Wohin gehen wir, mein Herz

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Wohin gehen wir, mein Herz
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Wohin gehen wir mein Herz

1  Titel Seite

2  Vorwort

3  Der Aufbruch

4  Empfangsbeben

5  Kennen diesen Ort

6  Den Trommeln folgend

7  erst anfangen zu lernen?

8  dich wieder zu vermissen...

9  Wild und frei

10  Tanzen im Regen

11  Ein Hoffnungsschimmer

12  Trommelndes Herz, weinendes Herz

13  Der richtige Weg

14  Gefangen im Paradies

15  Semana Santa- Die Heilige Woche

16  Weitergehen

Titel Seite

Wenn uns das Leben,

das alle anderen leben, nicht erfüllt

dann sind wir nicht hierhergekommen,

um es zu leben und uns anzupassen

Wir sind hier, um etwas zu ändern

Nicht, um das Alte beizubehalten

Sondern

um etwas Neues zu erschaffen

INHALT

Vorwort
Was weiß ein Fisch schon von dem Wasser, in dem er sein ganzes Leben lang schwimmt?

Albert Einstein

Um die Wahrheit zu erfahren, musst du gegen den Strom schwimmen und den Menschen widersprechen. Wenn du es bereits heraus aus der Strömung und ans Ufer geschafft hast, betrachtest du die Welt nun aus einem völlig anderen Blickwinkel. Die Erfahrung, die du jetzt machst, kann einerseits das schönste Geschenk sein, andererseits auch sehr schmerzvoll. Doch erst wenn du jeden Schmerz gespürt und alle Tränen geweint hast, wenn sie Tropfen für Tropfen dein Herz überschwemmt haben, dann kommt die Wahrheit. Der Schmerz ist nur eine Form des Universums, dich von dem Schlafzustand, in dem du dich befindest, aufzuwecken.

In meinem vorigen Buch habe ich bereits offenbart, wie ich durch den Schmerz die größten und wichtigsten Dinge im Leben erfahren und gelernt habe. Diese Lerneinheiten haben mich befreit.

Mit Mich, meine ich die Seele – die ich bin. Die Seele, die meinen Körper nutzt, um auf der Erde etwas zu bewegen.

Mein Körper hatte die Kontrolle über mich, so wie der Körper Millionen anderer Seelen. Wir denken nicht darüber nach, was wir eigentlich sind. Wir haben keine Seele, sondern wir haben einen Körper. Was wissen wir schon von dem Leben, das wir leben? Wir leben es doch nur den anderen nach, so wie wir es von ihnen gelernt haben, aber es ist mehr ein Überleben, denn in unseren Leben geht es nur darum, irgendwie am Leben zu bleiben. Es ist uns egal, ob wir unser Leben leben oder nur überleben. Nur wenige von uns suchen noch nach dem wahren Glück, machen sich auf die Suche nach dem Sinn , der vollkommenen Erfüllung ihres eigenen Herzens.

Viele haben es schon akzeptiert, so wie es ist und denken, sie sind glücklich .

Vielleicht sind sie es ja auch – auf ihre Weise, aber wie können die Routine und ein sinnloses Leben, das nur darauf ausgerichtet ist, genug Geld und Dinge zu haben, eine abenteuerlustige Seele, die sich auf den langen Weg zur Erde begab, um dort ihre Erfahrungen zu machen und

Zu wachsen, glücklich machen? Wenn man immer nur dasselbe und das tut, was alle anderen auch tun?

Uns wird eingeredet, dass wir Angst vor neuen Situationen haben müssen und wir werden durch diese Angst davon abgehalten, mutig zu sein und neue Dinge auszuprobieren. Dabei sind wir doch hierhergekommen, um auf Entdeckungsreise zu gehen und enden gefangen in unseren eigenen Körpern, die durch Gedanken gesteuert werden, welche nicht mal unsere sind, sondern die, die uns von anderen von klein auf in unsere Köpfe gepflanzt wurden.

Ich kam schnell zu der Erkenntnis

dass es keinen Ort auf der Welt gab,

der weit entfernt war

Außer ich reiste dieselbe Distanz

Tief in meiner inneren Welt.

Der Aufbruch

Ich liebte sie, diese tiefen, magischen Wälder, die sich hinter unserem Dorf erstreckten. Sie waren meine Zufluchtsorte, meine Lehrer, meine Familie.

