Vier Wyoming Western März 2017

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From the series: Extra Spannung #7
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Dieser Mann war ein eiskalter Killer. Er stand breitbeinig und leicht vorgeneigt da, angespannt wie eine Stahlfeder. Trujillo, eine Hand nach einem am Wagenbock hängenden Gewehr ausgestreckt, verharrte schräg hinter ihm.

Die drei Charro-Reiter, die den Wagen begleiteten, waren abgesessen, hatten eben die Pferde wegführen wollen und waren nun im Schritt erstarrt.

Saltillo war es im Moment gleich, wo die anderen Halunken aus Mortimers Sklavenfänger-Crew steckten. Nur eines war jetzt wichtig: Die Befreigung der Gefangenen, womöglich auch jener, die nun in den Minenstollen und bei den Frachtwagen zu schuften aufgehört hatten.

Die zum Haus laufenden Kerle hielten ebenfalls inne.

Don Felipe schnappte wie ein Karpfen auf dem Trockenen. Er wagte nicht, sich von dem großen Texaner loszureißen. Er war genau der Typ, der mitleidlos zusah, wenn Menschen zu Tode gequält wurden, aber schlotternde Knie bekam, sobald es ihm selbst an den Kragen ging.

»Wird’s bald!«, peitschte Saltillos Stimme über die Hochfläche.

»Santa Madonna!«, krächzte Alvantarez. »Er ist verrückt geworden! Tut, was er verlangt!«

»Uno momento!«, rief Mortimer, als zwei, drei Aufseher sich dem Wagen zuwenden wollten. »Es sind meine Gefangenen! Ich entscheide, was mit ihnen geschieht. Dieser verdammte Texas-Bastard blufft doch nur! Der hat keine Chance, lebend hier wegzukommen, Amigos, wenn ihr nicht...«

Er verstummte, als sich Tortilla-Bucks bullige Gestalt seitlich hinter Saltillo aus der offenen Tür schob. Die Enden der Stricke, mit denen er gefesselt gewesen war, baumelten von den Handgelenken. Buck hatte sie mit El Muertes Machete durchtrennt, nachdem er zu sich gekommen war. Außerdem hielt er das Gewehr, mit dem Saltillo das Yaqui-Halbblut niedergeschlagen hatte. Buck zeigte sein unverwüstliches Draufgängergrinsen.

»Du kannst es einfach nicht lassen, dich als Boss aufzuspielen, Ben, was? Ich hab nur das komische Gefühl, Ben, dass keiner da ist, der mitspielt! Vamos, ihr Blutsauger, besser, ihr tut, was mein Amigo verlangt!«

Don Felipe schwitzte heftig.

»Gebt sie frei!«, keuchte er. »Sie werden ja doch nicht weit kommen. Mortimer, du kriegst dein Geld so oder so.«

Aber Mortimer ging es in diesem Fall nicht um ein paar tausend Pesos. Der sonst so berechnende Schurke ertrug es nicht, wieder den kürzeren zu ziehen. Zuerst sah es so aus, als würde er tatsächlich aufgeben. Er richtete sich aus seiner geduckten Haltung auf, die Hände sanken herab. Als er sich jedoch halb drehte, so, dass sein Colt an der von Saltillo abgewandten Körperseite hing, da begriff Saltillo im Bruchteil einer Sekunde, dass Mortimer immer noch nur eins wolte: Rache!

Da flog die Waffe auch schon aus dem Leder.

Saltillo schleuderte den dicken Mexikaner zur Seite, ließ sich blitzschnell auf ein Knie sinken und stieß den Colt nach vorn.

Im selben Augenblick brach Ben Mortimer zusammen.

Trujillo hielt noch das Gewehr, mit dem er zugeschlagen hatte, am Lauf gepackt. Blitzschnell hatte er es aus der Halterung am Wagenbock gerissen. So wie er vor zwei Monaten in Nuevo Saltillo in den Rücken gefallen war, so hatte er nun auch seinen neuen Partner behandelt - aus Angst vor Alvantarez und seinen Pistoleros. Der Minenbesitzer bewies indessen erneut eine Schnelligkeit, die man ihm nicht zugetraut hätte. Wie ein Haken schlagender Hase verschwand er um die Ecke des Gebäudes.

»Tötet sie!«, kreischte er. »Lasst sie nicht entkommen!«

Als die Mexikaner zu den Waffen griffen, waren Saltillo und Buck bereits von der Veranda gesprungen. Ein Blick zwischen ihnen, ein Ruf: »Der Wagen!« Zu mehr war nicht Zeit, und mehr war auch nicht nötig. Jetzt kam es auf jede Sekunde an, wenn sie aus diesem Teufelsnest entwischen wollten.

