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Read the book: «Sicherer Wegweiser zu einer guten und gesunden Wohnung»

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Seite 3 I

1. Wie's mit den Wohnungen steht

Nichts ist heutzutage allgemeiner, als die Klage über das Steigen der Miethpreise und über die Schwierigkeit Wohnungen zu finden.

Diese Klagen sind nur zu wohl begründet. Die Ausdehnung, der Aufschwung der Gewerbe und Fabriken zieht in deren Nähe immer größere Menschenmassen, und da die vorhandenen Wohnungen nicht ausreichen und auch die neuerbauten mit dem Anschwellen der Bevölkerung nicht Schritt halten, so entsteht ein Gedränge, wenn sich Jeder eben doch sein Plätzchen sucht, wo er leben mag. Das macht zugleich, daß die Miethen theurer werden; denn überall, wo viel Nachfrage ist, steigt der Preis und so muß man jetzt im Vierteljahre zahlen, was sonst für ein Jahr gereicht hatte.

Die Erwerblust der Hausbesitzer trachtet nun auf verschiedene Art zu helfen und da nicht immer auf die uneigennützigste oder zweckmäßigste, wie anderseits wieder die Miethsleute mit geringern und schlechtern Wohnungen sich behelfen lernen. In dem Raume, den früher eine Haushaltung bewohnt, haben sich jetzt mindestens zwei, und zwar einander wildfremde, angesiedelt. Die bequemen Hausgänge und Sommerhäuser (Hausfluren) von ehemals sind verschwunden, die Stuben scheinen nach allen vier Seiten einzuschrumpfen, die Treppe muß sich gleichsam durch den Haufen von Stuben und Kämmerchen hindurchstehlen, von irgend einem freien Raume ist keine Rede mehr, er trüge ja nichts ab! Anhängsel jeder Art füllen den alten Hof und fangen gierig den letzten frischen Lufthauch, den einzigen Lichtstrahl weg, diese Gottesgaben, die vor Zeiten auch dem Aermsten nicht vorenthalten waren. Bequemlichkeiten, wie Waschhaus, Holz- und Vorrathskammern u. dgl. scheinen mit dem Zirkel in verkleinertem Maßstabe ausgemessen und der oberste Dachraum, das abgelegenste Winkelchen wird mit Menschen vollgepfropft, ja selbst der Raum unter der Erde, wo man ehemals bloß Fässer, Kartoffeln und Krautköpfe untergebracht. Wenn so ein recht besetztes Mieth- oder Kosthaus seine Bewohner mit einem Male herausließe, es würde oft keine Seele glauben, daß die alle neben einander darin Platz gehabt hätten, geschweige noch mit ihren Geräthen und Habseligkeiten dazu.

Von außen ist das Alles freilich nicht immer sichtbar, ein heller neumodischer Anstrich läßt wohl gar einige Behaglichkeit vermuthen. Indeß giebt es vielleicht doch mehr der Wohnungen, oder besser Wohnlöcher, z. B. in alten Hinterhäusern, engen Gäßchen, darin noch lange der Winter herrscht und geheizt werden muß, wenn in der übrigen Welt schon Alles an der Frühlingssonne sich wärmt und erlabt. Es giebt übergenug mit Menschen vollgepfropfte Häuser, in deren nächster Nähe Jahrelang nicht geleerte Dunggruben, baufällige Schweineställe, schlechte Cysternen die wenige Luft vollends verpesten, aus denen dem Eintretenden in dem dunkeln, feuchten Hausgange eine modrige Kellerluft, mit Abtrittgeruch verbunden, frostig entgegenschlägt, auf deren steiler, schlechter Treppe nur ein herabschlotterndes Seil durch die Finsterniß leitet und vor dem Halsbrechen schützt.

2. Musterwohnungen

Solche Nothstände und deren Folgen für die Arbeiter, welche nicht nur wohl oder übel sich ihnen unterziehen, sondern für die schlechten Wohnungen noch hohe Miethen bezahlen, haben in verschiedenen Ländern wohldenkende Menschen veranlaßt, besondere, für Arbeiter bestimmte, zweckmäßige Gebäude zu errichten und gegen billige Preise auszuleihen. Man hat die Sache nach den verschiedenen Grundsätzen, von denen man ausgieng und gemäß den verschiedenen Verhältnissen, die vorlagen, von mehr als einer Seite angegriffen, indem man entweder größere, casernenartige Wohnungen für viele Haushaltungen aufführte, oder nur kleinere Gebäude für eine bis zwei Familien; indem man ganze Arbeiterquartiere gründete oder solche Häuser unter die der übrigen Leute zerstreute.