Ich kam immer hierher, wenn ich traurig war, mich verloren oder alleine fühlte. Mit meinen 21 Jahren hatte ich bereits viel gelernt und doch nichts im Vergleich zu dem, was es alles noch zu lernen gab.

Erinnerungen, die ich manchmal nur für Sekunden verdrängte, kamen wieder hoch. Es wurde dunkel, der erste Stern ließ sich am Himmel blicken. Ich lag im hohen Gras auf einem Hügel am Waldesrand. Meine Arme hatte ich über meinem Kopf verschränkt. Der Himmel füllte sich immer mehr mit Sternen.

Eigentlich waren die Sterne die ganze Zeit hier, nur dass wir sie tagsüber nicht sehen konnten. Vielleicht sollten wir auch nicht abgelenkt werden und uns nachts, wenn wir den Tag überstanden hatten, uns wieder daran erinnern, dass wir nicht alleine waren.

Dort war eine Sehnsucht in meinem Herzen, die nicht gestillt werden konnte, solange ich mein Land nicht verließ. Es war aber nicht nur eine, sondern so viele, dass, wenn jede Einzelne ein Stern gewesen wäre, es einer Milchstraße voller Sehnsüchte geglichen hätte. Die Sehnsucht nach jemandem, mit dem ich diese wunderschönen Momente der Einsamkeit teilen konnte, die Sehnsucht nach Antworten, nach Freiheit, nach einem Ziel vor meinen Augen, aber vor allem die Sehnsucht, auf irgendeine Weise irgendetwas Sinnvolles für diese Welt tun zu können und dazu etwas finden zu müssen, das weit entfernt war.

Die Traurigkeit all dieser Sehnsüchte in meinem Herzen fühlte sich schön an, weil ich im selben Moment wusste, dass sie eines Tages bestimmt gestillt wurden.

Ich war unendlich dankbar, all das so stark in mir fühlen zu dürfen. Mit dem Gefühl der Traurigkeit kam auch dieses unglaubliche, enorme Gefühl der Ruhe und Zufriedenheit, das ich fühlen würde, wenn der Moment da war, an dem ich dieses Etwas, von dem ich nicht wusste, was es war, gefunden hatte. Hier als Mensch auf dieser Erde, außerhalb von mir selbst musste ich mich auf eine Suche begeben und darauf vertrauen, dass mein Herz mir den richtigen Weg dorthin zeigte.

Tränen pumpte mein sensibles Herz in meine Augen, denn an diesem Tag verabschiedete ich mich für längere Zeit von meinem Wald.

Wie war es in einem anderen Land? Eine völlig andere Kultur, eine andere Sprache, wie waren die Menschen dort? Waren sie zufriedener, weil die Sonne immer schien, oder waren sie genauso unzufrieden und traurig, wie die Menschen in meinem Land? Wie waren die Wälder, oder gab es dort vielleicht einen richtigen Dschungel? Vielleicht musste man vorsichtig sein, weil es giftige Pflanzen oder gefährliche Tiere gab, aber was war überhaupt ein gefährliches Tier ? Ein Tier, das Angst vor Menschen hatte und sich zu verteidigen versuchte?

Ich war sicher, mir würde nichts passieren und ich konnte dort ebenso unbekümmert in den Wäldern umherstreunen, wie hier. Wie die Natur dort wohl duftete? Wie dort ein Sonnenuntergang aussah? Ob der Mond von dort viel größer erschien?

Die Freude, die mein Herz mir sendete, war unbeschreiblich. Neue Düfte, Geschmäcker, neue Abenteuer und Erfahrungen. Ich war so dankbar, dass ich mich mein Leben lang nie anpassen konnte, denn sonst hätte ich nicht den Mut gehabt, etwas anderes zu tun, als die anderen. Nein, ich hätte einfach nur das Gleiche getan, wie alle. Arbeiten, essen, schlafen und das Ganze immer wieder von vorne. Ich hätte mich nur auf meine freien Tage, die Wochenenden und Urlaube gefreut, nur um mir dann klar zu werden, dass ich auch an diesen Tagen, in meinen Augen nichts wirklich Sinnvolles für diese Welt tun konnte.

Meine Zukunft hing an einem seidenen Faden, denn auch meine sogenannte Pension war nicht abgesichert, wenn ich dieses Routine-Leben verweigerte.

Ich lächelte bei der Vorstellung, auch wenn meine Zukunft an einem seidenen Faden hing, war ich doch überglücklich, dass ich bis dahin nicht mit einem starken Seil gefesselt war.