Die Minenwächter prallten zurück. Beim Wagen richtete Trujillo, der Verräter, mit verzerrter Miene sein Gewehr auf die geduckt Heranhetzenden.

Buck feuerte im Laufen. Gleichzeitig fuhr eine Stichflamme aus der Waffe Trujillos. Die Schüsse verschmolzen zu einem Donnerknall. Während Trujillo schwankte, das Gewehr verlor und dann über die Waffe fiel, stürmten die Wagenpferde los. Vielleicht war das die eigentliche Chance der beiden Freunde. Denn die erschreckten Gäule rasten auf die Mexikaner zu, die nun ihre Colts aus dem Leder hatten und auf die Flüchtenden anlegten.

Ein paar Schüsse peitschten, aber das Ganze spielte sich zu schnell ab, dass ein genaues Zielen möglich war. Dann gab es für die Schützen nur mehr eins: sich vor dem heranbrausenden Gespann zu retten. Nur die Männer, die mit dem Wagen gekommen waren und etwas abseits standen, versuchten es noch. Als ihre Waffen krachten, war jedoch schon das Gefährt zwischen ihnen und den Gegnern. Die flirrenden Räder fetzten dichte Staubschwaden hoch.

Wüster Lärm tobte über das Minenplateau. Drüben bei den Stolleneingängen und entlang der Wagenreihe brüllten die Gefangenenbewacher. Sie jagten Warnschüsse in die Luft und schwangen wild die Peitschen, damit keiner der Mineros auf die Idee kam, das allgemeine Durcheinander zur Flucht zu nutzen.

Fetzen von Don Felipes schriller Stimme vermischten sich damit. Saltillo jagte zwei Schüsse in den brodelnden Staub, um die Verwirrung noch zu verstärken. Die Pferde vor dem klobigen, schlingernden Wagen strebten im spitzen Winkel vorbei.

Buck war noch schneller. Der Kentuckier schleuderte die leergeschossene Rifle weg und sprang auf den Wagen. Geschickt löste er die um die Seitenlehne geschlungenen Zügel. Sein blondes Zottelhaar flatterte.

»Heyah!«, brüllte er, als wäre das der prächtigste Spaß, den er seit langem erlebt hatte. »Amigo, spring auf, wenn ich zurückkomme.«

Buck war nicht nur ein erstklassiger Gewehrschütze, sondern auch ein Mann, dessen kräftige Fäuste geschickt die Leinen dirigierten. Zuerst schien es, als würde das Fuhrwerk gleich im Höllentempo gegen die Front von Alvantarez’ Büro rasen. Die entsetzten Pistoleros stoben wie aufgescheuchte Hühner auseinander. Dann zog Tortilla-Buck das Gespann in einer knappen, geradezu eleganten Schleife herum. Der Planwagen schoss auf Saltillo zu, der geduckt im wallenden Staub stand. Der Haziendero behielt den Colt in der Rechten, drehte und duckte sich.

»Jetzt, Amigo! Spring!«, gellte Buck. Saltillos Hand schloss sich um die Seitenlehne, seine Füße hoben sich vom Boden. Im nächsten Moment saß er neben Mercer auf der Fahrerbank.

»Heyah, nun zeigt, was ihr könnt! Lauft, meine Guten!«, brüllte Buck, obwohl die Pferde sowieso rannten, als müssten sie genug Anlauf haben, um gleich samt ihrem Anhängsel im Flug vom Plateaurand abzuheben. »Halt dich fest, Amigo!«

Schüsse krachten hinter ihnen. Die Plateaukante raste ihnen entgegen. Don Felipes vor Wut überkippende Stimme gellte: »Zu den Pferden, ihr Narren! Jagt sie!«

Der Wagen fegte an einem Felsen vorbei und war gleich darauf auf dem schmalen Serpentinenweg, der sich in scheinbar endlosen Windungen den Berg hinabschlängelte.Die Hufe und Räder schleuderten faustgroße Geröllbrocken über die Kante. »Halt sie zurück, Mann, sonst brechen wir uns alle das Genick!«, schrie Saltillo dem Partner ins Ohr.

»Können vor Lachen«, keuchte Buck, dem die eigene Courage nun unheimlich wurde. Er tastete mit der freien Hand nach dem Bremshebel. Funken sprühten, als die Klötze griffen. Doch das Gefährt sauste noch immer mit halsbrecherischer Geschwindigkeit weiter. Haarscharf rollten die linken Räder am Wegrand. Eine Biegung folgte der anderen so schnell, dass Buck kaum Zeit hatte, zwischendurch richtig Luft zu holen. Sein starrer Blick konnte immer nur gerade die nächste kurze Wegstrecke vor den Pferden erfassen.

