Du bist dein eigener Therapeut

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Andreas Alt • Bernard C. Kolster

Rückenschmerzen

Wie ich meine Beschwerden

selbst in drei einfachen Schritten

in den Griff bekomme

KVM – Der Medizinverlag

Impressum

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Anschrift des Verlags:

KVM – Der Medizinverlag, Dr. Kolster Verlags-GmbH

Ifenpfad 2–4, 12107 Berlin

Korrespondenz:

info@kvm-verlag.de

Wichtige Hinweise:

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Jeder Anwender sollte sorgsam und verantwortungsvoll mit den Trainingsprogrammen umgehen. Alle Anwendungen erfolgen auf eigene Verantwortung des Benutzers und können keine medizinische Untersuchung ersetzen. Bei länger andauernden Beschwerden suchen Sie bitte Ihren Hausarzt auf.

© KVM – Der Medizinverlag Dr. Kolster Verlags-GmbH, ein Unternehmen der Quintessenz-Verlagsgruppe

www.kvm-medizinverlag.de

1. Auflage 2021

Projektleitung: Kathrin Fiedler, Freiburg im Breisgau

Lektorat: Renate Mannaa, Berlin

Foto- und Filmaufnahmen: Martin Kreutter, Marburg (Lahn)

Layout und Satz: Gay & Sender, Bremen

Gesamtproduktion: KVM – Der Medizinverlag, Berlin

ISBN: 978-3-86867-589-4


Inhalt

Vorwort

Einleitung

Die Funktionen des Rückens

Schmerz

Die drei Wege zur nachhaltigen Schmerz- und Beschwerdefreiheit

Dein Werkzeugkasten

Das Schmerzprogramm

Das Funktionsprogramm

Das Verhaltensprogramm

Die Übungen

Schlusswort

Literaturnachweise

QR-Codes

Vorwort

Unser Plan, einen Ratgeber zur Eigentherapie von Rückenbeschwerden zu entwickeln, kam durch unsere Erfahrung im alltäglichen Praxisbetrieb zustande. Die Physiotherapie ist heutzutage gerade für Rückenbeschwerden ein nicht mehr wegzudenkender Qualitätsfaktor im Gesundheitswesen. Was ist jedoch, wenn deine Rückenbeschwerden nicht durch die bekannten Empfehlungen und Maßnahmen verschwinden?

Heutzutage wissen wir, dass die allseits bekannten Methoden zur Bekämpfung von Rückenschmerzen durch neue Therapieformen ersetzt werden müssen. Denn wer gegenwärtig noch ausschließlich auf Massagen, Schmerzmedikamente, das vermeintliche Einrenken von Gelenken der Wirbelsäule oder auf harte Einheiten im Fitnessstudio vertraut, hat ein Problem. Diese Methoden sind nicht effektiv, weil sie nicht an den Ursachen der Beschwerden ansetzen. Zudem haben sie keine langfristige Wirkung. Die Wiederkehr deines Rückenleidens ist damit kaum vermeidbar.

Die moderne Wissenschaft in der Schmerzphysiotherapie zeigt es deutlich: Nicht der Schmerz selbst ist das Problem, sondern dessen Ursache! Nun wirst du denken: „Die Ursache ist doch ganz klar: Meine Wirbelsäule ist krumm, die Bandscheibe verrutscht, eines meiner Beine ist länger als das andere oder ein Wirbel hat sich ausgerenkt.“ Diese Gedanken sind nachvollziehbar, weil sie sehr einfach und klar vorstellbar wirken. Zudem stimmt es auch, solche Ursachen gibt es tatsächlich, doch in Wirklichkeit sind sie weitaus seltener, als du denkst. Nur etwa 10 Prozent aller Rückenbeschwerden sind auf solche körperlichen Schäden zurückzuführen und nur etwa ein Prozent gehen mit schwerwiegenden Verletzungen einher! Das Verwirrende dabei ist, dass gerade die Ursachen, welche am häufigsten genannt werden, die seltensten sind. Ein ausgerenkter Wirbel z. B. bedeutet höllische Schmerzen, eine drohende Querschnittslähmung und den direkten Weg in die Intensivstation. Ein Glück, dass diese Verletzung nur weniger als ein Prozent aller Rückenverletzungen ausmacht!

