Vier Wyoming Western März 2017

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From the series: Extra Spannung #7
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Entlang der Stollenwände mussten die anderen Gefangen mit Pickel oder auch Hammer und Meißel das goldhaltige Erz aus dem Berg brechen. Sie wurden in Gruppen von sieben, acht Mann von je einem Peitschen schwingenden und Colt tragenden Aufseher überwacht. Ein Klirren, Scharren, Keuchen und Rumpeln hatte Stunde um Stunde den unterirdischen Gang gefüllt. Hier, tief im Berg, war auch jetzt von dem über der Sierra flammenden Tag nichts zu merken. Lampen brannten in Nischen und an der notdürftig abgestützten Decke.

Das Erz wurde hier unter den primitivsten Bedingungen abgebaut. Kein Wunder, dass Alvantarez reich dabei wurde. Er sparte sogar am Werkzeug. Und die erzbeladenen Loren wurden nicht auf Gleisen, sondern auf dem blanken, holprigen Felsboden von schwitzenden, ächzenden Männern die lange Steigung hinauf zum Ausgang geschoben. Viele Mineros arbeiteten mit abgebrochenen Schaufel- und Pickelstielen. Andere mussten mit bloßen, blutig gerissenen Händen die Erzbrocken aufladen. Und wehe, wenn es nicht schnell genug ging!

Irgendwie, so schien es Saltillo, hatte Don Felipe es geschafft, die übelsten Halsabschneider von Chihuahua als Sklaventreiber für die »ALVANTAREZ MINA« anzuheuern. Und in der Einöde, in die seine Pesos sie gelockt hatten, wurden diese Kerle offenbar mit jedem Tag brutaler und bösartiger. Nun standen sie beisammen, rauchten, schwatzten und stärkten sich mit flüssiger Nahrung aus Kürbis-Kalebassen, die von Hand zu Hand gereicht wurden.

Ortega hatte sich zu ihnen gesellt. Das hieß jedoch nicht, dass er Saltillo und Mortimer, die ganz am Ende des Stollens hockten, aus den Augen verlor. Vorn beim Eingang kauerten überdies drei finstere Burschen mit schussbereiten Gewehren auf den Knien. Doch keiner der ausgemergelten, entlang der Stollenwände kauernden Mexikaner hätte jetzt noch genug Kraft und Schwung besessen, etwas zu versuchen..

Genau das gab Saltillo zu denken. Zwei, drei Tage hier im Berg, dauernd Ortegas Peitsche ausgesetzt, dann mussten Mortimer und er ebenso ausgelaugt sein wie diese Männer. Wenn sie fliehen wollten, musste es gleich am ersten Tag geschehen. Dann hatten sie vielleicht auch noch die Überraschung auf ihrer Seite. So bald hatte es noch keiner versucht, der hier gelandet war. Alle zuvor hatten die Zähne zusammengebissen, ausgehalten bis an den Rand des Zusammenbruchs, und das war ihr Verhängnis gewesen.

Während Saltillo mit dem Brot den Rest Maisbrei aus der Schüssel tunkte und dabei den Kopf gesenkt hielt, teilte er Mortimer seine Überlegungen mit. Ohne aufzuschauen merkte er sofort, wie der Mann sich versteifte.

»Ich hab dir schon mal gesagt, du spinnst!«, stieß er gepresst hervor.

Aber Saltillo ließ sich nicht beirren.

»Wir müssen aushalten, bis es dunkel wird und sie uns aus dem Stollen holen. Wenn wir's so einrichten, dass wir die letzten sind...»

»Hör auf!«, zischte Ben Mortimer. »Es hat keinen Zweck. Ich weiß hier besser Bescheid als du. Sobald es dunkelt, wird draußen ein großes Feuer angezündet, das das ganze Plateau erhellt. Außerdem passt eine Postenkette am Plateaurand auf, dass keiner plötzlich abhaut. Alvantarez ist zwar ein feiges Schwein, aber nicht blöd. Der rechnet mit allem.«

Saltillo spülte seinen letzten Bissen mit dem abgestandenen Wasser hinab.

»Ich hab auch nicht vor, wie ein Hase übers Plateau zu rennen und mich dabei abschießen zu lassen. Ich wette, weder Don Felipe noch seine Pistoleros sind drauf gefasst, wenn wir den Berg hinauf verschwinden. Das hat bestimmt noch keiner probiert.«

Mortimer fuhr halb herum. Ortega, der ein Dutzend Schritte entfernt misstrauisch die Stirn furchte, war ihm jetzt egal. Mortimer starrte seinen Mitgefangenen an, als hätte der ihm vorgeschlagen, zu zweit mit bloßen Fäusten auf Alvantarez’ gesamte Schießermannschaft loszugehen.