Ich wollte mein Leben nicht absichern, denn ich war sicher, dass dieser dünne, seidene Faden stark genug war, denn er wurde aus Hoffnung, Vertrauen und Glaube gewebt.

Nein, ich sorgte nicht für meine Zukunft, in dem ich mein Leben lang nur zufrieden war und sehnsüchtig auf Urlaube oder freie Tage wartete. Ich sorgte für die Zukunft, indem ich für meine Gegenwart sorgte, denn ich wollte mehr als nur zufrieden sein und ich wusste auch, dass ich das nur erreichen konnte, wenn ich es schaffte, meine Berufung zu finden und herausgefunden hatte, wie ich sie in dieser Welt verwirklichen konnte.

Wenn es keinen Beruf für mich gab, der sich wie meine Bestimmung anfühlte, musste ich ihn erschaffen. Ich vertraute darauf, dass das Schicksal mich auf die richtigen Wege leitete. Ich musste vertrauen und mich leiten lassen. Alles was passierte, passierte aus einem bestimmten Grund, alles machte Sinn und ich glaubte fest daran, dass mein Leben einen ganz besonderen Sinn hatte.

 

Es fühlte sich gut an, so unabhängig zu sein. Auch meine Eltern standen hinter mir und als hätten sie schon mein ganzes Leben lang gewusst, dass es irgendwann dazu kommen musste, akzeptierten sie meine Entscheidung ohne sie zu hinterfragen. Sie waren glücklich, wenn sie sahen, dass ich glücklich war.

Am Flughafen in Wien verabschiedete ich mich von meinem Vater, der mich hergebracht hatte. Während einer Umarmung brachen wir beide fast in Tränen aus. Unsere Beziehung war besser geworden, aber diese Distanz war noch immer da, weil ich mich als Kind vollkommen von ihm abgeschirmt hatte. Die Umarmung tat gut und ich glaubte sogar, dass es unsere erste richtige Umarmung war. Vielleicht wollten wir deshalb weinen, weil wir dachten, dass wir uns das erste und das letzte Mal umarmten. An so etwas wollte natürlich niemand denken, aber seine Gedanken konnte man nicht kontrollieren. Ich zumindest nicht.

Ich durchquerte den Bereich, in den er nicht mehr mitkommen durfte, drehte mich ein letztes Mal um und winkte ihm lächelnd zu. Wie lange er nach meinem Verschwinden wohl noch so dastand? Es tat mir unendlich leid, ihn so zurückzulassen, denn ich wusste, dass er sich Vorwürfe machte, da er fast mein ganzes Leben verpasst hatte und keine wirkliche Chance hatte, es nachzuholen, aber dank ihm, fehlte es mir auch nie an materiellen Dingen und ich hatte immer die Freiheit, nicht unbedingt arbeiten zu müssen, um zu überleben.

Ich machte mich auf den Weg zu meinem Gate. Nun begann ein neuer Lebensabschnitt.

Die Türen des Flugzeugs wurden geschlossen. Mein Herz raste aufgeregt. Ganz kurz kam der Gedanke in mir hoch, dass ich vielleicht nur versuchte, wegzulaufen und die Sehnsucht meines Herzens als Ausrede dafür benutzte. Dieser Gedanke verschwand aber schnell wieder, denn ich wusste einfach, dass ich es tun musste und wahre Grund dafür war ein Gefühl, keine Ausrede.

»Herzlich Willkommen auf dem Flug nach Mexiko City über Frankfurt«, begrüßte der Pilot die Passagiere.

Ich konnte ein unkontrolliertes Lächeln nicht vermeiden und noch immer nicht glauben, was ich hier machte.

Ich sprach kein Wort Spanisch und saß in einem Flugzeug, das mich in ein Land brachte, in dem nur Spanisch gesprochen wurde.

In dem Au-pair Portal, in dem ich mich angemeldet hatte, erhielt ich vor drei Wochen eine Nachricht einer deutsch - mexikanischen Familie. Sie wollten unbedingt, dass ich zu ihnen nach Mexiko kam und dort ihre ein Jahr alte Tochter vier Stunden am Tag gegen Unterkunft und ein kleines Taschengeld betreute. Sie hatten dort in den Bergen ein spirituelles Rückzugszentrum aufgebaut.

Ich konnte mein Glück kaum fassen, sie mussten mich nicht lange überreden, ich sagte sofort zu.