»Duckt euch, Companeros! Rückt alle nach rechts, sonst trägt er uns vom Pfad.«

»Du brauchst nicht so zu schreien«, stieß Saltillo heiser hervor. »Da ist sonst niemand außer uns.«

»Was?«, schrie Buck. Er riss den Kopf herum. Im nächsten Augenblick konnte er gerade noch verhindern, dass das rechte Vorderrad gegen einen aus dem Hang ragenden Felsblock knallte.

Saltillos Gesicht war grau, die Mundwinkel verkniffen. Der Schock, als er die Wagenplane weggezogen und den leeren Käfig gesehen hatte, verkrampfte noch alles in ihm.

»Mortimer, dieser verfluchte Schuft, hat den Wagen nur als Köder benutzt!«, schrie er durch das Hufgedröhn und Räderrattem. »Wahrscheinlich hat er damit gerechnet, dass wir's auf den letzten Meilen vor der Mine doch noch versuchen. Deshalb hatte er nur ’nen Teil seiner Reiter dabei, Die anderen stecken garantiert noch irgendwo in den Bergen mit den Gefangenen.«

*

Der schwere Wagen hatte auf Dauer genausowenig eine Chance, den Reitern davonzufahren wie neulich, als die Apachen hinter ihm hergewesen waren. Da half kein anfeuerndes Schreien, die Pferde zu noch schnellerem Galopp zu treiben. Die Tiere gaben ohnedies ihr Bestes.

Nach wie vor lenkte der bullige Kentuckier das Gespann.

Saltillo beugte sich dann und wann an der Plane vorbei, um in dem Staub hinter ihnen etwas zu erkennen. Schatten zeigten sich nun. Sonnenstrahlen blitzten auf blankem Metall. Trotz des ständigen Holperns hatte Saltillo es geschafft, seine Paterson nachzuladen. Außerdem trug er eine geladene Reservetrommel bei sich. Aber sie hatten nur diese eine Waffe, und das war ein bisschen wenig gegen die Übermacht, die Don Felipe hinter ihnen herhetzte.

»Sieh zu, dass wir wenigstens noch in den Canyon da vorn kommen«, rief Saltillo Buck zu.

Mercer spuckte in hohem Bogen über die Seitenlehne.

»Wenn’s dir Spaß macht, warum nicht.« Er ließ die Zügel auf die Pferderücken klatschen. »Dann liegen wir immerhin im Schatten, wenn sie uns mit Blei füllen, was? Eins würd’ mich ja noch interessieren: Woher hast du eigentlich vorhin gewusst, dass die Pistole nicht geladen war?«

 

»Ich hab’s nur vermutet. Es gab zwei Gründe dafür: Alvantarez ist ein Feigling, der zuviel Angst gehabt hätte, dass ich die Kugel auf ihn abfeuere. Außerdem setzt er bestimmt keine fünfhundert Peso-Prämie für jeden neuen Sklaven aus, wenn er dann einen wie dich erschießen lässt.«

»Hm.« Buck machte ein grimmiges Gesicht. »Und wenn du dich verrechnet hättest?«

»Dann hätt’ ich dir schlimmstenfalls ein Stück von deinem Skalp wegrasiert - als Revanche für neulich!«, grinste Saltillo. »Oder was hast du gedacht?«

»Ich denke, dass es höchstens noch fünf Minuten dauert, bis diese verdammten Kerle uns eingeholt haben«, knurrte Tortilla-Buck, der nun ebenfalls einen Blick zurückgeworfen hatte.

Das Fahrzeug rumpelte an den riesigen Felsschultem vorbei, die den Eingang eines schattigen, tief eingekerbten Gebirgsschlunds säumten. Die Räder versanken bis zu den Speichen in puderfeinem Staub. Entlang der Steilwände lagen Felstrümmer, von halbverdorrten Kreosot und Mescalstauden bewachsen. Die Pferde stolperten. Der Wagen kam nur noch im Schritttempo voran.

»He, was hast du vor?«, rief Buck, als Saltillo absprang. Das Fahrzeug rollte noch ein Stück, bevor die Tiere auf den Zügelruck reagierten und stehenblieben. Der von den Hufen und Rädern aufgewirbelte Staub hing wie gelber Nebel in der heißen, unbewegten Luft. Ein dumpfes Hämmern näherte sich eilig.

Saltillo schaute sich nach einer geeigneten Deckung um.