Viel häufiger sind die Gründe unserer Beschwerden ganz anders. Zu viel Druck von außen auf die eigene Belastbarkeit, immer größere Erwartungen an sich selbst und das kaum erlöschende Gefühl von „Da-geht-noch-Mehr“ bestimmen unseren Alltag. Dabei stehen die wirklich überdauernden gesundheits- und belastbarkeitsfördernden Aktionen hinten an – weil sie vielleicht nicht bekannt sind oder das Wissen fehlt, was konkret und in welchem Maße wir tun sollten.

Um die Ansätze zur Selbstbehandlung zu verstehen und deine Rückenbeschwerden wirksam zum Verschwinden zu bringen, solltest du deine Aufmerksamkeit den Inhalten dieses Buches schenken. Diese wurden von zahlreichen Patienten geprüft und für einmalig effektiv befunden. Nutze also die Chance, die für dich zur Lösung deiner Beschwerden bereitsteht. Wir wünschen dir, dass du nie wieder einen Schritt in Richtung deines Arztes oder Physiotherapeuten setzen musst, weil du deine Rückenbeschwerden selbstständig überwinden konntest – getreu dem Motto dieses Ratgebers: „Hilf dir selbst!“

Zu guter Letzt bleibt noch unsere Bitte an dich, deine Erfahrungen mit den Selbstbehandlungsprogrammen mit uns zu teilen. Wir freuen uns auf dein Feedback!

Mit besten Grüßen

Andreas Alt und Bernard C. Kolster

Einleitung

Der Rückenschmerz ist ein seit Jahrzehnten zunehmendes gesundheitliches Problem. Es sticht, es brennt oder es drückt bei unterschiedlichen Aktivitäten im Alltag, Beruf oder beim Sport (Statista 2017). Der so wahrnehmbare und oft stark limitierende Schmerz ist geprägt von verschiedenen Zeiträumen und Ursachen. So gehst du vielleicht deiner beruflichen Tätigkeit im Büro nach und quälst dich seit Langem und immer wieder mit ziehenden, „drückenden“ Rückenschmerzen. Dein gleichaltriger Kollege hingegen klagt nur selten und wenn dann eher kurz über ein „Ziehen“ im unteren Rückenbereich, welches nach einigen Tagen bis Wochen wieder verschwindet. Hinzu kommt ein dritter Kollege, der ebenfalls schon über „stechende“ Rückenschmerzen klagte, welche bei ihm bereits nach drei Tagen verschwanden. Diese Situationen sind unser alltägliches, medizinisches Themengebiet. Die Liste ist mit den unterschiedlichen Leidensberichten der Betroffenen gefüllt, und es zeigen sich immer die drei hervorstechenden Fragen: „Was ist an meinem Rücken kaputt?“, „Woher kommen die Schmerzen?“ und „Wieso werden sie nicht besser?“

Doch warum treten solche Rückenbeschwerden immer wieder auf und wieso leiden Sportler, Handwerker und Bürotätige alle an Rückenschmerzen? Es scheint gerade so, als wären die meisten Versuche zur Abhilfe unwirksam (Oliveira et al. 2018). Wir fragen die Patienten, wie denn ihre Versuche, die Beschwerden zu reduzieren, ausgesehen haben. Der ärztliche Erstkontakt wird regelmäßig als Start erwähnt, gefolgt von der Überweisung zum Physiotherapeuten. Der Arzt stellt eine meistens eher als „nichtssagend“ einzustufende Diagnose wie etwa das „LWS-Syndrom“ fest. Nur sehr selten findet der Arzt einen Bandscheibenvorfall, eine Fraktur der Wirbelsäule, eine gefährliche Infektion oder eine schwerwiegende Erkrankung der Wirbelsäule, wie z. B. Morbus Bechterew (Statista 2017, Oliveira et al. 2018). In der Physiotherapie werden dann anschließend die Wirbel der Wirbelsäule mobilisiert, massiert oder getriggert. Manchmal nehmen die Schmerzen ab, doch häufig nicht mal das. Stattdessen kommen die Beschwerden zurück und meistens bleibt das Muster deines Alltags das Gleiche: Der Beruf stresst, die Familie braucht Hilfe und der Sport wird immer weiter reduziert.

