Internationale Beziehungen

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Der Wettlauf Europas um kolonialen Besitz 1870–1914

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts traten alle bedeutenden Mächte in einen Wettbewerb um vorwiegend außereuropäische Kolonien ein (siehe Tafel VI, S. 428–429). Der neue Kolonialismus, auch ImperialismusImperialismus genannt, unterschied sich qualitativ von den Kolonisationsbestrebungen des 16. und 17. Jahrhunderts: Es ging nicht mehr nur um Handelsinteressen oder die Suche nach neuen Siedlungsgebieten, sondern es war ein Konkurrenzkampf der souveränen NationalstaatNationalstaaten, die nationale Stärke und nationales Prestige über ihre außereuropäische Position definierten.

Der räumliche Pfad, den die KolonialisierungKolonialisierung nahmRäumlicher Pfad der Kolonialisierung, war durch Großbritanniens Expansion in den Mittelmeerraum vorgezeichnet. Die dauerhafte Präsenz Großbritanniens im Mittelmeer rief die Mittelmeeranrainer Frankreich und Italien auf den Plan, die beide – jeweils im Rahmen ihrer eigenen Pläne für eine Dominanz des Mittelmeers – um die Kontrolle der nordafrikanischen Territorien konkurriertenKonkurrenz zwischen Frankreich und Italien. Beide forderten, als Protektoratsstaaten für Tunesien anerkannt zu werden. Großbritannien gewährte daraufhin Frankreich diesen Status (1881), um eine italienische Kontrolle der Meerenge zu verhindern. Damit war der Wettlauf um Kolonien in Afrika eröffnet.

Die Kolonialisierung AfrikaKolonialisierungAfrikas

Die europäischen Mächte teilten innerhalb von nur einem Vierteljahrhundert ganz Afrika unter sich auf (siehe Tafel VII, S. 430), verschont blieben zunächst nur langjährige Königreiche wie Ägypten und Abessinien (das heutige Äthiopien). Die Verteilung des Kolonialbesitzes auf historischen Landkarten lässt noch heute die Strategien der KolonialmächteKolonialisierungAfrika erkennen:


Karikatur des britischen Eroberers Cecil Rhodes von Edward Linley Sambourne, 1892

 Großbritannien: Britisch von Kap bis KairoGroßbritannien als mächtigster Staat wollte in Afrika ein Kolonialreich, „britisch vom Kap bis Kairo“ (vgl. Abbildung 1.1).

 Frankreich verfolgte das Ziel, ein Kolonialreich von West- nach Ostafrika zu errichten („von Dakar zum Golf von Aden“)Frankreich: Von Dakar zum Golf von Aden.

 Portugal versuchte ausgehend von seinen traditionellen Handelsstätten an den Küsten Afrikas, die es im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts errichtet hatte, seinen Kolonialbesitz auszuweiten.

 Demgegenüber waren Belgien, das Deutsche Reich und Italien „Nachzügler“, die deshalb umso vehementer darauf bestanden, ebenfalls in Kolonialbesitz zu kommen.

 Das Deutsche Reich verfolgte das Ziel, einen Landgürtel quer durch Afrika zu schaffen, der im südlichen Afrika gelegen war.

 Belgien blieb auf Belgisch-Kongo beschränkt, als persönlicher Besitz von König Leopold, den er wie ein privater Unternehmer ausbeutete.

 Italien eignete sich Libyen, Eritrea sowie jeweils einen Teil des heutigen Somalia und des Kongo an.

Innerstaatlicher Widerstand gegen die Kolonialisierung wurde zumeist blutig niedergeschlagen, wie im Kampf der Briten gegen die südafrikanischen Buren-Siedler 1899 oder bei der rassistisch motivierten Vertreibung und Vernichtung der Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika 1904–1908 als Strafaktion für ihre Auflehnung gegen die deutsche Herrschaft.