Durch das winzige Fenster beobachtete ich die immer kleiner werdende Landschaft. Dort unten war so viel, was ich so sehr liebte, aber das ich gelernt hatte, loszulassen.

Meine Eltern, die immer für mich da waren und sich mir kein einziges Mal in den Weg gestellt hatten, meine kleine Schwester, die böse auf mich war, weil ich sie alleine zurückließ, mein Bruder, der sein Leben lebte und mit dem ich schon fast fünf Jahre keine Worte außer »Hallo« und »Tschüss« gewechselt hatte. Meine liebste Freundin, die auf eine ganz andere Weise Teil meiner Familie war. Wie sehr ich mir oft diese Zeit zurückwünschte, um jede Sekunde noch einmal ganz langsam und intensiv zu genießen. Ich hätte viel dafür gegeben, nur einmal noch so Lachen zu können, dass mir danach tagelang die Bauchmuskeln wehtaten.

Dann war da noch jemand, den ich liebte und der es bis heute noch nicht mal wusste. Doch alles, was ich tun konnte, war zu hoffen, dass all diese Seelen auf ihrer Reise glücklich waren, auch ohne meine körperliche Anwesenheit.

Die Erinnerung an alles, was ich so sehr liebte und jetzt zurückließ, löste etwas schmerzlich Schönes in mir aus, denn der Schmerz war ein Gefühl, für das ich dankbar sein musste. Es konnte ein schöner Prozess sein, wenn man diese Lerneinheiten des Lebens zu schätzen wusste.

Alles, was ich liebte, war immer bei mir, erinnerte ich mich. Es gab keine Trennung und schon gar keine Entfernung. Die Liebe war überall und man konnte sie nicht verlieren. Das Leben würde mich immer wieder daran erinnern, wenn ich es für kurze Momente wieder vergaß. Doch es in die Tat umzusetzen war schwieriger, als es nur zu wissen und deshalb tat es noch immer weh, obwohl ich wusste, dass ich das einzig Richtige machte.

Ich musste sie zurücklassen und jetzt mein Leben leben. Ich musste mich auf diese Reise begeben. Auf die Suche, nach dem Warum.

Warum hatte mein Schicksal mich in dieses Flugzeug gesetzt? Ich konnte es kaum erwarten, es herauszufinden.

Wann kam der große Moment, der es mich einfach wissen ließ. Ich es fühlte, fühlte, dass es das war, was ich gesucht hatte. Das es war, was ich finden musste. Das ich endlich angekommen war.

Nach 18 Stunden Flug und einmal umsteigen landeten wir endlich in Mexiko City. Ich war erleichtert und zur gleichen Zeit nervös, denn ich hatte mit dieser Familie in Mexiko zwar auf Skype eine Videounterhaltung geführt, aber schon wieder vergessen, wie sie aussahen.

Ich erinnerte mich kurz an meine Lehre im Baumarkt, als mich die Kunden etwas fragten, ich danach zu einem Mitarbeiter ging, um die Information einzuholen und als ich den Kunden dann wieder suchte, nicht mehr wusste, welcher es war. Gesichter Erkennung war nach wie vor nicht meine Stärke.

Auf den Gängen am Flughafen gab es jede Menge Sicherheitspersonal. Sie hielten enorme Maschinengewehre in ihren Händen. Ihre Hautfarbe war dunkel, etwas rötlich, aber nicht, weil sie an Sonnenbrand litten, sondern weil es nun mal ihre natürliche Hautfarbe war. Sie hatten trotz ihrer angsteinflößenden Uniform, dieses unwiderstehliche, positive Strahlen in ihrem Gesicht. Es gab keinen, der mich nicht herzlich anlächelte und mit dem Kopf nickte. Ihr freundliches Wesen löste so viel Freude in meinem Herzen aus, ich war das wirklich nicht gewohnt von den Menschen in meinem Land.

Ich fühlte etwas in mir, das ich schon lange nicht mehr gefühlt hatte. Das Gefühl, richtig zu sein. Zuhause angekommen zu sein. Es erleichterte mich ungemein.

Ich erwiderte ihr Lächeln und musste dabei schon fast richtig lachen, so verrückt fühlte es sich an.

Ich verstand zwar kein Wort, konnte mir gerade noch zusammenreimen, dass „Hola“ „Hallo“ bedeuten musste, aber ich mochte die Mexikaner jetzt schon. Ich wusste jetzt schon, dass es ein Riesenspaß werden würde, mich mit ihnen mit Händen und Füßen zu unterhalten.

