Eine färöische Kindheit

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Eine färöische Kindheit
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Bilder und Zeichnungen von Amy Fuglø

Amy Fuglø

EINE FÄRÖISCHE KINDHEIT

Übersetzung aus dem Dänischen

Marina Hinz

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2016

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Umschlagentwurf: Tommy Fuglø

Illustrationen: Amy Fuglø

Die Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel Min færøske barndom im Eigenverlag/in Kommission beim Verlag Underskoven

Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte bei der Autorin / Übersetzerin

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

INHALT

Cover

Titel

Impressum

Der tote Junge

Entstehung des Buches

Wunderliche Färöer

Irische Mönche – Wikinger – Pfarrer

Alzheimer

Die Entstehung des Buches

Vorfahren

Wurzeln I

Die ersten Wikinger

Wurzeln II

Eine Berufung – Steinmetz und Bauer

Wurzeln I und II lernen sich kennen

Die nördlichste Insel der Färöer – Viðoy

Die sieben Geschwister

Ein Abend im Frühsommer am großen Stein

Torf – Erlebnisse – Wärme

Schafe – Tod – Fleisch – Wolle

Reka seyð – die Schafe werden zusammengetrieben

Obst und Gemüse

Annas Kinder waren im rætt, dem Schafspferch

In der Küche zeigt sich der Tod in den Augen

Essen aus Schafsfleisch – Würste und Blutwürste

Der Fleischwolf

Konservierung – Pökeln – Wässern

Fleisch und Fisch werden zum Trocknen aufgehängt

Wolle wird verarbeitet

Strickzeug wird gewalkt und im Backofen getrocknet

Wolllappen als Währung

1920 – Mahlzeit vom gemeinsamen Teller

Spielen

Hühner, Enten, Eier – ein Spiel

Nachbarschaftsstreit wegen Eiern

Seiðaberg – Sportangeln

Zu Fuß nach Hvannasund

Spielzeug in Dorschköpfen

Der Schokoladenfrosch

Bunte Lappen – eine Ausstellung

Die Schule

Schikane – ein Schneeball ins Auge

Die neunte Geburt

„Schon wieder schwanger?“

Nach der neunten Geburt

Weinen

Die Zuckerdose

Abtreibung?

Der Stoff wird gebleicht, und ein Exhibitionist

Die essbaren Erträge des Landes

Der unentbehrliche Misthaufen

Kartoffeln werden gesetzt

Rhabarber – unser einziges Obst für Marmelade

Tabak

Ein Fass Äpfel

Kleidung und selbst gemachtes Schuhwerk

1920 – Schläge wurden zu Gelächter

Schuhwerk

Rotuskógvar – Hausschuhe aus Lammhaut

Erfrierungen

Schuhe aus Kuhhaut – húðarskógvar

Unterhosen aus Mehlsäcken

Streitereien im Dorf

Der Lehrer und der Gerichtsvollzieher

Aufpassen – über Gummiwaren und Selbstgenähtes

Huldufólk – Gespenster

Borghild und Engel

Krankheiten

Neue Verkündung

Esmars Erlebnisse

Tuberkulose 1915–1940

Ein Haus voller Tuberkulose

Das Tuberkulosesanatorium

Typhus – teures Lehrgeld

Meine Patentante Sáragumma

Die Spanische Grippe

Die Englische Krankheit

Zähne ziehen ohne Betäubung

Mittelohrentzündung wird mit Kuhmilch behandelt

Gesang

 

