Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962)

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Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962)
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Andreas Roth

Johann Albrecht von Reiswitz

(1899–1962)

Vom unbequemen Südosteuropaexperten zum Kunstschützer


Umschlaggestaltung: Ecotext-Verlag Mag. G. Schneeweiß-Arnoldstein, 1010 Wien Sämtliche Abbildungen: Archiv des Autors

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ISBN 978-3-99081-024-8

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Layout: Ecotext-Verlag Mag. G. Schneeweiß-Arnoldstein, 1010 Wien

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Forschungsstand

Quellen

Methodik

Aufbau der Arbeit

1. Werdegang zum Wissenschaftler

1.1. Frühe akademische und politische Prägungen

1.2. Die erste Jugoslawienreise 1924 und ihre Folgen

1.3. Ein ganz persönlicher „Balkanismus“

2. Auf dem Weg in die Südosteuropaforschung

2.1. Der Autodidakt

2.2. Die drei „Einbruchstellen“

2.3. Netzwerkbildung und die zweite Jugoslawienreise 1928

3. Der Denkmalschutz und die Ohridgrabungen

3.1. Die Genese des deutsch-jugoslawischen Grabungsabkommens 1929

3.2. Die Gesellschaft zum Schutz der Altertümer

3.3. Die Ohridgrabung 1931

3.4. Die Ohridgrabung 1932

4. Der Versuch der wissenschaftlichen Etablierung

4.1. Die zwei Habilitationsversuche – erst Berlin, dann München

4.2. Der lange Weg zur Hochschuldozentur

4.3. Auf der Suche nach finanzieller Förderung

4.4. Wilhelm Treue – Reiswitz’ Verbindungsmann in Berlin

4.5. Die wissenschaftliche und publizistische Reaktion auf Reiswitz’ Habilitationsschrift

5. Bemühungen um Einflussnahme auf die deutsche Jugoslawienpolitik

5.1. Kontaktpflege

5.2. Der jüdische Freundeskreis

5.3. Inhalt und Wirkung der Jugoslawiendenkschrift 1933

6. Der Kunstschützer (1941–1944)

6.1. Die Anlaufphase des militärischen Kunstschutzes in Serbien

6.1.1. Die Initiativbewerbung für den Kunstschutz

6.1.2. Die Mobilisierung der einheimischen Helfer

6.1.3. Das Sofortmaßnahmenpaket des Kunstschutzes

6.2. Reiswitz und das „Ahnenerbe“

6.2.1. Die Genese der Zusammenarbeit mit dem „Ahnenerbe“

6.2.2. Kunstschutz und ideologische Kriegsführung

6.2.3. Die Spur des Geldes des „Ahnenerbe“

6.3. Aus- und Umformung von Reiswitz’ Engagement in Serbien

6.3.1. Das Alltagsgeschäft des Kunstschutzes

6.3.2. Die Erweiterung des Aufgabenbereiches

6.3.3. Die Abwicklung des Kunstschutzes

Fazit

Bildteil

Quellen und Literatur

1.Quellen

1.1.Archivalische Quellen

1.2.Gedruckte Quellen

2.Forschungsliteratur

2.1.Monographien, Sammelbände

2.2.Aufsätze, Beiträge in Sammelbänden

2.3.Buchbesprechungen

2.4.Internetbeiträge

Anmerkungen

Vorwort

Völlig verblüfft war ich vor einigen Jahren, als mir im Zusammenhang mit einer Internetrecherche zu einem Projekt an meiner Arbeitsstätte, der Deutschen Schule Belgrad, der Bericht eines gewissen Johann Albrecht von Reiswitz über deutsche Kunstschutzaktivitäten in Serbien während des 2. Weltkriegs virtuell in die Hände fiel. Im Jahre 2012 war ich aus dem nordrhein-westfälischen in den Auslandsschuldienst eingetreten und mehr oder minder zufällig auf dem Balkan gelandet. Als Geschichtslehrer zog mich schon bald die Vergangenheit Südosteuropas in ihren Bann. Gerade in Serbien gibt es enorm viele Versionen der Geschichte der Jahre 1941–1944. Je nachdem, ob ich mit einem Verfechter der Partisanenversion, einem Anhänger der königstreuen Tschetniks, einem Fürsprecher der Regierung Nedić oder einem Vertriebenenvertreter sprach. Der Kunstschutzbericht aus dem Netz verwirrte mich noch mehr, da hier ein Angehöriger der deutschen Militärverwaltung, zumindest seinen eigenen Ausführungen nach, seine Tätigkeit offenbar sehr ernst genommen und zum Wohle Serbiens durchgeführt hatte. Wie konnte das möglich sein?