Wie häufig kommst du zur Physiotherapie und wirst nach deinen alltäglichen Lebensumständen befragt? Nie? Wird stattdessen erst einmal deine Wirbelsäule mobilisiert, oder werden deine unterschiedlich langen Beine mit einem kräftigen „Dranziehen“ bearbeitet? Wenn das so ist, bleiben die heute bekannten Ursachen von Rückenbeschwerden „außen vor“ und die entsprechenden Therapiemethoden ungenutzt. Und das ist der Punkt: Heutzutage wissen wir um die Komplexität der Rückenschmerzen viel besser Bescheid als noch vor einigen Jahren. Häufig sind die Methoden und Empfehlungen zur Therapie von Rückenbeschwerden überholt und nicht mehr zutreffend.

 

Wir wissen inzwischen, dass vor allem der Lebensstil und die Einwirkungen des alltäglichen Umfelds für die Entstehung der Rückenbeschwerden zu nennen sind. Dies bestätigen zahlreiche Forschungen (Statista 2017, Oliveira et al. 2018). Doch was heißt das? Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, die fast ausschließlich mit der Perfektion des Alltags einhergeht. So geht es z. B. um die herausragende berufliche Leistung, den „zielführenden“ Umgang mit Freundschaften, die perfekte Familie oder das Immer-besser-Werden im Sport. Was fehlt, ist das gesunde Maß. Das bezieht sich auf die Verarbeitung von einwirkenden Reizen von außen, die sich stattdessen zum Stress steigern und eben nicht mehr „gesund“ verarbeitet werden. Damit verbunden sind meist auch die Reduktion entspannender und ausgleichender Aktivitäten, wie z. B. Bewegung, und eine energieraubende anstatt einer gesunden Verarbeitung von Sorgen. Fehlinformationen über die Belastbarkeit der Wirbelsäule oder die im Zusammenhang mit Rückenbeschwerden oft erwähnten Risiken steigern den negativen Verarbeitungsprozess noch (Dima et al. 2013). Warum dies expliziert erwähnt wird? Weil es an der Zeit ist, mit alten Mythen aufzuräumen und dir die nachhaltige Form der Therapie von Rückenschmerzen für den Eigengebrauch zu ermöglichen.

Zehn Mythen über Rückenschmerzen

Mythos 1

Rückenmassage oder das „Einrenken“ von Wirbelgelenken behebt die Ursache der Beschwerden!

Falsch! Hierbei handelt sich lediglich um eine Behandlung der Symptome, in dem Fall „Schmerz“. Die Umstände und Reize, wie Stress, Bewegungsarmut, muskuläre Schwächen oder einfach die Angst vor Schäden an der Wirbelsäule durch z. B. das Heben, werden dabei nicht berücksichtigt (Alt et al. 2020).

Mythos 2

„Blockierte“ Wirbelgelenke oder ein „blockiertes“ Kreuzdarmbeingelenk entsprechen Wirbelsäulenverletzungen!

Falsch! Die Wirbel und auch das Kreuzdarmbeingelenk müssen eine gewisse Stabilität, also „Blockierung“, besitzen, um Kräfte übertragen und das Skelett stabilisieren zu können (Oliveira et al. 2018).

Mythos 3

Ausgerenkte Wirbelkörper lassen sich jederzeit vom Arzt oder Physiotherapeuten „einrenken“!

Falsch! Wenn ein Wirbel tatsächlich ausgerenkt ist, kommt dies einem medizinischen Notfall und einem Fall für die Intensivstation gleich. Ohne massive Unfallvorgänge oder schwerwiegende Vorerkrankungen, wie z. B. „Knochenschwund“ (Osteoporose), können Wirbelkörper nicht „ausrenken“ und müssen demnach auch nicht „eingerenkt“ werden (Alt et al. 2020).

Mythos 4

Wenn der Rücken beim Einrenken „knackt“, sind die Wirbel eingerenkt!

