Die kleine Trostapotheke

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Die kleine Trostapotheke
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Anselm Grün

Ansgar Stüfe

Die kleine Trostapotheke

Weisheit für unfreundliche Zeiten


Vier-Türme-Verlag

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.




Printausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2020

ISBN 978-3-7365-0323-6

E-Book-Ausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2020

ISBN 978-3-7365-0341-0

Alle Rechte vorbehalten

E-Book-Erstellung: Dr. Matthias E. Gahr

Lektorat: Marlene Fritsch

Covergestaltung: Finken und Bumiller

www.vier-tuerme-verlag.de

Inhalt

Einleitung

Wenn ich mich einsam fühle

Wenn ich traurig bin

Wenn ich Angst habe

Wenn ich krank bin

Wenn ich verletzt und gekränkt werde

Wenn ich entwertet werde

Wenn ich mir selbst leidtue

Wenn alles schiefzulaufen scheint

Wenn ich mich über mich selbst ärgere

Wenn ich mir selbst nicht vergeben kann

Wenn ich mich selbst verurteile

Wenn ich vom Grübeln nicht loskomme

Wenn ich der Vergangenheit nachtrauere

Wenn ich mich übersehen fühle

Wenn ich empfindlich reagiere

Wenn alles grau in grau ist

Wenn schlechte Laune nicht vergeht

Wenn sich scheinbar jeder gegen mich verschworen hat

Schluss

Inhalt

Einleitung

Wenn ich mich einsam fühle

Wenn ich traurig bin

Wenn ich Angst habe

Wenn ich krank bin

Wenn ich verletzt und gekränkt werde

Wenn ich entwertet werde

Wenn ich mir selbst leidtue

Wenn alles schiefzulaufen scheint

Wenn ich mich über mich selbst ärgere

Wenn ich mir selbst nicht vergeben kann

Wenn ich mich selbst verurteile

Wenn ich vom Grübeln nicht loskomme

Wenn ich der Vergangenheit nachtrauere

Wenn ich mich übersehen fühle

Wenn ich empfindlich reagiere

Wenn alles grau in grau ist

Wenn schlechte Laune nicht vergeht

Wenn sich scheinbar jeder gegen mich verschworen hat

Schluss

Einleitung

Es gibt Situationen, in denen wir uns nach Trost sehnen. Aber wir reagieren empfindlich, wenn uns dann jemand nur vertrösten möchte. Manche frommen Worte und manche guten Ratschläge klingen oft nach Vertröstung. Das deutsche Wort »Trost« kommt von »Treue« und meint: feststehen. Wir werden für einen anderen zum Trost, wenn wir den Mut haben, bei ihm stehen zu bleiben, seine Verzweiflung, seine Wut, seine Traurigkeit, seine Tränen auszuhalten. Wir decken seine Trostlosigkeit nicht mit frommen oder schlauen Worten zu. Wir halten ihn und seine Not aus. Indem wir bei ihm stehen bleiben, bekommt er langsam auch Stehvermögen. Er bekommt wieder Boden unter den Füßen und kann zu sich stehen.

Das lateinische Wort für Trost ist consolatio. Es meint, dass ich mit, con, dem Einsamen, solus, bin, dass ich in seine Einsamkeit eintrete und bei ihm bleibe. Ich habe den Mut, seine Einsamkeit und seine Not zu teilen. Die geistliche Tradition nennt den Heiligen Geist den Tröster. In der Pfingstsequenz von Stephan Langton aus dem 12. Jahrhundert heißt es: »Höchster Tröster in der Zeit, Gast, der Herz und Sinn erfreut, köstlich Labsal in der Not.« Im Lateinischen steht da: »dulcis hospes animae«: Der Heilige Geist ist »süßer Gast in meiner Seele«, ein angenehmer Gast, den ich gerne in mein Herz einlasse. Der Heilige Geist als Tröster bietet mir »süße Erquickung« (dulce refrigerium). Er ist also etwas Erfrischendes, Fröhliches, Lebendigmachendes.

Der Jesuit Alfred Delp, der von der Gestapo ins Gefängnis geworfen und am 2. Februar 1945 hingerichtet wurde, hat diesen Vers im Gefängnis meditiert, um sich selbst Trost zu geben in einer aussichtslosen Situation. Er deutet dulce refrigerium so, »dass die geistige Stärkung, Erhebung und Beseligung, die mit dem dulce gemeint ist, sich wirklich wie Temperatur im Raum verbreitet und das Klima plötzlich voller Zuversicht und Menschenfreundlichkeit ist« (Alfred Delp, Gesammelte Schriften, Band 4, Frankfurt 1984, 271).

