Interview mit Gott 1

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Interview mit Gott 1
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Anke Broschinski

Interview mit Gott 1

Hallo, ich bin`s, Gott

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Interview mit Gott 1

Hallo, ich bin`s, Gott

Anke Broschinski

Impressum

Texte: © Copyright by Anke BroschinskiUmschlag: © Copyright by Anke BroschinskiVerlag: Anke Broschinski

arosch1@yahoo.de

Druck: epubli, ein Service der

neopubli GmbH, Berlin

Printed in Germany

Vorwort

Bevor hier auch nur das erste Wort gelesen, das erste Urteil gesprochen, der erste Stab über mich gebrochen wird, möchte ich einige einleitende Worte zu den folgenden Seiten loswerden:

Vieles, was ich bisher geschrieben habe, entstammt meinem Wunsch, in eine „andere Welt“ abzutauchen. Die Welt der Fantasie ist für mich erstrebens- und erhaltenswert, weil jeder Konflikt, jedes Problem, jede Unwägbarkeit, mit Worten zu beseitigen ist. Das „richtige Leben“ ist nicht so.

Es hält für jeden von uns Ereignisse bereit, mit denen wir nicht rechnen, Verluste, mit denen wir uns auseinandersetzen und Probleme, die wir überwinden müssen. Da helfen oft die schönsten Worte und die besten Formulierungen nichts.

In meinen Geschichten ist das immer anders gewesen. Problem, Lösung, Happy End, war bisher mein Konzept – und genau deswegen wollte auch kein Verlag meine Geschichten haben. Sie waren entweder zu dicht an der Realität, oder so sehr an den Haaren herbei gezogen, dass sie nicht nachvollziehbar waren.

Dieses Buch ist anders. Zum einen ist die Inspiration dafür von einer für mich überraschenden Seite gekommen: von Gott selbst. Zum anderen ist mir beim Lesen eine schonungslose Offenheit in den Worten aufgefallen, die ich sonst ganz gerne vermeide, um nur bloß keinem auf die Zehen zu treten.

Es fühlt sich so an, als hätte jemand in meinen Kopf gegriffen und all die großen und kleinen Themen hervorgezerrt, die ich im Allgemeinen gerne verdränge, oder doch zumindest für mich behalte.

Alle Erfahrungen, Begebenheiten, Erinnerungen, so wie sie mir noch gegenwärtig sind, habe ich aufgeschrieben. An manchen Stellen hatte ich einen Kloß im Hals, an anderen stieg die gleiche Wut wie damals auf – ich konnte all die Gefühle, die ich zur jeweiligen Situation hatte, wieder heraufbeschwören. Meine Kindheit und Jugend sehe ich heute als verhältnismäßig durchschnittlich, weder besonders aufregend, noch besonders spannend. Einige werden sich in den Erinnerungen wiederfinden, andere werden es als tolle Kindheit, wieder andere als sterbenslangweilig empfinden.

Trotzdem bin ich alles davon. Jede einzelne Sekunde, jedes Wort, jeder Absatz bin ich. Teilweise beschämt, teilweise überwältigt.

Ich gebe meine Unterhaltungen mit Gott wieder. Dieser Teil ist für mich besonders schwierig, weil es eben meine Finger sind, die über die Tastatur huschen, meine Energie, die hier einfließt.

Gott mag für einige Menschen ein „imaginärer Freund“, eine „Entschuldigung für alles“, eine „ausgedachte Übermacht“ sein. Für mich ist er das nicht [mehr].

Ich habe mich auf dieses Experiment eingelassen und habe Zugang zu meinen tiefsten Sehnsüchten, dunkelsten Träumen und hellsten Erkenntnissen, derer ich fähig bin, gewonnen.

Gottes Stimme, die ich höre, flüstert mir keinen Unsinn ins Ohr. Sie macht mich aufmerksam mir selbst und anderen gegenüber. Sie gibt mir Zuversicht und Mut – sie macht mich achtsam. Gott hat, seit ich mich darauf konzentriere, viele meiner Wunden geheilt.