Falsch! Die Wirbel sind nicht ausgerenkt und müssen daher nicht eingerenkt werden. Wenn es „knackt“, liegt das am Entweichen eines Unterdrucks. Zwischen den inneren Körperteilen (Muskeln, Bindegewebe, Fett usw.) befindet sich Flüssigkeit, welche eine klebende Wirkung aufeinander auslöst. Durch einen schnell und stark ausgeführten Druck auf die betreffende Struktur, z. B. den Muskelbereich neben der Wirbelsäule, entweicht der Unterdruck, dies resultiert in einem „knackenden“ Geräusch (Unsworth et al. 1971). Denselben Effekt kannst du leicht mit zwei flachen Gegenständen wie Spiegeln, die du mit einem Tropfen Wasser dazwischen aufeinanderlegst und anschließend plötzlich auseinanderreißt, veranschaulichen.

Mythos 5

Eine geringe „Ungleichheit“ der Wirbelsäule ist eine Ursache für Rückenschmerzen!

Falsch! Die Wirbelsäule ist nie perfekt geformt, weil sie individuell konzipiert ist. Ähnlich verhält es sich mit der Farbe der Haare, der bevorzugten Hand (Links- oder Rechtshänder) oder der Gesichtsform (Balagué & Pellisé 2016).

Mythos 6

Ein runder Rücken ist beim Heben von Gegenständen gefährlich!

Falsch! Der Anpressdruck auf die einzelnen Wirbelkörper beim Heben mit rundem Rücken verändert sich kaum im Vergleich zum Druck beim Heben mit gestrecktem Rücken (Saraceni et al. 2020).

Mythos 7

Bandscheiben rutschen aus der Wirbelsäule!

Falsch! Bandscheiben können nicht aus der Wirbelsäule gleiten wie ein Stück Seife aus der Hand. Das Problem eines sogenannten Bandscheibenvorfalls besteht in dem Austreten von innerem Bandscheibenmaterial. Dieses drückt dann auf die Nervenwurzel und verursacht so den Schmerz oder die Irritation des Nerven (Kribbeln, Brennen, Taubheit) (Ikemoto et al. 2019).

Mythos 8

Der menschliche Körper ist vergleichbar mit einer Maschine!

Falsch! Der Mensch ist ein fühlendes, träumendes, individuell denkendes, empathisches Lebewesen und sein Körper ist nicht mit der Funktionsweise einer Maschine abzubilden. Genauso wichtig ist daher die Beachtung der Psyche bei der Behandlung körperlicher Beschwerden (Statista 2017, Alt et al. 2020).

Außerdem reagieren Menschen auf moderate Stressreize nicht mit Zerbrechen oder Schaden, wie es z. B. bei einem Auto der Fall wäre. Stattdessen kann sich unser Körper anpassen und leistungsfähiger werden. Diese Anpassung ist das Grundprinzip von jedem körperlichen Training und ermöglicht uns, mit den Belastungen zu wachsen und sie in Zukunft besser zu bewältigen (Kitaoka 2014).

Mythos 9

Übergewicht ist die „Hauptursache“ für Rückenbeschwerden!

Falsch! Natürlich ist ein gesunder Lebensstil immer anzustreben, aber auch dünne Menschen leiden an Rückenbeschwerden. Die Optimierung des Körpergewichts und die Vermeidung von Giftstoffen sind zur Bekämpfung von Rückenbeschwerden nicht wichtiger als andere Methoden (Aktivität, Entspannung, Belastungseinteilung, Angstvermeidung usw.) (Chou et al. 2016).

Mythos 10

Mythen im Zusammenhang mit Rückenbeschwerden und der entsprechenden Therapie sind kaum vorhanden!

Falsch! Es existieren viele Mythen bezüglich der Therapie von Rückenbeschwerden, weil diese einfacher vorstellbar sind, Fachleute viel Zeit benötigen, bis die Wissenschaft sie erreicht und weil eine große Industrie viel Geld daran verdient. Solange du als „krank“ oder „verletzt“ giltst, verdient jemand an dir (Brownlee et al. 2017).