Wir haben das Buch gemeinsam geschrieben: Pater Anselm mit seinen Erfahrungen als Seelsorger und Bruder Ansgar mit seinen Erfahrungen als Arzt, als Missionsprokurator und Verlagsleiter. Wir haben versucht, keine Vertröstungen zu geben. Vielmehr haben wir Erfahrungen beschrieben, die wir mit uns und mit anderen Menschen gemacht haben. Zudem haben wir uns gefragt, was uns selbst in trostbedürftigen Situationen hilft und was wir anderen Menschen sagen können. Dabei wollen wir keine Ratschläge geben. Ratschläge vermitteln immer das Gefühl: Da weiß es einer besser, der will mich belehren. Wir wollen mit unserem Buch niemanden belehren, sondern von unseren Erfahrungen erzählen. Wir berichten, was uns in solchen Situationen geholfen hat und hilft und wie wir auf Menschen reagieren, die uns von ihren Nöten erzählen. Eine Erzählung lässt den Leser immer frei. Sie drängt ihn nicht, etwas Bestimmtes einzusehen oder zu befolgen oder zu tun. Als Leser oder Leserin schaue ich einfach hin, was mir erzählt wird. Oft genug finde ich mich selbst darin wieder. Wenn etwas an mir vorbeigeht, dann ist es auch gut. Nicht alles muss mich berühren. Aber wenn ich mich immer wieder einmal berühren lasse von Worten oder von Geschichten, dann komme ich mit dem Potenzial meiner eigenen Seele in Berührung. Jeder hat in sich das Potenzial, mit schwierigen Situationen umzugehen. Aber häufig vergessen wir unsere eigenen Möglichkeiten. Wir sind zu fixiert auf das, was uns bedrängt.

Manchmal helfen uns in bedrängenden Situationen nicht nur die Erfahrungen anderer Menschen, sondern auch die Worte der Bibel. Sie lösen nicht einfach unsere Probleme. Aber wenn wir sie in unsere innere oder äußere Not hineinsprechen, schauen wir gleichsam mit einer anderen Brille auf unsere Situation. Wir heben die Fixierung auf das auf, was uns niederdrückt, und heben unseren Blick, damit wir gleichsam von oben, von Gott her, auf unsere Situation schauen. Dann relativiert sich manche Not und wir kommen durch die Worte der Bibel in Berührung mit der Weisheit unserer eigenen Seele.

So wünschen wir der Leserin und dem Leser, dass unsere Erfahrungen und die Worte der Bibel, die uns oft geholfen haben, unser Leben in einem anderen Licht zu betrachten, auch ihnen zum Trost werden.

Der Buchtitel spricht von einer Trostapotheke. Das Wort »Apotheke« kommt aus dem Griechischen und bedeutet ursprünglich »Abstellraum« oder »Vorratskammer«. In den Klöstern wurde dieser Begriff gerne für den Vorratsraum verwendet, in dem die Heilkräuter aufbewahrt wurden. Der Apotheker ist ursprünglich der Lagerverwalter, der sich auskennt in dieser Kammer, der die richtigen Kräuter findet, wenn ein Kranker ärztliche Hilfe braucht.

 

In diesem Buch werden keine Heilkräuter aufbewahrt, sondern Erfahrungen der beiden Autoren und der geistlichen Tradition. Und eine Abteilung der Trostbibliothek bietet uns biblische Worte an, auf die wir zurückgreifen können, je nachdem, in welcher Not wir uns gerade befinden. So wünschen wir den Leserinnen und Lesern, dass jeder das in der Trostapotheke findet, was ihn tröstet und aufrichtet und was ihm hilft, mit sich und seinem Leben im Alltag gut zurechtzukommen.

