Read the book: «Ich atme ein – Ich raste aus!»
Angela Dumrath
ICH ATME EIN – ICH RASTE AUS!
Kolumnen
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2018
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Copyright (2018) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte bei der Autorin
Titelfoto © Zoe (Adobe Stock)
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
1.WARUM IST DAS SO?
Es gibt Dinge, die ich nicht kapiere. Warum finde ich in meiner Besteckkastenschublade Brotkrumen? Ich schwöre es, in diesem Bereich befindet sich nicht der Brotkasten. Ich habe es eilig. Schnell noch einen Schluck Kaffee nehmen und da ist es passiert. Ein brauner Fleck an einer Stelle, die sich auch nicht verstecken lässt. Zwei Zahlen beunruhigen mich: die auf dem Kontoauszug und die, die auf der Waage angezeigt werden. Das sind Dinge, die mich nachhaltig erschüttern. Warum ist das so?
Zur Kultszene gehört der von mir hoch geschätzte Liedermacher Konstantin Wecker. Einst freite er eine 30 Jahre jüngere Frau. Sie war gerade 18 geworden. Mit 29 Jahren begann sie zu verwelken. Höchste Zeit, sich im Gemüsegarten nach frischen Sprossen umzusehen. Ein blonder langhaariger Engel steht jetzt mit ihm auf der Bühne. Der Dümmste merkt es, die beiden machen nicht nur Musik miteinander. Er, der mich berührte hat mit seinen kraftvollen Liedern „Sag nein“ und „Revolution jetzt.“ Lieder, die aufwühlten, den Verstand wachrüttelten. Nun singt er mit diesem kleinen Mädchen mit lustigem Hut „wo ein Wille ist, ist auch ein Gebüsch.“ Ich bin fassungslos und verstehe es nicht. Warum ist das so?
Da fällt mir Picasso ein: Er hat im fortgeschrittenen Alter Frauen vom Bauchnabel an bis zu den Oberschenkeln skizziert. An den restlichen Körperteilen hatte er kein Interesse. Die Kunstwelt verwirrte das, bescheinigten aber, dass dies Skizzen in der späten Schaffensphase des Künstlers entstanden wären. Denn nur in dieser Zeit habe er mit breitem Pinsel-Duktus gemalt. Aha! Millionen blätterten sie für diese Alt-Männer-Phantasien hin. Warum ist das so?
Ulrich Tukur, seine Filme sind „Kult“, seine Musikband auch. Nun tut er etwas ganz Außergewöhnliches. Er kommt mit heruntergelassener Hose auf die Bühne. Erst war das Publikum vor Staunen sprachlos, dann brandete tosender Beifall auf. Fortan bezeichnet man das als Kult. Wenn ich ab Taille unbekleidet vor ihnen stehen würde, landete ich in der Psychiatrie. Warum ist das Kult?
Rund um den Globus wird das Bild vom hässlichen Deutschen gezeichnet. Warum? Wir bemühen uns doch redlich, den Verfolgten und Verarmten ein besseres Leben bei uns zu ermöglichen. In Frankreich kümmert man sich nicht um die Gestrandeten. Aber der Franzose muss sich nicht sagen lassen, dass er eine scheußliche Fratze trägt. Engländer erschweren den Zugang zu ihrem Land, Ungarn zieht hohe Stacheldrahtzäune um seine Grenzen, in Mazedonien schießt man wahllos auf Flüchtlinge. Nein, da sagt man allenfalls, das ist unschön und so was macht man nicht. Warum ist das so?
In den letzten Jahren sind heftige Stürme über unser Land hinweg gefegt. Haben Bäume wie Streichhölzer zum Fallen gebracht und viel zerschlagen. Mit Hochdruck wurden die Schäden beseitigt. Wir sind spießige Aufräumer heißt es dann. Der Grieche lässt den Schrott liegen, nach 2000 Jahren wird er zum Weltkulturerbe erklärt. Warum ist das so?