»Fahr zu, Buck! Wenn ich sie lange genug aufhalte, schaffst du’s zum ausgetrockneten Flussbett, durch das wir heute früh geritten sind. In dem Felsgelände dahinter kannst du deine Spur verwischen und die Kerle abhängen, wenn sie...«

Buck hatte ihn betroffen angestarrt. Nun schoss ihm dunkle Röte ins Gesicht.

»Für was für einen verdammten Hundesohn hältst du mich eigentlich, dass du glaubst, ich lass dich allein hier sitzen?«

»Red keinen Unsinn!« Saltillo blickte schnell zum Canyoneingang. »Niemand ist geholfen, wenn sie uns beide erwischen. Vergiss nicht, dass wir hier sind, die Männer aus dem Dorf zu befreien.«

»Du hast Nerven«, lachte Buck bitter. »Wie willst du das jetzt noch anstellen? «

»Nicht ich, du wirst das übernehmen. Dazu wirst du, wenn nötig, alle Männer von der Hazienda holen und die ganze verfluchte Mine ausräuchern! So, ab mit dir! Da kommen sie schon!«

Tortilla-Buck schluckte, starrte ihn an. In seinen staub- und schweißverschmierten Gesicht arbeitete es.

»Und warum, zum Teufel, gerade ich?«

»Weil du nicht nur der beste Gewehrschütze, sondern auch noch der großartigste Wagenlenker von ganz Texas bist«, grinste Saltillo, so dass Buck nicht wusste, ob er’s ernst meinte oder ihn nur auf den Arm nahm. »Außerdem haben sie mich ja noch nicht. Und so schnell wird sich das auch nicht ändern. Pass auf, dass du kein Rad verlierst. Diese Gäule taugen nicht zum Reiten. Du müsstest die ganze Strecke zu Fuß gehen. Und bei dem Heißhunger, den du danach hättest, müsste mir der arme Paco jetzt schon leid tun.« Er hob eine Hand. »Adios, Buck.«

»Verdammter Dickschädel«, schnaufte Buck verzweifelt. »Ich ...«

Reiter tauchten in den zerfließenden Staubschwaden auf. Schüsse krachten. Buck schwang die Zügelenden.

»Ich komm zurück, Saltillo! Ich jag mit den Boys von der Hazienda sämtliche Goldbergwerke von Mexiko in die Luft, wenn ...« Der Lärm der Hufe und Räder verschluckte seine Stimme.

Geduckt rannte Saltillo auf die nächste Ansammlung von Felsen am Fuß einer Steilwand zu. Kugeln jaulten dem Wagen nach. Andere warfen Sandfontänen neben Saltillo empor. Er schwang im Laufen den Colt herum und schoss auf die zwischen den Felsschultem heran donnemden Reiter. Dann hechtete er zwischen die Gesteinsblöcke. Blei schmetterte gegen seine Deckung.

Da war Saltillo schon auf den Knien. Sein nächster Schuss warf den am weitesten vorn jagenden Angreifer aus dem Sattel. Fluchend rissen die anderen ihre Gäule zurück. Bevor sie aus den Sätteln kamen, traf Saltillo noch einen in die Schulter. Dann überschüttete ein Kugelhagel aus mindestens zehn Revolvern und Gewehren den Felsen, hinter dem er kauerte.

Splitter wirbelten über ihn hinweg. Querschläger jaulten. Ein ohrenbetäubendes Krachen wogte zwischen den Canyonmauem. Als die Staub- und Pulverrauchschleier sich verzogen, waren die Verfolger ebenfalls in Deckung gegangen.

Ihre wüsten Flüche und Beschimpfungen berührten Saltillo nicht. Was zählte, war, dass auch der Planwagen nicht mehr zu sehen war.

Ruhig lud der große, ledergekleidete Kämpfer den Paterson Colt nach.

*

Eine Stunde später war es den Männern von der Alvantarez-Mine noch immer nicht gelungen, an Saltillo vorbeizukommen. Ein erschossenes Pferd und ein Mexikaner, der sich nicht mehr rechtzeitig genug aus dem Sattel hatte retten können, lagen mitten auf der glutheißen Sohle der Schlucht.

Allerdings hatten sich zwei der Angreifer, zwischen den Felsen einer Schluchtseite bis auf knapp fünfzehn Schritte an Saltillo herangearbeitet. Sobald auch nur für einen Moment sein schwarzer Haarschopf sichtbar wurde, blitzte und krachte es.

