Geschichte der USA

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Grenzen und Widersprüche der ReformbewegungProgressivismusReformbewegungenProgressivismus

Aufs Ganze gesehen blieben die Erfolge der Reformer begrenzt, weil sich die Gegenkräfte des laissez faire-LiberalismusLiberalismus und der konservativen Beharrung keineswegs leicht geschlagen gaben. Vielerorts behielten die „Parteibosse“, die den Reformern als Feindbilder zur Sammlung ihrer Anhänger dienten, politisch das Heft in der Hand. Wenn die Progressiven auf der kommunalen und einzelstaatlichen Ebene an Einfluss gewannen, bedeutete das nicht automatisch mehr DemokratieGesellschaftProgressivismus, sondern häufig eine stärkere Kontrolle der Elite, aus der sich die „Fachleute“ vorwiegend rekrutierten, zu Lasten der unteren Schichten. Die Hoffnung, dass Formen direkter Demokratie wie Vorwahlen und Volksabstimmungen die politische Partizipation verbessern würden, erfüllte sich ebenfalls nicht, denn der Trend zur geringeren WahlbeteiligungWahlbeteiligung setzte sich weiter fort. Die Macht des big businessWirtschaftAspektebig business wurde durch die Anti-Trust-Gesetze und die neuen Interventionsmöglichkeiten der Bundesregierung nur unwesentlich eingeschränkt, zumal in den „unabhängigen“ Kommissionen nicht selten Repräsentanten der Industrie den Ton angaben. Etliche Reformvorhaben scheiterten am Widerstand der Gerichte, die weiterhin dem Recht auf Eigentum und dem individuellen Vertragsrecht (right of contract) hohe Priorität einräumten. So hob beispielsweise ein New Yorker Gericht 1905 in dem Fall Lochner v.New YorkLochner v.New York die vom Staatenparlament festgesetzte Höchstarbeitszeit für Bäcker mit der Begründung auf, sie enge die Freiheit von Unternehmer und ArbeiterArbeiterProgressivismus, Abmachungen über die Arbeitszeit zu schließen, auf verfassungswidrige Weise ein. 1918 verwarf der Supreme CourtSupreme Court das Verbot der KinderarbeitKinderarbeit, das der Kongress zwei Jahre zuvor erlassen hatte, als eine verfassungswidrige Einmischung der Bundesregierung in die Angelegenheiten der Einzelstaaten. Selbst das Engagement in den Settlement HousesSettlement-Bewegung und der Kampf gegen den Alkohol hatten eine Kehrseite: Da die Reformer dazu neigten, die Wertvorstellungen der protestantischen Mittelschicht als vorbildlich und allgemein gültig anzusehen, ließen sie es häufig an der gebotenen Rücksicht auf die Traditionen und Mentalitäten der Neueinwanderer fehlen. Diese Anpassung an den angelsächsischen kulturellen mainstream, die unter dem Schlagwort der Americanization mit sanfter Gewalt betrieben wurde, beschwor Spannungen herauf, wo gerade der Abbau von KlassenkonfliktenGesellschaftProgressivismus und eine Anhebung des Lebensstandards der unteren Schichten intendiert waren. In der EinwanderungsdebatteEinwanderungProgressivismus und in der Rassenfrage verhielt sich die Mehrzahl der Reformer überdies alles andere als liberal und fortschrittlich. Viele ProgressiveReformbewegungenProgressivismusProgressivismus vertraten nicht nur vehement die Forderung nach möglichst rascher „AmerikanisierungGesellschaftProgressivismus“ der Einwanderer, was deren ethnisch-religiöse Identität zu zerstören drohte, sondern stellten sich auch in die vorderste Front der Verfechter von Einwanderungsbeschränkungen. Darin sahen sie die einzige Möglichkeit, schwere soziale Konflikte und untragbare finanzielle Belastungen zu vermeiden, die sich aus der Überfüllung der Städte mit „menschlichem Müll“ (human garbage) ergeben würden. Unterstützung erhielten sie sowohl von Seiten der Unternehmer, die eine Radikalisierung der ArbeiterschaftArbeiterProgressivismus durch SozialistenSozialismus und Anarchisten aus Europa befürchteten, als auch von den GewerkschaftenGewerkschaften, die immer wieder erfahren mussten, dass Einwanderer als Streikbrecher und Lohndrücker benutzt wurden. In dem Begriff der new immigrationEinwanderungnew immigration, der für die MasseneinwanderungEinwanderungProgressivismus