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ad Ernst Fraenkel Der Doppelstaat

Alexander v. Brünneck

Horst Dreier

Michael Wildt

Europäische Verlagsanstalt

E-Book (ePub)

© CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2021

Alle Rechte vorbehalten.

Covergestaltung: Christian Wöhrl, Hoisdorf

Signet: Dorothee Wallner nach Caspar Neher »Europa« (1945)

ePub:

ISBN 978-3-86393-569-6

Auch als gedrucktes Buch erhältlich:

© CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2021

Print: ISBN 978-3-86393-113-1

Informationen zu unserem Verlagsprogramm finden Sie im Internet unter

www.europaeische-verlagsanstalt.de

Inhalt

Alexander v. Brünneck

Der Doppelstaat von Ernst Fraenkel

1.Leben und Werk Ernst Fraenkels

2.These und Ansatz des Doppelstaates

3.Der Urdoppelstaat von 1938

4.Der Dual State von 1941

5.Der Doppelstaat von 1974

Anmerkungen

Horst Dreier

Was ist doppelt am „Doppelstaat“?

I.Zur Geschichte des Buches

II. Zur Rezeption des Doppelstaates

III. Doppelstaat als Dualismus von Partei und Staat?

IV. Der Doppelstaat in der Definition Ernst Fraenkels

V.Phänomenologie des Maßnahmenstaates

VI. Das Verhältnis zum Normenstaat

VII. Resümee

Anmerkungen

Michael Wildt

Die politische Ordnung der Volksgemeinschaft

Ernst Fraenkels Doppelstaat reconsidered

Kollektive Demokratie

Normen- und Maßnahmenstaat

Der Ausnahmezustand als Ordnung

Grenzen der Volksgemeinschaft

Anmerkungen

Alexander v. Brünneck

Der Doppelstaat von Ernst Fraenkel

Ein Überblick

1.Leben und Werk Ernst Fraenkels

Ernst Fraenkel (1898–1975) gehört zu den wichtigsten deutschen Politikwissenschaftlern. Er schrieb bis heute grundlegende Arbeiten zu vier politischen Systemen: über die Weimarer Republik, über den Nationalsozialismus, über die USA und über die Bundesrepublik Deutschland. Alle seine Schriften entstanden aus der unmittelbaren Anschauung eines theoretisch gebildeten, praktisch engagierten und politisch sensiblen Zeitgenossen. Fraenkels Gesammelte Schriften erschienen 1999 bis 2011 als Gesamtausgabe in sechs Bänden. Sein Leben wurde 2009 umfassend dargestellt von Simone Ladwig-Winters.1

Fraenkel promovierte 1923 in Frankfurt am Main bei Hugo Sinzheimer, einem der Begründer des deutschen Arbeitsrechts. 1927 wurde er Anwalt in Berlin. Er war Syndikus des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes und vertrat die SPD in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten. In vielen Publikationen stritt er leidenschaftlich für die Erhaltung der Demokratie der Weimarer Republik.2 In einer dieser Veröffentlichungen formulierte Fraenkel als erster Autor das Konzept des konstruktiven Mißtrauensvotums, das 1949 in Art. 67 GG geltendes Verfassungsrecht wurde.

Die Nationalsozialisten beließen Fraenkel wegen seiner freiwilligen Teilnahme am ersten Weltkrieg – in immer beschränkterem Umfang – die Möglichkeit zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufes. Er vertrat Gegner des Regimes und beteiligte sich an der Widerstandsarbeit des »Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK)«. Für dessen in Paris erscheinende Zeitschrift »Sozialistische Warte« schrieb er sechs Artikel, die z. T. in Deutschland als Flugblätter verteilt wurden. Rechtzeitig gewarnt floh Fraenkel am 20. September 1938 aus Berlin in die USA. Das bleibende Ergebnis seiner Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ist sein Buch »Der Doppelstaat3«.

