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c) Vermögensschaden in der Form des Erfüllungsbetrugs zulasten des Auftraggebers

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Beim sog. Erfüllungsbetrug ist der Schaden mittels eines Vergleichs des vertraglichen Anspruches, den der Verletzte vor der Täuschung – die nach Vertragsabschluss und oft im Zusammenhang mit der Erfüllung erfolgt – hatte, und mit dem, was er tatsächlich durch die Erfüllung erlangt hat, zu ermitteln.[92] Nach dem BGH in der „Rheinausbau I“- Entscheidung kam zulasten des Auftraggebers unter Rückgriff auf die – heute nicht mehr gültige[93] – Regelung aus §§ 5 Abs. 3, 7, 9 VO PR 1/72 auch das Vorliegen eines Erfüllungsbetruges in Betracht, weil danach nur auf der Basis des Selbstkostenfestpreises zuzüglich einer sechsprozentigen Gewinnmarge abgerechnet werden durfte.[94] Nach Auffassung des BGH wäre dann unabhängig von der Höhe des hypothetischen Wettbewerbspreises ein Vermögensschaden begründet, wenn ein so berechneter Preis von dem vereinbarten Preis (Zuschlag) überschritten worden wäre, da der vereinbarte Preis dann laut der oben genannten Vorschrift automatisch auf den Selbstkostenfestpreis herabgesetzt wird.[95] Ersichtlich kommt ein Erfüllungsbetrug auf vorgenannter Basis nicht mehr in Betracht, da es seit 1999 an einer rechtlichen Grundlage für die Herabsetzung des Preises auf den Selbstkostenpreis mangelt. Die Ermittlung des Selbstkostenpreises dürfte zudem davon abhängig sein, ob Kalkulationsunterlagen des Bieters noch zur Verfügung stehen.[96]

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In derselben Entscheidung stellte der BGH in einem obiter dictum in den Raum, dass von einem Erfüllungsbetrug auch angesichts eines täuschungsbedingten Verzichts des Auftraggebers auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber den Kartellteilnehmern auszugehen sein könnte.[97] Zurecht ist dieser Auffassung ein anderer Senat des BGH mit dem Hinweis entgegengetreten, dass das fehlende Geltendmachen von Schadensersatzansprüchen auf der Basis des durch die Täuschung über die Submissionsabsprache verursachten Irrtums lediglich eine mittelbare Folge der auf das Erlangen des Auftrags gerichteten Tat (§ 263 StGB) sei.[98] In der Rechtsprechung ist aber anerkannt, dass die Vermögensverfügung den Vermögensschaden unmittelbar herbeizuführen hat;[99] die (Nicht-)Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen aufgrund einer Täuschung setzt aber voraus, dass zunächst durch die Erteilung eines überhöhten Zuschlags aufgrund derselben Täuschung der Schaden bereits eingetreten ist. Zudem fehlt es ersichtlich am erforderlichen Zurechnungszusammenhang zwischen Täuschung, Irrtum und Schaden,[100] da sich in der Nichtgeltendmachung von Schadensersatzansprüchen nicht die primär geschaffene Selbstschädigungsgefahr verwirklicht, sondern die Zuschlagserteilung. Praktisch dürfte deshalb der Erfüllungsbetrug keine Rolle mehr spielen.

d) Eingehungsbetrug zu Lasten der Mitbewerber

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Schließlich kommt im Rahmen einer Submissionsabsprache ein Betrug durch die Teilnehmer zu Ungunsten von redlichen – unbeteiligten – Mitbewerbern in Betracht.[101] Hinsichtlich der Täuschung durch Angebotsabgabe und des Irrtums ergeben sich zu den bisherigen Konstellationen Unterschiede. Hier könnte ein Dreiecksbetrug (Auseinanderfallen von Verfügendem und Geschädigtem)[102] angenommen werden, denn indem die Angestellten der Vergabestelle sich über das Nichtbestehen eines Submissionskartells irren und deshalb den Zuschlag an den herausgestellten Bieter des Kartells erteilen, könnten sie über das Vermögen des aussichtsreichsten Mitbewerbers – eine Anwartschaft bzgl. der Erteilung des Zuschlags – verfügen. Die Täter würden über das Angebot auf Basis der Submissionsabsprache, wenn die Absprache den Zuschlag an das herausgestellte Gebot bewirkt, zugleich den Zuschlag an den Kartellaußenseiter mit dem (im Übrigen) günstigsten Gebot verhindern.[103]