»Ich glaub, du hast sie wirklich nicht alle. Keiner kommt da hinauf! Für zwei, die mit ’ner Kette zusammengefesselt sind, bedeutet es glatter Selbstmord. Hast du dir diesen verfluchten Berg denn nicht angesehen? Oder willst du mir einreden, du könntest wie ’ne Fliege an der Wand da hinaufkrabbeln? Zum Teufel mit deinen schlauen Plänen! Ich hab weder Lust, mir das Genick zu brechen, noch eine Kugel von diesen Bastarden da drüben einzufangen.«

»Dann willst du also lieber hier im Berg langsam, aber sicher vor die Hunde gehen?«

Mortimer atmete gepresst. Wütend trank er seinen Becher aus.

»Ich will noch erleben, wie du endlich auf den Knien liegst, du verdammter...« Er beherrschte sich und fragte mit veränderter, erzwungen sachlicher Stimme: »Wo ist eigentlich Buck? Rechnest du nicht damit, dass er Hilfe von deiner Hazienda bringt?«

»Wenn, dann wird sie für uns zu spät kommen«, murmelte Saltillo mit einer Kopfbewegung auf Ortega, der, die Peitsche neben sich herschleifend, den Stollen herabkam. Zwei junge Mexikaner begannen die leeren Schüsseln und Becher einzusammeln.

»Uberleg’s dir!«, raunte Saltillo. »Ja oder nein!«

»Geh zum Teufel!«, knurrte Mortimer, und dann war schon Ortega da. Haarscharf ließ er die Peitschenschnur an ihren Gesichtem vorbeipfeifen.

»Hört auf zu quasseln, ihr verfluchten Gringos! Da ist noch ’ne Menge Gold im Berg, das darauf wartet, zu den Schmelzöfen von Santa Rosa verfrachtet zu werden. Gold für Waffen, mit denen wir uns eines Tages wieder unser schönes altes Texas zurückholen. Hoch mit euch und an die Arbeit! Und wenn ich noch ein Wort in eurer verdammten Gringosprache höre, zieh ich euch das Fell streifenweise ab!«

Schwankend richteten Saltillo und Mortimer sich auf. Die Kette klirrte. Die verkrusteten Risse auf ihren Rücken brachen wieder auf, als sie zu arbeiten begannen. Es brannte wie Feuer. Blasen bildeten sich an ihren Händen. Mortimer fluchte, als seine Spitzhacke vom Felsen abglitt und ihm beinahe in den Fuß fuhr.

»Wirst du wohl aufpassen, Perro!«, schrie Ortega und klatschte ihm das Peitschenleder auf die Schulter.

Mortimer, die Hacke in den verkrampften Fäusten, wollte herumschnellen. Saltillo riss ihn an der Kette zurück. Wuchtig schmetterte er seinen Pickel gegen die Wand.

»Reiß dich zusammen«, zischte er.

Peitschenknall und Flüche trieben nun auch die anderen Mineros an die Arbeit. Draußen waren wie jeden Tag die Frachtwagen aus Santa Rosa vorgefahren. Ein Teil der Gefangenen aus beiden Stollen wurde hinauskommandiert, um sie zu beladen. Im Bauch des Berges wurde es immer heißer und stickiger. Saltillo und Mortimer atmeten rasselnd. Schweiß und Blut klebten ihre zerfetzte Kleidung auf die Haut. Endlose Stunden lagen vor ihnen, bis die Nacht kommen würde.

»Also gut«, keuchte Mortimer zwischen klirrenden Pickelhieben. »Ich bin einverstanden, ich mach mit!«

Er fiel auf die Knie, als Ortegas Peitsche ihn sofort abermals traf. Saltillo wollte ihm hochhelfen, da schlug der Mexikaner auch auf ihn ein. Mit zusammengebissenen Zähnen arbeitete Saltillo weiter.

*

Sie konnten sich kaum mehr auf den Füßen halten, als zwei gellende Pfiffe vom Plateau das Ende dieses Höllentages verkündeten. Die ersten Sterne funkelten schon über den Zinnen der Sierra. Mitten auf dem großen Platz loderte ein großes Feuer, dessen zuckendes Licht bis zur Plateaukante fiel. Zum Umfallen erschöpft, ließen die Mineros ihre Werkzeuge fallen.

