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III. Tatbestandliche Voraussetzungen

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§ 238 Abs. 1 StGB enthält den Grundtatbestand der Nachstellung, der mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren ein Vergehen ist und bei dem der Versuch nicht unter Strafe gestellt ist. Voraussetzung ist, dass der Täter dem Opfer in einer Weise unbefugt nachstellt, die geeignet ist, die Lebensgestaltung des Opfers schwerwiegend zu beeinträchtigen, indem er beharrlich eine der in Nrn. 1 bis 5 genannten Handlungen vornimmt. § 238 Abs. 2 StGB sieht eine Qualifikation mit Vorsatzerfordernis für Fälle vor, in denen der Täter das Opfer, einen Angehörigen des Opfers oder eine andere dem Opfer nahestehende Person durch die Tat in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt. Mit einem Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe handelt es sich ebenfalls um ein Vergehen. In § 238 Abs. 3 StGB ist eine Erfolgsqualifikation i.S.d. § 18 StGB enthalten, welche die Verursachung des Todes des Opfers, eines Angehörigen des Opfers oder einer anderen dem Opfer nahestehenden Person pönalisiert und mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr als Verbrechen ausgestaltet ist.

1. Grundtatbestand der Nachstellung

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Zentrales Merkmal des Tatbestandes ist die unbefugte, beharrliche Nachstellung. Kennzeichnend für die Nachstellung ist ein wiederholtes bzw. länger andauerndes Verhalten des Täters, das in seiner Summe geeignet ist, eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung beim Opfer herbeiführzuführen. Nach Auffassung des Gesetzgebers soll damit ein Täterverhalten erfasst werden, das darauf gerichtet ist, durch unmittelbare oder mittelbare Annäherungen an das Opfer in dessen persönlichen Lebensbereich einzugreifen,[187] so dass ein Handeln mit bestimmter Tätertendenz kennzeichnend ist.[188] Entscheidend ist freilich, dass der Täter hierbei die in Nrn. 1 bis 5 genannten Verhaltensweisen beharrlich vornimmt. Die Nrn. 1 bis 4 enthalten dabei diejenigen Nachstellungshandlungen, die nach Ansicht des Gesetzgebers praktisch am bedeutsamsten sind und daher weitgehend auch von § 1 GewSchG erfasst sind. Der Tatbestand ist dabei zum einen verwirklicht, wenn der Täter eine der gesetzlich benannten Verhaltensweisen beharrlich vornimmt. Zum anderen ist § 238 StGB aber auch dann erfüllt, wenn verschiedene Tatbestandsvarianten kombiniert werden oder ganz verschiedene, aber vergleichbare Handlungen i.S.d. Nr. 5 vorliegen.

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Obgleich bei der Nachstellung schon allein aufgrund des Erfordernisses der Beharrlichkeit die Tathandlungen typischerweise über einen längeren Zeitraum hinweg vorgenommen werden, handelt es sich um kein Dauerdelikt; vielmehr setzt das Delikt schon nach seiner tatbestandlichen Fassung eine sukzessive Tatbegehung voraus.[189] Dies ergibt sich schon daraus, dass zwischen den einzelnen Tathandlungen regelmäßig eine zeitliche Zäsur liegt.

a) Fälle der Kontaktaufnahme (§ 238 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 StGB)

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Wie bereits dargelegt,[190] zeichnen sich Nachstellungshandlungen vor allem dadurch aus, dass der Täter versucht, räumliche Nähe oder Kontakt zum Opfer herzustellen. Gerade in Fällen ehemaliger Partnerschaften gewinnen solche Verhaltensweisen Bedeutung, wenn der Täter die Trennung nicht akzeptiert.

aa) Aufsuchen der räumlichen Nähe (Nr. 1)

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Nr. 1 erfasst das Aufsuchen der räumlichen Nähe zum Opfer, d.h. das Auflauern, Verfolgen, Warten in der Nähe der Wohnung usw.[191] Für die Frage, wann (noch) eine räumliche Nähe gegeben ist, lassen sich zwar keine genaueren Entfernungen angeben.[192] Man wird jedoch zumindest verlangen müssen, dass der Täter noch in Sichtweite ist,[193] weil andernfalls eine Wahrnehmung des Täters überhaupt nicht möglich ist. Anders als bei der Tathandlung der Nr. 2 kommt es jedoch auf einen Versuch der Kontaktherstellung nicht an, so dass die bloße räumliche Nähe genügt.