Ueber die Vorzüge und Nachtheile dieser und jener Art ist hier nicht der Ort weiter einzugehen, es genügt die Bemerkung, daß man im Ganzen, bei verhältnißmäßiger Wohlfeilheit, überall dem Bedürfnisse, der Gesundheit und Bequemlichkeit der Bewohner Rechnung trug. Dahin gehört denn, daß die Gebäude so viel als möglich freistehen, wohl gar kleine Gärten haben. Neben einem heizbaren Zimmer, einer Nebenstube, Küche mit Wasserstein, enthalten sie wenigstens noch eine verschalte Dachkammer, einen Kellerraum, Platz zu Holz und Abtritt. Die Zimmer liegen womöglich auf der Sonnenseite, Küche und Abtritt nach Mitternacht. Die Heiz-, Rauch-, Abwasser- und Abtritteinrichtungen sind, als sehr wichtig, ebenfalls sorgfältig berücksichtigt, sowie auf Nähe des benöthigten Wassers gesehen ist.

Aber da wäre ja schon allem Uebel abgeholfen! Wird doch kein Mensch mehr so thöricht sein, derlei wohleingerichteten Lokalien jene ungesunden, winklichten und dumpfigen Nester vorzuziehen.

3. Warum mit den gutgebauten Wohnungen noch nicht Alles gethan ist

Freilich sind diese Arbeiterwohnungen eine Hülfe, aber noch lange keine genügende Abhülfe und dieß vorzüglich aus zwei Gründen nicht.

Einmal bestehen überall, im Vergleich zum Bedürfnisse, noch viel zu wenig solcher wohleingerichteter Häuser. Es ist beim besten Fortgange auch kaum die Zeit abzusehen, wann ihrer in genügender Anzahl vorhanden sein werden, so daß sich unbemitteltere Familien stetsfort auch in die Miethhäuser alten Schlages werden gewiesen sehen.

Der andere Grund aber, der die Wirksamkeit aller Abhülfe verkümmert, ist der wichtigere, daß selbst die bestgebauten Wohnungen ihren Zweck nicht erreichen, so lange die Grundbedingungen einer guten und gesunden Wohnung so wenig bekannt sind, oder so sehr außer Acht gelassen werden. Mit andern Worten: auch die am zweckmäßigsten gebaute Behausung wird viel zu häufig noch durch den Bewohner selber zu einer ganz ungesunden und schlechten gemacht.

Begeben wir uns einmal in eine solche Wohnung, ohne uns jetzt sonderlich um ihre bauliche Einrichtung zu kümmern.

4. Das Inwendige einer schlechten Wohnung

Oeffnen wir sofort die Thüre, keine davor gebreitete Strohdecke, kein Scharrbrett wird uns aufhalten. Wir zögern, über die Schwelle zu treten: eine üble, dumpfige Luft scheint uns wieder hinausdrängen, ein unordentliches Durcheinander den Weg versperren zu wollen. Halten wir indeß aus und überwinden die erste Regung, an's Fenster zu eilen und dasselbe aufzureißen, damit doch die frische, freie Luft hereindringe, die von den trüben Fensterscheiben zurückgehalten wird. Der Fußboden, – er wird wohl von Holz sein, – trägt alle möglichen Spuren, von der Straße draußen wie von dem Fette und den Speisen der Küche. Papierschnitzel, Fadenresten, angebrannte Zündhölzer und Cigarrenstumpfen, abgenagte Knochen und Kleidungsstücke finden sich da und dort. Auf dem Tische mitten im Zimmer, auf dem, neben den Brosamen und Kafferingen noch vom Frühstück her, die ungespülten Tassen stehen, sitzt die Katze und gehorcht ihrem Reinlichkeitstrieb oder ihrer Naschhaftigkeit, indem sie die Reste aus den Schüsselchen leckt. Ein großmächtiges Bett an der Wand befindet sich noch ganz im selben Zustande, wie es die Bewohner vor 5 oder 6 Stunden verlassen: Kissen, Federbett, Alles wirr durcheinander ohne Leintücher indeß, wenn jenes Grau dort der Ueberzug sonst irgend eines Bettstückes sein sollte. Und über all dieß wölbt sich, wie ein wolkiger, düstrer Himmel, die von Oelqualm und Ofenrauch geschwärzte Zimmerdecke, gestützt auf die unsaubere, in den Ecken schimmlichte Tapete der kahlen Wände.