Saltillo drückte nun schon zum vierten Mal mit der Ladepresse Rundkugeln in den Kammern seines Colts. Dann setzte er die Zündhütchen auf die Pistons und legte zusätzlich die noch nicht benutzte Reservetrommel griffbereit neben sich. So würde er bei einem neuen Ansturm der Gegner nicht länger als dreißig Sekunden brauchen, bis er den ersten fünf Schüssen die nächsten hinterherschicken konnte. Dann jedoch

würde es brenzlig werden. Dann blieb ihm nur mehr sein Bowieknife, um sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Mit diesen zehn Schuss war sein Kugelvorrat erschöpft. Doch jede Minute Aufschub, die er Tortilla-Buck verschaffte, erhöhte dessen Chance durchzukommen.

Ihm selbst blieb nur eine Hoffnung: Er musste aushalten, bis es dunkel wurde. Im Schutz der Nacht konnte er sich vielleicht davonstehlen, sich irgendwo verkriechen, bis Hilfe von der Hazienda kam. Aber das wussten auch die Banditen, die zwischen den Felstrümmern entlang beider Canyonseiten lauerten. Immer wieder versuchten sie ihn mit wütend hingeschmetterten Schüssen aus der Deckung zu treiben oder noch ein paar Yards näher an ihn heranzukommen.

Saltillo bewahrte Ruhe. Wenn sich zwischendurch für fünf oder zehn Minuten nichts rührte und nur stickige, vom Geruch verbrannten Pulvers durchdrungene Hitze die Schlucht füllte, saß er zurückgelehnt, mit halbgeschlossenen Augen da, als würde er gleich einschlafen. In Wirklichkeit konzentrierte er sich auf jedes verdächtige Geräusch in seiner Umgebung. Das Klirren eines winzigen Steins, ein nur flüchtiges Rascheln, und schon war jede Faser in ihm zur erneuten blitzartigen Reaktion gespannt.

Als zwischen den Felsblöcken an der gegenüberliegenden Canyonwand ein Gewehrlauf Feuer und Rauch spie und eine Kugel eine Armlänge neben ihm in den Staub hieb, rührte er sich nicht. Er hob die Waffe auch nicht, als drüben zuerst eine spitze Sombrerokrone und dann Kopf und Schultern eines Mannes über einem Quader auftauchten. Ein wütendes »Vaya al Diablo, Gringo!« schallte herüber. Doch dann glitt auf seiner Seite der Schlucht ein Schatten zwischen den Felsen hervor und versuchte die nächste Deckung zu erreichen.

Da flog Saltillos Paterson hoch.

Ein Schrei gellte in die krachende Detonation. Ein Mexikaner stürzte mit heftig rudernden Armen zwischen den halbverdorrten Kreosots nieder. Weiter hinten wieherten Pferde. Flüche ertönten. Wieder raste Blei aus mehreren Colts und Gewehren, und wieder bewegte sich kein Muskel in Saltillos in dianerhaftem Gesicht.

Seine Kehle war trocken. Die Sonne stand nun so, dass ihre sengenden Pfeile die gegenüberliegende Steilmauer trafen. Diese strahlte die Hitze wie eine gigantische Ofenplatte zurück, so dass jeder Schweißtropfen sekundenschnell verdunstete. Sicher hing seine Wasserflasche noch am Sattel des Rehbraunen, den er auf dem Minenplateau hatte zurücklassen müssen.

Zähflüssig vertropften die Minuten immer wieder von vereinzelten Schüssen durchbrochen. Das Echo rollte lange nach. Die Sonne schien sich nicht vom Fleck zu rühren. Wie weit würde Buck nun schon sein? Wie lange würde er mit den abgekämpften Pferden und dem schweren Wagen zur Hazienda brauchen.

»He, Gringo, gib doch endlich auf!«, hallte Ortegas Stimme durch die Schlucht. »Wirf dein Schießeisen weg, Hombre! Dann hast du wenigstens die Chance, am Leben zu bleiben als Goldgräber in Don Felipes Mine.« Sein höhnisches Lachen brach sich an den Canyonwänden.

Saltillo lauschte wieder gebannt. Ortega wollte ihn nur ablenken. Die Kerle wussten genau, dass er sich nicht ergeben würde. Irgend etwas hatten sie wieder vor.

»Was ist, Gringo? Antworte oder bringst du dein Maul nicht mehr auf, he?«

Saltillo hörte nicht mehr hin. Das Geräusch, das er vernahm, kam weder von der Seite, noch von gegenüber. Es war über ihm!

Sein Blick zuckte hoch. Und da hing an zwei zusammengeknoteten Reatas ein Mann direkt über ihm in der senkrechten Canyonwand, eine große, in weißes Leinen gehüllte, geschmeidige Gestalt.