Ich wollte also mehr über diesen Herrn von Reiswitz herausfinden, doch gab es so gut wie keine Literatur über ihn und den Kunstschutz der Wehrmacht im besetzten Serbien zu finden. Allerdings gelang es mir, seine drei Kinder ausfindig zu machen. Zwei davon leben in Bayern. Beide teilten mir zunächst mit, dass sie mir nur wenig über die Arbeit ihres Vaters in Serbien erzählen könnten. Als ich dann aber im Sommer 2016 Bettina von Reiswitz in München besuchte, fanden sich im Keller ihres Wohnhauses nicht nur reichhaltige Aktenbestände aus der Kunstschutzzeit, sondern auch umfangreiche Privatkorrespondenz ihres Vaters. Ich brauchte nicht lange, um eine Entscheidung zu treffen. Diese Dokumente sollten den Grundstock an Primärquellen für ein Buch über den Kunstschutz in Serbien bilden.

 

Bei der Bearbeitung der Quellen stellte sich schnell heraus, dass Reiswitz bei Beginn seiner Kunstschutztätigkeit bereits auf lange und vielfältige Jugoslawienerfahrung zurückblicken konnte. Zunächst als Reisender und Liebhaber von Land und Leuten – insbesondere eine junge Dame, die er in Dubrovnik traf, spielte ihren nicht unerheblichen Part. Dann als Wissenschaftler und Ausgräber. Schließlich auch als jemand, der aktiv auf die politische Annäherung von Deutschland und Jugoslawien hinarbeitete. Das Buchprojekt nahm folglich immer mehr biographische Züge an.

Da ich als vollzeitbeschäftigter Lehrer nur in beschränktem Umfang über die Muße verfügte, ein solches Buchprojekt durchzuführen, hielt ich es für eine gute Idee, mich dadurch zu disziplinieren, das Thema an der Ludwig-Maximilians-Universität in München als Doktorarbeit unterzubringen. München war schließlich auch die spätere akademische Wirkungsstätte von Reiswitz, der ursprünglich in Philosophie promovierte, aber dann zur Geschichte Südosteuropas wechselte. Seit der Veröffentlichung meiner Biographie des irischen Gesandten in Berlin von 1933–1939, Charles Bewley, im Jahre 2000 hatte ich mich nur peripher dem Universitätsbetrieb gewidmet.

Die nun neu gewonnenen Erfahrungen waren zwiespältig. Ich genoss es zum einen, bei den Doktorandenseminaren wieder in die Schülerrolle zu schlüpfen. Zum anderen aber stellte ich schnell fest, dass meine Herangehensweise an die Thematik nicht den Wünschen meiner Betreuerinnen entsprach. Weder die von mir gewählte Methodik, eine Fallstudie mit einer Biographie zu verbinden, noch meine sich mehr und mehr herauskristallisierenden Befunde stellten die beiden Gutachterinnen zufrieden. Ich hatte allerdings noch sehr lange die wohl naive Vorstellung, meine Vorgehensweise und meine Ergebnisse im Rahmen einer Disputation begründen zu können. Doch dazu sollte es nicht kommen.

Im März 2019 reichte ich die Arbeit ein, im Mai bekam ich die Rückmeldung, dass Änderungsbedarf bestehe. Die Umsetzung der gewünschten Änderungen jedoch hätten, davon war und bin ich fest überzeugt, den Inhalt meines Textes und den Gehalt meiner Befunde in eine Richtung gedrängt, mit der ich mich nicht einverstanden erklären konnte. Mein Ergebnis entsprach aber wohl, meines Erachtens, nicht den Erwartungen der Hüterinnen der derzeitigen historiographischen Deutungshoheit. Ich zog die Arbeit zurück.