P. Anselm Grün

Br. Ansgar Stüfe

Wenn ich mich einsam fühle

Anselm Grün

In Gesprächen höre ich immer wieder die Klage: »Ich fühle mich so allein, so einsam. Keiner hat Zeit für mich. Vor allem abends, wenn ich allein in meiner Wohnung bin, habe ich das Gefühl, dass mir die Decke auf den Kopf fällt. Ich fühle mich verlassen von allen Freunden. Keiner ruft mich an. Keiner denkt an mich. Ich frage mich dann oft, welchen Sinn mein Leben hat. Mich vermisst ja doch kein Mensch.«

Die Bibel kennt solche Situationen der Einsamkeit. Im Alten Testament in den Klageliedern bedauert der Autor zunächst das Schicksal des Volkes Israel nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem: »Weh, wie einsam sitzt da die einst so volkreiche Stadt. Einer Witwe wurde gleich die Große unter den Völkern. Die Fürstin über die Länder ist zur Fron erniedrigt. Sie weint und weint des Nachts, Tränen auf ihren Wangen. Keinen hat sie als Tröster von all ihren Geliebten. Untreu sind all ihre Freunde, sie sind ihr zu Feinden geworden« (Klagelieder 1,1f).

Diese Worte kann ich auch auf mein persönliches Leiden an der Einsamkeit beziehen: »Früher stand ich einmal im Mittelpunkt vieler Menschen; in meinem Beruf war ich anerkannt. Jetzt sitze ich einsam da, und niemand denkt mehr an mich. Was ich geleistet habe, das ist für immer vergessen.«

Im dritten Kapitel der Klagelieder bedenkt ein einzelner Mensch seine Einsamkeit. Er nimmt sie an und spürt zugleich die Hoffnung, dass Gott sie wandelt: »Er sitze einsam und schweige, wenn der Herr es ihm auflegt. Er beuge in den Staub seinen Mund, vielleicht ist noch Hoffnung. Er biete die Wange dem, der ihn schlägt, und lasse sich sättigen mit Schmach. Denn nicht für immer verwirft der Herr. Hat er betrübt, erbarmt er sich auch wieder nach seiner großen Huld. Denn nicht freudigen Herzens plagt und betrübt er die Menschen« (Klagelieder 3,28–33).

Wenn ich diese beiden Texte lese, erlaube ich mir, über meine Einsamkeit zu klagen und mich selbst zu bedauern, dass ich mich so allein fühle. Aber zugleich spüre ich mitten in meiner Klage die Hoffnung, dass Gott meine Einsamkeit verwandelt. Wenn ich mich in meiner Einsamkeit an Gott wende, bin ich schon nicht mehr ganz allein. Ich kann mit Gott über mein Alleinsein sprechen.

Der Schweizer Psychoanalytiker Peter Schellenbaum meint, die Antwort auf den Schmerz über mein Alleinsein sei, mein Alleinsein in ein All-Eins-Sein zu verwandeln. Wenn ich mich in meinem Alleinsein eins fühle mit Gott und mit allen Menschen, dann fühle ich mich getragen. Ich fühle mich nicht mehr allein gelassen, vergessen, verachtet. Ich bin zugehörig zur großen Gemeinschaft der Menschen. Ich spüre im Einssein mit Gott und mit den Menschen zugleich ein Einssein mit mir selbst, ein Einverstandensein mit mir als dieser einmaligen Person, die sich jetzt allein fühlt, die aber in der Tiefe ihrer Seele eins ist mit allen Menschen auf der weiten Welt. Dann bin ich nicht mehr fixiert auf mich selbst, sondern spüre die Verbundenheit mit allen Menschen und mit der Schöpfung.

Ein Text, der uns in der Einsamkeit trösten kann, ist für mich Jesaja 54. Die ersten Sätze lauten: »Freu dich, du Unfruchtbare, die nie gebar, du, die nie in Wehen lag, brich in Jubel aus und jauchze! Denn die Einsame hat jetzt viel mehr Söhne als die Vermählte, spricht der Herr. Mach den Raum deines Zeltes weit, spann deine Zelttücher aus, ohne zu sparen. Mach die Stricke lang und die Pflöcke fest!« (Jesaja 54,1f).

In diesem Text wird die Einsamkeit verbunden mit zwei anderen Nöten: der Erfahrung der Unfruchtbarkeit und des mangelnden Selbstvertrauens. Wer sich allein fühlt, hat den Eindruck, dass sein Leben keine Frucht bringt, dass niemand sich um ihn kümmert, dass man sein Leben lebt, ohne dass jemand anderer davon Kenntnis nimmt. Oft genug nagt das Gefühl des Alleinseins am Selbstvertrauen. Man macht sich Vorwürfe, warum man allein ist. Man ist offensichtlich nicht wichtig für die anderen. Man hat ja nichts anzubieten, fühlt sich langweilig. Im Gespräch kann man nichts zur Unterhaltung beitragen. So vergräbt man sich immer mehr in diese drei Gefühle: Ich bin einsam, ich bringe keine Frucht und ich habe kein Selbstvertrauen.