»Aufstellen zur Zweierreihe!«, brüllte sofort eine heisere Stimme. »Caramba, muss ich euch das denn jeden Tag wieder sagen!«

Auch jetzt hörten die Peitschen nicht zu knallen auf. Die ersten schwankenden Gestalten verließen den stickigen Tunnel, um ein paar Minuten später für die Nacht in einer ebenso stickigen Gefängnisbaracke eingepfercht zu werden.

»Willst du’s wirklich versuchen?«, keuchte Mortimer unter dem Ärmel, mit dem er sich den Schweiß vom Gesicht wischte. Das diffuse Licht der Grubenlatemen umfing sie.

»Wir haben keine Wahl«, raunte Saltillo zurück. Morgen würden sie noch erledigter sein. Und übermorgen waren sie vielleicht schon soweit, dass sie jeden Gedanken an ein Entkommen aufgaben.

»Braucht ihr eine Extraeinladung, oder was ist los?«, schnauzte Ortega sie an. Sie konnten beide diesen Ton kaum mehr ertragen. Er ließ sie sogar jetzt vergessen, wie ausgepumpt sie waren.

Nach einigen Schritten taumelte Mortimer, stieß gegen einen Stützbalken und rutschte an ihm nieder. Saltillo begriff sofort, dass er nur mehr Abstand zu den anderen Gefangenen gewinnen wollte, die vor ihnen aus dem Bergwerk getrieben wurden. Den ganzen Tag über hatten sich diese Männer ängstlich von ihnen ferngehalten und jedes Wort mit ihnen vermieden.

Valdez und die anderen Männer aus Nuevo Saltillo hatte der Haziendero nicht mehr zu sehen bekommen. Bestimmt waren sie zur Arbeit im Nachbarstollen eingeteilt worden. Erst draußen auf dem Plateau formierten sich die Mineros aus beiden Stollen zu einer langen, trostlosen Kolonne, die von den Aufsehern zu den Unterkünften getrieben wurde.

»Komm schon«, knirschte Saltillo nach einem scheinbar gehetzten Blick auf Ortegas Peitsche. »Halt dich fest an mir, verdammt!« Er zerrte Mortimer hoch, der die Füße auf dem Boden schleifen ließ.

Ortega hatte tatsächlich wieder mit der Peitsche ausgeholt. Das silberne Kreuz glänzte auf seiner Brust.

»Vorwärts, vorwärts!«, trieb er Saltillo zur Eile an. Stolpernd und schwankend schleppte Saltillo Mortimer zum Ausgang. Immer wieder stieß er mit der Schulter gegen die Felswand.

Sie waren zurückgeblieben. Ein bulliger Aufseher jagte gerade die letzten Mineros fluchend ins Freie. Lärm schallte über die Hochfläche. Die Frachtwagen waren längst fort Eine Reihe Gewehrschützen säumte den Plateaurand. Sechs Schritte vor dem Ausgang rutschten Mortimers klammernde Hände an Saltillo ab, und der große, breitschultrige Mann stürzte schwer hin.

 

»Elender Schlappschwanz!« Ortega stieß mit dem Fuß nach ihm. Da warf Mortimer sich herum, packte blitzschnell das ausgestreckte Bein und riss den hageren Mexikaner um.

Ortega schrie, verlor die Peitsche und versuchte den Colt zu ziehen. Saltillo stürzte sich wie ein Tiger auf ihn. Ein Schlag mit einem Felsbrocken betäubte den Schinder. Alles war die Sache eines Augenblicks. Als Saltillo nach Ortegas Halfter griff, war diese schon leer. Mortimer hielt den Fünfschüsser in seiner nicht durch die Kette behinderten Rechten.

Die Mündung war dicht vor Saltillos Gesicht. Mortimer grinste. Aber seine hellen Augen waren so starr, kalt und tödlich wie die eines Raubvogels. Eine Sekunde lang schien der Lärm von draußen wie abgeschnitten. Nur ihre heftigen Atemstöße füllten den trüb erhellten Stollen. Dann ließ Mortimer die Waffe sinken.

»Komm!«

Saltillo stemmte sich hoch. Don Felipes Stimme schrillte über das Minengelände. »Wo bleibt Ortega mit den Gringohunden? Bringt die Kerle zu mir!«

»Na denn«, keuchte Mortimer. »Du hast es so gewollt, Rothaut!«

Sie erreichten den Ausgang. Knapp fünf Schritte vor ihnen tauchte ein Mexikaner mit einem Gewehr neben der Erzhalde auf.