Um aber dennoch einem interessierten Lesepublikum die außergewöhnliche Karriere eines zum Südosteuropaexperten mit Professur in München gewandelten preußischen Barons nahezubringen, der von offizieller serbischer Seite heute als „Lichtgestalt in deutscher Uniform“ gepriesen wird, machte ich mich auf die Suche nach einem Verlag.

Mein Dank gilt an erster Stelle den Kindern meiner Hauptfigur, Bettina, Christoph und dem kürzlich verstorbenen Stefan von Reiswitz, die meine Arbeit mit Interesse und Hilfsbereitschaft begleiteten, ohne dabei den Versuch zu unternehmen, redaktionellen Einfluss auszuüben. Ferner stehe ich tief in der Schuld meiner Frau Deirdre Roth, die sich der Arbeit in allen Teilen als kritische Korrektorin widmete und sie durch ihr Verständnis und ihre Geduld erst ermöglichte. Auch bei anderen kritischen Lesern möchte ich mich bedanken, besonders bei Dr. Jelena Volić-Hellbusch, Germanistin und Krimiautorin, und bei Georg Spielmann, geschichtsinteressiertem Buchhändler, an deren Urteil bezogen auf die narrative Stringenz meines Textes mir besonders gelegen war. Für stundenlange und kontroverse Debatten in Belgrader Cafés über das Thema Kunstschutz in Serbien schulde ich Dr. Aleksandar Bandović, Kustos am Belgrader Nationalmuseum, viel Dankbarkeit. Und nicht unerwähnt bleiben sollen die aufmunternden Worte, die mir Prof. Lothar Höbelt und Prof. Jörg Baberowski zukommen ließen, als ich dabei war, die Folgen des Bruches mit meinen Betreuerinnen zu verarbeiten.

Einleitung

In seiner Festrede im Juli 1946 anlässlich der Wiedereröffnung der Ludwig-Maximilians-Universität in München hob der neue Rektor, der Orthopäde Georg Hohmann (1880–1970), hervor, dass die akademische Nachkriegsgeneration zu „historisch-politischem Verständnis des Gewesenen und Gewordenen erzogen“ werden müsse und auszustatten sei mit einem „anderen Geschichtsbild als in der wilhelminischen Zeit, mit einem anderen erst recht als in der alles verfälschenden nationalsozialistischen Zeit“1. Zu diesem Zeitpunkt bemühte sich der Südosteuropahistoriker Johann Albrecht von Reiswitz (1899–1962), der die wilhelminische Zeit als Gymnasiast und Kriegsteilnehmer miterlebt hatte und während der „alles verfälschenden“ Hitlerherrschaft dafür gekämpft hatte, zumindest eine Dozentur zu bekommen, seine Wiedereingliederung in den Münchener Lehrbetrieb zu erreichen. In der bayerischen Hauptstadt hatte er sich vor dem Zweiten Weltkrieg habilitiert, und während des Krieges war ihm eine Dozentur zuerkannt worden. Anfang Dezember 1946 erhielt er seitens des Rektorats die Aufforderung, den „befriedigenden Beweis zu erbringen“, dass er die „positiven politischen, liberalen und sittlichen Eigenschaften“ besitze, die zur „Entwicklung der Demokratie in Deutschland“ beitragen sollten.2

Am 15.12.463 legte er in seiner „Selbstdarstellung hins. politischer Einstellung“ dar, dass er „jede Form der Diktatur“ immer „mit Entschiedenheit“ abgelehnt habe. Seit seinen Kriegserfahrungen 1917/18 sei ihm indes der Sozialismus „als das Notwendige“ erschienen. In den 1930er Jahren habe er den „Rassefanatismus“ abgelehnt und dessen Auswirkungen auf seine zahlreichen jüdischen Bekannten sogar „bekämpft und gemildert“. In seiner Habilitationsschrift befinde sich kein Satz, der „irgendwelche Konzessionen an den Nationalsozialismus“ mache, und letztlich habe er sich der politischen Zensur dadurch entzogen, dass er seine Manuskripte „bei Seite“ legte, auch „auf die Gefahr hin als ‚unproduktiv‘ betrachtet zu werden“. Nie sei er Mitglied einer nationalsozialistischen Organisation gewesen.4