Die von Bismarck im November 1884 einberufene Berliner KonferenzBerliner KonferenzBerliner Konferenz: Verschärfung des kolonialen Wettbewerbs trieb den ImperialismusImperialismus weiter an. Sie löste einen Wettbewerb um möglichst weitgehende Gebietsansprüche aus, als – beginnend bei den Großmächten Frankreich und der Kolonialmacht Portugal – plötzlich alle anderen ebenfalls Ansprüche anmeldeten, „besessen von der Idee, eine ‚Parität‘ erreichen zu müssen [und] Anteile an der ‚Beute‘ zu fordern“. (Barraclough 1991: 718) Mit der Festlegung des Kriteriums der effektiven Besetzung verschärfte die Berliner Konferenz den Wettlauf um Kolonialisierung noch (Dallinger/Golz 2005: 148). Die Konkurrenz um Kolonien führte an vielen Punkten zu zwischenstaatlichen Krisen, wie der Marokko-Krise zwischen Deutschland und Frankreich, oder Auseinandersetzungen zum Beispiel um die Türkei und das Horn von Afrika, an denen sowohl Deutschland, Großbritannien als auch Frankreich beteiligt waren.

Die Kolonialisierung AsienAsiens

Der koloniale Wettbewerb um AsienAsien zeigt in vielerlei Hinsicht ein ähnliches Muster wie in Afrika, mit einem wesentlichen Unterschied: Bei den asiatischen Staaten, insbesondere China, handelte es sich um Gebiete, die bereits über ein hohes Maß an Staatlichkeit verfügten. Aber in noch einem anderen Punkt unterschied sich Asien von Afrika: Durch die Präsenz der USA, die bis 1898 kein Interesse an kolonialen Besitzungen hatte, aber große Handelsinteressen, setzte sich in Auseinandersetzung mit den europäischen Mächten der Freihandel als zentrales Prinzip für den Handel in Asien durch. Tatsächlich wurden hier erstmals jene Prinzipien etabliert, die später zu globalen Handelsprinzipien wurden: Das Meistbegünstigungs- und Nichtdiskriminierungsgebot, die beide die Grundlage der liberalen Handelsordnung bilden.


„Imperialismus“, Die Aufteilung Chinas von Henry Meyer, 1898

Die Expansion der europäischen Staaten und der USA führte zunächst über eine Reihe ungleicher Verträge zur erzwungenen wirtschaftlichen ÖffnungErzwungene Öffnung Chinas und Japans. Mit dem sich verschärfenden Wettbewerb um kolonialen Besitz setzte jedoch auch in AsienKolonialisierungAsien eine schnelle Kolonialisierung ein. Dennoch weichen die Entwicklungspfade Chinas und Japans voneinander ab, bedingt durch unterschiedliche Grade an Staatlichkeit und der damit verbundenen Fähigkeit, der Konkurrenz der europäischen Mächte um kolonialen Besitz zu widerstehen. Während ein intern geschwächtes China bedingungslos unterworfen und fast zerstört wurde, etablierte sich Japan relativ schnell als regionale Macht, die sich selbst aktiv an der Kolonialisierung AsienKolonialisierungAsiens beteiligte und die Anerkennung der europäischen Staaten erwarb.


ChinaJapan
Ereignisse
weitgehende Selbstisolationweitgehende Selbstisolation
Widerstand gegen Öffnung des Handels für europäische MächteModernisierung Japans, Abschaffung der Feudalordnung, Iwakura-Mission in USA und Europa 1871–1873Aufgabe Isolationspolitik 1876
Opiumkrieg 1839–1842Niederschlagung Boxeraufstand 1900–1901Erster Chinesisch-Japanischer Krieg 1894–1895: Im Frieden von Shimonoseki erhält Japan Taiwan; Korea wird unabhängigRussisch-Japanischer Krieg 1904–1905: Japan erhält Protektorat über Korea und die Süd-Mandschurei
ungleiche Verträge
Vertrag von Nanking 1842: Abtretung Hongkongs an GBErzwingung des Handels mit USA 1853
Vertrag von Tianjin 1858: Einheitliche Basis für internationalen Handelerste Handelsverträge mit westlichen Mächten 1854: Zunächst Konzessionen für zwei Häfen für die USA, dann Verträge mit europäischen Staaten
erstes Büro für Auslandsbeziehungen
Annexionen durch AndereAnnexionen
Nordostchina durch JapanKorea 1910Mandschurei 1931
Korea durch Japan 1910NordostchinaSüdostasien 1941
Aufteilung Chinas in InteressensphärenJapan wird selbst Kolonialmacht 1874–1945

China und Japan als Kolonisationsobjekte

In SüdostasienKolonialisierungAsien standen mehrere europäische Mächte in Konkurrenz zueinander. Die Niederlande waren bereits seit dem 16. Jahrhundert Kolonialmacht. Frankreich etablierte sich zunächst als Protektoratsmacht über Kambodscha (1863) und weitete seine Herrschaft schrittweise auf Vietnam und Laos aus. Die Niederlande erweiterten in Reaktion auf das französische Vordringen in Südostasien ihr eigenes Kolonialreich über Java hinaus nach Sumatra, Borneo und Celebes (das heutige Sulawesi). Auch Großbritannien zog nach. Von Indien und Myanmar ausgehend besetzte es 1888 Nord-Borneo. Damit war die Kolonialisierung Südostasiens vollendet.