Mortimer schoss sofort. Die Kugel traf den Mann in die Brust und warf ihn auf den Rücken. Nach dem Aufbrüllen der Waffe herrschten zwei Sekunden lang Stille und Reglosigkeit, als hätte ein Bannstrahl die Männer auf dem Plateau gelähmt. Alle, außer Saltillo und Mortimer. Sie rannten vom Stollenausgang nach links, dicht am Fuß des Steilhangs entlang, halb von den Erzaufschüttungen gedeckt. Nur weg aus dem Bereich der Flammen!

Für Don Felipe und seine Pistoleros war das Unfassbare geschehen: Gefangene hatten eine Waffe erwischt und einen der ihren niedergeschossen. Plötzlich brach wildes Getobe los.

»Haltet die Gefangenen zusammen!«, schrie eine Stimme. Und eine andere: »Da drüben rennen sie! Schießt, verdammt noch mal, knallt sie ab!«

Stiefelgetrappel, Flüche, Kettengerassel und dann das Schmettern der Gewehre vom Plateaurand. Die Kugeln schleuderten Sandfontänen hinter den Flüchtenden hoch. Mit weiten Sätzen verließen sie den Lichtkreis.

»Da drüben, die Klippe!«, stieß Saltillo hervor. »Da müssen wir rauf.« Im Morgengrauen, als Ortega sie zur Mine getrieben hatte, hatte er sich die Stelle gemerkt.

Don Felipe kreischte wie am Spieß. Mit wütenden Peitschenschlägen hielten die Aufseher die Sklavenkolonne zusammen. Erneute Schüsse peitschten. Männer rannten auf den Berghang zu. Der Schatten zerklüfteter Felsblöcke lag auf Saltillo und Mortimer, als sie ihren gefährlichen Aufstieg begannen.

Blei fauchte an ihnen vorbei. Geröll rutschte unter ihren Füßen. Saltillo glitt aus, riss Mortimer mit, fing sich und musste nun Mortimer an der straff gespannten Kette zu sich heranziehen. Der Berg ragte wie eine schwarze, unüberwindbare Mauer vor ihnen auf. Ein glitzernder Stemenbogen wölbte sich über das hoch über ihnen drohende Felsmassiv. Was dahinter lag, wusste keiner von ihnen.

»Mann, das wird ein höllisches Stück Arbeit«, schnaufte Mortimer. Wieder geriet ein Fluss von Steinen ins Rollen, als sie sich höher hinaufkämpften. Sie wechselten sich nun ab: Einer zog den anderen an der Kette nach, sobald er selber Halt an einem Felsen gefunden hatte.

»Ihr Narren!«, hörten sie Alvantarez schreien. »Schürt das Feuer höher, ihr Cabrones!«

Eine knatternde Salve zerfetzte sein Gezeter. Zwei Männer waren aus der Reihe der bewachten Gefangenen gesprungen, hatten einen Posten umgerissen und den Schutz der Gebäude zu erreichen versucht. Das Blei aus den Colts und Gewehren der Minenwächter ließ ihnen keine Chance.

»Saltillo!« Valdez’ durchdringender Ruf riss den Kopf des Hazienderos herum. Sie waren nun schon so weit oben am Berg, dass sie das gesamte Plateau überschauen konnten. Saltillo entdeckte den Alcalden in dem Durcheinander, weil sofort zwei, drei Aufseher zu ihm gesprungen waren und ihn mit ihren Colts bedrohten. Miguel, Julio, Armelio und Enrique, die jungen Männer aus dem Dorf, wurden ebenfalls von Schießern umringt.

»Unternehmt nichts, Amigos, haltet aus!«, rief Saltillo. Seine Stimme wies den Kugeln die Richtung.

Mortimer fluchte. Doch als die Gewehre krachten, waren Saltillo und der einstige Sklavenfänger schon hinter einem Felsen verschwunden. Gleich darauf züngelten die Flammen höher, der Lichtkreis dehnte sich, tastete den zerklüfteten Hang empor. Mit Kolbenstößen und Peitschenhieben wurden die Gefangenen indessen zu den Baracken getrieben. Staub und Pulverdampf waberten über den Platz.

Mortimer drehte sich halb und feuerte mit verkniffener Miene auf die Kerle, die nun am Fuß des Abhangs in Stellung gingen. Finsternis umwob sie. Trotzdem antwortete ein Wut- und Schmerzensschrei. Sofort jagte Mortimer die nächste Kugel hinterher.

Saltillo zog ihn an der Kette weiter.

»Heb das Blei auf. Du brauchst es vielleicht noch.«

Ihre Blicke trafen sich im fahlen Halbdunkel. Ein Grinsen zerrte an Mortimers zusammengepressten Lippen.

»Du hast recht!«

Er schob den Colt in den Hosenbund. Saltillo hatte die besondere Bedeutung seiner Worte nicht überhört. Rötliches Licht überflackerte die Felsen.