Seine „Balkan-Kenntnisse“, so Reiswitz, hätten ihm 1941 zur Stellung des Leiters des militärischen Kunstschutzes in Serbien verholfen. Zwei Sozialdemokraten seien es gewesen, die ihm bereits 1924 das Tor in die Welt der serbischen Intellektuellen aufgestoßen hätten. Während des Zweiten Weltkriegs habe er diese Beziehungen aufrechterhalten und gepflegt. Zusammenfassend könne er sagen, dass 1941–1944 „nicht ein einziges Objekt aus serbischen Museen verschleppt worden“ sei und dass die „Serben durch die Arbeit des Kunstschutzes überhaupt erst ein Gesetz zum Schutz ihrer Altertümer erhielten, dass die historischen Kirchen, Klöster und Baudenkmäler im Rahmen des überhaupt möglichen [sic] geschützt“ worden seien und dass „kein einziger Mensch“ durch ihn, Reiswitz, „in seiner Freiheit beschränkt“ worden sei, sondern, im Gegenteil, „viele befreit und am Leben erhalten worden sind“.5

Ein preußischer Baron im Majorsrang der Wehrmacht soll im Ersten Weltkrieg mit dem Sozialismus geliebäugelt und während der Hitlerherrschaft Juden geschützt haben? Ein Militärverwaltungsbeamter, der seine Hand über serbisches Kulturgut und serbische Intellektuelle hielt, zu einer Zeit, als „zu große Milde … das Letzte war, was man der Wehrmacht in Serbien vorwerfen konnte.“6? Im heutigen Serbien genießt Reiswitz einen ausgezeichneten Ruf: „His image in the Serbian public is strongly positive“.7 Der serbischsprachige Wikipediabeitrag über ihn beinhaltet die Aussage, dass er während des Krieges mehrfach im Sinne der serbischen Kulturdenkmäler bei deutschen Behörden interveniert habe.8

Die vorliegende Arbeit hat sich zur Aufgabe gemacht, zunächst herauszufinden, welchen wissenschaftlichen und politischen Positionen Johann Albrecht von Reiswitz verschrieben war. Stand er tatsächlich dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüber? Das Hauptanliegen ist es, ein besseres Verständnis dafür zu gewinnen, welche Rolle Reiswitz im Zusammenhang mit dem deutschen Kunstschutz in Serbien in den Jahren 1941 bis 1944 spielte.

Hierbei offenbart sich ein insbesondere für diese Arbeit spezifisches definitorisches und somit auch methodisches Dilemma: Ist der vorliegende Text eine biographische Untersuchung oder letztlich eine Fallstudie zum Kunstschutz in Serbien? Sicherlich war Reiswitz kein wirkungsmächtiger Wissenschaftler. Er publizierte kaum, brachte es lediglich zum außerplanmäßigen Professor und hinterließ kaum Spuren bei seiner akademischen Schülerschaft. Er bekleidete kein herausgehobenes politisches oder militärisches Amt. Von daher erscheint es auf den ersten Blick wenig ertragreich, ihn zum Thema einer wissenschaftlichen Biographie zu machen. Also doch eher eine Fallstudie? Doch liefert der Kunstschutz in Serbien, streng genommen ein Einmannbetrieb, welcher nicht nur personell, sondern auch von seinen sonstigen Ressourcen und der Bedeutsamkeit der von ihm zu schützenden Kulturgüter her von den vergleichbaren Abteilungen in Frankreich, Italien und Griechenland in den Schatten gestellt wurde, überhaupt genug Stoff für eine wissenschaftliche Monographie?