„Mit Holsten knallt‘s am dollsten.“ Motto für das Wacken-Open-Air. Biertrunkene und Halbnackte formen das Victory-Zeiche, wälzen sich zu krachender Musik im Schlamm, harren im Dreck eine Woche aus, und zwar freiwillig. Ein Flüchtlingscamp würde man sofort schließen. Auf ARTE, dem Kanal für gehobene Unterhaltung, sendet man an vier Tagen stundenlang diese Schlammorgien, weil Wacken „Kult“ ist. Warum ist das so?
Den hässlichen Deutschen habe ich gesichtet. Er tummelt sich an warmen Tagen leicht bekleidet am Strand, in der Fußgängerzone und vor Flüchtlingsunterkünften. Die strammen Muskelpartien zieren Tattoos unterschiedlichster Art. Er fühlt sich auch dazu berufen, grölend seine Meinung zu äußern, wie „Ausländer raus“ und „Juden ins Gas“ Zumeist ist eine Bierdose sein Begleiter. Das ist abscheulich. Warum ist das so?
Ich weiß es doch auch nicht. Ich kann es nicht sagen, sonst würde ich nicht fragen.
2.VERÄNDERUNGEN
„Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist nur eine vorübergehende Erscheinung.“ Diese Meinung vertrat der letzte Kaiser Wilhelm II. Ein Manager der amerikanischen Filmindustrie erklärte, dass er für das Fernsehen keine Zukunft sehe, weil kein Mensch Lust darauf habe, nach Feierabend in einen Holzkasten zu glotzen. Nicht vorstellbar war, dass der Computer eines Tages in allen Büros und Privathaushalten stehen würde. Wie man sich doch geirrt hat! Aus unserem Alltag sind diese drei Säulen der Erfindungen nicht mehr wegzudenken. Und ja, sie haben unser Leben verändert.
In den IT-Schmieden tüftelte man an einem kleinen flachen Ding, welches in jeder Hosentasche Platz findet, ohne dabei aufzutragen. Auf die Welt kam das Smart-Phone und trat seinen Siegeszug rund um den Globus an. Whats App-Nachrichten und E-Mails werden sekündlich um den Erdball gejagt. Mit dieser Segnung der Wissenschaft hat sich das Leben mit- und untereinander atemberaubend verwandelt.
In Zeiten, wo man ohne Whats App auskommen musste, war es nicht so einfach, eine Beziehung zu beenden. Da musste man noch reden, sich unangenehmen Themen stellen, sich Vorwürfen aussetzen, um dann mit einem lauten Knall die Tür zuzuschlagen. Die Tür zum Herzen und dieselbe zum Haus. Heute simst man ganz einfach „es passt nicht.“ Mit einem Klick ist es aus die Maus und schon ist man aus dem ganzen Stress heraus. Man erspart sich aufreibende Debatten, ob man es noch einmal versuchen soll oder das Betteln um eine zweite Chance.
Selbstverständlich hat sich die Wissenschaft mit dieser Kommunikationsform unter Liebenden angenommen. Man fand heraus, dass jeder 10. beim Sex am Handy rum fummelt und fasste zusammen, dass Whatsapp und Co. der Liebeskiller Nummer eins ist. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie eine romantische Stimmung zustande kommt, wenn man zarte Liebesworte ins Ohr haucht und er dabei aus seiner viel zu engen Jeans das Handy raus wurstelt. Auch die Essgewohnheiten sollen sich durch die ständigen Piep-Töne einer ankommenden Nachricht geändert haben. Studien belegen, dass sich Familie ein- bis zweimal in der Woche am gemeinsamen Esstisch trifft. Aber da sitzen dann auch haufenweise andere Leute, die sich mit wichtigen Nachrichten zu Wort melden. Außer der langweiligen Frage, „wie war es in der Schule?“ und einer mürrischen Antwort bleibt keine Zeit für Gespräche.
Eine liebende Gattin und Mutter von zwei Kindern wartet auf ihren Mann. Dieser simst mal kurz, „er stecke im Stau.“ Dabei entspannt er sich in der Natur mit einer billigen aber willigen Frau. So viel Lügen, wie in diesen Zeiten sind noch nie gelogen worden.