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Ein Schaden für das Vermögen des übervorteilten Mitbewerbers liegt aber nur dann vor, wenn seine Erwerbsaussicht im Rahmen des Ausschreibungsverfahren bereits insofern konkretisiert war, als der Wirtschaftsverkehr ihr einen eigenen Vermögenswert zuerkennt (sog. vermögenswerte Exspektanz) und diese durch den Zuschlag entzogen wurde;[104] mangels hinreichender Wahrscheinlichkeit des Zuschlags kann man davon in der Praxis zumeist nicht ausgehen, denn wenn das Angebot des Außenseiters trotz des Kartells nicht angenommen wurde, dürfte dessen Angebot ebenfalls über dem Nullpreis des Kartells und damit – außer bei Notkartellen (s.o.) – vielfach auch über dem Marktwert der ausgeschriebenen Leistung gelegen haben.[105] Die Wahrscheinlichkeit eines Zuschlags ist damit regelmäßig so gering, dass ihr der Geschäftsverkehr noch keinen Vermögenswert zumisst und daher kein Betrug vorliegt. Mangels Vermögensschadens liegt also insoweit kein Betrug vor.[106]

III. Subjektiver Tatbestand

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Hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale des Betrugs (Täuschung, Irrtum, Vermögensverfügung, Vermögensschaden) und des durchlaufenden Kausalzusammenhangs bedarf es mindestens eines Eventualvorsatzes (§ 15 StGB), wobei nach der Formel der herrschenden Meinung ein für möglich halten und akzeptieren der Verwirklichung des Straftatbestandes ausreicht.[107] Normative Tatbestandsmerkmale bzw. deren Elemente müssen nicht nach ihrer genauen rechtlichen Bedeutung und Herleitung erfasst werden, ausreichend ist vielmehr eine zutreffende Erfassung der sozialen Handlung (Parallelwertung in der Laiensphäre).[108] (Nachweis-)Probleme ergeben sich hier regelmäßig allenfalls im Bereich des Vorsatzes bezüglich des Vermögensschadens, sofern die oben genannten Ausnahmefälle vorliegen.

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Hinsichtlich der zusätzlich erforderlichen rechtswidrigen Bereicherungsabsicht[109] liegt diese bei dem Bieter des herausgestellten bzw. geschützten Gebots regelmäßig zu eigenen Gunsten vor. Bei den anderen Angehörigen des Submissionskartells liegt typischerweise unmittelbar eine – rechtlich ausreichende – Drittbereicherungsabsicht zugunsten des Bieters des herausgestellten/geschützten Gebots vor, auch wenn dies lediglich Mittel zum Zweck der eigenen Bereicherung (Ausgleichszahlungen) ist.[110]

C. Wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen (§ 298 StGB)

I. Hintergrund der Regelung

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Die Vorschrift des § 298 StGB, die – im tatbestandlich umschriebenen Umfang – „Wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen“ unter Strafe stellt, wurde mit dem Korruptionsbekämpfungsgesetz v. 13.8.1997 eingeführt. Durch das Siebte Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen v. 1.7.2005[111]– welches die EG-KartellverfahrensVO 1/2003 v. 16.12.2002 umsetzte – haben sich für die Vorschrift des § 298 StGB wesentliche Veränderungen ergeben; so untersagt § 1 GWB seither alle Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen zur Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs ungeachtet der Tatsache, ob es sich dabei um horizontale oder vertikale Wettbewerbsbeschränkungen handelt.[112] Diese vorher in den §§ 1–13 GWB a.F. und §§ 14–18 GWB a.F. vorgesehene Unterscheidung ist somit für § 298 StGB ab Juli 2005 gegenstandslos geworden.[113] Eine redaktionelle Folgeänderung erfolgte mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Korruption v. 20.11.2015 mit Wirkung v. 26.11.2015, wonach der Begriff der „Dienstleistungen“ den vormaligen Begriff der „gewerblichen Leistungen“ – entsprechend dem UWG – ersetzte.[114] Aufgrund des Gesetzes zur Einführung eines Wettbewerbsregisters und zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen v. 18.7.2017 erfolgt nunmehr eine umfassende Dokumentation rechtskräftiger Entscheidungen u.a. zu § 298 StGB.[115]