Merke

Territoriale Ausdehnung der Kolonialmächte

Nach dem Wettlauf um Kolonien war Großbritannien mit fast 33,8 Millionen km2 territorial gesehen ein Drittel größer als Russland (22,8 Millionen km2) und drei Mal so groß wie Frankreich (11,1 Millionen km2). Es stellte mit über 440 Millionen Einwohnern knapp mehr als ein Viertel der Weltbevölkerung (vgl. Abbildung 1.3 und 1.4).


Prozentuale Anteile der Kolonialmächte an der Erdoberfläche und der Weltbevölkerung 1914

 

KolonialbesitzKolonialismus, Ursachen an sich galt lange Zeit selbst unter den Kolonialmächten als nicht besonders lukrativ. Wie konnte sich die Praxis dann so schnell verbreiten? Dafür gibt es drei UrsachenUrsachen des Kolonialismus:

 Kolonialer Besitz vermittelte, so Zeitgenossen, das Gefühl nationalstaatlicher Größe. Der britische liberale Politiker Charles Dilke verband damit „das Element der ungeheuren Größe eines Herrschaftsbereichs, das wir in dieser Epoche brauchen, um zu einer großzügigen Denkweise zu kommen“ (zitiert nach Barraclough 1991: 714).

 Koloniale Erfolge lenkten von inneren Spannungen der wirtschaftlichen Depression 1873–1896 ab (Jansen/Osterhammel 2013). Dass Kolonialisierung zum Teil angetrieben war durch das Streben nach Prestige und Anerkennung, änderte nichts an ihren Effekten: sie verschärfte den Wettbewerb auch in anderen Bereichen.

 Zunehmender Protektionismus unter den europäischen und amerikanischen Staaten verstärkte den Konkurrenzkampf und erzeugte den wirtschaftlichen Druck, weitere Absatzmärkte zu erschließen. Auch das Ziel, weltweit den Freihandel zu verbreiten, verkehrte sich Ende des 19. Jahrhunderts in sein Gegenteil. Mit der tatsächlichen Herrschaftsgewalt über die Kolonien bauten die meisten Kolonialmächte exklusive Handelsbeziehungen zu ihren Kolonien auf, was notwendigerweise zu Lasten der anderen Staaten lief.

Das Ergebnis dieser Kräfte war, dass alle Großmächte auf Eroberungen aus waren und bis auf Österreich-Ungarn auch Kriege führten, um ihre Besitzrechte auf andere Kontinente auszuweiten.

Deutschland und Japan als aufsteigende Mächte

Eine wichtige Antriebskraft in diesem Wettbewerb waren die neuen aufstrebenden Mächte Deutschland, Italien, Japan und die USAfett>Aufstrebende Mächte. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war es immer noch Frankreich, das sich im Wettbewerb um die globale HegemonieHegemonie mit Großbritannien betrachtete. Die nationalstaatliche Einigung und die mit der Industrialisierung einhergehende technologische Innovation brachten aber ganz neue Staaten in Stellung, Großbritannien herauszufordern. Dies waren vor allem die USAUSA, die durch ihre neuen kolonialen Besitzungen in Zentralamerika (Kuba) und im Pazifik (Hawaii, Philippinen) im Vergleich zu vorher nun mehr Interessen im Pazifik entwickelten, sowie Japan und Deutschland, die in diesem Zeitraum eine enorme technologische Entwicklung vollzogen und ebenfalls begannen, sich in Konkurrenz zu Großbritannien zu positionieren. Das Deutsche ReichDeutsches Reich hatte durch seine nationalstaatliche Einigung flächenmäßig in Europa Großbritannien und Frankreich überholt. Zwischen 1850 und 1910 hatte sich seine Bevölkerung von 36 auf 65 Millionen Einwohner vergrößert. Im Vergleich dazu war die französische Bevölkerung nur sehr maßvoll gewachsen, von 36 auf 40 Millionen. Großbritanniens Bevölkerung war von 28 Millionen auf 45 Millionen angestiegen (Osterhammel 2012). 1898 begann das Deutsche Reich eine Flottenpolitik, die explizit darauf angelegt war, Großbritanniens HegemonieHegemonie auf den Weltmeeren zu brechen.