Sind die meisten Rückenbeschwerden gefährlich? Nein. Die allermeisten Rückenbeschwerden sind nicht auf körperliche Schäden, sondern auf das erwähnte Muster unseres heutigen Lebensstils zurückzuführen. Darum weisen auch Rückenschmerzen nicht zwingend auf klassische Verletzungen deines Rückens, wie etwa einen Bandscheibenvorfall, hin. Selbst wenn dein Rücken einmal überlastet ist, liegt diese meistens an einer Überreizung der Muskulatur oder an einer Verarbeitungsstörung deines Nervensystems [ „Schmerzeinteilung“ S. 21].

In diesem Buch lernst du, wie du deine Rückenbeschwerden effektiv und nachhaltig „selbst“ beurteilen und behandeln kannst. Dafür verwenden wir drei wichtige Wege:

 Schmerzmanagement

 Optimierung deiner Bewegungsabläufe

 Umgang mit Rückenbeschwerden durch das richtige Verhalten

Die Therapiemethoden entsprechen den aktuellen und vielseitig geprüften, wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Um Herr deiner Rückenbeschwerden werden zu können, wird neben den drei Lösungswegen noch eine zielführende Analyse gebraucht. Daher wird dir vor jeder Durchführung der vorgestellten Therapieprogramme eine Selbsteinschätzung deiner Beschwerden empfohlen. Diese Selbsteinschätzung unterscheidet sich von klassischen Untersuchungen, weil die Zurückgewinnung deiner aktiven „Fähigkeiten“ im Vordergrund steht. Die alleinige Minderung deiner Symptome ist nicht ausreichend. Die Selbsteinschätzungen sind an typische Einschränkungen durch deine Rückenbeschwerden angelehnt, wie z. B. die Intensität deines Schmerzes beim Heben einer Getränkekiste. Du selbst definierst also deine Untersuchung! Danach richtet sich dann dein spezifisches Therapieprogramm aus [ „Praxisteil“ ab S. 55]. Ebenso findest du in diesem Buch Hinweise, deine Lebensweise zu verbessern. Hier spielt die Ernährung eine wichtige Rolle. Schmerz und Ernährung sind eng miteinander verbunden, und man erreicht über die Ernährung wertvolle Effekte zur Schmerzbekämpfung. Wusstest du, dass rotes Fleisch oder Wurstwaren Entzündungsprozesse im Körper fördern [ „Lebensführung“ S. 49]?

Ein gesunder Rücken benötigt ein langfristiges Management in eigenverantwortlicher Regie und es gibt eine Person, die dir langfristig helfen kann: Das bist du selbst!

Die Funktionen des Rückens

Wie funktionieren die Wirbelsäule und damit dein Rücken? Die Antwort auf diese Frage ist von der menschlichen Evolution geprägt. So wissen wir heutzutage aus entsprechenden wissenschaftlichen Untersuchungen, dass sich der Mensch schon vor ca. 3,6 Millionen Jahren zunehmend vom Vier- zum Zweibeiner entwickelt hat. Die Entwicklung zum aufrechten Gang bezeichnet man als „Bipedie“. Interessant dabei sind die für uns ausschlaggebenden, anatomischen Veränderungen (Stringer 2002). Wir Menschen mussten uns körperlich fortwährend an die neuen Bedingungen des aufrechten Gangs anpassen. Dies bedeutet bis heute eine deutliche Auswirkung auf unsere Belastbarkeit. Allein die veränderte Kraftverteilung auf vorher vier und in der Moderne auf zwei Beine zeigt die Notwendigkeit einer Anpassung. Natürlich sind diese vermeintlichen Nachteile durch die Evolution nicht nur schlecht. Wir erhielten dadurch auch enorme Vorteile, im Gegensatz zu anderen „Tieren“: Die Unabhängigkeit der Arme und Hände verhalf uns zu viel mehr Fähigkeiten. Wir können komplexe mechanische Aufgaben erledigen, wie z. B. Schreiben, Basteln oder Handwerken. Nachdem wir also mittlerweile zum ausdauernden, vielseitigen und aufrecht gehenden Menschen entwickelt sind, stoßen wir seit einigen Jahrhunderten auf ein weiteres Problem: Wir sitzen zu viel! Und wundern uns, warum unser Körper daraufhin rebelliert. Zur Verdeutlichung: Wer acht Stunden lang am Tag sitzt, benötigt mindestens 60 Minuten dauerhafte Aktivität, also z. B. Laufen, um das Sitzen zu kompensieren (Grabovac & Dorner 2019).