des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts geprägt wurde, schwangen Ablehnung und Vorurteile mit, weil die Neuankömmlinge aus ItalienEinwanderungEthnienItalienerItalien, der Habsburgermonarchie und dem ZarenreichRusslandZarenreich – unter ihnen viele JudenEinwanderungEthnienJuden, OsteuropäerJuden – für weniger anpassungsfähig und assimilationsbereit gehalten wurden als die „alten“ Einwanderer aus Westeuropa und SkandinavienEinwanderungEthnienSkandinavierSkandinavien. In dieser Phase gewann der NativismusNativismus wieder die Oberhand, und die Parole lautete Drosselung und staatliche KontrolleReformbewegungenProgressivismusProgressivismus der EinwanderungEinwanderungProgressivismus. Konservative Organisationen wie die American Protective AssociationAmerican Protective Association und die Immigrant Restriction LeagueImmigrant Restriction League forderten Lese- und Schreibprüfungen (literacy tests) für Einwanderungswillige oder agitierten sogar für eine völlige Schließung der Grenzen. Intellektuelle Fürsprecher einer multiethnischen Gesellschaft wie der Journalist Randolph BourneBourne, Randolph, der die USA gern als eine „cosmopolitan federation of foreign cultures“ gesehen hätte, waren unter diesen Umständen die große Ausnahme. Sprecher der EinwandererEinwanderungProgressivismus selbst zeigten sich bereit, im amerikanischen „SchmelztiegelSchmelztiegel“ aufzugehen, und jagten damit einem Wunschbild nach, das Ralph Waldo EmersonEmerson, Ralph Waldo erstmals als „smelting pot“ postuliert hatte und das der jüdische Schriftsteller IsraelIsrael ZangwillZangwill, Israel mit seinem Theaterstück The Melting PotThe Melting Pot ab 1908 popularisierte. Die öffentliche MeinungÖffentliche Meinung neigte aber ungeachtet dieser Anpassungsbereitschaft zum Ausschluss, zur exclusion, wie sie in KalifornienKalifornien auf Druck von ArbeiterorganisationenArbeiterProgressivismus 1882 erstmals gegen ChinesenEinwanderungEthnienChinesen verhängt worden war. Das Gentlemen’s AgreementJapanGentlemen’s AgreementEinwanderungsgesetzeGentlemen’s Agreement (1907), das RooseveltRoosevelt, Theodore 1907 mit der Regierung in TokioTokio schloss, beinhaltete ebenfalls praktisch ein Verbot der EinwanderungEinwanderungProgressivismus japanischerEinwanderungEthnienJapaner Arbeiter. Gegenüber den Europäern verfolgten die meisten ReformerProgressivismusReformbewegungenProgressivismus einen MittelkursGesellschaftProgressivismus, der auf eine Begrenzung und „Lenkung“ der Immigration hinauslief. Das fiel umso leichter, als die „Nachfrage“ nach Einwanderern allmählich abnahm, weil die Bevölkerung ohnehin wuchs und weil Maschinen zunehmend ungelernte Arbeiter ersetzten. Eine Expertenkommission unter dem Vorsitzenden DillinghamDillingham, William P. erarbeitete von 1907 bis 1911 Vorschläge zur Einwanderungsbeschränkung, die dann in eine ganze Reihe von Gesetzen mündeten, mit denen der Kongress das „goldene Tor“ immer mehr schloss. So wurden die Gesundheitsbestimmungen für Einwanderer restriktiver gestaltet, eine Verteilung der Neuankömmlinge auf die verschiedenen Staaten und Territorien in Angriff genommen und der bundesstaatliche Immigration and Naturalization ServiceEinwanderungsgesetzeImmigration and Naturalization Service (INS) (INS)Immigration and Naturalization Service (INS) ermächtigt, Bewerber zurückzuweisen und bereits zugelassene Personen zu deportieren, die „gefährliche politische und soziale Doktrinen“ verbreiteten. 1917 fasste der Kongress alle bis dahin getroffenen Einzelregelungen im Immigration ActEinwanderungsgesetzeImmigration Act (1917) zusammen, der 35 Ausschlusskategorien festlegte und erstmals einen literacy test vorsah. Als die EinwandererzahlenEinwanderungProgressivismus nach der kriegsbedingten Unterbrechung wieder zu steigen begannen, wurde ab 1921 ein Quotensystem eingeführt und schrittweise verschärft, das Süd- und OsteuropäerEinwanderungEthnienJuden, Osteuropäer klar benachteiligte und das den Zustrom auf ein Rinnsal reduzierte.