Der Ausweg aus dem definitorischen und methodischen Dilemma tat sich auf, als nach dem Studium der vorhandenen Quellen und der Forschungsliteratur zu Reiswitz und zum Kunstschutz sich ein klarer Befund ergab: Ohne Reiswitz hätte es wohl keinen militärischen Kunstschutz in Serbien während des Zweiten Weltkriegs gegeben, und ohne die Tätigkeit als Kunstschützer in Serbien wäre Reiswitz als im Foucault’schen Sinne „infamer Mensch“ sicherlich „ohne Spur“ geblieben.9 Aus dieser Interdependenz ergibt sich das Spezifische dieser Studie. Auch ohne ihre jeweiligen individuellen Leiter wären in Frankreich, Italien und Griechenland Abteilungen für Kunstschutz innerhalb der Militärverwaltungen eingerichtet worden, insbesondere aufgrund der enormen Quantität und Qualität des vorgefundenen Kulturgutes. Auch ohne ihre Arbeit als Kunstschützer wären die Kunstschutzleiter in Griechenland bzw. Italien, Wilhelm Kraiker (1899–1987) und Hans Gerhard Evers (1900–1943), die zu Beginn des Krieges bereits als Privatdozenten lehrten und, anders als Reiswitz, universitär etabliert waren, biographiewürdige Wissenschaftler.

Reiswitz hingegen wird ausschließlich durch den Kunstschutz wirkungsmächtig und ohne ihn wäre der Kunstschutz in Serbien wohl wirkungslos geblieben.

Aus diesem Grund ist das Forschungsprogramm dieser Arbeit darauf ausgelegt, sich sowohl mit der Person Reiswitz als auch mit dem Thema Kunstschutz in Serbien zu beschäftigen. Es wird versucht zu ergründen, wie es zu dieser spezifischen Verflechtung kommen konnte, zumal zu einem Zeitpunkt, der, wie die nachstehenden Ausführungen zu zeigen versuchen, sowohl für Reiswitz persönlich als auch für kunstschützerische Arbeit in Serbien der denkbar unwahrscheinlichste zu sein schien.

Zunächst sei an dieser Stelle kurz zu klären, worum es sich beim militärischen Kunstschutz definitorisch handelte. Am 05.02.1941 trafen der Leiter des Kunstschutzes beim Oberkommando des Heeres (OKH), Franz Graf Wolff-Metternich zur Gracht, in Begleitung seines Stellvertreters, Bernhard von Tieschowitz, in der Pariser „Galerie nationale du Jeu de Paume“, dem Umschlagort für Raubkunst, auf Hermann Göring. Die beiden obersten Kunstschützer der Wehrmacht erklärten dem „prominentesten Kunsträuber“10 des „Dritten Reiches“, dass sie für die Sicherheit der beschlagnahmten Kunstwerke verantwortlich seien. Irritiert beklagte sich Göring darüber, dass er sich nun noch mit einer weiteren Dienststelle abgeben müsse, und verwies die OKH Vertreter rüde des Saales.11

Diese Anekdote veranschaulicht deutlich das Spannungsverhältnis zwischen Kunstraub und Kunstschutz im Kriege. Vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges waren bereits die völkerrechtlichen Fundamente für den Schutz von Kulturgütern im Kriegsfalle geschaffen worden. Die von Deutschland ratifizierte Haager Landkriegsordnung von 1907 legte in Artikel 27 das Folgende fest: „Bei Belagerungen und Beschiessungen sollen alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen werden, um die dem Gottesdienste, der Kunst, der Wissenschaft und der Wohltätigkeit gewidmeten Gebäude, die geschichtlichen Denkmäler, die Hospitäler und Sammelplätze für Kranke und Verwundete so viel wie möglich zu schonen, vorausgesetzt, dass sie nicht gleichzeitig zu einem militärischen Zwecke Verwendung finden.“ Ergänzt wurde dies in Artikel 56: „Das Eigentum der Gemeinden und der dem Gottesdienste, der Wohltätigkeit, dem Unterrichte, der Kunst und der Wissenschaft gewidmeten Anstalten, auch wenn diese dem Staate gehören, ist als Privateigentum zu behandeln. Jede Beschlagnahme, jede absichtliche Zerstörung oder Beschädigung von derartigen Anlagen, von geschichtlichen Denkmälern oder von Werken der Kunst und Wissenschaft ist untersagt und soll geahndet werden.“12 Doch führte, wie es der Historiker Wilhelm Treue, ein guter Freund des Barons Johann Albrecht von Reiswitz, in seiner Monographie über Kunstraub ausdrückte, „keine geradlinige Entwicklung vom Barbarischen zum Humanen, von der Rechtlosigkeit zum Recht“.13