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Diskutiert wird, ob das Opfer den Täter in seiner räumlichen Nähe auch tatsächlich wahrgenommen haben muss.[194] Dafür könnte angeführt werden, dass ansonsten eine psychische Einwirkung auf das Opfer mit der Folge einer Änderung der Lebensgestaltung nicht möglich ist. Dies überzeugt jedoch nicht, da heimliche Annäherungen – wie ein Verstecken in der Wohnung des Opfers oder ein verdecktes Anfertigen von Fotos – zu ebenso gravierenden psychischen Belastungen führen können, weil damit die Machtlosigkeit und das Ausgeliefertsein des Opfers in besonders drastischer Weise zum Ausdruck kommt.[195] Erforderlich ist freilich, dass das Opfer später – sei es vom Täter, sei es von Dritten – von der Annäherung erfährt, da es ansonsten an der entsprechenden Eignung, die Lebensgestaltung schwerwiegend zu beeinträchtigen, fehlt. Denn insoweit muss gerade die konkrete Verhaltensweise des Täters geeignet sein, die Beeinträchtigung herbeizuführen; dass entsprechende Handlungen dies allgemein bei Kenntnisnahme sind, genügt hingegen nicht.

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Da die Tathandlungen durch eine besondere Tätertendenz geprägt sind, bedarf es eines gezielten Aufsuchens der räumlichen Nähe.[196] Das Aufsuchen bezieht sich dabei nur auf die räumliche Nähe, erfordert aber nicht, dass sich der Täter selbst aktiv in die räumliche Nähe des Opfers begibt. Vielmehr genügt es, wenn er gezielt einen Ort aufsucht, um dort im Wege des „Auflauerns“ das Erscheinen des Opfers abzuwarten. Dies gilt – wie § 1 Abs. 1 Nr. 3 GewSchG belegt – auch dann, wenn er gezielt Orte aufsucht, an denen sich die andere Person regelmäßig aufhält und er dort auf ein „zufälliges“ Zusammentreffen hofft.[197] Allerdings fehlt es an der dem Begriff des Aufsuchens innewohnenden Finalität, wenn der Täter mit dem Opfer im Rahmen seiner bisherigen Lebensgewohnheiten (zufällig) zusammentrifft. Auch nach einer Trennung kann die Umstellung der Lebensgewohnheiten nicht verlangt werden, selbst wenn der andere Partner sich durch ein Zusammentreffen belästigt fühlt. Insoweit liegt es im Verantwortungsbereich eines jeden Partners, seine Lebensgewohnheiten so zu ändern, dass er nicht mehr mit der anderen Person zusammentrifft. Da insoweit nicht (primär) die räumliche Nähe des Opfers gesucht, sondern eine schon zuvor bestehende Lebensgestaltung fortgeführt wird, ist etwa im regelmäßigen Aufeinandertreffen in demselben Sportverein oder innerhalb eines Freundeskreises selbst dann kein tatbestandliches Verhalten zu sehen, wenn das Zusammentreffen billigend in Kauf genommen wird. Erst recht nicht erfasst wird das bloße Unterlassen des Sich-Entfernens, wenn der Täter die räumliche Nähe gar nicht gesucht hat.[198]

bb) Versuch der Kontaktherstellung (Nr. 2)

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In Nr. 2 wird bereits der Versuch der Kontaktherstellung zum Opfer („herzustellen versucht“) als Nachstellungshandlung qualifiziert. Hintergrund dieser Ausgestaltung ist, dass es auf das tatsächliche Zustandekommen eines Kontakts nicht ankommen kann, weil das Opfer einen solchen häufig gerade verweigert. Nicht anders als im Rahmen der Nr. 1 ist jedoch auch hier erforderlich, dass das Opfer die Täterhandlung überhaupt wahrnimmt, d.h. Kenntnis von den Bemühungen erlangt, weil ansonsten wiederum die Eignung zur schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung fehlt.[199] Kein „Versuch“ des Täters liegt vor, wenn er nur Kommunikationsmittel nutzt, er es aber nicht auf eine Kontaktherstellung anlegt. Nicht erfasst wird deshalb der „Telefonterror“ durch ständiges Anrufen und Auflegen, bei dem auf das Opfer gerade durch Verweigerung des Kontakts eingewirkt werden soll.[200] Entsprechendes gilt auch für bloße Überwachungsmaßnahmen mit GPS oder für Ortungen des Mobiltelefons. Hier kann freilich im Einzelfall der Tatbestand der Nr. 5 eingreifen. Möchte man diesen aus verfassungsrechtlichen Gründen streichen,[201] könnte man in Anlehnung an § 4 i.V.m. § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 lit. b GewSchG in Nr. 2 an eine Verfolgung unter Verwendung von (Fern-)Kommunikationsmitteln anknüpfen, um diese Lücke zu schließen.[202] Soweit es im Einzelfall tatsächlich zur erfolgreichen Herstellung des Kontaktes kommt, ist dies, da der Versuch insoweit nur ein Durchgangsstadium zur Vollendung darstellt, erst Recht erfasst.[203]