Ich kannte nichts von dieser Welt, alles, was jetzt auf mich zukam, waren neue Erfahrungen und ich war so dankbar dafür, denn seitdem dieser Druck auf mir lastete, einen Job finden zu müssen, nur um mich irgendwie nützlich zu fühlen, spürte ich sofort, dass es nicht das Leben war, was ich wollte. Ich wollte nicht mein ganzes Leben lang meine Zeit gegen Geld eintauschen, um irgendwann endlich von meiner Pension leben zu können. Und wie lange, wenn mich das Leben die ganzen Jahre über aussaugte? Ich wäre nicht stark genug gewesen, um dies zu verhindern. Aber ich wusste auch, dass ich etwas anderes tun musste. Es war nicht meine Bestimmung. Vielleicht war es die Bestimmung vieler anderer, vielleicht war es für sie ok und fühlte sich gut an. Aber nicht für mich. Ich wollte mehr als das, immer schon.

Das Geräusch des Stempels, der auf meinen Pass gedrückt wurde, klang herrlich. Ich durfte sechs Monate lang bleiben und wenn meine Zeit auslief, konnte ich laut Anna, meiner neuen Arbeit- und Unterkunft Geberin, eine Woche in Guatemala Urlaub machen, bei der Rückreise nach Mexiko würde ich weitere sechs Monate Touristenvisum bekommen.

Ich erkannte sofort jede Menge Leute mit Schildern, die auf jemanden warteten, den sie offensichtlich nicht kannten. Der Anblick amüsierte mich, denn ich dachte eigentlich, dass es sowas nur in den Filmen gab. Ich kannte die Welt ja bisher auch nur von Filmen.

Ob mein Name wohl auch auf einem dieser Schilder stand?

Ich fand ihn nicht, setzte ich mich auf eine Bank, wartete und beobachtete die Menschen. Ich erinnerte mich bei Gott nicht an die Gesichter der Familie und hatte keinen Schimmer mehr, wie diese Leute überhaupt aussahen.

Ich konnte nur hoffen, dass sie mich erkannten, sobald sie mich sahen.

Was aber, wenn es sie gar nicht gab und es nur ein Scherz war, wenn es Entführer waren?

Ich vertraute so sehr auf meinen Schutzengel und mein Herz, die mich dorthin führten, wohin ich ankommen sollte, dass kein einziger negativer Gedanke es bisher geschafft hatte, zu mir durchzudringen. Ich musste weiterhin vertrauen, also tat ich das auch.

Ich weiß nicht, warum Hoffe nur auf ein Zeichen in deinen Augen Das mir sagt, Bleib

Und doch weiß ich, ich würde nicht bleiben

Sondern mich auf die Suche begeben

Immer suchend

aber zu blind um es zu sehen Du warst immer da, genau neben mir Ich gehe und sage auf Wiedersehen

ich werde es niemals vergessen ich glaube noch immer daran

dass eines Tages dieses Wunder geschieht

Wo kann ich hingehen, damit du mich findest Was muss ich tun, damit du mich fühlst

Was kann ich tun, um dich zu halten

So weit weg und doch so nah Und ich weiß, du bist bei mir

Du warst schon immer da Finde zu mir eines Tages

Wenn du bereit für ein Wunder bist

Warte ich auf dich Und wir

wir werden einen Weg finden

wenn unsere Zeit kommt

Empfangsbeben

Eine halbe Stunde war bereits vergangen, noch immer beobachtete ich die Leute in der Hoffnung, ein bekanntes Gesicht zu erkennen, da sprach mich plötzlich ein Mann von der Seite an. Ja, das war der von dem Video!

Als ich ihn sah, fragte ich mich, wie ich diese Erscheinung vergessen konnte. Fernando, der Familienvater hatte graue lange Haare zu einem Zopf geflochten. Sein Aussehen erinnerte mich an einen alten Indianer, obwohl seine Hautfarbe eigentlich viel zu hell dafür war.

»Wie geht es dir? Wie war der Flug? Alles O.k.?«, fragte er, auf Englisch, da er als Mexikaner kein Deutsch und ich kein Spanisch verstand. Der sympathische Mann nahm mir meinen Rucksack ab und ich watschelte wie ein verlorenes Küken hinterher.