II. Rechtsgut

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Die Vorschrift des § 298 StGB schützt nach herrschender Meinung den freien Wettbewerb bei Ausschreibungen.[116] Im Vordergrund steht bei § 298 StGB die Freiheit der Marktkonkurrenz vor unlauteren, nicht offenbarten Einflüssen, die das Austauschverhältnis v. Waren und Leistungen einseitig zugunsten eines Beteiligten verzerren, wodurch das Funktionieren des auf dem Leistungsprinzip beruhenden Wettbewerbs sichergestellt werden soll.[117] Das in hohem Maße von gesetzlichen Vorgaben bestimmte und vielfältigen Wandlungen unterworfene Rechtsgut genügt verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsvorgaben, da und soweit eine rechtsstaatlich klare Begrenzung des Unrechtstatbestandes des § 298 StGB durch die Inbezugnahme der Vorschriften des GWB bzw. der Regelungen der Vergabeverordnung und der Vergabeordnungen erfolgt.[118] Entscheidend ist, dass der Täter gegen die Rechtsregeln verstößt, die die Rechtsordnung zum Schutze des freien Wettbewerbs in dem fraglichen Bereich getroffen hat, wie sich aus der Überschrift des 26. Abschnitts des Strafgesetzbuchs und aus der Ausgestaltung des Straftatbestandes und darüber hinaus aus der Inbezugnahme des GWB durch das Tatbestandsmerkmal der rechtswidrigen Absprache ergibt, die auf § 1 GWB verweist.[119]

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Der Schutz des Vermögens der (möglichen) Mitbewerber ist nach h.M. ebenfalls Schutzzweck des § 298 StGB.[120] Gegen den unmittelbaren Vermögensschutz spricht jedoch insbesondere die aktuelle Ausgestaltung des Gesetzes, das gerade nicht auf den Eintritt eines Vermögensschadens abstellt; selbst wenn ein Vermögensschaden mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann und der Täter dies wusste, liegen die Voraussetzungen des § 298 StGB vor; die Interessen der Mitbewerber werden daher durch § 298 StGB lediglich mittelbar (mit-)geschützt, was aber nur bedeutet, dass dieser Schutz eine typische und erwünschte Folge der Strafdrohung für Submissionsabsprachen bildet.[121] Der typischen Gefährdung des Vermögens des Veranstalters soll nach herrschender Meinung durch § 298 StGB entgegengewirkt werden, da die Einschränkung des Angebotswettbewerbs durch Submissionsabsprachen regelmäßig die Gefahr höherer Preise mit sich bringt.[122]

III. Deliktsnatur und Tatbestandsstruktur

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§ 298 StGB wird überwiegend als abstraktes Gefährdungsdelikt angesehen.[123] Da im Tatbestand des § 298 StGB zum Ausdruck kommt, dass mit dem Merkmal der „rechtswidrigen“ Absprache auf das allgemeine Kartellverbot (§ 1 GWB) Bezug genommen wird, ist die Reichweite des tatbestandlichen Verbotes akzessorisch zum Kartellrecht zu bestimmen und § 298 StGB als Blanketttatbestand zu verstehen; ein Verhalten, das nach allgemeinem Kartellrecht erlaubt ist, stellt erst recht im Rahmen des § 298 StGB kein strafwürdiges Unrecht dar.[124] Eine vom Gesetzgeber vorgenommene Einschränkung des allgemeinen Kartellverbotes führt daher unmittelbar zu einer Reduzierung des tatbestandlichen Verbotes, so dass § 298 StGB zutreffend als unechte Blankettnorm verstanden wird, die durch die Bestimmungen des GWB als Ausfüllungsnormen ergänzt wird.[125] Umgekehrt wird damit nicht jede Verschärfung des allgemeinen Kartellrechts in § 298 StGB übernommen, denn der Gesetzgeber hat in § 298 StGB bewusst nur einen Ausschnitt des allgemeinen Kartellverbotes kriminalisiert; es ist eine Frage der Auslegung, ob das kartellrechtswidrige Verhalten von Wortlaut und ratio des Straftatbestandes erfasst wird.[126] Eine gesetzliche Ausweitung des Kartellverbotes kann jedoch wegen des Rückwirkungsverbotes (Art. 103 Abs. 2 GG) keinesfalls die Strafbarkeit einer Tat begründen, die zur Zeit ihrer Begehung kartellrechtlich zulässig war; umgekehrt kann die Erweiterung einer gesetzlichen Freistellungsregelung nach der lex-mitior-Regelung (§ 2 Abs. 3 StGB) auch die Strafbarkeit einer bereits abgeschlossenen Tat ausschließen.[127]