 

Forschungsstand

Diesen Mangel an Verbindlichkeit und auch an Vergleichbarkeit des deutschen militärischen Kunstschutzes im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg beobachtet auch die neuere Forschung, deren Fragestellungen, Erkenntnisse und Unzulänglichkeiten im Folgenden skizziert werden sollen. Es wird dabei jeweils hervorzuheben sein, welche Forschungslücken die vorliegende Arbeit im Rahmen ihrer Gesamtkonzeption zu schließen beabsichtigt. Dabei wird zunächst die wichtigste Literatur zum Thema Kunstschutz in Serbien und anderen deutsch besetzten Gebieten zu berücksichtigen sein. Danach gilt es, die zentralen Arbeiten über die deutsche Besatzungsherrschaft in Serbien zu präsentieren. Schließlich soll auch die für die vorliegende Arbeit relevante Literatur zu Wissenschaftlerkarrieren im Nationalsozialismus kurz vorgestellt werden. Diese Reihenfolge soll keinesfalls von der Person Reiswitz weg-, sondern, ganz im Gegenteil, zu ihr hinführen. Hinzu kommt, dass von einem „Forschungsstand“ zu Reiswitz nicht gesprochen werden kann, da es, abgesehen von zwei Nachrufen in wissenschaftlichen Publikationen, bislang keine biographische Sekundärliteratur zu ihm gibt.14

Seitens des deutschen Kaiserreiches wurde im Ersten Weltkrieg zwar im besetzten Nordfrankreich und Belgien Kunstschutz betrieben, doch bestand ein Unterschied zwischen den beiden Wirkungsräumen allein schon darin, dass Belgien unter deutscher Zivil-, Nordfrankreich aber unter Militärverwaltung stand. In beiden Gebieten – dies war eine Gemeinsamkeit – fehlte es an einem „programme préalable“ seitens der Besatzer.15

Es wird mit dieser Studie nicht beabsichtigt, einen Vergleich zwischen den Kunstschutzkampagnen der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg in Südosteuropa und dem deutschen Kunstschutz in Serbien 1941–1944 zu leisten, zumal, wie zuletzt im Mai 2018 auf einer Tagung in Berlin über Kunstschutz im Ersten Weltkrieg festgestellt wurde, der Kunstschutz im Ersten Weltkrieg auf dem Kriegsschauplatz Balkan bislang „wenig Beachtung“ fand.16 Symptomatisch ist dafür schon der Titel des Aufsatzes von Popović, „The Forgotten Expeditions of the Central Powers in South-East Europe during World War I“.17 Den Forschungsstand zum Kunstschutz auf dem genannten Kriegsschauplatz referieren die Herausgeber im Eingangsaufsatz ihres 2017 erschienenen Sammelbandes.18

Die Abwesenheit einer verbindlichen Richtschnur für den Kunstschutz in den besetzten Gebieten führte im Zweiten Weltkrieg dazu, dass die Kunstschützer vor Ort eher reagierten denn agierten, wie es Fuhrmeister19 schon im Mai 2010 in München auf einer Tagung über den deutschen Kunstschutz in Norditalien im Zweiten Weltkrieg feststellte. Fuhrmeister war es auch, der den übrigen Teilnehmern Folgendes auftrug: „The first major objective of research into German military art protection in Italy is to collect and assemble the widely scattered documents. Furthermore, analyzing private notes and reconstructing the lives of the members of the art protection project as completely as possible are essential to a nuanced evaluation of the measures taken. This is because they could contain information about the frictions between the regime and the executing individuals.“20 Dieser Aufforderung versucht die vorliegende Arbeit nachzukommen, allerdings nicht auf Norditalien bezogen, sondern auf Serbien.