Als wir das Flughafengebäude verließen, kam eine Hitzewelle auf mich zu, wie ich sie noch nie zuvor gespürt hatte. Es war bereits 18:30 Uhr. Wie konnte es um diese Zeit noch so heiß sein? Diese Hitze empfand ich aber als so angenehm, dass ich schon wieder ein Lächeln im Gesicht hatte. Ja, hier könnte ich mich wohl fühlen.

Wir stiegen in sein Auto und fuhren los. Erst als ein kurzes Schweigen entstand, dachte ich wieder darüber nach, dass er auch ein Entführer sein konnte und alles nur gespielt war. Auch die deutsche Frau hätte eine von ihnen sein können, um europäische, hübsche und leichtgläubige Mädchen anzulocken. Sogar die Kinder, die im Video mit dabei waren, hätten sie nur als Tarnung dazu holen können. Verrückterweise dachte ich jetzt sogar, dass auch, wenn es so war, es ebenso sein sollte. Es machte mich nicht nervös, diese Gedanken zu denken, im Gegenteil, ich vertraute so sehr darauf, dass ich geführt wurde, und alles was geschah nur dazu diente, um endlich anzukommen.

Wir parkten vor einem Restaurant, in dem ich nun die ganze Familie kennenlernte. Natalie, seine achtjährige Tochter, Tobias, ein sechs jähriger Junge, Alma, das Baby, auf das ich hauptsächlich aufpassen würde und Anna, die Mutter, die ursprünglich aus Deutschland kam. Natalie sprach relativ gut Deutsch, jedoch mit Akzent, ihr kleiner Bruder beherrschte die Sprache, wie der Vater, gar nicht oder kaum.

Alles schien eigentlich ziemlich normal. Die Familie war freundlich und echt, das erkannte ich sofort. Obwohl sie auch eine echte Familie sein konnten, die ein Spiel spielten. Ich versuchte, diese dummen Gedanken innerlich, darüber lächelnd, wegzudrängen und das Abendessen zu genießen, obwohl ich überhaupt keinen Hunger hatte und nur noch ins Bett wollte.

 

Wir übernachteten in der Wohnung von Fernandos Eltern in Mexiko City, da wir morgen früh für ein paar Tage nach Acapulco an den Strand fahren würden und es von hier aus näher war. Man hörte noch immer die Polizeisirenen. Außerdem war die restliche Lautstärke auf der Straße keinesfalls mit der Stille in meinem Dorf zu vergleichen.

Auf dem Weg in die Wohnung erfuhr ich, dass die Polizei die Lichter und Sirenen die ganze Zeit über eingeschaltet lassen durfte, nur um auf ihre Anwesenheit aufmerksam zu machen. Ich dachte schon, es gäbe die ganze Zeit Einsätze, und schon erinnere ich mich auch an einige naive Aussagen von Bekannten, dass Mexiko gefährlich war. Das einzige, was ich als gefährlich betrachtete, war in der Routine des langweiligen Lebens, das sie alle lebten, überleben zu müssen.

Noch immer zweifelte ich nicht daran, dass die Entscheidung, hierherzukommen, die richtige war und langsam schlief ich ruhig und zufrieden im leisen Wiegenlied der Polizeisirenen ein.

Zum Frühstück fand ich die Familie und einen vollgedeckten Tisch, mit allen möglichen Köstlichkeiten vor. Es gab sogar einen Angestellten, der uns alles brachte, sich um alle Arbeiten und den Haushalt kümmerte. Ein echter Diener, ich dachte, sowas gabs auch nur in den Filmen.

Die lange Fahrt zum Strand war wie ein interessanter Kinofilm für mich. Ich betrachtete die vorbeiziehende Landschaft. Mal durchquerten wir Wüstengebiete, dann wurde es wieder tropischer. Auf den Straßen standen Leute, die etwas verkauften, neben einigen knochigen Straßenhunden, gab es sogar Esel, Pferde und Kühe, die einfach so über die Straßen spazierten, als würden sie niemandem gehören.

Jedes Mal, wenn ich das Fenster runterließ, strömte diese angenehme Hitze wieder auf meinen Körper. Ich liebte diese Wärme. Schade nur, dass die anderen die Kälte im Auto bevorzugten und mir aufgrund der übertrieben kalten Klimaanlage schon wieder die Nase lief.

Wir blieben nach ca. einer Stunde Fahrt vor einer großen Halle stehen. Ich wusste nicht, was wir dort machten, aber folgte den anderen einfach. In der Halle gab es viele Heurigen- Tische und Bänke. Es roch nach Essen. Es war wohl eine Art Gasthaus.