Für das Rassenproblem hatten die ReformerProgressivismusReformbewegungenProgressivismus, sofern sie es überhaupt als dringlich wahrnahmen, in der Regel keine bessere Lösung anzubieten als die SegregationGesellschaftProgressivismusSegregation und die Anwendung des separate but equal-Prinzips. Wie die meisten ihrer Mitbürger konnten sie sich nicht von den biologisch-sozial-darwinistischen oder den älteren theologischen Erklärungen lösen, mit denen die „MinderwertigkeitAfroamerikanerRassismus“ der Schwarzen bewiesen wurde. Dabei gewann das Thema eigentlich an Brisanz durch das Klima der Gewalt, das im SüdenSüden immer wieder RassenunruhenAfroamerikanerRassenunruhen und LynchmordeAfroamerikanerLynchjustiz hervorrief, und durch die beginnende Binnenwanderung der SchwarzenAfroamerikanerBinnenwanderung aus den südlichen Agrargebieten in die Städte des Nordens. Während zwischen 1870 und 1890 nur 80.000 AfroamerikanerAfroamerikanerGreat Migration in den Norden gekommen waren, betrug die Zahl der Migranten im Zeitraum von 1890 bis 1910 schon 200.000. Mit dem Krieg in Europa, der die überseeische EinwanderungEinwanderung unterbrach, setzte dann die Great MigrationGreat Migration aus dem Süden ein und verlieh der Rassenfrage eine neue Dimension. Zwischen 1910 und 1920 wuchs die schwarze BevölkerungBevölkerungsentwicklungAfroamerikanerBevölkerungsentwicklung in New YorkNew York City von 90.000 auf über 150.000, in ChicagoChicago von 44.000 auf 110.000 und in DetroitDetroit von knapp 6000 auf 40.000. Die GhettobildungUrbanisierungGhettosAfroamerikanerGhetto in den großen Städten hatte zwar schon Ende des 19. Jahrhunderts begonnen, aber erst jetzt wurden die meisten Weißen der Anwesenheit kompakter schwarzer Bevölkerungsgruppen in ihrer Umwelt gewahr. Der New Yorker Stadtteil HarlemHarlem spielte zunächst eine Sonderrolle, weil die Afroamerikaner hier auf Grund verschiedener Faktoren, zu denen vor allem der Zusammenbruch eines spekulativen Baubooms gehörte, in Häuser zogen, die eigentlich für wohlhabende weiße Familien gebaut worden waren. Statt von einem „GhettoAfroamerikanerGhettoUrbanisierungGhettos“ sprach man anfangs von einer black community, wo Ärzte, Pfarrer, Anwälte und Geschäftsleute eine eigenständige schwarze Führungsschicht bildeten. HarlemGesellschaftProgressivismus galt als die „Negro capital of the world“ oder das „black Jerusalem“, das den Zuwanderern aus dem Süden ein Gefühl von Befreiung und Hoffnung vermittelte. Bald herrschten aber auch hier wie in den anderen schwarzen Wohngebieten der nördlichen Metropolen drangvolle Enge, Armut und schlechte hygienische VerhältnisseAfroamerikanerLebensstandard. Eine hohe Kindersterblichkeit, steigender Drogenkonsum und KriminalitätKriminalität wurden zu weiteren Negativmerkmalen des GhettosUrbanisierungGhettos.