Die Münchener Tagung fand im Gebäude des Zentralinstituts für Kunstgeschichte (ZI) statt, dem ehemaligen Munich Collecting Point.21 In der Bibliothek des ZI entdeckte Fuhrmeister zwei Berichte aus der Feder von Reiswitz, verfasst 1943 bzw. 1944, die er als Grundlage seines Aufsatzes über den Kunstschutz in Serbien nahm.22 Obgleich Fuhrmeister nur für sich beansprucht, „ein Desiderat zu skizzieren“, fällt er dennoch ein dezidiertes Urteil. Der Kunstschutz in Serbien scheine „stets vom Primat einer deutschen Überlegenheit – in kultureller wie in wissenschaftlicher Hinsicht – durchdrungen gewesen zu sein“ und die „wissenschaftliche Dimension der Kunstschutzarbeit“ sei nur „zum bloßen Vorwand“ geworden. Dieses Urteil versucht die vorliegende Arbeit unter Rückgriff auf eine erweiterte Quellenbasis, die u.a. auch die von Fuhrmeister gewünschten „private notes“ umfasst, auf den Prüfstand zu legen.23

Fuhrmeister behauptet, Reiswitz sei im Januar 1940 Mitglied der NSDAP geworden.24 Dies trifft nicht zu, wie eine Nachfrage des Verfassers beim Bundesarchiv in Berlin ergab.25 In einem undatierten Schreiben aus dem Nachlass an den Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität München, den Ägyptologen Alexander Scharff (1892–1950), welches vom Kontext her aus dem Jahre 1946 stammt, legte Reiswitz allerdings dar, dass vom 13.11.40–30.06.41 eine „Parteianwärterschaft“ seinerseits bestand.

Ein von Fuhrmeister 2016 nicht beachteter Beitrag zum Kunstschutz in Serbien stammt von Vujošević aus dem Jahre 2002, der im Freiburger Militärarchiv im Bestand „Territorialbefehlshaber Südost-Europa“ auf weitere drei Reiswitz’sche Kunstschutzberichte, diesmal aus dem Jahre 1941, stieß. Anders als Fuhrmeister enthielt er sich allerdings einer Bewertung der Arbeit des Belgrader Kunstschutzes, sondern bot die Texte lediglich mit einigen erläuternden Bemerkungen in serbischer Übersetzung dar.26 Vujošević schreibt in der Zusammenfassung seines Textes, dass es allerdings an weiteren Quellen mangele.27 Diesen Misstand wird die vorliegende Arbeit versuchen, im Rahmen und als Folge des oben beschriebenen Forschungsprogramms zu beheben.

Die dritte Abhandlung über den Kunstschutz in Serbien wurde von Kott vorgelegt. Sie berücksichtigte die Vorarbeiten von Vujošević und Fuhrmeister, konnte aber zusätzlich auf die Ergebnisse von Bandović eingehen, der sich des sogenannten „Musealkurses“ annimmt, welcher unter der Ägide von Reiswitz zur Schulung des serbischen Wissenschaftlernachwuchses 1942 erstmalig ermöglicht wurde. Ferner befasst sich Bandović mit der Einrichtung eines Amtes für Denkmalschutz seitens des Kunstschutzes und den archäologischen Grabungen auf der Belgrader Burganlage, dem Kalemegdan. Den „Musealkurs“ beurteilt er wie folgt: „The course became the turning point in the history of archaeology, a sort of parallel university in the occupied city“. Aus ihm ging eine „whole generation of post-war archaeologists, art historians and architects“ hervor.28 Der Einfluss von Reiswitz, auch aufgrund der Kalemegdangrabungen, spiegelt sich zudem in der methodologischen Ausrichtung der jugoslawischen Archäologie der Nachkriegszeit wieder: „The symbiosis developed before and during the WWII between German and Serbian archaeology did not disappear during the post-war period.“29