El Muerte! Kein anderer aus Don Felipes Schießermannschaft hätte das riskiert.

Er befand sich noch mindestens zwölf Fuß über Saltillo. Dennoch ließ er sofort das Seil los. Saltillo wollte seinen Colt hochstoßen, sich zur Seite schleudern. Er schaffte beides nur halb. Wie ein riesiger Raubvogel stürzte das Yaqui-Halbblut auf ihn herab, riss ihn um, drückte ihn zu Boden.

Eine Faust wie eine Stahlklammer umschloss Saltillos Handgelenk, als er verzweifelt mit dem Paterson zuschlagen wollte. Dann dauerte es nur Sekunden, bis die anderen zur Stelle waren.

Fünf, sechs Gewehrläufe pressten den Tiger vom Rio Bravo in den Sand.

*

Die Nacht verbrachte Saltillo in einem Verlies, das so eng war, dass er darin weder aufrecht stehen, noch sich der Länge nach am Boden ausstrecken konnte.

»Rattenfalle« nannten die Kerle, die ihn mit Kolbenhieben und Tritten hineinstießen, höhnisch lachend dieses Loch. Als die schwere Bohlentür hinter dem Gefangenen zuklappte, fühlte er sich zwischen den kahlen, fensterlosen Wänden lebendig begraben. Texas, der Rio Bravo, die Hazienda am Alamo Creek das war wie die Erinnerung an einen Traum. Mehr schlecht als recht machte es sich Saltillo auf den paar Strohbündeln bequem, die auf dem Lehmboden lagen. Ruhen, schlafen, so unmöglich es schien, er versuchte es. Er ahnte, nein, wusste, dass der nächste Tag ihm alles abverlangen würde, was an Energie in ihm steckte.

Sie holten ihn im Morgengrauen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Das diesige Grau, das die Gebäude auf dem Minenplateau einhüllte, war noch vom kalten Atem der Sierra-Nacht durchdrungen. Laternen flackerten. Ein gleichmäßiges Schlurfen, Malmen und Klirren bewegte sich an Saltillos Gefängnis vorbei.

Als sie ihn packten, hinauszerrten, Gewehrmündungen in den Rücken stießen, sah er eine lange Reihe gefesselter Gestalten. In stumpfen Trott näherten sie sich den Minenstollen. Gelblicher Lichtschein fiel auf ausgezehrte Gesichter.

Peitschen knallten. Scharfe Rufe ertönten.

»Bewegt euch, ihr Faulpelze! Habt ihr nicht gut geschlafen, ihr verfluchten Perros? Adelante!«

Ein zerrissener Schrei gellte, als eine fauchende Peitschenschnur den Rücken eines in der Reihe Strauchelnden traf. Plötzlich bäumte Saltillo sich im harten Griff seiner Bewacher auf. Der junge Bursche, der gerade noch von dem neben ihm Stampfenden festgehalten wurde, war Miguel aus seinem Dorf! Und der andere...

»Valdez!«, rief Saltillo. Der Kopf des Mannes fuhr herum. Das Licht einer Laterne traf sein zerfurchtes, schnurrbärtiges Gesicht. Valdez’ Augen weiteten sich, sein Mund klappte auf. Da war schon die klotzige Gestalt eines Postens neben ihm. Ein wütender Fausthieb stieß den Gefangenen weiter.

»Wirst du wohl die Füße heben, Stinktier! Hier wird nicht gegafft! Pronto, die Arbeit wartet!«

Der Druck der Gewehre zwischen Saltillos Schulterblättern hatte sich sofort verstärkt. Sein Blick folgte den Davonschwankenden. Trotz der Dämmerung erkannte er, dass Valdez’ Leinenkittel auf dem Rücken von einer Peitsche total zerfetzt worden war. Das Rasseln der Ketten und das Schlurfen der nackten Füße im Sand krampften Saltillos Magen zusammen.

»Worauf wartet ihr? Bringt ihn her!«, spornte Don Felipes Stimme von der anderen Seite des Platzes die Bewacher an, die ihn umringten. Sie stießen ihn vorwärts.

 

Der Minenbesitzer erwartete sie auf der Veranda seines Hauses. Das Licht einer Petroleumlampe fiel aus der offenen Tür. Der würzige Duft von Kaffee und frischem Brot erinnerte Saltillo daran, wie hungrig er war.

Alvantarez war noch im Schlafmantel; ein chinesisches Drachenmuster verzierte den Seidenstoff. Eine dicke Zigarre steckte zwischen seinen Lippen. Hinter ihm lehnte El Muerte mit verschränkten Armen an der Wand. Sein breitknochiges Gesicht verriet weder Triumph, noch Hass oder sonst ein Gefühl.