Ein Mann reichte gleich nach der Hochzeitsnacht die Scheidung ein. Die Auserwählte wollte nicht mit ihm schlafen, weil sie erst auf die zahlreichen Glückwünsche per SMS antworten musste. Dem Ehemann gefiel das ganz und gar nicht. Er forderte sie auf, das Handy unverzüglich aus der Hand zu legen. Seine Bitte war erfolglos. Dann fragte er leicht zynisch, „ob die Freunde auf Facebook und Twitter wichtiger wären als er?“ Sie antwortete knapp mit „Ja.“ Wütend verließ der Bräutigam die Hochzeits-Suite. Sein Gang führte unmittelbar zum Scheidungs-Anwalt.
Trotz aller Versuche, sich mit dem Smart-Phone durch die Zeiten zu mogeln, wir müssen damit leben und damit richtig umgehen. Es ist, wie es ist und wer die Spur nicht wechselt, hat keine Chance zum Überholen.
3.GRILLEN & CHILLEN
Zwischen den Duft von frühlingshaftem Mai wabern langsam, aber immer intensiver die Gerüche von Gegrilltem. Ja, die Saison ist für diese Art des Zubereitens von klodeckelgroßen Fleischlappen angebrochen. Ein Vergnügen, welches hauptsächlich die Männer liebend gern übernehmen. Auch Ronny gehörte zu den tapferen Helden am offenen Feuer. Auf seiner Schürze prangten in großen Buchstaben „Grillen & Chillen. Seine Hände steckten in dick wattierten Handschuhen, passend zur Farbe der Schürze. Ich war die Erste, damit ich auf einem Plastiksessel am gedeckten Tisch Platz nehmen konnte. So hatte ich die Möglichkeit, die ankommenden Gäste bei einem kühlen Glas Wein zu beobachten. Mut hat er, unser Ronny. Auf der Gästeliste standen nämlich die gemeinen Fleischfresser, Vegetarier und solche, die an Veganismus leiden.
Lisa hatte selbst eingelegten Tofu dabei. Ehe sie uns begrüßte, warf sie einen Blick auf den Grill. „Hat da schon mal Fleisch draufgelegen?“, fragte sie mit leicht hysterischer Stimme. „Ich habe ihn gründlich gereinigt, erwiderte Ronny. „Pfui Deibel, du hast ja Speck um die Pilze gewickelt. Das ist ja so was von eklig. Mit gequälter Miene schubste sie die mühsam gerollten kleinen Snacks an den Rand des Grills.
Kai schaut derweilen verächtlich auf den Teller von Marie-Luise, die Gemüse und vegetarische Bratwurst geladen hatte. „Während er seine fetttriefende Wurst mit Senf und Mayo zuschaufelte, bemerkte er so nebenbei: „davon wirst du auch nicht schlanker. Gemüse schmeckt am besten, wenn man es durch ein saftiges Steak ersetzt. Ha Ha! Hab ich recht oder hab ich recht, wandte er sich Ronny am Grill zu. Unerschrocken stieß Marie-Luise ihre vegetarische Kreation der „Rügenwalder Mühle“ in den noch unverschlossenen Mund und bemerkte zynisch, dass sie nicht gewillt sei, auf diese respektlose Bemerkung näher einzugehen. Man sehe unzweifelhaft an seinem Bauch, was er esse und das wäre kein schöner Anblick.“ Kai tat dies mit einer verächtlichen Handbewegung ab und trank erstmal sein selbst gezapftes Bier in einem Zug herunter. „Prost! Gerste und Malz, Gott erhalt’s.“ Die Stimmung wurde keineswegs gemütlicher.