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§ 298 StGB ist ein Allgemeindelikt, das von jedermann begangen werden kann; es handelt sich nach allgemeiner Ansicht nicht um ein Sonderdelikt; nach dem Wortlaut kann auch ein Nichtkartellmitglied Täter einer wettbewerbsbeschränkenden Absprache bei Ausschreibungen sein.[128] Allerdings kann sich eine Begrenzung des Täterkreises daraus ergeben, dass die Absprache rechtswidrig sein und das Angebot hierauf beruhen muss.[129]

IV. Kontext der Tat: Ausschreibung über Waren oder gewerbliche Leistungen

1. Begriff der Ausschreibung

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Der Anwendungsbereich des Tatbestands des § 298 StGB erfasst zunächst den Wettbewerb im Ausschreibungsverfahren (§ 298 Abs. 1 StGB). Eine Ausschreibung ist – allgemein definiert – ein Verfahren, mit dem ein Veranstalter Angebote von mehreren Anbietern einholt, um unter den Bedingungen eines freien Wettbewerbs das für den Veranstalter günstigste Angebot zu ermitteln.[130] Ausschreibungen sind zunächst Vergabeverfahren der öffentlichen Hand; einbezogen sind die Öffentliche Ausschreibung (VOB/A[131] bzw. VOL/A[132], je Abschnitt 1 § 3 Nr 1 Abs 1) sowie oberhalb der EU-Schwellenwerte nach § 100 GWB i.V.m. § 2 VgV das dieser entsprechende Offene Verfahren nach § 119 Abs. 3 GWB (VOB/A Abschnitt 2 § 3a Nr. 1 a bzw. VOL/A Abschnitt 2 § 3a Nr. 1 Abs. 1), die auf aufgeforderte Unternehmen begrenzte Beschränkte Ausschreibung nach § 119 Abs. 4 GWB (VOB/A bzw VOL/A, je Abschnitt 1 § 3 Abs 2)[133] und das entsprechende Nichtoffene Verfahren (VOB/A Abschnitt 2 § 3a Nr. 1b bzw. VOL/A Abschnitt 2 § 3a Nr. 1 Abs. 2). Erfasst werden aber nach h.M. auch Ausschreibungen privater Unternehmen, wenn das Vergabeverfahren in Anlehnung an die Bestimmungen der VOB/A oder VOL/A ausgestaltet ist.[134]

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Als Gegenstand der Ausschreibung i.S.d. § 298 Abs. 1 StGB kommt die Lieferung von Waren oder die Erbringung von gewerblichen Leistungen in Betracht, wobei diese Begriffe kartellrechtsakzessorisch auszulegen sind.[135] Als Waren in diesem Sinne (vgl. § 103 Abs. 2 GWB) sind sämtliche Gegenstände anzusehen, die im Geschäftsverkehr veräußert werden können. Dazu zählen neben beweglichen Sachen und Immobilien auch Nutzungs- und Immaterialgüterrechte, Unternehmen und Gewinnchancen.[136] Eine Leistung ist hingegen gem. § 298 StGB eine Tätigkeit, deren Erfolg einem anderen zufällt und der dementsprechend in der Regel ein Dienst- oder Werkvertrag zugrunde liegt; dies umfasst neben der Ausführung von Bauvorhaben jede Art von Dienstleistungen (§ 103 Abs. 3 und Abs. 4 GWB).[137]

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Gewerblich ist eine Leistung, die im geschäftlichen Verkehr erbracht wird; auf der Grundlage des im Wettbewerbsrecht geltenden funktionalen Unternehmensbegriffs fallen darunter nicht nur die Leistungen von Gewerbebetrieben, sondern auch von Angehörigen der freien Berufe.[138] Darüber hinaus werden auch Leistungen des Staates im privatwirtschaftlichen Bereich und künstlerische Werke erfasst.[139]