Außenpolitisch gelang es dem Deutschen Reich unter Bismarck, die sich abzeichnenden Konflikte durch ein kompliziertes Allianzsystem einzuhegen. Bismarcks AllianzpolitikAußenpolitik: Bismarck’sches Bündnissystem zielte nach 1871 darauf ab, immer mindestens ein Dreiergespann einer Allianz gegen Frankreich und Großbritannien zu bilden und gleichzeitig Konflikte zwischen gegensätzlichen Interessen innerhalb der Dreierkonstellation auszutarieren (vgl. Tabelle 1.4). Die Interessenkonvergenz zwischen dem Deutschen Reich und Großbritannien bzw. Russland verschwand jedoch im Zuge der verschiedenen Balkankonflikte sowie der Interessen des Deutschen Reiches an der Türkei und am Horn von Afrika, die das britische Misstrauen weckten. Gleichzeitig einigten sich Großbritannien und Frankreich sowie Großbritannien und Russland über koloniale Einflusssphären und näherten sich an. Damit zeichnete sich eine außenpolitische Isolierung des Deutschen Reichs ab. Wilhelm II. (Bismarck war abgesetzt) empfand die Selbstverpflichtung, die in dem BündnissystemBismarck’sches Bündnissystem angelegt war, als Beschränkung seiner Möglichkeiten, verfolgte eine Politik der freien Hand, und verlängerte wichtige Abkommen nicht, darunter das Rückversicherungsabkommen mit Russland. Damit war die Grundkonstellation des Ersten Weltkriegs entstanden, mit dem Deutschen Reich und Österreich auf der einen Seite und Großbritannien, Frankreich und Russland auf der anderen Seite.


VertragBeteiligteZweck
Bündnissystem Bismacks
Dreibund (1882)Italien, Österreich, Deutschlandwechselseitiger Schutz vor Angriff
Rückversicherungsvertrag (1887)Deutschland, Russlandwechselseitiger Schutz vor Bündnis mit Großbritannien oder Frankreich;Abschirmung gegen Nebeneffekte der österreichisch-russischen Spannungen
Mittelmeerabkommen (1887)Deutschland, GroßbritannienVerhindern eines französischen Vorstoßes ins Mittelmeer bzw. russischer Vorstöße auf Balkan oder türkische Meerengen
Gegenallianzen
Französisch-Russisches Bündnis (1892)Russland, Frankreichsofortige und gleichzeitige Mobilmachung von Streitkräften gegen Deutschland bei Angriff
Entente Cordiale (1904)Frankreich, GroßbritannienSchutz vor Deutschland
Britisch-Russisches Abkommen (1907)Großbritannien, RusslandSchutz vor Deutschland und Österreich

Das Bündnissystem Bismarcks und seine Gegenallianzen

Ähnlich wie Deutschland in Europa hatte auch Japan seine Position in Ostasien stark verbessert. Es war vom potentiellen Kolonisationsobjekt bis 1905 – nach dem Krieg mit Russland – zu einem vollwertigen Mitglied der Völkerrechtsgemeinschaft aufgestiegen (Osterhammel 2011: 689). Beide Staaten gehörten zur Gruppe der Staaten, die sich schnell industrialisierten. Bei beiden Staaten handelte es sich also um aufstrebende Mächte. Japan und Deutschland schickten sich auch zunächst unabhängig voneinander an, eine regionale Vormachtstellung zu erreichen. Für Deutschland ging es dabei jedoch recht schnell auch um die Ablösung Großbritanniens als Weltmacht. Dies sollte über die Herausforderung der britischen HegemonieHegemonie im Schlachtschiffflottenbau geschehen, entsprach aber ebenfalls einem allgemeinen „Trend im internationalen System […], die britische Seehegemonie durch ein neues Gleichgewicht auf den Ozeanen abzulösen“ (Osterhammel 2011: 676). Europa und Asien traten damit in einen offensiven Rüstungswettlauf ein, der aneinander gekoppelt war, weil er sich gegen ein in beiden Regionen präsentes Großbritannien richtete.