Unser unterer Rücken ist zur Bewältigung von Lasten konzipiert und nicht für langandauernde Ruhe, wie es das Sitzen darstellt. So ist er in unterschiedlichen Lebenslagen imstande, einen großen Teil deines Körpers in verschiedenen Positionen (Sitzen, Stehen, Gehen, Springen usw.) zu tragen. Gleichzeitig ist er aber auch dazu imstande, schwere Lasten zu heben (Getränkekiste, kleine Kinder usw.). Grundsätzlich funktioniert unser Rücken also sehr vielschichtig.

 

Die Wirbelsäule und ihre Abschnitte

Der Rücken ist ein komplexes Körperteil mit vielen unterschiedlichen Funktionen. Wie diese ermöglicht werden, lässt sich anhand der einzelnen Wirbelsäulenabschnitte erklären. [ Abb. 1].


Abb. 1 Wirbelsäule und ihre Abschnitte.

Halswirbelsäule – Unter deinem Kopf befindet sich die Halswirbelsäule, die aus sieben Wirbeln besteht. Diese Wirbel schützen den Hirnstamm und das Rückenmark, stützen den Schädel und ermöglichen eine ausgeprägte Kopfbeweglichkeit (Hochschild 2015).

Brustwirbelsäule – Unterhalb des letzten Halswirbels (C 7) befinden sich 12 Brustwirbel. Die Rippenansätze unterstützen die Stabilität der Brustwirbelsäule. Der Brustkorb schützt viele lebenswichtige Organe.

Lendenwirbelsäule – Im unteren Teil deines Rückens findest du die Lendenwirbelsäule, die aus fünf Wirbelkörpern besteht. Die Lendenwirbel sind die massivsten Wirbel des Menschen und tragen einen großen Teil der Gesamtmasse des Körpers. Diese Region erlaubt mehr Bewegungsspielraum als die Brustwirbelsäule, aber weniger als die Halswirbelsäule (Hochschild 2015).

Kreuzbein – Das Kreuzbein (Sakrum) ist über ein bewegliches Gelenk mit dem letzten Lendenwirbel (L 5) verbunden und besteht aus fünf miteinander verschmolzenen Knochen. Es bildet zusammen mit den Darmbeinschaufeln, die links und rechts am Kreuzbein ansetzen, das Iliosakralgelenk und ist zugleich die Verbindungsstelle zwischen dem Beckengürtel und der Wirbelsäule. Direkt unterhalb des Kreuzbeins befinden sich fünf weitere Knochen, die zum Steißbein zusammengewachsen sind (Hochschild 2015, Saraceni et al. 2020).

Du erfährst und nutzt die Funktionen deines Rückens jeden Tag!

Fangen wir doch einmal ganz zu Beginn eines neuen Tages an: Wahrscheinlich gehst du einer beruflichen Tätigkeit nach, der du schon morgens nachkommen musst, oder du möchtest deine Kinder betreuen. Du wachst also frühmorgens auf und planst direkt aufzustehen. Dazu rotierst du deinen Oberkörper in Richtung Bettkante, bevor du ihn mit einer kleinen Seitneigung in die senkrechte Position rückst. Anschließend richtest du dich auf und bückst dich zur Schublade mit deinen Socken, die du dir über deine Füße ziehst, bevor du dich wieder in die Aufrechte streckst. Wunderbar. Die erste Funktion, nämlich die dreidimensionale Beweglichkeit deiner Wirbelsäule – Drehen, Beugen Strecken – hast du nun schon genutzt.