Es mag sein, dass jeder Mensch seine eigenen Antworten bekommt und ganz andere Schlüsse daraus zieht. Von daher möchte ich dazu aufrufen, es selbst auszuprobieren. Sucht die eigene Wahrheit in Gott, er wird mit Geduld alles in Liebe erklären. Feiert das Leben, wo immer es anzutreffen ist und werdet wieder eine Einheit damit. Es lohnt sich.

Gott bindet mich, unter Zuhilfenahme von Beispielen und Gleichnissen, in die, mich umgebende, Gesellschaft ein. Er zeigt mir Möglichkeiten auf, wie eine Veränderung in vielen Bereichen möglich ist, wenn nur genug Menschen die gleichen Ziele verfolgen und an einem Strang ziehen.

Er zeigt Wege auf, aus dem stählernen Griff der politischen und religiösen Machteliten zu entkommen.

Gott hat innerhalb weniger Wochen mein Denken, mein Handeln, meine Einstellung zu vielen Dingen grundlegend über den Haufen geworfen und mein Leben durcheinander gebracht.

Auch wenn ich noch nicht genau weiß, wohin mich das führt, stelle ich mich als „Sprachrohr“ zur Verfügung.

Für mich beginnt mit diesem Buch eine spannende Reise, vielleicht die spannendste überhaupt. Vielleicht wird es auch nur ein kurzer Ausflug; das weiß ich jetzt noch nicht. Ich möchte alle Menschen einladen, diese Reise mit mir gemeinsam zu machen.

Weil ich an Gott glaube, bin ich dieses Jahr aus der Kirche ausgetreten. Gott hat noch nie von mir verlangt, dass ich ihm Geld überweisen soll, damit er mir im Himmel einen Platz freihält, die Kirche schon. Gott hat noch nie von mir verlangt, dass ich ihm ein Haus mit einem goldenen Dach bauen soll, in dem ich ihn dann anflehen kann, bei mir zu sein, wenn er Lust darauf hat, die Kirche schon. Und wenn ich mit Gott sprechen will, dann will ich mit dem Chef direkt sprechen. Für meine Angelegenheiten brauche ich keinen irdischen Agenten, oder Mittelsmann. Ich bitte nicht um ein Gespräch mit einem Mafiapaten auf irgendeinem versteckten Hinterhof.

Gott hat mit mir gesprochen, so lange ich lebe.

Nicht, dass ich das bemerkt hätte – oft habe ich nicht einmal zugehört – aber es war eindringlich, natürlich und voller Zärtlichkeit. (Bis auf die Momente, in denen ich richtig Blödsinn gemacht habe und deswegen selbst in Gefahr war. Dann ist er auch schon mal laut geworden).

Das hat nichts mit der Kirche zu tun. Thema verfehlt, sechs setzen.

Doch, für mich hat es mit der Kirche zu tun – wenn auch nur marginal. In Abwesenheit irgendeines Kirchenmannes hat Gott mit mir gesprochen. „Wenn du es übertreibst, legst du dich auf die Nase. Triff deine Entscheidung, ich werde dich nicht abhalten.“ Ich habe meine Entscheidung getroffen und er hat mich vor Schlimmerem bewahrt.

Zu meiner Geburt habe ich viele Geschenke von Gott bekommen. Die meisten davon habe ich heute noch in täglichem Gebrauch.

Von der Kirche habe ich zu meiner Geburt nichts bekommen - auch zur Taufe nicht. Gut, der Pfarrer hat seine Predigt gehalten und mir wurde kaltes Wasser über den Kopf gekippt, aber ein Geschenk war das sicher nicht. Meine Eltern haben mittels Kirchensteuer dafür bezahlt, dass mich ein Pfarrer nass macht – das ist sein Job. Laut Kirche ist es das erste Sakrament. Mit dieser Maßnahme sollte ich in die Gemeinde (?), die Kirche (?), die Steuerkartei (?) aufgenommen sein? Vielleicht kann man es sich so vorstellen, dass ein bezahlter Kirchenvertreter mich Jesus und Gott vorgestellt hat, damit, wenn mir etwas passieren sollte, ich nicht sofort zur Hölle fahre?