Globaler Wandel und der Weg in den Ersten WeltkriegErster Weltkrieg

Zum Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts hatten sich somit bedeutende globale Veränderungen vollzogen:

 Die USA, Deutschland und Japan waren – beeinflusst durch eine enorme wirtschaftliche Entwicklung – die aufstrebenden Staaten am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert. Sie standen nicht nur im Wettbewerb mit den etablierten Mächten Großbritannien, Frankreich und Russland, sondern konkurrierten auch untereinander um Anerkennung als neue Großmächte.

 Die bisherigen Großmächte stiegen zum selben Zeitpunkt in eine verstärkte Konkurrenz um Kolonien ein. In Afrika und Asien ging es um Handelsprivilegien und politischen Einfluss. Verschärft wurde dieser Wettbewerb durch einen nationalstaatlichenNationalstaat Protektionismus: Die neuen Kolonien wurden durch exklusive Handelsbeziehungen mit ihren Kolonialmächten integriert, was andere Staaten benachteiligte.

 Auf dem Balkan standen die führenden Großmächte Großbritannien, Frankreich, Österreich-Habsburg, Deutschland und Russland im Wettbewerb.

 In Asien kam es zum Krieg zwischen Japan und Russland.

Global betrachtet war die Wahrscheinlichkeit eines Kriegsausbruchs somit relativ hoch.

Dass sich dieser Krieg ausgerechnet im Balkan entzündete und dann globale Ausmaße annahm, hatte viele Ursachen.

Kriegsauslöser war die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Frau in Sarajevo durch einen serbischen Nationalisten. Österreich stellte daraufhin Serbien ein Ultimatum, den Attentäter auszuliefern, das die serbische Regierung verstreichen ließ. Das österreichische Ultimatum aktivierte eine Reihe von Bündnisverpflichtungen, bzw. löste Reaktionen auf antizipierte Gegenmaßnahmen aus, wie den preußischen Präventivangriff auf Belgien (Schlieffen-Plan) zur Einkreisung der französischen Truppen. Dies führte zur schnellen Eskalation und machte den Krieg letztlich schwer vermeidbar.

Bündnisverpflichtungen und Eskalation bis zum Kriegsausbruch

Nachdem die Serben das österreichische Ultimatum verstreichen ließen, führte dies zu einer Reihe von Aktionen und Reaktionen, die letztlich in den Krieg führten:

 Österreichs Truppenmobilisierung löste für Russland, das wiederum mit Serbien ein Beistandsabkommen hatte, den Verteidigungsfall aus.

 Der Kriegseintritt Russlands hätte aufgrund des Französisch-Russischen Bündnisses den unmittelbaren Kriegseintritt Frankreichs nach sich gezogen. Preußen verfolgte deshalb die Option, einer französischen Mobilisierung zuvorzukommen und über Belgien die französischen Truppen einzukreisen. Allerdings geriet der Vormarsch schnell ins Stocken. Auf dem Vormarsch durch Belgien verübten deutsche Truppen Massaker an der belgischen Zivilbevölkerung und zerstörten die belgischen Städte Löwen und Lüttich. Auch die belgische Stadt Ypern wurde völlig zerstört.

 Der völkerrechtswidrige Angriff auf Belgien führte zum Kriegseintritt Englands und damit zu einem Dreifrontenkrieg für das Deutsche Reich.

Von Kriegsauslösern zu unterscheiden sind die tieferliegenden UrsachenTieferliegende Ursachen des Ersten WeltkriegErster Weltkriegs, die jedoch sehr unterschiedlich bewertet werden:

Die Standardursache, die Historiker anführen ist, dass das nach dem Reichsaußenminister benannte Bismarck’sche Bündnissystem als ein defektes Allianzsystem zu betrachten ist, über das sich das Deutsche Reich und Österreich wechselseitig in die Balkan-Konflikte verstrickten und dann in einen Krieg zogen (vgl. Craig/George 1988; Clark 2012: Kap. 3, vgl. Einheit 6).

Eine andere Erklärung zielt auf territoriale Expansion und damit zusammenhängend auf die Bedeutung der Konzentration von Großmachtinteressen ab: Laut Barraclough (1991) wurde der Balkan kriegsauslösend, da sich die Großmachtkonkurrenz hier stark konzentrierte: Russland wandte sich nach seiner Niederlage gegen Japan über Korea wieder dem Westen zu und stieß hier direkt auf die Interessen Österreich-Ungarns. Das Deutsche Reich mischte sich im Balkan ein, um Interessenkonflikte zwischen Großbritannien, Österreich-Habsburg, Frankreich und Russland zu schüren und diese aus dem Deutschen Reich herauszuhalten. Gleichzeitig schürte die deutsche Expansion in der Türkei und im Nahen Osten das Misstrauen Großbritanniens und Russlands, die diese als Bedrohung ihrer eigenen Interessen wahrnahmen.