Wenn ich diesen Text in diese drei Haltungen hineinfallen lasse und für mich meditiere, dann kann er zum Trost werden, nicht zur Vertröstung. Ich kann erahnen und vielleicht auch glauben: Ja, ich bin einsam. Aber es gibt doch auch Freunde. Ich fühle mich mit vielen Menschen verbunden. Ich werde auch wahrgenommen und gesehen. Es liegt an mir, ob ich mich für die Menschen öffne und mich mit ihnen verbunden fühle. Ich werde spüren: Ja, gegenüber anderen kann ich nicht viel vorweisen. Aber mein Leben hat doch schon Frucht gebracht. Ich durfte anderen helfen, sie stützen. Ich war für andere schon ein Segen.

Für die ersten beiden Haltungen – Alleinsein und Fruchtlosigkeit – gelten die Worte der Verheißung. Es geht darum, diesen zu trauen. Für die dritte Haltung – das Selbstvertrauen – fordert uns der Text auf, selbst etwas zu tun. Wir sollen den Raum unseres »Zeltes« weit machen und die »Zelttücher ausspannen«. Ich darf nicht darauf warten, bis Gott mir von sich aus mehr Selbstvertrauen schenkt. Ich soll vielmehr seiner Verheißung vertrauen und selbst aktiv werden. Ich soll mich innerlich weiten.

Der Prophet spricht in Bildern: Ich soll den Raum meines Zeltes weit machen, damit viele Menschen darin Platz finden, damit ein Miteinander entstehen kann. Doch wie kann ich diese Bilder konkret umsetzen?

Für mich könnte da helfen: Ich setze mich hin und atme langsam ein und aus. Ich stelle mir vor, dass sich beim Einatmen mein Brustkorb weitet. Und mit dem Brustkorb weitet sich mein Herz. In der Weite des Herzens wird auch meine Fixierung auf mein mangelndes Selbstvertrauen aufgebrochen. Da ahne ich etwas von der eigenen Würde, vom eigenen Selbstwert. Mein Herz wird offen für die Menschen, die ich kenne. In diesem weiten Herzen finden viele Platz. Da bin ich nicht mehr allein. Wenn ich mein Herz weite, sind noch keine anderen Menschen da, die in mein Zelt eintreten. Aber ich bin offen für sie. In dieser Offenheit spüre ich schon eine Beziehung zu ihnen. Ich isoliere mich nicht mehr, sondern ich öffne mich, dass andere Menschen bei mir eintreten können.

Ansgar Stüfe

Kürzlich saß ich mit mehreren Personen zusammen, die unterschiedlich alt waren. Der Älteste schilderte schließlich seine Empfindungen, die ihn plagten. Vor allem fühle er sich einsam, sagte er. Niemand besuche ihn, niemand frage nach seinen Gedanken, und überhaupt werde er nur noch als Auslaufmodell bezeichnet.

Diese Schilderung hat mich getroffen, weil die Vorwürfe auch mich trafen. Ich fragte ihn nie nach seinen Ansichten und war auch noch nie auf die Idee gekommen, ihn zu besuchen. Warum wohl? Viele seiner Ansichten gefielen mir nicht und es war auch schon immer schwierig, ihm zu widersprechen. Dann wurde er in der Regel heftig und hielt bestimmte früher vorgetragene Ansichten nach Jahren noch als Vorwurf bereit. Ein solches Verhalten lädt andere nicht zur Unterhaltung ein. Andererseits traut sich auch niemand zu, genau diese Ursachen darzulegen. Denn auch das würde wieder zu Angriffen führen.

Diese Art von Einsamkeit ist also letztlich selbst verursacht. Gerade im Alter tritt solches Verhalten vermehrt auf.

Was könnte ihm also helfen? Offene Erklärungen sind meistens vergeblich, weil sie abgewiesen werden. Es hilft nur, Fragen zu stellen. Solche Menschen sollten sich erst einmal fragen, wen sie eigentlich mögen. Wie beurteilen sie ihre Umgebung? Gibt es Menschen, mit denen sie gern Kontakt haben möchten? Wenn sie sich über jemanden geärgert haben, sollten sie einmal darüber nachdenken, ob nicht eine Verzeihung fällig wäre. Oft erwarten sie eine Entschuldigung. Ohne Entschuldigung wollen sie nicht verzeihen. Jesus hat uns ein anderes Beispiel gegeben: Er verzeiht, bevor jemand in Reue und Zerknirschung fällt. Durch diese Verzeihung ohne Vorbedingungen öffnen sich die Menschen und können seine Liebe wahrnehmen. Es würde so vielen Menschen guttun, wenn sie mehr verzeihen könnten und ihre Zuneigung zeigen würden.