Anschließend nimmst du deine restlichen Kleider und gehst ins Badezimmer, um deiner Morgenhygiene nachzugehen. Interessanterweise geschieht dies trotz des aufrechten Gangs und der zusätzlichen Last deiner mitgenommenen Kleidungsstücke, ohne dass du die Balance verlierst und hinfällst. Nachdem du nun fertig bist, bereitest du deine Tasche vor, die mitsamt Laptop und einem Getränk ein gutes Gewicht erreicht hat. Du bückst dich, greifst deine Tasche und hebst sie auf den Stuhl neben dem Küchentisch. So einfach offenbaren sich weitere Funktionen deines Rückens, nämlich die Unterstützung der Balance, die Umsetzung des aufrechten Gangs und die Kraftentfaltung.

Eine wesentliche Funktion deines Rückens bzw. deines Rumpfes fehlt noch – die Schutzfunktion: Du bist etwas in Eile, möchtest schnell das Haus verlassen und stößt aus Versehen beim Hinauslaufen mit dem Rücken am Türrahmen an. Zum Glück ist nicht passiert! Dein Rumpf und deine Wirbelsäule haben deine Organe und deine Nervenwurzeln vor dem Stoß am Türrahmen geschützt.

Kontrolle, Koordination, Kraft

Die Funktionalität deiner Wirbelsäule hängt bei Weitem nicht nur mit der Beweglichkeit zusammen (Stemper et al. 2010, Lee et al. 2016). Genauso relevant dafür sind folgende Komponenten:

 Bewegungskontrolle, d. h. die Ansteuerungs- und Ausführungsqualität einer Bewegung (Alt et al. 2020)

 Koordination, d. h. die Abstimmung und Zuordnung unterschiedlicher körperlicher Prozesse, z. B. Reaktion, Balance, Orientierung (Lee & Kang 2016)

 Kraft, d. h. die Überwindung von Widerständen in alle möglichen Bewegungsrichtungen sowie die Fähigkeit zur Stabilisation deiner Wirbelsäule durch deine Rücken- und Rumpfmuskulatur (Lee & Kang 2016, Kitaoka 2014)

Alle diese Elemente ermöglichen dir in Kombination die Funktionalität und damit auch die „Belastbarkeit“ deiner Wirbelsäule. Egal ob im Alltag, Beruf oder im Sport, die Belastbarkeit deiner Wirbelsäule ist essenziell. Die feine Abstimmung der unterschiedlichen Muskelsysteme wird durch ihre Komplexität ersichtlich. So gibt es kleine, tiefgelegene, von der Fascia thoracolumbalis (widerstandsfähiges Fasziengewebe) eingebettete, autochthone (ortständige) Muskelanteile, die deine Wirbelsäule stabilisieren. Zusammengefasst wird diese Muskelgruppe auch M. erector spinae genannt. Für die großen und kraftaufwendigen Bewegungen der Wirbelsäule, wie z. B. das Heben und Heranziehen eines vollen Wäschekorbs an den Körper, sind entsprechend große, allochthone (eingewanderte) Muskeln notwendig. Der M. latissimus dorsi, M. trapezius und M. deltoideus sind hierfür entscheidend. Unterstützt werden diese großen, kräftigen Muskeln von den Mm. rhomboidei [ Abb. 2, S. 20].


Abb. 2 Die wichtigsten Rückenmuskeln.

Wichtig ist das Zusammenspiel von Beweglichkeit, Bewegungskontrolle, Koordination, Kraft und Ausdauer – und zwar schon für viele banale Alltagstätigkeiten. So benötigst du z. B. beim Heben einer Getränkekiste nicht nur Beweglichkeit, um diese zu erreichen, sondern auch Koordination, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, Bewegungskontrolle, damit du die Kiste gezielt heben kannst, und natürlich Kraft. Wenn du nun mehrere Kisten heben musst, benötigst du zudem noch Ausdauer.

Um deine Rückenbeschwerden therapieren zu können, hilft dir zu Beginn eine Analyse deiner Schwächen. Diese wird dir helfen, deine Chancen zu erkennen und gleichzeitig deine Sorgen und Ängste bei der Belastung deines Rückens, wie z. B. durch das Heben, zu reduzieren. Wir nennen dies „Selbsteinschätzung“.

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