»Da!«, gellte ein Schrei, als sie weiterhuschten. Die Schüsse krachten einen Sekundenbruchteil zu spät. Schon hatte die Dunkelheit wieder die geschmeidig von Deckung zu Deckung springenden Gestalten verschluckt.

Einen Tag lang hatten sie in der Enge des Stollens Zeit gehabt, sich an die Kette zu gewöhnen und ihre Bewegungen aufeinander abzustimmen. Das half ihnen nun. Das Dröhnen der Gewehre trieb sie höher den Berg hinauf. Der Hang wurde so steil, dass sie nur mehr auf allen Vieren weiterkamen. Ihr Atem flog. Als sie ein paar Minuten verschnauften, spähte Saltillo nach oben. Ihm schien, als wären sie kaum vom Fleck gekommen. Sie lagen wie hingeklebt am zerrissenen Fels, die Hände festgekrallt, die Füße eingestemmt.

»Glaubst du immer noch, dass es zu schaffen ist?«, fragte Mortimer halb verzweifelt, halb wütend.

»In einigen Stunden werden wir’s wissen. Los, weiter! Sie kommen!«

Ein Klirren, Stampfen und Scharren war unter ihnen am Hang. Schattenhafte Gestalten glitten durch die Lichtbahnen, die da und dort zwischen den Felsen lagen. Waffenstahl blinkte. Immer wieder richtete sich einer der Verfolger am Hang auf und jagte einen Schuss in die Richtung, in der er die weiter oben Kletternden vermutete. Der flackernde Lichtschein erreichte Saltillo und Mortimer nicht mehr. Hier, hoch über den Minenstollen, wurde der Hang immer schroffer, kahler, steiler. Sie krochen wie Fliegen an einer Wand empor. Jeder Griff, jeder Tritt musste nun vorsichtig ertastet werden. Die Kette schrammte auf dem blanken Fels. Das mächtige Steinmassiv über ihnen bekam eine immer heller leuchtende Silberaureole. Der Mond ging dahinter auf. Es war eine der glasklaren, von milchiger Helligkeit durchfluteten Sierra-Nächte. Kojotengeheul drang aus fernen Tälern. Die Luft war kalt.

Aber davon spürten die Kletternden nichts. Immer tiefer blieb das Plateau unter ihnen. Der Platz um das allmählich herabbrennende Feuer war leer. Keuchen, Fluchen, Stampfen und Klirren erfüllte die Finsternis am Hang unter ihnen. Es waren mindestens zehn Mann, die ihnen folgten. Sie schossen nicht mehr. Sie hatten die Gewehre, die sie am Steilhang behinderten, zurückgelassen. Aber jeder von ihnen schleppte mindestens einen geladenen Paterson Colt mit.

Zwei Stunden nach ihrer Flucht aus dem Stollen erreichten Saltillo und Mortimer ein schmales Felsband. Hier konnten sie sich hinkauern und ausruhen. Das Felsmassiv stieg fast senkrecht hinter ihnen empor. Die beiden Männer schienen am Ende ihrer Kraft. Selten hatte Saltillo sich so gerädert gefühlt. Die Peitschenstriemen auf seinem Rücken brannten, als hätte jemand Salz hineingerieben.

»Nein!«, krächzte Mortimer, als Saltillo nach fünf Minuten weiter wollte. »Ein Tag in dieser Teufelsmine und dann noch diese verfluchte Kletterpartie ... Alles hat seine Grenzen! Ich bleibe! Hier können wir sie uns vom Leib halten.«

»So lange es dunkel ist, vielleicht. Wenn die Sonne aufgeht, bieten wir hier ein prächtiges Ziel. Los, komm!« Die Kette zwang Mortimers linken Arm hoch, als er sich erhob.

Mortimers kantiges und nun unrasiertes Gesicht verzerrte sich plötzlich. Seine Rechte umschloss den Coltgriff. »Ich hab's satt, wie du hier dauernd rumkommandierst! «

Mit ausdrucksloser Miene blickte Saltillo auf ihn.

»Ich will am Leben bleiben, das ist alles.«

»Das Genick werden wir uns brechen, wenn wir da hinaufklettern!«, fauchte Mortimer. Dann lauschte er auf die Geräusche am Hang. In ein paar Minuten würden die Mexikaner dicht unter der Felsleiste sein. Aber würden sie sich auch in die Wand darüber wagen? Mortimer richtete sich ebenfalls auf.