Die Kuh im Keller

Gesegnetes Wasser

Glasscherben im Fluss

Die Kuh, unsere liebe Freundin im Keller

Zum Stier. Die Kuh kalbt. Molkereiprodukte

Die Kuh ist trächtig, sie kalbt

Molkereiprodukte

Die Kuh wird geschlachtet

Die Kuh wird geschlachtet – noch einmal – Zustimmung

Der Goldring im Kellerfußboden

Hoyggja : Heuernte

Das Heu entzündet sich

Hausputz

Anleitung: selbst gemachter Dünger für Topfpflanzen

Gefahren des Meeres

Orkan – am Schiffsmast angebunden

Religion

Wieder eine neue Lehre

Anna konvertiert, und Jóanis wird als Erwachsener getauft

Der Ruhetag

Kaffee

Schwester reist nach Dänemark

Hanna und Borghild – zwei Schönheiten

Oma Birita liegt im Sterben

Grindwale

Grindaboð und Backwerk

Grindwalfang

Pädophilie

Geheimnisse

Umarmung und Streicheln

Noch eine unzüchtige Handlung

Unglück auf dem Meer

Anna genießt die Stille der Nacht

Uppi við Garð

Im Boot

Uppi við Garð

Zu Hause im Dorf

Die dunklen Stunden schleppen sich dahin

Es wird Morgen, zweiter Weihnachtstag

Der zweite Weihnachtstag 1925

Sehnsucht

Blindarmentzündung – und Läuse

Frühling 1928 – Tjaldur und Einkauf

Ostern und Schneesturm

Das erste Auto

Fröhliche Kühe und Melkerinnen

Melkerinnen – NeytakonurFara til neytar

Das „Monatliche“

Sigrid wird als Erwachsene getauft

Das Schicksal einer Familie

Karin und Karl von Roykstova

Das Heim der Neuvermählten

Die Kinder kommen

Vivians Erlebnis

Noch mehr Kinder

Erik als Erwachsener

Ein gesundes Gemüt

Vier gesunde Jungen

Verlust von vier Kindern

Nach Dänemark geschickt

Kinder

Die intelligenten Kinder des Dorfes und ein behindertes

Ein nichteheliches Kind

Verliebtheit

Vogelfang

Vogelparadies

Vogelfelsen – Rituberg, Dreizehenmöwenkolonie

Papageitaucher und Trottellummen

Vogelfang

Vogelfang am Seil

Mittsommernacht an der Steilkante

Flora

Federn, Daunen und Deckbetten

Daunenbettwäsche

Gefüllte Papageitaucher und Trottellummen

Zur See

Mit Ruder und Segel zur See

Jóanis und Söhne stechen in See

Das Schiff Sjey Systkin, Die Sieben Geschwister

Bevor es losgeht

Und nun zur See

Das Schiff wird bombardiert

Verlobung

Über Elenius – Sigrids Zukünftigen

Wurzeln III

Geschäft, Schuhmacher und Strickmaschine

Kielholen

Die linke Hand wird bestraft

Das Postboot und der Postbote

Gespenster – ein wahrer Bericht

Übernatürliches nächtliches Klagen

Der Bericht des Pfarrers

Gespenster – nach einem Schiffbruch

Die Wahrheit und ihre Konsequenzen

Ein Traum

Erstes Werben

Die Tochter des Adlers vom großen Stein und der Sohn der Henne Jule werden ein Paar

Kunststickerei an der Abendschule

Ein Vertrag

Schwester bekommt ein Kind

Eine neue Heimat

Die Reise nach Dänemark

Ankunft in Dänemark am 17. Mai 1937

Färöische Villen

Stubenmädchen in hellblauem Kleid und weißer gestärkter Schürze

Eine neue Heimat und der dänische Wald

Fahrradtouren

Verbotene Musik

Anstellung in der Villa von Reichen

Beim Weingroßhändler

Erinnerung an das Elternhaus

Der Krieg bricht aus

Eine kleine Wohnung

Eine heimliche Hochzeit

Glück ist eine Gabe

Glück hängt nicht von Dingen ab

Die Kinder der sieben Geschwister

Erläuterungen der Übersetzerin

Endnoten

DER TOTE JUNGE


Auf dem Friedhof von Viðareiði ruhen unsere Vorfahren

 

Die Mutter hielt ihren kleinen, kalten Säugling dicht an ihre warme, schwere Brust, die fast am Zerplatzen war von der Milch, die nicht gebraucht wurde. Die Brüste mussten geleert werden – so wie bei der Kuh im Keller, die zweimal am Tag gemolken wurde.

Sie küsste Stirn und Wangen des kleinen Jungen, ihre Augen waren durch Trauer und mangelndem Schlaf blutunterlaufen. Die Tränen liefen lautlos ihre blassen Wangen hinunter. Sie hatte die Haare mit dem schweren, bis zur Taille reichenden Zopf nicht gekämmt, vermochte es nicht.

Man konnte ihrem Körper nicht ansehen, dass sie ein Kind geboren hatte. Sie sah immer noch schwanger aus, obwohl sie vor über einer Woche einen lebendigen Jungen zur Welt gebracht hatte. Wie alt und müde sie sich fühlte – und doch war sie erst Mitte dreißig.

Sie trauerte über den Verlust des kleinen Neugeborenen. Auf der anderen Seite war es auch eine Erleichterung, nicht noch ein weiteres Kind aufzuziehen, das von allein gekommen war, ungeplant. Innerhalb von zehn Jahren hatte sie sieben Kinder zur Welt gebracht.