 

Die Politiker in Washington einschließlich der Präsidenten verschlossen vor dieser Entwicklung die Augen oder beriefen sich auf die Zuständigkeit der Staatenregierungen. Nur eine kleine Minderheit weißer Reformer unterstützte aktiv die Anliegen der AfroamerikanerAfroamerikanerLebensstandard, die sich nun vermehrt um Selbsthilfe bemühten. Den Schwarzen des Südens erwuchs eine Führerpersönlichkeit in Booker T. WashingtonWashington, Booker T., der 1856 als Sohn von Sklaven geboren worden war und der 1881 eine Berufsschule, das Tuskegee InstituteTuskegee Institute, Alabama, in AlabamaAlabama gegründet hatte. Mit Blick auf die realen Machtverhältnisse im SüdenSüden stellte WashingtonWashington, Booker T. politische Ziele vorerst zurück und proklamierte den Kampf um die wirtschaftliche GleichberechtigungGesellschaftProgressivismus als Hauptaufgabe. Sie sollte schrittweise durch harte Arbeit, die Aneignung handwerklicher Fähigkeiten und den Erwerb von Eigentum erreicht werden. Auf diese Weise könnten die Schwarzen ihr SelbstwertgefühlAfroamerikanerSchwarzer Nationalismus stärken und beweisen, dass sie bildungs- und anpassungsfähig seien. Eine Alternative zu dieser „gradualistischen“ Strategie entwickelte William E.B. Du BoisDu Bois, William E.B., ein 1868 in NeuenglandNeuengland (s.a. Nordosten, Regionen) geborener Afroamerikaner, der an der schwarzen FiskUniversitätenFisk University University und in BerlinBerlin studiert hatte und nach der Promotion in HarvardUniversitätenHarvard University als Professor in AtlantaAtlanta lehrte. Er setzte seine Hoffnung auf das „begabte Zehntel“ (talented tenth) der Schwarzen, das als intellektuelle Avantgarde den Rassengenossen ein Vorbild geben und sie zur „Kultivierung“ anspornen sollte. Die „Anti-Bookerites“, darunter auch einige weiße Reformer, trafen sich 1905 auf kanadischem Territorium an den Niagara FallsNiagara Falls und legten das Versprechen ab, über die wirtschaftliche Chancengleichheit hinaus auch für das WahlrechtAfroamerikanerWahlrechtWahlrechtAfroamerikaner und die Rechtsgleichheit der „FarbigenAfroamerikanerWahlrecht“ zu kämpfen. Aus diesem Niagara MovementNiagara Movement ging 1909 die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP)National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) hervor, die alle politischen und rechtlichen Mittel ausschöpfen wollte, um die Rassendiskriminierung zu beenden. Du BoisDu Bois, William E.B. fungierte als Herausgeber der Zeitschrift The CrisisThe Crisis, aber die Führung der NAACPNational Association for the Advancement of Colored People (NAACP), die 1914 50 Zweigstellen mit ca. 6000 Mitgliedern hatte, lag überwiegend in der Hand reformerisch gesinnter weißer Anwälte. Ein Problem bestand darin, dass sich Organisationen wie die NAACPNational Association for the Advancement of Colored People (NAACP) oder die National Urban League (NULNational Urban League (NUL))National Urban League (NUL) mehr um die aufstrebenden Afroamerikaner in den Städten kümmerten als um die sharecropperssharecroppers und Pächter auf dem flachen Land, obwohl auch 1920 immer noch 80 Prozent aller Schwarzen im Süden lebten. Mit öffentlichen Kampagnen gegen die LynchjustizAfroamerikanerLynchjustiz und mit der Verteidigung von Afroamerikanern vor Gericht wurden einige praktische Erfolge erzielt. An der SegregationAfroamerikanerSegregationSegregation, der Armut in den GhettosUrbanisierungGhettos und der Verschuldung und Abhängigkeit der sharecroppers änderte das aber kaum etwas. Von einer Assimilierung und Integration der schwarzen Bevölkerung, die Booker T. WashingtonWashington, Booker T. und W.E.B. Du BoisDu Bois, William E.B. mit unterschiedlichen Methoden anstrebten, war man bei Ausbruch des Krieges noch weit entfernt. WashingtonWashington, Booker T. starb 1915, und Du BoisDu Bois, William E.B. forderte wenig später die jungen Afroamerikaner auf, sich freiwillig zur Armee zu melden und in Europa für die Freiheit zu kämpfen, damit sie anschließend auch in den USA mit größerem Nachdruck ihre RechteGesellschaftProgressivismus einfordern könnten.