2. Öffentliche Ausschreibungen

a) Allgemeines

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Die Einführung des § 298 StGB zielte in erster Linie auf den Schutz des Wettbewerbs bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand (Öffentlichen Ausschreibungen), zu denen diese europarechtlich[140] bzw. haushaltsrechtlich (§ 55 BHO) verpflichtet ist.[141] Die entsprechenden Regelungen gelten für öffentliche Auftraggeber. Der Begriff des öffentlichen Auftraggebers ist funktional zu bestimmen und umfasst nach § 98 ff. GWB neben Bund, Ländern und anderen Gebietskörperschaften (Gemeinden, Landkreise) und sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts auch natürliche und juristische Personen des Privatrechts, die öffentliche Aufgaben, insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge, wahrnehmen.[142] Insbesondere private Unternehmen, die eine besondere Staatsnähe aufweisen, sowie rein private Unternehmen, die in bestimmten Wirtschaftssektoren auf der Basis besonderer oder ausschließlicher Rechte tätig sind, können als öffentliche Auftraggeber von §§ 98 ff. GWB erfasst sein. Die durch Ausschreibungsverfahren bezweckten Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen werden vom Gesetz in § 99 Abs. 1 GWB a.F. bzw. § 103 Abs. 1 GWB n.F. als öffentliche Aufträge bezeichnet. Sie können, müssen allerdings nicht notwendigerweise privatrechtlich ausgestaltet sein, so dass z.B. auch öffentlich-rechtliche Verträge i.S.d. §§ 54 ff. VwVfG erfasst werden.[143]

b) Ober- und unterschwelliger Bereich: Unterschiedliche Verfahrensregelungen

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Das Ausschreibungsverfahren richtet sich für öffentliche Auftraggeber nach dem Kartellvergaberecht (§§ 97 ff. GWB), sofern die einschlägigen Schwellenwerte[144] erreicht oder überschritten werden (oberschwelliger Bereich, vgl. § 106 Abs. 1, 3 GWB); diese Schwellenwerte wurzeln im europäischen Sekundärrecht.[145] Seit dem 1.1.2018 gelten neue Schwellenwerte, nämlich für Bauaufträge statt bisher (seit 1.1.2016) 5 225 000 EUR nunmehr 5 548 000 EUR für Liefer- und Dienstleistungsaufträge statt bisher 209 000 EUR nunmehr 221 000 EUR für Liefer- und Dienstleistungsaufträge im Sektorenbereich Verteidigung/Sicherheit statt bisher 418 000 EUR nunmehr 443 000 EUR und für Liefer- und Dienstleistungsaufträge der oberen und obersten Bundesbehörden statt bisher 135 000 EUR nunmehr 144 000 EUR.

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Vergaben öffentlicher Auftraggeber unterhalb der Schwellenwerte (unterschwelliger Bereich) sind dagegen weitgehend vergaberechtsfrei, so z.B. Bauvorhaben unterhalb v. 5 225 000 EUR, jedoch sind auch hier die Regelungen der VOB/A, und bis zum 18.4.2016 auch die der VOL/A und VOF anzuwenden, wobei die VOF lediglich das Verfahren der freihändigen Vergabe bzw. das Verhandlungsverfahren vorsah, (§ 3 Abs. 1 VOF); seit 18.4.2016 finden für Vergaben unterhalb der Schwellenwerte neben den Regelungen der VOB/A nur noch die der VOL/A, 1. Abschnitt Anwendung (die Vorschriften in der VOL/A, 2. Abschnitt werden nicht mehr in Bezug genommen, hier gelten allein die Regelungen der VgV n.F.); das seit dem 18.4.2016 nur noch einschränkend geltende „Zweiklassensystem“ hat aus strafrechtlicher Sicht keine weitergehende Bedeutung, da sich die jeweils maßgeblichen Verfahrensarten und -vorschriften decken.[146]

c) Verfahrensarten der öffentlichen Ausschreibung gem. § 298 Abs. 1 StGB

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Der Tatbestand des § 298 Abs. 1 StGB erfasst zunächst als gesetzlichen Regelfall das offene Verfahren (§ 119 Abs. 1, 3 GWB) bzw. die öffentliche Ausschreibung (§ 3 Abs. 1 VOB/A; § 3 Abs. 1 VOL/A), wonach eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmen öffentlich zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert wird.[147] Demgegenüber zeichnet sich das nicht offene Verfahren (§ 119 Abs. 4 GWB) bzw. die beschränkte Ausschreibung (§ 3 Abs. 2 VOB/A; § 3 Abs. 1 S. 2 VOL/A) dadurch aus, dass – ggf. nach öffentlicher Aufforderung zur Teilnahme – nur eine beschränkte Anzahl von Unternehmen zur Abgabe eines Angebotes aufgefordert wird.[148] Anders als in § 298 Abs. 2 StGB wird der Begriff der Ausschreibung des § 298 Abs. 1 StGB von der herrschenden Rechtsprechung aber nicht an das Erfordernis eines öffentlichen Teilnahmewettbewerbs geknüpft.[149] § 298 Abs. 1 StGB findet daher nach h.M. auch auf beschränkte Ausschreibungen ohne öffentlichen Teilnahmewettbewerb Anwendung.[150]

d) Weitere tatbestandliche Verfahren mit zusätzlichem Erfordernis des Teilnahmewettbewerbs gem. § 298 Abs. 2 StGB?