So eine gequirlte Kacke!

Seelenkonto

Von Gott bekam ich zuallererst das Geschenk des Lebens; eines Geistes mit gesundem Körper und einer reinen Seele.

Die Seele ist so ein Geschenk, wie das Sparbuch, welches Oma und Opa für dich zur Geburt anlegen. Manchmal liegt schon ein kleines Guthaben drauf, wenn du zur Welt kommst. Monat für Monat werden mal fünf Mark, mal zehn Mark eingezahlt, ohne dass du davon etwas weißt. Später bekommst du das Sparbuch vielleicht zu Gesicht, aber selbst wenn, es ist ein imaginäres Guthaben. Du kannst dir kein Eis, oder ein schönes Spielzeug davon kaufen, du kannst nur zusehen, wie die Zahlen Monat für Monat größer werden. Auf die Einzahlungen gibt es Zinsen von der Bank.

Wenn ich dieses Bild auf meine Seele übertrage, dann kann ich in den ersten Jahren auch nicht wirklich etwas damit anfangen, was das sein soll. Gott legt dieses „Konto Seele“ an und zahlt ein gewisses Maß an Dankbarkeit, Wissen, Neugier, Mitgefühl, Mut, Liebe, Vertrauen und Gesundheit darauf ein. Das ist dann das Grundguthaben. Täglich kommen mal kleinere, mal größere Beträge dazu. Irgendwann bin ich mir bewusst, dass die Erfahrungen die ich mache, alles was ich lerne, mich weiterbringen, oder eben nicht. Wie Einzahlungen und Abhebungen. Und je nachdem welches Guthaben sich im Laufe der Jahre darauf angesammelt hat, bekomme ich Zinsen darauf. Durch Liebe, die ich abgehoben habe, um sie zu verschenken, durch Mitgefühl, welches ich brauchte, damit mein aufgeschlagenes Knie nicht mehr so sehr schmerzte, durch den Stolz, den ich einzahlen konnte, als ich zum ersten Mal ohne Stützräder mit dem Fahrrad gefahren bin, genauso wie die unvergleichlichen Gefühle, als ich zum ersten Mal meine Kinder im Arm hielt und zu gleichen Teilen auf ihre, wie auf mein „Konto Seele“ einzahlte.

 

Wie bei einem Konto, kann ich nur von meinem eigenen „Konto Seele“ ein Guthaben abheben, kann es aber problemlos auf das Konto eines anderen einzahlen.

Den einzigen Unterschied, den ich gefunden habe, ist der, dass dieses „Konto Seele“ nie leer werden, nie in den Minusbereich rutschen kann. Jede Erfahrung, ob gut oder schmerzlich, jedes Gefühl, ob angenehm oder unangenehm, jeder noch so kleine Gedanke, ob sinnvoll oder unsinnig, ist eine Einzahlung und je mehr ich von diesem Guthaben abrufe, um es mit anderen zu teilen, umso höher sind die Zinsen die wieder auf mein Guthaben gerechnet werden.

Obwohl meine Seele so ein unglaublich lukratives Sparkonto ist, habe ich sie über die meiste Zeit meines Lebens sehr stiefmütterlich behandelt. Sie war halt da, aber unbemerkt und still.

Seit einiger Zeit macht sie sich bemerkbar, wie Löwenzahn, der durch den Asphalt bricht, wenn er ans Licht will.

In letzter Zeit sehe ich an einigen Stellen meines planierten Lebenswegs Risse auftauchen. Hier und da zeigen sich bereits gelbe Blüten und mein Körper hat nicht mehr die Kraft, dieses „Unkraut“ auszureißen und den Weg neu zu asphaltieren.

