte zu folgen, solange sie heiß war. Zum ersten Mal nach langer Zeit verspürte er so etwas wie Jagdfieber, und er trieb seine Pferde zu schnellerer Gangart an, um Islington so rasch wie möglich zu erreichen.

Dieser Stadtteil von London war Mitte des vergangenen Jahrhunderts in Mode gewesen, dann aber in Krisenzeiten verfallen und verwahrlost. Die Häuser wirkten grau und unansehnlich, auf den schmiedeeisernen Balkons hing Wäsche und die meist zerbrochenen Oberlichter der Haustüren waren mit Pappe notdürftig geflickt. Die Queen Anne Terrasse beherbergte Häuser der verschiedensten Größen und Epochen, und es kostete den Marquis einige Mühe die Nummer 17 am Ende der Gasse zu finden. Das Haus war mit einem hohen Aufbau versehen, der ein Atelier darstellen mochte. Der Marquis trat zu der schäbigen Tür und griff nach dem Türklopfer, der zu seinem Erstaunen aus blankgeputztem Messing war.

Er erhielt keine Antwort und fürchtete schon, vergebens gekommen zu sein.

Gerade wollte er den Türklopfer ein zweites Mal betätigen, da wurde die Tür geöffnet und eine Stimme rief: »Hast du den Schlüssel vergessen, Hannah?«

Danach trat Stille ein.

Cyrilla blickte den Marquis verblüfft an, denn sie hatte Hannah vor der Tür vermutet.

Er starrte sie an wie eine Erscheinung und war einen Moment lang sprachlos.

Cyrillas helles Haar glänzte im Licht wie ein Heiligenschein, und die dunklen Wände bildeten einen reizvollen Hintergrund, vor dem sie wie das lebendige Ebenbild von Lochners Madonna erschien.

Die wenigen Sekunden kamen ihm vor wie Stunden, in denen sie sich unverwandt ansahen. Dann gewann Cyrilla als erste ihre Fassung wieder.

»Tut. . . mir leid«, sagte sie, »ich dachte, es sei unsere Dienerin, die einiges einkaufen wollte ... Sie haben sich sicher in der Adresse geirrt.«

Ihre Stimme paßte genau zu der Erscheinung, die ihm vorgeschwebt hatte, als er die »Heilige Jungfrau im Lilienhain« das erste Mal betrachtet hatte, und er hörte sich mit merkwürdig befangen klingender Stimme sagen: »Keineswegs - ich wollte zu Ihnen.«

»Zu mir?« Cyrilla verstand überhaupt nichts.

Der Marquis zog seinen eleganten Zylinderhut.

»Darf ich eintreten?« fragte er. »Ich muß mit Ihnen reden.«

Cyrillas Augen weiteten sich vor Schreck, und sie blickte wie hilfesuchend hinter sich.

»Ich versichere Ihnen, daß ich Ihnen nicht lästig fallen will«, sagte der Marquis mit einem leisen Lächeln um die Lippen. »Ich werde sofort wieder gehen, wenn Sie es wünschen, aber zwischen Tür und Angel kann ich Ihnen den Grund meines Besuches schwer erklären.«

In diesem Augenblick bemerkte Cyrilla, daß die Leute auf der Straße den Marquis bereits neugierig musterten.

»Ja . . . natürlich«, sagte sie mit leichtem Zittern in der Stimme. »Bitte . . . treten Sie ein. Ich fürchte, mein Vater ist zu krank, um . . . Sie empfangen zu können.«

Fieberhaft überlegte sie, was den Besucher zu ihnen geführt haben könnte. War etwa ein Wunder geschehen? Hatte er einige Bilder ihres Vaters gesehen und war an einem Kauf interessiert?

Wie oft hatte sie davon geträumt, daß dies eines Tages geschehen möge.

Ihr Vater hatte jahrelang Bilder gemalt und sie den verschiedensten Trödlern in der Nähe angeboten, die sich nicht mit dem Kunsthändler messen konnten, zu dem sie den Van Dyke gebracht hatte. Dennoch suchten zuweilen Käufer diese Läden auf, in der Hoffnung, auf Bilder eines noch unbekannten, aber talentierten Malers zu stoßen, der eines Tages vielleicht berühmt werden könnte und dessen Werke sich dann als gute Kapitalanlage erweisen würden.

Der Marquis schritt den engen Gang entlang, den er mit seiner breitschultrigen, eleganten Erscheinung völlig auszufüllen schien.

Cyrilla öffnete eine Tür an der linken Seite. Der Marquis trat ein und sah sich in dem kleinen Wohnraum um.

Die Einrichtung war schlicht, aber sehr geschmackvoll, wie er mit einem Blick feststellte. Instinktiv blickte der Marquis auf die beiden dunklen Flecken an der Wand, die ihm verrieten, daß hier zwei größere Gemälde gehangen haben mußten. Dann betrachtete er wieder das Mädchen, noch immer ungläubig und staunend, daß dieses Wesen, das bisher als Modell für die »Heilige Jungfrau im Lilienhain« nur in seinen Träumen existiert hatte, tatsächlich in Fleisch und Blut vor ihm stand.

Ihre Schönheit verwirrte seine Sinne und übertraf seine kühnsten Träume, die ihn nicht mehr losgelassen hatten, seit er das Gemälde das erste Mal betrachtet hatte. Die feingeschnittenen Züge, die großen ausdrucksvollen Augen, das zarte Oval des Antlitzes und die anmutige Gestalt schienen einer Liebesballade zu den Klängen eines Spinetts entsprungen, eine Vorstellung, die bereits das Madonnenantlitz des Gemäldes in ihm geweckt hatte. Sie ist zauberhaft, einfach zauberhaft, dachte er, doch dann spürte er ihre Verlegenheit, die sein bewundernder Blick ausgelöst hatte und ihr eine zarte Röte in die Wangen trieb.

»Wollen Sie sich nicht setzen, Sir?« fragte sie befangen und wies auf einen der Sessel.

Der Marquis kam der Aufforderung nach, und Cyrilla nahm ihm gegenüber Platz. Sie trug ein schlichtes Musselinkleid, das weder mit Bändern hoch mit Borten verziert war, doch gerade in seiner Schlichtheit den sanften Rundungen ihres Körpers gerecht wurde.

You have finished the free preview. Would you like to read more?