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Für die Kontaktherstellung sind drei Varianten zu unterscheiden. Diese kann unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln (Var. 1), sonstigen Mitteln der Kommunikation (Var. 2) oder über Dritte (Var. 3) erfolgen. Der Begriff der Telekommunikationsmittel (Var. 1) ist in Anlehnung an § 3 Nr. 22 und Nr. 23 TKG zu bestimmen, so dass darunter der technische Vorgang des Aussendens, Übermittelns und Empfangens von Signalen mittels Telekommunikationsanlagen zu verstehen ist. In der Praxis geht es hier vornehmlich um Einwirkungen mittels Telefon, Fax, SMS, E-Mail, in Chats oder über soziale Netzwerke, so dass auch das sog. Cyberstalking erfasst wird. Sonstige Mittel der Kommunikation (Var. 2) sind nur Formen schriftlicher und mündlicher Kommunikation, wie das Hinterlassen von Briefen usw. Hingegen werden andere Formen der Einwirkung – wie Übersenden von Geschenken ohne Nachricht – nicht erfasst, weil ansonsten eine Abgrenzung zu den übrigen Tathandlungen der Nrn. 1 bis 5 kaum möglich wäre.[204] Mit dem Versuch der Kontaktherstellung über Dritte (Var. 3) sollen Fälle erfasst werden, in denen ein Dritter den Kontakt herstellen soll, damit der Täter mit dem Opfer kommunizieren kann. Die Gesetzesbegründung nennt als Beispiele das gezielte Ansprechen von Dritten wie Angehörigen, Freunden und Arbeitskollegen des Opfers,[205] wobei jedoch weder nach dem Wortlaut noch nach Sinn und Zweck der Dritte und das Opfer sich nahe stehen müssen.[206] Auch weitere Einschränkungen sind mit der Person des Dritten nicht verbunden. Erfasst werden daher sowohl Fälle, in denen der Dritte aufgrund von „Weisungen“ bzw. als „Bote“ tätig werden soll, als auch Fälle, in denen der Dritte selbstständig das Opfer zur unmittelbaren Kontaktaufnahme mit dem Täter bewegen soll.[207] Auch kommt es nicht darauf an, ob der Dritte gut- oder bösgläubig ist, d.h. die Ziele des Täters kennt. Soweit der Dritte die Nachstellung durch den Täter nicht erkennt und als dessen Werkzeug handelt, wird die mittelbare Täterschaft schon unmittelbar von Nr. 2 (vertypte mittelbare Täterschaft) erfasst. Soweit sich der Dritte mit dem Täter solidarisiert, kann er nicht als Mittäter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, falls er nicht selbst beharrlich nachstellt. Denn insoweit handelt es sich bei der Beharrlichkeit um ein persönliches Merkmal i.S.d. § 28 Abs. 1 StGB, so dass dritte Personen nur als Teilnehmer in Betracht kommen.[208]

cc) Mittelbare Kontaktherstellung unter missbräuchlicher Verwendung personenbezogener Daten (Nr. 3)