Das ist für mich der Startschuss gewesen.

„Haaaallloooo“, so fühlte sich das an.

Anke Broschinski

Dankgebet

Ich danke Dir, Gott, dass Du mir Erfolg bringst

Ich danke Dir, Gott, dass Du mir finanzielle Freiheit bringst.

Ich danke Dir, Gott, dass Du mir das Beste meiner selbst zeigst.

Ich danke Dir, Gott, dass Du mich sein lässt.

Ich danke Dir, Gott, dass Du bei mir bist, immer und überall – dass wir eins sind.

Ich danke Dir, Gott, dass Du mir dieses Buch geschickt hast.

Ich danke Dir, Gott, dass Du mir diese Einsichten geschenkt und Zuversicht in meine Seele zurückgebracht hast.

Ich liebe Dich!

Von mir bist du und zu mir wirst du zurückkommen.

Tief im Dunkel fühle ich ein Pochen. Noch kann ich meine Augen nicht öffnen; ich habe noch keine Augen. Ich fühle nur das Erwachen von Leben.

Ich schlage im gleichen Rhythmus mit allem um mich herum. Meine erste Empfindung ist Liebe – unendlich rein und unschuldig – so wie sie immer war und immer sein wird.

Ich spüre mich wachsen. So wie man an einem heißen Tag ein kühles Getränk zu sich nimmt. Der erste Schluck fährt in alle Zellen, sie weiten sich aus und beginnen.

Die Wärme um mich herum ist mein Schutzraum. Sie ist weich und behaglich. Sie umhüllt mich. Ich wachse in einen Körper hinein.

Jetzt kann ich sehen. Rotes Leuchten umgibt mich. Ich fühle wie das Wasser des Lebens mich umspült, während ich im Rhythmus des Lebens pulsiere.

Ich nehme mich wahr. Ich nehme das Außen wahr, höre Geräusche. Fühle Liebe, die durch das rote Leuchten zu mir dringt.

Das Klopfen aus dem Außen beruhigt mich, ich schlafe ein und träume meinen ersten Traum.

Galaxien und Universen umgeben mich, ich spiele mit Monden und tanze zwischen Sternen. Ich rutsche über Regenbögen bis ich in einem warmen Meer aus nährendem Wasser wieder erwache und wieder nur noch fühle.

Ich spüre die Veränderung meines Seins. Ich bin inzwischen mehr als ein Pochen. Ich kann schmecken, hören, sehen und immer wieder fühlen. Ich kann fühlen an Stellen, die es vor meinem Traum noch gar nicht gab.

Mein Körper wird stärker. Ich greife nach der Verbindung die mich nährt. Sie ist weich und warm und pulsiert mit mir im gleichen Takt. Ich kann den Takt in meiner Hand spüren.

Das Leben saugt sich in mich hinein. In jeder Sekunde entferne ich mich mehr vom Ursprung und komme näher an mein Bewusstsein. Ich bin der Mittelpunkt eines neuen Universums, das im Entstehen begriffen ist.

Mein Wissen ist unendlich. Ich bin entstanden aus der Liebe des Lebens zu sich selbst – ich bin.

Mein Außen wird eng. Es umgibt mich noch immer schützendes weiches, warmes, rotes leuchtendes Wasser. Mein Oberstes ist unten und mein Unterstes oben. Meine Arme und Beine sind gekreuzt. Von Zeit zu Zeit strecke ich sie aus soweit es geht und gerate an eine festere Barriere des Außen. Ich beginne Signale in die Verbindung zu senden, versuche, mein Außen zu erweitern. Jedes Mal höre ich überraschte Laute, wenn ich das mache und dann mache ich es wieder, um diese Laute zu hören.