Um 19 Uhr traf Sven ein und wirft sein T-Bone-Steak auf den Grill. „Entschuldigung, du hast mit deinem Fleisch mein vegetarisches Filet berührt“, jammerte Lisa. Wie soll ich das noch essen?“ Ah, du bist auch eine von denen, die unschuldige Möhrchen ins kochende Wasser schubst. „Und dir sei gesagt, lieber Sven, kein Mensch ist unnütz. Er kann immer noch als schlechtes Beispiel dienen, fauchte Lisa ihn an.“
Ronnys Lebenspartnerin Annegret, die gerade eine Ananas-Kur machte und sich nur einen Maiskolben rösten ließ, versuchte zu beschwichtigen. „Wir markieren mit Kartoffeln eine Linie, damit jeder getrennt sein Lieblingsessen grillen kann.“ Die Front der Veggis forderte, den Rost zuvor zu reinigen, um dann mit dem „gemütlichen Abend“ fortzufahren. „Das bringt ja gar nichts. Wenn schon, denn schon! In die Kohle ist viel Fett getropft. Deshalb muss sie auch ausgetauscht werden.“ Ronny entschuldigt sich dafür, dass er keinen zweiten Grill angeschafft habe.
Jutta sucht nach weizenfreiem Brot. „Weizen ist deshalb so böse, weil früher ein Halm nur 12 Körner tragen konnte. Durch Züchtung erreicht man heute 46 - 56 Körner und deshalb ist Weizen nicht mehr bekömmlich“, belehrte sie uns. Ihre aufschlussreichen Worte dienten jedoch nicht der miesepetrigen Stimmung. Marie-Luise bittet um einen Schluck Leitungswasser. „Der Zuckergehalt in den Fruchtsäften ist für mich einfach zu hoch, verklebt die oberen Hautschichten, was dazu führt, dass man grau wie ein alter Esel aussieht“, belehrte sie uns.
Ronny witzelt „kommt sofort! Hier hast du Wasser, welches ich eigenhändig aus den Tiefen eines Bergsees geschöpft habe, Jahrgang 2018.“ Marie-Luise schüttelte verständnislos ihr flatterhaftes Haar. „Du Schlaumeier weißt aber schon, dass in Frankreich ein See ausgetrocknet ist, weil Nestle die Quellen restlos ausgebeutet hat, um Wasser in Plastikflaschen abzufüllen und teuer zu verkaufen. Das sei ein Politikum“, blaffte sie uns alle an.“ Kai trällert frech: „Am Berg da rauscht der Wasserfall. Wenn’s nicht mehr rauscht, ist‘s Wasser all.“
„By the way, meldete sich Sven zu Wort, der bislang eher gelangweilt in der Holzkohle rumstocherte. „Trump hat getwittert…“ „Halt, mischt Kai sich ein. „Wenn wir jetzt über Politik reden wollen, bin ich raus.“
Annegret lobt die mitgebrachten diversen Beilagen. „Hier haben wir wunderbares Kräuter-Pesto und eine schmackhafte Avocado-Creme, einen Kartoffel- und Nudelsalat. Jutta rollt mit den Augen und zieht ihre linke Augenbraue missbilligend hoch. Marie-Luise erhob wieder ihre Stimme: „Liebe Annegret, du weißt aber schon, dass Avocado-Früchte eine verheerende Umweltbilanz aufweisen.“ Kai schwoll der Hals: „Jetzt werden wir schon wieder politisch. Wir waren uns doch einig, dass wir dieses Thema nicht beackern wollen.“ „Ne, nur du bist mit dir einig. Wenn es darum geht, mal richtig hinzusehen, machst du lieber die Augen zu“, wetterte Marie-Luise. Ich versuche es mit einem Witz. „Frau mit Grill sucht Mann mit Kohle.“ Mäßiges, fast verkrampftes Lachen.