Sie erinnerte sich, als sie vor neun Jahren ihr zweitältestes Kind in den Sarg gelegt hatte, das nur vierzehn Tage alt geworden war. Jetzt wurden die Erinnerungen wieder aufgerissen durch die Trauer, durch den weiteren Tod eines neugeborenen Jungen.

Warum die Kinder starben, wusste niemand. Gott hatte sie zu sich gerufen. Sie brauchte Trost, versuchte sich selbst zu trösten: Es war Gottes Wille.

Der Arzt wohnte eine halbe Tagesreise mit dem Boot entfernt. Man musste ohne Arzt in dem kleinen Dorf zurechtkommen, das nach Süden und Norden in einem Tal zwischen zwei hohen Bergen lag, und nach Osten und Westen hin offen zum Atlantik.

Ihr Mann hatte einen kleinen Holzsarg auf den Hocker mitten in die Küche gestellt, direkt unter der angezündeten Petroleumlampe. Ein Mann im Ort machte Särge aus Brettern. Der Boden war mit Heu ausgelegt und einem weißen Tuch bedeckt.

Der Vater und die Kinder sahen zu, während die Mutter das kalte Kind behutsam in den Sarg legte. Sie kniete und streichelte ein letztes Mal sein seidenweiches Haar, fühlte mit den Fingerspitzen den weichen Flaum auf dem kalten Scheitel.

Die Augen des Jungen waren geschlossen. Es sah aus, als schliefe er friedlich.

„Ruhe in Frieden“, flüsterte sie schluchzend, „wir werden uns wiedersehen.“

Die Tränen tropften auf die weiße, selbst genähte Bluse des Jungen, die von den anderen Kindern abgetragen war – von Kind zu Kind weitervererbt.

Sie richtete das Tuch, sah zu, dass es glatt war und seufzte tief: „Oh Gott.“ Dann schwieg sie, das Hirn leer von Worten – sie konnte nicht mehr.

Der Vater griff nach der Bibel und öffnete sie. Auf Dänisch, mit starkem färöischen Akzent, las er langsam und unsicher, leicht stotternd: „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde … und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“

Das Flackern der Petroleumlampe leuchtete in fünf Paar ernste Kinderaugen.

Er legte die Bibel auf den Küchentisch und faltete die Hände, die Kinder taten das gleiche. „Vater unser im Himmel …“

Alle in der Küche waren still außer dem vierjährigen Aksel, der schon immer ein Zappelphilipp war.

Der Vater sah liebevoll zu seiner Frau, er war ein Mann weniger Worte. Dann nagelte er den Deckel zu. Die Hammerschläge hallten durch das kleine Haus und ließen den Sarg erzittern.

„Willst du nicht Aksel mitnehmen, damit ich mich eine Weile ausruhen kann?“, fragte die Frau müde ihren Mann.

Der Vater hob den Sarg hoch und klemmte ihn sich unter den Arm.

„Komm, Aksel“, sagte er und nahm seinen quirligen Sohn an die freie Hand. Dann gingen sie.

Die Frau ging in die kleine Stube, die Wohnstube, wo sie ihre Kinder zur Welt brachte. Sie lehnte die Stirn gegen die kalte Fensterscheibe, von wo aus sie mit ihren verweinten Augen dem kleinen Leichenzug folgte, bis er hinter der Hausecke weiter unten am Weg verschwand. Das Bild setzte sich in ihrer Netzhaut fest. Ein Bild, das sie nie vergessen würde. Ihr Mann, mit dem quirligen, lebendigen Jungen an der einen Hand und einem Holzsarg mit dem toten Jungen unter dem anderen Arm. Dort stand sie, die Gedanken wirbelten durcheinander. Wie wahr doch der Glaube an eine bessere Welt, wo Kinder nicht geboren werden, um gleich sterben zu müssen.

Die Kinder gehörten dem Herrn, Gott sei Dank. Der Kleine war nicht getauft, denn bei den Baptisten wurde Erwachsenentaufe praktiziert, Taufe des Glaubens, Taufe der Bekehrung. Einst würde sie ihre beiden toten Söhne im Paradies wiedersehen.

Ihr Mann gehörte der Kirche an, ging jedoch nie hin. Er brauchte keinen persönlichen Glauben, Religion war nichts, worüber sie diskutierten. Sie respektierten ihre unterschiedlichen Einstellungen. Alle im Dorf waren Christen, wenngleich es zwei verschiedene Auslegungen gab, die zwischen Kirchenleuten und Baptisten in Feindseligkeiten ausarten konnten.