Der FrauenbewegungFrauenFrauenbewegung gelang es in dem allgemeinen ReformklimaProgressivismusReformbewegungenProgressivismusGesellschaftProgressivismus, viele ihrer alten Forderungen zu verwirklichen, und einige Gruppen wie die Intellektuellen im Umkreis der sozialistischenSozialismus New Yorker Zeitschrift The MassesThe Masses formulierten bereits neue, feministische Ziele. Sie wollten die Fesseln der Geschlechterrollen und der „separaten Sphären“ abstreifen und die Frau in beruflicher, sexueller und kultureller Hinsicht dem Mann völlig gleichstellen. Sie standen der jungen feministischen Bewegung nahe, die in Alice PaulPaul, Alice eine Führungsfigur und in der National Woman’s Party ein Sammelbecken fand. Das waren die ersten Anzeichen einer umfassenderen Revolution in den Beziehungen der Geschlechter, als dem women’s movement des späten 19. Jahrhunderts vorgeschwebt hatte. Im praktischen Alltagsleben hielten sich die Fortschritte noch in engen Grenzen, aber für die jüngeren, besser gebildeten FrauenFrauenArbeit ergaben sich doch schon bedeutsame neue ErwerbsmöglichkeitenProgressivismusReformbewegungenProgressivismusGesellschaftProgressivismusArbeiterFrauen: Während die Zahl der in der Landwirtschaft und in Haushalten tätigen Frauen drastisch abfiel, stieg die Kurve der in modernen städtischen Dienstleistungsberufen, d. h. vor allem in Büros Beschäftigten ab 1900 steil an. Das ging einher mit einer generellen Lockerung des Lebenstils, der sich äußerlich in neuen, bequemeren Kleidungsmoden bemerkbar machte.

Anders als die Frauenbewegung blieb die ArbeiterbewegungArbeiterProgressivismus insgesamt auf DistanzGesellschaftProgressivismus zum Progressive Movement und versuchte, weiterhin eigene Wege zu gehen. Die Reformer kümmerten sich zwar um die Belange der ArbeiterArbeiterProgressivismus, aber sie dachten und handelten doch ganz überwiegend aus einer bürgerlichen Perspektive und verabscheuten Klassenkampfideen. Arbeiterführer wie Eugene V. DebsDebs, Eugene V. aus IndianaIndiana, der sich als Präsident der AFLAmerican Federation of Labor (AFL)-Railway UnionRailway Union beim Pullman-Streik von 1894 einen Namen gemacht hatte, und der deutschstämmige Victor BergerBerger, Victor aus MilwaukeeMilwaukee, Wisconsin entwickelten demgegenüber sozialistischeSozialismus Positionen und verfochten sie offensiv in der politischen Arena. 1901 trennte sich DebsDebs, Eugene V. von der militanten, dogmatisch-marxistischen Socialist Labor PartySocialist Labor Party und trat an die Spitze einer neuen, breiter fundierten ArbeiterparteiArbeiterProgressivismus, der Socialist Party of AmericaSocialist Party of America. Obwohl auch diese Sammlung von Intellektuellen, Berufspolitikern und Gewerkschaftern, FrauenFrauenProgressivismus wie Männern, nicht von inneren Spannungen und Flügelkämpfen verschont blieb, wurde sie vorübergehend zur bestimmenden politischen Kraft der amerikanischen Linken. In der Rhetorik des KlassenkampfesArbeiterProgressivismus trug DebsDebs, Eugene V. im Grunde maßvoll-reformerische Forderungen vor und verschaffte der SozialistischenSozialismus Partei damit eine Massenbasis von über 100.000 Mitgliedern. Seine Popularität erreichte bei den Präsidentschaftswahlen von 1912 ihren Höhepunkt, als er mit 900.000 Stimmen 6 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen konnte. Ab 1915 gerieten die SozialistenSozialismus mit ihrem pazifistischen Kurs allerdings immer mehr in Widerspruch zur öffentlichen Meinung, und im November 1916 lag ihr Wähleranteil nur noch bei 3,2 Prozent. Nach dem Kriegseintritt der USA beschleunigte sich der Niedergang der ParteiProgressivismusReformbewegungenProgressivismus dann durch Abspaltungen und den Druck staatlicher Behörden und Gerichte.