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Mit Nr. 3 soll die mittelbare Kontaktherstellung erfasst werden, bei der der Täter dem Opfer nicht unmittelbar gegenüber tritt bzw. gegenüber treten möchte.[209] Nicht anders als bei Nr. 2 muss es zu keiner erfolgreichen Kontaktherstellung kommen. Denn insoweit genügt es bereits, Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen aufzugeben oder einen Dritten zur Kontaktaufnahme zu veranlassen, ohne dass es zur Lieferung usw. kommt. Jedoch muss das Opfer auch hier zumindest Kenntnis von der Tathandlung erlangen, weil ansonsten die Eignung zur schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung fehlt. Zentrales Kriterium für alle Fälle der Nr. 3 ist die missbräuchliche Verwendung von personenbezogenen Daten des Opfers, d.h. die Verwendung der Daten ohne oder gegen dessen Willen. Damit ist bereits der Tatbestand in zwei Konstellationen ausgeschlossen: Zum einen ist Nr. 2 nicht verwirklicht, wenn der Täter in eigenem oder unter fingiertem Namen Bestellungen usw. aufgibt. Tritt also der Täter selbst als Besteller auf, um eine unerwünschte Schenkung zu veranlassen, ist der Tatbestand nicht erfüllt.[210] Und zum anderen hindert ein (tatbestandsausschließendes) Einverständnis des Opfers die Annahme einer missbräuchlichen Verwendung, so dass das Merkmal der Unbefugtheit in diesen Fällen nur noch selten praktische Relevanz erlangen dürfte.[211] Für die Konkretisierung des Begriffs der personenbezogenen Daten kann auf Art. 4 Nr. 1 DSGVO zurückgegriffen werden, so dass Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person – insbesondere Name, Anschrift, E-Mail-Adresse, Telefonnummer, Kontodaten, Nummern von Zahlungskarten oder Passwörter – einbezogen sind.

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Nr. 3 erfasst in lit. a[212] zunächst jegliche Bestellung von Waren und Dienstleistungen, wobei alle Bestellungswege – online, telefonisch, per Post usw. – einbezogen sind. Ob sich der Täter bei der Bestellung selbst als die Person des Opfers ausgibt, ist unerheblich, soweit die Bestellung dem Opfer nur aufgrund der missbräuchlichen Verwendung der Daten – etwa auch durch das Handeln als Vertreter – zugerechnet werden soll.[213] Für die Verwirklichung des Tatbestandes kommt es auch nicht darauf an, ob ein wirtschaftlicher Nachteil beim Opfer eintritt oder eintreten kann. Ferner ist nicht entscheidend, ob sich das Opfer (vermeintlichen) Ansprüchen des Lieferanten bzw. Dienstleisters ausgesetzt sieht.[214] Denn maßgeblich für die Einwirkung auf das Opfer ist allein, dass sich dieses mit einer unerwünschten Leistung konfrontiert sieht, die vermeintlich von ihm veranlasst ist.

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Ferner wird in lit. b das Veranlassen von Dritten, mit dem Opfer Kontakt aufzunehmen, erfasst. Der Gesetzgeber hat insbesondere an die Schaltung kompromittierender Annoncen gedacht, in denen unter Angabe der personenbezogenen Daten sexuelle Dienstleistungen des Opfers angeboten werden und aufgrund derer Dritte den Kontakt zum Opfer herstellen.[215] Ob das Opfer dabei die Kontaktaufnahme des Dritten auf den Täter zurückführt, ist unerheblich.[216] Da wie bei der Bestellung von Waren und Dienstleistungen Fälle nicht erfasst werden, in denen der Täter gegenüber dem Dritten in eigenem Namen auftritt, werden die in der Praxis verbreiteten Fälle von Anzeigen und Denunziationen des Opfers bei Behörden auch dann nicht erfasst, wenn dessen Kontaktdaten zum Zwecke des „Einschreitens“ mitgeliefert werden.[217] Unter diesem Gesichtspunkt ist auch streitig, ob das Schalten von Todesanzeigen mit dem Namen des Opfers von Nr. 3 erfasst wird. Dies ist richtigerweise zu bejahen, weil regelmäßig nahestehende Personen das Opfer informieren werden, soweit diese wissen, dass das Opfer nicht verstorben ist; deshalb ist es nicht überzeugend, wenn darauf hingewiesen wird, dass der Kontakt zu Verstorbenen gerade nicht gesucht wird.[218]

b) Bedrohen des Opfers, eines Angehörigen oder einer nahestehenden Person (§ 238 Abs. 1 Nr. 4 StGB)