Plötzlich unterscheidet sich der Rhythmus des Pochens im Außen zu meinem eigenen. Es kündigt eine Veränderung an. Das Pochen wird schneller, das Außen zieht sich an meinem Unten zusammen und weitet sich an meinem Oben aus. Ich werde aus meinem Außen gedrängt und fühle einen neuen Kosmos entstehen. Und doch bin ich noch verbunden mit meinem kleinen Universum aus rotem, leuchtendem Wasser.

Mein Geist erfährt zum ersten Mal eine umfassend neue Situation, die meine Seele schon Hunderte Male durchwandert hat. Mein Körper verlässt zum ersten Mal sein Universum und wird in einen neu entstandenen Kosmos gezogen. Neue Bedingungen sind geschaffen worden, die Verbindung, die mich genährt hat beginnt bereits zu verkümmern und wird durchschnitten.

Ich bin wieder da.

So unendlich oft bin ich durch diesen Kanal gegangen und so unendlich oft habe ich es vergessen. Was wird mir dieses Leben an Erfahrungen und wunderbaren Erlebnissen bringen?

Wahrheit

Heute stehe ich an der Schwelle zum Alter und schaue zurück auf einige schöne, aber auch auf etliche schwere Jahre. Noch immer bin ich, meinem Empfinden nach, ein Kind, eine Jugendliche, eine junge Erwachsene und eben auch eine alternde Frau, alles zur gleichen Zeit. Zusätzlich bin ich noch die Summe aller Erfahrungen und Erinnerungen meiner Eltern, Großeltern, Urgroßeltern und aller Leben, die ich schon einmal gelebt habe – vielleicht sogar derer, die ich noch leben werde. Vielleicht werde ich irgendwann in ein Leben im Kreise meiner Urenkel geboren, die mir von mir erzählen können, so wie mir einst von meinen Urgroßeltern erzählt wurde, als ich ein Kind war. Wobei – ich hätte meinen Sohn dann als Großvater… Vielleicht lieber doch nicht.

Ich frage mich, ob es allen Menschen so geht.

Jeder noch so weit hergeholte Gedanke ist schon einmal

gedacht worden, jeder noch so verrückte Traum wurde schon einmal geträumt. Jede Wahrheit ist schon einmal gesagt und verleugnet worden und doch hat sie sich irgendwann, gegen jeden Widerstand, durchgesetzt. Nur das Empfinden für eine Wahrheit ist meistens sehr subjektiv.

Darüber reden wir

Was ist das für eine Geschichte mit der Wahrheit? Warum empfindet sie jeder anders? Warum sieht sie jeder anders? Was soll dieser Spruch „die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters“? Kannst du mir da weiterhelfen?

Das ist eine gute Frage. Die Wahrheit ist eine Verkettung von Beobachtungen, manchmal Berechnungen, einigen Erfahrungswerten und vom eigenen Standpunkt. Deswegen fällt sie oft so unterschiedlich aus.

Wenn ich sage, der Himmel ist blau, das Wasser ist nass, dann sind das Wahrheiten, die in sich selbst eine Bestätigung haben. Das hat doch nichts mit einem Standpunkt zu tun, oder doch?

Wenn du nachmittags um drei an einem Sommertag sagst, der Himmel ist blau, dann ist das für dich eine absolute Wahrheit. Wenn du das jemandem am anderen Ende der Welt erzählst, bei dem es gerade drei Uhr in der Nacht ist, wird er das nicht bestätigen können. Also ist es von deinem Standpunkt abhängig.

Und was das Wasser angeht – was ist mit Eis? Was ist mit Dampf? Auch dabei kommt es auf einen bestimmten Aggregatszustand an.

Und das gilt für alle Wahrheiten?

Grundsätzlich ja.

Aber etwas wie „die Erde ist rund“ müsste doch von jedem auf dieselbe Weise gesehen und anerkannt werden.

Müsste sie das? Was ist mit den Erfahrungen, die jemand damit hat? Wer nie über seinen Horizont hinaus gekommen ist, muss die Erde als flach empfinden. Wer nie Bilder aus dem All gesehen hat, hat keine Vorstellung davon, ob sie rund, eckig oder scheibenförmig ist. Er kann es glauben, oder eben nicht.