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Bei dem Verhandlungsverfahren, in dem der Veranstalter sich an ausgewählte Unternehmen wendet, um mit diesen über die Auftragsbedingungen zu verhandeln (§ 119 Abs. 5 GWB), handelt es sich per se nicht um eine Ausschreibung, da der Veranstalter gerade darauf verzichtet, unter Wettbewerbsbedingungen mehrere Angebote einzuholen, sondern stattdessen individuell mit den einzelnen Anbietern verhandelt.[151] Das Verhandlungsverfahren entspricht insoweit der freihändigen Auftragsvergabe, die – wie sich auch im Umkehrschluss aus § 298 Abs. 2 StGB ergibt (wo das zusätzliche Erfordernis des Teilnahmewettbewerbs explizit genannt ist) – nicht als Ausschreibung gem. § 298 Abs. 1 StGB anzusehen ist.[152] Soweit den Verhandlungen (und der Vergabe) jedoch ein öffentlicher Teilnahmewettbewerb vorausgeht (vgl. § 119 Abs. 5 GWB, s. dazu § 3 EG Abs. 1, Abs. 3 VOL/A Abschn. 2 bzw. § 17 VgV ab dem 18.4.2016), wird strafrechtlicher Schutz nach § 298 Abs. 2 StGB gewährt.[153] Der Teilnahmewettbewerb setzt eine öffentliche Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes voraus (vgl. § 3 Abs. 1 VOL/A, § 3 Abs. 1 VOF).

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Der wettbewerbliche Dialog (§ 119 Abs. 6 GWB; § 3 EU Abs. 1 Nr. 4 VOB/A) wird als neu eingeführte, eigenständige Verfahrensart ebenfalls nicht als Ausschreibung i.S.d. § 298 Abs. 1 StGB angesehen.[154] Bei dem wettbewerblichen Dialog handelt es sich um ein dreigliedriges Verfahren, das einen Teilnahmewettbewerb, den Dialog mit den ausgewählten Anbietern und die Angebotsphase mit der Erteilung des Zuschlags umfasst, wobei die dritte Phase weitgehend dem nicht offenen Verfahren bzw. der beschränkten Ausschreibung entspricht.[155] Zwar kann der Veranstalter in der Angebots- und Zuschlagsphase eine Präzisierung, Klarstellung oder Ergänzung eines zuschlagsfähigen Angebotes verlangen (§ 3 EG Abs. 7 Nr. 7 S. 3, Nr. 8 S. 2 VOB/A), jedoch dürfen dadurch die grundlegenden bzw. wesentlichen Elemente des Angebotes bzw. der „Ausschreibung“ nicht geändert werden (§ 3b EU Abs. 4 Nr. 7 S. 4, Nr. 8 S. 3 VOB/A); nach einer strittigen Auffassung rechtfertige daher die durch die Dialogphase bewirkte Einschränkung des Wettbewerbs es nicht, diesem Verfahren den strafrechtlichen Schutz gem. § 298 StGB zu versagen.[156] Nach zutreffender Auffassung ist aber eine Subsumtion des wettbewerblichen Dialogs unter den Begriff der Ausschreibung § 298 Abs. 1 StGB abzulehnen, weil der Gesetzgeber darunter nur die oben genannten Verfahren verstand; auch verbietet es der Wortlaut des § 298 Abs. 2 StGB, den wettbewerblichen Dialog als ein der Ausschreibung gem. § 298 Abs. 1 StGB gleichgestelltes Verfahren zu identifizieren, denn zwar sieht auch der wettbewerbliche Dialog einen Teilnahmewettbewerb vor, jedoch kann er im Gegensatz zum Verhandlungsverfahren gerade nicht als „freihändige Vergabe eines Auftrags“ (§ 298 Abs. 2 StGB) eingeordnet werden; jedes andere Auslegungsergebnis würde gegen das Analogieverbot verstoßen.[157] Der wettbewerbliche Dialog wird daher de lege lata nicht von § 298 StGB erfasst.[158]