Glaube und Hoffnung waren doch für alle in dieser barschen Welt eine Lebensnotwendigkeit.

Mit schleppenden Schritten ging sie zur schmalen, steilen Dachbodentreppe, einer Kombination aus Treppe und Leiter. Jede Stufe knarrte unter ihrem schweren Gewicht. Sie ging in die kleine Dachkammer, zum Doppelbett mit der Strohmatratze. Die Bettdecke lag am Fußende wie ein Klumpen mit den Federn in einem Ende des Bezuges. Sie schüttelte und klopfte, bis sie groß, füllig und aufgelockert war, legte sich ins Bett und zog die Decke über sich.

Sie dachte an den Sensenmann, der vor kurzem das Dorf heimgesucht hatte. Eltern verloren ihre Kinder, und Kinder verloren ihre Eltern durch die Tuberkulose. Ihr Haus war Gott sei Dank von dieser gefährlichen Krankheit verschont geblieben.

Die Augenlider fielen von allein zu. Sie sah vor sich ihren Mann mit dem kleinen Kindersarg unter dem Arm auf dem Weg zum Friedhof – jetzt …

Sie spürte, wie die Schwere ihres Körpers allmählich nachgab. Die Geräusche ihrer plappernden Kinder unten verschwanden wie in Watte, und sie glitt in die barmherzige Umarmung des tiefen Schlafes.

Das kleine Gefolge, bestehend aus Vater und Sohn, brauchte 25 Minuten, um den steilen, unebenen, löchrigen Feldweg hinunter und über den Fluss zu gehen, bis sie die Kirche erreichten. Sie betraten den Friedhof, der 50 Meter über dem Meeresspiegel lag. Der Vater ließ die Hand seines Sohnes los, stellte den Sarg auf den Boden und streckte den Rücken. Sein Blick fiel auf die vielen neuen Gräber, der Tod war allen bekannt.

Der Totengräber hatte bereits das Loch gegraben. Der Vater nahm schweigend den Sarg mit seinem toten Sohn und senkte ihn ins Grab hinab. Er weinte nicht. Das Loch war nicht sehr tief, da es auf dem färöischen Friedhof keine dicke Erdschicht über dem Felsgrund gab. Er half dem Totengräber, den Sarg mit Erde zu bedecken.

Als sie fertig waren, richtete er sich auf, steckte den Spaten in den Boden, die Arme und schwieligen Hände ruhten auf dem Schaft. Das Gesicht war wettergegerbt, die Stoppeln seines Eintagebartes bedeckten Kinn und Wangen, der Schnurrbart verbarg beide Lippen wie eine borstige Bürste. Die Augen waren klar, wach und blau, er sah über das Meer hinaus nach Westen. Wolken zogen über den Himmel, sie verdeckten jetzt die Sonne, und es blies kalt vom Meer. Nieselregen begann und setzte sich wie eine Schicht dichter, winzig kleiner Perlen auf den gestrickten, gewalkten braunen Pullover. Er schob die Schirmmütze die Stirn hoch und trocknete sich mit der Hand Schweiß und Regen ab. Er hoffte, dass es kein Unwetter geben würde und das Meer nicht das kleine Grab überschwemmte. Einst, noch vor seiner Zeit, hatte es einen schrecklichen Orkan aus dem Westen gegeben. Die enorme Brandung war mit Hilfe des Sturmes über den Friedhof gespült, hatte Gräber geöffnet, und einige Gräber waren ins Meer geschwemmt worden.

In der Zwischenzeit war Aksel seiner Wege gegangen, er langweilte sich nie, fand immer etwas. Auf dem Boden lagen die schönsten bunten Seidenbänder, die man sich vorstellen konnte. Fröhlich machte er sich daran, die Seidenbänder von den anderen Gräbern einzusammeln, denn er wollte sie seiner kleinen Schwester Sigrid geben. Sie sollte hübsch sein und feine Schleifen im Haar tragen. Zu Hause hatte er nie solche schönen Seidenbänder gesehen. Es passte ihm gut, dass der Vater ihn losgelassen hatte, so dass er auf eigene Faust auf Entdeckungstour über den Friedhof gehen konnte. Was der Vater zu seinem Sohn sagte, als er diese eingesammelten Seidenbänder von den anderen Gräbern entdeckte, ist nicht überliefert. Aber die Familie erzählte davon lächelnd und mit liebevollem Klang in der Stimme. Die elfjährige große Schwester tröstete ihre Mutter: „Du brauchst nicht traurig zu sein, Mutter, wir sind ohnehin so viele Kinder.“

Die kleine Schwester Sigrid, für die die Seidenbänder gedacht waren, war meine Mutter im Alter von drei Jahren, die Mutter meine Großmutter, der Vater mein Großvater. Der tote Junge war mein namenloser Onkel mütterlicherseits, und Aksel war mein Onkel. Es war im Jahr des Herrn 1918. Mutter ist jetzt 93 Jahre alt und die letzte Überlebende der Personen in diesem wahren Bericht.