Wir wurden von den Leuten angestarrt, als wir einen leeren Tisch suchten und uns dann setzten. Ich wusste nicht, was ich bestellen sollte, weil ich nichts, was auf der Speisekarte stand, kannte oder verstand.

Ich überließ Anna die Entscheidung. Sie bestellte mehrere verschiedene Speisen für alle zusammen. Wir mussten uns aber, bevor wir aßen, die Hände desinfizieren. Obwohl ich kein Sauberkeitsfanatiker war, ließ ich mich von den Kindern zum Waschbecken führen. Ich wollte nicht die Schuld einer Diskussion sein, in welcher die Kinder ihren Eltern mitteilten, dass es mir nicht wichtig war, und ihnen deshalb auch nicht mehr.

Ich freute mich darauf, neue Geschmäcker auszuprobieren, aber von dem, was auf dem Tisch landete, schmeckte mir nichts, weil es irgendwie alles nach Nichts schmeckte und ich aß nur widerwillig, weil ich irgendetwas essen musste.

Die Leute glotzten schon seit wir die Halle betreten hatten, ohne Scham die ganze Zeit zu uns rüber. Musste wohl an den langen hellbraunen Haaren von Anna und Natalie, an dem blonden Baby und uns allen liegen, die wir sehr hellhäutig im Vergleich zu den ganzen dunkelhäutigen Mexikanern waren. Irgendwie wirkten wir sogar schick angezogen, wenn ich die Menschen um mich herum betrachtete. Einige hatten Löcher in ihrer Kleidung, andere sahen so aus, als hätten sie sich schon ewig nicht mehr gewaschen. Ich fühlte mich etwas unwohl, wenn ich daran dachte, dass sie dachten, wir würden denken, dass wir etwas Besseres waren, als sie. Immerhin hatten wir uns auch als einzige unsere Hände desinfiziert.

Das Hotel, in dem wir nach zwei weiteren Stunden Fahrt ankamen, war mit Abstand der luxuriöseste Ort, den ich je betrat. Natürlich aber die Art von Luxus, die die meisten Menschen kannten, ohne dabei einen einsamen, bequemen Strohballen am Feld unter dem Sternenhimmel oder die Ruhe eines Waldes miteinzubeziehen. Schon das Restaurant gestern Abend in Mexiko-Stadt war so vornehm. Ich fühlte mich etwas unwohl an diesen Orten, weil ich das Gefühl hatte, nicht ganz reinzupassen.

Am selben Tag noch begann ich mich mit Alma anzufreunden. Die Kleine krabbelte mir hinterher und gab mir den Namen: »Didl Didl Di«.

Vor dem Schlafengehen beobachtete ich den Sonnen-untergang von meinem Zimmer im zwölften Stock aus. Die ganze Wand bestand aus einem einzigen Glasfenster. Die Aussicht raubte mir den Atem. Ich sah nicht den Strand, sondern das Ende der Stadt und den Anfang eines enormen Palmenwaldes. Die Sonne tauchte den Himmel in ein zartes Gelb - Orange und ich verspürte wieder diese schöne Sehnsucht in mir, die mich wissen ließ, dass ich meinem Ziel näher war, als je zuvor.

Ich konnte die erste Nacht nicht schlafen, verließ das Hotel und ging barfuß draußen am Stadtrand spazieren. Einige Arbeiter gossen dort die Pflanzen vor den benachbarten Hotelanlagen, begrüßten mich mit einem freundlichen »Hola!« und wollten mit mir ein Gespräch beginnen. Ich ärgerte mich, dass ich nichts verstand und konnte mich noch nicht einmal dafür auf Spanisch entschuldigen, aber trotzdem freute ich mich riesig darüber. Ich fühlte mich hier, unter so vielen fremdem Menschen schon mehr zu Hause, als jemals in meinem eigenen Land.

Zum Frühstück gab es Hummer, Meeresfrüchte, Obst, Gemüse und frisches Gebäck. Ich griff mir aber nur ein bisschen was von dem Obst und wurde darauf aufmerksam gemacht, die Schale meines Apfels nicht mitzuessen, weil man nie wusste, wer das schon aller in der Hand hatte. Es war mir ehrlich gesagt egal, aber um keinen negativen Eindruck zu machen, tat ich ihnen den Gefallen.