Und doch sind die Leute hier drin nicht eben arm. Der Mann ist ein geschickter Bandweber, er hat seinen guten und jetzt selbst reichlichen Verdienst in einer Fabrik und auch die Frau bringt durch Arbeiten für fremde Leute manchen Batzen in's Haus. Man erkennt's an Dem und Jenem, daß der Mangel da nicht ein- und ausgeht: Einzelnes verräth sogar Wohlstand, ja Luxus; aber es paßt Keines recht zum Andern, wie bei einem Trödler stehen die Geräthe ohne rechte Beziehung zu einander. Ein währschafter Schrank fehlt, eine neumodische Kommode vermag nicht Alles zu beherbergen, wenn gleich darin die buntbebänderte Sonntagshaube, der Laib Brot, die Unschlittkerzen und der Kamm noch so enge zusammenrutschen, und das zerbrochene Spielzeug auf's bescheidenste sich zwischen eine Handvoll Aepfel und die seidene Weste des Mannes versteckt. Deßhalb fährt auf Tisch und Stuhl dieß, jenes Kleidungsstück vom vorgestrigen Sonntage herum, oder selbes Geräthe, das ja in den nächsten vierzehn Tagen wahrscheinlich wieder einmal gebraucht wird. Bedarf man aber des Stuhles, des Tisches sonst, ei nun da ist das darauf Liegende ja bald zusammengerafft und auf das Fenstersims, das Bette geflüchtet, wo es für den Augenblick nicht im Wege liegt.

Wir wollen nicht in andere Räume treten, in die Küche so wenig, als an noch verborgenere Oerter: dieß Zimmer schon predigt laut genug, hier sei nicht gut wohnen! Und unbehaglich genug sieht's allerdings bei den Leuten da aus, die bei sich selbst nirgends daheim, sondern vielmehr in stätem Auszuge scheinen begriffen zu sein.

5. Wie die Bewohner einer schlechten Wohnung aussehen

Sehen wir uns indeß ein wenig genauer nach den Bewohnern selber um.

Der Mann arbeitet seit früh auf der Fabrik; er kehrt erst Mittags auf die kurze Zeit des Essens nach Hause und Abends vielleicht noch schnell, bevor er im Wirthshause seiner Erholung nachgeht. Die Frau ist heute nicht auswärts; im Wasserzuber der Küche wäscht sie einiges Linnen in der Stube aus, um auf Sonntag reine Wäsche zu haben. Sie breitet diese soeben um den Ofen aus, an dem, neben wollenen Strümpfen und dem Waschlappen, bereits auch Windeln hängen, die naß sind, ohne gewaschen zu sein. Mehr Raum zu gewinnen, stellt sie ein Paar feucht gewordene Endefinken vom Ofen herunter in's Ofenrohr hinein, bei welchem Anlasse sie den eingedorrten Speiserest entdeckt, welchen sie gestern vergeblich dem Manne vom Nachtessen aufgehoben. Das Aeußere der Frau ist allerdings nicht sehr einnehmend. Sie mochte einst kein so übles Mädchen gewesen sein, aber diese ungekämmten, im Gesichte herumhängenden Haare, die gelbe, verknitterte Haube, das zerrissene bunte Halstuch passen zu einem ordentlichen Aussehen so wenig, als das unreinliche Fähnchen von Indienneröckchen, welches sie trägt, oder als die herabhängenden Strümpfe und niedergetretenen Schuhe. Man könne im Hause nicht Staat machen! – meint die Frau; denn allerdings, wenn sie ausgeht, dann flattern um keine andere Haube so viele und so bunte Bänder, da ist ihr Halstuch das blumenreichste, ihr Rock der steifste, von gestickten Kräglein, Anstößlein, Vorstecknadeln und anderem Zierrath nicht zu sprechen. Daneben geben ihr jetzt die Kinder viel zu thun, deren eines gerade wieder krank ist und um deßwillen sie heute auch zu Hause geblieben. Das ältere, ein Büblein, hockt am Boden und nagt an einem Weck. Der kleine Kegel sieht drollig genug aus in seinen bis unter die Arme reichenden Höslein, dem dicken, wollenen Halstuche und der Pelzkappe, die er über die Ohren heruntergezogen, trotzdem er am Ofen sitzt und draußen ein ganz hübscher Märztag ist. In der Nähe giebt's freilich allerlei an ihm auszusetzen: so scheint mütterliche Liebe seine struppigen Haare ebenso nachsichtig der Pein des Kämmens, als das aufgedunsene Gesicht der Qual des Waschens zu überheben. Es hätte freilich dem armen Kleinen auch gar zu wehe gethan, bei den Schorfen und Borken, die ihm auf dem Kopfe, an der Nase, hinter den Ohren sitzen und deren schmerzhaftes Jucken ihn so schon launisch und meisterlos genug machen, weßhalb ihm die Eltern in Allem seinen Willen lassen müssen. Sein jüngeres Schwesterchen dagegen, das leider den ganzen Winter den Doktor gebraucht und auch jetzt in den Federkissen seines Bettchens tief versenkt liegt, zeigt sich als das gerade Gegentheil von ihm. Es sei das beste Kind von der Welt! – rühmt es die Mutter, Tagelang bleibe es liegen, wo sie's hinlege und störe sie in nichts, sobald es nur seinen Lutscher habe und was koste der, als ein wenig Zucker und Brotkrumme! Wenn der Mehlbrei, – und sie koche ihn doch absichtlich recht steif, – nur besser bei ihm anschlüge! (fügt sie klagend bei,) aber es setze sich Alles in den Bauch, der werde kugelrund und Aermlein und Beinlein blieben wie Schwefelhölzchen. Nächstens werde das Emilie zweijährig und vom Stehen sei noch keine Rede bei ihm; auch leide es an den Augen, gäb wie sie es vor dem kleinsten Luftzuge behüte!