Hände reibend, ein Grinsen auf dem feisten Gesicht, musterte der Don seinen Gefangenen.

»Eigentlich sollte ich dich an den Füßen in der Sonne aufhängen und dir jede Stunde zehn Peitschenhiebe verabreichen lassen, Gringo!«

In dem Augenblick klang die wilde, verzweifelte Erregung in Saltillo ab. Sein scharfliniges Gesicht versteinerte.

»Und warum tust du’s nicht?«, fragte er kalt.

Ein harter Stoß mit einem Gewehrkolben traf ihn. Don Felipe fächelte mit schwammiger Hand den Tabakqualm auseinander.

»Ich bin nun mal in erster Linie Geschäftsmann«, verkündete er ölig. »Deshalb ist mir das Gold im Berg wichtiger als dein räudiger Skalp. Ausserdem bist du zäh und kräftig, und Ortega wird schon drauf achten, dass du dich nicht vor der Arbeit drückst. Stimmt’s, Ortega?«

»Si, Patron!«, pflichtete ihm der Hagere mit dem silbernen Kruzifix auf der Brust hastig bei.

Alvantarez nahm die Zigarre aus dem Mund und kicherte.

»So stirbst du übrigens auch viel langsamer, verfluchter Tejano! Und nicht nur du! Da bringen sie ja auch schon den anderen. Gut geschlafen, Mortimer?«

Er lachte glucksend. Saltillo wandte den Kopf. Mehrere Bewaffnete schleppten Mortimer herbei. Eine lange Kette hing zwischen den Stahlklammem, die seine Handgelenke umspannten. Sein Gesicht war grau, übernächtig, die scharfen Linien darin noch deutlicher als sonst. Er straffte sich, als er Saltillo sah. Das Aufblitzen in seinen Augen verriet, dass sein lang genährter Hass keineswegs erloschen war. Im nächsten Moment ruckte er zu Felipe herum.

»Hör zu, Alvantarez! Alles war nur ein Missverständnis. Wenn du ...«

Ein klatschender Schlag verschloss ihm den Mund. Genießerisch paffte der Dicke an seiner Zigarre. Jetzt, da er sicher sein konnte, dass ihm keine Gefahr drohte, gefiel er sich wieder in der Rolle des selbstherrlichen Despoten.

»Die Zeiten ändern sich, Mortimer. Von jetzt an redest du nur, wenn ich dich was frage. Es gibt kein Geschäft mehr zwischen uns. Als du den Colt gezogen hast, obwohl dieser Bastard mich vor seinem Schießeisen hatte, hast du dich selbst zum Tod verurteilt. Zum Tod in meiner Mine.« Und mit einem erneuten Kichern: »Außerdem spar ich mir ’nen Haufen Geld für die Burschen, die mir deine Leute vom Rio Bravo gebracht haben.«

Mortimer. ballte die Fäuste. Aber er hatte begriffen, dass nichts mehr Alvantarez umstimmen konnte. Obwohl seine Bewacher nur darauf warteten, dass ein falsches Wort über seine Lippen kam, spuckte er aus.

»Erstick an deinen Pesos, fettes Schwein!«

Ein heftiger Hieb riss seinen Kopf nach hinten. Don Felipes kleine, stechende Augen glitzerten hinter dem Tabakqualm.

»Was meinst du, Ortega: Sind die beiden nicht ein prächtiges Gespann? Du darfst sie nur keinen Moment aus den Augen und die Peitsche nicht aus der Hand lassen. Bueno, Amigos, kettet sie zusammen und dann ab mit ihnen in den Berg! Wenn sie nicht fleißig sind, Ortega, dann lass sie die Peitsche schmecken.«

Er strahlte wieder, klopfte die Asche von seiner Zigarre und verschwand im Haus. El Muerte folgte ihm wie ein Schatten. Die Mexikaner zerrten Saltillo zu Mortimer. Schweigend starrten die beiden Todfeinde sich an. Schussbereite Waffen verhinderten, dass sie sich bewegten, als einer der Bewacher die Handschelle an Mortimers linkem Arm löste und sie gleich darauf an Saltillos rechtem Handgelenk verschraubte.

Eine armlange Kette baumelte nun zwischen Saltillo und Mortimer. Und der Schlüssel, der sie davon befreien konnte, verschwand im Gelächter der Pistoleros unter der Veranda vor Alvantarez’ Haus. Mortimers Zähne knirschten. Schweiß glänzte auf seinem und Saltillos Gesicht. Ortega baute sich drohend vor ihnen auf. Ein 36er Colt baumelte mit dem Kolben nach vorn an seiner linken Hüfte. Seine Peitschenschnur ringelte sich vor den Stiefeln der Gefangenen.