»Na schön. Ein Trost bleibt mir ja: Ich werd’ nicht allein zur Hölle sausen!«

*

Saltillo hatte schon selbst nicht mehr daran geglaubt: Als die Sonne aufging und die Bergkämme ringsum von einer Minute zur anderen scheinbar in flüssigem Gold schwammen, hatten sie’s geschafft. Sie waren völlig erledigt. Nach Luft schnappend, einen bleiernen Druck hinter den Schläfen, krochen sie auf Händen und Knien noch ein paar Yards über den schroffen Felsboden. Nur weg von dem Abgrund, dem sie so knapp entronnen waren. Dann ließen sie sich fallen. Wenn es jetzt einem von Don Felipes Pistoleros gelungen wäre, hinter ihnen heraufzukommen, hätten sie keine Hand mehr zu heben vermocht. Sie lagen da wie von Keulenhieben hingeschmettert. Die Sonne trocknete den Schweiß auf ihren verzerrten Gesichtem, wärmte sie und ließ die Stahlkette zwischen ihnen blinken.

Die glühende Feuerscheibe stand schon mehrere Handbreit über den Sierra-Gipfeln, als Saltillo sich herumwälzte und auf die Knie stemmte.

Sie befanden sich auf einer von Rissen durchzogenen Felstafel. Der Himmel schien zum Greifen nahe. Hauchdünne Wolkenschleier hingen im Süden. Unwirkliche Stille herrschte.

Saltillo aber dachte an den Entsetzensschrei, der vor ein paar Stunden die Nacht zerrissen hatte. Vielleicht hatte sich da alles entschieden. Einer der Alventarez-Schießer war an der Steilwand unter ihnen abgestürzt. Da hatten die anderen wohl aufgegeben. Wahrscheinlich waren sie überzeugt gewesen, dass auch die Flüchtenden es nicht schaffen würden. Doch Zoll um Zoll hatten sich die beiden zähen, harten Männer immer höher getastet, begleitet vom Klirren und Schrammen der Kette, die zwischen ihnen hing.

Wieder war es Saltillo, der zum Aufbruch drängte.

»Alvantarez’ Reiter werden bald hinter uns her sein. Wir müssen hier weg, bevor sie alle Wege und Pfade abriegeln. Wir brauchen ein Versteck. Vor allem aber brauchen wir Wasser, sonst überleben wir hier keine vierundzwanzig Stunden.«

Keuchend rappelte sich auch Mortimer auf. Das Haar hing ihm strähnig in die Stirn. Der Colt steckte vom in seinem Hosenbund. Keuchend schaute er sich um. Ein Labyrinth von Bergrücken, Felsflanken, Tälern und Schluchten umgab sie. Wo Gebirgsränder und Himmel sich zu berühren schienen, flimmerten die ersten Hitzedunstschleier. Nirgends ein Fleck Grün, der die Nähe von Wasser verhieß.

»Weiß der Henker, wie wir jemals wieder aus diesen Teufelsbergen rauskommen«, knurrte Mortimer. »Meinetwegen, gehen wir.«

Sie verließen die Mesa über einen schmalen Bergsattel, der zu einem tiefer gelegenen Höhenrücken schwang. In der grenzenlosen Weite der Bergwildnis waren sie wie zwei Punkte, die sich mit zäher Langsamkeit voran bewegten.

Saltillos Blicke suchten fortwährend die Felseinschnitte und Senken ab. Doch da gab es nur Felsen, Sand, Geröll und Inseln von Dornbüschen und Kakteen. Kein schimmerndes Wasserauge, kein Rinnsal weit und breit. Ein Raubvogel kreiste hoch über ihnen. Sonst gab es kein Anzeichen von Leben.

Bei jedem Schritt spürten sie die Strapazen, die hinter ihnen lagen. Immer wieder ließen sie sich für ein paar Minuten nieder, wenn sie einen geschützten, schattigen Winkel zwischen den Felsen fanden. Mortimer überließ seinem wildniserfahrenen Begleiter die Führung. Saltillo folgte den felsigen Kammlinien und sandigen Kuppen langgestreckter Berge, bis er, als die Sonne am heißesten brannte, den ersten grünen Klecks inmitten der grauen, gelben und rotbraunen Farbtöne der Landschaft entdeckte.

Zwei Stunden später, nachdem sie stolpernd mehrere Rinnen und Senken durchquert hatten, erkannten sie, dass es ein dicht belaubtes Gebüsch in einer von schroffen Hängen umschlossenen Talschüssel war. Ein mattes Blinken war zwischen den Sträuchern.

 

Wasser!

Das gab ihnen neuen Auftrieb. Aber im selben Moment, als sie ins nächste Tal hinab wollten, entdeckte Saltillo eine Staubfahne, die sich in ihre Richtung bewegte.