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Auch Nr. 4 betrifft den Kontakt zwischen Täter und Opfer, jedoch liegt der Schwerpunkt des Unrechtsgehalts auf der Drohung, so dass in vielen Fällen zugleich § 240 oder § 241 StGB verwirklicht sein werden. Daraus ergibt sich zugleich, dass unmittelbare Gewaltausübung und tätliche Angriffe, die keine künftige Übelszufügung zum Gegenstand haben, nicht erfasst werden. Jedoch können in solchen Fällen der Auffangtatbestand der Nr. 5 sowie meist auch §§ 223 ff. StGB Anwendung finden. Das Merkmal der Drohung, das entsprechend den für § 240 StGB geltenden Grundsätzen auszulegen ist, bezieht sich nur auf die Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit und Freiheit. Zu beachten ist, dass der neben der körperlichen Unversehrtheit aufgeführte Begriff der Gesundheit anders als bei § 223 StGB angesichts des Schutzzweckes auch die Bedrohung mit rein psychischen Folgen erfasst.[219] Unter Freiheit ist nur die Fortbewegungsfreiheit i.S.d. § 239 StGB zu verstehen, nicht jedoch die bloße allgemeine Handlungs- und Entscheidungsfreiheit, weil diese im Vergleich zu den übrigen Rechtsgütern ein geringeres Gewicht erlangt und sich zudem im tatbestandlichen Erfolg niederschlagen muss.[220] Weil auch im Rahmen der Nr. 4 eine Kommunikation zwischen Täter und Opfer erforderlich ist, muss die Drohung gegenüber dem Tatopfer ausgesprochen werden; diese Sichtweise wird auch durch den Wortlaut („ihn … bedroht“) bestätigt.[221] Hingegen kann sich das gegenüber dem Opfer angekündigte Übel nicht nur auf dieses selbst, sondern auch auf eine nahestehende Person beziehen.

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Nicht überzeugend war es, dass – anders als bei der Qualifikation des § 238 Abs. 2 und der Erfolgsqualifikation des § 238 Abs. 3 StGB – das Gesetz ursprünglich Angehörige nicht neben nahestehenden Personen genannt hat. Dieses Redaktionsversehen wurde nun zu Recht beseitigt, so dass Angehörige nunmehr ausdrücklich einbezogen sind.[222] Es muss daher nicht mehr diskutiert werden, ob der Angehörige dem Opfer auch tatsächlich nahe steht.

c) Auffangtatbestand für vergleichbare Handlungen (§ 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB)

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Wie bereits dargelegt, handelt es sich bei Stalking um einen schillernden Begriff, der ganz unterschiedliche Verhaltensweisen erfasst. Um dieser Vielgestaltigkeit Rechnung zu tragen und Strafbarkeitslücken zu vermeiden, wurde durch den Rechtsausschuss der Auffangtatbestand der Nr. 5 für andere vergleichbare Handlungen aufgenommen,[223] dessen Verfassungsmäßigkeit im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG bezweifelt wird.[224] Von einer zwischenzeitlich vorgesehenen Streichung[225] wurde abgesehen, um Schutzlücken zu vermeiden.[226] Einbezogen sind damit alle Formen der Nachstellung, d.h. alle Verhaltensweisen, die darauf gerichtet sind, durch unmittelbare oder mittelbare Annäherungen an das Opfer in dessen persönlichen Lebensbereich einzugreifen und dadurch seine Handlungs- und Entschließungsfreiheit zu beeinträchtigen. Für die Frage, ob Handlungen mit den in Nrn. 1 bis 4 bezeichneten Verhaltensweisen vergleichbar sind, müssen diese „sowohl quantitativ als auch qualitativ eine vergleichbare Schwere aufweisen und in ihrem Handlungs- und Erfolgsunwert diesen gleichkommen“.[227] Entscheidend ist demgemäß ein in der Schwere vergleichbarer Unrechtsgehalt, während es nach Sinn und Zweck des Tatbestandes richtigerweise nicht auf eine vergleichbare Begehungsweise ankommt. Auch kann umgekehrt nicht der Schluss gezogen werden, dass bestimmte Angriffsrichtungen abschließend von Nrn. 1 bis 4 geregelt werden, so dass Handlungen, die „knapp neben oder kurz vor“ den Verhaltensweisen der Nrn. 1 bis 4 liegen, auch nicht auf Nr. 5 gestützt werden dürften.[228] Erfasst werden können daher beispielsweise Fälle des „Telefonterrors“, die mangels des Tatentschlusses hinsichtlich einer Kontaktherstellung nicht von Nr. 2 erfasst werden können, die jedoch hinsichtlich ihres Unrechtsgehalt ähnlich schwerwiegend sind. Einbezogen sind richtigerweise auch tätliche Angriffe und Sachbeschädigungen,[229] die jedoch häufig bereits über §§ 223 ff., 303 ff. StGB pönalisiert werden können, ohne dass es hierfür einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung bedarf. Ferner werden genannt die nachhaltige Lärmbeschallung, Verleumdungen, Anzeigen bei Behörden, Überwachung des Familien- und Bekanntenkreises, Zusenden unerwünschter Geschenke oder Drohung mit Suizid.[230] Einen größeren Anwendungsbereich dürfte die Vorschrift für Fälle des Cyberstalking und Cybermobbing haben, wenn Bild- und Tonaufnahmen vom Opfer in das Internet gestellt werden. Freilich sind solche Fälle inzwischen auch außerhalb des Nachstellungstatbestandes über § 201a Abs. 2 StGB strafbar, der das unbefugte Zugänglichmachen einer Bildaufnahme pönalisiert, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden.