Es ist erstaunlich, welche Bagatellen zu Beziehungsabbrüchen führen. In unseren Missionsklöstern lebten die Missionare in unterschiedlichen Lebensverhältnissen. Es gab das große zentrale Kloster und die vielen Pfarreien in der Umgebung. Einige Male im Jahr kamen alle im Kloster zusammen, wenn ein Fest gefeiert wurde oder wenn wichtige Beschlüsse zu fassen waren. In der Zwischenzeit waren die Missionare auf den Außenstationen oft alleingelassen. Einer von ihnen kam nur wenige Tage nach dem letzten Treffen wieder ins Kloster, weil er etwas vergessen hatte. Als der Abt ihn sah, sagte er: »Du bist aber oft hier!« Wahrscheinlich hatte der Abt sich keine großen Gedanken zu dieser Bemerkung gemacht. Der Missionar war aber so getroffen und verärgert, dass er mehrere Jahre lang nicht mehr in die Abtei ging. Bis ins hohe Alter klagte er über diesen Vorfall. Die Einsamkeit war der Preis.

Warum fällt es vielen Menschen so schwer zu verzeihen, obwohl so Zusammenleben erst möglich wird? Die Verzeihung ist ein wirkliches Medikament in unserer Trostapotheke. Sie ist auch keine bittere Medizin, wie manche meinen. Sie muss nur auf Dauer eingenommen werden. Jesus sagt, dass wir sieben Mal sieben Mal verzeihen sollen – und das an jedem Tag. Es geht also um eine Grundhaltung.

Einsamkeit wird oft auch durch äußere Umstände ausgelöst. Jemand zieht in eine fremde Stadt, weil er einen neuen Arbeitsplatz bekommen hat. Das kann eine sehr schwierige Zeit werden. Zu allererst brauchen wir Geduld. Neue Bekanntschaften ergeben sich nicht in Sekunden. Trauen wir uns doch zu, Menschen kennenzulernen! Dazu gehört auch eine aktive Freizeitgestaltung. Jeder Mensch hat Vorlieben. Diese Lieben sollten wir pflegen, weil sie zu Kontakten mit anderen führen, die ähnliche Vorlieben haben. Dann kann Gedankenaustausch und gemeinsames Handeln die Einsamkeit beenden.

Bedrückender ist die Einsamkeit für ältere und hochbetagte Menschen, denen Bekannte und Verwandte wegsterben. Meine Großmutter wurde 90 Jahre alt. Ein paar Jahre zuvor erzählte sie mir, sie habe ausgerechnet, dass fünfzig ihrer Bekannten bereits gestorben waren. Sie war aber eine fromme Frau und ging täglich zum Gottesdienst. Das half ihr, diese Zeit zu bewältigen. Wer also alt wird, muss sich dieser Realität stellen, Menschen zu verlieren, weil sie eher sterben als man selbst.

In unserer Zeit erreichen sehr viele ein hohes Alter. Da wäre es wichtig, Kontakt zu Jüngeren zu haben, die man nicht so leicht überlebt. Menschen von heute haben oft niemanden, der ihnen zuhört. Das wäre die eigentliche Aufgabe vieler Älterer, sich als Hörer zur Verfügung zu stellen. Leider erzählen viele lieber über ihr eigenes Leben. Doch viele Menschen sind sich nicht bewusst, dass ihr Leben so verlaufen ist wie das vieler anderer auch. Es ginge also darum, eine Haltung des Hörens zu entwickeln, die im Alter dann auch zur Verfügung steht.

Was wäre das für ein Segen für junge Menschen, wenn sie mit jemandem reden könnten, der keine negativen Kommentare abliefert. Ältere könnten aus ihrer Lebenserfahrung heraus Gelassenheit vermitteln und Mut machen. Ich selbst spreche äußerst gern mit jungen Menschen. Immer wieder bin ich erstaunt, wie sie auch heute über vieles nachdenken und ihr Leben in die Hand nehmen wollen. Für die Älteren wäre damit die Einsamkeit beendet. Zuhören ist das große Geheimnis der menschlichen Begegnung.