Von 1939 bis 1941 absolvierte Fraenkel ein Studium des amerikanischen Rechts an der Law School der University of Chicago. Während des Krieges publizierte er in den USA zwei Bücher: die englische Fassung des »Doppelstaats« unter dem Titel »The Dual State«4 und die im Blick auf die bevorstehende Besetzung Deutschlands verfaßte Studie »Military Occupation and the Rule of Law«.5 Von 1945 bis 1950 arbeitete Fraenkel als Rechtsberater bei amerikanischen Behörden in Korea.6

1951 kehrte Fraenkel nach Deutschland zurück. Seitdem lehrte er Politikwissenschaft am späteren Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Über zwanzig Jahre lang entwickelte er eine ungewöhnlich erfolgreiche Publikations- und Vortragstätigkeit zu zentralen Themen der Politikwissenschaft: In umfangreichen Amerikastudien vermittelte er der deutschen Öffentlichkeit die Prinzipien, Institutionen und Verfahren der amerikanischen Demokratie.7 Grundlegend für das Selbstverständnis der deutschen Demokratie wurden seine verbreiteten Arbeiten zur Theorie und Verfassung des Pluralismus. Sein zuerst 1964 publizierter Sammelband »Deutschland und die westlichen Demokratien« erschien in neun Auflagen.8 Fraenkels Pluralismusstudien bilden bis heute einen zentralen Bezugspunkt für die Debatten über die Konkretisierung des Demokratiegebotes des Grundgesetzes. In allen seinen neueren Arbeiten kam es Fraenkel entscheidend darauf an, Deutschland in den Kreis der westlichen Demokratien einzuführen, als deren Gegenbild er den Doppelstaat der NS-Zeit erlebt und erlitten hatte.

2. These und Ansatz des Doppelstaates

Die These des Doppelstaates9 ist, daß das nationalsozialistische Herrschaftssystem in zwei große Bereiche zerfällt: Im Normenstaat gelten alte und neue Vorschriften in dem Umfang, wie es zur Funktionsfähigkeit des auf Berechenbarkeit angelegten, im Prinzip weiter privatkapitalistisch strukturierten Wirtschaftssystems erforderlich ist. Im Maßnahmenstaat handeln die nationalsozialistischen Funktionsträger unabhängig von allen formalen Regeln und inhaltlichen Gerechtigkeitsvorstellungen so, wie es ihnen zur Erhaltung ihrer Macht und zur Durchsetzung ihrer spezifischen politischen Ziele – z.B. der Judenverfolgung – zweckmäßig scheint. Im Zweifel setzen sich die Prinzipien des Maßnahmenstaates gegen die des Normenstaates durch. Dieser Bezugsrahmen hat sich in vielen empirischen und theoretischen Studien als plausibel erwiesen.10

Das Spezifische des Ansatzes von Fraenkel besteht in der besonderen Form seines empirischen Zuganges: Er beschreibt die Funktionsweise des nationalsozialistischen Herrschaftssystems aus der unmittelbaren Anschauung eines Mitlebenden und Mitleidenden. Er greift aus der Fülle der politischen, administrativen und judikativen Vorgänge die typischen Beispiele heraus, wie sie nur einem wissenschaftlich und praktisch erfahrenen Autor erkennbar sind. Die von ihm ausgewählten Fälle und Tatsachen analysiert er exemplarisch im Hinblick auf ihre verallgemeinerungsfähigen Hintergründe und Konsequenzen.

Das Phänomen des Doppelstaates erklärt Fraenkel auf mehreren Ebenen: Er leitet den Doppelstaat aus sozialen, ökonomischen und politischen Interessenlagen ab. Er entwickelt den Doppelstaat aus der deutschen Staatstradition und aus den deutschen antidemokratischen Ideologien, wie sie maßgeblich bei Carl Schmitt ihren Ausdruck gefunden hatten.

Der Ansatz der Argumentation im Doppelstaat hebt sich deutlich von der Pluralismustheorie ab, die Fraenkel im Kern schon vor 1933, in ausgearbeiteter Form nach 1960 vertrat. Das ist jedoch keine theoretische Inkonsequenz, sondern notwendiger Ausdruck der unterschiedlichen Problemlagen. Der Pluralismus ist bei Fraenkel ein normatives Konzept zur Ausfüllung der Demokratiegebote der Weimarer Verfassung und des Grundgesetzes. In diesen Kategorien konnte der Nationalsozialismus nicht erfaßt werden. Im Doppelstaat ging es darum, die Erscheinungsformen und Gründe für die Vernichtung des Pluralismus zu untersuchen. Für diese Fragestellung liefert der im Doppelstaat entwickelte Ansatz ein bis heute gültiges originäres Konzept.

Ernst Fraenkels Doppelstaat ist ein Standardwerk über die Politik, die Justiz und das Recht im Nationalsozialismus. In den USA, in Großbritannien, in Deutschland und Italien erlangte der Doppelstaat den Rang eines Klassikers in der Literatur über die nationalsozialistische Epoche.