Es dämmerte. Am Himmel schaute uns der Mond zu. Lächelte er oder ist ihm auch die Fröhlichkeit abhandengekommen, grummelt es in meinem Inneren. Wehmütig dachte ich an vergangene Zeiten, wo man mit einem einfachen Kartoffelsalat nach Omas Rezept und einem Grillwürstchen allerbeste Laune hatte. Was ist bloß los mit euch?, frage ich mich ratlos. Mit jedem Häppchen, was in den Mund gesteckt wird, befürchtet man den ungesunden Vergiftungstod. Mein Blick traf rein zufällig den von Marie-Luise. Sie kauft ihre Lebensmittel nur an der Biotheke, lässt sich aber die Stirnfalten - auch Zornesfalte genannt - mit Botox wegspritzen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit räuspert sich Annegret, die immer noch an ihrem Maiskolben nagte: „Habt ihr es auch schon gehört? Leslie und Malte haben sich getrennt.“ „Das war von Anfang an klar, hab ich mir schon gedacht, waren die eigentlich verheiratet, ne, Leslie war noch nie verheiratet, aus gutem Grund, an der ist ja nichts dran, so dünn wie die ist, launisch ist sie außerdem, hätte lieber mal ein Butterbrot essen sollen. Malte ist auch ein Blödmann, er lässt nichts anbrennen, sein Herz ist ein Bienenkorn, die Bienen sterben aus. Gehört ihm eigentlich der Mercedes oder doch Leslie?, schwirrten plötzlich alle Stimmen durcheinander. Kai schmetterte mit kräftiger Stimme. „Plötzlich gingst du fort von mir. Sagtest:“ ich muss weg von Dir. Mit mir hieltest du es nicht aus, packtest deine Sachen und zogst aus.“ Endlich kam Schwung in die Unterhaltung.
Ronny zog sich die dick wattierten Handschuhe aus und die Schürze ab. Ein richtig netter Grill-Abend. Sollten wir öfters machen.
4.“WER HAT SCHON GUT LACHEN, WENN ER NACKT AUF DORNEN SITZT!“ (SORBISCHES SPRICHWORT)
„Schneeflöckchen weiß Röckchen“ damit werde ich heute Morgen von einer Frauenstimme geweckt, die das Lachen anscheinend automatisch eingebaut hat. Schon fast fröhlich stehe ich auf, freue mich auf meine schneebedeckte Terrasse. Ne ist nicht, grau und schmuddelig empfängt mich der trübe Morgen. „In einigen Teilen Schleswig-Holsteins können wir bis zu 4 Stunden Sonne erwarten“, verkündet die Lachstimme. Ja, murmele ich vor mich hin, „an einem geheim gehaltenen Ort.“ Nun gehöre ich morgens zu den Menschen, die eher brummig den Tag beginnen und da kommt das frohe Laune provozierende Gelächter der Radiomacher bei mir gar nicht gut an.
Überhaupt wird alles an Beschwerlichkeiten weggelacht. Mir völlig fremde Wesen wollen mich mit Heiterkeit und positiver Ausstrahlung dazu bringen, mir Dinge schön zu reden, die im realen Alltag weder schön noch zum Lachen sind. Zum Beispiel: Ein gut aussehender älterer Herr mit schlohweißen Haaren lässt sich über beide Ohren grinsend mit dem Treppenlift im Eigenheim nach oben befördern. Der Kerl sieht aus wie ein Eintänzer auf dem Traumschiff und hat vielleicht mal eben die 50 Jahre überschritten. Und dem soll ich abnehmen, dass er froh darüber ist, dass er nicht ohne Beschwerden die Treppe herauf steigen kann?
Oder ein Tanzpärchen schwebt schwungvoll über den Bildschirm. Sie ist mit einem Röckchen bekleidet, welches äußerst knapp den Po bedeckt. Er steckt in einem hautengen Fitnessdress. Beide, nicht mehr ganz jung, bejubeln ihre geschmeidige Beweglichkeit. Ypiie, endlich habe ich es geschafft, endlich kann ich sie auch tragen, scheint die übermütig lachende Frau zu frohlocken. Und für was macht sie Reklame? Für Tena-Lady, dieses schmucke Hilfsmittel für inkontinente Frauen ab 40. „Mit 40 inkontinent?“, frage ich mich. In dem Alter habe ich noch gar nicht gewusst, dass so etwas möglich sein könnte.