Danke, Mutter, dass du mir von deinem Leben erzählt hast, das so anders war als meins.

ENTSTEHUNG DES BUCHES


Wunderliche Färöer

Auf halbem Wege zwischen den Shetlandinseln und Island erheben sich steile, drohende Klippen aus der Brandung des Atlantiks.

Das sind die Färöer.

Die Färöer sind Reste einer Gebirgskette, die sich ursprünglich von Schottland bis nach Grönland erstreckte. Mächtige Naturkräfte versenkten das meiste dieser Gebirgskette ins Meer. Nur einige wenige Gipfel wurden zu Inselgruppen, die über dem Wasser überlebt haben. Große, aktive Vulkane bildeten die Inseln, und das, was nicht im Meer versank, steht nun als Basalt in abenteuerlichen Formationen. Die Landschaft zeugt davon, dass es sechs enorme Vulkanausbrüche gegeben hat. Deshalb bestehen die Färöer aus abwechselnden Schichten harten Basalts und weicheren Tuffs aus vulkanischer Asche. Diese färben die Gesteinsmassen dunkel und hell, grünlich und rötlich. Das menschliche Auge erkennt weitere Farbveränderungen im wechselnden Licht der Natur. Als die Erdkruste und die Vulkane zur Ruhe kamen, legte sich die Eiszeit mit festem Griff um die Inseln. Die Eismassen scheuerten, schliffen und zerrten auf ihrem Weg an den Inseln, so dass nur das stärkste Material überleben konnte und über der Meeresoberfläche blieb. Die Eiszeit hinterließ eine zerklüftete Inselgruppe mit Sunden, Fjorden, engen Passagen und durchlöcherten Vorgebirgen. Die Meeresströmung versuchte, das zu untergraben, was das Eis zurückließ.

Es ist möglich, dass es in der Entstehung der Inseln lange, ruhige Perioden mit reicher Vegetation und Wärme gegeben hat. Davon zeugen Kohlevorkommen auf Suðuroy. Einst gab es hier große Wälder im warmen Klima. Auf den Färöern fällt mehr als doppelt so viel Regen wie in Dänemark. Doch was das Meteorologische Institut nicht beschreiben kann, ist das wunderschöne, wechselnde Licht über den grünen Abhängen. Oder die einzigartige Sicht, wenn man von einem Bergrücken auf die anderen Inseln hinübersieht, die vor wenigen Minuten in wolligem, grauem Nebel verborgen waren. Felsformationen und Inseln tauchen plötzlich in flimmerndem sommerlichem Licht auf.

Es gibt nur wenige völlig wolkenlose Tage, doch es gibt sie. Im Sommer wird es nie wirklich drückend warm. Der Winter ist milder als in Dänemark. Längere Frostperioden sind selten, und der Schnee liegt in der Regel nur ein paar Tage auf den Bergen. Der Golfstrom schickt warmes Wasser die Inseln entlang und mildert die Luft für die geschorenen Schafe. Die Schafe müssen den ganzen Winter draußen klarkommen. Die Launen des Meeres und der Luft haben über Jahrhunderte die Inselbewohner beeinflusst. Sie konnten nie wissen, wann es möglich war, eine Verabredung einzuhalten oder wann man etwas erledigen konnte. Sie mussten erst Wind und Wetter sehen.

Tief verwurzelter Respekt für die Allmacht der Natur liegt im Charakter des Färingers.

Es kann äußerst schwierig sein, Antwort auf eine zeitliche Verabredung aus ihm herauszuholen. Ich weiß, dass „nicht“ und „vielleicht“ häufig verwendete Vokabeln sind. In der Finsternis und Mystik des Winters, dem Donnern des Meeres und des Orkans ist der Geist des Färingers gereift. Still empfängt er den kurzen, idyllischen und wunderschönen färöischen Sommer.

Die Färöer, die Schafsinseln, bestehen aus siebzehn bewohnten Inseln und Lítla Dímun. Die früheste Geschichte der Färöer sowie das Land und Klima machten den Färinger zu dem, was er heute ist.