Aus einer globalen Perspektive war der Erste WeltkriegErster Weltkrieg das Ergebnis einer Kombination von Faktoren, durch die es nicht mehr gelang, Kriege zu lokalisieren. Dazu gehört der imperialistische Wettlauf um Kolonien, der die Rivalitäten zwischen den europäischen Staaten verschärfte, und bei dem es nicht mehr nur um Großmacht-, sondern um Weltmachtstatus ging. Dazu gehörten auch die Erschütterung des Machtgleichgewichts durch die deutschen und italienischen Einigungen sowie die Bedrohung der britischen HegemonieHegemonie durch die neuen aufstrebenden Mächte Deutschland, Japan und die USA.

Im Ersten WeltkriegErster Weltkrieg kämpften ursprünglich die sogenannten Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn gegen die Entente, bestehend aus Russland, Frankreich, Serbien und Großbritannien. Italien war anfangs neutral, trat jedoch 1915 auf der Seite der Entente in den Krieg ein. Rumänien folgte ihm 1916 (siehe dazu Tafel VII, S. 430). Das Osmanische Reich und Bulgarien traten auf der Seite der Mittelmächte in den Krieg ein. Im Verlauf des Kriegsgeschehens im Nahen Osten schlossen Frankreich und Großbritannien 1916 das für die Region folgenreiche Sykes-Picot-Abkommen, in dem sie den Nahen Osten unter sich aufteilten mit dem Ziel, der Osmanischen Herrschaft in diesem geografischen Raum ein Ende zu setzen.

 

Das Sykes-Picot-Abkommen 1916

Großbritannien und Frankreich einigten sich im Sykes-Picot-Abkommen auf eine Aufteilung der Interessensphären im Nahen und Mittleren Osten. Im Kampf gegen die Mittelmächte machte Großbritannien in der Balfour-Deklaration (1917) darüber hinaus weitgehende Zugeständnisse an die jüdische Bevölkerung und sicherte ihr eine „Heimstätte“ in Palästina zu. Dies führte zu verstärkter Einwanderung der jüdischen Bevölkerung nach Palästina und zu Konflikten zwischen der jüdischen und der arabischen Bevölkerung, die noch heute den Kern des israelisch-palästinensischen Konfliktisraelisch-palästinensischer Konflikts bildet. Die Abkommen bildeten die Grundlage des Friedensvertrags nach dem Ersten WeltkriegErster Weltkrieg für die Türkei. Sie stießen auf den Protest der US-Regierung unter Woodrow Wilson, der in ihnen eine Verletzung der von ihm proklamierten Prinzipien sah.

Der Krieg wurde über vier Jahre unter einem menschenverachtenden Einsatz von Leben in einer – wie die deutsche Oberste Heeresleitung es nannte – „Materialschlacht“ (darunter fielen auch die Soldaten) geführt. Russland schied 1917 aufgrund der Russischen Revolution aus dem Krieg aus, dafür traten jedoch die USA auf Seiten der Entente ein und sorgten für einen nahezu unbegrenzten Nachschub an Truppen (Rudolf/Oswalt 2010: 164), der letztlich kriegsentscheidend war. Zum Verlauf des Ersten Weltkriegs siehe Tafel VIII, S. 431.

Als verhängnisvoll für das Deutsche Reich erwies sich seine Reaktion auf die durch Großbritannien verhängte Kontinentalsperre, die vor allem seinen Handel treffen sollte: Es begegnete der Handelsblockade durch einen „unbeschränkten U-Bootkrieg“ gegen Handels- und Kriegsschiffe, bei dem Schiffe ohne Vorwarnung versenkt wurden. Dies betraf vor allem den Handel neutraler Staaten wie den USA, die sich lange Zeit aus dem Krieg herausgehalten hatten, und bewirkte deren Kriegseintritt. Der Krieg endete im November 1918 mit einem Waffenstillstand und wurde offiziell mit den Versailler VerträgeVersailler Verträgen 1919 beschlossen.