Schweigend zog er Mortimer zwischen die Felsen zurück. Gleich darauf bogen die Reiter um einen Hügel. Vier, fünf staubumhüllte Gestalten. Sie trugen spitzkronige Sombreros, dunkle Charro-Anzüge, und sie hielten Gewehre vor sich auf den Sätteln.

»Es hätte mich gewundert, wenn wir nicht auf deine ehemaligen Freunde treffen würden«, meinte Saltillo nur.

Mortimer starrte ihn so hasserfüllt an, als wäre Saltillo schuld am Auftauchen des Suchtrupps. Geduckt warteten sie. Mortimer umklammerte den Colt, zwei Kugeln in der Trommel. Das war lächerlich wenig gegen diese Übermacht. Das dumpfe Pochen der Hufe kam näher und näher. Dann schwenkten die Reiter am Fuß der Anhöhe ab.

Saltillo und Mortimer verließen ihr Versteck erst, als nichts mehr zu hören und zu sehen war. Von nun an waren sie noch wachsamer, ständig bereit, sich irgendwo in Deckung zu werfen.

*

Die Sonne stand schon tief im Westen, als sie die von Mesquites, Ocotillos und Kreosots umwucherte Wasserstelle unter sich sahen, ein Anblick, der sie wie von einem bleiernen Druck befreite. Die sengende Hitze, die von den Felshängen und dem Lehmboden zurückgeworfen wurde und ihre Kehlen ausdörrte, hatte plötzlich allen Schrecken verloren. Ein sandiger Hang fiel vor ihnen ab.

Als Saltillo ihn betrat, spannte sich die Kette zwischen Mortimer und ihm.

Der breitschultrige Mann verharrte reglos. Er hielt den Paterson in der Rechten. Ein eisiges Lächeln überzog sein Gesicht

»Nun brauch ich dich nicht mehr, Bastard. Eine Kugel wird genügen, diese verdammte Kette zu zerschießen. Die andere ist für dich.«

Langsam hob er die Waffe. Seine hellen, durchdringenden Augen verrieten, dass er ohne weiteres Wort abdrücken würde.

Saltillo schleuderte sich heftig zur Seite. Staub wallte auf. Er riss den aufbrüllenden Gegner mit. Krampfhaft hielt Mortimer den Colt fest. Der Schwung riss ihn über Saltillo. Bevor Mortimer zuschlagen konnte, erwischte der Texaner sein Handgelenk.

In einer Staubwolke wirbelten sie den Hang hinab. Mortimer verlor die Waffe. Keuchend versuchte er dem Gegner die Kette um den Hals zu pressen.

Saltillos Faustschlag warf ihn zurück. Geschmeidig rollte der Haziendero sich zur Seite, kam auf die Knie. Da hatte Mortimer einen faustgroßen Stein gepackt. Mit einem wilden Schrei holte er aus.

Blitzschnell riss Saltillo den Arm mit der Kette hoch, so dass sie sich quer zwischen ihnen spannte. Gleichzeitig jagte er Mortimer die geballte Linke in den Leib. Ein paar Sekunden lang lagen sie heftig atmend nebeneinander. Dann stemmten sie sich schwankend, mit funkelnden Augen hoch.

»Du verdammter...« Mortimers Fluch erstickte, als lautlose Gestalten zwischen den Felsen jenseits der Wasserstelle hervortraten.

Apachen! Sie standen da wie aus Bronze gegossen, nur mit Lendenschurz und bis zu den Knien reichenden Mokassins bekleidet. Zuerst drei, dann waren es fünf, nun sieben. Messer und Tomahawks blinkten in ihren Fäusten. Zwei hielten Pfeil und Bogen. Dichtes schwarzes Haar hing ihnen auf die Schultern. Ihre Gesichter waren bemalt. Kein Laut außer dem Keuchen der eben noch verbissen Kämpfenden durchbrach die Stille.

Dann bewegten die Indianer sich katzenhaft, die Blicke starr auf die beiden Zusammengeketteten geheftet, von den Felshängen.

Saltillo duckte sich. Der Paterson Colt lag zwei Schritte neben ihm.

Hinwerfen, die Waffe packen, schießen! durchfuhr es ihn. Und der nächste verzweifelte Gedanke war, dass es besser war, zu sterben, als diesen Feinden lebend in die Hände zu fallen. Es waren sicher dieselben Apachen, die Mortimers Wagen gejagt hatten. Sie würden sich grausam revanchieren.