Die GewerkschaftenArbeiterProgressivismusGewerkschaften konnten angesichts der günstigen Wirtschaftsentwicklung, die nur 1912/13 von einer Rezession unterbrochen wurde, Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen durchsetzen. Vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1915 stieg der durchschnittliche Reallohn eines Industriearbeiters von 532 auf 687 Dollar im Jahr. Weil das aber immer noch kaum ausreichte, eine Familie zu ernähren, mussten in der Regel mehrere Familienmitglieder, gerade auch Kinder, mitarbeiten, um den Lebensunterhalt sicherzustellen. Der Kampf für den Acht-Stunden-Tag trug erste Früchte, doch in vielen Industriezweigen, besonders in den Textilfabriken des Südens, waren 10 bis 13 Stunden Arbeitszeit weiterhin an der Tagesordnung. 1900 gehörten von den 30 Millionen nicht in der Landwirtschaft Beschäftigten 1 Million einer GewerkschaftProgressivismusReformbewegungenProgressivismus an; 1920 lagen die Vergleichszahlen bei ca. 40 Millionen und 5 Millionen. Die bei weitem bedeutendste Gewerkschaft, die American Federation of Labor (AFLAmerican Federation of Labor (AFL))American Federation of Labor (AFL), allein zählte 1920 4 Millionen Mitglieder, was etwa ein Fünftel der Industriearbeiterschaft ausmachte. Die etablierten Einzelverbände der AFLAmerican Federation of Labor (AFL) betrachteten Einwanderer, AfroamerikanerAfroamerikanerGewerkschaften und FrauenFrauenProgressivismusArbeiterFrauen (1910 waren von 7 Millionen beschäftigten Frauen nur 125.000 organisiert) nach wie vor eher als Konkurrenten denn als Mitstreiter für eine gemeinsame Sache. Die Enttäuschung vieler ArbeiterArbeiterProgressivismus über die ganz auf die Interessen der weißen Facharbeiterschaft ausgerichtete Taktik der AFLAmerican Federation of Labor (AFL) hatte schon 1905 zur Gründung einer neuen Gewerkschaft mit Schwerpunkt in den Bergwerksgebieten der Rocky MountainsRocky Mountains und von West VirginiaWest Virginia und PennsylvaniaPennsylvania geführt. Bei den Industrial Workers of the World (IWW)Industrial Workers of the World (IWW) handelte es sich um eine radikale Organisation, die speziell ungelernte Arbeiter und Neueinwanderer ansprach und die durch Streiks und Sabotage den Kampf für die Weltrevolution befördern wollte. Der Schrecken, den die „Wobblies“ zeitweise in der amerikanischen Mittelschicht verbreiteten, stand im krassen Missverhältnis zu ihrer Mitgliederzahl und ihren Erfolgen. Während des Krieges wurden über 100 IWW-AnführerIndustrial Workers of the World (IWW) wegen Behinderung der Rüstungsanstrengungen verhaftet, und Organisatoren von Streiks sahen sich wütenden patriotischen Mobs gegenüber. Vollends ging diese „alternative“ Gewerkschaft dann im antikommunistischen Red ScareRed Scare unter, der in den USA auf den Krieg und die Revolutionen in Europa folgte.

Viele der hoch gesteckten Erwartungen, mit denen die progressivenReformbewegungenProgressivismus Reformer an die Demokratisierung der Gesellschaft, die Herstellung von Chancengleichheit, die Beseitigung der Armut, die „Säuberung“ der Städte von Korruption und Unmoral und den Aufbau leistungsfähiger Verwaltungen herangegangen waren, blieben unerfüllt. Manche Erfolge zeitigten auch ganz unerwartete und unerwünschte Resultate, wie das Paradebeispiel der ProhibitionProhibition zeigt, die das organisierte Verbrechen förderte, anstatt die Moral und Volksgesundheit zu heben. Auf der anderen Seite war die progressiveProgressivismus ReformäraReformbewegungenProgressivismus keineswegs folgenlos: Zu ihren wichtigsten Ergebnissen gehört sicherlich ein Bewusstseinswandel in weiten Teilen der Bevölkerung, der Interventionen von Parlamenten und Regierungen in wirtschaftliche und sozialeArbeiterProgressivismus Angelegenheiten nun zumindest unter gewissen dringenden Umständen gerechtfertig erscheinen ließ. Hinzu kam die Stärkung einer unabhängigen öffentlichen Meinung gegenüber dem Parteiengeist, der das späte 19. Jahrhundert beherrscht hatte. Die großen Parteien konnten sich zwar behaupten, nicht zuletzt, weil nur mit ihrer Hilfe eine nationale politische Willensbildung möglich war. Während die Parteibindung der Bürger aber etwas nachließ, gewannen nun die „organisierten Interessen“, in die sich die Gesellschaft auffächerte, immer mehr an Gewicht. Die unterschiedlichen Vorschläge und Forderungen, mit denen diese Reform- und Interessengruppen an die Öffentlichkeit traten, machten den politischen Prozess noch vielfältiger, komplexer und unberechenbarer. Ihre Analysen und ihre Kritik bewirkten aber ein vertieftes Nachdenken über die Grundlagen, Prinzipien und Ziele der amerikanischen Gesellschaft. Diese ständige öffentliche Debatte und die vielen privaten Initiativen hielten den „Prozess der kleinen Schritte“ in Gang, der die Modernisierung in dem immer noch weitgehend dezentralen und relativ schwach bürokratisierten Staatswesen voranbrachte.