3. Der Urdoppelstaat von 1938

Die erste Fassung des Doppelstaates schrieb Fraenkel in Berlin in den Jahren 1936 bis 1938 unter den demütigenden Umständen, die ihm als Juden und bekannten sozialdemokratischen Gegner des Regimes auferlegt wurden.11 Er bezeichnete das 1938 abgeschlossene Manuskript selbst als den Urdoppelstaat.12 Veröffentlicht wurde der Urdoppelstaat von 1938 erstmals 1999 in Ernst Fraenkels Gesammelten Schriften, Bd. 2, S. 267 bis 473.13

Wie Fraenkel selbst bemerkte,14 beruht die Argumentation des Urdoppelstaates ganz wesentlich auf den Erfahrungen seiner Anwaltstätigkeit von 1933 bis 1938.15 Fraenkel verstand die heimliche und mühevolle Ausarbeitung des Urdoppelstaates nicht nur als wissenschaftliche, sondern auch als politische Aufgabe. Das Buch sollte die damals in Deutschland verbreiteten Illusionen über die Möglichkeiten einer jedenfalls teilweisen Erhaltung des herkömmlichen Rechtssystems bekämpfen. Es sollte den hinter der Aufrechterhaltung traditioneller Fassaden verborgenen wahren Charakter des Regimes entschleiern.

Im formalen Aufbau und in der Gliederung bildet der Urdoppelstaat von 1938 weitgehend die Vorlage für die als Bücher publizierten Fassungen des Dual State von 1941 und des Doppelstaates von 1974. Im Vergleich mit dem Doppelstaat von 1941/74 ist der Urdoppelstaat leidenschaftlicher, in den Formulierungen pointierter, in den Schlußfolgerungen zugespitzter. Man merkt der Urfassung noch deutlicher als den späteren Fassungen an, daß sie Fraenkel unter dem übermächtigen Druck der »bürokratisierten Rechtlosigkeit« niedergeschrieben hatte, wie er seine damaligen Lebensbedingungen in der Widmung des Doppelstaates an seine Frau Hanna Fraenkel, geb. Pickel, im Jahre 1974 charakterisierte.16 In der Sprache und der Begrifflichkeit des Urdoppelstaates schlägt sich noch mehr als in der Fassung von 1941/74 das Bemühen Fraenkels nieder, den Zeitgenossen die Augen über das Regime zu öffnen und einen eigenen Beitrag zum Widerstand gegen das Unrecht zu leisten.

Vor allem ist hervorzuheben: Der Urdoppelstaat von 1938 ist ein singuläres historisches Dokument. Er ist – was bisher in der Literatur nicht bemerkt wurde – die einzige innerhalb Deutschlands während der nationalsozialistischen Zeit ausgearbeitete umfassende kritische Analyse des Regimes.17 Nur Fraenkel selbst wies darauf hin, daß der Urdoppelstaat »die einzige wissenschaftliche Untersuchung ist, die in der ›inneren Emigration‹ entstanden ist«.18

Der Urdoppelstaat ist ein Beleg dafür, daß es bis 1938 in Deutschland möglich war, anhand der allgemein zugänglichen Informationen das nationalsozialistische Herrschaftssystem empirisch zu untersuchen und es in praktisch-politischer Absicht theoretisch zu analysieren. Der Urdoppelstaat zeigt, daß es auch unter den Bedingungen des Nationalsozialismus die Möglichkeit gab, auf rechts- und sozialwissenschaftlichem Gebiet unabhängig zu arbeiten. – Aber niemand außer Ernst Fraenkel schrieb ein vergleichbares Werk.

4. Der Dual State von 1941

Es gelang Fraenkel, das Manuskript des Urdoppelstaates von 1938 in französischem Diplomatengepäck aus Deutschland ins westliche Ausland bringen zu lassen. Nach seiner Flucht am 20. September 1938 aus Berlin in die USA arbeitete Fraenkel das Manuskript für eine englische Übersetzung um. Weil das Buch jetzt nicht mehr für deutsche Leser, sondern für die amerikanische und englische Öffentlichkeit bestimmt war, trat der Charakter einer wissenschaftlichen Analyse des nationalsozialistischen Herrschaftssystems stärker hervor. Viele Passagen wurden abgemildert oder ergänzt. Neue Gedankengänge wurden eingefügt, die dem angelsächsischen Leser das Verständnis erleichtern sollten. Um die englische Übersetzung des Begriffes Maßnahmenstaat in »Prerogative State« plausibel zu machen, fügte Fraenkel z. B. eine Abgrenzung zum Begriff der »Prerogative« bei John Locke ein19. Durch diese Überarbeitung gewann der Doppelstaat an analytischer Schärfe und Überzeugungskraft.