Eine strahlende Frau beißt kraftvoll mit schneeweißen Zähnen in einen knackigen Apfel und bietet Protefix als sicheres Haftmittel für die Dritten an. Das ist nicht lustig, wenn man nicht mehr über eine flächendeckende Kauleiste verfügt.
Schwungvoll bewegt sich eine, sagen wir Mitvierzigerin auf dem Rasen, spielt Fußball mit den Enkeln, zerrt rastlos einen Staubsauger hinter sich her, lacht, hat ein fröhliches Liedchen auf den Lippen und ist richtig gut drauf, so dass die Katze etwas verstört hinter ihr herschaut und sich verdutzt fragt, „was ist denn mit der heute los?“ Der Grund für die Ausgelassenheit ist eine Salbe, die sie sich einfach auf das rot angeschwollene Knie reibt. Fit, wie selbige Katze kann sie sich jetzt für den nächsten Stadtlauf anmelden. Wer aber weiß, wie quälend dieser Körperteil schmerzen kann und eigentlich nichts hilft, außer liegend zu ruhen, der lässt zumindest den Staubsauger in der Ecke stehen.
Ein grauhaariger Dauerlächler grinst mich schon wieder an. Frohgemut verkündet er, „dass es ihm schwerfällt über das Thema zu sprechen, aber es gibt eine Lösung“ verspricht er! „Wenn Mann nicht kann“ kann man Abhilfe mit ….. schaffen. Das ist doch der Eintänzer vom Treppenlift???, denke ich. Diesmal hat er sich übermütig ein buntes Käppi auf sein schütteres Haupt gesetzt. Die Füße stecken in jugendlichen neonfarbigen Turnschuhen. Obwohl er zu seiner Geh- nun noch eine Stehschwäche zu beklagen hat, der Biss stark eingeschränkt ist und auf dem Kopf 3 Haare sich auf 27 Reihen tummeln, lacht dieser Teufelskerl einfach alles weg. In Wirklichkeit denkt er „Sch ……., das auch noch.“
Die Best-Ager müssen für alles herhalten, um das Älterwerden schön zu reden. Bei euch ist das Gold vergraben säuseln die Werbefritzen. Wir sind gern behilflich, diesen Schatz zu heben.
Ich habe einen dicken Kloß im Halse stecken, stelle fest, dass ich mir selbst auf die Nerven gehe, weil ich auch ein Dauerlächeln angeknipst habe. Positiv denken, handeln und so grinse ich ständig in fremde Gesichter. „Musst du dauernd so nett sein und die Leute mit deinem ‚Habt-mich-bitte-alle-lieb-Lächeln‘ angrinsen?“, frage ich mich. Obwohl der Platz im Bus nicht besetzt ist, erkundige ich mich „ist hier noch frei?“ „Nö, meine Tasche sitzt hier“ kommt eine patzige Antwort. Wenn ich jemanden anrufe, flöte ich lieblich „ich hoffe, ich störe nicht.“ „Passt gerade nicht so“, kommt es vom anderen Ende, „stecke mitten im Stau.“ Das ist wahrscheinlich eine dicke Lüge. Ich beschließe, dass jetzt mal Schluss ist mit diesem Getue. Nein, ich werde nicht mehr dauernd dieses „Postiv-Denken-Lachen“ mit mir herumtragen. I’m not amused.“
Gerade hatte ich mir das Lachen aus dem Gesicht gewischt, ruft meine Freundin an. Weinend erzählte sie mir, dass sie eine furchtbare Auseinandersetzung mit Karl-Heinrich gehabt hätte. Es wäre fast zur Trennung gekommen. Nachdem Karli-Schatz sich beruhigt habe, redete sie aufgeregt weiter, hätte er sie auf Knien angefleht „Herta, wenn ich dich jemals schlagen sollte, dann pack deine Koffer und geh. Das war so süß, ich hatte Tränen in den Augen“, schluchzte Herta. Da musste ich lachen.
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