Wenn ich traurig bin

Anselm Grün

Ich bin traurig, wenn mich ein Freund enttäuscht, wenn er sich nicht mehr meldet oder mein Vertrauen missbraucht hat. Ich bin traurig, wenn ich über mich selbst enttäuscht bin. Ich habe gedacht, dass ich an mir gearbeitet habe, ein reifer Mensch zu werden. Jetzt spüre ich kleinkariertes Denken, Feigheit und Konfliktscheue. Ich bin nicht so weit, wie ich kommen wollte. Das macht mich traurig. Ich bin traurig, wenn ich von der Krankheit eines lieben Freundes höre oder wenn ein lieber Mensch stirbt. Manchmal bin ich auch traurig und kann gar nicht erklären, warum. Ich spüre einfach Trauer in mir. Manche sagen dann, das Wetter mache traurig, vor allem im November, wenn es neblig und oft sehr dunkel ist.

 

Evagrius Ponticus hat die Traurigkeit bei den Mönchen analysiert. Er kommt zu dem Ergebnis, dass oft infantile Wünsche, die nicht in Erfüllung gehen, der Grund für ihre Traurigkeit sind. Er unterscheidet zudem Trauer (penthos) von Traurigkeit (lype). Trauern ist etwas Aktives. Ich betrauere den Tod eines lieben Menschen, das Zerbrechen eines Lebenstraums oder das Verpassen einer Chance, die mir neue Türen geöffnet hätte. Betrauern heißt auch: Verabschieden des Vergangenen und Jasagen zu meinem jetzigen Zustand. Wenn ich meine eigene Durchschnittlichkeit betrauere, heißt das: ich verabschiede mich von den Illusionen, die ich mir von mir gemacht habe. Traurigkeit verbindet Evagrius mit Selbstmitleid: Ich bedauere mich selbst, dass das Leben nicht so schön ist, dass die Hoffnungen, die ich für mich und mein Leben hatte, keine Wirklichkeit geworden sind. Ich jammere wie ein kleines Kind, dass Gott oder das Schicksal meine Wünsche nicht erfüllt hat. Ich sehe dann alles durch meine traurige Brille, alles kommt mir so trist vor. Ich kann diese traurige Stimmung ganz schlecht aushalten. Aber ich finde auch keinen Weg, mich von ihr zu lösen.

Jesus Sirach, der Weisheitslehrer des Alten Testaments, der jüdische mit griechischer Denkweise verbindet, weiß um die krankmachende Wirkung der Traurigkeit: »Aus Kummer entsteht Unheil; denn ein trauriges Herz bricht die Kraft« (Jesus Sirach 38,18). Traurigkeit tut nicht gut, es raubt uns alle Kraft. Evagrius meint, wir sollen betrauern, dass wir nicht so ideal sind, wie wir es gerne wären. Dann können wir Ja sagen zu uns, so, wie wir sind.

Viele reagieren jedoch nicht mit Betrauern, sondern sie trauern ihren Illusionen nach, und dieses Nachtrauern raubt ihnen alle Energie. Manche werden traurig, weil sie große Pläne haben, aber nicht die Kraft, sie in die Tat umzusetzen. So geht es dem reichen Jüngling im Neuen Testament, der voller Begeisterung Jesus nachfolgen möchte. Aber als dieser ihm zutraut, dass er in seine wahre Gestalt kommt, wenn er auf seinen Besitz verzichtet, da ging er »traurig weg, denn er hatte ein großes Vermögen« (Markus 10,22). Die Traurigkeit lähmt den jungen Mann, das zu tun, was sein Herz als seinen Weg in die Freiheit und Lebendigkeit erkannt hat.