Kott schließt sich dem Urteil von Bandović an, erweitert es sogar noch um andere modernisierende Aspekte der Kunstschutztätigkeit von Reiswitz: „Nicht nur die Nachwuchsausbildung, sondern auch die Interdisziplinarität bzw. das Zusammenwirken unterschiedlicher Behörden und Ebenen sowie der Einsatz weiblicher Wissenschaftler“ sei [von Reiswitz] „gefördert“ worden. Zu diesem Ergebnis kommt Kott durch die Hinzuziehung weiterer Primärquellen, vor allem des mittlerweile erschlossenen Archivbestands zum Thema Kunstschutz im Nachlass Metternich, der sich im Archivdepot der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland e.V. auf Schloss Ehreshoven befindet. Ferner hat sie die Akten zur Ausgrabung von Reiswitz und dem Archäologen Wilhelm Unverzagt am Ohridsee im heutigen Nordmazedonien im Archiv des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte teilausgewertet. Sie revidiert das äußerst negative Urteil Fuhrmeisters über die Kunstschutzarbeit von Reiswitz und bescheinigt ihm, „eher ‚zivile‘ Verhaltensweisen verfolgt“ und „seine serbischen Partner durchaus als Partner betrachtet zu haben.“ Sie klassifiziert das Wirken von Reiswitz dann aber dennoch nach Hachtmann30 als „neokolonialistische Praxis wissenschaftlicher Durchdringung unter nationalsozialistischen Vorzeichen“, wobei sie letztere besonders in der Zusammenarbeit Reiswitz’ mit der SS-Forschungseinrichtung „Das Ahnenerbe“ sieht.31

Kott kann bislang sicherlich als die Doyenne der internationalen Kunstschutzforschung bezeichnet werden, nicht nur wegen ihrer Publikationsdichte, sondern auch wegen der zeitraum- und territorial übergreifenden Spannbreite ihrer Arbeit. Sie ist die bislang einzige, die den Versuch unternahm, den deutschen Kunstschutz des Ersten mit dem des Zweiten Weltkriegs am Beispiel des besetzten Frankreichs zu vergleichen und kam zu folgendem Ergebnis: „Von einem Weltkrieg zum anderen hatte sich der ’Kunstschutz’ von einer Abteilung ohne echten Status, Personal und Material zu einer zentralisierten, gut organisierten und materiell abgesicherten militärischen Einrichtung entwickelt. Die Motivationsfaktoren, die in beiden Fällen zu seiner Schaffung seitens der Machthaber führten, waren in erster Linie kulturpolitischer (der Rückführungsplan), wissenschaftlicher (die kunstgeographischen Forschungen und die Fotokampagnen) und kriegswirtschaftlicher Art (die Metallrequirierung). Der Propagandafaktor spielte vor allem im Ersten Weltkrieg eine weitere, wichtige Rolle. Doch in beiden historischen Situationen war der sicherlich authentische Wille der Beteiligten nach Bewahrung des Kunsterbes der besetzten Länder im Rahmen der völkerrechtlichen Verträge und im Namen des Weltkulturerbeschutzes für die Rechtfertigung einer Kunstschutzorganisation nicht ausschlaggebend.“32 Es gilt zu überprüfen, ob dieses Urteil auch auf Serbien zutrifft.

Während Kott 2007 den deutschen Kunstschützern im Zweiten Weltkrieg zumindest noch „authentischen Willen“ zusprach, so hat sich in jüngster Zeit dieses Bild, vorsichtig ausgedrückt, negativiert. Bandović sieht nun in Reiswitz jemanden, der im Sinne von Ian Kershaw lediglich dem „Führer entgegenarbeitete“33. Fuhrmeister geht in seiner jüngsten Publikation sogar noch darüber hinaus und postuliert, das die „wissenschaftliche Dimension der Kunstschutzarbeit“ in Serbien unter Reiswitz „streng genommen zum bloßen Vorwand“34 geworden sei. Auch diese Einschätzungen werden unter die Lupe zu nehmen sein.