d) Beharrlichkeit der Nachstellung

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Einzelne Nachstellungshandlungen begründen auch bei einer Eignung zur schwerwiegenden Beeinträchtigung des tatbestandlichen Erfolges für sich genommen noch kein tatbestandliches Verhalten. Dies ergibt sich schon daraus, dass vor allem § 238 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 für sich genommen sozialadäquate Verhaltensweisen erfassen, die erst durch eine gewisse Häufigkeit und Kontinuität zu einer unzumutbaren Belastung für das Opfer werden.[231] Voraussetzung ist daher, dass die Nachstellung beharrlich erfolgt. Ein beharrliches Verhalten, das auch von §§ 56d Abs. 3, 56f Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3, 67g Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3, 70b Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3, 184f StGB vorausgesetzt wird, erschöpft sich nicht in einer wiederholten Begehung, sondern erfordert eine besondere Hartnäckigkeit und eine Missachtung des Willens des Opfers bzw. eine Gleichgültigkeit gegenüber den Wünschen des Opfers, die zugleich die Gefahr weiterer Begehung zum Ausdruck bringt.[232] Eine solche Hartnäckigkeit und Gleichgültigkeit kann insbesondere vorliegen, wenn sich der Täter über Ablehnungen des Opfers, polizeiliche Maßnahmen oder gar Anordnungen nach dem GewSchG hinwegsetzt. Dennoch bleibt dieses Merkmal, das maßgeblich an die innere Einstellung des Täters anknüpft, recht unscharf.[233] Zwar hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass der Begriff auslegungsbedürftig, aber keinesfalls so weit und unklar sei, dass er gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstoße.[234] Doch muss man sehen, dass es bislang nicht geklärt ist, wie viele Nachstellungshandlungen im Einzelnen erforderlich sind. Nach Ansicht der Rechtsprechung[235] sollen bereits zwei Handlungen genügen können, auch wenn diese zeitlich länger auseinander liegen. Dies überzeugt jedoch wenig, da sich so der Unrechtsgehalt gegenüber mehrfachen Körperverletzungen usw. kaum eingrenzen lässt und es sich auch um bloße einzelne Verhaltensweisen handeln kann, denen die Prägung als Gesamtgeschehen fehlt. Hingegen dürfte die im Gesetzgebungsverfahren genannte Zahl von fünf Handlungen eine erste Orientierung bieten,[236] wobei der Täter auch unterschiedliche Verhaltensweisen i.S.d. Nrn. 1 bis 5 kombinieren kann, da die große Streubreite und Unberechenbarkeit der Nachstellungshandlungen für das Opfer sogar gravierender sein kann.[237] Insgesamt sollte der auch aus Opferperspektive maßgebliche Aspekt der Dauerhaftigkeit der Nachstellung stärker in den Blick gerückt werden.[238] So verlangt etwa § 107a öStGB ausdrücklich, dass die Nachstellung „längere Zeit hindurch fortgesetzt“ wird. Ferner setzt beharrliches Verhalten einen zeitlichen und inneren Zusammenhang der einzelnen Tathandlungen voraus,[239] der nicht durch zwischenzeitlich einvernehmliche Kontakte unterbrochen sein darf.[240] Daneben ist aber auch die Schwere der Nachstellungshandlungen von Bedeutung,[241] so dass bei gravierenderen Einwirkungen auf das Opfer geringere Anforderungen an die Anzahl und Dauer der Handlungen zu stellen sind.