Traurig werden Menschen, wenn sie Abschied nehmen müssen. Sie bleiben traurig zurück, wenn der andere eine längere Reise macht. Und noch trauriger sind sie, wenn jemand für immer Abschied nimmt. Viele können damit nicht umgehen. Sie verdrängen die Trauer und flüchten in die Arbeit. Jesus zeigt uns einen Weg, wie es gelingen kann. Er sagt zu seinen Jüngern, die traurig werden, weil er ihnen verkündet hat, dass er von ihnen gehen wird: »Noch kurze Zeit, dann seht ihr mich nicht mehr, und wieder eine kurze Zeit, dann werdet ihr mich sehen. Amen, amen, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet bekümmert sein, aber euer Kummer wird sich in Freude verwandeln. Wenn die Frau gebären soll, ist sie bekümmert, weil ihre Stunde da ist; aber wenn sie das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an ihre Not über der Freude, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. So seid auch ihr jetzt bekümmert, aber ich werde euch wiedersehen; dann wird euer Herz sich freuen, und niemand nimmt euch eure Freude« (Johannes 16,19–22). Im Griechischen steht hier immer das Wort lype, »Traurigkeit«: Jesus wird den Jüngern ihre Traurigkeit nehmen, wenn er wiederkommt und sie die Gemeinschaft mit ihm erfahren. Die Wiederkunft Jesu bezieht sich nicht nur auf unseren Tod, in dem wir Jesus wiedersehen, und auch nicht nur auf die endgültige Wiederkunft Jesu am Ende der Welt. Vielmehr erleben wir die Verwandlung der Traurigkeit in Freude, wenn wir heute, hier und jetzt, die Nähe Jesu spüren. Seine Nähe wird in uns eine Freude hervorrufen, die uns niemand mehr nehmen kann.

Manche meinen: Das klingt schön. Aber wie soll ich das erfahren? Wie können mir diese Worte Jesu helfen, mit meiner Traurigkeit umzugehen? Für Jesus entspricht die Traurigkeit den Geburtswehen einer Frau. Das bedeutet: Immer, wenn wir traurig sind, will auch etwas Neues in uns geboren werden. Wir sollten also nicht fixiert sein auf die Traurigkeit, sondern sie nach der Geburt befragen, die in uns geschehen soll. Wir sollten uns also weder beschimpfen, wenn wir traurig sind, noch sollen wir in Traurigkeit versinken. Wir sollten sie vielmehr befragen, was sie uns sagen will, was da neu in uns wachsen möchte. Wenn wir dem trauen, was in uns wächst, dann wandelt sich die Traurigkeit in Freude.

Die Traurigkeit wird verwandelt, wenn das innere Kind in uns geboren wird, das göttliche Kind, das unserem wahren Wesen entspricht, in dem das einmalige Bild aufleuchtet, das Gott sich von jedem von uns gemacht hat.

Jesus sagt, dass unser Herz sich freuen wird, wenn er uns wiedersieht. Und diese Freude wird uns niemand mehr nehmen. Es ist also eine andere Freude als nur eine schöne Emotion. Die Freude, die uns Jesus schenkt, ist eine göttliche Wirklichkeit. Wenn wir Christus in uns spüren, dann spüren wir auch die Freude.

Manchmal machen wir eine spirituelle Erfahrung: Da geht uns auf einmal das Geheimnis unseres Lebens auf. Oder wir spüren eine innere Nähe zu Jesus. Es ist dann eine mystische Erfahrung, die man nicht herbeizaubern kann, die uns aber geschenkt wird. Wir können die Worte Jesu auch noch anders verstehen. Jesus erfahren heißt auch: mit seinem wahren Selbst in Berührung zu kommen. Wenn alle meine Forderungen, die ich an mich stelle, wegfallen, wenn ich einen tiefen inneren Frieden darüber spüre, dass ich einfach ich selbst bin, dass ich mich nicht beweisen muss, sondern einfach bin, dann spüre ich eine innere Freude. Ich muss dann die Freude nicht »machen«. Sie kommt über mich. Dann habe ich die Worte Jesu verstanden. Und ich spüre: Diese Freude ist unabhängig von äußeren Ereignissen, unabhängig von der Zustimmung oder Ablehnung anderer. Sie ist einfach in mir, in der Tiefe meiner Seele. Diese Freude kann mir niemand nehmen, kein Mensch und auch kein Schicksal.

Ansgar Stüfe

Wir können nicht immer fröhlich sein. Schon von Kindheit an müssen wir lernen, auf etwas zu verzichten, das wir sehnsüchtig erwartet haben, und das macht uns traurig. Dazu eine persönliche Erinnerung:

Ich war vielleicht vier Jahre alt, als meine Mutter eine kurze Reise antreten wollte. Sie fragte mich, ob ich mit ihr fahren wolle. Gleichzeitig bot mir meine Tante einen Ausflug an, an dem ich auch unbedingt teilnehmen wollte. So stieg meine Mutter in den Zug, und ich blieb bei meiner Tante. Der Ausflug war mir wichtiger. Als der Zug sich in Bewegung setzte, wollte ich doch noch einsteigen. Es war jedoch schon zu spät. Ich weinte bitterlich und war sehr traurig. Diese Geschichte blieb mir in tiefer Erinnerung, weil ich damals lernte, dass ich allein die Ursache dafür war, dass ich traurig war. Andererseits hätte mich jede der beiden Entscheidungen traurig gemacht. So lernte ich, dass sogar Alltagsentscheidungen traurig machen können. Der Trost in solchen alltäglichen Situationen liegt in der kurzen Dauer. Die Zeit verdrängt die Traurigkeit, und andere Vorgänge verlangen Aufmerksamkeit.