Die arme Frau ahnt es nicht, daß sie allein mit ihrer unvernünftigen Pflege der Gesundheit ihrer Kinder hindernd im Wege steht.

6. Wo's noch übler aussieht

Es giebt viel hundert Wohnungen, darin es noch weit schlimmer aussieht, in denen z. B. neben den Gliedern derselben Familie wildfremde Menschen, Kostgänger, die gleichen Räume, ja Schlafgemächer bewohnen und überfüllen. Sogenannte Haushaltungen giebt es, wo der Mann den größten Theil seines Erworbenen in's Wirthshaus trägt, die Frau das, was in ihre Hände kommt, an Flitter, an Leckereien, an Lustbarkeiten verschleudert. Allmälig wird sie gleichgültig; wie bisher die Haushaltung, vernachläßigt sie nun auch sich selbst und thut ihr Mögliches, dem Manne den Aufenthalt daheim gründlich zu verleiden. So kommt er immer später und in halbtrunknem Zustande nach Hause, indeß sie mit den Kindern zu darben beginnt. Es giebt gegenseitige Vorwürfe, scharfe und harte Reden, in der Leidenschaft und dem Trunke wohl noch Schlimmeres. Mürrisches Wesen, lieblose Worte werden die tägliche Umgangssprache, Zorn und Verdruß machen den Mann zum Trinker, erst in Wein und allmälig, wenn der seine Wirkung verliert oder bei abnehmendem Verdienste zu theuer wird, in Schnaps. Unzufriedenheit, Verdrießlichkeit setzen sich bleibend bei ihm fest, der gute Muth schwindet, in gleichem Maße die Arbeitslust und Fähigkeit. Er wird ein unzuverläßigerer, schlechtrer Arbeiter; um so besser freilich lernt er das Aufbegehren. Aber je mehr er an Gott und Welt zu verbessern findet, um so schneller geht's Stufe um Stufe mit ihm und den Seinen in den Sumpf des selbstverschuldeten Elends und der Verworfenheit hinein, bis sie alle am Ende hülflos der öffentlichen Wohlthätigkeit zur Last fallen.

Wer wüßte nicht Namen zu solchen Beispielen zu nennen? – Oder wo noch ein besseres häusliches Zusammenleben besteht und keine solche Verlotterung um sich gefressen, da brechen Elend und Jammer an der Hand von Krankheiten, besonders herrschender Seuchen, des Nervenfiebers, der gefürchteten Cholera mit Vorliebe in die unreinlichen und vernachlässigten Wohnungen. Der Vater, die Mutter werden auf's Krankenlager geworfen, häufig genug zugleich auf's Todbette. Sie sind nicht das einzige Opfer. Ein paar Tage später wird ein zweites Glied der Familie ergriffen und es ist gar nichts Seltenes, ganze Häuser weggerafft zu sehen, indem jede Erkrankung der Seuche nur immer neue Nahrung zuführt. Die Unreinlichkeit steigert sich ja dadurch stets wieder, die sich anhäufenden schlechten Ausdünstungen bilden eine ansteckende Pestluft aus, die alles Leben vergiftet.

Dieß hat leider die Cholera der letzten Jahre überall, fern wie nah, des Unläugbarsten dargethan, während Reinlichkeit und regelmäßiges Leben als eine wahre Schutzmauer gegen die Seuche sich erwiesen.