Dann hat Wahrheit im weitesten Sinne auch etwas mit Vertrauen zu tun.

Wenn du so willst, ja. Jemand, dem du deine Wahrheit sagst, die dessen Überprüfung standhält, wird dir künftig eher geneigt sein zu glauben, als jemand, mit dem du zum ersten Mal sprichst.

Aber was ist mit Wahrheiten, die sich nicht so einfach überprüfen lassen, weil sie zum Beispiel einen Menschen ganz persönlich betreffen?

Das ist das Gleiche wie die Aussage, dass die Erde rund ist. Du kannst es glauben, oder nicht glauben. Das macht für die Wahrheit keinen Unterschied.

Ich empfinde dieses Gespräch jetzt beinahe als philosophisch.

Wenn im Wald ein Baum umfällt und keiner ist dabei, macht er dann trotzdem Krach? Ich kann es nicht beweisen, gehe aber davon aus. Also ist es für mich die Wahrheit. Meinst du das so?

Die Wahrheit an sich ist nicht philosophisch. Man kann sie nicht deuten, oder auslegen. Man kann sie nur glauben, oder nicht glauben. Das ist dieses Empfinden für die Wahrheit. Es besteht aus unterschiedlichen Erfahrungen, Standpunkten und Beobachtungen.

Was ist denn mit Halbwahrheiten? Wenn zwar alles, was gesagt wird, die Wahrheit ist, aber nicht alles gesagt wird, was dazu gehört.

Zum Beispiel in der Werbung: das Positive wird hervorgehoben, das Negative aber ganz verschwiegen.

Wenn jemand nichts Negatives an einer Sache entdecken kann, ist es dann eine Halbwahrheit, oder eine Lüge?

Nein, aber die Werbeleute wissen ganz genau, dass es negative Aspekte bei den Produkten gibt, die sie bewerben.

Aber wenn sie die von vorn herein erzählen würden, würde es ja keiner kaufen.

Du beantwortest dir die Frage gerade selber. Lässt man einen Teil der Wahrheit weg, um des eigenen Vorteils willen, ist es nicht weniger eine Täuschung, als wenn gleich die ganze Wahrheit weggelassen wird.

Auch das kam in der Werbung schon vor…

Aber was ist, wenn man es zwar wissentlich, aber nicht zum eigenen Vorteil macht.

Es ist immer zum eigenen Vorteil, wenn man nicht die ganze Wahrheit sagt. Auf die eine oder andere Weise ist man immer Nutznießer von einer Lüge, oder einer Halbwahrheit.

Auch, wenn ich jemanden nur nicht verletzen will? Ich kann doch nicht rumlaufen und den Leuten laufend Wahrheiten an den Kopf schmeißen. Auch wenn es inhaltlich stimmt. Damit verletze ich sie unnötig.

Was ist verletzend daran, ehrlich zu antworten, wenn jemand dich fragt?

Ich weiß ja dann meistens, was derjenige hören möchte, beziehungsweise, was er auf die Frage nicht als Antwort haben will. Wenn mich jemand fragt, ob er zu dick ist, ist „ja“ nicht unbedingt das, was er hören will.

Also meinst du, die Leute wollen von dir angelogen werden, um sich besser zu fühlen?

Nein, das nicht, aber…

Dann sag auch da die Wahrheit. Auch da kommt es wieder auf den Standpunkt und die Sichtweise an. „Ja“ ist nicht unbedingt die Wahrheit. Wenn sich jemand falsch einschätzt und du die Sicht auf sich selbst korrigierst, muss das kein Nachteil für denjenigen sein.

Und wenn er mir nicht glaubt?

Dann ist es sein gutes Recht, es anders zu sehen. Wie du siehst, liegt die Wahrheit tatsächlich im Auge des Betrachters.