Die englische Übersetzung von E. A. Shils erschien um die Jahreswende 1940/41 unter dem Titel »The Dual State« in der Oxford University Press, New York. Der Dual State fand sofort große Aufmerksamkeit in der amerikanischen und englischen Öffentlichkeit.20

Bereits 1942 veröffentlichte Franz Neumann in New York mit dem »Behemoth« die zweite große Analyse des nationalsozialistischen Herrschaftssystems. Er widersprach darin offen der zentralen These des Doppelstaates.21 Über den »Behemoth« publizierte Ernst Fraenkel 1942 eine Rezension, in der er sich Franz Neumanns theoretischem Ansatz weithin anschloß.22

Aus heutiger Sicht stellt sich das Verhältnis zwischen »Dual State« und »Behemoth« so dar: Während sich die Untersuchung Fraenkels auf die Zeit bis 1938 beschränkt, steht bei Franz Neumann das Dritte Reich der unmittelbaren Vorkriegs- und der Kriegszeit im Mittelpunkt. Man kann den Behemoth als historische Fortentwicklung des Doppelstaates verstehen. Unter dem Eindruck der Vorbereitung und Durchführung des Krieges erweiterte sich der Maßnahmenstaat zu dem alles verschlingenden Unstaat, den Franz Neumann mit dem Namen des alttestamentarischen Ungeheuers Behemoth kennzeichnete. Die beiden großen Bücher der Freunde23 Ernst Fraenkel und Franz Neumann über den Nationalsozialismus stehen nicht in einem unauflösbaren Gegensatz. Sie ergänzen sich, weil sie unterschiedliche Entwicklungsphasen des Regimes analysieren.

Der Doppelstaat war in seiner englischen Fassung nach 1945 nur in wenigen Exemplaren in Deutschland verfügbar, die meist nur mit Schwierigkeiten über die Fernleihe zu beschaffen waren. Die erste Rezension des Dual State in einer deutschen Fachzeitschrift erschien 1969 in der Kritischen Justiz; die erste Besprechung in der deutschen Presse war ein Artikel von Helmut Ridder 1970 in der ZEIT.24 Unter diesen Umständen blieb die Rezeption des Doppelstaates zunächst begrenzt. Karl Dietrich Bracher z. B. bezeichnete in seinem zuerst 1969 erschienenen Standardwerk »Die deutsche Diktatur« Ernst Fraenkels Doppelstaat zwar – in einer Fußnote – als »grundlegend«, setzte sich damit aber nicht inhaltlich auseinander.25 In entsprechender Weise erwähnte das ebenfalls zuerst 1969 erschienene, weitverbreitete Taschenbuch von Martin Broszat »Der Staat Hitlers« den Doppelstaat lediglich an einer Stelle.26

5. Der Doppelstaat von 1974

Fraenkel befaßte sich nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Jahre 1951 nur noch am Rande seiner umfassenden wissenschaftlichen Tätigkeit mit dem Nationalsozialismus. Seit den sechziger Jahren schlugen ihm viele Kollegen und mehrere Verlage eine deutsche Ausgabe des Doppelstaates vor.27 Er sträubte sich lange Zeit dagegen. Möglicherweise fürchtete er, daß aus den historischen und theoretischen Teilen des Doppelstaates, insbesondere aus seiner Kapitalismuskritik, Einwände gegen die von ihm seit Ende der fünfziger Jahre entwickelte Pluralismus-Konzeption abgeleitet werden könnten. Vor allem scheute er die Wiederbegegnung mit der nationalsozialistischen Epoche, unter der er so gelitten hatte.