»Vorwärts! Und wenn ihr auch nur das geringste versucht, werdet ihr euch wünschen, nie geboren worden zu sein.«

Die Peitsche knallte, trieb sie über den großen Platz, auf dem das Grau sich allmählich zu lichten begann. Die anderen Gefangenen waren schon in den Stollen verschwunden. Laternen brannten dort drinnen. Hammer und Pickelschläge drangen dumpf heraus.

»Pronto, pronto!«, hetzte Ortega die Zusammengeketteten. Mortimer drehte sein hasszerfressenes Gesicht dem Mann vom Rio Bravo zu. Es war dieser maßlose Hass, der ihn in diese Situation gebracht hatte. Aber Mortimer gab nur Saltillo die Schuld.

»Bei der ersten Gelegenheit bring ich dich um, du Bastard, bevor ich selber da drin krepiere!«, zischte er auf englisch, damit Ortega ihn nicht verstand.

Ruhig ging Saltillo weiter.

»Spar dir deine Energie lieber für die Flucht auf«, erwiderte er kalt.

Sie waren knapp vor dem Stolleneingang. Ruckartig blieb Mortimer stehen. Die Kette spannte sich.

»Du bist verrückt, weißt nicht, wovon du sprichst!«, keuchte er. »Flucht? Das hat hier noch keiner geschafft.«

»Wir werden es schaffen«, erklärte Saltillo leise und entschlossen.

Dann fetzte Ortegas Peitsche über ihre Rücken. Während die Berggipfel im Osten von einem ersten Goldschimmer umspült wurden, jagte der hagere Mexikaner sie fluchend in den tunnelartigen Gang.

*

Alles, was Saltillo bisher an Strapazen und Entbehrungen erlebt hatte, erschien ihm nichtig im Vergleich zu den höllischen Stunden, bis es endlich Mittag war. Ein schriller Pfiff gab das Signal: Wo die Gefangenen gerade standen, ließen sie sich erschöpft und in Schweiß gebadet niedersinken. Ein Leben in der Wildnis und im Sattel hatte den großen Mann gestählt. Aber als nun jeder Minero eine Schüssel Maisbrei, einen Becher Wasser und ein Stück trockenes Brot bekam, zitterten seine Hände vor Aufregung noch so heftig, dass er kaum den Holzlöffel halten konnte. Mortimer, der zusammengesunken an der Stollenwand neben ihm lehnte, erging es nicht besser. Ortegas Peitsche hatte von seinem einstmals weißen Rüschenhemd nur Fetzen übrig gelassen.

Für den hageren Aufseher war Don Felipes Wort hier ebenso Gesetz wie für jeden anderen. Von der ersten Minute an hatten sie zu spüren bekommen, wie eifrig sich Ortega um die Ausführung von Don Felipes Befehl bemühte. Er hatte Saltillo und Mortimer an den Reihen der übrigen verbissen schuftenden Mineros vorbei zum Ende des Tunnels getrieben. Nur ein paar morsche Bretter und Stempel stützten dort die Decke. Dann hatte Ortega jedem eine Spitzhacke in die Hand gedrückt. Nachdem er sich in sicherem Abstand mit der Peitsche aufgebaut hatte, war die Schinderei losgegangen.

Zuerst hatte die Kette sie behindert. Schließlich hatten sie stillschweigend den richtigen Schlagrhythmus gefunden, der ihnen gegenseitig die notwendigste Bewegungsfreiheit ließ. Dazu kam. dass der Stollen an seinem Ende so niedrig war, dass sie die ganze Zeit gebückt stehen und so die längst stumpfen Werkzeuge gegen den Fels schmettern mussten.

Die Luft war stickig. Es hatte nur Minuten gedauert, bis ihnen der schweiß in Strömen über den Körper floss, Stunden dagegen, bis sie genug Geröll aus dem Berg geschlagen hatten, um die ersten Kipploren zu füllen.

Und immerzu blieb Ortega hinter ihnen. Jedes Mal, wenn ihre Muskeln erlahmt waren, wenn sie glaubten, die Lungen müssten gleich bersten, hatte seine verdammte Peitsche ihr Lied gesungen. Und so eng es auch war, Ortega hatte immer genug Schwung herausgeholt, dass sie die Zähne hatten zusammenbeißen müssen, um vor Wut und Schmerz nicht aufzuschreien.