Hauptsache ich musste nicht meine Hände desinfizieren. Ich versuchte, dankbar zu sein, denn ich wusste auch, dass mein Immunsystem um vieles resistenter sein musste, als das dieser Menschen.

Da die Hotelmitarbeiter meinen nächtlichen Spaziergang heute Morgen schon gepetzt hatten, bat mich Anna, zu meiner eigenen Sicherheit, nachts nur in der Nähe des Hotels an den Strand und nicht auf die Straße und in die Stadt zu gehen, denn Mexiko war nicht wie Österreich.

Ich nickte nur, sagte ihr nicht, dass ich das selbst schon bemerkt hatte und es genau der Grund war, warum ich es so liebte.

Trotzdem ging ich in der nächsten Nacht wieder eine Runde am Stadtrand, ich versuchte den Strand, aber er reizte mich nicht, er war überall gleich langweilig, egal in welchem Land.

Annas Warnhinweise gingen mir durch den Kopf und lösten ungewollt einen Hauch von Unsicherheit in mir aus, den ich versuchte, wegzudrängen oder in Adrenalin umzuwandeln, um mein Abenteuer noch viel spannender zu gestalten. Schon wieder wurde mir etwas in meinen Kopf gepflanzt, das ich dort gar nicht haben wollte.

In der dritten Nacht wachte ich irgendwann auf und konnte nicht wieder einschlafen. Ich stellte mich vor das riesige Fenster, starrte in den wolkenbedeckten Himmel. Fünf Minuten später bewegte sich plötzlich der Boden unter meinen Füßen. Ich erlebte gerade das erste richtige Erdbeben meines Lebens und das schon am dritten Tag meiner Abenteuerreise.

Abenteuer konnte man es jetzt wirklich schon nennen. Ich hatte keine Angst, als das ganze Hotel zu wackeln begann und auch nicht, als die Kinder aufgeregt in mein Zimmer platzten und mit mir zusammen ins Zimmer ihrer Eltern liefen, wo sie dann ängstlich unter die Bettdecke krochen.

Ich konnte ihre Angst nicht nachempfinden, denn ich fand das alles einfach nur spannend und aufregend. Ich musste versuchen, das Grinsen in meinem Gesicht zu unterdrücken, um nicht total gestört zu wirken.

Ich wusste, ich war aus einem bestimmten Grund hier, und der war nicht, heute zu sterben.

Das Beben legte sich, ich ging wieder in mein Bett und stieß dabei eine dezente, leise Lachattacke aus. Schön, dass hier wenigstens überhaupt irgendetwas Spannendes passierte. Das war genau das, was mir in meinem Leben immer fehlte.

Am nächsten Morgen packten wir schon unsere Sachen, denn die Kinder hatten Angst vor einem möglichen Tsunami. Endlich fuhren wir nach »Chalma«. Ich konnte es gar nicht erwarten, mein neues Zuhause kennenzulernen.

Das Schütteln des Autos weckte mich Stunden später. Es war bereits dunkel, ich drückte mein Gesicht ans Fenster und versuchte, irgendetwas zu erkennen. Wir befanden uns auf einem erdigen, matschigen, unebenen Weg, der wahrscheinlich gar nicht für Autos gedacht war. Mit dem Geländewagen war es aber kein Problem.

Ich konnte kaum was erkennen, aber aufgrund dieses Weges und der extremen Dunkelheit musste dieser Ort sehr weit weg von der Zivilisation liegen. Pflanzen und Blätter streiften den Wagen von beiden Seiten. Der Weg führte in ein Gelände und durch Gras, auf dem wir letzten Endes auch parkten.

Ich öffnete die Autotür und vernahm sogleich ein so süßes Aroma, das mich von Kopf bis Fuß durchdrang und meinen Körper als ganzen elektrisierte. Fernando bat mich, ihm zu folgen, wobei ich immer wieder über Wurzeln und Steine stolperte. Der unebene, schmale Weg war nicht sichtbar in der Dunkelheit und ich versuchte, nur dem Licht der winzigen Taschenlampe in Fernandos Hand vor mir zu folgen, ohne dauernd hinzufallen. Immer wieder wurde ich von Blättern und Ästen ins Gesicht gepeitscht und konnte dabei vor lauter Freude in meinem Herzen nur noch wie eine Verrückte leise lachen, während ich versuchte, das Grünzeug mit meinen vorantastenden Händen beiseitezuschieben. Es war so aufregend!

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