Saltillo wollte Mortimer zurufen, dass sie auf die Indianer zustürmen mussten, sobald er den Colt hatte. Da war ein Schnauben und Stampfen auf dem Hang über ihnen.

Eingekreist! schrie es in ihm. Da klang ein voller, rauschender Gitarrenakkord durch die Senke.

Die Apachen waren jäh erstarrt. Mortimers Kopf flog herum. Ein Krächzen kam über seine aufgesprungenen Lippen. Saltillo jedoch riss den Fünfschüsser vom Boden hoch. Die Indianer ahnten ja nicht, dass die Waffe nur mit zwei Kugeln geladen war. Entschlossen richtete er den staubbedeckten Lauf auf sie. Er ließ sie auch nicht aus den Augen, als das Malmen von Hufen hinter ihm und Mortimer den Hang herabkam.

Sattelleder knarrte, Gebissketten klirrten. Das harte Knacken von Gewehrschlössern vermischte sich damit. In Saltillos Ohren hallten noch immer die Töne der Gitarre nach. Er kannte nur einen, der so an seinem Saiteninstrument hing, dass er es auch auf dem Höllenritt in die wilde Sierra von Chihuahua mitnehmen würde. Saltillos Herz hämmerte. Den Geräuschen nach waren es mindestens fünfzehn Mann, die in einer Reihe den Hang herabritten; genauso stumm wie die Apachen. Kein Schuss fiel.

Schritt für Schritt begannen sich die Apachen zurückzuziehen. Ihre bemalten Gesichter blieben starre Masken. Ihre Augen glühten. Bis zuletzt waren sie bereit, lieber mit dem Kampfschrei auf den Lippen im Kugelhagel zu sterben, als sich herumzuwerfen und davonzurennen. Dann nahm der Schatten der Felsen sie auf. Sie verschwanden so lautlos wie sie gekommen waren.

»Ich hoffe, du bist es wirklich, Amigo, nicht bloß dein Geist«, meldete sich eine erleichterte Stimme hinter Saltillo.

Für einen Moment, während er sich umdrehte, spürte der große, harte Mann ein Zittern in den Knien.

»Mann, Buck, ich werd’ verrückt«, brachte er heiser hervor.

»Lass dir noch ein bisschen Zeit damit«, grinste der bullige, zottelhaarige Kentuckier von einem Ohr zum anderen. Dann war er mit einem Satz aus dem Sattel, hieb Saltillo eine Hand auf die Schulter und schüttelte ihn begeistert.

Lärmen, Johlen und Lachen brach ringsum los.

Mortimer stand wie betäubt da und glotzte nur.

Braungesichtigte, drahtige Männer mit funklenden Augen und blitzenden Zähnen umringten Saltillo und ihn. Colts, Pistolen und Messer hingen an ihren Gürteln. In ihren Scabbards steckten Gewehre. Sporen klirrten an ihren hochhackigen Stiefeln. Auf ihren Köpfen thronten wagenradgroße Sombreros.

Saltillo konnte es nicht fassen. Unmöglich, dass Tortilla-Buck mit dem Wagen auch nur ein Drittel der Strecke zum Rio Bravo hatte zurücklegen können. Und doch umdrängte ihn da mehr als seine halbe Vaquero-Mannschaft. Da war Mateo mit dem grimmigen Pockennarbengesicht, Alonso, der Einäugige, Joaquin mit dem Mongolenbart und den goldenen Ohrringen, Pedro, der Hüne, den alle nur »El Toro« nannten. Sogar Paco, der kleine, mausgesichtige Koch war mitgekommen. Ruidosa, Saltillos zuverlässigem Mayordomo, war es sicher schwergefallen, seinen Posten nicht ebenfalls zu verlassen. Nur einer saß noch ein wenig abseits mit halb verlegenem, halb freudigem Lächeln auf seinem Pferd: Antonio, der Benjamin der Crew, mit seiner Gitarre. Grinsend wies Buck auf ihn.

»Manolo hat ihm unterwegs zum Dorf erzählt, dass mein alter Freund Ben den Überfall angestiftet hat. Als Ruidosa das erfuhr, war ihm sofort klar, in welcher Gefahr wir schweben. Well, er hat sofort diese Prachtjungs in die Sättel gejagt. Jeder bekam ein Reservepferd. Seitdem sind sie nur noch abgestiegen, um die Gäule zu versorgen und sich mal ein, zwei Stunden aufs Ohr zu legen. Hölle, ich hätt’ nie geglaubt, dass es auch außerhalb von Kentucky so zähe Burschen gibt. Wenn die’s nicht schaffen, Alvantarez und seine Sklavenschinder zum Teufel zu jagen, dann schafft das niemand!«