Anders wirken anhaltende Situationen, in die ich über längere Zeit gestellt bin. Die Arbeit und der Arbeitsplatz sind bevorzugte Orte, die traurig stimmen. Das fängt schon an, wenn jemand einen neuen Arbeitslatz antritt: Die unbekannten Mitarbeiter, Arbeitsweisen und Methoden strömen auf ihn ein, er muss mit Menschen zurechtkommen, denen er sonst sicher aus dem Weg gehen würde. Oft tauchen auch Zweifel auf, ob man mit den Herausforderungen zurechtkommen kann. Nicht zuletzt übt die Chefin oder der Chef Druck auf die Seele aus.

Ich arbeitete einmal in einem Krankenhaus, in dem der Chefarzt der Chirurgie ein seltsamer Mensch war. Er liebte es, seine Mitarbeiter während der Operation bloßzustellen und mit Fragen Unwissen zu beweisen. Wir jungen Mitarbeiter waren zunächst hilflos und wurden traurig. Es kam mir sogar der Gedanke, dass ich im falschen Beruf gelandet sei. Eines Tages behauptete dieser Chirurg etwas, das nicht stimmte. Ich nahm allen Mut zusammen und widersprach ihm. Das imponierte ihm so, dass er mich als persönlichen Assistenten einsetzte. Zwar tat mir diese Änderung gut, aber meine innere Traurigkeit wurde nicht besser, weil die Gesamtsituation in der Abteilung immer noch dieselbe war.

Ich wechselte die Stelle und eine drückende Last schwand von mir. Traurigkeit kann also von äußeren Situationen abhängig sein. Der Trost kommt dann aus der eigenen Freiheit, die Situation zu verändern. Wer traurig gestimmt ist, sollte immer nach den eigenen Chancen Aussicht halten. Es kostet Kraft, diese Chance wahrzunehmen. Die Anstrengung lohnt sich aber, weil nach der Traurigkeit innere Kräfte frei werden.

Traurig werden wir aber auch durch schlimme Verluste, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Das ist der Fall, wenn jemand stirbt, der uns nahesteht, wenn ein Partner die Freundschaft oder Ehe aufgibt oder durch Krankheit Behinderungen auftreten, die nicht wieder ausheilen. Dann hilft die Zeit als Trost nicht mehr, weil der Verlust bleibt. Eine Änderung der Situation ist nicht mehr möglich. Manche stürzen sich in äußere Vergnügungen oder greifen zu Alkohol und Drogen. Das sind jedoch keine Lösungen, weil diese Maßnahmen eigene Probleme mit sich bringen. Was bleibt dann noch als Trost?

Fast jeder Mensch kennt Situationen oder Gelegenheiten, in denen er sich wohler fühlt als in anderen. Leider nimmt die Zahl der Menschen ab, die im Gebet Trost finden, obwohl es eine der bewährtesten Trostarten ist. Ich kenne eine Krankenschwester in unserem Krankenhaus in Afrika. Ihre beiden Kinder sind gestorben. Sie ist seitdem recht schwermütig geworden. Sie überlebt aber dadurch, dass sie täglich den Gottesdienst besucht und auch sonst oft betet. Es ist ja das große Versprechen Jesu, den Menschen beizustehen, die in Trauer sind. Viele haben heute keinen Zugang mehr zu religiösen Praktiken. Sie können sich jedoch auf die Suche machen, was ihnen guttut. Das kann eine Wanderung in der Natur sein oder auch die Arbeit im Garten. Die Frische der Natur und die neu entstehende Kraft dort kann positiv auf uns wirken. Auch Musik, Kunst und Schönheit in all ihren Facetten kann Freude machen. Ganz besonders hilft, wenn jemand sich anderen widmen kann, denen es schlecht geht. Das gibt paradoxer Weise Kraft und macht Freude.

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