Nachdem 1969 ein unveränderter Nachdruck des Dual State bei Octagon Books, New York, erschienen war, vereinbarte Fraenkel auf vielfaches Drängen 1971 mit der Europäischen Verlagsanstalt in Frankfurt am Main eine deutsche Ausgabe des Doppelstaates. Da die deutsche Vorlage für die Übersetzung ins Englische von 1940 nicht erhalten war, mußte eine Rückübersetzung des englischen Textes angefertigt werden. Fraenkel wollte diese Aufgabe auf keinen Fall selbst übernehmen, wie er in einem Brief vom 8. April 1970 schrieb:

»Von einem können Sie mich nicht abbringen: ich werde diese Übersetzung nicht selber vornehmen. Dies ist nicht nur ein Zeit-, sondern auch ein seelisches Problem. Ich habe mehr als 5 Jahre unter dem Naziregime in Berlin als Anwalt praktiziert und ich habe mir, was ich damals auf dem Herzen hatte, im Doppelstaat aus der Seele geschrieben. Als der Krieg ausbrach, habe ich einen Strich unter meine bisherige Beschäftigung mit dem Dritten Reich gezogen und in den verflossenen drei Jahrzehnten nichts mehr über diesen Fragenkomplex veröffentlicht und auch nicht über Nationalsozialismus gelesen. Ich glaube, durch Abfassung des Dual State das meine zur theoretischen Klärung dieses Problemkreises beigetragen zu haben, ich habe die einschlägige Literatur bis zum physischen Ekel gelesen und kann es nicht über mich bringen, nochmals in diese ›Materie‹ hineinzusteigen. Dies wäre aber unvermeidlich, wenn ich die Übersetzung vornähme oder auch nur maßgeblich an ihr beteiligt wäre.«28

Es gelang schließlich, für die Übersetzung die damalige Studienrätin Manuela Schöps zu gewinnen, die am Otto-Suhr-Institut bei Fraenkel studiert hatte und mit seinem Werk und seiner Denkweise vertraut war. Je mehr die Übersetzung voranschritt, desto mehr befaßte sich Fraenkel wieder selbst mit dem Doppelstaat. Er redigierte schließlich den gesamten Text sehr sorgfältig. Bis zur Überprüfung vieler Anmerkungen wirkte er an allen Detailproblemen der Erstellung der deutschen Fassung mit.

Inhaltlich nahm Fraenkel nur geringe Veränderungen der englischen Vorlage vor. Er strich insbesondere die oben erwähnten Ausführungen über die »Prerogative« bei Locke, weil er meinte, daß sie für den deutschen Leser nicht nachvollziehbar seien. Einige Literaturnachweise stellte Fraenkel auf neuere, leichter zugängliche Ausgaben um. Mehrere Anmerkungen wurden durch neuere Literaturangaben ergänzt, andere entfielen, weil sie für den deutschen Leser überflüssige Nachweise enthielten.

Die – oft von Krankheitsperioden unterbrochene – intensive Beschäftigung mit der deutschen Ausgabe des Doppelstaates wurde zu Fraenkels letzter großer wissenschaftlicher Aufgabe. Je mehr er wieder an dem Doppelstaat arbeitete, desto mehr sah er darin ein Kernstück seines wissenschaftlichen Vermächtnisses. Drei Monate, nachdem der Doppelstaat im Dezember 1974 auf deutsch erschienen war, starb Fraenkel am 28. März 1975 in Berlin.

Die deutsche Fassung des Doppelstaates fand große Verbreitung und Anerkennung. Die Begriffe Doppelstaat, Normenstaat und Maßnahmenstaat wurden nach 1974 in der wissenschaftlichen Literatur über den Nationalsozialismus umfassend rezipiert. Das Bundessozialgericht übernahm Fraenkels Begrifflichkeit in einem Grundsatzurteil vom 11. Sept. 1991, in dem es die Todesurteilspraxis der Wehrmachtsgerichte dem Maßnahmenstaat zuordnete.29

Eine italienische Übersetzung erschien unter dem Titel »Il doppio Stato« mit einer Einführung von Noberto Bobbio 1983 in Turin bei Einaudi.30

Eine neue Ausgabe der englischen Fassung von 1941 erschien 2017 bei Oxford University Press.31 Herausgeber Jens Meierhenrich behandelt im Vorwort »An Ethnography of Nazi Law: The Intellectual Foundations of Ernst Fraenkel’s Theory of Dictatorship« auch die Rezeption des »Dual State« in der englischen und amerikanischen Literatur.

Eine auf neue Quellen gestützte Untersuchung zu Fraenkels Tätigkeiten in Berlin zwischen 1933 und 1938 als einfallsreicher Rechtsanwalt, mutiger Gegner des Regimes und theoretisch gebildeter Autor engagierter publizistischer und wissenschaftlicher Schriften veröffentlichte Douglas G. Morris 2020 bei Cambridge University Press.32

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